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Saturday, December 01, 2012

Selbst- und Ko-Regulierung: Anmerkung aus Anlass des Leveson-Reports

"An inquiry into the culture, practices and ethics of the press": das war der Auftrag für die im Juli 2011 vom Premierminister des Vereinigten Königreichs eingesetzte Untersuchungskommission unter dem Vorsitz von Lord Justice Leveson, die nun - am 29.11.2012 - den Abschlussbericht veröffentlicht hat. Dieser "Leveson-Report" umfasst vier Teile (1, 2, 3, 4) mit insgesamt rund 2000 Seiten und eine Zusammenfassung mit Empfehlungen (executive summary); die Rede von Leveson LJ bei der Vorstellung des Berichts ist hier nachzulesen.

Ich habe dieser Tage einfach nicht so viel Freizeit, dass ich den gesamten Bericht lesen und mich dann hier im Blog auch noch näher damit auseinandersetzen könnte, daher verweise ich zur Übersicht - abgesehen von Leveson's eigener Zusammenfassung - auf die Berichterstattung auf Inforrm's Blog und den Podcast "Without Prejudice", unter anderem mit den Bloggern Carl Gardner und David Allen Green. Wer es ganz eilig hat: Stewart Purvis vom Guardian hat es geschafft, die 2000 Seiten des Leveson-Reports in 70 Worten zusammenzufassen. Emily Bell (The Leveson inquiry is irrelevant to 21st-century journalism) kritisiert die Vernachlässigung des Internets im Leveson-Bericht, Carl Gardner (We must have statutory regulation - and liberation - of the press) schrieb schon einen Tag vor der Veröffentlichung des Berichts einen bemerkenswerten Beitrag über die lange Geschichte der Probleme mit der Selbstregulierung, und Edward Craven (Leveson: One last chance for press self-regulation? A summary of the proposals) fasst die Vorschläge zur Selbstregulierung zusammen.

Vieles am Bericht ist natürlich nur vor dem Hintergrund der unmittelbaren Anlassfälle (Abhören von Mailboxen von Verbrechensopfern wie auch von Prominenten) und der spezifisch britischen Medien- und Medienrechtssituation zu verstehen. Aber Fragen zum Naheverhältnis zwischen Politik und Presse (dazu im Band 3 ab S. 1115) und zur "Regulierung" und/oder "Selbstregulierung" der Presse sind auch über die Insel hinaus von Interesse.

Was immer man auch vom Inhalt des Berichts halten mag: eine ähnlich seriöse und akribische Aufarbeitung des erteilten Auftrags würde man sich auch für andere Untersuchungen wünschen, insbesondere natürlich für den ziemlich unrühmlich - und ohne schriftlichen Abschlussbericht - zu Ende gegangenen Korruptions-Untersuchungsausschuss des österreichischen Nationalrats (die Leveson-Inquiry war allerdings keine parlamentarische, sondern eine vom Premierminister eingesetzte Untersuchung unter der Leitung eines erfahrenen Berufsrichters).

Selbstregulierung
Modul 4 der Untersuchung waren "Recommendations for a more effective policy and regulation that supports the integrity and freedom of the press while encouraging the highest ethical standards". Dass die Selbstregulierung der Presse gescheitert war, zeigt auch der Leveson-Bericht deutlich auf (siehe die Darlegung ab S. 1515 im Band 4). Vor allem die mangelnde Unabhängigkeit der Press Complaints Commission - die noch vor wenigen Jahren vielfach (etwa auch bei der Eröffnungsveranstaltung des neuen österreichischen Presserats) als vorbildhaft hingestellt wurde - wird im Bericht massiv kritisiert; so heißt es auf S. 1520 zB:
A profound lack of any functional or meaningful independence from the industry that the PCC claimed to regulate lay at the heart of the failure of the system of self-regulation for the press. Independence operates at two levels, one of perception and the other of substance. In terms of perception, just as judges cannot in any sense be perceived as being judges in their own cause, or appearing to be biased or otherwise interested in the outcome, a regulator must be so constituted as to satisfy every reasonable complainant that he or she will receive a fair hearing in all respects and at all levels. In terms of substance, a regulator will not be free to do its job properly if tied functionally to the entities it is regulating. Further, there is a not insubstantial risk that, if those that are being regulated take the view that they are being judged by fierce competitors for whom they have neither trust nor respect (even if there is a majority of lay members of the Commission), they will not regard the discharge of the regulator’s duties in the correct light.
Auch die PCC selbst bestreitet übrigens nicht mehr, dass sie ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht wurde (sie will aber keine neu zu schaffende Einrichtung unter allfälliger Aufsicht einer Regulierungsbehörde, sondern - so der Vorsitzende Lord Hunt in seiner Reaktion auf den Leveson-Bericht - bloß einen "fresh start").

In seinen Empfehlungen für eine neue Form der Selbstregulierung versucht Leveson einen Mittelweg zwischen reiner Selbstregulierung und verstärkter öffentlicher Kontrolle. In seinem Modell (siehe S. 32-38 der Zusammenfassung bzw ab S. 1583 in Band 4) soll zwar eine von der Presse organisierte Selbstregulierungseinrichtung bestehen, in deren Entscheidungsgremium Pressevertreter aber nur eine Minderheit stellen. Zudem soll die Selbstregulierungseinrichtung von der Regulierungsbehörde (Ofcom) sozusagen "zertifiziert" werden (die Regulierungsbehörde soll prüfen, ob die Selbstregulierungseinrichtung alle Kriterien erfüllt, die in einem dafür erst zu erstellenden Gesetz festgelegt werden sollen). Die Selbstregulierungseinrichtung sollte auch in der Lage sein, Sanktionen zu verhängen (de facto wären das "Geldstrafen", die als Vertragsstrafen beim Beitritt zu dieser Einrichtung vereinbart werden müssten).

Da der große Charme von reinen Selbstregulierungseinrichtungen aus der Sicht der jeweiligen Branche aber gerade eben darin liegt, dass sich die Branche selbst ausmacht, wie streng sie zu sich sein will, überrascht es nicht wirklich, dass die britische Presse (und auch Premierminister Cameron) überwiegend ablehnend auf die Leveson-Vorschläge reagiert hat.

Nach den im deutschen Sprachraum üblichen Kriterien kann man beim Leveson-Modell auch nicht mehr von Selbstregulierung im engeren Sinne sprechen, zumal die Branche nicht selbst - durch eine Mehrheit von Pressevertretern im Entscheidungsgremium - über Verstöße gegen ihre ethischen Standards urteilen könnte (auch Leveson geht immerhin davon aus, dass es solche ethischen Standards geben könnte). Da es nach dem Leveson-Modell eine gesetzliche Grundlage für die Anerkennung der Einrichtung geben soll, würde man im aktuellen wissenschaftlichen Jargon eher von "Ko-Regulierung" oder - was noch skurriler klingt (und ist) - von "regulierter Selbstregulierung" sprechen. Zu beachten ist freilich, dass für "Selbstregulierung" im UK eine rechtlich wesentlich andere Ausgangssituation besteht (siehe allgemein dazu etwa Mac Sithigh, Datafin to Virgin Killer: Self-Regulation and Public Law, oder Black, Constitutionalising Self-Regulation); das Konzept einer "mandated self-regulation" etwa ist in Österreich praktisch unbekannt (wenn man nicht die berufliche Selbstverwaltung etwa in den Kammern in diese Richtung verstehen will).

Weder der Presserat (auch nicht der deutsche oder der schweizerische Presserat) noch der Werberat könnten übrigens auch nur annähernd jene Kriterien der Unabhängigkeit erfüllen, wie sie Leveson für sein Modell fordert, ganz abgesehen davon, dass es in Österreich derzeit auch keine behördliche Anerkennung oder Zertifizierung von Selbstregulierungseinrichtungen durch Regulierungsbehörden gibt (allerdings geht § 39 Abs 4 KommAustria-Gesetz ein wenig in diese Richtung, dazu weiter unten mehr).

