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Thursday, November 23, 2017

EGMR: Standard gegen Österreich - "Spiritus Rector einer Bespitzelungsaktion" ist Tatsachenbehauptung, nicht Werturteil

In der Kärntner Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft (KABEG) ist es nicht immer ruhig zugegangen, gerade in Personalangelegenheiten. Vor allem die Ära der KABEG-Vorständin Manegold (2010 bis 2013) beschäftigte vielfach Zivil- und Strafgerichte (nur ein paar beispielhafte Medienberichte: hier, hier, hier, hier, hier, hier; ein Ende ist noch immer nicht absehbar).

KABEG-"Spitzelaffäre"
Nur ein kleiner Nebenstrang all dieser Konflikte landete jetzt vor dem EGMR: die KABEG-Vorständin soll - so stand das in einem Vorstandsprotokoll - "vorsorglich einen Informanten" in eine Betriebsversammlung von Ärzten einer KABEG-Krankenanstalt entsandt haben. Über diese Spitzelaffäre wurde in den Medien berichtet (zB Presse, orf.at); im Artikel des Standard stand zusätzlich noch, dass "als Spiritus Rector der Spitzelaktion KABEG-Aufsichtsratschef Kurt S. [damals Fraktionsführer der Freiheitlichen Partei in Kärnten] vermutet" werde; dieser habe auch auf Journalisten im Zusammenhang mit kritischen Berichten über die KABEG Druck ausgeübt (der - um diese Passagen bereinigte - Standard-Artikel ist hier zu finden).

Nationales Verfahren
Kurt S. zog vor Gericht und hatte Erfolg: das OLG Wien sah im Vorwurf, "Spiritus Rector" - im Sinn von Ideengeber - einer Bespitzelungsaktion gewesen zu sein, einen konkreten (und rufschädigenden) Verhaltensvorwurf, nicht aber eine politische Bewertung. Da der Standard keinen Wahrheitsbeweis für den Vorwurf angeboten hatte, und daher eine unwahre ehrverletzende Tatsachenbehauptung vorlag, wurde Kurt S. eine Entschädigung von jeweils 1.500 € (für die Print- bzw. Online-Veröffentlichung) zugesprochen (Urteilsveröffentlichung des erstinstanzlichen Urteils auf derstandard.at). Ein dagegen erhobener Erneuerungsantrag an den OGH blieb erfolglos (OGH 26.06.2013, 15 Os 34/13h).

Im zivilgerichtlichen Verfahren drang Kurt S. mit seinem auf § 1330 ABGB gestützten Unterlassungsbegehren ebenfalls durch. Die Entscheidung des Strafgerichts im Verfahren nach dem Mediengesetz wurde nach der ständigen Rechtsprechung des OGH als für das Zivilverfahren bindend erachtet; das OLG Wien ließ daher auch die Revision an den OGH nicht zu.

EGMR-Urteil
Die Medieninhaberin des Standard erhob gegen beide Entscheidungen Beschwerde an den EGMR; dieser hat mit dem heute verkündeten Urteil Standard Verlagsgesellschaft mbH gegen Österreich (Appl. nos. 19068/13 und 73322/13) darüber entschieden. Das Urteil erging in einem nach Art. 28 EMRK gebildeten Ausschuss, d. h. in einem aus drei RichterInnen gebildeten Senat auf der Grundlage gefestigter Rechtsprechung des EGMR.

- Zulässigkeit
Der Einwand der österreichischen Regierung, im zivilgerichtlichen Verfahren sei der innerstaatliche Instanzenzug nicht ausgeschöpft worden, verfing nicht: der EGMR akzeptierte, dass nach der ständigen Rechtsprechung des OGH im Zivilverfahren die Frage der Bedeutung der hier strittigen Aussage nicht mehr überprüft werden hätte können (OGH 23.11.2000, 6 Ob 265/00i), sodass keine Verpflichtung zur Erhebung einer (diesbezüglich jedenfalls aussichtslosen) außerordentlichen Revision bestand.

Damit liegt hier der irgendwie doch bemerkenswerte Fall vor, dass im Strafverfahren ein Rechtsbehelf, den es hier nach dem Wortlaut des Gesetzes gar nicht gibt (Erneuerungsantrag nach § 363a StPO) als wirksames Rechtsmittel angesehen wird, das zur Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges ergriffen werden muss (siehe die Entscheidung ATV Privatfernseh-GmbH gegen Österreich). Demgegenüber muss im Zivilverfahren ein nach dem Gesetz bestehendes Rechtsmittel (außerordentliche Revision) - weil nach der Rechtsprechung hier aussichtslos - nicht ergriffen werden.

- Prüfung nach Art. 10 EMRK
Unstrittig lagen Eingriffe in das Recht auf freie Meinungsäußerung vor, die gesetzlich vorgesehen waren (§ 111 StGB, § 6 Mediengesetz, § 1330 ABGB) und einem legitimen Ziel - dem Schutz der Rechte und des guten Rufs anderer - dienten. Strittig war, ob die Eingriffe in einer demokratischen Gesellschaft notwendig waren, wobei es vor allem darum ging, ob der Begriff "Spiritus Rector" hier als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen war.

Der EGMR verweist zunächst wieder auf die in seiner Rechtsprechung (insbesondere Axel Springer AG [im Blog hier], Von Hannover (Nr. 2) [im Blog hier] und Couderc und Hachette Filipacchi) aufgestellten Kriterien für die Abwägung zwischen den nach Art. 8 und nach Art. 10 EMRK jeweils geschützten Rechten, handelt diese aber dann nur sehr kursorisch ab, zumal es hier letztlich doch nur um die Qualifikation der konkreten Aussage geht. Der EGMR stellt aber außer Frage, dass die Rolle eines Politikers im Zusammenhang mit einer Bespitzelungsaktion im öffentlichen Gesundheitswesen eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ist. Außerdem sind die Grenzen der hinzunehmenden Kritik bei einer public figure, wie hier Kurt S., im Allgemeinen weiter als bei einer Privatperson. Dies gilt allerdings nicht bei unwahren ehrverletzenden (Tatsachen-)Behauptungen ohne Tatsachengrundlage.

Der EGMR sieht keinen Anlass, im vorliegenden Fall nicht den nationalen Gerichten zu folgen, wonach die "Spiritus Rector"-Behauptung von den Lesern dahin verstanden werden musste, dass Kurt S. eine aktive Rolle in dieser Bespitzelungsaktion gespielt habe. Dies sei eine Tatsachenbehauptung, die einem Wahrheitsbeweis zugänglich sei. Dass Kurt S. mit anderen Bespitzelungsaktionen in Zusammenhang gebracht worden sei, könne nicht als Beweis einer Verwicklung im konkreten Fall gesehen werden.

Der EGMR beurteilt den Eingriff auch als verhältnismäßig, sowohl im Hinblick auf die vergleichsweise niedrige Entschädigung als auch auf die Unterlassungsverpflichtung. Auch dass das Zivilgericht an die strafgerichtliche Entscheidung gebunden war, stört den EGMR nicht:
In the Court’s view this issue does not raise concerns because the two sets of proceedings related to the very same factual basis and parties, and the subject matter of the injunction proceedings did not require any assessment of facts or law beyond the subject matter of the proceedings under the Media Act.
[Update: siehe nun auch den Beitrag von Emma Foubister auf Inforrm's Blog]

Tuesday, October 25, 2016

EGMR: Verlagsgruppe News gegen Österreich: identifizierender Bericht über Treasurer der Hypo Alpe-Adria zulässig

Mit seinem heutigen Urteil im Fall Verlagsgruppe News GmbH gegen Österreich (Appl. no. 60.818/10) stellte der EGMR erstmals seit drei Jahren wieder eine Verletzung des Art. 10 EMRK durch Österreich fest. Die Entscheidung ist insofern nicht überraschend, als der EGMR in einem sehr ähnlichen Fall bereits 2012 eine Verletzung festgestellt hatte - damals war es um den selben von identifizierender Verdachtsberichterstattung betroffenen Bankmanager, aber um eine anders Medium gegangen. Bemerkenswert am heute entschiedenen Fall ist allerdings, dass es erstmals auch nach einer Entscheidung des Medien-Fachsenats am OGH zu einer Verurteilung Österreichs durch den EGMR gekommen ist.

Ausgangsfall
Der Ausgangsfall begann vor mehr als zehn Jahren. In seiner Ausgabe vom 10.04.2006 veröffentlichte das Magazin profil einen Artikel mit dem Titel "Schwere Hypothek", in dem über enorme Verluste der Hypo Alpe-Adria Bank aus Spekulationsgeschäften berichtet wurde. Der Artikel enthielt Kritik am Bankvorstand, nannte aber auch den Treasurer der Bank mit vollem Namen. Wörtlich hieß es in diesem Artikel unter anderem:
Als das Alarmsystem anschlug, hatte die Katastrophe längst ihren Lauf genommen. Am Mittwoch, dem 17. November 2004, zeigte das zur Risikosteuerung und -kontrolle eingesetzte Softwareprogramm in der Zentrale der Hypo Alpe-Adria-Bank in Klagenfurt an sämtlichen zuständigen Stellen des Hauses genau jene Daten, die Managern eines Kreditinstituts gemeinhin den kalten Schweiß auf die Stirn treiben: horrende Verluste im Veranlagungsgeschäft. [...]
Der für die Transaktionen verantwortlich zeichnende Treasury-Manager Christian Rauscher wurde daraufhin umgehend von seinem Arbeitsplatz verbannt. (Der Sohn des ehemaligen SPÖ-Finanzlandesrats Max Rauscher war für profil für eine Stellungnahme nicht erreichbar.) [...] Gegen Rauscher laufen beim Landesgericht Klagenfurt (Aktenzahl 3 St 79/06x) Vorerhebungen wegen Verdachts der Untreue, gegen den Vorstand steht der Vorwurf der unrichtigen Darstellung der Jahresabschlüsse, kurz gesagt der Bilanzfälschung, im Raum. [...]
Die inkriminierten Transaktionen wurden allesamt zwischen 20. September und 5. Oktober 2004 getätigt. Rauscher soll dabei laut Darstellung von Hypo-Boss Kulterer entgegen den Vorgaben mittels so genannter Swaps auf eine hochexplosive Mischung zweier Entwicklungen an den Finanzmärkten gesetzt haben: einerseits auf fallende Zinsen, andererseits auf einen Anstieg von Dollar und Yen gegenüber dem Euro.
Der genannte Treasury-Manager beantragte die Zuerkennung einer Entschädigung nach § 7a Abs. 1 Mediengesetz (Schutz vor Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen). Das Landesgericht für Strafsachen Wien wies seinen Antrag ab, das OLG Wien als Berufungsgericht drehte die Entscheidung jedoch um. Es sprach aus, dass durch die Veröffentlichung, "in der mehrmals der Name des Antragstellers Christian R***** als einer gerichtlich strafbaren Handlung Verdächtiger im Zusammenhang mit Spekulationsverlusten der H*****-Bank genannt wurde, Angaben über die Identität des Antragstellers veröffentlicht wurden, die geeignet sind, in einem nicht unmittelbar informierten größeren Personenkreis zum Bekanntwerden seiner Identität zu führen, wodurch seine schutzwürdigen Interessen verletzt wurden, ohne dass wegen seiner Stellung in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden hat."
Die Medieninhaberin des profil, die Verlagsgrupep News GmbH, wurde gemäß § 7a Abs 1 Mediengesetz zur Zahlung einer Entschädigung von 3.000 € verpflichtet.

