Seit 1. Jänner 2024 wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Österreich nicht mehr aus dem "Programmentgelt" finanziert, das an das Vorhandensein eines Radio- oder TV-Empfangsgerätes anknüpfte, sondern aus dem ORF-Beitrag, der von Privatpersonen pro Haushalt und von Unternehmen in einer bestimmten Staffelung in Anknüpfung an die Kommunalsteuerpflicht zu leisten ist (genauer gesagt: rund zwei Drittel der Finanzierung des ORF erfolgt durch den ORF-Beitrag, das letzte Drittel aus Werbung und sonstigen Einnahmen).
Diese Umstellung von einem gerätebezogenen Entgelt auf die sogenannte "Haushaltsabgabe" war die Reaktion des Gesetzgebers (BGBl. I Nr. 112/2023) auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, mit dem dieser im Jahr 2022 - mit Frist Ende 2023 - wesentliche Bestimmungen zum Programmentgelt aufgeboben hatte (VfSlg 20.553/2022).
Mit der Umstellung mussten ab 2024 jene, die bisher kein "klassisches" Radio- oder TV-Gerät hatten, nun ORF-Beitrag zahlen. Dafür wurde es für jene, die zuvor bereits Programmentgelt gezahlt hatten, billiger: Die monatliche Beitragshöhe wurde - in einem politisch gefundenen Kompromiss - im Gesetz mit 15,30 € festgelegt (mit im Detail komplizierten - auch beihilferechtlich notwendigen - Anpassungsmöglichkeiten). Im Wesentlichen hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung versucht, dem VfGH-Erkenntnis Rechnung zu tragen.
Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass der Verfassungsgerichtshof in einem heute veröffentlichten Erkenntnis (Pressemitteilung des VfGH) das System des ORF-Beitrags nicht als verfassungswidrig beurteilt hat. Zu betonen ist allerdings, dass damit nicht zwingend jedes Detail der Regelung zwingend verfassungskonform ist, denn formal hat der VfGH vorerst nur Rechtsfragen zur "Haushaltsabgabe" im engeren Sinn (nämlich jene für Privatpersonen nach § 3 ORF-Beitrags-Gesetz) beantwortet, nicht aber zB Fragen zur Beitragspflicht im betrieblichen Bereich nach § 4 ORF-Beitrags-Gesetz).
Die Regelung über "Massenverfahren" wurde angewendet, weil eine erhebliche Anzahl von Beschwerden mit gleichartigen Rechtsfragen anhängig war (im März 2025 waren es 18; zahlreiche weitere Beschwerden waren aufgrund der vielen beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Verfahren zu erwarten). In (in Spruchpunkt I. des Erkenntnisses beantwortet der VfGH nun die Rechtsfragen, die sich in den anhängigen Verfahren stellen. Dieser Spruch des Erkenntnisses ist vom Bundeskanzler im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen; ab der Veröffentlichung sind auch die inzwischen unterbrochenen Verfahren (auch am Bundesverwaltungsgericht) wieder - unter Berücksichtigung der nun vom VfGH gelösten Rechtsfragen - fortzusetzen.
Was steht nun im VfGH-Erkenntnis?
Um diese Frage zu beantworten, muss man trennen zwischen dem Spruch, der klar formulierte Antworten auf bestimmte Rechtsfragen enthält, und der Begründung, aus der man dann noch einiges mehr herauslesen kann (was aber nicht unmittelbar verbindlich wird). Zunächst also die Antworten auf die Rechtsfragen:
1. Die Beitragspflicht im privaten Bereich für jede im Inland gelegene Adresse, an der zumindest eine volljährige Person mit Hauptwohnsitz im Zentralen Melderegister eingetragen ist (§ 3 Abs. 1 ORF-Beitrags-Gesetz), verstößt weder gegen den Gleichheitsgrundsatz noch gegen das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums.
