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Thursday, September 15, 2016

EuGH: Abweichen von Terminierungsempfehlung zulässig, wenn es aufgrund der tatsächlichen Umstände des konkreten Falles geboten ist

Ein Dauerbrenner der Telekom-Regulierung ist der Streit um die Höhe der Mobilterminierungsentgelte. Besonders hartnäckig waren und sind die Auseinandersetzungen dazu in den Niederlanden: dort kam es zu einer Art "stand off" zwischen der Regulierungsbehörde (früher OPTA, nun ACM) - unterstützt durch die Europäische Kommission - einerseits und dem College van Beroep voor het bedrijfsleven (CBb, Erst- und zugleich Höchstgericht in den meisten Angelegenheiten der Telekomregulierung) andererseits. Das heutige Urteil des EuGH in der Rechtssache C-28/15, Koninklijke KPN ua, bringt aber leider nicht die erhoffte Auflösung, sondern bleibt in der Kernfrage doch recht vage (was freilich auch mit der Art der Fragestellung zusammenhängt).

Zum Ausgangsfall:
Der Ausgangsstreit geht gut sechs Jahre zurück. Die Regulierungsbehörde legte 2010 zunächst Mobilterminierungsentgelte nach dem Kostenrechnungsmodell "pure BU-LRIC" fest, wie dies von der Kommission in der Empfehlung über die Regulierung der Festnetz- und Mobilfunk-Zustellungsentgelte in der EU empfohlen wird. Das Gericht (CBb) vertrat dagegen die Auffassung, es wäre ein "BU-LRIC plus"-Modell zu verwenden gewesen (was vereinfacht gesagt zu höheren Mobilterminierungsentgelten führt), und hob die Entscheidung der Behörde auf (einer der Richter ist übrigens ein University of Chicago-geschulter "Law and Economics"-Professor, der sich in solchen Verfahren mit recht prononcierten Positionen einbringt, was aus der Regulierungsbehörde zur Kritik führte, das Gericht wolle hier über die Funktion der Rechtskontrolle hinaus selbst Regulator spielen).

In der Folge notifizierte die Regulierungsbehörde den zunächst im Sinne der CBb-Entscheidung geänderten Maßnahmenentwurf auf Basis "BU-LRIC plus" im Verfahren nach Art. 7a RahmenRL. Die Kommission sprach sich dagegen aus und empfahl, den Entwurf zurückzuziehen. Die Regulierungsbehörde erließ schließlich doch eine Entscheidung, in der sie sich, der Kommission folgend, am "pure BU-LRIC"-Modell orientierte. Im Rechtsmittelverfahren legte das CBb dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vor.

EuGH-Urteil

1. Eine Empfehlung ist eine Empfehlung
Die erste Frage richtete sich auf die Kompetenz des in einem Verfahren über die Entgeltregulierung angerufenen Gerichts, von dem in der Terminierungsentgelte-Empfehlung vorgesehenen Kostenrechnungsmodell abzuweichen. Die Antwort darauf ist nicht allzu vielsagend:

Empfehlungen sind nach Art. 288 AEUV grundsätzlich nicht verbindlich, außerdem gestatten Art. 19 Abs. 2 UAbs. 2 RahmenRL den Regulierungsbehörden ausdrücklich, von den nach Art. 19 Abs. 1 RahmenRL erlassenen Empfehlungen - wie der Terminierungsentgelte-Empfehlung - abzuweichen. Also ist die Regulierungsbehörde auch an diese Empfehlung nicht gebunden (Rn. 35). Die Regulierungsbehörde hat grundsätzlich den in der Empfehlung gegebenen Hinweisen zu folgen. "Nur wenn sie im Rahmen ihrer Beurteilung einer konkreten Situation den Eindruck hat, dass das in dieser Empfehlung empfohlene 'reine Bulric'-Modell den Umständen nicht angemessen ist, kann sie unter Angabe ihrer Gründe von ihr abweichen" (Rn. 38).

Dasselbe gilt auch für das mit einem Rechtsmittel nach Art. 4 RahmenRL angerufene Gericht: es kann von der Empfehlung abweichen (Rn. 40), muss sie aber berücksichtigten (Rn. 41) und kann dann (aber "nur dann") von ihr abweichen, "wenn es dies aufgrund der tatsächlichen Umstände des konkreten Falles, insbesondere der Besonderheiten des Marktes des betreffenden Mitgliedstaats, für geboten erachtet" (Rn. 42). Mit anderen Worten: Abweichen von der Empfehlung ist erlaubt, aber nur mit guter Begründung im konkreten Einzelfall - eine Antwort, für die es den EuGH nicht wirklich gebraucht hätte.

2. Regulierungsziele und Verhältnismäßigkeit: auch vom Gericht zu prüfen
Mit der zweiten Frage wollte das CBb wissen, inwiefern es ihm gestattet sei, bei der Überprüfung der Entgeltregulierungsmaßnahme deren Verhältnismäßigkeit, Eignung und Angemessenheit im Hinblick auf die Ziele und Regulierungsgrundsätze nach Art. 8 RahmenRL und Art. 13 ZugangsRL zu prüfen. Insbesondere stellte das CBb auch die Frage, inwiefern auch dem Umstand Rechnung getragen werden darf, dass die Maßnahme (hier: "pure BU-LRIC"-Modell für Festlegung der Terminierungsentgelte) zur Förderung der Interessen der Endnutzer auf einem anderen, nicht regulierten (Endkunden-)Markt dient.

Der EuGH verwies zunächst auf die mit den Regulierungsmaßnahmen zu verfolgenden Ziele nach Art. 8 RahmenRL (grob zusammengefasst: Förderung des Wettbewerbs, Beitrag zur Entwicklung des Binnenmarkts, Förderung der Interessen der Unionsbürger) sowie auf das Ziel der ZugangsRL (Gewährleistung von nachhaltigem Wettbewerb und Interoperabilität sowie Förderung der Verbraucherinteressen). Die Maßnahmen der Entgeltregulierung müssen der Art des aufgetretenen Problems entsprechen, im Hinblick auf die Ziele des Art. 8 RahmenRL angemessen und gerechtfertigt sein und dürfen nur nach der Anhörung gemäß den Art. 6 und 7 RahmenRL auferlegt werden. Bemerkenswert ist, dass der EuGH den nationalen Regulierungsbehörden (NRB) die (wohl gleichzeitige) Beachtung aller Regulierungsziele auferlegt, was vom Gericht zu prüfen ist. Rn. 50 des Urteils lautet:
Folglich muss sich die NRB beim Erlass einer Entscheidung, mit der sie den Betreibern aufgrund der Art. 8 und 13 der Zugangsrichtlinie Verpflichtungen auferlegt, dessen vergewissern, dass diese Verpflichtungen sämtlichen in Art. 8 der Rahmenrichtlinie und in Art. 13 der Zugangsrichtlinie genannten Zielen gerecht werden. Zudem muss ein nationales Gericht im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle dieser Entscheidung sicherstellen, dass die NRB allen sich aus diesen beiden Artikeln ergebenden Anforderungen genügen. [Hervorhebung hinzugefügt]
Dass die Regulierungsbehörde eine Maßnahme (Entgeltregulierung unter Verwendung des "pure BU-LRIC"-Modells) auf die Terminierungs-Empfehlung gestützt hat, entzieht dem Gericht nicht die Befugnis, die Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Das nationale Gericht kann daher "im Rahmen seiner Kontrolle unter Anwendung der nationalen Verfahrensvorschriften prüfen, ob die Kläger hinreichende Anhaltspunkte dargetan haben, um glaubhaft zu machen, dass die Anwendung dieses Modells gegebenenfalls angesichts der Besonderheiten des betreffenden Marktes im Hinblick auf die in Art. 8 der Rahmenrichtlinie und in Art. 13 der Zugangsrichtlinie genannten Ziele unverhältnismäßig ist."

3. Interessen der Verbraucher auf Endkundenmarkt sind zu berücksichtigen
Die Regulierungsbehörde muss, so der EuGH in Rn. 54 des Urteils, "die Interessen der Endnutzer und der Verbraucher unabhängig davon berücksichtigen, auf welchem Markt die Verpflichtungen auferlegt werden. Da die Endnutzer und die Verbraucher definitionsgemäß auf den Vorleistungsmärkten für die Festnetz- und Mobilfunkzustellung nicht präsent sind, ist es zudem äußerst wichtig, dass ihre Interessen bei der Prüfung der Wirkung, die eine von der NRB auf einem Vorleistungsmarkt auferlegte Preisverpflichtung auf einem Endkundenmarkt haben soll, berücksichtigt und bewertet werden können."

Damit ist auch der Rahmen für das über ein Rechtsmittel entscheidende Gericht festgelegt: es kann bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Entgeltregulierungsmaßnahme prüfen, ob die auf dem Vorleistungsmarkt (hier: Mobilterminierung) auferlegte Verpflichtung auch den Interessen der Endnutzer auf einem nicht regulierten Endkundenmarkt dient.

4. Keine Beweislast für die Verwirklichung der Regulierungsziele
Der EuGH hält fest, dass die Regulierungsmaßnahmen (hier: Entgeltregulierung für die Mobilterminierung) auf die Verwirklichung der Ziele des Art. 8 RahmenRL gerichtet sein müssen. Dagegen kann nicht verlangt werden, dass die Regulierungsbehörde glaubhaft macht, dass mit diesen Verpflichtungen diese Ziele tatsächlich verwirklicht werden (zumal dieser Nachweis bei zukunftsorientierten Maßnahmen "unmöglich oder übermäßig schwierig" sei).

Conclusio:
Der EuGH bestätigt, was man auch als "acte clair" hätte ansehen können: dass sowohl die Regulierungsbehörde wie auch das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Regulierungsbehörde entscheidet, von einer Kommissions-Empfehlung abweichen darf. Dass das Gericht nur dann abweichen darf, wenn es dies "als geboten erachtet", ist eine Leerformel - die entscheidende Frage wäre, unter welchen Umständen des konkreten Falles das Abweichen geboten ist, aber das lässt sich so abstrakt - und anhand des konkreten Vorabentscheidungsersuchens - wohl nicht festmachen.

Spannend wäre im vorliegenden Fall auch, ob das Gericht - wenn es in der Sache anders als die Regulierungsbehörde und damit abweichend von der Kommissions-Empfehlung entscheiden will - das Anhörungsverfahren nach Art. 6 und 7 RahmenRL neuerlich durchführen müsste. Der EuGH erwähnt dieses Verfahren in Rn. 48 im Zusammenhang mit den Verpflichtungen der Regulierungsbehörde, deren Einhaltung dann vom nationalen Gericht auch zu prüfen sind. Dass das Gericht neuerlich das Art. 7-Verfahren durchführen müsste, geht aus dem Urteil jedenfalls nicht hervor.

Und ob in den Niederlanden die Mobilterminierungsentgelte nun nach dem "pure BU-LRIC" oder dem "BU-LRIC plus"-Kostenrechnungsmodell festgelegt werden, kann man nach dem EuGH-Urteil auch noch nicht sagen. Die Betonung der Berücksichtigung der Endnutzer-Interessen würde eher auf "pure BU-LRIC" hinweisen, aber das CBb hat bisher eine so starke Präferenz für "BU-LRIC plus" erkennen lassen, dass ich es für eher unwahrscheinlich halte, dass es nun - wo ihm das Abweichen von der Empfehlung durch den EuGH so ausdrücklich gestattet wurde - anders festlegen wird.