Die Medieninhaberin stellte einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens (entsprechend der Rechtsprechung, die in solchen Fällen eine analoge Anwendung des § 363a StPO zulässt), blieb damit aber erfolglos. Mit Beschluss vom 17.03.2010, 15 Os 95/09y, wies der OGH - in dem für "Fachsachen nach dem Mediengesetz" zuständigen Senat - den Erneuerungsantrag zurück.

Der OGH hielt fest, dass eine identifizierende Berichterstattung nur zulässig ist, "wenn und soweit dem Namen bzw sonstigen Identitätsmerkmalen des (hier:) Verdächtigen ein eigenständiger Informations- oder Nachrichtenwert zukommt. Dieser Informationswert muss, um die Zulässigkeit einer identifizierenden Berichterstattung zu begründen, das schutzwürdige Anonymitätsinteresse des Betroffenen überwiegen." Für den konkreten Fall kam der OGH zum Ergebnis, dass das OLG Wien die Abwägung korrekt vorgenommen habe. Zu berücksichtigen sei auch, dass erst eine "frühe Verdachtslage" vorgelegen sei, weil der Artikel schon fünf Tage nach Einlangen der Anzeige der Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) - die, darauf legt der OGH wert, "keine Strafverfolgungsbehörde ist" - veröffentlicht wurde (die Vorerhebungen gegen den Treasurer wurden erst sechs Wochen nach der Veröffentlichung eingeleitet; das Strafverfahren gegen ihn übrigens später gänzlich eingestellt). Der Hinweis auf die politische Funktion des Vaters des Verdächtigten sei thematisch nicht begründet gewesen. Dem Magazin, so hatte bereits das OLG Wien argumentiert, wäre die Möglichkeit "einer zwar investigativen, jedoch anonymitätswahrenden Reportage" offen gestanden, die Offenlegung des vollen Namens habe der bereits gebotenen Information nichts von öffentlichem Interesse hinzugefügt.

Das Urteil des EGMR
Das Ergebnis des EGMR überrascht nicht, weil - wie erwähnt - ein Parallelfall schon im selben Sinn vom EGMR entschieden wurde (Standard Verlags GmbH gegen Österreich [Nr. 3]). Damals ging es ebenfalls um eine Entschädigung wegen identifizierender Verdachtsberichterstattung nach § 7a Mediengesetz, die dem Treasurer der Hypo Alpe-Adria Bank vom OLG Wien zugesprochen worden war. Das Urteil des OLG Wien in jenem Fall datierte vom 14.02.2007, also noch vor der Rechtsprechung des OGH, die in solchen Fällen seit August 2007 einen Erneuerungsantrag an den OGH in analoger Anwendung des § 363a StPO zulässt. Die Beschwerde der Medieninhaberin des Standard lag dem EGMR somit schon deutlich früher - im August 2007 - vor, und der EGMR entschied "schon" im Jänner 2012, dass die Gründe, die das OLG Wien für die Zuerkennung der Entschädigung gefunden hatte, zwar "relevant", aber nicht "ausreichend" waren (mehr dazu im Blog hier; s. auch den Bericht des Standard über das EGMR-Urteil).

In seinem heutigen Urteil im Fall Verlagsgruppe News GmbH gegen Österreich (Appl. no. 60.818/10) kommt der EGMR (einstimmig) zum selben Ergebnis. Unstrittig war, dass ein Eingriff in das nach Art. 10 EMRK geschützte Recht vorlag, und dass dieser Eingriff auf Gesetz beruhte und einem legitimen Ziel diente. Zu prüfen war daher nur mehr, ob der Eingriff im Sinne des Art. 10 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft unentbehrlich war.

Der EGMR verweist auf das Urteil im Fall Standard Verlags GmbH (Nr. 3), dem ein "einigermaßen ähnlicher" Sachverhalt zugrunde lag. Dennoch müsse der konkrete Einzelfall analysiert werden: "Even so, the Court emphasises that an examination of the case may lead to different conclusions as certain of the criteria of assessment defined by the Court’s case-law depend heavily on an assessment of the specific publication and the conduct of its author." (Abs. 37)

Allzu große Mühe macht sich der EGMR dann aber doch nicht mit der Einzelfallprüfung: er geht zwar der Reihe nach die "Caroline-Kriterien" durch (siehe dazu vor allem die Urteile der Großen Kammer Von Hannover Nr 2 [im Blog dazu hier], Axel Springer AG [im Blog dazu hier] und Couderc und Hachette Filipacchi Associés), bleibt dabei aber meist recht knapp:

- Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse Anders als der Beitrag im Standard behandelte der hier zu beurteilende Artikel nicht die Verbindungen zwischen der Politik und den Verlustgeschäften der Bank, sodass die Berichterstattung nicht schon aus diesem Grund zu einer Debatte von allgemeinem Interesse beigetragen hat. Der EGMR verweist aber darauf, dass der Betroffene als Leiter der Treasury-Abteilung einer fast zur Hälfte im Eigentum des Landes Kärnten stehenden Bank für diese Bank Verträge über viele Millionen Euro eingehen konnte, wobei die Steuerzahler für einen Großteil der daraus entstandenen Verluste aufkommen müssen. Und auch wenn die FMA - wie der OGH betont hatte - keine Strafverfolgungsbehörde ist, so ist sie doch die wesentliche Aufsichtsbehörde über den Bankensektor, und sie hatte ausreichende Gründe für eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft gefunden. Damit kam der EGMR zum Ergebnis, dass der Artikel einen Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse leistete.

- Bekanntheit der Person, über die berichtet wird Der Betroffene war keine Person des öffentlichen Lebens und auch niemand, der das Licht der Öffentlichkeit gesucht hatte. Der EGMR begnügt sich hier mit dem Hinweis, dass die Frage, ob es sich beim Betroffenen um eine "public figure" handle, nur eines von mehreren Kriterien ist.

- Methode der Informationsbeschaffung und Wahrheitsgehalt des Berichts
Die Richtigkeit des Artikels war nicht strittig. Auch die Methoden der Informationsbeschaffung wurden nicht in Streit gezogen. Die Identität des Betroffenen war zum Veröffentlichungszeitpunkt zudem schon aufgrund anderer Berichte bekannt.

- Form und Folgewirkungen der Veröffentlichung,
Der Betroffene hatte schwere Auswirkungen des Berichts auf sein Privat- und Berufsleben behauptet. Das OLG Wien hatte allgemein Auswirkungen auf sein privates und berufliches Leben anerkannt. Im Verfahren vor dem EGMR wurde das nicht näher thematisiert, der EGMR nimmt hier einfach an, dass der Artikel einen signifikanten Effekt auf das Privatleben und die berufliche Position des Betroffenen gehabt haben muss.

- Schwere der Sanktionen
Die dem Betroffenen zugesprochene Entschädigung von 3.000 € ist, so der EGMR, "weder symbolisch noch vernachlässigbar."

- Ergebnis
Auch beim Ergebnis verliert der EGMR nur wenige Worte und formuliert fast wortgleich wie im "Standard"-Urteil:
49. In sum, the Court finds that the reasons given by the domestic courts were “relevant” but not “sufficient”. The Court therefore considers that the domestic courts have exceeded the narrow margin of appreciation afforded to them regarding restrictions on debates of public interest. It follows that the interference with the applicant company’s right to freedom of expression was not “necessary in a democratic society”.
50. Consequently, there has been a violation of Article 10 of the Convention.
PS [Update 15.11.2016]: siehe zu diesem Urteil nun auch den Beitrag von Holger Hembach auf Telemedicus.

Friday, September 23, 2016

"Communicated Cases": beim EGMR anhängige Verfahren zu Art. 10 EMRK (Schwerpunkt Österreich, Schweiz, Deutschland)

Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Beschwerde näher in Prüfung zieht, teilt er die Beschwerdegründe dem betroffenen Staat mit dem sogenannten "statement of facts" ("exposé des faits") mit, verbunden mit mehr oder weniger (meist weniger) detaillierten Fragen. Diese statements of facts sind seit 2008 auf der Website des EGMR zugänglich. In den vergangenen Jahren habe ich diese statements of facts, soweit sie behauptete Verletzungen des Art. 10 EMRK betreffen, lose verfolgt und die mir interessant erscheinenden Fälle in eine - mit den statements verlinkten - Liste aufgenommen, die ich an das Ende dieses Beitrags stelle.

Diese Liste enthält natürlich Fälle von höchst unterschiedlicher Bedeutung, wobei man das im vorhinein auch kaum verlässlich einschätzen kann. Zudem werden nicht alle Fälle letztendlich auch mit einem Urteil oder einer Entscheidung des EGMR in der Sache enden: manchmal kommt es zu einer Einigung zwischen BeschwerdeführerIn und betroffenem Staat oder die Beschwerde wird zurückgezogen. In solchen Fällen wird das Verfahren aus dem Register gestrichen, die vielleicht spannenden Rechtsfragen bleiben vom EGMR unbeantwortet (die Sache kann auch gestrichen werden, wenn der Staat die Verletzung anerkennt und Kosten und eine allfällige Entschädigung leistet; siehe zuletzt etwa die Entscheidung vom 30.08.2016, Telegraaf Media Nederland Landelijke Media B.V. und van der Graaf gegen die Niederlande).