Ist Ko-Regulierung besser als Selbstregulierung?
Verschiedene Veröffentlichungen und Vorträge haben mir den Ruf eingetragen, der Selbstregulierung eher kritisch gegenüberzustehen. So habe ich etwa in meinem Referat auf dem Österreichischen Juristentag 2009 (Thesenpapier; Referat nur in Print veröffentlicht) zusammenfassend festgehalten:
Selbstregulierung kann notwendige Regulierungsmaßnahmen zur Gefahrenabwehr nie ersetzen. Wo es aber keine Regulierung braucht, braucht es auch keine Selbstregulierung. In der Regel aber wird Selbstregulierung zumindest nicht schaden - es sei denn, sie entwickelt sich zum Kartell, das ja gewissermaßen die vollendete Form der Selbstregulierung einer Branche darstellt.
Ich habe aber gar nichts gegen Selbstregulierung, wohl aber dagegen, dass Politik und Wirtschaft Selbstregulierung oft als Wundermittel zur Problemlösung verkaufen wollen (die Politik kann Aktivität zeigen, spart sich aber das mühsame eigene Handeln; die Wirtschaft kann damit wirksame Regulierung verhindern oder zumindest verzögern). Meines Erachtens wäre aber - ganz abstrakt gesehen - die Entscheidungssituation für den Gesetzgeber (oder sonstigen Normsetzer) relativ einfach:
  • Entweder es gibt eine Gefahr (zB für Gesundheit, Sicherheit, lauteren Wettbewerb, Privatsphäre, etc), die rechtspolitisch als so gravierend bewertet wird, dass staatliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr geboten sind: dann muss man diese Maßnahmen ergreifen und kann sich nicht auf Selbstregulierung oder ähnliche Wundermittel verlassen - denn hätten diese funktioniert, gäbe es die Gefahr gar nicht.
  • Oder aber es gibt keine Gefahr: sei es, weil Selbstregulierungseinrichtungen funktioniert haben oder aus welchem anderen Grund auch immer. In diesem Fall braucht man weder einen staatlichen Eingriff zur Gefahrenabwehr, noch müsste man sich - von der gesetzgeberischen Seite - mit Fragen der Selbstregulierung beschäftigen; denn wozu auch, wenn es keine zu bekämpfende Gefahr gibt?
Damit sollte sich Selbstregulierung immer unter dem gesetzgeberischen Radar bewegen - sie ist schlicht für die Legistik nicht relevant, weder wenn sie funktioniert (dann braucht man nicht einzugreifen), noch wenn sie nicht funktioniert (dann kann man sich auch nicht auf sie verlassen). Das bedeutet nicht, dass man Selbstregulierungseinrichtungen (wie etwa den österreichischen Presserat oder den Werberat) nicht fördern kann oder vielleicht auch fördern soll: wenn Selbstregulierung so gut funktioniert, dass sonst notwendige staatliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr vermieden werden können, ergibt das - auch ökonomisch - Sinn (und sonst fördert man zumindest eine weitgehend harmlose Freizeitbeschäftigung).

Wirklich kritisch aber sehe ich gerade die derzeit eher propagierte "Ko-Regulierung" oder "regulierte Selbstregulierung", bei der Entscheidungen von Selbstregulierungseinrichtungen als Anknüpfungspunkt für staatliches Handeln dienen sollen. In solchen Fällen ist es nämlich nicht mehr irrelevant, wie die Selbstregulierungseinrichtungen zusammengesetzt sind oder welche Verfahrensregeln zur Anwendung kommen. Knüpft man beispielsweise - wie dies derzeit in Österreich diskutiert wird - die (Höhe der) Presseförderung an die Mitgliedschaft in einer Selbstregulierungseinrichtung, so wird man auch klarere Anforderungen an diese Selbstregulierungseinrichtung stellen müssen (insbesondere etwa im Hinblick auf die Unabhängigkeit des Entscheidungsorgans von den "regulierten" Unternehmen [siehe zur - mangelnden - Unabhängigkeit des österreichischen Presserats im Blog zB schon hier]).

Eine nur von der Branche getragene und von ihr maßgeblich bestimmte Einrichtung der Selbstregulierung, die im Ergebnis Standards auch gegenüber ihr nicht angehörenden Unternehmen und/oder gar gegenüber der Öffentlichkeit - zB bei der Presse gegenüber Opfern Objekten der Berichterstattung - setzen könnte, wäre jedenfalls schon unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes in höchstem Maße fragwürdig. Knüpft nämlich hoheitliches Handeln an Entscheidungen von Selbstverwaltungseinrichtungen an, so müssten wohl vergleichbare Standards gelten wie bei der nach österreichischem Verfassungsrecht zulässigen beruflichen Selbstverwaltung, die aber - vereinfacht gesagt - nur Angelegenheiten jener Personen regeln darf, die in der Selbstverwaltungskörperschaft auch mitstimmen können (in den Worten des Verfassungsgerichtshofes, zuletzt etwa zur Kärntner Jägerschaft: es ist "unzulässig, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts zwar als Selbstverwaltungskörper einzurichten, ihr aber die Zuständigkeit zu übertragen, auch solche Angelegenheiten - unter Einsatz von imperium - weisungsungebunden zu besorgen, die sich auf einen Personenkreis beziehen, der von jenem verschieden ist, der den Organen des Selbstverwaltungskörpers die erforderliche demokratische Legitimation vermittelt, also bei der Kreation (zumindest) des obersten Organs dieses Selbstverwaltungskörpers mitwirken konnte.")-

Ko-Regulierung als Hybrid zwischen Selbstregulierung und staatlicher Regulierung vereint die Nachteile beider Systeme: sie knüpft an der informellen und weitgehend beliebigen und/oder interessegeleiteten Selbstregulierung an und verhilft ihr durch staatliche Machtmittel zu einer ihr aus eigenem nicht zukommenden Durchsetzungskraft. Wenn aber Selbstregulierung einer Branche nicht von sich aus - und ohne staatliche Gewalt in der Hinterhand - so gut funktioniert, dass eine ausreichende Gefahrenabwehr sichergestellt ist, dann gibt es auch keinen Grund dafür, sich bei der dann notwendigen staatlichen Gefahrenabwehr auf die (offensichtlich nicht ausreichend funktionierende) Selbstregulierung abzustützen und so der staatlichen Regulierung noch die Hände zu binden. Zudem müsste die Selbstregulierungseinrichtung, wenn ihre Entscheidungen Konsequenzen für staatliches Handeln haben, in höherem Ausmaß formalisiert und vor allem in eine ausreichende Unabhängigkeit entlassen werden, was die Attraktivität für die "regulierte" Branche deutlich verringert.

Damit wäre ich wieder bei meinem Ausgangspunkt: entweder es gibt eine Gefahr, der im öffentlichen Interesse entgegenzutreten ist, dann muss diese öffentliche Aufgabe durch wirksames demokratisch legitimiertes (also staatliches) Handeln wahrgenommen werden. Oder aber es besteht keine (aktuelle) Gefahr, dann kann und soll Selbstregulierung tun und lassen, was sie will, ohne dass sich der Staat dabei einzumischen hat. Von einer Vermischung der beiden Welten - Selbstregulierung und staatliche Regulierung - würde ich abraten; wirklich gut funktionierende Ko-Regulierungssysteme sind mir jedenfalls in Kontinentaleuropa nicht bekannt.

Ko-Regulierung am Beispiel § 39 Abs 4 KommAustria-Gesetz
Dass die Verzahnung von Selbstregulierung und staatlicher Regulierung mehr Probleme als Lösungen schafft, zeigt meines Erachtens auch der erste Ansatz zur Ko-Regulierung in Österreich, der mit der Rundfunkrechtsnovelle 2010 geschaffen wurde. § 39 Abs 4 KommAustria-Gesetz lautet:
"(4) Bei der Beurteilung von behaupteten Verletzungen der werberechtlichen Bestimmungen der §§ 34, 37 bis 42 und 46 AMD-G sowie des 3. Abschnitts des ORF-Gesetzes ist auf die Spruchpraxis allgemein anerkannter unabhängiger Selbstregulierungseinrichtungen Bedacht zu nehmen. Als allgemein anerkannte Selbstregulierungseinrichtungen gelten insbesondere solche, die eine breite Repräsentanz der betroffenen Berufsgruppen und hinreichende Transparenz im Hinblick auf Entscheidungsgrundlage, Verfahren und Durchsetzung von Entscheidungen gewährleisten."
Die Erläuterungen sagen dazu: "Die Anpassung in Abs. 4 dient der Anerkennung der Selbstregulierung; von Relevanz könnte die Spruchpraxis etwa dann sein, wenn es um die Beurteilung subjektiv vorwerfbaren Verhaltens im Rahmen eines Verwaltungsstrafverfahrens geht (z.B. wenn ein Straftatbestand etwa trotz einer Entscheidung der Selbstregulierungseinrichtung fortgesetzt wird)."
Nun meine ich erstens, dass die Berücksichtigung eher dort von Relevanz sein könnte, wo nicht trotz, sondern wegen einer Entscheidung der Selbstregulierungseinrichtung das Verhalten fortgesetzt wird (zB wenn die Selbstregulierungseinrichtung meint, dass eine Werbung noch zulässig sei, während die Behörde später zur gegenteiligen Meinung kommt; für den Jugendschutzbereich gibt es zu einer vergleichbaren Situation schon zumindest einen Beispielsfall aus Deutschland, wo keine Strafe verhängt wurde, weil die Selbstregulierungseinrichtung - anders als später die Behörde - keine Einwendungen hatte).

Zweitens stellt sich die Frage, wo in Österreich eine derartige Selbstregulierungseinrichtung zu finden sein könnte. In Betracht kommt realistisch nur der Österreichische Werberat (der laut Kommunikationsbericht 2011, S. 87, in den Jahren 2010 und 2011 auch tatsächlich mit jeweils € 50.000 gefördert wurde). Der Werberat hat sich in den letzten Jahren zweifellos Mühe gegeben, etwas moderner zu werden und auch eine Spur transparenter, aber das Entscheidungsgremium ist immer noch zu rund drei Viertel von der Werbewirtschaft - Medien, Agenturen und Auftraggeber - dominiert (und unter dem verbleibenden Viertel von Mitgliedern befindet sich noch immer ein gewisser "Prof. Hademar Bankhofer, c/o TV-Gesundheitsexperte", dessen Erfahrungen im Schleichwerbungsbereich in diesem Blog schon thematisiert wurden). Ob dieser Werberat also tatsächlich "allgemein anerkannt" und "unabhängig" ist?