Thursday, September 04, 2014

EuGH zu Parodie und Urheberrecht: freie Meinungsäußerung, aber mit Grenzen

Urheberrechte sind nicht absolut: insbesondere die Ausübung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung (Art 11 der Grundrechtecharta) kann zulässigerweise in Urheberrechte eingreifen. Dass dabei eine Abwägung der gegenläufigen Interessen bzw Rechtspositionen zu treffen ist, hat der EuGH zuletzt etwa im Fall UPC Telekabel Wien ausgesprochen (siehe im Blog dazu hier).

Insofern ist das gestern veröffentlichte Urteil des EuGH in der Rechtssache C‑201/13, Deckmyn und Vrijheidsfonds, keine große Überraschung: der EuGH sprach aus, dass in einem konkreten Fall ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen und Rechten der Rechteinhaber auf der einen Seite und der freien Meinungsäußerung desjenigen, der ein geschütztes Werk parodiert, auf der anderen Seite gewahrt werden muss.

Bemerkenswert ist aber, dass der EuGH - ausgehend von den konkreten Umständen des Ausgangsfalls - gewissermaßen eine Gegenausnahme konstatiert: wenn die Parodie nämlich eine (hier: rassisch und ethnisch) diskriminierende Aussage vermittle, können sich die Rechteinhaber dagegen verwehren (das heißt wohl: die Parodie, gestützt auf das Urheberrecht am parodierten Werk, untersagen). Der EuGH stützt dies "auf die Bedeutung des Verbots der Diskriminierung aufgrund der Rasse, der Hautfarbe oder der ethnischen Herkunft [...], wie es durch die Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (ABl. L 180, S. 22) konkretisiert und insbesondere in Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bestätigt worden ist." Der EuGH hält fest, dass die Rechtinhaber am parodierten Werk unter diesen Umständen (wenn die Parodie eine diskrminierende Aussage vermittle) "grundsätzlich ein berechtigtes Interesse daran [haben], dass das geschützte Werk nicht mit einer solchen Aussage in Verbindung gebracht wird."

Urheberrechtlich wie äußerungsrechtlich ist damit ein interessantes Feld eröffnet (siehe kritische Anmerkungen dazu bereits von IPKat, ebenfalls eher kritische Bemerkungen von Sabine Jacques auf EU LawAnalysis, [update 08.09.2014: nun auch ein kritischer Beitrag von Dirk Voorhoof and Inger Høedt-Rasmussen auf Inforrm's Blog], ein eher positiver Kommentar von Maximilian Steinbeis im Verfasungsblog): Denn der Sache nach wird hier die Meinungsäußerungsfreiheit des Parodierenden beschränkt durch die von ihm transportierten Inhalte. Dabei muss es sich natürlich um Inhalte handeln, die an sich - also losgelöst von der Parodie - von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt wären; verhetzende oder sonst (straf)gesetzwidrige Inhalte kämen ja von vornherein nicht in Betracht, sich gegenüber dem Urheberrecht durchzusetzen. Mit anderen Worten: es muss sich um Inhalte handeln, die zwar an sich zulässig wären, aber Werte transportieren, die von der Rechtsordnung missbilligt werden. Im Ausgangsfall kann man das gut argumentieren, da das Verbot der Diskriminierung nicht nur in der Gleichbehandlungsrichtlinie, sondern auch in Art 21 der Grundrechtecharta enthalten ist und damit Grundwertungen des Unionsrechts transportiert, während die Parodie an sich, auch wenn sie eine diskriminierende Einstellung des Parodierenden zeigt, allein deshalb noch nicht verboten wäre.

Was wäre aber zB, wenn eine Parodie gerade ein als diskriminierend empfundenes politisches Plakat durch - parodie-übliche - Zuspitzung thematisiert? Könnte sich die betroffene Partei dann auch darauf berufen, dass die Parodie diskriminierende Inhalte vermittelt? In einem solchen Fall würde es wohl am "berechtigten Interesse" mangeln - aber die Überlegung zeigt doch, dass das EuGH-Urteil sehr von den Umständen des Ausgangsfalls bestimmt ist und in der Praxis schwierige Abgrenzungsfragen aufwerden kann.

Parodien sind ihrem Wesen nach oft gerade gegen die vom parodierten Werk transportierten Inhalte gerichtet, man denke etwa an die zahllosen Parodien von FPÖ-Wahlplakaten (eine davon hat auch bereits den Obersten Gerichtshof beschäftigt: OGH 12.09.201, 4 Ob 194/01k) oder an die Parodie eines Salzburger SPÖ-Wahlplakats, die zur Leitentscheidung des OGH in Sachen urheberrechtliche Beurteilung von Parodien geführt hat (OGH 13.07.2010, 4 Ob 66/10z - "Lieblingshauptfrau"). Dass die Rechteinhaber des parodierten Werks die Wertungen der Parodie nicht teilen, liegt in diesen Fällen in der Natur der Sache. Hätte, wenn man die Überlegungen des EuGH aufgreift, die Salzburger SPÖ nicht auch ein berechtigtes Interesse daran, dass das Bild der damaligen SPÖ-Landeshauptfrau nicht mit Aussagen militanter Abtreibungsgegner in Verbindung gebracht wird?

Ist eine Parodie aber als solche klar erkennbar, dann geht ohnehin niemand davon aus, dass die damit transportierte Aussage vom Rechteinhaber des geschützten parodierten Werks stammt. Vielleicht liegt gerade darin die Problematik des vom EuGH entschiedenen Falls: es hätte dort wohl durchaus sein können, dass der Eindruck entsteht, die bekannte Comicfigur werde in Übereinstmmung mit den Rechteinhabern für die diskriminierende politische Kampagne verwendet (näheres zum Fall, insbesondere eine Abbildung der "Parodie" selbst, siehe in den Schlussanträgen des Generalanwalts).

Die Zielrichtung der Parodie kann aber - worauf auch Sabine Jacques auf EU LawAnalysis hinweist - höchst unterschiedlich sein: das parodierte Werk selbst, dessen Urheber, aber auch - wie im Ausgangsfall - Dritte, die mit dem parodierten Werk gar nichts zu tun haben. Meines Erachtens kommt der vom EuGH angenommene, die Meinungsäußerungsfreiheit begrenzende Faktor - dass die Rechteinhaber am parodierten Werk ein berechtigtes Interesse daran haben, nicht mit einer bestimmten Aussage in Verbindung gebracht zu werden - am ehesten dort in Betracht, wo sich die Parodie nicht gegen das parodierte Werk oder dessen Urheber selbst richtet.

Parodie und Urheberrecht in Österreich
Die vom EuGH entschiedene Rechtsfrage, was überhaupt unter einer Parodie im unionsrechtlichen Sinne zu verstehen ist, stellt sich in Österreich nicht direkt. Art 5 Abs 3 lit k der Richtlinie 2001/29 sieht nämlich vor, dass die Mitgliedstaaten "für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches" Ausnahmen oder Beschränkungen bestimmter Rechte (Vervielfältigungsrecht nach Art 2 und Recht der öffentlichen Wiedergabe bzw der öffentlichen Zugänglichmachung nach Art 3 der RL) vorsehen können. Österreich hat in der nationalen Gesetzgebung von dieser Ausnahmemöglichkeit keinen Gebrauch gemacht, allerdings ergibt sich eine derartige Ausnahme aus der Rechtsprechnug des Obersten Gerichtshofes (siehe den schon erwähnten "Lieblingshauptfrau"-Beschluss, in dem sich der OGH auch - deutlich umfassender als der EuGH - mit dem Begriff der Parodie auseinandersetzt).An die Zulässigkeit einer Parodie ist aber "grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen", sagt der OGH.

Allgemein zum Verhältnis von Urheberrecht und freier Meinungsäußerung judiziert der OGH in ständiger Rechtsprechung, dass dem urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch das durch Art 10 EMRK geschützte Recht der freien Meinungsäußerung entgegenstehen kann; ob dies der Fall ist, ist durch eine Abwägung der vom Urheber oder seinem Werknutzungsberechtigten verfolgten Interessen mit dem Recht der freien Meinungsäußerung zu beurteilen (RS0115377).

Meinugsäußerungsfreiheit und Urheberrecht vor dem EGMR
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass die Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK die Interessen des Urhebers im Einzelfall überwiegen kann (siehe insbesondere das Urteil im Fall Ashby [Beiträge dazu etwa auf Internet-Law, bei Telemedicus, oder im im Kluwer Copyright Blog]; siehe zudem auch die Entscheidung im Fall Neij und Sunde Kolmisoppi [im Blog dazu hier].

Sunday, June 29, 2014

EGMR zum Redaktionsgeheimnis: Bekennerbrief zu Bombenanschlag ist keine geschützte journalistische Quelle

Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) - seit dem Fall Goodwin - ist der Schutz journalistischer Quellen "eine der Grundvoraussetzungen der Pressefreiheit"; die Aufforderung zur Offenlegung einer Quelle ist daher "mit Artikel 10 [EMRK] unvereinbar, wenn sie nicht durch ein zwingendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist."

Was aber ist eine journalistische Quelle? Mit dieser Frage befasste sich der EGMR in seiner vor zehn Tagen bekannt gegebenen Entscheidung vom 27. Mai 2014, Stichting Ostade Blade gegen Niederlande (Appl. no. 8406/06; siehe auch die Pressemitteilung des EGMR sowie das "legal summary"). Das Ergebnis: Der Verfasser eines Bekennerbriefs zu einem Bombenanschlag ist keine journalistische Quelle. Die Durchsuchung von Redaktionsräumen, um den einer Zeitschrift zugegangenen Bekennerbrief zu finden, verletzte die beschwerdeführende Medieninhaberin daher nicht in ihrem Recht nach Art 10 EMRK.

Zum Ausgangsfall
Der Sachverhalt reicht zurück in eine Zeit, in der die Auswertung von Schreibmaschinen-Farbbändern noch kriminalistische Standardaufgabe war: Nach drei Bombenanschlägen auf eine chemische Fabrik in Arnhem im Jahr 1996 veröffentlichte eine "militante" Zeitschrift eine Pressemitteilung. Sie teilte darin mit, dass die Gruppe "Earth Liberation Front" in einem Schreiben an die Zeitschrift die Verantwortung für die Anschläge übernommen habe. Zugleich wurde der Text des Bekennerschreibens veröffentlicht.

Am folgenden Tag wurde auf Grund richterlicher Anordnung und unter Aufsicht eines Untersuchungsrichters eine Durchsuchung in den Räumen der Zeitschrift durchgeführt. Vor der Durchsuchung wurde der anwesende Redakteur informiert, dass der Bekennerbrief gesucht wird; er antwortete, dass dieser Brief nicht in den Räumen der Redaktion sei. Der Untersuchungsrichter ordnete darauf hin an, dass nach dem Brief, aber auch nach Verbindungen zwischen der "Earth Liberation Front" und dem Magazin gesucht werden solle; dazu wurden von der Polizei schließlich vier Computer (unter anderem mit der Abonnenten-Datenbank), sowie unter anderem Adressverzeichnisse, ein Kalender und eine Schreibmaschine sichergestellt und mitgenommen. Das war gar nicht so einfach, denn inzwischen waren die Redaktionsräume versperrt worden und die Polizei musst schließlich die Tür aufbrechen; beim Verlassen der Redaktion wurden sie von Gegnern der Durchsuchung bedrängt, die den Polizisten auch einige der sichergestellten Unterlagen entrissen.

Wenige Tage später wurden die Gegenstände wieder retourniert - mit Ausnahme eines Schreibmaschinen-Farbbands, das noch ausgewertet werden sollte (immerhin: der Untersuchungsrichter ordnete an, dass die Schreibmaschine mit einem neuen Farbband zurückgegeben wurde).