2. Dass die an einer Adresse mit Hauptwohnsitz im Zentralen Melderegister eingetragenen volljährigen Personen zu Gesamtschuldnern im Sinne des § 6 BAO bestimmt werden und von diesen der ORF-Beitrag nur einmal zu entrichten ist (§ 3 Abs. 2 ORF-Beitrags-Gesetz), verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz.
3. Die Festlegung des ORF-Beitrags in § 31 Abs. 19 bis 22 ORF-G entspricht den Anforderungen des Legalitätsprinzips (Art. 18 Abs. 1 B-VG).
4. Die Betrauung der ORF-Beitrags Service GmbH (OBS) mit der Erhebung des ORF-Beitrags und der Entscheidung über die Befreiung von der Beitragspflicht entspricht den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Ausgliederung und Beleihung nach Art. 20 Abs. 1 B-VG.
5. Die Neuregelung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bewirkt keinen unzulässigen Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 10 EMRK.
6. Die Bestimmungen über die Datenübermittlung (u.a.) vom BMI an die OBS in § 13 und von der OBS an einen für das Inkasso herangezogenen Dritten (Inkassobüro) in § 17 Abs. 7 und Abs. 8 ORF-Beitrags-Gesetz verstoßen nicht gegen das Grundrecht auf Datenschutz.
Und nun die Details:
Der ORF-Beitrag ist keine Abgabe (im finanzverfassungsrechtlichen Sinn)
Kompetenzrechtliche Grundlage für die Regelung des ORF-Beitrags ist Art. 10 Abs. 1 Z 9 B-VG (Post- und Fernmeldewesen). Da mit dem ORF-Beitrag "dem ORF als mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestatteter Stiftung öffentlichen Rechts die Finanzierung seines Aufwandes aus dem öffentlich-rechtlichen Auftrag eröffnet wird" und somit "die Ertragssphäre einer Gebietskörperschaft von vornherein nicht berührt wird", handelt es sich nicht um eine Abgabe im finanzverfassungsrechtlichen Sinn.
Sachlichkeitsanforderungen (die sich u.a. aus dem BVG Rundfunk ergeben) erfüllt
Aus diesem Grund sind auch nicht die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Abgaben (sowohl im Hinblick auf die Kompetenz als auch die konkrete Ausgestaltung) zu prüfen, sondern jene Sachlichkeitsanforderungen, die für die Materienregelung relevant sind. Dazu verweist der VfGH auf sein Erkenntnis zum Programmentgelt, wonach zum einen der Beitrag in seiner Ausgestaltung die Finanzierung des ORF in einer Weise gewährleisten muss, die die im BVG Rundfunk verankerte Unabhängigkeit des ORF und die Wahrnehmung jener besonderen demokratischen und kulturellen Aufgaben (in der Terminologie des ORF-G: seines öffentlich-rechtlichen Auftrags) sichert, und zum anderen die Lastenverteilung auf die Beitragspflichtigen in einer sachgerechten, die Interessen der Beitragspflichtigen berücksichtigenden Weise zu erfolgen hat.
Diese Anforderungen sieht der VfGH durch die Regeln zum ORF-Beitrag erfüllt, zumal der Beitrag einerseits so festzulegen ist, dass unter Zugrundelegung einer sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verwaltung der (gesetzlich festgelegte) öffentlich-rechtliche Auftrag erfüllt werden kann, und zum anderen mit jener Höhe begrenzt ist, der erforderlich ist, um die voraussichtlichen Nettokosten dieses öffentlich-rechtlichen Auftrags zu decken.