Berücksichtigt man zudem, dass die österreichische Regelung der Umsetzung von Art 4 Abs 7 der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste dient, so ergeben sich noch größere Zweifel über die "allgemeine Anerkennung" des Werberates. Die Richtlinienbestimmung lautet:
"Die Mitgliedstaaten fördern Regelungen zur Koregulierung und/oder Selbstregulierung auf nationaler Ebene in den durch diese Richtlinie koordinierten Bereichen in dem nach ihrem jeweiligen Rechtssystem zulässigen Maße. Diese Regelungen müssen derart gestaltet sein, dass sie von den Hauptbeteiligten in den betreffenden Mitgliedstaaten allgemein anerkannt werden und dass eine wirksame Durchsetzung gewährleistet ist."
Anders als der österreichische Gesetzgeber, der von den "betroffenen Berufsgruppen" spricht, nennt die Richtlinie die "Hauptbeteiligten" - was nicht nur die Anbieterseite, sondern auch die Marktgegenseite (KonsumentInnen) umfasst. Dass aber der Werberat auch von Konsumentenseite "allgemein anerkannt" würde, dürfte meines Erachtens keineswegs feststehen. Aber wie auch immer: § 39 Abs 4 KommAustria-Gesetz dürfte bislang weitgehend totes Recht sein (mir ist jedenfalls kein Fall bekannt, in dem auf diese Bestimmung Bezug genommen wurde) - und vielleicht ist das auch besser so.

Monday, July 18, 2011

Chilling me softly? Wird der News of the World-Skandal Max Mosley helfen, vor die große Kammer des EGMR zu kommen?

Die Aufarbeitung des Skandals rund um News International, den britischen Teil des Imperiums von Rupert Murdoch, wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen - sowohl als Kriminalfall rund um illegales Abhören und polizeiliche Korruption als auch als (medien)politisches Lehrstück, abgehandelt im britischen Parlament und im Rahmen einer Untersuchung durch Lord Justice Leveson zu "culture, practices and ethics of the press" (siehe zu all dem vor allem die Berichterstattung im Guardian, mit vielen weiteren Hinweisen). Schon heute aber kann man wohl sagen, dass dieser Skandal auch für das Medienrecht nicht ohne Auswirkungen bleiben wird.

Dabei geht es mir nicht um die im Vereinigten Königreich andiskutierten Änderungen hin zu einer stärkeren Presseregulierung, zB durch Einführung einer Presse-Regulierungsbehörde (Stichwort "Ofpress" oder "Ofmedia", etwa nach dem Vorbild der Rundfunkregulierungsbehörde Ofcom; ich empfehle dazu Kevin Marsh und Inforrm's Blog zu lesen). Vielmehr interessiert mich aus der europäischen Perspektive eher die Frage, ob und wie sich das Verhalten von News of the World und anderer britischer Tabloids auf die Beurteilung von Beschränkungen der Pressefreiheit durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) auswirken könnte.

Der EGMR hat in zahlreichen Fällen nationale Regelungen oder Entscheidungen wegen ihres abschreckenden Effekts (chilling effect) auf die Ausübung des journalistischen Berufs als unzulässigen Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK beurteilt (zuletzt etwa im Fall Wizerkaniuk; siehe dazu hier). Zudem hat der EGMR manche von Beschwerdeführern verlangte positive Verpflichtungen zum Schutz insbesondere der Ehre oder der Privatsphäre unter Hinweis auf die abschreckende Wirkung, die solche Maßnahmen auf zulässige Meinungsäußerungen haben könnten, abgelehnt (aktuellstes Beispiel ist der Fall  Mosley; siehe dazu hier und hier).

Wünschenswerte Abkühleffekte?
Zumindest in (zustimmenden) Sondervoten wurde aber von EGMR-Richtern schon Kritik an dieser ablehnenden Haltung gegenüber "chilling effects" geäußert. So sprach sich etwa Richter Loucaides im Fall Lindon, Otchakovsky-Laurens and July gegen Frankreich (Appl. nos. 21279/02 und 36448/02) ausdrücklich für Regeln aus, die einen "chilling effect on irresponsible journalism" haben sollten. Jüngstes Beispiel ist wiederum der Fall Wizerkaniuk, in dem die Richter Garlicki und Vučinić nachdrücklich auf die Gefahren journalistischen Missbrauchs (journalistic abuse) hinwiesen. In der heutigen Welt könne die Presse nicht immer die Opferrolle für sich reklamieren, vielmehr unterminiere sie oft in böser Absicht die Integrität ander Personen. Dieser veränderten Situation, so Garlicki und Vučinić, müsse man sich stellen ("We have no alternative but to address this new situation"). Auch wenn dies nicht die Mehrheitsmeinungen waren, so scheint mir doch bemerkenswert, dass selbst EGMR-Richter "chilling effects" für journalistische Äußerungen keineswegs mehr zwingend und ohne Ausnahme als negativ beurteilen.

Im Fall Mosley hat die vierte Kammer des EGMR einstimmig zwar keine Verletzung des Art 8 EMRK festgestellt, aber doch ihr Unbehagen mit der Vorgangsweise der dort betroffenen Zeitung - nicht zufällig war das die "News of the World" - deutlich gemacht (wenngleich mit gewisser richterlicher Zurückhaltung: "the conduct of the newspaper in the applicant’s case is open to severe criticism."). Max Mosely hat die Verweisung seines Falles an die große Kammer beantragt; eine Entscheidung darüber ist noch nicht gefallen. In seinem Verweisungsantrag - gestellt am 24.5.2011, also noch vor den aktuellen Enthüllungen rund um News of the World - legt Mosley im Wesentlichen dar, weshalb die von der vierten Kammer des EGMR dargelegten Möglichkeiten, sich gegen Verletzungen der Privatsphäre durch die Presse zu wehren, seiner Ansicht nach nicht ausreichen.

Versagen der Selbstregulierung
Interessant dabei scheinen mir dabei aus heutiger Sicht insbesondere die Ausführungen zur Press Complaints Commission (PCC). Der EGMR hatte diese "Selbstregulierungseinrichtung" der britischen Presse und deren Regelwerk ja in seinem Urteil ausführlich dargestellt und schließlich (in Nr. 119 des Urteils) die Auffassung vertreten, dass auch die PCC - neben nachträglichen Schadenersatzansprüchen, einstweiligen Verfügungen und Ansprüchen nach Datenschutzvorschriften - ein Instrument sei, um den Schutz der in Art 8 EMRK garantierten Rechte zu sichern:
"The Court observes at the outset that this is not a case where there are no measures in place to ensure protection of Article 8 rights. A system of self-regulation of the press has been established in the United Kingdom, with guidance provided in the Editors’ Code and Codebook and oversight of journalists’ and editors’ conduct by the PCC [...]." 
Dass eine solche "oversight" (Aufsicht) über das Verhalten von Journalisten durch die PCC jedoch tatsächlich nicht bestand oder zumindest völlig wirkungslos war, hat sich im News of the World-Skandal eindrucksvoll gezeigt. Dementsprechend ist die Press Complaints Commission mittlerweile am Implodieren und ihr Überleben auch in reformierter Form höchst zweifelhaft. Wer zB das BBC-Interview mit der PCC-Vorsitzenden Baroness Buscombe vom 5.7.2011 gesehen hat (mein Lieblingssatz daraus: "We are doing all we can: we set up a review"), wird jedenfalls kaum ernsthaft behaupten können, dass die PCC irgendetwas zum Schutz vor den Auswüchsen des Boulevardjournalismus - wie sie zB im Fall Mosley offenbar wurden - hätte beitragen können.

Kommt Mosley vor die große Kammer? [Update: die Antwort ist nein*]
Im Fall Mosley haben nun zunächst fünf Richter der Großen Kammer darüber zu entscheiden, ob der Verweisungsantrag angenommen wird, was nach Art 43 EMRK in Ausnahmefällen möglich ist, "wenn die Rechtssache eine schwerwiegende Frage der Auslegung oder Anwendung der Konvention" oder "eine schwerwiegende Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft". Prima facie hätte ich den Fall Mosley nicht als solchen Ausnahmefall gesehen: Das Urteil der vierten Kammer war einstimmig und meines Erachtens eindeutig; ich kann mir schwer vorstellen, dass im Fall der Verweisung an die Große Kammer im Ergebnis etwas anderes herauskäme, nicht zuletzt da die von Mosley gewünschte Vorverständigungspflicht alles anderer als comon consensus unter den Konventionsstaaten ist ("In so far as any common consensus can be identified, it therefore appears that such consensus is against a pre-notification requirement rather than in favour of it." Kammerurteil Mosley, Nr. 124).

Nach dem Aufbrechen des News International-Skandals scheint es mir aber nicht mehr ausgeschlossen, dass der EGMR die Frage nach dem Schutz der Privatsphäre - im Verweisungsantrag ausdrücklich beschränkt auf "intimate or sexual details" - vor allzu aufdringlichem Schmuddeljournalismus à la News of the World vielleicht doch als "schwerwiegende Frage allgemeiner Bedeutung" beurteilen und die Verweisung zulassen könnte. Der Bespitzelungs- und Bestechungsskandal rund um News International und dessen politische Folgewirkungen hat die Behauptung Mosleys in seinem Verweisungsantrag, es handle sich um "issues of very considerable general importance, especially in the United Kingdom where certain sections of the press, such as The News of the World, trade in the disclosure of intimate or sexual secrets of people's private lives", zumindest nicht unglaubwürdiger gemacht.