Und weil die Gesamtliste ziemlich unübersichtlich und schlicht chronologisch geordnet ist, möchte ich hier - schon aufgrund der Leserschaft dieses Blogs - zunächst einmal die Verfahren gegen Österreich, die Schweiz und Deutschland hervorheben. [Ein weiterer Blogbeitrag mit einer Übersicht über ausgewählte andere aus meiner Sicht spannende Verfahren aus der Gesamtliste ist hier zu finden.]

Vorweg ist noch anzumerken, dass vom Einlangen der Beschwerde beim EGMR bis zur Mitteilung an den betroffenen Staat mehrere Jahre vergehen können. Es können also durchaus schon höchst interessante Beschwerden beim EGMR eingelangt sein, über die noch keine Mitteilung an den betroffenen Staat ergangen ist. Auch zwischen der Mitteilung und der Entscheidung des Falles liegt übrigens fast immer deutlich mehr als ein Jahr (in manchen Fällen sind es auch schon einmal fünf Jahre).

Verfahren gegen Österreich
  • Auskunftspflichten für Telekombetreiber: Schon verhältnismäßig lange anhängig und auch schon lange mitgeteilt sind zwei Beschwerden, die sich - vor allem unter dem Blickwinkel des Art. 8, aber auch des Art. 10 EMRK - gegen die Auskunftsverpflichtungen von Telekommunikationsunternehmen nach § 53 Abs 3a und 3b SPG richten; auch die Frage, ob den BeschwerdeführerInnen ein wirksames innerstaatliches Rechtsmittel zur Verfügung stand, wird dabei thematisiert (Individualanträge an den VfGH waren mit Beschlüssen vom 01.07.2009 zurückgewiesen worden). Es handelt sich um die Fälle Ringler gegen Österreich (Appl. no. 2309/10) und Tretter ua gegen Österreich (Appl. no. 3599/10), beide mitgeteilt am 06.05.2013.
  • Herabwürdigung religiöser Lehren: Elisabeth Sabaditsch-Wolff sieht sich durch ihre Verurteilung wegen Herabwürdigung religiöser Lehren aufgrund von Vorträgen über "Grundlagen des Islam" am Bildungsinstitut der FPÖ (siehe zuletzt OGH vom 11.12.2013) in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt: E.S. gegen Österreich (Appl. no 38450/12; mitgeteilt am 16.12.2015) [Update: siehe das Urteil vom 25.10.2018].
  • Kärnten-Fälle - Hypo und KABEG: zwei anhängige Fälle nahmen ihren Ausgang in Kärnten. Der Standard bezeichnete ein Den Aufsichtsratschef der KABEG als "spiritus rector" einer Bespitzelungsaktion anlässlich einer Betriebsversammlung und wurde von diesem innerstaatlich erfolgreich verklagt. Der Standard scheiterte auch mit einem Erneuerungsantrag vor dem OGH (Beschluss vom 26.06.2013) und will nun vom EGMR wissen, ob dadurch die Pressefreiheit verletzt wurde: Standard Verlagsgesellschaft mbH gegen Österreich (Appl. nos. 19068/13 und 73322/13; mitgeteilt am 16.12.2015). [Update: zum Urteil vom 23.11.2017 siehe im Blog hier.]
    Mit einer "schweren Hypothek" hat der zweite Fall zu tun, hier ging es um die namentliche Nennung des Treasury-Vorstands der Hypo in einem naturgemäß eher kritischen Beitrag im profil; der Vorstand erhielt wegen identifizierender Berichterstattung nach § 7a MedienG eine Entschädigung zugesprochen. Die Medieninhaberin blieb mit einem Erneuerungsantrag beim OGH erfolglos (Beschluss vom 17.03.2010). Da in einem vergleichbaren Fall - ebenfalls diesen Treasury-Vorstand betreffend - vom EGMR bereits eine Verletzung des Art. 10 EMRK festgestellt wurde (siehe im Blog hier), dürfte auch in diesem Fall ein gleichgerichtetes Urteil zu erwarten sein (falls man sich nicht vorher einigt): Verlagsgruppe News GmbH gegen Österreich (Appl. no. 60818/10; mitgeteilt am 16.10.2013). [Update 25.10.2016: zum Urteil des EGMR vom 25.10.2016 in dieser Sache im Blog hier.]
  • Namen und Titel: in einer Gesellschaft, die auf Titel Wert legt, ist vielleicht auch das Anliegen eines Juristen verständlich, der nach einer Namensänderung auch einen neuen Sponsionsbescheid und eine neue Sponsionsurkunde mit dem geänderten Namen erhalten möchte, was ihm innerstaatlich nicht gewährt wurde (zuletzt mit einem Erkenntnis des VwGH); nun versucht er es beim EGMR, wo der Fall, obwohl auf Art. 8 EMRK gestützt, auch unter Art. 10 EMRK geführt wird: P.R. gegen Österreich (Appl. no. 200/15); mitgeteilt am 03.05.2016.
Verfahren gegen die Schweiz
Verfahren gegen Deutschland

Übersicht über anhängige "Communicated Cases" (den Konventionsstaaten mitgeteilte Fälle) zu Art. 10 EMRK
[mehr nach dem break]

Thursday, May 19, 2016

Medien als Wach- oder Jagdhunde? EGMR zur Veröffentlichung eines alten Gutachtens über psychische Probleme einer Gerichtssachverständigen für Psychologie (Fürst-Pfeifer gegen Österreich)

Muss eine Gerichtssachverständige für Psychologie hinnehmen, dass in einer Zeitung (und online) ein 15 Jahre altes Gutachten thematisiert wird, in dem ihr psychische Probleme attestiert wurden? Zwei österreichische Oberlandesgerichte und nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte haben die Frage bejaht (Urteil vom 17. Mai 2016, Fürst-Pfeifer gegen Österreich, Appl. nos. 33677/10 und 52340/10); die österreichischen Untergerichte und immerhin drei der sieben Mitglieder der entscheidenden Kammer des EGMR waren anderer Ansicht.

Der Fall zeigt exemplarisch die oft schwierige Gratwanderung zwischen dem Schutz des guten Rufs einerseits und der Freiheit der Meinungsäußerung andererseits. Was ein Richter, der sich der Mehrheitsmeinung anschließt, in seinem Separatvotum als "unbestreitbar klar" ansieht, sieht die abweichende Meinung zweier anderer Richter als "einseitiges, unausgewogenes und fundamental ungerechtes Urteil." 

Der Ausgangsfall
Die Beschwerdeführerin vor dem EGMR ist seit dem Jahr 2000 als "allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige für Familien-, Kinder- und Jugendpsychologie" tätig und wurde von Gerichten ua in Sorge- und Besuchsrechtsstreitigkeiten herangezogen. Am 23. 12. 2008 wurde im Bezirksblatt und auf "meinbezirk.at" ein Artikel mit der Überschrift "Gutachterqualität im Visier" veröffentlicht; Untertitel: "Aufgedeckt: NÖ Sorgerechts-Sachverständige selbst ein Therapie-Fall". Weiter hieß es in diesem Artikel:
Sich abwechselnde Hoch- und Tiefphasen, Panikattacken, Selbstmordgedanken, optische, mit paranoiden Ideen gekoppelte, Erscheinungen – und doch als, von Gerichten bestellte, Gutachterin tätig, die in den letzten zwölf Jahren rund 3.000 Elternpaaren bei Sorgerechts-Streitereien auf den Zahn fühlte. Jetzt scheint‘s für die [Beschwerdeführerin] aber eng zu werden: Tauchte doch nun ein, ihre Psyche bewertendes, Gutachten auf ...
Besagtes Gutachten stammt aus dem Jahre 1993, wurde im Zuge eines Zivilprozesses von der Wiener Neurologin [Dr. M.] erstellt (Klage auf Grund eines, von [der Beschwerdeführerin] angeblich gebrochenen, Heiratsversprechens) – und förderte die, bereits eingangs erwähnten, Defizite zutage. Zudem kam [Dr. M.] zum Schluss, die Psychosen [der Beschwerdeführerin] seien erblich bedingt, zeige die Familien-Historie doch eine Häufung des Krankheitsbildes.
Drei Jahre später wurde [die Beschwerdeführerin] vom Wiener Neustädter Landesgericht in die Gutachter-Szene eingeführt, ihre Integrität stand über eine Dekade nicht zur Debatte – bis jetzt.
Danach folgten im Artikel Aussagen eines Parteimitglieds der Grünen, der Anzeige gegen die Beschwerdeführerin erstattet hatte, der Kinder- und Jugendanwältin des Landes und des Vizepräsidenten des LG Wiener Neustadt. Der Artikel endete mit dem Hinweis, dass die Beschwerdeführerin nicht mehr telefonisch erreichbar sei und sich aus sämtlichen Fällen zurückgezogen habe.

In der Folge wurde, so der EGMR, ein Verfahren zur Überprüfung der weiteren Eignung der Beschwerdeführerin als Gerichtssachverständige eingeleitet [dabei ist, wie in der abweichenden Meinung ausgeführt wird, ebenso nichts herausgekommen wie bei der Strafanzeige].

Die Beschwerdeführerin begehrte beim LG St. Pölten (wegen der Online-Veröffentlichung) und beim LG Innsbruck (wegen der Print-Publikation) eine selbständige Entschädigung nach § 8a Mediengesetz wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs (§ 7 Mediengesetz). Beide Landesgerichte gaben ihren Anträgen statt. Im Rechtsmittelverfahren wurden die Entscheidungen vom OLG Wien und OLG Innsbruck jeweils umgedreht und die Anträge der Beschwerdeführerin abgewiesen, im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Tätigkeit der Gerichtssachverständigen der öffentlichen Sphäre zuzuordnen sei; die Presse habe ihre Aufgabe als public watchdog erfüllt (und wahrheitsgemäß berichtet).