"Objektive Möglichkeit der Teilnahme" aufgrund einer inländischen Adresse - keine Gleichheitswidrigkeit
Die Wahrnehmung der besonderen demokratischen und kulturellen Aufgabe (des öffentlich-rechtlichen Rundfunks) liegt im gesamtgesellschaftlichen Interesse und verschafft potentiellen Nutzerinnen und Nutzern des Rundfunks die Möglichkeit, jederzeit und ortsunabhängig auf die öffentlich zugänglichen Quellen der Information, des Wissens, an Unterhaltung und kulturellem Angebot des ORF zurückzugreifen (Rn. 47). Der VfGH kommt daher zum Ergebnis, dass der Gesetzgeber den Gleichheitsgrundsatz nicht verletzt, "wenn er die objektive Möglichkeit der Teilnahme am Angebot des ORF mit einem Finanzierungsbeitrag belastet, indem er im privaten Bereich an das Vorliegen einer im Inland gelegenen Adresse anknüpft und (auch) für den betrieblichen Bereich eine Beitragspflicht vorsieht."
Beitragspflicht im betrieblichen Bereich dem Grunde nach verfassungskonform
Spannend ist der nachfolgende Satz (in Rn. 48): "Hiebei bestehen dem Grunde nach gegen die Sachlichkeit einer Beitragspflicht im betrieblichen Bereich keine Bedenken, zumal Unternehmer ein betriebsspezifisches Interesse an Information haben können." Mit anderen Worten: die Beitragspflicht auch für den betrieblichen Bereich ist verfassungskonform - was aber nicht notwendiger Weise auch für die konkrete Ausgestaltung gelten muss (sonst würde nicht stehen "dem Grunde nach"). Ob also die Anknüpfung an die Gemeinde, in der zumindest eine Betriebsstätte liegt, für die Kommunalsteuer zu entrichten ist, verfassungskonform ist oder die Staffelung der Beitragshöhe in Anknüpfung an die Summe der Arbeitslöhne - da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Kein Gebot, den Beitrag an die tatsächliche Inanspruchnahme oder an die Höhe des Einkommens zu knüpfen
Der Gleichheitsgrundsatz schließt auch eine Beitragspflicht für Personen nicht aus, die am Wohnsitz oder im Betrieb über keine Empfangseinrichtung verfügen, schon weil eine Nutzungsmöglichkeit "auf Grund der Verbreitung im gesamten Bundesgebiet und des Entwicklungsstandes der Kommunikationstechnologie durch einen geringen Aufwand seitens des Beitragspflichtigen technisch hergestellt werden kann" (Rn. 51).
Der Gesetzgeber kann auch typisieren und auf Aspekte der Verwaltungsökonomie Bedacht nehmen,. Dass der Beitrag je Adresse nur einmal zu entrichten ist, ist unbedenklich. Dass dabei "die Beitragslast je Person je nach Haushaltsgröße variiert, vermag die Sachlichkeit der Regelung schon in Anbetracht der Höhe des ORF-Beitrags nicht in Frage zu stellen." Mit anderen Worten: es geht ja nicht um Riesenbeträge, da wäre eine streng an der Anzahl der Personen in einem Haushalt orientierte Abrechnung wohl zu aufwendig in der Verwaltung.
Keine Bedenken hat der VfGH auch im Hinblick auf die Erklärung der an einer Adresse eingetragenen Personen zu Gesamtschuldnern: der Gesetzgeber kann davon ausgehen, dass zwischen diesen Personen ein wirtschaftliches und tatsächliches Band bestehen, zudem ist ein zivilrechtlicher Regress zwischen den Gesamtschuldnern möglich.
Beitragsfestlegung für den Übergangszeitraum entspricht dem Legalitätsprinzip
Etwas ausholen muss der VfGH zur Frage, ob die Beitragsfestlegung für den Übergangszeitraum 2024 bis 2026 dem Legalitätsprinzip entspricht. Dazu wurde ja in der Beschwerde die Auffassung vertreten, das Verfahren zur Festlegung der Höhe des ORF-Beitrags sei nicht durchgeführt und damit der ORF-Beitrag nicht rechtmäßig festgesetzt worden. Diese Auffassung wird vom VfGH nicht erteilt; im Detail führt er dazu unter Rückgriff auf systematische und teleologische Erwägungen sowie die Materialien näher aus, weshalb tatsächlich davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber (unmittelbar) für den Übergangszeitraum eine Festlegung zur Beitragshöhe getroffen hat und diese Festlegung auch den Anforderungen des Legalitätsprinzips genügt.