Soft Chill für Krawalljournalismus?
Sollte sich die Große Kammer der Sache annehmen, so würde ich, wie bereits gesagt, kein anderes Endergebnis erwarten, wohl aber grundsätzliche und deutliche Kritik am Schmuddeljournalismus nicht nur der Murdoch-Presse. Ein einschränkendes Verständnis der Reichweite der Pressefreiheit für den Boulevardjournalismus hat schon das Kammerurteil - unter Verweis auf Vorjudikatur - dargelegt:
"The Court also reiterates that there is a distinction to be drawn between reporting facts – even if controversial – capable of contributing to a debate of general public interest in a democratic society, and making tawdry allegations about an individual’s private life [...]. In respect of the former, the pre-eminent role of the press in a democracy and its duty to act as a 'public watchdog' are important considerations in favour of a narrow construction of any limitations on freedom of expression. However, different considerations apply to press reports concentrating on sensational and, at times, lurid news, intended to titillate and entertain, which are aimed at satisfying the curiosity of a particular readership regarding aspects of a person’s strictly private life [...]. Such reporting does not attract the robust protection of Article 10 afforded to the press. As a consequence, in such cases, freedom of expression requires a more narrow interpretation [...]." [Hervorhebung hinzugefügt]
Man könnte das auch dahin verstehen, dass ein"chilling effect on irresponsible journalism" (so Richter Loucaides im Fall Lindon ua) zulässig sein sollte.

Selbst wenn die Große Kammer den Fall Mosley nicht annehmen sollte, könnte es angesichts der immer deutlicher zu Tage tretenden zweifelhaften bis kriminellen Praktiken von Krawallblättern à la News of the World nur mehr eine Frage der Zeit sein, bis eine Mehrheit im EGMR ausdrücklich Gefallen zumindest an einem "soft chill" für solchen Schmuddeljournalismus findet. Die wirklich spannende und kritische Frage ist dann, ob und wie die Abgrenzung zu jenem Journalismus gezogen werden kann, dem der "robuste Schutz" des Art 10 EMRK ungeschmälert zukommt. Gerade das Sondervotum der Richter Garlicki und Vučinić im Fall Wizerkaniuk (siehe dazu hier) - einem Fall, der sachverhaltmäßig keinerlei Anhaltspunkte für unzulässige oder unseriöse Praktiken der beteiligten Journalisten erkennen lässt - zeigt ein tiefes und ganz allgemeines Misstrauen gegenüber dem aktuellen Zustand des Journalismus, vor dessen Hintergrund sie letztlich auch ganz allgemeine Einschränkungen für journalistische Arbeit (im konkreten Fall eine vorgängige Pflicht, Interviews autorisieren zu lassen!) als gerechtfertigt ansehen würden. "Chilling effects on irresponsible journalism" könnten so aber auch "abkühlende Wirkung" auf verantwortungsvollen Journalismus haben.

PS (update 28.08.2011): der Standard hat mich gebeten, auf der Grundlage dieses Blogposts einen (etwas weniger juristischen) Kommentar der anderen zu schreiben - erschienen am 23.07.2011.

*Update 07.10.2011: das Urteil ist endgültig, die beantragte Verweisung an die Große Kammer wurde abgelehnt, siehe dazu den Beitrag auf Inforrm's Blog

Tuesday, January 25, 2011

EGMR: Verletzung des Art 10 EMRK durch Verurteilung wegen Gerichtsberichterstattung

Finnland hatte in letzter Zeit keinen guten Lauf in Art 10 EMRK-Fällen vor dem EGMR: Allein im Jahr 2010 gab es Verurteilungen in den Fällen Flinkkilä und andere, Iltalehti und Karhuvaara, Soila, Tuomela und andere sowie Jokitaipale und andere (jeweils vom 06.04.2010), Mariapori und Niskasaari und andere (jeweils am 06.07.2010), und schließlich im Fall Saaristo und andere vom 12.10.2010 (siehe jeweils auf meiner Übersichtsseite). Der letztgenannte Fall spielt auch im heute verkündeten Urteil im Fall Reinboth und andere eine wesentliche Rolle.

In Fall Reinboth und andere geht es sozusagen um eine Meta-Frage: ist eine Verurteilung wegen Verletzung der Privatsphäre durch einen Bericht über einen Prozess wegen Verletzung der Privatsphäre ein unzulässiger Eingriff in die freie Meinungsäußerung? Die Frage wird relativ einfach, wenn man die Zusatzinformation hat, dass die wegen Verletzung der Privatsphäre erfolgte Verurteilung in jenem Prozess, über den berichtet wurde, bereits - im EGMR-Urteil Saaristo - als Verletzung des Art 10 EMRK beurteilt wurde.

Etwas weniger abstrakt: Wegen der Veröffentlichung privater Umstände (im Wesentlichen über eine Beziehung zwischen der Kommunikationsverantwortlichen [O.T.] eines Kandidaten für das Präsidentenamt mit eben diesem Kandidaten) wurde ein Strafverfahren gegen Journalisten der Zeitung Ilta-Sanomat geführt, in dem diese auch verurteilt wurden (was schließlich vom Obersten Gerichtshof Finnlands bestätigt wurde). Über den erstinstanzlichen Prozess - zwei Jahre nach Veröffentlichung des Artikels in Ilta-Sanomat - berichtete Frau Reinboth in der Tageszeitung Helsingin Sanomat und verfasste einige Tage später dazu - diesmal ohne namentliche Nennung der Betroffenen - eine Kolumne mit mit rechtspolitischen Überlegungen zu Fragen der Verletzung der Privatsphäre. Über Antrag von O.T. wurde in der Folge ein Strafverfahren gegen Reinboth und den Chefredakteur der Helsingin Sanomat eingeleitet. Das Gericht kam zum Ergebnis, dass es angesichts der seit dem Vorfall verstrichenen Zeit keinen Grund gegeben habe, den Namen von O.T. zu veröffentlichen, und verurteilte Reinboth und ihren Chefredakteur zu Geldstrafen von € 740 bzw. € 1.140. Die Entscheidung wurde in allen Instanzen bestätigt.

Vor dem Hintergrund des erwähnten Urteils Saaristo, in dem der EGMR die Verurteilung der Journalisten der Ilta-Sanomat (sozusagen im Ausgangsfall des nun entschiedenen Rechtsstreits) als Eingriff in Art 10 EMRK beurteilt hat, ist es wenig überraschend, dass auch die Verurteilung der nunmehr beschwerdeführenden JournalistInnen der Helsingin Sanomat (einstimmig) als Verletzung des Art 10 EMRK beurteilt wurde. Der EGMR hielt fest, dass der Artikel die Tatsachen objektiv berichtete und die enthaltene Information bereits aufgrund der früheren Publikation in der Ilta-Sanomat bekannt war; der einzige Unterschied bestand im Zeitpunkt der Veröffentlichung. Der EGMR fand es diesbezüglich von Bedeutung, dass der Bericht auf ein Gerichtsverfahren gestützt und das Urteil öffentlich war; auch kamen durch den Bericht keine bis dahin noch nicht bekannten vertraulichen Informationen ans Licht. Die Verurteilung erwies sich daher nicht als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" und unverhältnismäßig.

Eine juristisch spannendere Frage wurde auf der vorangehenden Prüfungsstufe angesprochen: war der Eingriff überhaupt duch Gesetz vorgesehen? Hier stand zwar außer Streit, dass es im Strafgesetzbuch eine (allgemeine) gesetzliche Grundlage gab, die Beschwerdeführer machten aber geltend, dass die gerichtlichen Entscheidungen nicht vorhersehbar gewesen seien. Der EGMR verwies dazu zunächst auf seine Sunday Times-Rechtsprechung; demnach muss der Einzelne, falls nötig mit entsprechender Beratung, die Konsequenzen seiner Handlungen in einem nach den Umständen angemessenen Grad vorhersehen können. Im konkreten Fall habe es zum Veröffentlichungszeitpunkt fünf oberstgerichtliche Entscheidungen zur Auslegung der relevanten Strafnorm gegeben, die verschiedene Aspekte des Privatlebens betrafen; die Möglichkeit einer Sanktion für einen Eingriff in die Privatsphäre aufgrund der gegenständlichen Veröffentlichung sei daher "nicht unvorhersehbar" gewesen. Hätten die JournalistInnen Zweifel über die Zulässigkeit der gehabt, hätten sie Rat einholen oder die namentliche Nennung von O.T. unterlassen können. Daran anschließend folgt ein meines Erachtens doch überraschender Satz, in dem eher en passant eine Art erhöhter Sorgfaltspflicht für Journalisten aufgrund eigener berufsethischer Kodizes bzw der Praxis einer Selbstregulierungseinrichtung anklingt:
"Moreover, the applicants, who were professional journalists, could not claim to be ignorant of the content of the said provision since the Guidelines for Journalists and the practice of the Council for Mass Media, although not binding, provided even more strict rules than the Penal Code provision in question."
Ob aber aus dem Umstand, dass Selbstregulierungs-Leitlinien und Veröffentlichungen der Selbstregulierungseinrichtung strengere Richtlinien für den Umgang mit der Privasphäre vorsehen, wirklich erschließbar ist, dass Journalisten Kenntnis der gesetzlichen Strafnorm (in der ihr durch die Spruchpraxis des Obersten Gerichtshofs gegebenen inhaltlichen Ausprägung) haben müssen, scheint mir durchaus fraglich.