In der nächsten Ausgabe der Zeitschrift wurde ein Bericht über die Durchsuchung veröffentlicht. Darin stand auch, dass der Bekennerbrief von den Redakteuren noch am Tage des Einlangens vernichtet worden sei, wie es bei dieser Zeitschrift üblich sei. Die Redaktion weigere sich, einer gerichtlichen Untersuchung gegen "direkte Aktionen" zu helfen.

Die Medieninhaberin und ein verantwortlicher Redakteur verlangten den Ersatz materieller und immaterieller Schäden, blieben aber vor den nationalen Gerichten - die Angelegenheit ging zweimal bis zum obersten Gerichtshof - weitgehend erfolglos. Der verantwortliche Redakteur scheiterte schon daran, das er den Ausspruch des zweitinstanzlichen Gerichts, wonach er keinen Schaden erlitten habe, nicht bekämpft hatte (aus diesem Grund wurde die Beschwerde des Redakteurs vom EGMR auch schon - mit gesonderter Entscheidung vom 05.02.2013, Stichting Ostade Blade und F.J. Kallenberg gegen die Niederlande - zurückgewiesen).

Im Hinblick auf die Medieninhaberin kamen die nationalen Gerichte zum Ergebnis, dass es zwei Ziele der Durchsuchung gegeben habe: erstens, um den Bekennerbrief zu finden, und zweitens, um mögliche Verbindungen zwischen dem Magazin und der Organisation, die sich zu den Anschlägen bekannt hatte, zu finden. Zum ersten Ziel wurde festgehalten, dass es keinen anderen Weg als die Durchsuchung gegeben hätte, um den Brief zu finden, und dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt worden sei, weil es um schwere Straftaten ging und eine Fortsetzung solcher Taten zu erwarten gewesen sei.

Das zweite Ziel der Durchsuchung (Aufspüren möglicher Verbindungen zwischen dem Magazin und der kriminellen Organisation) habe hingegen die Rechte der Medieninhaberin nach Art 10 EMRK verletzt, weil auch nicht dargelegt worden sei, dass es gelindere Mittel gegeben hätte, um solche Verbindungen aufzuklären. Eine Entschädigung wurde jedoch nicht gewährt, auch musste die Medieninhaberin die Kosten des Verfahrens tragen, weil sie mit dem Großteil ihrer Forderungen unterlegen war.

Der tatsächliche Täter, der die Bombenanschläge verübt hatte, wurde übrigens 2007 festgenommen und wegen Mordes, mehrerer bewaffneter Banküberfälle und Brandstiftung (ua in den Fällen von Arnhem) zu lebenslanger Haft verurteilt. Er gestand auch, den Bekennerbrief (mit Fax) an das Magazin geschickt zu haben.

Entscheidung des EGMR

- Empfehlung Nr R(2000) 7
Bei der Darlegung der relevanten Rechtsquellen zitiert der EGMR - wie in solchen Fällen mittlerweile üblich - ausführlich auch die Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates Nr R(2000) 7 über das Recht der Journalisten, ihre Informationsquellen nicht offenzulegen. Darin heißt es unter den Definitionen:
the term "source" means any person who provides information to a journalist
In einem "Explanatory Memorandum" zu dieser Empfehlung wird der Begriff der Quelle so beschrieben:
Source
Any person who provides information to a journalist shall be considered as his or her "source". The protection of the relationship between a journalist and a source is the goal of this Recommendation, because of the "potentially chilling effect" an order of source disclosure has on the exercise of freedom of the media (see, Eu. Court H.R., Goodwin v. the United Kingdom, 27 March 1996, para. 39). Journalists may receive their information from all kinds of sources. Therefore, a wide interpretation of this term is necessary. The actual provision of information to journalists can constitute an action on the side of the source, for example when a source calls or writes to a journalist or sends to him or her recorded information or pictures. Information shall also be regarded as being "provided" when a source remains passive and consents to the journalist taking the information, such as the filming or recording of information with the consent of the source.
- Eingriff
Der EGMR hält fest, dass die Anordnung, den Bekennerbrief zu übergeben und die - nach der Verweigerung der Herausgabe des Briefes folgende - Durchsuchung einen Eingriff in das nach Art 10 EMRK geschützte Recht der Medieninhaberin, Informationen zu empfangen und mitzuteilen, darstellte.

- "Quelle"?
Noch vor der Prüfung, ob der Eingriff nach den Kriterien des Art 10 Abs 2 EMRK gerechtfertigt ist, befasst sich der EGMR mit der Art des Eingriffs, da sich die beschwerdeführende Medieninhaberin im Wesentlichen auf den Schutz journalistischer Quellen stützte. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist jedermann frei, der Presse Informationen offenzulegen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Öffentlichkeit zugänglich sein sollten. Daraus folgt aber nicht, so der EGMR (in Abs 62 des Urteils), dass jede Person, die von einem Journalisten für Informationen gebraucht werde, eine "Quelle" in diesem Sinne sei (der EGMR verweist dazu auf den Fall Nordisk Film & TV A/S [dazu im Blog hier], in dem undercover gefilmte Personen nicht als Quellen beurteilt wurden).

Auch wenn es hier nicht um den Schutz echter journalistischer Quellen gehe, könne die Anordnung an einen Journalisten, Material herauszugeben, "chilling effects" haben. Im Original heißt es in Abs 64 des Urteils:
64. It is undeniable that, even though the protection of a journalistic “source” properly so-called is not in issue, an order directed to a journalist to hand over original materials may have a chilling effect on the exercise of journalistic freedom of expression. That said, the degree of protection under Article 10 of the Convention to be applied in a situation like the present one does not necessarily reach the same level as that afforded to journalists when it comes to their right to keep their “sources” confidential. The distinction lies in that the latter protection is twofold, relating not only to the journalist, but also and in particular to the “source” who volunteers to assist the press in informing the public about matters of public interest (see Nordisk Film, cited above).
Im vorliegenden Fall sei der "Informant" des Magazins nicht vom Wunsch motiviert gewesen, Informationen zu liefern, auf die die Öffentlichkeit ein Anrecht hatte. Im Gegenteil: der Informant habe sich (im Namen einer fiktiven Organisation) zu Straftaten bekannt, die er selbst begangen habe. Sein Ziel sei es gewesen, sich hinter der Anonymität zu verstrecken und seiner eigenen strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen. Er (der Informant!) habe daher kein Anrecht auf den selben Schutz wie die Quellen in den Fällen Goodwin, Roemen und Schmit, Ernst ua, Voskuil, Tillack, Financial Times [im Blog dazu hier], Sanoma [im Blog dazu hier] und Telegraaf [im Blog dazu hier].

Der EGMR stellt hier also darauf ab, dass das Redaktionsgeheimnis bzw der sogenannte Quellenschutz tatsächlich auch dem Schutz der "Quelle" dienen soll (obwohl sich die "Quelle" nicht darauf berufen kann, sondern vertrauen muss, dass die Journalisten nicht leichtfertig die Quelle identifizieren). Die mangelnde Schutzwürdigkeit des anonymen Bekennerbrief-Schreibers schlägt dann gewissermaßen auf das Redaktionsgeheimnis durch: weil sich der Bekennerbrief-Schreiber nicht an den Journalisten gewandt hat, um eine Information mitzuteilen, auf die die Öffentlichkeit ein Anrecht hat, besteht demnach auch kein absolutes Recht des Journalisten, die Quelle geheim zu halten. (Die Prämisse, dass die Öffentlichkeit kein Recht an der Information hat, dass sich jemand zu Bombenanschlägen "bekennt", halte ich nicht - jedenfalls nicht in jedem Fall - für zwingend).

- Rechtfertigung des Eingriffs
Im Folgenden handelt der EGMR den Fall nach dem klassischen Prüfschema ab: der Eingriff war im niederländischen Recht gesetzlich vorgesehen und er diente dem legitimen Ziel der Verbrechensverhütung. Das Bekennerschreiben wurde gesucht, um eine mögliche Spur zur Identifikation der Person(en) zu finden, die mehrere Bombenanschläge durchgeführt hatten. Es sei jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass das Originaldokument nützliche Information hätte bieten können, sodass es auch nicht entscheidend sei, dass der Brief im Magazin ohnehin wörtlich zitiert worden war oder dass andere Spuren zu den Tätern verfügbar gewesen seien (wie die beschwerdeführende Medieninhaberin behauptete).

Alle sichergestellten Gegenstände - mit Ausnahme des Schreibmaschinen-Farbbandes - wurden zurückgegeben, alle nicht relevanten Informationen wurden vernichtet, und es gibt keine Anhaltspunkte, dass durch die Suche die Vertraulichkeit von Informationen, die dem Magazin anvertraut worden waren, verletzt worden wäre: aus all diesen Umständen, die noch weiter dadurch charakterisiert werden, dass die Suche durch die absichtliche Zerstörung des Bekennerbriefs ausgelöst wurde, sei der EGMR - so der etwas moralische Abschluss in Abs 72 des Urteils - nicht dazu bereit, die Schuld bei den Behörden zu finden:
In the circumstances, which are further characterised by the fact that the search was occasioned by the wilful destruction of the letter, the Court is not disposed to lay the blame on the authorities.
Die Beschwerde wurde daher als offensichtlich unbegründet und damit unzulässig zurückgewiesen. Die Entscheidung erfolgte allerdings nur mehrheitlich; wie groß die Mehrheit im Senat von sieben RichterInnen war, wird nicht offengelegt (das passiert nur bei Urteilen, nicht auch bei Unzulässigkeitsentscheidungen wie hier; anders als Kammerurteile sind solche Entscheidungen auch sofort endgültig).

PS: siehe zu dieser Entscheidung auch den Blogpost von Hugh Tomlinson auf Inforrm's Blog.

Friday, May 10, 2013

Verfahren nach Artikel 7a Rahmenrichtlinie: wie sich die Europäische Kommission bei den österreichischen Regulierungsbehörden verirrt

Die Europäische Kommission hat in der Telekom-Regulierung Einiges mitzureden: bei der Bestimmung der relevanten Märkte und der Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht hat die Kommission nach Artikel 7 RahmenRL ("Konsolidierung des Binnenmarkts für die elektronische Kommunikation") de facto ein Vetorecht gegen Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörden. Und auch wenn die Regulierungsbehörden den Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht spezifische Verpflichtungen ("remedies") nach der ZugangsRL oder der UniversaldienstRL auferlegen, kann die Kommission nach dem "Verfahren zur einheitlichen Anwendung von Abhilfemaßnahmen" (Artikel 7a RahmenRL) eingreifen.

Serious Doubts und die Folgen bei Entscheidungen über "Remedies"
Bei Entscheidungen über "remedies" hat die Kommission zwar kein echtes Vetorecht, aber sie kann den Maßnahmenentwurf einer nationalen Regulierungsbehörde zumindest für drei Monate aufhalten, um in dieser Zeit gemeinsam mit BEREC*) und der betreffenden nationalen Regulierungsbe­hörde "die am besten geeignete und wirksamste Maßnahme im Hinblick auf die Ziele des Artikels 8 [RahmenRL] zu ermitteln, wobei die Ansichten der Marktteilnehmer und die Notwendigkeit, eine einheit­liche Regulierungspraxis zu entwickeln, berücksichtigt werden."

Dieses "Aussetzen" einer Maßnahme, wie es die Kommission gern bezeichnet, erfolgt durch den sogenannten "serious doubts letter", einer Mitteilung an die nationale Regulierungsbehörde und an BEREC innerhalb eines Monats nach Notifizierung des Maßnahmenentwurfs. Darin teilt die Kommission mit, "warum sie der Auffassung ist, dass der Maßnahmenentwurf ein Hemmnis für den Binnen­markt darstellen würde, oder warum sie erhebliche Zweifel an dessen Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht hat."