Das Urteil des EGMR
Die Beschwerdeführerin machte vor dem EGMR geltend, dass die österreichischen Gerichte ihre Verpflichtung zum Schutz des Privatlebens (Art 8 EMRK) verletzt hätten.

- Zur Zulässgkeit
Die österreichische Regierung wandte ein, dass kein Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens (§ 363a StPO) gestellt und der Instanzenzug somit nicht ausgeschöpft worden sei. Das lässt der EGMR nicht gelten: anders als im Fall ATV Privatfernseh-GmbH wurde die Beschwerde hier ja von der Antragstellerin, nicht vom Antragsgegner erhoben, und Antragsteller im selbstständigen Entschädigungsverfahren können keinen Erneuerungsantrag stellen (siehe zB OGH 26.06.2008, 15 Os 41/08f).

- Abwägung Art 8 / Art 10 EMRK
Die inhaltliche Entscheidung des EGMR, die von der knappen Mehrheit von 4 RichterInnen getragen wird (Sajó, Zupančič, Tsotsoria, Kucsko-Stadlmayer), ist recht knapp ausgefallen.

Der EGMR weist zunächst allgemein auf die positiven Verpflichtungen der Konventionsstaaten zum Schutz der durch Art 8 EMRK garantierten Rechte hin (Urteil Karakó), dass der Schutz des Privatlebens unter anderem gegen die Freiheit der Meinungsäußerung abgewogen werden muss (Urteil Węgrzynowski and Smolczewski; im Blog dazu hier), und dass der Beurteilungsmaßstab grundsätzlich derselbe sein muss, egal ob der EGMR nach Art 8 EMRK oder nach Art 10 EMRK angerufen wird (Urteile Axel Springer AG - im Blog dazu hier - und Von Hannover (Nr. 2), im Blog dazu hier). Wurde die derartige Abwägung ("balancing exercise") von den nationalen Behörden/Gerichten in Übereinstimmung mit den vom EGMR entwickelten Kriterien vorgenommen, bräuchte es besonders starke Gründe für den EGMR, seine Beurteilung an die Stelle der Beurteilung durch die nationalen Gerichte zu setzen, es besteht für diese daher ein großer Spielraum ("wide margin"; Urteil Delfi AS).

Die eigentliche Auseinandersetzung mit dem konkreten Fall findet sich in den Absätzen 43 bis 47 des Urteils. Der EGMR hält fest, dass die Information über den psychischen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin aus dem Gutachten einer gerichtlich bestellten Sachverständigen in einem öffentlichen zivilrechtlichen Gerichtsverfahren stammte. Zudem - wie die zitierten Stellungnahmen zeigten - habe dieses Gutachten bereits "politische Reaktionen" ausgelöst und sei damit Teil einer laufenden öffentlichen Debatte gewesen. Der Artikel habe sich nicht auf laufende Gerichtsverfahren bezogen, sondern auf die Frage, ob der psychische Zustand der Beschwerdeführerin ihrer Ernennung zur Sachverständigen entgegenstehen würde. Die Beschwerdeführerin habe nie geltend gemacht, dass das Gutachten auf ungesetzliche Weise besorgt worden sei, auch sei der Wahrheitsgehalt des Artikels nie bestritten worden.

Der EGMR meint auch, dass der Inhalt des Artikels ausgewogen gewesen sei; er habe über Tatsachen berichtet und nicht nur auf die Befriedigung öffentlicher Neugier abgezielt. Abgesehen von einer "catchy" Sub-Headline seien nur Tatsachen und Kommentare Dritter enthalten gewesen.

Schließlich hält der EGMR fest, dass eine ernsthafte Debatte über die psychische Gesundheit einer Gerichtssachverständigen für Psychologie, hervorgerufen durch einen begründeten Verdacht, als Debatte von allgemeinem Interesse anzusehen ist. Es darf keinen Zweifel an der geistigen Eignung einer solchen Sachverständigen geben, um das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit aufrechtzuerhalten. Der EGMR sieht keine starken Gründe, zu einer anderen Beurteilung zu kommen als die nationalen Gerichte, wonach die Beschwerdeführerin, die häufig im sehr sensiblen Gebiet der Kinderpsychologie zur Sachverständigen bestellt wurde, ähnlich wie eine Beamtin in Ausübung ihres Amts zu behandeln ist. Da der Artikel auch keine beleidigenden oder ausfälligen Attacken enthielt, sei es auch nicht notwendig gewesen, die Beschwerdeführerin im Sinne der Rechtsprechung (Urteil Janowski) vor derartigen Angriffen zu schützen.

Der EGMR kommt damit zum Ergebnis, dass die Entscheidungen des OLG Wien und des OLG Innsbruck einen fairen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen gefunden haben.

- Zustimmendes Sondervotum des Richters Zupančič
Der slowenische Richter Zupančič stimmt dem Ergebnis der Mehrheit zu, würde es aber im Aufbau und Fokus anders angehen. Er sieht den Ursprung des Problems in der Frage, ob die österreichischen Behörden die "psychologische Fitness" der Beschwerdeführerin nicht ab initio hätten prüfen müssen, zum Zeitpunkt ihrer "Ernennung" zur Gerichtssachverständigen. Wäre das geschehen, so stünde man nicht vor dem aktuellen Problem. [Ich kann dem Richter dabei nicht folgen: es steht nirgends im Urteil, dass eine entsprechende Prüfung nicht stattgefunden hätte - für die Eintragung in die Gerichtssachverständigen-Liste ist immerhin Voraussetzung, dass man körperlich und geistig geeignet ist (§ 2 Abs 2 SDG); das Auftauchen eines früheren Gutachtens besagt auch nicht, dass zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Liste die Voraussetzungen nicht gegeben gewesen wären, und die Beschwerdeführerin ist ja auch nach dem Bekanntwerden des alten Gutachtens schließlich nicht von der Liste gestrichen worden].

Weiters hebt Richter Zupančič hervor, dass alle Sorgerechts-Verfahren, in denen die Beschwerdeführerin als Sachverständige bestellt war, unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt wurden und angesichts dieser Geheimhaltung die Veröffentlichung des Artikels möglicherweise der einzige Weg gewesen sei, die Öffentlichkeit und die Behörden auf das mögliche Problem aufmerksam zu machen. Das Ziel des Artikels sei das "whistleblowing" gewesen, zumal andere Wege anscheinend ("apparently") nicht offen gestanden seien. [Auch dieser Meinung kann ich nicht folgen: dass tatsächlich die Veröffentlichung des Artikels der einzige Weg des whistleblowing sein hätte können, ergibt sich aus dem Sachverhalt nicht; im veröffentlichten Artikel wird ein (damals) grüner AK-Funktionär - der im Übrigen hier nicht in politischer Funktion tätig wurde, sondern Teil eines Sorgerechtsstreits war - damit zitiert, dass ihm dieses Gutachten erst "vor wenigen Tagen" zugespielt worden wäre, es ist nicht erkennbar, dass die daraufhin erstattete "Anzeige" und Information des Bezirksblatts der einzig geeignete Weg gewesen wäre, eine allenfalls notwendige Untersuchung in Gang zu bringen - gerade die von Zupančič in der Folge zitierte Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zum Schutz von Whistleblowern stellt darauf ab, dass interne Kanäle - für die Meldung von Fehlverhalten, das Menschen gefährdet - nicht existieren oder nicht funktionieren - und dafür gibt es eben im Sachverhalt keinen Anhaltspunkt, nicht umsonst flüchtet sich Zupančič in das Wort "apparently", also eine nicht weiter begründete Annahme].

Zupančič sieht einen ausgewogenen ("well-balanced") Text des Artikels und meint, dass das Ziel der Veröffentlichung sicherlich nicht gewesen sei, den Ruf der Beschwerdeführerin zu beschädigen [mir schiene das angesichts der Unter-Überschrift "Sorgerechts-Sachverständige selbst ein Therapie-Fall" nicht zwingend die einzig mögliche Auslegung]. Abschließend wird noch der Hausverstand bemüht ("a commonsensical addendum"): Kandidaten für jegliche wichtige öffentliche Funktion müssten "beyond reproach" (ohne Tadel) sein; auch der geringste Zweifel an ihrer psychologischen Eignung müsse zur Entfernung schon von der Bewerbung für eine solche Funktion führen. Zupančič sieht die Eintragung als Sachverständige dann auch nicht als Recht, sondern als Privileg, das begründungslos verweigert werden könne! [Ich wäre gespannt, wie der EGMR eine begründungslose Verweigerung der Eintragung allenfalls im Lichte des Art 6 EMRK sehen würde.]

Das Separatvotum endet mit folgendem Satz:
This is one of those rare cases where it is undeniably clear that the public interest of the multiplicity of family-law cases in question, and the consequent freedom of the press, must prevail over the applicant’s right to privacy.
Und wie so oft: je mehr betont wird, dass etwas unbestreitbar sei, desto mehr weckt dies Zweifel und fordert zur Bestreitung geradezu heraus. Diese Herausforderung haben auch die drei in der Minderheit gebliebenen RichterInnen angenommen und sich in zwei getrennten "dissenting opinions" mit ihrer Kritik nicht zurückgehalten.

- Abweichende Meinung der Richter Wojtyczek und Kūris
Die ausführlichere und argumentativ deutlich gewichtigere "dissenting opinion" stammt von den polnischen bzw litauischen Richtern Wojtyczek und Kūris. Sie werfen dem Urteil mehrere schwere Fehler vor: erstens sei es so strukturiert und argumentiert, dass Artikel 10 EMRK faktisch Vorrang vor Artikel 8 gegeben werde. Zweitens werde die Rechtsprechung selektiv und "offhandedly" (unüberlegt) angewendet. Und drittens sei die Argumentation auf eine fehlerhafte Darstellung und fehlerhafte Auslegung der Tatsachen gestützt.