Andererseits: die Sorge vor allzu hohen Berufsstandards für Journalisten wäre wenigstens ein nachvollziehbarer Grund dafür, dass der österreichische Presserat sich als Grundlage für seine Entscheidungen weiterhin mit einer "Ansammlung von mehr oder weniger pathetisch formulierten Gemeinplätzen ohne regulierende Kraft" (copyright Walter Berka), aka Ehrenkodex für die Österreichische Presse, begnügt.

PS: eine weitere Verurteilung in einer Art 10 EMRK-Sache gabe es heute für die Türkei im Fall Mentes (No. 2); hier ging es um die Verurteilung einer kurdischen Aktivistin, die anlässlich einer Demonstration gehindert worden war, eine Presseerklärung zu verlesen.

Wednesday, December 22, 2010

Vermischte Lesehinweise (23): Schwerpunkt USA

  • Die FCC hat gestern (mit 3:2 Stimmen) neue Regeln zur Netzneutralität angenommen, die niemanden recht glücklich machen (FCC-Chairman Genachowski spricht das in seinem Statement auch an: "To some, unless their test is met, open Internet rules are 'fake net neutrality.' To others, unless their test is met, open internet rules are 'a government takeover of the Internet.' For myself, I reject both extremes ..."); die "Rules" selbst sind noch nicht online, die wichtigsten Passagen finden sich aber in der Presseaussendung (Word Dokument):
    • Rule 1: Transparency: A person engaged in the provision of broadband Internet access service shall publicly disclose accurate information regarding the network management practices, performance, and commercial terms of its broadband Internet access services sufficient for consumers to make informed choices regarding use of such services and for content, application, service, and device providers to develop, market, and maintain Internet offerings
    • Rule 2: No Blocking: A person engaged in the provision of fixed broadband Internet access service, insofar as such person is so engaged, shall not block lawful content, applications, services, or non-harmful devices, subject to reasonable network management. A person engaged in the provision of mobile broadband Internet access service, insofar as such person is so engaged, shall not block consumers from accessing lawful websites, subject to reasonable network management; nor shall such person block applications that compete with the provider’s voice or video telephony services, subject to reasonable network
    • Rule 3: No Unreasonable Discrimination: A person engaged in the provision of fixed broadband Internet access service, insofar as such person is so engaged, shall not unreasonably discriminate in transmitting lawful network traffic over a consumer’s broadband Internet access service. Reasonable network management shall not constitute unreasonable discrimination.
  • Beiträge zur Netzneutralität finden sich auf der neuen Online-Ergänzung zur Yale Law and Policy Review, Inter Alia: von Dawn C. Nunziato (The First Amendment Issue of Our Time), Jonathan Zittrain (Net Neutrality as Diplomacy), Frank Pasquale (Search, Speech, and Secrecy: Corporate Strategies for Inverting Net Neutrality Debates) und Susan Crawford (The Looming Cable Monopoly)
  • E. Donald Elliott, Chevron Matters: How the Chevron Doctrine Re-Defined the Roles of Congress, Courts and Agencies in Environmental Law (schon aus 2005, aber erst seit kurzem auf SSRN); ein interessanter Beitrag vor allem zum Verhältnis zwischen Experten/Sachverständigen einerseits und Juristen andererseits in Regulierungsbehörden (vor dem Hintergrund der Chevron-Entscheidung des US Supreme Court)
  • Rachel E. Barkow, Insulating Agencies: Avoiding Capture Through Institutional Design
  • Rebecca Tushnet, Attention Must Be Paid: Commercial Speech, User-Generated Ads, and the Challenge of Regulation 
  • Der US Supreme Court hat zwei neue Telekom-Fälle zur Entscheidung angenommen; mehr dazu auf SCOTUSblog hier und hier;
  • Rede von FCC-Commissioner Copps, "Getting Media Right: A Call To Action", mit dem Vorschlag, einen Public Value Test für terrestrische (kommerzielle!) Fernsehsender zu machen, gewissermaßen im Gegenzug gegen "free use of the airwaves": Copps will einen Public Value Test bei Verlängerung der Lizenz, und dabei sollen Dinge geprüft werden wie commitments to news and public affairs programming, enhanced disclosure, political advertising disclosure, reflecting diversity, community discovery local and independent programming, public safety. Zitat aus der Rede: "Some will say that attempting to repair commercial broadcasting is a fool’s errand. 'Licensees will never agree,' I am told, 'so why not just hit them with a spectrum fee and put that money toward public news and media?' That has its temptations, I admit, ..."
Abseits vom USA-Schwerpunkt noch ein Hinweis auf zwei interessante Sachen zu Selbst- und Ko-Regulierung:
Schließlich verweise ich noch auf relativ neue BEREC*-Dokumente:
*Anders Comstedt hat BEREC in einem Kommentar auf Susan Crawfords Blog so beschrieben: "one more illustrous congregation of yet another group of frequent fliers where there is always room for a next meeting and for the slowest, most incumbent friendly regulator to water out anything spicy."

Tuesday, November 30, 2010

Der neue Trend: Selbstregulierung ohne Selbst (am Beispiel PR-Ethik-Rat)

"Selbstregulierung" ist kein klar definierter Begriff, und so kann man wunderbare Studien darüber verfassen  (zB diese). Ein Aspekt aber schien mir bisher stets unstrittig: Selbstregulierung setzt ein "Selbst" voraus, das sich regulieren möchte, zum Beispiel einen Berufsverband, der für die ihm angehörenden Unternehmen Regeln aufstellt, deren Einhaltung kontrolliert und erforderlichenfalls sanktionierend eingreift. Diese Besorgung der eigenen Aufgaben einer Branche durch die Branche selbst ("das eigene Haus in Ordnung bringen", damit staatliche Regulierung vermieden werden kann) ist ja gerade eines der Hauptargumente, das für Selbstregulierung vorgebracht wird.

In der österreichischen Medien-, Presse- und PR-Ethik-Räterepublik ist nun aber ein neuer Trend zu beobachten: "Verurteilungen", Beschwerden oder Rügen betreffen zunehmend (oder gar ausschließlich) nicht etwa die Mitglieder der Trägervereine, sondern richten sich gegen Außenstehende. Drei Beispiele:
  1. Der sogenannte "Medienrat" verurteilte vor kurzem (in seiner bislang einzigen Entscheidung) die Berichterstattung von "Österreich", ohne dass erkennbar geworden wäre, dass diese Zeitung sich am Verfahren beteiligt oder sonst irgendwie die Autorität oder Legitimität des "Medienrats" anerkannt hätte.
  2. Zumindest eine der immer noch bloß drei Beschwerden an den Presserat richtet sich gegen "Österreich", obgleich dessen Medieninhaberin weder Mitglied eines Trägerverbandes ist noch (jedenfalls nicht bis vor ca. zwei Wochen) einer Schiedsvereinbarung zugestimmt hat (mehr zum Presserat hier).
    Besonders bemerkenswert finde ich in diesem Zusammenhang, dass noch nicht einmal alle Medienunternehmen, die Mitglied eines Trägerverbands sind, den Presserat anerkennen ("Auch wenn viele Medienunternehmen im Vorfeld ihren Willen bekundet haben, sich dem Presserat zu unterwerfen, ist Warzilek [Geschäftsführer des Presserats] derzeit noch dabei, die Unterschriften bei den Medienunternehmen einzuholen", heißt es in einem Artikel in der Presse).
  3. Und am vergangenen Freitag hat nun der PR-Ethik-Rat - zweieinhalb Jahre und sechs Presseaussendungen nach seiner Gründung (mehr dazu hier) - seine allererste konkrete Rüge veröffentlicht; gerügt wurde kein PR-Unternehmen, sondern eine Zeitung und deren Chefredakteur, die sich dieser "Selbst"-Regulierung jedenfalls nicht unterworfen haben. 
Der PR-Ethik-Rat bietet dabei ein besonderes Schauspiel: dieses "Organ der freiwilligen Selbstkontrolle der in Österreich tätigen PR-Fachleute" (Eigendefinition!) war noch vor etwa eineinhalb Jahren der Auffassung, bei der mangelnden Kennzeichnung entgeltlicher Veröffentlichungen nach § 26 Mediengesetz handle es sich um ein branchenweites Problem, sodass es "nicht sinnvoll wäre, Einzelfälle herauszugreifen" (mehr dazu hier). Nunmehr hat dieser Rat - aus eigener Initiative! - gerade einen solchen Einzelfall herausgegriffen, und zwar eine "ungekennzeichnete 32-Seiten-Beilage vor der Wien-Wahl" in der "Krone bunt". Dabei handelte es sich nach der Beurteilung dieses Rats um eine bezahlte Kooperation; beteiligt waren - so die Pressemitteilung - "Erste Bank Group, Austrian Airlines, A1 Telekom, Siemens,Vienna Insurance Group, PORR, Flughafen Wien, Signa Holding, REWE Österreich, Austria Trend Hotels (Ruefa, Verkehrsbüro), Wiener Städtische und Donau Versicherung. Für die Umsetzung/Koordination des Projekts zeichnet Chefredakteur Dr. Christoph Dichand, unterstützt von Wolfgang Rosam Change Communications, verantwortlich."