Das - im Detail etwas unübersichtliche - Verfahren endet dann entweder mit Zurückziehung des Maßnahmenentwurfs durch die Regulierungsbehörde (oder Abänderung im Sinne der Bedenken der Kommission) oder mit einer Empfehlung der Kommission an die Regulierungsbehörde, den Maßnahmenentwurf zurückzuziehen oder zu ändern. Theoretisch könnte das Verfahren auch dadurch enden, dass die Kommission ihre Bedenken zurückzieht - das ist freilich noch nie vorgekommen und es hat nicht den Anschein, als würde die Kommission diese Option ernsthaft überhaupt in Erwägung ziehen.

Beispiele aus den Niederlanden und Deutschland
Die Möglichkeiten und Grenzen der Kommission im Verfahren nach Art 7a RahmenRL werden erst langsam ausgetestet: als die niederländische Regulierungsbehörde bei der Regulierung der Mobilterminierungsentgelte entgegen der abschließenden Empfehlung der Kommission bei ihrem Maßnahmenentwurf blieb (Verfahren NL/2012/1285**), Beschluss der Kommission mit der Empfehlung, die Maßnahme zu ändern oder zurückzuziehen [siehe auch zum vorangegangene Verfahren NL/2010/1080 den Comments letter der Kommission]), um einer nationalen Gerichtsentscheidung Rechnung zu tragen, stellte die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren in den Raum (die Situation dürfte mittlerweile bereinigt sein, weil die neue niederländische Regulierungsbehörde nun in der nächsten Marktanalyserunde den Bedenken der Kommission Rechnung tragen will, siehe den Konsultationsentwurf [in niederländischer Sprache]).

Eine weitere interessante Zuspitzung zeichnet sich gerade - ebenfalls bei der Mobilterminierung - in einem Verfahren betreffend einen Maßnahmenentwurf der deutschen Regulierungsbehörde ab (Verfahren DE/2013/1424; ZIP-Ordner der Maßnahmenentwürfe; "serious doubts letter"; siehe dazu die Pressemitteilung der Kommission [die Links in der Pressemitteilung gehen ins Leere]; siehe auch die BEREC-Stellungnahme). Die deutsche Bundesnetzagentur macht jedenfalls derzeit offenbar keine Anstalten, den Bedenken der Kommission Rechnung zu tragen, und die üblichen juristischen Auftragsgutachter der Branchen haben sich auch schon in Stellung gebracht (so etwa Christian Koenig, in Kommunikation & Recht 4/2013). Vielleicht wird schließlich der EuGH einmal Gelegenheit bekommen, zur Frage Stellung zu nehmen, wie weit die nationalen Regulierungsbehörden ihre Entscheidungen über Abhilfemaßnahmen tatsächlich "unter der Kontrolle der Kommission" treffen, wie dies Generalanwalt Pedro Cruz Villalón jüngst in RNr 72 seiner Schlussanträge in der Rechtssache C-518/11 UPC Nederland gemeint hat (siehe dazu im Blog hier).

Serious Doubts zum österreichischen Mietleitungs-Maßnahmenentwurf
Nun hat die Kommission jedenfalls einen "serious doubts letter" auch nach Österreich gerichtet, und zwar im Verfahren AT/2013/1442 betreffend den Vorleistungsmarkt für Abschluss-Segmente von Mietleitungen (wie üblich gibt es dazu auch eine Pressemitteilung und eine Einladung zur Stellungnahme an Marktteilnehmer). Formal handelt es sich bei dieser Mitteilung um einen Beschluss der Kommission, und solche Beschlüsse sind - gemäß Art 288 AEUV - "in allen ihren Teilen verbindlich. Sind sie an bestimmte Adressaten gerichtet, so sind sie nur für diese verbindlich."

Das aber macht den vorliegenden Fall interessant: denn der Beschluss ist ausdrücklich an die
Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR) adressiert und erwähnt auch im Text der Stellungnahme stets nur die RTR, nicht aber die tatsächlich zuständige Regulierungsbehörde, nämlich die Telekom-Control-Kommission (TKK), die den Maßnahmenentwurf beschlossen und - wenn auch im Wege der RTR als ihres Hilfsapparats (Geschäftsstelle) - notifiziert hat. In der Pressemitteilung der Europäischen Kommission wird sogar Kommissionsvizepräsidentin Kroes mit den Worten zitiert "Ich fordere die RTR dringend auf, einen neuen Vorschlag vorzulegen". Diese Aufforderung richtet sich also - ebenso wie der, juristisch entscheidende, Beschluss der Kommission über den "serious doubts letter" - an eine unzuständige Behörde. Die RTR hat den Maßnahmenentwurf nicht beschlossen, sie kann ihn nicht ändern oder einen neuen "Vorschlag" vorlegen - dazu wäre eben nach den diesbezüglich eindeutigen und der Kommission notifizierten Rechtsvorschriften die Telekom-Control-Kommission zuständig. An diese ist aber der Beschluss der Kommission nicht adressiert. Ist damit - unter dem Blickwinkel des Art 288 AEUV - die Phase II des Verfahrens nach Artikel 7a der RahmenRL überhaupt wirksam eröffnet?

Die Kommission kann sonst durchaus zwischen RTR und TKK unterscheiden, wie sie gerade unlängst in ihrer Stellungnahme in den Verfahren AT/2013/1435 und 1436 gezeigt hat, in der die Mitteilung zwar an die RTR (als Geschäftsstelle der TKK) gesandt wurde, aber ausdrücklich die TKK als zuständige Regulierungsbehörde Adressatin der Anmerkungen ist und aufgefordert wird, der Stellungnahme Rechnung zu tragen (dass in diesem Fall zunächst in Fußnote 2 noch die Rechtslage vor der Novelle 2011 angesprochen wurde, ist ein vergleichsweise lässliches Versehen, dass von der Kommission umgehend berichtigt wurde [siehe den Anhang zur Stellungnahme]).

Die Kommission ist übrigens nicht allein mit ihren Problemen, in der etwas merkwürdigen Konstruktion der österreichischen Regulierungsbehörden den Durchblick zu bewahren: auch der EuGH hatte damit schon Schwierigkeiten (siehe im Blog dazu hier).

Update 09.06.2013: auch BEREC schafft es nicht, in seiner Stellungnahme die richtige Regulierungsbehörde zu identifzizieren! (Inhaltlich ist BEREC übrigens der Auffassung, dass die "serious doubts" der Kommission berechtigt seien)

Update 03.07.2013: Die Kommission hat - laut ihrer heutigen Pressemitteilung - nun "die österreichische Regulierungsbehörde (TKK) aufgefordert, ihren Vorschlag zur Regulierung des Vorleistungsmarkts für Abschluss-Segmente von Mietleitungen zurückzuziehen". In der Pressemitteilung (die Entscheidung der Kommission ist noch nicht öffentlich verfügbar; update 09.07.2013: siehe nun den Volltext des Beschlusses) kommt die RTR nicht mehr vor, dafür umso prominenter die (tatsächlich zuständige) TKK - das zeugt von Lernfähigkeit!
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*) Body of European Regulators for Electronic Communications (die deutsche Bezeichnung GEREK - Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation - ist kaum gebräuchlich). BEREC hat den Sitz in Riga; ein nettes Sittenbild zu BEREC zeichnet diese Pressemitteilung, die es tatsächlich für notwendig erachtet, über den Umstand zu informieren, dass der BEREC-Vorsitzende das BEREC-Büro in Riga besucht hat.
**) Die Verfahren werden in der circa-eCCTF-Datenbank dokumentiert, leider ist aber die direkte Verlinkung auf einen Verfahrensordner nicht möglich, nur auf jeweils einzelne Dokumente.

Tuesday, April 30, 2013

EuGH-Generalanwalt: Kabel-TV ist elektronischer Kommunikationsdienst; Preiskontrolle durch Gemeinde unzulässig

Der "neue Rechtsrahmen" für elektronische Kommunikatikonsnetze und -dienste (NRR) ist schon mehr als zehn Jahre alt, doch ob das Anbieten von Kabel-TV ein elektronischer Kommunikationsdienst ist und daher diesem Rechtsrahmen unterliegt, muss der EuGH erst beantworten. Gelegenheit dazu hat er in der Rechtssache C-518/11 UPC Nederland, in der Generalanwalt Pedro Cruz Villalón heute seine Schlussanträge erstattet hat.

Zum Ausgangssachverhalt:
Der Ausgangsrechtsstreit wird zwischen UPC Nederland und der Gemeinde Hilversum geführt. Diese hatte schon lange vor Inkrafttreten des neuen Rechtsrahmens das ursprünglich von ihr betriebene Kabel-TV-Netz an die Rechtsvorgängerin der UPC verkauft. In einer beim Verkauf abgeschlossenen "Vereinbarung über den zukünftigen Betrieb des Kabelnetzes von Hilversum" verpflichtete sich UPC unter anderem zur "Gewährleistung eines vielfältigen Mindestangebots an Hörfunk- und Fernsehprogrammen über Kabel zu einem sozialverträglichen Preis und mit einer für den Abonnenten optimalen Empfangsqualität". Das konkrete Höchstentgelt für dieses "Basisangebot" ergab sich ebenfalls aus dem Vertrag (in Verbindung mit einer Indexklausel).

Im Jahr 2003 wollte UPC das Entgelt für das Basisangebot anheben. Die Gemeinde Hilversum klagte gegen die Erhöhung und gewann in allen Instanzen. Im Jahr 2005 prüfte die niederländische Wettbewerbsbehörde, ob UPC seine marktbeherrschende Stellung durch überhöhte Abonnemententgelte missbraucht habe und kam zum Ergebnis, dass dies nicht der Fall sei. Ebenfalls 2005 veröffentlichte die (damalige) Telekomregulierungsbehörde OPTA nach einer Marktanalyse einen Maßnahmenentwurf, in dem sie feststellte, dass UPC in ihrem Versorgungsgebiet über beträchtliche Marktmacht auf "dem Markt für die Bereitstellung frei zugänglicher Hörfunk- und Fernsehprogrammangebote über Kabel" verfüge, und ihr Verpflichtungen in Bezug auf die Berechnung ihrer Entgelte auferlegte. Die Europäische Kommission hatte schwerwiegende Bedenken (siehe dazu näher auch den Bericht der IRG-Expertengruppe) und die von OPTA schließlich beschlossene endgültige Maßnahme sah keine Preisregulierung mehr vor.