Die beiden Richter konstatieren eine immer dringendere Notwendigkeit, den effektiveren Schutz der Persönlichkeitsrechte gegenüber zunehmend übermächtigen Medien, die unter dem Schutz eines "öffentlichen Interesses" (das häufig simuliert werde) agierten, sicherzustellen, ebenso wie gegenüber
der Beeinträchtigung der Privatsphäre durch Personen, die Medien zum Schaden des Rechts auf Privatleben, als Werkzeug für welche Interessen auch immer zu verwenden suchen. Im Wortlaut:
As time goes by, there must be growing awareness of the increasingly pressing need to ensure more effective protection for personality rights, in particular privacy rights, vis-à-vis a progressively all-powerful media, acting under the aegis of “public interest” (often a simulated one), as well as vis‑à‑vis the impingement on individuals’ privacy rights by those seeking to use the media as a tool for pursuing, to the detriment of privacy rights, whatever interests they may have.
Diese Linie sei vom EGMR im Urteil der Großen Kammer im Fall Bédat (im Blog dazu hier) verfolgt worden, die Mehrheit habe die Ergebnisse des Falls Bédat aber im vorliegenden Fall ignoriert. Im Fall Bédat habe der EGMR die Persönlichkeitsrechte einer Person geschützt, die einer schweren Straftat angeklagt war, bei der Menschen gestorben waren, und die psychische Probleme hatte. Der Vorfall war dort legitimerweise bereits Gegenstand einer lebhaften öffentlichen Debatte gewesen, noch bevor es zur Veröffentlichung kam, durch die in die Privatsphäre des Angeklagten eingegriffen wurde. Demgegenüber habe es im hier entschiedenen Fall vor der Veröffentlichung gar keine öffentliche Debatte über die Arbeit der Beschwerdeführerin gegeben gegeben, geschweige denn eine strafrechtliche Untersuchung. Die Mehrheitsmeinung stehe in schockierend deutlichem Gegensatz zum Urteil Bédat.

Das Minderheitsvotum fordert die Beschwerdeführerin geradezu auf, den Fall an die Große Kammer weiterzuziehen, es gehe nämlich um ein grundlegendes Problem, "the task of looking into which (and of rectifying what is rectifiable) lies with the Grand Chamber." Das Urteil sei nämlich nicht nur in klarem Gegensatz zu Bédat, sondern auch zu etwas, das zunehmend in der Luft liege, im Angesicht einer noch nie dagewesenen Eskalation einer all-durchdringenden rücksichtslosen Information über das Privatleben von Individuen ("what is increasingly in the air, in the face of an unprecedented escalation of all-permeating non‑scrupulous information about individuals’ private lives").

Eine der Antworten des EGMR darauf sei das Konzept des verantwortungsvollen Journalismus ("responsible journalism").
The minimum level of this broader responsibility is somewhat similar to Hippocrates’s “thou shall do no harm” commandment to the medical profession: the media shall do no harm to the community’s general interest, as well as no gratuitous harm to the persons about whom it imparts information. Whereas at times it is not obvious how the first part of this commandment is to be fulfilled (because the general interest may not be understood by all in the same way), the second part is less contradictory: in ethical journalism it is undisputed that what the media publishes or broadcasts may be hurtful, and therefore it should constantly be aware of the impact of its words and images on the lives of others. If this precept is not respected, responsible journalism is an empty phrase. If it is ignored by the Court when examining a case where the freedom of the media comes up against personality rights, then responsible journalism, although often referred to in its case-law, is to be considered not as a principle of the law of the Convention, but a mere decoration. [Hervorhebung hinzugefügt]
Angesichts der ständig wachsenden Möglichhkeiten der Medien, in die Privatsphäre einzudringen, seien von vielen nationalen und internationalen Gerichten Konzepte wie das "right to be left alone" oder jüngst das "right to be forgotten" entwickelt worden. Das gegenständliche Urteil hingegen zeige eine Einstellung, wonach die Freiheit der Medien fast in jedem Fall verletzt würde, wenn Details auch der intimsten Erfahrungen eines Menschen nicht öffentlich bekannt werden dürften.

Das Minderheitsvotum wirft der Mehrheit auch vor, dass sie das Ineinandergreifen von Artikel 8 und Artikel 10 EMRK in einem solchen Fall als Ausrede benützt hätten, um einen "Artikel 8-Fall" in einen Artikel 10-Fall" zu transformieren, auf eine Art, dass die Rechte nach Artikel 8 nur mehr sekundäre Bedeutung hätten. Es scheint, als würde die Mehrheit Artikel 8 als Ausgangspunkt ignorieren: "Thus, the reputation of the individual concerned is treated as something for which the media could not care less, unless there is (most likely ex ante) 'iron' evidence that an individual’s reputation will be unwarrantably damaged by a publication."

Die Mehrheit beschränke sich darauf, zu prüfen, ob die österreichischen Gerichte die Prinzipien des Art 10 EMRK korrekt angewendet hätten. Ob die österreichischen Gerichte auch die Prinzipien des Art 8 EMRK korrekt angewendet hätten, werde demgegenüber nicht erwähnt. Das Urteil verlange "most careful scrutiny" für den Eingriff in das nach Art 10 EMRK geschützte Recht der Presse, aber nicht in gleicher Weise "most careful scrutiny" auch für Eingriffe in Art 8 EMRK.
No balance between the rights protected under Article 8 and those protected under Article 10 is possible if only the latter are scrutinised and if only interference with the latter must be justified by 'particularly strong reasons#, while the former are examined with less attention. There can be no fair balancing exercise if all the weight is placed on one side of the scales while the other is left almost unloaded, especially when the existing case-law contains many arguments in the latter’s favour.
Im dritten Teil der abweichenden Meinung gehen die beiden Richter auf die "Von Hannover"-Kriterien ein (nach dem Urteil Von Hannover (Nr. 2), im Blog dazu hier). Diese Kriterien sind der Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse, die Bekanntheit der Person, über die berichtet wird, und der Gegenstand des Berichts, das frühere Verhalten der Person, der Inhalt, die Form und die Folgewirkungen der Veröffentlichung und (hier nicht relevant) die Umstände, unter denen Fotos aufgenommen wurden. Im vorliegenden Urteil seien diese Kriterien entweder nicht oder einseitig und oberflächlich angewendet worden. Die Mehrheit habe nur allgemeine Erwägungen zur Vergleichbarkeit der Gerichtssachverständigen mit Angehörigen der Justiz bzw Beamten in offizieller Funktion getroffen. Weiters sei bloß die Art, in der die Information erlangt wurde, berücksichtigt. worden. Dabei habe sich die Mehrheit darauf beschränkt, dass die Information auf legalem Weg erlangt wurde, aber die Frage, weshalb die Information überhaupt ans Licht kam, nicht berührt.

Auch der Hinweis auf das Urteil Janowski sei unzutreffend: in jenem Fall sei es um den Schutz vor (beleidigender) Kritik gegangen; nirgends in diesem Urteil aber stehe, dass Beamte in offizieller Funktion gegen Eingriffe in ihr Privatleben nur dann geschützt wären, wenn dieser Eingriff auch beleidigende Bemerkungen umfasse. Die abweichende Meinung wirft der Mehrheit auch hier grundsätzliches methodisches Versagen vor:
Maintaining that those not acting in any 'official capacity' enjoy full-fledged protection of privacy under the Convention, whereas the privacy of those who 'act in their official capacity' can be intruded upon by virtually anyone and in virtually any circumstances, provided that this intrusion is executed without 'offensive and abusive verbal attacks', is an awry interpretation of the very core of the idea of democratic government. Such an interpretation has no basis in the undisputed democratic requirement of citizens’ supervision of politicians and other officials. Indeed, it turns things inside out: the idea that those whom the community has entrusted with an official function should not be rewarded with privacy incommensurable with the attention which the public may legitimately pay to their activities and their persons is distorted and downgraded to a belief that persons in an 'official capacity' must be subject to a form of retribution for taking up that function whereby they enjoy virtually no privacy at all, so long as they are not verbally attacked in an 'offensive and abusive' manner. By reducing the protection of the applicant’s privacy (and, if this judgment is followed in hypothetical future cases, that of other applicants 'acting in their official capacity') from interference by the media to mere protection against 'offensive or abusive verbal attacks', this judgment does a major disservice to the interpretation of Article 8, and to the methodology of interpretation of the Convention in general.

Nach der Mehrheitsmeinung könnte praktisch jede Information über jeglichen Umstand in Bezug auf die Gesundheit einer Person in einer "offiziellen Funktion" von den Medien veröffentlicht werden, sofern nur die Information nicht auf illegalem Weg erhalten worden sei. Das habe der EGMR in anderen Fällen nicht so mild beurteilt (verwiesen wird auf Z. gegen Finnland und Armonienė, in denen es um HIV-Infektionen ging - nichts in diesen Urteilen könne so gelesen werden, als würden die dortigen Rechtssätze nur auf Personen anzuwenden sein, die nicht "in offizieller Funktion" tätig würden).

Die Argumentation der Mehrheit erlaube die Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Problemen. Der Gerichtshof bringe damit den Glauben zum Ausdruck, dass psychische Probleme, welcher Art auch immer, ewig fortbestünden und unheilbar seien. Das Urteil begünstige Vorurteile ("The judgment panders to prejudice").

Ungewöhnlich scharf ist auch die Auseinandersetzung mit der Vorgangsweise der Mehrheit bei der Darstellung des Sachverhalts. Hier wird der Mehrheit ausdrücklich Unwahrheit vorgeworfen:
Turning to the misrepresentation and misinterpretation of facts in this case, one cannot but note that the Government argued that the '[i]nformation about the mental state of health of a court-certified expert who worked in sensitive proceedings in custody issues was a contribution to a debate of general and public interest' (see paragraph 34). The Chamber went further: it concluded that 'as can be seen from the persons quoted in the article at issue and their respective statements ..., the authors of the article reported that the medical report had already provoked political reactions and thus participated in an ongoing public debate' and that 'a serious debate on the mental-health status of a psychological expert, evoked by reasoned suspicions, has to be seen as a debate of general interest' (see paragraphs 43 and 45 respectively).
This is not true. It is as plain and simple as that. At the time of publication there was no public debate on the issue. The article did not contribute to an “ongoing” debate, because nothing of the sort was 'ongoing' at the relevant time. On the contrary, it was intended to initiate a debate – not on the topic of 'general and public interest' but, as will be shown, on the applicant’s personality.
Das Minderheitsvotum führt das noch näher aus und verweist auch darauf, dass es keinen Beleg gibt, dass die Beschwerdeführerin in irgendeiner Weise die Aufmerksamkeit der Medien provoziert oder sonst angezogen hätte. Obwohl sie über 3000 Paare in Sorgerechtsstreitigkeiten untersucht habe, sei dem Gericht keine Information vorgelegt worden, dass irgendeines ihrer Gutachten Anlass zu einer öffentlichen Debatte gegeben habe. Auch wenn einige Leute über ihre Gutachten diskutiert oder Meinungen ausgetauscht hätten, sei dies keine laufende öffentliche Debatte. 