Nun könnte man meinen, dass sich eine Selbstkontrolleinrichtung wie der PR-Ethik-Rat auf das einzige PR-Unternehmen in dieser Aufzählung stürzen würde; immerhin ist Wolfgang Rosam von der Wolfgang Rosam Change Communications prominentes Mitglied des PRVA, eines Gründerverbands des PR-Ethik-Rats.

Was aber macht der PR-Ethik-Rat? Er erklärt zunächst einmal, dass sich "seine Ratssprüche nicht nur auf Mitglieder der drei Berufsverbände der PR-Branche beschränken, sondern das gesamte Feld der Kommunikation von Unternehmen, Institutionen oder anderen Organisationen wie z. B. Medien einbeziehen", und kommt dann zu folgendem Ergebnis:
"Der Österreichische Ethik-Rat für Public Relations stellt fest, dass die Medieninhaberin der 'Krone bunt' und Dr. Christoph Dichand als für die Umsetzung Verantwortlicher die Bestimmungen des Mediengesetzes über die Kennzeichnungspflicht entgeltlicher Veröffentlichungen missachtet haben. Der Österreichische Ethik-Rat für Public Relations spricht deshalb gegen die Medieninhaberin der 'Krone bunt' und Dr. Christoph Dichand eine öffentliche Rüge aus."
Festgestellt wird also keine Verletzung von irgendwelchen Berufsstandards ("Ethikkodizes") der PR-Branche durch "PR-Fachleute", sondern die Verletzung des Mediengesetzes durch eine Zeitung.

Das PR-Unternehmen wird in der Rüge kein weiteres Mal genannt und es gibt auch keine näheren Feststellungen zu seiner konkreten Rolle; insbesondere erfährt man weder, ob es von der mangelnden Kennzeichnung im Vorhinein gewusst hat (immerhin geht der PR-Ethik-Rat davon aus, "dass bezahlte Produkte wie die gegenständliche Beilage allen Beteiligten vor Drucklegung zur Freigabe vorgelegt werden"), oder ob es gegenüber dem PR-Ethik-Rat Stellung genommen hat. Allzu ehrfürchtig gegenüber diesem Rat dürften die betroffenen Unternehmen jedenfalls nicht gewesen sein: von den zwölf genannten weiteren Unternehmen haben sich gleich acht nicht einmal geäußert, auch Dr. Christof Dichand hat - "trotz wiederholten Ersuchens" - keine Stellungnahme abgegeben (ob die Medieninhaberin von "Krone bunt" sich geäußert hat, wird nicht erwähnt).

Den "beteiligten Unternehmen und PR-Verantwortlichen" gegenüber erfolgte keine Rüge (auch wenn  manche von ihnen Mitglieder eines weiteren Gründungsverbands des PR-Ethik-Rats sind; zumindest scheinen Erste Bank, "Telekom Austria AG", Wiener Städtische Allgemeine Versicherung AG und Österreichische Verkehrsbüro AG als Mitglieder auf der Website des VIKOM auf). Stattdessen werden diese Unternehmen allgemein ermahnt, "ihre Verantwortung wahrzunehmen", was auch immer damit gemeint sein soll (für die Kennzeichnung entgeltlicher Kooperationen zu sorgen? Aber wenn das eine Berufspflicht sein sollte, warum gab es dann keine Rüge, wo doch das Druckwerk laut PR-Ethik-Rat zur Freigabe vorgelegt worden war?).

Was ergibt sich nun aus der "Rüge" des PR-Ethik-Rats? Erstens keine Information darüber, ob das einzig beteiligte PR-Unternehmen nach Auffassung des PR-Ethik-Rats gegen seine Berufspflichten verstoßen hat oder nicht. Zweitens, dass der PR-Ethik-Rat nicht einmal so viel Respekt gebieten kann, dass ihm von einer Mehrheit der beteiligten Unternehmen geantwortet würde. Und drittens schließlich, dass es allemal leichter ist, außenstehende Dritte zu rügen als wesentliche Mitglieder eines Trägerverbands.

Mit funktionierender Selbstregulierung oder Selbstkontrolle hat das allerdings nichts mehr zu tun.

Thursday, June 10, 2010

Staatliche Förderung, um staatlicher Kontrolle zu entgehen: das Modell Presserat (neu: mit Förderung im Voraus)

"Selbstkontrolle: Neuer Presserat ab Herbst?" titelte die Presse - vor etwa zwei Jahren. Aber Überschriften sind wiederverwertbar, und diese Headline passt jetzt noch (oder wieder), genauso übrigens wie mein vorjähriges "Und jährlich grüßt der Presserat". Angesichts der heutigen Beschlüsse im Verfassungsausschuss (Text noch nicht auf der Parlamentswebsite, aber auf derstandard.at) ist nämlich die Einrichtung eines österreichischen Presserats im Herbst (und zwar: dieses Jahres) wieder etwas wahrscheinlicher geworden. Der Ausschuss beschloss zusätzlich zu Änderungen an den Rundfunkgesetzen auch eine Novelle zum Presseförderungsgesetz, durch die eine Förderung des Presserats schon im Vorhinein möglich ist.

Seit 1.1.2009 galt, dass "einer repräsentativen Einrichtung der Selbstkontrolle im Bereich der österreichischen Presse" jährlich ein Zuschuss "zur Deckung der angefallenen Kosten" (bis max. € 150.000) ausbezahlt werden konnte, nun soll - wenn wie anzunehmen der Ausschussantrag Gesetz wird - die Förderung schon für die "anfallenden" Kosten gewährt werden können. Eine scheinbar kleine Änderung, aber damit kann sich der Presserat seine Tätigkeit schon fördern lassen, bevor überhaupt Kosten entstanden sind.

Die Begründung des Antrags spricht das auch deutlich aus: "Der Österreichische Presserat befindet sich derzeit in der Gründungsphase. [...] Auf Grund der länger dauernden Gründungsphase könnte bzw. kann der Presserat für das Jahr 2010 keine angefallenen Kosten geltend machen." Für den Presserat ist das praktisch, da er sich dadurch die Vorfinanzierung erspart (und irgendwie wäre es ja fast peinlich, wenn schon ein zweites Jahr hindurch das bereitliegende Geld nicht abgeholt würde).

Immerhin: auch wenn der Presserat seine inhaltliche Tätigkeit noch immer nicht aufgenommen hat, gibt es mittlerweile zumindest einen Präsidenten, der jüngst in einem Interview auch erklärte, wozu der Presserat dient: letztlich "auch dazu, einer staatlichen Kontrolle zu entgehen." Der staatlichen Kontrolle über die Verwnedung der Fördermittel wird der Presserat allerdings nicht entgehen, denn auch bei der nun vorgesehenen Förderung im Vorhinein muss natürlich die widmungsgemäße Verwendung nachgewiesen werden.

PS: ich weiß, das ist weder der spannendste noch der wichtigste Aspekt der heutigen Ausschussbeschlüsse - aber das ist eben das Privileg dieses kleinen Nischenblogs, dass ich mich auch mal auf das evident Unwesentliche beschränken kann.

Sunday, March 07, 2010

PR-Ethikrat: 2 Jahre, 5 Presseaussendungen, 8 Beschwerden, 11 Mitglieder

Am 6. März 2008 wurde die Einrichtung des PR-Ethikrates beschlossen (Presseaussendung), im Dezember 2008 hat er die Arbeit aufgenommen (Presseaussendung), im Juni 2009 gab es eine weitere Presseaussendung (plus ein sogenanntes Positionspapier; siehe dazu hier), die vierte Pressaussendung folgte im September 2009, und nun - zwei Jahre nach dem Startschuss - ist man bei der Presseaussendung Nummer 5 angelangt. Mutig wie immer kämpft der PR-Ethikrat "für Transparenz bei bezahlten Berichten"; der Mut reicht aber offenbar nicht, die betroffenen Medien oder PR-Unternehmen, auf die sich die (wenigen) Beschwerden beziehen, auch zu nennen (siehe die eher bescheidene Darstellung der Beschwerdefälle hier).

Aber schon im vergangenen Juni war der PR-Ethikrat ja der Auffassung, dass es sich bei der Verletzung der medienrechtlichen Kennzeichnungspflicht um ein branchenweites Problem handle, sodass es "nicht sinnvoll wäre, Einzelfälle herauszugreifen". Dafür wollte man bei einem anderen Problemfall hart durchgreifen "aktiv beobachten" und "recherchieren": nämlich im "Fall BUWOG/Hochegger". Wer sich aber erwartet hätte, dass der PR-Ethikrat nach einem dreiviertel Jahr aktiver Beobachtung und Recherchen nun zu diesem Fall eine Aussage treffen könnte, wird auch in der neuen Presseaussendung enttäuscht:
"Entschlossen zeigt sich der Rat, wenn es um die Reputation der Branche geht. Im Vorjahr hat das Thema BUWOG/Peter Hochegger monatelang die Medien gefüllt. 'Wenngleich es sich um einen klaren Fall für die Gerichte und damit nicht für eine Institution der freiwilligen Selbstkontrolle wie den Ethik-Rat handelt, hat die Causa zwangsläufig nachteilige Effekte für die Branche gebracht', sagt Renate Skoff, stellvertretende Vorsitzende des Rats. 'Man muss hier eine klare Grenze ziehen und festhalten, dass die überwiegende Mehrheit der österreichischen PR-Berater professionell und verantwortlich handelt und nicht mit einem Kriminalfall in den gleichen Topf geworfen werden darf,' bricht Skoff eine Lanze für die Branche."