In der Folge klagte UPC die Gemeinde Hilversum und beantragte, die Entgeltbeschränkungsklausel für nichtig zu erklären und die Gemeinde zur Duldung von Entgelterhöhungen zu verpflichten, da die Entgeltbeschränkungsklausel mit dem neuen Rechtsrahmen nicht vereinbar sei. In diesem Verfahren legte das Berufungsgericht schließlich dem EuGH 18(!) Vorabentscheidungsfragen vor, die Generalanwalt Villalón allerdings übersichtlich auf drei Fragen (und letztlich zwei Antworten) zusammenfasst:

1.  Zum Begriff "elektronischer Kommunikationsdienst"
Dass die hier zu beurteilenden Kabel-TV-Dienste (Anbieten eines "Basispakets" an Rundfunkprogrammen über Kabel) auch nach Ansicht des Generalanwalts als elektronische Kommunikationsdienste im Sinne des Art 2 lit c der RahmenRL 2002/21/EG einzustufen sind, überrascht nicht, war das doch seit Inkrafttreten des neuen Rechtsrahmens durchgängig herrschende Meinung (jedenfalls der wesentlichsten nationalen Regulierungsbehörden). Das Argument, dass der Abopreis auch die von UPC an die Sender für das Weiterverbreitungsrecht zu zahlenden Entgelte und die Zahlungen an die Verwertungsgesellschaften umfasste, konnte den Generalanwalt auch nicht umstimmen. Der Vorschlag des Generalanwalts für die erste Fragebeantwortung lautet daher:
Die RahmenRL 2002/21/EG ist dahin auszulegen, dass ein aus der Verbreitung frei zugänglicher Hörfunk- und Fernsehprogramme über Kabel bestehender Dienst, für den ein Entgelt zu zahlen ist, das die Übertragungskosten sowie die an Rundfunkanstalten und kollektive Verwertungsgesellschaften im Zusammenhang mit der Verbreitung ihrer Inhalte gezahlten Gebühren enthält, in ihren sachlichen Anwendungsbereich fällt, da dieser Dienst die Übertragung von Signalen über elektronische Kommunikationsnetze umfasst.
2. Preiskontrolle durch die Gemeinde?
Da es sich beim Kabel-TV-Dienst um einen elektronischen Kommunikationsdienst im Sinne der RahmenRL handelt, können - so der Generalanwalt in RNr 46 der Schlussanträge - Maßnahmen zur Kontrolle des Preises für diesen Dienst nur zulässig sein, "wenn sie zu den Maßnahmen gehören, die von einer nationalen Regulierungsbehörde gegenüber einem Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht erlassen werden können, oder wenn sie sich durch ein Ziel des Allgemeininteresses oder durch Art. 106 Abs. 2 AEUV rechtfertigen lassen."

Selbst wenn die Gemeinde als Regulierungsbehörde angesehen werden könnte, hat sie bei Erlassung der Entgeltbeschränkungsklausel jedenfalls gegen die Verfahrensvorschriften verstoßen, was der Generalanwalt unter Bezugnahme auf die GenehmigungsRL, die ZugangsRL (die meines Erachtens schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil es um eine Endkundenpreisregelung geht) und die UniversaldienstRL näher darlegt. Der Generalanwalt kommt daher zum Schluss (RNr 63), "dass der NRR der Entgeltbeschränkungsklausel grundsätzlich entgegensteht, es sei denn, es wird nachgewiesen, dass diese durch die Verfolgung von Zielen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist."

Die Gemeinde und auch die niederländische Regierung brachten dazu vor, dass die - zwischen der Gemeinde und UPC frei vereinbarte - Entgeltbeschränkungsklausel ein Verbraucherschutzinteresse verfolge. Sie erlaube es, die Bereitstellung des analogen Basisangebots zu einem sozialverträglichen Preis, der für Haushalte mit niedrigen Einkommen erschwinglich bleiben müsse, zu gewährleisten; dieser Dienst stelle daher einen Dienst der elementaren Daseinsvorsorge dar.

Der Generalanwalt kann dem nichts abgewinnen:
71. Das Ziel des NRR besteht [...] gerade darin, den Nutzern durch die Förderung des Wettbewerbs größtmögliche Vorteile in Bezug auf Auswahl, Preise und Qualität elektronischer Kommunikationsdienste zu garantieren. Insbesondere ist es allein Sache der nationalen Regulierungsbehörden, nach Durchführung einer Analyse des Marktes gegebenenfalls unparteiisch und transparent gegen ein Unternehmen mit beträchtlicher Macht auf diesem Markt vorzugehen, das aufgrund eines Mangels an wirksamem Wettbewerb seine Preise zum Nachteil der Endnutzer auf einem übermäßig hohen Niveau halten könnte"
72. Folglich – und sogar unabhängig davon, dass die OPTA im vorliegenden Fall [...] unter der Kontrolle der Kommission einen Bescheid im genau gegenteiligen Sinne erlassen hat – ist diese von der Gemeente Hilversum und der niederländischen Regierung vorgebrachte Rechtfertigung als solche nicht zulässig.
Mit anderen Worten: Verbraucherschutz ist keine Rechtfertigung für Gemeinden, um die Preise elektronischer Kommunikationsdienste zu regulieren, auch wenn dies im Wege vertraglicher Vereinbarungen mit einem Diensteanbieter erfolgt. Der Schutz der Verbraucher vor überhöhten Preisen ist vielmehr (ausschließliche) Aufgabe der nationalen Regulierungsbehörden, die den Wettbewerb zu fördern haben. (Und, so könnte man ergänzen, offenbar auch Sache des europäischen Gesetzgebers, der mit der Roamingverordnung ja - ganz ohne Beachtung des sonst geltenden neuen Rechtsrahmens - eine echte Preiskontrollmaßnahme sowohl für Endkunden als auch Vorleistungskunden geschaffen hat).

Einen möglichen Ausweg lässt der Generalanwalt aber noch offen: der Vertrag zwischen UPC und der Gemeinde könnte allenfalls auch als Betrauung mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interessse im Sinne von Art 106 Abs 2 AEUV anzusehen sein. Dazu müsste das nationale Gericht aber erst die erforderlichen Feststellungen treffen und prüfen, ob die Anwendung des Unionsrechts die Erfüllung der an die UPC übertragenen "besonderen Aufgabe" verhindert und ob die auferlegten Verpflichtungen verhältnismäßig sind. Die vorgeschlagene Antwort des Generalanwalts auf die zweite Frage lautet daher:
Die Art 6, 8 und 13 der ZugangsRL 2002/19/EG, die Art 3 und 6 Abs 2 der GenehmigungsRL 2002/20/EG sowie Art 1 Abs 2 und 3, die Art 3, 6 und 7 und die Art 14 bis 16 der RahmenRL 2002/21/EG sind dahin auszulegen, dass sie der Anwendung einer Entgeltbeschränkungsklausel wie der im Ausgangsverfahren grundsätzlich entgegenstehen, es sei denn, es wird nachgewiesen, dass diese durch die Verfolgung von Zielen des Allgemeininteresses oder nach Art. 106 Abs. 2 AEUV gerechtfertigt ist und in völligem Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht, was das vorlegende Gericht zu überprüfen hat.
PS: nationale Regulierungsbehörden werden mit Interesse lesen, dass sie ihre Bescheide betreffend die Auferlegung spezifischer Verpflichtungen ("remedies" oder Abhilfemaßnahmen) "unter der Kontrolle der Kommission" erlassen haben (wie dies Generalanwalt Villalón in RNr 72 seiner Schlussanträge schreibt) - und dies noch zur Rechtslage vor Wirksamwerden der erweiterten Befugnisse der Kommission nach Art7a der RahmenRL, also für einen Zeitraum, in dem sich die Kommission im Hinblick auf "remedies" höchstens was wünschen durfte, aber weder eine Empfehlung abgeben noch eine Entscheidung treffen konnte.

Friday, November 23, 2012

EGMR: Telegraaf Media - geheimdienstliche Überwachung von Journalisten und Schutz journalistischer Quellen

Der EGMR hat im gestern verkündeten Urteil Telegraaf Media Nederland Landelijke Media B.V. u. a. gegen die Niederlande (Appl. no. 39315/06) (Pressemitteilung des EGMR) neuerlich - nach dem Urteil der Großen Kammer vom 14.09.2012 Sanoma Uitgevers (dazu hier) - eine Verletzung des Art 10 EMRK durch die Niederlande wegen unzureichenden Schutzes journalistischer Quellen festgestellt. Außerdem stellte er eine Verletzung der Art 8 und 10 EMRK wegen geheimdienstlicher Überwachung zweier Journalisten fest.

Ganz knapp zusammengefasst kommt der EGMR zum Ergebnis, dass erstens jede gezielte Überwachung von Journalisten durch besondere Ermitlungsmaßnahmen (Telefonüberwachung) einer gesetzlich vorgesehenen vorherigen Kontrolle durch eine (vorzugsweise richterliche) unabhängige Einrichtung bedarf und dass zweitens an der Rückstellung von (kopierten) Geheimdienstunterlagen, die für die Identifzierung eines "Lecks" im Geheimdienst nicht notwendig sind, kein überwiegendes öffentliches Interesse besteht, das eine Durchbrechung des Redaktionsgeheimnisses rechtfertigen würde.

Zum Ausgangssachverhalt
Die niederländische Tageszeitung De Telegraaf veröffentlichte am 21.01.2006 eine Titelgeschichte über geheime Unterlagen des AIVD (niederländischer Geheimdienst), die in den Besitz der Drogenmafia gelangt seien. Aus Dokumenten, die der Zeitung vorlägen, ergebe sich, dass taatsgeheimnisse in kriminellen Kreisen in Amsterdam zirkulierten, insbesondere Ermittlungsergebnisse zu einem bekannten Drogen- und Waffenhändler. In einem weitern Artikel am Folgetag wurde auch Codenamen zweier Informanten des Geheimdienstes genannt.

Als Folge der Berichterstattung kam es zu parlamentarischen Anfragen und polizeilichen Untersuchungen. Der Telegraaf wurde von der ermittelnden Polizeieinheit zur Herausgabe der in seinem Besitz befindlichen Dokumente aufgefordert, bekämpfte das aber vor Gericht. Für die Zeit des Verfahrens wurde vereinbart, dass die von einem Notar in einem versiegelten Behälter deponierten Dokumente bei Gericht ungeöffnet aufbewahrt würden. Der Staatsanwalt brachte vor, dass es primär um die Sicherstellung und Rückgabe der Dokumente und nicht um die Feststellung der journalistischen Quelle gehe, dass die Dokumente aber untersucht würden, falls sich die Möglichkeit dazu ergäbe. Der Telegraaf bot an, die Dokumente zu zerstören, wurde aber - schließlich auch vom Obersten Gerichtshof - zur Herausgabe der Dokumente verpflichtet.

Der Telegraaf forderte daraufhin in einem Zivilverfahren die Erlassung einer Verfügung zur Einstellung der Ermittlungen und des Einsatzes besonderer Ermittlungsmethoden ("use of special powers"). Die Gerichte entschieden, dass der Einsatz von Überwachungsmethoden (des Geheimdienstes) gegen die beiden für die Artikel verantwortlichen Journalisten nicht grundsätzlich unzulässig sei (wohl aber dann, wenn sie nach Identifzierung der nicht-journalistischen Zielperson noch fortgesetzt werde). Ob die Journalisten überhaupt überwacht worden waren, legte der Geheimdienst in diesem Verfahren nicht offen.

Die Rechtmäßigkeit der Überwachung durch den Geheimdienst war in der Folge Gegenstand einer Untersuchung durch den Überwachungsrat, eines für die Kontrolle der geheimdienstlichen Tätigkeiten gesetzlich eingerichteten Kollegialorgans (funktionell vergleichbar etwa den in Österreich eingerichteten Rechtsschutzbeauftragten nach § 57 MilitärbefugnisG, § 91a SicherheitspolizeiG und § 47a StPO). Diese Untersuchung bestätigte, dass die Journalisten tatsächlich überwacht und ihre Telefone abgehört worden waren. Der Überwachungsrat kam zum Ergebnis, dass der Einsatz der besonderen Ermittlungsmethoden mit wenigen Ausnahmen gerechtfertigt gewesen sei; zu den Ausnahmen zählte das Anzapfen des Telefons einer nicht in Verdacht stehenden Person und die Aufzeichnung und Transkribierung von Gesprächen, die nicht im Zusammenhang mit den Untersuchungen standen.

Der zuständige Minister berichtete dem Parlament auszugsweise über die (grundsätzlich geheimen) Ergebnisse des Überwachungsrates und kam - nach einer Beschwerde der Journalisten - zum Ergebnis, dass die Entscheidung zum Einsatz besonderer Ermittlungsmethoden gegen die Journalisten und die Weitergabe der Ermittlungsergebnisse an die Staatsanwaltschaft rechtmäßig, die Aufzeichnung und Transkribierung von nicht zum Untersuchungsgegenstand gehörenden Telefongesprächen der Journalisten aber unrechtmäßig gewesen sei.