Es sei auch bezeichnend, dass weder das Gericht noch die Beschwerdeführerin anonymisiert worden seien. Eine allgémeine Debatte über Gerichtssachverständige für Psychologie, die früher Probleme mit ihrer psychischen Gesundheit hatten, hätte auch ohne Namensnennung geführt werden können. 

Schließlich wird auch die Ansicht der Mehrheit, wonach die Tatsachen ohne negativen Kommentar des Autors veröffentlicht worden seien, nachdrücklich abgelehnt. 
Further, direct negative comments [...] were not required in order to do damage to the applicant’s reputation, because all of the information provided in the article about the applicant was negative. Nothing positive was written about her. The 'catchy' headline invited the reader to a totality of information which depicted the applicant exclusively in negative terms. Had the 'author' of the publication been guided by a more humane aim than stigmatising the applicant, an objective article would have included at least faint consideration of the possibility that the mental condition of a court-certified expert whose professional performance and integrity had not been 'debated upon for more than a decade' may be not the same as it was fifteen years previously, when she was going through a difficult period in her life. Equally, the argument that the facts 'were set out without any negative comment by the author' proves nothing: such comments were indeed there, uttered not 'by the author' but by the other persons who had been asked to comment on the matter. Thus, the 'member of the Green Party' rhetorically ratiocinated (this comment too has been omitted in paragraph 8): 'In what country do we live, where people with a clearly dubious personality structure can decide the fate of thousands of parents and children' (In welchem Land leben wir, wenn Menschen mit einem offenbar zweifelhaftem Persönlichkeitsbild über die Schicksale von zigtausend Eltern und Kinder entscheiden können). It makes no difference that this comment was not provided 'by the author'.
Der Mehrheit werden in diesem Zusammenhang auch "Halbwahrheiten" vorgeworfen. So werde die Strafanzeige erwähnt, nicht aber das Ergebnis (offensichtlich keines, die Beschwerdeführerin ist nach wie vor als Gerichtssachverständige tätig). Ebenso das Verfahren zur Überprüfung, ob die Beschwerdeführerin noch als Sachverständige geeignet sei - auch hier sei nicht erwähnt worden, dass dabei nichts herausgekommen sei. Und schließlich die öffentliche Debatte? Der "Beitrag" der Medien zur angeblichen ernsthaften Debatte sei null ("zilch"!) gewesen.

Angesichts dieser Umstände könne der Artikel nicht als Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem öffentlichen Interesse, sondern als grundloser Angriff auf den guten Ruf der Beschwerdeführerin anzusehen. Eine dringende soziale Notwendigkeit, die Frage der Eignung der Beschwerdeführerin zu thematisieren, sei nicht zu sehen, wie das Fehlen einer laufenden öffentlichen Debatte und das Fehlen jeglicher Beschwerden gegen die Beschwerdeführerin zeige. 

Dann begibt sich die abweichende Meinung noch auf das Gebiet von Verschwörungstheorien, die nicht von vornherein ausgeschlossen werden könnten: 
Judges should not speculate as to what really prompted the media to delve into the archives for materials on a civil case about a matter which occurred fifteen years previously and was not destined to be reopened. Still, given that the Austrian courts did not look into this matter, there remain grounds for conspiracy theories (professional market competition? personal revenge? creating a basis for re-examining one of the 3,000 cases? etc.) which cannot be rejected outright.
Und zum Abschluss kommt das Bild vom "public watchdog" ins Spiel:
In the Court’s case-law the media is often described as a 'public watchdog'. This judgment blurs the difference between a watchdog and a hound dog.
For a court of human rights, the prey should also matter.
- Abweichende Meinung der Richterin Motoc
Die abweichende Meinung der rumänischen Richterin Motoc ist knapper gehalten und auch nicht so tiefschürfend und anklagend wie jene der Richter Wojtyczek und Kūris. Sie schreibt in der Wir-Form; angesichts dessen kann man auch spekulieren, ob zunächst eine gemeinsame dissenting opinion geplant war und sich die beiden anderen Richter der Minderheit dann vielleicht doch noch deutlicher äußern wollten, als es im Votum der Richterin Motoc zum Ausdruck kommt. Motoc merkt an, dass es sehr schwer zu verstehen sei, wie die Offenlegung eines Gesundheitszustands, der vor 15 Jahren beurteilt worden war, zu irgendeiner öffentlichen Debatte beitragen könne, zumal die Berufsausübung der Beschwerdeführerin bis zur Veröffentlichung ohne Tadel gewesen sei. Außerdem kritisiert sie, dass der EGMR eine Gelegenheit versäumt habe, das Recht auf Schutz des guten Rufs zu präzisiseren; im Wesentlichen meint sie, dass nach der Rechtsprechung (sie verweist dazu auf das auch von der Mehrheit herangezogene Urteil  Karakó, insbesondere aber auf das Urteil Polanco Torres) der Schutz des guten Rufs erst ab einer gewissen Schwelle zu greifen beginnt, nämlich wenn die Anschuldigungen ausreichend schwerwiegend sind und die Veröffentlichung auf das Privatleben der betroffenen Person direkte Auswirkungen hat. Es gehe dabei um eine Kompromittierung der persönlichen Integrität. Mit einer genaueren Analyse des Falles hält sich Motoc dann nicht mehr auf, sondern schreibt lediglich:
In our opinion, it is clear that even by the lower criteria of personal integrity, the applicant’s right of reputation was not respected. In an era when the shift of medical records from paper to electronic formats has increased the potential for individuals to access, use, and disclose sensitive personal health data, it is important that the Court establish safeguards regarding the right to privacy. In this particular case it is clear to us that there was a disproportionate interference with the applicant’s right to privacy and, therefore, a violation of Article 8.
Auch hier, ähnlich wie im zustimmenden Separatvotum von Zupančič ("undeniably clear"), fragt man sich allerdings, woraus sich denn diese Gewissheit konkret argumentativ ableitet: denn allein - hier gleich zweimal - "it is clear" zu sagen, macht es für den Leser nicht notwendigerweise wirklich klar.

Fazit
Ich gehe davon aus, dass die Beschwerdeführerin versuchen wird, den Fall an die Große Kammer heranzutragen; ob das angenommen wird, lässt sich natürlich nicht sagen. Die abweichende Meinung der Richter Wojtyczek und Kūris ist zweifellos mit Blick auf eine mögliche Befassung der Großen Kammer geschrieben und arbeitet sich dementsprechend intensiv an der bemerkenswert knappen und an der Oberfläche bleibenden Mehrheitsmeinung ab; ihre Kritik nicht nur an Methodik und Auslegung, sondern auch an der etwas schlampigen Falldarstellung im Mehrheitsvotum ist schwer von der Hand zu weisen.

Man kann den Fall aber letztlich unter zwei Gesichtspunkten sehen: entweder - im Sinne der Mehrheitsentscheidung - als einen typischen Fall, in dem der EGMR gerade nicht (was ihm ja vielfach vorgeworfen wird) die konkrete Abwägung anstelle der nationalen Gerichte treffen wollte, sondern sich darauf zurückzog, dass die österreichischen Obergerichte eine formal schlüssige Abwägung im Wesentlichen unter Verwendung der vom EGMR aufgestellten Kriterien getroffen haben. Der EGMR hätte sich damit gewissermaßen auf eine "Grobprüfung" beschränkt, sodass auch nicht zu sagen ist, ob das in Österreich gefundene Ergebnis tatsächlich "richtig" war (und das gegenteilige Ergebnis, zu dem die erstinstanzlichen Gerichte gekommen waren, nicht genauso gut vor dem EGMR - unter Artikel 10 EMRK - hätte "halten" können).

Oder aber man sieht diesen Fall eher grundsätzlich, im Hinblick auf das Konzept des "responsible journalism", das auch nach den Auswirkungen der journalistischen Tätigkeit fragt, und vielleicht auch nach den Motiven, die hinter derartigen "leaks" stecken. Damit ist eben auch - wie dies die Minderheitsmeinung anreißt - eine Art "Recht auf Vergessenwerden" angesprochen, zu dem im weiteren Sinne auch zählen kann, dass veraltete medizinische Befunde nicht anlasslos zur Stigmatisierung einer öffentlich tätigen Person veröffentlicht werden dürfen - jedenfalls dann nicht, wenn die Bedeutung für die aktuell ausgeübte Funktion nicht sorgfältig (und damit wohl: sorgfältiger als im vorliegenden Fall) geprüft wurde.

PS (19.06.2016): siehe nun auch den Beitrag von Stijn Smet auf Strasbourg Observers,  

Tuesday, February 16, 2016

EGMR: Ärztekammer Wien und Dorner / Österreich - Begriff "Heuschrecke" als unethische Herabsetzung eines Wettbewerbers

Darf die Wiener Ärztekammer - als gesetzliche Standesvertretung - in einem Rundschreiben an ihre Mitglieder eine Kapitalgesellschaft, die Radiologiepraxen übernehmen möchte, als "Heuschrecken-Unternehmen" bezeichnen? Wenn die Behauptung nicht im Kern wahr ist, nicht - so entschieden die österreichischen Gerichte (letztinstanzlich: Beschluss des OGH vom 22.01.2008, 4 Ob 236/07w im EV-Verfahren, Beschluss vom 14.07.2009, 4 Ob 22/09b im Hauptsacheverfahren). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat darin in seinem heute ergangenen Urteil im Fall Ärztekammer für Wien und Dorner gegen Österreich (Appl. no. 8895/10) keine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art 10 EMRK gesehen.