Das ist wahre Entschlossenheit: stets bereit, "aktiv zu beobachten" - und im Übrigen haben sich die elf Mitglieder des PR-Ethikrates seit dessen Einrichtung mit ganzen acht Beschwerden befasst (mit fünf davon in der Sache - das Verhältnis Presseaussendungen zu [zulässigen] Beschwerden - letzten Juni 3:3 - bleibt daher mit 5:5 weiterhin recht ausgewogen).

Wednesday, February 24, 2010

Vermischte Lesehinweise (5): von der ORF-G-Novelle bis zu Obama über "Sex on TV"

  • Wichtiger, wenngleich etwas anspruchsvoller Lesestoff ist aktuell natürlich die gestern beschlossene Regierungsvorlage zur Änderung unter anderem des KommAustria-Gesetzes und des ORF-Gesetzes (Text, Erläuterungen, Textgegenüberstellung - übrigens ein kleiner erster Kritikpunkt: es fehlt eine Kurzbezeichnung und offizielle Abkürzung, ich werde das daher jetzt einfach mal "Rundfunkrechtsänderungsgesetz" - RufRÄG - nennen). Da für die Gesetzwerdung dieser Regierungsvorlage im Nationalrat eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, wird auch der nun vorliegende Text noch nicht die Endfassung sein, sodass ich zumindest vorerst noch keine weiteren Anmerkungen dazu machen möchte - mit nur einer kleinen, unwesentlichen Ausnahme: ich möchte auf das in Österreich neue Konzept hinweisen, wonach eine Behörde in ihrer Entscheidungspraxis auf die Spruchpraxis einer Selbstregulierungseinrichtung Bedacht zu nehmen hat. In  § 39 Abs 4 KOG in der Fassung der Regierungsvorlage heißt es:
    "Bei der Beurteilung von behaupteten Verletzungen der werberechtlichen Bestimmungen ... ist auf die Spruchpraxis allgemein anerkannter unabhängiger Selbstregulierungseinrichtungen Bedacht zu nehmen."
    Damit kann auch Österreich in eine ähnliche Situation wie Deutschland kommen, wo Entscheidungen von Selbstregulierungseinrichtungen behördliche Aufsichtsmaßnahmen präjudizieren können. So ist vor etwa einem Monat die zuständige Behörde zum Ergebnis gekommen, dass eine Sendung gegen Rechtsvorschriften (Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags) verstoßen hat, konnte diesen Verstoß aber nicht entsprechend sanktionieren, weil die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) "die Sendung vor der Ausstrahlung für das Nachmittagsprogramm freigegeben" hat.
  • Amerikanische Kinder bzw Jugendliche im Alter von 8 bis 18 Jahren verbringen im Schnitt siebeneinhalb Stunden pro Tag mit Unterhaltungsmedien. "And because they spend so much of that time 'media multitasking' (using more than one medium at a time), they actually manage to pack a total of 10 hours and 45 minutes (10:45) worth of media content into those 7½ hours." Das und mehr zum Medienkonsum von Jugendlichen in den USA erfährt man im Bericht GENERATION M2 - Media in the Lives of 8- to 18-Year-Olds der Kaiser Family Foundation (hier weitere Informationen zu dieser Studie). 
  • US-Präsident Obama, damals noch Senator, war im Jahr 2005 Gast eben dieser Foundation, und sprach zum Thema "Sex on TV". Aus dem Transkript seiner Ausführungen erfährt man nicht nur, dass er gerne Sopranos schaute, sondern auch, dass sein Zugang zur Inhaltsregulierung ganz im Zeichen von Newton Minow steht, den er sowohl der Sache nach (broadcasters as trustees of the public airwaves) als auch wörtlich zitiert (mit meinen Minow-Zitaten - zB hier oder hier, bzw im Blog hier - befinde ich mich also nicht in schlechter Gesellschaft). Gesetzgeberischen Lösungen zur Inhaltskontrolle steht Obama skeptisch gegenüber: "it’s very difficult to regulate our way out of this problem. And for those of us who value our First Amendment freedoms – and our freedoms of artistic expression – we wouldn’t want to", sagte er ebenso wie: "Not everything that is important lends itself to legislative solutions." 
  • Heribert Prantl, Leiter der innenpolitischen Redaktion der Süddeutschen Zeitung, wurde am 20.1.2010 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bielefeld die Honorarprofessur verliehen (Presseaussendung, Bericht). In seiner Antrittsvorlesung zur Bedeutung der Pressefreiheit (hier auszugsweise veröffentlicht) heißt es - unter der Zwischenüberschrift "Wenn der Staat mit Blaulicht kommt" - zB: "Der Gesetzgeber hat sich angewöhnt, Pressefreiheit gering zu schätzen. Ich frage mich freilich, ob es sich nicht auch der Journalismus angewöhnt hat, sich selber gering zu schätzen. Geht nicht womöglich von der Presse selbst mehr Gefahr für die Pressefreiheit aus als vom Gesetzgeber? Ich glaube: Ja!"
  • Wenn ich schon bei den Vorlesungen bin: auch Alan Rusbridger vom Guardian hat Ende Jänner einen nachlesenswerten Vortrag gehalten: in "Does journalism exist?" schildert Rusbridger, wie die Guardian-Gruppe mit den aktuellen Herausforderungen umgeht. Nach dem Grundatz "be of the web, not simply on the web" lehnt Rusbridger paywalls ab und zeigt, wie der Guardian Enthusiasmus, Fähigkeiten und Kenntnisse seiner Leser nützt, "how - so long as it is open to the rest of the web – a mainstream news organisation can harness something of the web's power. It is not about replacing the skills and knowledge of journalists with (that ugly phrase) user generated content. It is about experimenting with the balance of what we know, what we can do, with what they know, what they can do. ... There is a mutualised interest here. We are reaching towards the idea of a mutualised news organisation." Ein Nachrichtenverein auf Gegenseitigkeit, sozusagen.
    Ein von Rusbridger nochmals erzähltes und für Medienrechtler und PR-Leute besonders lehrreiches Beispiel ist natürlich der Fall Trafigura, der die Möglichkeiten des Zusammenwirkens von klassischem Journalismus und social media zeigt.
    "Again, this started as a piece of conventional reporting ... They uncovered a truly shocking story about a company which had hitherto been comfortably anonymous and which wanted to keep it that way.
    After dumping toxic waste in the Ivory Coast Trafigura was hit with a class action by 30,000 Africans who claimed to have been injured as a result. The company employed Carter-Ruck to chivvy journalists into obedient silence and then, having secured the mother of all super-injunctions, made the mistake of warning journalists that they could not even report mentions of Trafigura in parliament.One tweet and that legal edifice crumbled."

Wednesday, August 26, 2009

Jährlich grüßt der Presserat

A) "Sozialpartner wollen gemeinsam einen neuen Presserat"

B) "VÖZ für Stärkung der freiwilligen Selbstkontrolle: Bessere Effizienz, Rechtsverbindlichkeit und mehr Biss",

C) Der Journalistengewerkschafts-Chef ist optimistisch, dass es bald eine funktionierende Selbstkontrolle geben wird. In den Verhandlungen über die Wiederbelebung des Presserates stehe man relativ knapp vor einer Einigung.

D) Der Presserat kehrt zurück - Verleger und Journalisten einigen sich

E) "Neuer Presserat ist Chance für echte Selbstkontrolle statt Zahnlosigkeit"

Meinen Sie nicht auch, dass die oben zitierten Pressemeldungen eine schöne chronologische Abfolge ergeben? Sozusagen vom Wunsch über die unsicheren Verhandlungen bis hin zur Wirklichkeit. Das einzige Problem: die Abfolge stimmt nicht. Die chronologisch richtige Reihenfolge wäre nämlich B (28.12.2001), E (29.12.2001), A (29.10.2002), D (3.7.2008) und schließlich C (26.8.2009). Immerhin wurde heute also bestätigt, dass Verleger und Journalistengewerkschaft knapp vor einer Einigung stehen, die sie im Vorjahr schon erreicht hatten.

Aber vielleicht hilft die gesetzlich gesicherte Förderung der Selbstkontrolle der Presse (§ 12a Presseförderungsgesetz) nun wirklich zu einer Einigung. In meinem Referat beim Österreichischen Juristentag im vergangenen Mai (die Druckfassung erscheint, gemeinsam mit den Referaten von Bernd Raschauer und Wolfgang Urbantschitsch, demnächst im Verlag Manz) habe ich zu dieser Finanzierungszusage Folgendes gesagt:
"ein interessantes Modell: der Staat bezahlt dafür, dass sich zwei Parteien (Verleger und Journalistengewerkschaft), die seit nunmehr sieben Jahren bewiesen haben, dass sie sich nicht auf ein funktionierendes Modell der Selbstregulierung einigen können, vielleicht doch noch irgendwie zusammenraufen und den Anschein einer Presseselbstkontrolle einrichten: eine gesicherte Fremdfinanzierung für eine noch unsichere Selbstregulierung."