Geheimdienstliche Überwachung der Journalisten
Der meines Erachtens rechtlich spannendere Teil des Urteils betrifft die Überwachung (insbesondere das Abhören der Telefone) der Journalisten durch den Geheimdienst. Hier untersucht der EGMR den Fall gemeinsam unter Art 8 (Schutz des Privat- und Familienlebens) und - im Hinblick auf die Stellung der Beschwerdeführer als Journalisten - unter Art 10 (Freiheit der Meinungsäußerung). Die Überwachung stellte jedenfalls einen Eingriff in die durch diese Bestimmungen eingeräumten Rechte dar. Auch wenn das Hauptziel der Überwachung die Feststellung und dann Schließung des "Lecks" im Geheimdienst und die Identifizierung der Person, die die Dokumente den Journalisten gegeben hatte, diesem Ziel untergeordnet gewesen sei, so habe der Geheimdienst doch versucht, durch den Einsatz der besonderen Ermittlungsmethoden den Schutz journalistischer Quellen zu umgehen.

Das allein muss freilich noch nicht unzulässig sein; zu prüfen war daher als nächster Schritt, ob der Eingriff auch gesetzlich vorgesehen ist ("prévue(s) par la loi", wie es sowohl in Art 8 als auch Art 10 EMRK heißt). Dies setzt nicht nur ein Gesetz im formellen Sinn voraus, sondern verlangt eine bestimmte Qualität des Gesetzes, wozu etwa die ausreichende Klarheit (und damit Vorhersehbarkeit des Eingriffs) und der rechtliche Schutz gegen willkürliche Eingriffe in die nach Art 8 und 10 geschützten Rechte durch öffentliche Organe gehören:
Especially where, as here, a power of the executive is exercised in secret, the risks of arbitrariness are evident. Since the implementation in practice of measures of secret surveillance is not open to scrutiny by the individuals concerned or the public at large, it would be contrary to the rule of law for the legal discretion granted to the executive to be expressed in terms of an unfettered power. Consequently, the law must indicate the scope of any such discretion conferred on the competent authorities and the manner of its exercise with sufficient clarity, having regard to the legitimate aim of the measure in question, to give the individual adequate protection against arbitrary interference [...]
Der EGMR akzeptiert, dass die Journalisten sich dessen bewusst sein mussten ("could not reasonably be unaware"), dass die ihnen zugekommene Information authentisches geheimes Material waren, das dem Geheimdienst unrechtmäßig entzogen worden war, und dass die Veröffentlichung dazu führen würde, dass der Geheimdienst Maßnahmen ergreifen würde, um die Herkunft des Materials festzustellen. In diesem Sinne war die Überwachung für die Journalisten nach Ansicht des EGMR also vorhersehbar gewesen.

Der EGMR grenzt den vorliegenden Fall sodann vom Fall Weber und Saravia gegen Deutschland (Appl. no 54934/00) ab, in dem eine Beschwerde gegen das strategische Monitoring von Telefonverbindungen durch den deutschen Bundesnachrichtendienstes als unzulässig beurteilt wurde (sodass keine Verletznug der Art 8 und/oder 10 EMRK festgestellt wurde). Die Überwachung durch den BND war, auch wenn eine Journalistin betroffen war, nicht auf die Identifizierung journalistischer Quellen gerichtet:
Surveillance measures were, in particular, not directed at uncovering journalistic sources. The interference with freedom of expression by means of strategic monitoring could not, therefore, be characterised as particularly serious [...]. Although admittedly there was no special provision for the protection of freedom of the press and, in particular, the non-disclosure of sources once the authorities had become aware that they had intercepted a journalist’s conversation, the safeguards in place, which had been found to satisfy the requirements of Article 8, were considered adequate and effective for keeping the disclosure of journalistic sources to an unavoidable minimum [...].
Demgegenüber sei der Fall Telegraaf gerade durch die gezielte Überwachung von Journalisten charakterisiert. Beim Einsatz geheimer Überwachungsmaßnahmen, wo der Missbrauch im Einzelfall leicht möglich sei und schädliche Folgen für die demokratische Gesellschaft haben könne, sei grundsätzlich eine Kontrolle durch Richter anzustreben. In den Fällen Klass ua gegen Deutschland und Kennedy gegen Vereinigtes Königreich habe der EGMR aber auch die dort jeweils bestehende unabhängige Kontrolle als adäquat akzeptiert. Demgegenüber sei im Fall Sanoma die dort ohne gesetzliche Verpflichtung vom Staatsanwalt erfolgte Beiziehung eines Richters wegen der fehlenden gesetzlichen Basis nicht als ausreichend angesehen worden; die richterliche Kontrolle im Nachhinein habe diese Mängel nicht beseitigen können.

Im vorliegenden Fall sei der Einsatz spezieller Ermittlungsmaßnahmen zwar vom Innenminister (oder dem Geheimdienstchef oder dessen Vertreter) genehmigt worden, dies aber jedenfalls ohne vorherige Kontrolle durch eine unabhängige Einrichtung mit der Befugnis, den Einsatz zu verhindern oder zu beenden. Eine "post factum"-Kontrolle könne aber die einmal zerstörte Vertraulichkeit journalistischer Quellen nicht mehr herstellen:
100. In the instant case [...] the use of special powers would appear to have been authorised by the Minister of the Interior and Kingdom Relations, if not by the head of the AIVD or even a subordinate AIVD official, but in any case without prior review by an independent body with the power to prevent or terminate it [...].
101. Moreover, review post factum, whether by the Supervisory Board, the Committee on the Intelligence and Security Services of the Lower House of Parliament or the National Ombudsman, cannot restore the confidentiality of journalistic sources once it is destroyed.
102. The Court thus finds that the law did not provide safeguards appropriate to the use of powers of surveillance against journalists with a view to discovering their journalistic sources. There has therefore been a violation of Articles 8 and 10 of the Convention.
Was folgt daraus?
Für spezifisch gegen Journalisten gerichtete besondere Ermittlungsmaßnahmen - wie insbesondere das Abhören von Telefonen - ist zwingend eine gesetzlich eingerichtete vorherige unabhängige Kontrolle erforderlich (zumindest wenn diese Überwachungsmaßnahmen - auch - der Identifizierung von Quellen dienen können). Die Kontrollfunktion sollte vorzugsweise von einem Richter ausgeübt werden, aber der Hinweis auf die Fälle Klass und Kennedy deutet darauf hin, dass der EGMR auch die Kontrolle durch nicht-richterliche unabhängige Rechtsschutzeinrichtungen mit entsprechender Qualifikation (der EGMR erwähnt die Qualifikation für das Richteramt bzw die frühere Ausübung hoher richterlicher Ämter oder entsprechende Erfahrung als Anwalt) akzeptieren würde; dies aber jedenfalls nur, wenn diese Einrichtungen die Ermittlungsmaßnahmen von sich aus verhindern bzw beenden können (zur österreichischen Rechtslage vgl dazu insbesondere § 147 StPO und § 91c SPG).

Schutz journalistischer Quellen
Der zweite Teil der Entscheidung befasst sich mit dem "klassischen" Schutz journalistischer Quellen gegen Herausgabeanordnungen. Unstrittig war, dass ein Eingriff vorliegt, der auf einer ausreichenden gesetzlichen Basis beruht (hier besteht der wesentliche Unterschied zum ebenfalls in den Niederlanden spielenden Fall Sanoma) und ein legitimes Ziel (nationale Sicherheit, Verbrechensverhütung) verfolgt. Der EGMR wiederholt seine einschlägigen Rechtssätze, insbesondere, dass eine Verpflichtung zur Offenlegung journalistischer Quellen - im Hinblick auf die Bedeutung des Schutzes journalistischer Quellen für die Pressefreiheit in einer demokratischen Gesellschaft und die potentiell abschreckende Wirkung, die eine Verpflichtung zur Offenlegung auf die Ausübung dieser Freiheit haben könnte - nur dann mit Art 10 EMRK vereinbar ist, wenn sie durch ein überwiegendes Erfordernis im öffentlichen Interesse gerechtfertigt ist.

Im speziellen Fall habe der Staatsanwalt eingestanden, dass die Personen, die das Dokument weitergegeben hätten, auch ohne technische Untersuchung der dem Telegraaf zugespielten Dokumente herausgefunden werden könnten. Aus diesem Grund könne die Notwendigkeit, die undichte Stelle im Geheimdienst zu identifizieren, für sich allein nicht die Herausgabeanordnung rechtfertigen.

Weiters sei es sehr wahrscheinlich, dass die in den Dokumenten enthaltene Information, auch wenn sie der Öffentlichkeit nicht bekannt wurde, seit langem außerhalb des Geheimdienstes zirkuliert sei und Kriminellen (der EGMR schreibt: "persons described by the parties as criminals") bekannt gewesen sei. Die Rückstellung der Dokumente könne daher nicht mehr verhindern, dass die Information in falsche Hände gerate.

Der EGMR anerkennt das legitime Interesse des Geheimdienstes, zu überprüfen, ob alle ihm entwendeten Unterlagen wieder aus dem Verkehr gezogen worden seien. Dies sei aber nicht ausreichend, um ein überwiegendes Erfordernis im öffentlichen Interesse ("overriding requirement in the public interest") anzuerkennen, dass die Offenlegung der journalistischen Quelle rechtfertige. Der EGMR kommt zum Ergebnis, dass die tatsächliche Übergabe der Dokumente nicht notwendig sei, zumal es sich dabei um Kopien und nicht die Original handle. Eine Sichtprüfung - um festzustellen, dass sie vollständig sind - und die darauffolgende Zerstörung der Dokumente wäre daher ausreichend gewesen. Es lägen daher keine relevanten und ausreichenden Gründe für den Eingriff vor, sodass eine Verletzung des Art. 10 EMRK festgestellt wurde.

Kein absoluter Schutz des Redaktionsgeheimnisses!
Auch dieses Urteil misst dem Schutz journalistischer Quellen große Bedeutung bei, zeigt aber zugleich - wieder einmal - deutlich auf, dass dieser Schutz nach Art 10 EMRK nicht absolut ist (und weniger weitreichend als nach § 31 Mediengesetz): Wäre die Identifizierung des "Lecks" im Geheimdienst nur durch Überprüfung der Dokumente festzustellen gewesen, so hätte die Entscheidung des EGMR schon anders ausfallen können; ebenso wenn es sich tatsächlich um die Originaldokumente gehandelt hätte oder die Unterlagen sonst noch niemandem bekannt gewesen wären.

Abweichende Meinung Die Feststellung einer Verletzung des Art 10 EMRK gegenüber der beschwerdeführenden Medieninhaberin erfolgte auch - anders als die Feststellung der Verletzung der Art 8 und 10 gegenüber den beiden Journalisten - nicht einstimmig. Die Richter Myjer (Niederlande) und López Guerra (Spanien) verfassten eine dissenting opinion, die ein ungerechtfertigtes Privileg der Presse sieht:
If documents criminally obtained or photocopied in the perpetration of a criminal act can, for the sole reason that they have come into the possession of the press, no longer be seized except on conditions posed by the press itself, the press is granted a privilege for which we see no justification.
Das Recht auf Schutz journalistischer Quellen sei nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR nicht absolut; im vorliegenden Fall sei zu berücksichtigen, dass es um die Aufklärung einer schweren Pflichtverletzung eines Geheimdienstmitarbeiters gehe und dass die geheimen Informationen noch nicht veröffentlicht worden waren. Art 10 EMRK könne nicht dahingehend interpretiert werden, dass der Verfall (die Einziehung) von illegal verwendeten Sachen unzulässig wäre; die Niederlande hätten daher das Recht gehabt, die unrechtmäßig im Besitz der Zeitung befindlichen Dokumente wieder zurückzubekommen.