Zum Ausgangsfall
Der Präsident der Ärztekammer Wien hatte in einem Rundschreiben der Ärztekammer und auf deren Website die Tätigkeit von Kapitalgesellschaften im ambulanten Bereich kritisiert. Zwei namentlich genannte Unternehmen bezeichnete er (mittelbar) als "Heuschrecken-Unternehmen", deren Ziel die "Herrschaft über den ärztlichen Berufsstand" sei. Die Standesvertretung werde mit allen rechtlichen und politischen Mitteln gegen diese "desaströse Entwicklung" vorgehen. Denn dadurch würde die Qualität der Behandlung nicht mehr vom Arzt bestimmt, sondern von "Managern und Controllern".

Auf Antrag eines der namentlich genannten Unternehmen wurde der Ärztekammer und ihrem Präsidenten (unter anderem) die Behauptung untersagt, das Unternehmen sei ein "Heuschrecken-Unternehmen", eine Heuschrecke und/oder ein „Heuschrecken-Fonds".

Der OGH bestätigte die unterinstanzlichen Entscheidungen. Zwar würden die Beklagten an einer Debatte teilnehmen, die öffentliche Interessen betraf, allerdings sei auch ihre Absicht deutlich hervorgetreten, den Wettbewerb freiberuflich tätiger Ärzte gegenüber zwei auf den Markt drängenden Kapitalgesellschaften zu fördern.

Der Begriff "Heuschrecke" sei im gegebenen Zusammenhang als Tatsachenbehauptung zu verstehen; er bezeichne im jüngeren politisch-ökonomischen Sprachgebrauch nicht bloß expandierende Kapitalgesellschaften, an denen (auch) institutionelle Anleger beteiligt seien. Vielmehr würden die angesprochenen Kreise darunter Unternehmen verstehen, die nur den kurzfristigen, durch alsbaldige Weiterveräußerung zu realisierenden Profit anstreben und die Belange der Mitarbeiter, Geschäftspartner und Kunden diesem Interesse unterordnen ("abfressen und weiterziehen"). Wörtlich hieß es im OGH-Beschluss (im EV-Verfahren):
Wird - wie hier - ein bestimmtes Unternehmen, das bereits im umkämpften Geschäftsfeld tätig ist, als "Heuschrecke" bezeichnet, so enthält das den Vorwurf eines solchen Verhaltens. Daher muss diese Äußerung, um erlaubt zu sein, auch unter Berücksichtigung der Meinungsäußerungsfreiheit einen sachlich richtigen Kern haben. Diesen Beweis haben die Beklagten nicht erbracht. [...]
Zwar besteht zweifellos ein öffentliches Interesse an der Debatte über die Zukunft des Gesundheitswesens. Das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit schlösse es daher aus, eine entferntere, bloß mögliche Deutung der beanstandeten Formulierungen zur Ermittlung des für ihre rechtliche Beurteilung relevanten Tatsachenkerns heranzuziehen [...]. Hier geht es aber nicht um eine solche entferntere Deutung, sondern gerade um den Kern des von den Beklagten verwendeten Begriffs. Die damit konkludent aufgestellten Tatsachenbehauptungen, die das Unternehmen der Klägerin - nach zumindest vertretbarer Ansicht - herabsetzen und nicht erweislich wahr sind, können mit dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung nicht gerechtfertigt werden [...].
Eine gewisse Distanz zeigte der OGH im Beschluss, mit dem die außerordentliche Revision der Beklagten im Hauptsacheverfahren zurückgewiesen wurde:
Unter den besonderen Umständen des Einzelfalls ist die Entscheidung der Vorinstanzen trotz der Teilnahme der Beklagten an einer Debatte über Angelegenheiten des öffentlichen Interesses nicht unvertretbar. Denn auch in solchen Debatten müssen es konkret genannte Unternehmen [...] nicht hinnehmen, dass über sie unwahre kreditschädigende Tatsachenbehauptungenaufgestellt werden. Die von den Beklagten beabsichtigte Warnung vor den Gefahren des Auftretens von Kapitalgesellschaften auf dem Markt für ärztliche Dienstleistungen wird durch das Verbot nicht unmöglich; die Beklagten haben es lediglich zu unterlassen, über konkrete Mitbewerber der von der Erstbeklagten vertretenen Ärzte unwahre Tatsachenbehauptungen aufzustellen

Das Verfahren vor dem EGMR
Sowohl die Ärztekammer Wien als auch deren Präsident - beiden waren die Behauptungen untersagt worden - erhoben Beschwerde an den EGMR.

- Ärztekammer ist keine nicht-staatliche Organisation
Die Beschwerde der Ärztekammer wurde vom EGMR ratione personae (aus in der Person gelegenen Gründen) als unzulässig erklärt: Der EGMR kann nach Art 34 EMRK "von jeder natürlichen Person, nichtstaatlichen Organisation oder Personengruppe" angerufen werden. Die Ärztekammer ist durch Gesetz und nicht durch Privatrechtsakt eingerichtet, es besteht Zwangsmitgliedschaft und die Beziehung zwischen Mitgliedern und den Verwaltungsorganen ist öffentlich-rechtlich ausgestaltet. Die Kammer nimmt auch hoheitliche Aufgaben wahr und untersteht dabei der staatlichen Aufsicht. Zudem wird sie durch Pflichtbeiträge aller Ärzte finanziert. Der EGMR sah auch die verfahrensgegenständliche Äußerung nicht als Ausübung der öffentlichen Aufgabe der Kammer an ("exercising the chambers public function"), sodass die Ärztekammer nicht als nichtstaatliche Organisation beurteilt wurde (der EGMR verweist dazu auf eine frühere Entscheidung der Menschenrechtskommisison zur Wirtschaftskammer und auf die abweichende Beurteilung für den ORF; siehe im Blog dazu hier).

Die Beschwerde des Präsidenten der Ärztekammer Wien ist hingegen zulässig, da er eine natürliche Person ist und ihm persönlich von den Gerichten bestimmte Behauptungen untersagt worden waren.

- Eingriff, vom Gesetz vorgesehen, legitimes Ziel
Unstrittig war, dass die Untersagung einen Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung darstellt, und dass der Eingriff ein legitimes Ziel, nämlich den Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer verfolgte. Bestritten wurde hingegen, dass der Eingriff im Sinne der Rechtsprechung des EGMR "vom Gesetz vorgesehen" war, da § 7 UWG (Herabsetzung eines Unternehmens), auf den sich die nationalen Gerichte stützten, nicht ausreichend klar sei. Der EGMR teilte diese Ansicht nicht; § 7 UWG sei ausreichend präzise, auch die Rechtsfolgen seien darin klar genannt.

- unentbehrlich in einer demokratischen Gesellschaft
Damit blieb zu beurteilen, ob der Eingriff im Sinne des Art 10 Abs 2 EMRK "in einer demokratischen Gesellschaft [...] unentbehrlich" war. Der EGMR verweist dabei zunächst auf die Kriterien zur Abwägung der widerstreitenden Interessen nach Art 8 und Art 10 EMRK, die er in Von Hannover (Nr 2) (im Blog dazu hier) und zuletzt etwa in Couderc entwickelt hat. Weiters weist er darauf hin, dass die Grenzen zulässiger Kritik bei "large public companies" zwar weiter seien, dem öffentlichen Interesse an einer offenen Debatte über Geschäftspraktiken allerdings auch das damit in Widerstreit stehende Interesse am Schutz des wirtschaftlichen Erfolges und der Lebensfähigkeit von Unternehmen gegenüberstehe. Die Konventionsstaaten hätten daher einen Beurteilungsspielraum. der allerdings wieder eingeschränkt sei, wenn es nicht nur um ein rein "wirtschaftliches" Statement gehe, sondern um die Teilnahme an einer Debatte von allgemeinem Interesse, wie zum Beispiel im Bereich des Gesundheitswesens.

Im konkreten Fall hält der EGMR fest, dass die nationalen Gerichte die Aussagen in ihrer Gesamtheit beurteilt haben und zum Ergebnis gekommen sind, dass sie in einem klar wirtschaftlichen Kontext gefallen seien, in dem Arztpraxen mit Kapitalgesellschaften, die dieselben Dienste anbieten, in Wettbewerb stehen. Die nationalen Gerichte hatten auch berücksichtigt, dass in einer Debatte von öffentlichem Interesse der Freiheit der Meinungsäußerung höheres Gewicht zukomme, dass aber der Begriff "Heuschrecke" praktisch ausschließlich negativ besetzt sei und zu einer unethischen allgemeinen Herabsetzung ("unethical general vilification") des Wettbewerbers geführt habe. Der Begriff hätte beim Leser den Eindruck erweckt, dass die betroffene Kapitalgesellschaft bereits ein unethisches Verhalten gesetzt habe, das die Interessen von Ärzten und Patienten geschädigt habe. Dies habe die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens schädigen können und sei auch nicht als wahr nachgewiesen worden.

Für den EGMR ist daher auch keine abschließende Klärung erforderlich, ob die Aussage (wie von den österreichischen Gerichten gesehen) eine Tatsachenbehauptung war oder doch eher ein Werturteil, da auch im Fall eines Werturteils eine ausreichende Tatsachengrundlage erforderlich wäre. Die Untersagung der Behauptungen gegenüber dem Präsidenten der Wiener Ärztekammer sei daher auf relevante und ausreichende Gründe gestützt. Auch Art und Schwere der Sanktion (Untersagung, Veröffentlichung) sei moderat geblieben, Der Eingriff sei daher im Sinne des Art 10 Abs 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft unentbehrlich zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, sodass keine Verletzung des Art 10 EMRK festzustellen war.

Anmerkungen

- Zur Beschwerdelegitimation
Zunächst wirkt die Sache insofern etwas merkwürdig, als die Ärztekammer selbst vor dem EGMR nicht beschwerdeberechtigt ist, der Präsident der Ärztekammer - der die Aussagen wohl ausschließlich in seiner Funktion getätigt hat und nicht als Privatperson oder als selbständiger Arzt unabhängig von seiner Kammerfunktion - hingegen schon. Das ist aber die Konsequenz der in Art 34 EMRK vorgesehenen Einschränkung des Beschwerderechts, die staatlichen Organisationen das Beschwerderecht versagt, dieses Recht allerdings natürlichen Personen unbeschränkt einräumt, auch wenn es um ihre Rolle als Funktionäre einer staatlichen Organisation geht. Voraussetzung ist natürlich immer, dass man als natürliche Person Opfer des Eingriffs wurde - was hier aber klar auf der Hand lag, da vor den nationalen Gerichten ausdrücklich auch der Präsident der Ärztekammer Beklagter war und zur Unterlassung verurteilt wurde (eine Konsequenz der weiten Passivlegitimation nach dem UWG).