OBS-Ausgliederung und Beleihung entspricht den verfassungsrechtlichen Anforderungen
Für die Ausgliederung und Beleihung privater Rechtsträger mit hoheitlichen Aufgaben (hier: der Bescheiderlassung und der Eintreibung des ORF-Beitrags) hat der VfGH in seiner Rechtsprechung mehrere Kriterien aufgestellt, die bei der OBS erfüllt sind. Das war - außer in der polit-getriebenen Kampagne gegen den ORF-Beitrag - nicht strittig: die der OBS übertragenen hoheitlichen Aufgaben sind "nicht mehr als bloß vereinzelte Aufgaben", der Leitungs- und Verantwortungszusammenhang zu einem obersten Organ ist durch das Weisungsrecht des Bundesministers für Finanzen (und dessen weitere Eingriffsmöglichkeiten) gegeben. (wie zuvpr bei der GIS) Dass die OBS die Materialien
Keine Verletzung des Grundrechts auf Datenschutz
Die OBS kann vom BMI Meldedaten bekommen und sie kann auch in bestimmte Datenbanken (Firmenbuch, GISA, Vereinsregister etc.) automationsunterstützt Einsicht nehmen. Die Rechtsvorschriften dafür (§ 13 ORF-Beitrags-Gesetz) bietet dafür eine geeignete Rechtsgrundlage, und es ist nicht zu erkennen, dass die Datenübermittlungen über jenes Maß hinausgehen, die für die Zwecke der Erhebung des ORF-Beitrag erforderlich sind; die Ausgestaltung ist auch verhältnismäßig. Dasselbe gilt im Hinblick auf die Rechtsgrundlage (§ 17 Abs. 7 ORF-Beitrags-Gesetz), die es der OBS ermöglicht, bestimmte Daten an ein Inkassobüro weiterzugeben.
Keine Verletzung des Art. 10 EMRK
Wenn "die reale Möglichkeit zur Nutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einer Beitragsleistung der hier in Rede stehenden Höhe unterworfen wird", wird laut VfGH die durch Art. 10 Abs. 1 EMRK garantierte Freiheit zum Empfang von Informationen "nicht in einer grundrechtlich relevanten Art und Weise berührt" (Rn. 100). Auch wenn man den ORF-Beitrag zahlen muss, kann man schließlich ohne Zwang selbstbestimmt entscheiden, welche Medien man unterstüzt.
Kein offenkundiger Verstoß gegen Unionsrecht
Ein vom VfGH aufzugreifender offenkundiger Verstoß gegen Unionsrecht ist für de n VfGH schon im Hinblick auf das EuGH-Urteil zur deutschen Haushaltsabgabe (EuGH 13.12.2018, C-492/17, Rittinger u.a.) nicht vor.
Fazit
Wenig überraschend hat der VfGH das System der "Haushaltsabgabe" nicht als verfassungswidrig beurteilt. Die Beitragspflicht im privaten Bereich ist damit wohl endgültig verfassungsgerichtlich abgesegnet (was nicht ausschließt, dass einzelne Details noch releviert werden könnten, etwa im Hinblick auf die Befreiungsbestimmungen; und was natürlich ebenso nicht ausschließt, dass einzelne Bescheide der OBS aus unterschiedlichen Gründen rechtswidrig sein könnten).
Für den betrieblichen Bereich ist die Frage nach dem "ob" zwar auch beantwortet: die Beitragspflicht auch für den betrieblichen Bereich ist verfassungskonform. Die Frage, ob die konkrete Ausgestaltung der Beitragspflicht (Anknüpfung an bestimmte Betriebsstätten und Bemessungsgrundlagen) in jedem Aspekt gleichheitsrechtlich unbedenklich ist, ist damit aber noch nicht beantwortet.
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