PS: Zum Schutz journalistischer Quellen nach Art 10 EMRK hat der EGMR auch ein - schon mit dem aktuell entschiedenen Fall Telegraaf Media aktualisiertes! - Fact Sheet herausgegeben: Protection of journalistic sources.
Update 24.11.2012: siehe auch die Besprechung des Urteils auf dem ECHR Blog (Dirk Voorhoof)

Thursday, September 06, 2012

Zum Salzburger Telekom-Forum - und zur schwierigen Dreiecksbeziehung Kommission - Regulierungsbehörde - Gerichte

Edmundsburg, Uni Salzburg
Das Salzburger Telekom-Forum, veranstaltet von der österreichischen Telekom-Regulierungsbehörde RTR, der Universität Salzburg und der Europäischen Kommission, ist so etwas wie das Klassentreffen der Telekom-Regulierungsszene in Österreich. Die Kommissionsvertreter übernehmen da ganz gerne auch den Part der gestrengen, aber irgendwie doch gütigen Lehrer: alle freuen sich, dass sie kommen, aber deshalb muss man noch nicht immer mit ihnen einer Meinung sein.

So war es im Wesentlichen auch in diesem Jahr, als sich am 27. und 28. August 2012 über hundert TeilnehmerInnen in der Edmundsburg einfanden. Und weil ohnehin so gut wie alle an der Sache Interessierten dabei waren, spare ich mir eine genauere Nacherzählung und bringe nur ein paar kurze Anmerkungen (die meisten Vortragsfolien sind hier auf der RTR-Website zu finden). Am ersten Tag war jedenfalls die Zeit großer Worte:
  • Prof. Georg Götz von der Justus-Liebig-Universität Gießen präsentierte seine von der Deutschen Telekom finanzierten Forschungsergebnisse (und war dementsprechend der Auffassung, dass man mit höheren Zugangsentgelten "die beste aller Welten" haben könnte).
  • Jakob Bluestone von der Credit Suisse forderte mehr "regulatory certainty" (und sah, wie auch Prof. Götz, ein wenig Hoffnung für seine Position im Breitband-Policy Statement von Kommissionvizepräsidentin Kroes vom 12..07.2012).
  • Der Geschäftsführer für den Fachbereich Telekom und Post der RTR (und aktueller BEREC-Vorsitzender) Georg Serentschy will "Regulation 2.0" (meint aber damit etwas anderes als Cass Sunstein): "Investment-freundliche Regulierung für Infrastruktur- und Servicebetreiber" und eine "flexible Interpretation des bestehenden Rechtsrahmens"; schließlich wünscht er sich auch ein "level playing field zwischen Telcos und OTTs" (unter OTTs - over the top players - versteht er zB Apple oder Google), was im Wesentlichen weniger Regulierung für Telcos und mehr Regulierung für OTTs bedeuten soll (als Beispiel nannte Serentschy die AGBs, die derzeit für Telcos von der Regulierungsbehörde im Detail geprüft werden, für OTTs aber nicht).
  • Direktor Gerard de Graaf von der Europäischen Kommission, DG Connect, zog eine Zwischenbilanz der Digitalen Agenda und was die Kommission da so vorhat. Die von Kroes für "so bald wie möglich im Herbst" angekündigten Vorlagen ("Empfehlung für Diskriminierungsfreiheit" [das Wort Netzneutralität wird möglichst vermieden], Kostenrechnungsempfehlung für Zugangsentgelte, und wohl auch eine revidierte Märkteempfehlung) sind, ebenso wie der für "im Laufe dieses Jahres" angekündigte Legislativvorschlag zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Netzausbau ("gemeinsame, sektorenübergreifende Nutzung von Kabelkanalinfrastrukturen", "schnellere Erteilung von Genehmigungen" etc), demnach eher erst um Ostern 2013 zu erwarten. 
  • In der Podiumsdiskussion war man sich rasch einig, dass die bisherige Regulierung zu konsumentenzentriert gewesen sei (was insofern nicht überraschte, als keine Konsumentenvertreter am Podium waren); A1 Telekom Austria AG CEO Ametsreiter sah im Falle einer Festschreibung der Netzneutralität 50% der Sprachumsätze seiner Unternehmensgruppe gefährdet; und richtig emotional wurde es erst, als in der Publikumsrunde Hutchison 3G Austria-Geschäftsführer Jan Trionow das noch offene Zusammenschlussverfahren ("Drei" und "Orange") ansprach.
Der zweite Tag war dann den eher juristischen Fragen gewidmet. Hier zeigte Daniela Zimmer von der AK, dass zwar vieles, aber noch nicht alles im Sinne des Konsumentenschutzes erreicht wurde (mit Beispielen aus der Praxis, etwa einem Zitat aus einer Mitteilung über AGB-Änderungen: "... gelten weiterhin Ihre alten AGBs, sofern diese mit den Verbesserungen des neuen TKG nicht in Widerspruch stehen, da die begünstigenden Vorteile der Novelle in jedem Fall gelten." - alles klar?).

Die Gegenposition aus Betreibersicht vertrat Andreas Ney von der WKÖ; er betonte auch ein echtes Dilemma im Zusammenhang mit Prepaid-Verträgen: da Änderungen schriftlich erfolgen müssen, lassen sie sich im Prepaid-Bereich nur durchführen, wenn die in Österreich bisher ausdrücklich anerkannte Anonymität aufgegeben wird. In Deutschland ist diese anonyme Kommunikation mit Wertkarten-Handys derzeit übrigens nicht möglich; Patrick Breyer (zu einem von ihm beim EuG angestrengten Verfahren siehe hier) hat deshalb vor kurzem Beschwerde beim EGMR eingebracht (Volltext der Beschwerdeschrift).

Blick aus dem Fenster des Veranstaltungsorts
Sabine Joham-Neubauer, Gruppenleiterin Telekom/Post im Verkehrsministerium, kündigte erwartungsgemäß keine große Novelle des TKG an, und Wolfgang Feiel setzte sich aus der Sicht der Regulierungsbehörde mit den Erwartungen an die letzte große Novelle auseinander. Er zeigte anhand der stenographischen Protokolle des Nationalrats, dass einige Abgeordnete, die zur TKG-Novelle am Rednerpult standen, erkennbar nicht wussten, was sie damit genau beschlossen (insbesondere war die von Abgeordneten mehrfach angesprochene "Warteschleifen"-Regelung eine deutsche Angelegenheit und nicht Thema der österreichischen TKG-Novelle 2011).

Erfahrungen mit dem Artikel 7a-Verfahren - Zur Dreiecksbeziehung zwischen Kommission, Regulierungsbehörde und nationalen Gerichten
Das aus meiner Sicht juristisch spannendste Thema behandelte Reinald Krüger, Head of Regulatory Coordination & Markets Unit der DG Connect: "Erste Erfahrungen mit dem Verfahren nach Artikel 7a der Rahmenrichtlinie". Dieses vom Ablauf her recht komplexe Verfahren, das der Kommission bei der Auferlegung von "remedies" (spezifischer regulatorischer Verpflichtungen) durch die nationalen Regulierungsbehörden eine erweiterte Mitsprache, aber gerade noch kein Veto, einräumt, wird in der Praxis nun durch informelle "Dreiparteien-Treffen" (Kommission, BEREC, betroffene Regulierungsbehörde) adaptiert; in den meisten Fällen konnte dadurch offenbar eine Einigung erzielt werden. In 12 von 20 Fällen, in denen die Kommission "ernsthafte Zweifel" angemeldet und damit das Phase II-Verfahren eingeleitet hatte (davon 6 gleichgelagerte Fälle betreffend die polnische Regulierungsbehörde UKE), wurden Maßnahmenentwürfe zurückgezogen, in zwei Fällen geändert und in einem Fall wurde das Verfahren wegen eines die Marktdefinition/-analyse betreffenden Vetos nach Art 7 der Rahmenrichtlinie automatisch beendet. Nur in drei von 20 Fällen (zwei Fälle sind noch offen) wurde das Verfahren sozusagen bis zum Ende - bis zu Empfehlungen der Kommission an die nationale Regulierungsbehörde - durchgezogen.

Zwei dieser Empfehlungen (zusammengefasst in einer Entscheidung) ergingen an die niederländische Regulierungsbehörde OPTA und betreffen betreffen die Terminierung in Fest- und Mobilnetzen (Entscheidung der Kommission vom 13.06.2012, C(2012)3770; Fälle NL/2012/1284 und NL/2012/1285). In diesen Fällen war eine ursprüngliche Entscheidung der OPTA vom zuständigen (diesbezüglich erst- und letztinstanzlichen) Gericht (College van Beroep voor het bedrijfsleven - CBb) aufgehoben worden. Das Gericht kam - vereinfacht - zum Ergebnis, dass als Kostenrechnungsmethode BULRIC*) plus (statt wie von der Kommission gewünscht: pure BULRIC) anzuwenden gewesen wäre (was zu höheren Terminierungsentgelten führt). In der Folge legte OPTA einen - der Gerichtsentscheidung entsprechend geänderten - Maßnahmenentwurf vor, gegen den die Kommission "ernsthafte Zweifel" anmeldete. Die Stellungnahme von BEREC folgte zwar inhaltlich der Kommissionsansicht, enthielt sich aber angesichtes der die OPTA bindenden Gerichtsentscheidung einer konkreten Empfehlung für das weitere Vorgehen der Regulierungsbehörde. Da OPTA den Entwurf nicht abänderte, erließ die Kommission schließlich ihre Empfehlung, den Entwurf in Richtung pure BULRIC abzuändern oder ihn zurückzuziehen, OPTA folgte nicht der Kommissionsempfehlung, sondern der Vorgabe des nationalen Gerichts.

Die Kommission will diese Nichtbeachtung ihrer Empfehlung allerdings nicht einfach so hinnehmen, betonte Reinald Krüger beim Telekom-Forum. Wie man auch aus der Entscheidung ablesen kann, hält die Kommission nämlich das Urteil des CBb für falsch und sieht darin eine Wettbewerbsverzerrung zugunsten niederländischer Betreiber. Ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Niederlande steht also im Raum, auch weil das CBb zu der von ihm vorgenommenen Auslegung der Empfehlung über die Terminierungsentgelte kein Vorabenscheidungsersuchen gestellt hatte. Offen bleibt, ob die Kommission nicht zumindest noch den Ausgang eines weiteren Gerichtsverfahrens nach der neuerlichen OPTA-Entscheidung abwarten will - aber vielleicht soll ja auch nur Stimmung gemacht werden, um das CBb jedenfalls im Fall eines neuerlichen Rechtsmittelverfahrens zumindest zu einem Vorabentscheidungsersuchen zu bewegen.

Das niederländische Verfahren zeigt jedenfalls wieder eindrucksvoll, dass sich zwischen Kommission, nationaler Regulierungsbehörde und nationalen Gerichten ein nicht immer einfaches Dreieck auftut - "an uneasy triangular relationship", wie Pierre Larouche und Maartje de Visser vor einigen Jahren schrieben (siehe dazu auch meine speaking notes zu einem einschlägigen EU-Richterseminar).