Sunday, June 21, 2009

Allerlei zu lesen

Wieder einmal ein paar Lesetipps, ohne besondere Ordnung oder Kommentierung:

Räte-Republik-Rundreise (Teil 2): PR-Ethik-Rat oder Rat für Ethik-PR

Der österreichische "PR-Ethik-Rat" ist bisher mit drei Presseaussendungen in Erscheinung getreten: am 6. März 2008 ("PR-Branche beschließt Ehtik-Rat"), am 12. Dezember 2008 "Österreichischer Ethik-Rat für Public Relations nimmt Arbeit auf") und am 16. Juni 2009 ("PR-Ethik-Rat fordert klare Erkennbarkeit bezahlter Einschaltungen").

Der PR-Ethikrat "soll unredliche PR-Arbeit öffentlich rügen", hieß es noch in der ersten Presseaussendung; in der zweiten Presseaussendung rühmte die stellvertretende Vorsitzende die "Gründung des Ethik-Rats als einen großen und mutigen Schritt vorwärts." Und sie meinte auch, dass die PR-Branche damit "die strengen Verhaltensregeln, die wir in den letzten Jahren geschaffen und weiterentwickelt haben, mit einem wirksamen Sanktionsmechanismus versehen" habe.

Wie also sieht also nun die öffentliche Rüge, der mutige Schritt nach vorne, der wirksame Sanktionsmechanismus aus? Dazu nochmals ein Blick auf die Überschrift der aktuellen Presseaussendung:
"PR-Ethik-Rat fordert klare Kennzeichnung von Werbung"
Da gehört wirklich Mut dazu: etwas zu fordern, was seit Jahrzehnten gesetzlich verpflichtend vorgesehen ist. Aber das wirklich Faszinierende an der Presseaussendung ist, dass weder ein einziges Beispiel (von wegen "öffentliche Rüge"), noch auch nur die geringste Andeutung einer Sanktion - und sei es nur die Namensnennung - vorkommt. Der Grund dafür ist besonders nett: es gibt einfach zu viele schwarze Schafe. Aus der Presseaussendung:
"Die Beschwerden beziehen sich zwar auf konkrete Fälle, doch wissen die Mitglieder des PR-Ethik-Rats aus eigener Wahrnehmung, dass es sich um ein branchenweites Problem handelt – weshalb es nicht sinnvoll wäre, Einzelfälle herauszugreifen. Der Rat hat sich daher entschlossen, die Angelegenheit auf breiter Basis zu thematisieren, und ein Positionspapier zum Thema 'Klare Erkennbarkeit bezahlter Einschaltungen' veröffentlicht".
In diesem - laut Presseaussendung "umfassenden" - Positionspapier, das immerhin um ein gutes Drittel kürzer ist als die Presseaussendung*, werden Teile der Pressemitteilung mit anderen Worten wiederholt:
"Der PR-Ethik-Rat ist daher der Meinung, dass es weder sinnvoll noch gerechtfertigt wäre, einzelne Fälle herauszugreifen und dazu Sprüche zu fällen. Vielmehr scheint es angebracht, die Angelegenheit auf breiter Basis zu thematisieren und diskutieren."
Dafür braucht man also Selbstregulierung in der PR: nicht zur Förderung ethischer Standards, die über das gesetzliche Mindestmaß hinausgehen, sondern um über die massenhafte Verletzung der gesetzlichen Mindeststandards "auf breiter Basis" zu diskutieren (mit anderen Worten: nichts Konkretes zu unternehmen bis zur nächsten Presseaussendung, die in etwa einem halben Jahr zu erwarten ist).

Noch etwas zur Statistik: Nach den Angaben auf seiner Website gab es seit Einrichtung des PR-Ethik-Rats so viele Beschwerden wie Presseaussendungen: genau drei (in der Presseaussendung wird in PR-typischer Präzision auf "zahlreiche Beschwerden" hingewiesen). Zwei der Beschwerden betrafen mehrere Fälle, sodass rechnerisch immerhin auf jedes Ratsmitglied (es gibt deren elf!) ein Fall kommt.

Was den versprochenen "großen und mutigen Schritt vorwärts" betrifft, denke ich da eher an Billy Bragg: "You can be active with the activists / Or sleep in with the sleepers / While youre waiting for the great leap forward".

*) Dem Positionspapier angeschlossen sind auch "Erläuterungen", durch die das Gesamtdokument dann sogar etwas länger als die Presseaussendung wird. Warum aber dieser Text, der aus einer kursorischen - und teilweise falschen - Zusammenstellung der gesetzlichen Grundlagen und der Bestimmungen des PRVA-Ehrenkodizes sowie Auszügen aus einer Dissertation zur Schleichwerbung besteht, "Erläuterungen" genannt wird, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Der rechtliche Fehler betrifft § 1 UWG, der seit mehr als eineninhalb Jahren einen ganz anderen als im Positionspapier wiedergegebenen Wortlaut hat; ebenso lange gilt auch schon die nicht erwähnte, aber in diesem Zusammenhang einschlägige Z. 11 des Anhangs zum UWG.

PS: bisher in dieser Serie: "Alles kein fake" (zum Medienrat), coming up (bei Gelegenheit) - Werberat, Presserat, Internetrat

Wednesday, May 27, 2009

Mayer statt Metternich: Selbstkontrolle, Schiedsstelle, sonstwas?

Der Österreichische Journalisten Club (ÖJC) ist, laut Selbstdarstellung, ein "gemeinnütziger, parteiunabhängiger und bundesweiter Kommunikations- und Serviceclub für in- und ausländische Journalisten und andere Medienmitarbeiter", zu dessen satzungsgemäßen Tätigkeiten unter anderem der Handel mit Waren aller Art, der Betrieb von Radio- und Fernsehsendern und die Vermittlung von Geschäften aller Art zählen.

Seit heute betreibt der ÖJC auch einen "Medienrat" - eine Einrichtung, die in der ersten Presseaussendung als "unabhängiges Organ der nichtstaatlichen, freiwilligen Selbstkontrolle des österreichischen Journalismus" bezeichnet wurde, in der zweiten Presseaussendung als "zeitgemäße, moderne Schiedsstelle", und von der es in der heutigen Presseaussendung heißt, sie werde die Kontrahenten im jeweiligen Streitfall zu einer Verhandlung laden und im Anschluss daran werde "eine Meinung zum jeweiligen Fall publiziert, die Gesichtspunkte des Rechts, der Ethik und der praktischen Sachzwänge des jeweiligen Mediums berücksichtigt."

Viel mehr ist den bislang veröffentlichten Informationen nicht wirklich zu entnehmen. Von einer Schiedsstelle (also auf Grundlage einer Schiedsvereinbarung) ist wohl keine Rede mehr, zumal darauf hingewiesen wird, dass die publizierte "Rechtsmeinung" auch "als Anhaltspunkt in eventuellen Gerichtsverfahren dienen" könne. Ganz klar ist mir allerdings noch nicht, wie das Konzept einer "Rechtsmeinung" mit dem Anspruch zusammenpasst, auch "Ethik" und "praktische Sachzwänge" zu berücksichtigen, vor allem da der Vorsitzende des Medienrats laut Presseaussendung auch betonte, dass nicht alles, was Recht ist, ethisch in Ordnung ist.

Eine Website ist in Vorbereitung (derzeit kann man sich dort nur ein Bild der Mitglieder ansehen und deren Namen nachlesen), Verfahrensordnungen oder Entscheidungskriterien sind jedenfalls derzeit nicht zugänglich. Laut Presseberichten will sich der Medienrat "an den vorhandenen internationalen Pressekodizes sowie dem Ehrenkodex der österreichischen Presse" orientieren. Laut pressetext.austria muss, wer Beschwerde beim Medienrat einbringt, "eine Gebühr von 700 Euro bezahlen". Eine Garantie, dass sich die betroffenen Verleger und/oder Journalisten dann auch am Verfahren beteiligen oder sich irgendwie an den veröffentlichten Rechtsmeinungen orientieren, bekommt man dafür aber offenbar nicht.

Mitglieder des Medienrats sind DI Gerald Bäck, Geschäftsführer von public.webwatch [und Web 2.0 Evangelist - hoffentlich lässt man ihn an die Website des Medienrats!]; Mag. Dr. Silvia Ettl-Huber, Leiterin des Internationales Journalismus Zentrums an der Donau-Uni Krems; Rüdiger Landgraf, Chefredakteur KRONEHIT [und Privatradio-Pionier]; Albert Malli, stellvertretender Senderchef Ö 3; Marius Perger, Chefredakteur und Herausgeber Börsen-Kurier, sowie - als Vorsitzender - o.Univ.Prof. DDr. Heinz Mayer, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

Ob der Medienrat (anders als zB die Leseranwaltschaft, siehe dazu zB auch hier) funktionieren wird? Dazu ein Zitat aus der Presseaussendung des ÖJC:
ÖJC-Präsident Fred Turnheim: "Wenn es die Journalisten wollen, wird es funktionieren. Alternative wären 'metternichsche Artikel'." Das waren jene Bestimmungen zur Pressezensur, die letztlich zur Revolution von 1848 geführt haben.
Wenn ich das richtig verstanden habe, soll das heißen: wenn der "Medienrat" nicht funktioniert, kommt die Pressezensur (und ein paar Jahre später die Revolution?). Und so sehr ich die Mitglieder des Medienrats (soweit sie mir persönlich bekannt sind) auch schätze, so meine ich doch, dass zwischen der gegenwärtigen Situation in Österreich und der Pressezensur des Vormärz noch ein wenig mehr steht als der "Medienrat".