Und die polnische Regulierungsbehörde?
Die dritte Empfehlung erging ganz knapp vor dem Telekom-Forum an die polnische Regulierungsbehörde UKE (Entscheidung der Kommission vom 27.08.2012, C(2012)5913, Fall PL/2012/1311; Pressemitteilung der Kommission). Entgegen den Erwartungen hat es die polnische Regulierungsbehörde dann allerdings nicht auf eine weitere Konfrontation mit der Kommission angelegt und am 30.08.2012 erklärt, dass sie sich zwar im Recht sieht, aber die Empfehlung der Kommission akzeptiert, zumal die nächste Marktanalyse schon im kommenden Jahr durchzuführen ist.

Dabei scheint die polnische Regulierungsbehörde (UKE) sonst besonders widerständig zu sein: nicht nur, dass sie allein schon mehr als ein Drittel aller "serious doubts" in Verfahren nach Art 7a auf sich gezogen hat, wollte sie auch ein Veto der Kommission in einem Art 7-Verfahren nicht einfach hinnehmen und hat die Entscheidung mit Nichtigkeitsklage vor dem EuG bekämpft. Die Klage wurde - aus telekomrechtlicher Sicht: leider - aus formalen Gründen zurückgewiesen, da sie von "Rechtsberaterinnen" der UKE eingebracht wurde, die das EuG wegen mangelnder Unabhängigkeit von ihrem Mandanten nicht als "Anwalt" im Sinne des Art 19 der Satzung des Gerichtshofes beurteilt hat (siehe dazu im Blog hier).

Die Sache wurde von der Regulierungsbehörde und von der Republik Polen noch an den EuGH herantgetragen, der mit dem heute ergangenen Urteil C-422/11 P und C-423/11 P, die Rechtsmittel zurückgewiesen hat. Damit ist nun zwar klar, dass Rechtsberater/innen, die in Polen zur Vertretung vor Gericht befugt sind, deshalb noch nicht vor EuG und EuGH vertreten können. Die telekomrechtlich interessante Frage, ob das Kommissions-"Veto" rechtmäßig war, bleibt aber offen.

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*) BULRIC: bottom up long run incremental costs; siehe dazu auch Punkt 2 der Kommissionsempfehlung über die Regulierung der Festnetz- und Mobilfunk-Zustellungsentgelte in der EU: "Es wird empfohlen bei der Bewertung der effizienten Kosten die laufenden Kosten zugrunde zu legen und nach einem Bottom-up-Modell zu verfahren, das sich zur Kostenrechnung auf die Methode der langfristigen zusätzlichen Kosten (LRIC) stützt."

Sunday, December 26, 2010

EuG zur Ad-hoc-Finanzierung des niederländischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Inhaltlich ergiebiger als das Urteil des EuGH zur belgischen Rundfunk-Regulierungsbehörde, über das ich zuletzt (hier) berichtet habe, ist das vor mittlerweile schon zehn Tagen, am 16.12.2010, ergangene Urteil des EuG (also des früheren "Gerichts erster Instanz") in den verbundenen Rechtssachen T-231/06 Niederlande / Kommission und T-237/06 NOS / Kommission. In dieser Sache hatte sich das Gericht mit Details der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den Niederlanden auseinanderzusetzen (zu einer mittlerweile ergangenen nachfolgenden Kommissionsentscheidung über das generelle System der niederländischen Rundfunkfinanzierung siehe hier). Viele Details des Verfahrens haben sehr spezifisch mit der besonderen Organisations- und Finanzierungsform des niederländischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu tun und sind eher nur für die wirklichen Spezialisten des Beihilfen- und Rundfunkrechts interessant; mit etwas grober Verallgemeinerung kann man aber auch Lehren für andere Systeme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ziehen.

Sowohl die Stiftung Niederländischer Rundfunk (NOS) als auch die Niederlande hatten die Nichtigerklärung der Kommissionsentscheidung C(2006) 2084 endg. der Kommission vom 22.6.2006 (Beihilfenverfahren C 2/04 (ex NN 170/2003)) beantragt, mit der die Niederlande zur Rückforderung einer Ad-hoc-Beihilfe in der Höhe von rund 76 Mio Euro von der NOS aufgefordert wurde. Es ging dabei um Beträge, die der NOS für die Funktionen, die diese als "öffentlicher Rundfunk" (Publieke Omroep, PO) erfüllt, gewährt wurden (der PO hat im Wesentlichen die Aufgabe, das gesamte System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den Niederlanden zu koordinieren).

Abgesehen von den spezifisch niederländischen Aspekten scheint mir wesentlich, dass sich das Gericht (wiederum) mit den Altmark-Kriterien im Detail auseinandersetzt und sie auch für die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als maßgebend ansieht; in Fortführung der Rechtsprechung (Urteil des EuG vom 11.03.2009, T-354/05 TF1 / Kommission) hält das Gericht nun ausdrücklich auch fest, dass das Protokoll von Amsterdam nicht ausschließt, dass es sich bei der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks um eine Beihilfe handeln kann
"144  Aus den Randnrn. 87 bis 94 des Urteils Altmark [...] geht nämlich klar hervor, dass die vom Gerichtshof in diesem Urteil entwickelten Grundsätze allgemein anzuwenden sind, auch wenn sie im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens eines nationalen Gerichts erläutert wurden. Der Gerichtshof hat den im Urteil Altmark entwickelten Grundsatz weder auf den Einzelfall beschränkt oder seine Anwendung dem nationalen Gericht vorbehalten noch den Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von seinem Anwendungsbereich ausgenommen. [...]
149  Was drittens das Protokoll von Amsterdam angeht, schließt es zum einen nicht aus, dass die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine staatliche Beihilfe sein kann. Es sieht nämlich vor, dass die Bestimmungen des Vertrags die Befugnis der Mitgliedstaaten, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu finanzieren, nicht berühren, sofern die Finanzierung der Rundfunkanstalten dem öffentlich-rechtlichen Auftrag, wie er von den Mitgliedstaaten den Anstalten übertragen, festgelegt und ausgestaltet wird, dient und die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Europäischen Gemeinschaft nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft, wobei den Erfordernissen der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags Rechnung zu tragen ist. NOS kann demnach nicht geltend machen, dass das Protokoll von Amsterdam die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften ausschließt und der Kommission untersagt, unter Heranziehung der vom Gerichtshof im Urteil Altmark, oben in Randnr. 13 angeführt, definierten Kriterien zu überprüfen, ob die Ad-hoc-Zahlungen für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in den Niederlanden einen wirtschaftlichen Vorteil darstellen. 

150   Zum anderen bestreitet die Kommission nicht die grundlegende Rolle des Protokolls von Amsterdam bei der Beurteilung einer Finanzierung der Rundfunkanstalten, die ihnen zur Erfüllung ihres öffentlich-rechtlichen Auftrags gewährt wird. Die Kommission verweist im Übrigen auf Erwägungsgrund 122 der angefochtenen Entscheidung unter Punkt 8 ('Vereinbarkeit der Beihilfe mit Art. 86 Abs. 2 EG'). Die Kommission hat diese Prüfung auch unter Heranziehung der Rechtsprechung (Erwägungsgründe 113 und 114 der angefochtenen Entscheidung) und der Mitteilung über den Rundfunk durchgeführt, die u. a. auf das Protokoll von Amsterdam verweist. Es kann daher nicht geltend gemacht werden, dass die Kommission dieses Protokoll nicht berücksichtigt hat."
Weiters ist meines Erachtens gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Umstellungen im österreichischen Finanzierungssystem (direkte Subventionen für den ORF aus dem Bundesbudget in den Jahren 2010 bis 2013, aka "Refundierung der Gebührenbefreiung", bei Erfüllung bestimmter Auflagen) bemerkenswert, dass das Gericht im Hinblick auf das Vorliegen einer neuen Beihilfe relativ formal (und streng) bleibt: zwar wurde anerkannt, dass die konkreten Ad hoc-Finanzierungen im Zusammenhang mit dem Gesamtfinanzierungssystem standen, dennoch ist es bedeutsam, dass diese Finanzierungen auf Grund jeweils einzelner Rechtsakte - und nicht automatisch - erfolgten, sodass eine neue Beihilfe vorlag.
"173    In Erwägungsgrund 109 der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission fünf Merkmale aufgelistet, die die Ad-hoc-Zahlungen von den regulären jährlichen Zahlungen unterscheiden und die ihrer Ansicht nach dagegen sprechen, dass diese Zahlungen als bestehende Beihilfen bewertet werden:
   – Die rechtliche Grundlage der Ad-hoc-Zahlungen sei nach dem Inkrafttreten des EG-Vertrags geschaffen worden, d. h. für die im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits maßgeblichen Zahlungen im Jahr 1998, um Ad-hoc-Zahlungen aus dem FOR an die Rundfunkanstalten zu ermöglichen.
   – Tatsächlich seien Zahlungen erst seit 1994 erfolgt, Zahlungen aus dem FOR erst ab 1999.
   – Die Ad-hoc-Zahlungen könnten nicht als Zahlungen betrachtet werden, auf die die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ein Anrecht hätten; die Zahlung erfolge nicht automatisch.
   – Die Bedingungen, unter denen Gelder übertragen werden könnten, seien in den Transferprotokollen der Jahre 1999 und 2002 enthalten.
   – Die Finanzierung werde für bestimmte Zwecke gewährt, u. a. um die Rundfunkanstalten zur Produktion besserer Programme zu motivieren, um schwankende Werbeeinnahmen zu kompensieren, um die Rundfunkanstalten in die Lage zu versetzen, höhere Preise für Rechte zur Übertragung von Sportsendung zu zahlen, oder um verstärkt Koproduktionen mit belgischen und deutschen Rundfunkanstalten zu ermöglichen. 
182    Bestimmte Merkmale der Ad-hoc-Finanzierungen ähneln zwar in gewisser Hinsicht Mechanismen, die in der Vergangenheit bestanden haben, oder denen bestimmter jährlicher Zahlungen. Trotzdem belegen die Merkmale der Ad-hoc-Zahlungen insgesamt, dass es sich um eine neue Beihilfe handelt, die sich von der im Jahr 1958 eingerichteten Regelung trennen lässt. Das schließt ihre Angliederung an eine bestehende Beihilfe aus [...]"
Vor diesem Hintergrund könnte man durchaus Zweifel haben, ob der in Österreich 2010 neu eingeführte direkte staatliche Zuschuss an den ORF für die Jahre 201 bis 2013 tatsächlich keine wesentliche Änderung der bestehenden Beihilfe darstellt; umso mehr muss der ORF den österreichischen Verhandlern im Beihilfenverfahren dankbar sein, dass die Kommission in ihrer Einstellungsentscheidung diese Änderung bereits akzeptiert hat (Abs. 241 der Entscheidung: "Gestützt auf die Randnummern 29 bis 31 der Rundfunkmitteilung von 2009 teilt die Kommission die Ansicht Österreichs, dass dieser Ausgleich keine wesentliche Änderung der bestehenden Beihilferegelung bewirken wird").

Zurück zum aktuellen Urteil: bemerkenswert finde ich schließlich noch, dass das Gericht die (hier noch relevante alte) Rundfunkmitteilung der Kommission de facto wie eine verbindliche Rechtsquelle behandelt (zB in RNr 216: "Nach den Nrn. 57 und 58 der Mitteilung über den Rundfunk ist die Kommission ... zu Recht von dem Grundsatz ausgegangen, dass ...").

Update:  Rechtsmittel gegen das Urteil des EuG sind beim EuGH zu C-104/11 P Stichting Nederlandse Publieke Omroep (früher: NOS) / Kommssion, und C-105/11 P Niederlande / Kommission anhängig. 
Update 07.08.2012: die Rechtssachen wurden mit Beschluss des EuGH nach Zurückziehung der Rechtsmittel aus dem Register gestrichen.