- "margin call"
Der wohl wesentlichste Begriff im Urteil des EGMR ist "margin of appreciation", der gleich fünfmal im entscheidenden Teil des Urteils strapaziert wird. Wenn der EGMR so laut und deutlich auf den Beurteilungsspielraum hinweist, dann mag das auch ein Zeichen dafür sein, dass er selbst in seiner Beurteilung vielleicht zu einem anderen Ergebnis kommen könnte - aber eben den nationalen Spielraum akzeptiert. Hier verweist der EGMR - nach eher allgemeinen Ausführungen zum "margin" in Abs 63 - zunächst auf den Spielraum, den die Mitgliedstaaten dabei haben, inwieweit sie Unternehmen Rechte einräumen, gegen Vorwürfe vorzugehen, die ihren Ruf schädigen könnten:
the State enjoys a margin of appreciation as to the means it provides under domestic law by which a company can challenge the truth and limit the damage of allegations which risk harming its reputation
Dieser Beurteilungsspielraum ist noch größer, wenn es um Angelegenheiten des unlauteren Wettbewerbs geht:
Furthermore, the Court emphasises that a wider margin of appreciation entrusted to the States is essential in the complex and fluctuating area of unfair competition
Er wird aber wieder kleiner, wenn es nicht nur um eine wirtschaftliche Auseinandersetzung geht, sondern um eine Debatte von allgemeinem Interesse:
it is necessary to reduce the extent of the margin of appreciation when what is at stake is not an individual’s purely "commercial" statement, but his participation in a debate of general interest,
Und dann besteht noch ein Beurteilungsspielraum, ob eine Aussage als Tatsache oder Werturteil qualifiziert wird:
The classification of a statement as one of fact or as a value judgment is a matter which, in the first place, falls within the margin of appreciation of the national authorities – in particular, the courts
Österreich hat den Beurteilungsspielraum genützt: auch der Ruf von Unternehmen ist gesetzlich geschützt, besonders umfangreich im Bereich des UWG (wo eben der Spielraum der Konventionsstaaten noch größer ist). Und die Gerichte haben dem EGMR keinen Ansatzpunkt geboten, korrigierend einzugreifen, weil sie - was im Urteil deutlich zum Ausdruck kommt - die notwendigen Abwägungen nachvollziehbar vorgenommen haben; insbesondere haben sich die Gerichte das Art 10 EMRK-Problem gestellt und ausargumentiert, weshalb sie trotz Debatte von öffentlichem Interesse - was den Beurteilungsspielraum wieder einschränkt - zum Ergebnis gekommen sind, dass die Behauptungen zu unterlassen sind. Ich hätte "Heuschrecke" ja eher als Werturteil gesehen, aber hier hilft nicht nur der Beurteilungsspielraum, sondern auch die Rechtsprechung, die für Werturteile eine Tatsachengrundlage verlangt, die - von den Gerichten festgestellt - nicht gegeben war.

- ein Grenzfall, der die Bedeutung des "margin of appreciation" anschaulich macht
Zusammenfassend: es war sicher ein Grenzfall, in dem sich aber zeigt, dass der EGMR nicht immer, wie ihm oft vorgeworfen wird, als "weiteres Instanzgericht" tätig wird, sondern den Mitgliedstaaten echte Beurteilungsspielräume einräumt.

Es ist wohl zulässig, in einem kleinen Gedankenexperiment zu überlegen, wie die Sache ausgegangen wäre, wären die österreichischen Gerichte zu einem anderen Ergebnis gekommen (dass sich eine Kapitalgesellschaft, die in den Gesundheitsmarkt einsteigen will, eine Bezeichnung als Heuschrecke gefallen lassen müsse), und hätte sich das Unternehmen dann unter Berufung auf Art 8 EMRK an den EGMR gewandt. In diesem Fall müsste die Beurteilung ja grundsätzlich zum selben Ergebnis kommen, wie der EGMR in ständiger Rechtsprechung betont, auch im heutigen Urteil in Abs 62:
The Court has reiterated many times, that in cases which require the right to respect for private life to be balanced against the right to freedom of expression, the outcome of the application should not, in theory, vary according to whether it has been lodged with the Court under Article 8 of the Convention by the person who was the subject of the statement, or under Article 10 by the person who made the statement.
Dennoch ist gut vorstellbar, dass hier auch das gegenteilige Ergebnis vor dem EGMR hätte bestehen können: "Heuschrecke" wäre auch als Werturteil zu argumentieren gewesen, mit einem Faktenkern, der bloß auf Kapitalgesellschaften abstellt, an denen (wie hier) institutionelle Anleger beteiligt sind, die in neue Geschäftsfelder drängen. Hätten die nationalen Gericht dies ausargumentiert und zusätzlich noch die Bedeutung der Debatte über das Gesundheitssystem unterstrichen und dies wiederum unter Heranziehung der EGMR-Rechtsprechung abgewogen, so wäre durchaus denkbar, dass der EGMR dies als im Beurteilungsspielraum gelegen akzeptiert hätte, ohne eine Verletzung des Art 8 EMRK festzustellen.

Update 23.02.2016: siehe zu diesem Urteil auch den Beitrag von Hugh Tomlinson auf Inforrm's Blog.

Wednesday, October 21, 2015

Wie ein Pferd aussieht, weiß vielleicht doch nicht jeder: EuGH zum Videoangebot einer Zeitungs-Website als audiovisueller Mediendienst

Der EuGH hat heute sein Urteil in der Rechtssache C-347/14 New Media Online verkündet (siehe auch die Pressemitteilung des EuGH; zum Vorabentscheidungsersuchen siehe im Blog hier). Dabei ging es im Wesentlichen um die Frage, ob die Bereitstellung von Videos mit kurzen Sequenzen aus lokalen Nachrichten, Sport und Unterhaltung auf einer Subdomain einer "elektronischen Ausgabe einer Tageszeitung" als audiovisueller Mediendienst (auf Abruf) im Sinne der RL über audiovisuelle Mediendienste anzusehen ist.

Der Generalanwalt hatte in seinen Schlussanträgen noch gemeint „Wie ein Pferd aussieht, das weiß ein jeder“, und darauf aufbauend Folgendes geschrieben:
Der Umstand, dass es in der Theorie Schwierigkeiten bereitet, den audiovisuellen Mediendienst abstrakt zu definieren, bedeutet nicht, dass er auch in der Praxis schwer zu identifizieren ist. Der größte Teil der Dienste dieser Art beruht darauf, dass auf Internetseiten Langspielfilme, Fernsehserien, Sportübertragungen usw. angeboten werden. Es handelt sich also um Formen von Sendungen, die leicht als typische Fernsehsendungen eingestuft werden können. Tauchen jedoch Zweifel auf, ist im Einklang mit dem Ziel der Richtlinie über die audiovisuellen Mediendienste in der Weise zu entscheiden, dass sie auf multimediale Internetseiten keine Anwendung findet. Als audiovisuelle Mediendienste dürfen daher nur diejenigen Internetseiten angesehen werden, die zweifelsfrei alle Kriterien dieses Dienstes erfüllen.
Der Generalanwalt war daher auch zum Ergebnis gekommen, dass die RL über audiovisuelle Mediendienste dahin auszulegen sei, dass weder die Internetseite einer Tageszeitung, die audiovisuelles Material enthält, noch irgendein Teilbereich dieser Internetseite als ein audiovisueller Mediendienst im Sinne dieser Richtlinie anzusehen sei.

Vielleicht ist es aber doch nicht so klar, wie ein Pferd aussieht: Der EuGH ist jedenfalls von den Schlussanträgen abgewichen und hat die vom österreichischen Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Fragen folgendermaßen beantwortet:
1. Der Begriff „Sendung“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) ist dahin auszulegen, dass er die Bereitstellung kurzer Videos, die kurzen Sequenzen aus lokalen Nachrichten, Sport oder Unterhaltung entsprechen, in einer Subdomain der Website einer Zeitung erfasst.
2. Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2010/13 ist dahin auszulegen, dass bei der Beurteilung des Hauptzwecks eines in der elektronischen Ausgabe einer Zeitung angebotenen Dienstes der Bereitstellung von Videos darauf abzustellen ist, ob dieser Dienst als solcher in Inhalt und Funktion gegenüber der journalistischen Tätigkeit des Betreibers der betreffenden Website eigenständig und nicht nur eine – insbesondere wegen der zwischen dem audiovisuellen Angebot und dem Textangebot bestehenden Verbindungen – unabtrennbare Ergänzung dieser Tätigkeit ist. Diese Beurteilung ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Auch Videos (sehr) kurzer Dauer (nach dem Sachverhalt ging es um Videos von "30 Sekunden bis mehrere Minuten") stehen demnach einer Einstufung als "Sendung" nicht entgegen (Rn 20). Zudem geht der EuGH davon aus, dass sich die Videos - offenbar allein weil sie auf der Website zum Abruf bereitstehen - "wie ein Fernsehprogramm an ein Massenpublikum richten und bei diesem im Sinne des 21. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2010/13 eine deutliche Wirkung entfalten können" (Rn 21); ob die Videos tatsächlich ein Massenpublikum erreichen (und bei diesem "deutliche Wirkung" entfalten), scheint es daher nicht anzukommen. Wesentlich ist der Umstand, dass die Videos in Wettbewerb zu den von den (regionalen) Fernsehsendern angebotenen Informationsdiensten treten (Rn 23) bzw dass gleiche Wettbewerbsbedingungen (Rn 31) erreicht werden.

[Da ich am Ausgangsverfahren beim Verwaltungsgerichtshof als Richter beteiligt bin, kommentiere ich die Angelegenheit nicht weiter - auch nicht die Reaktion des Verbandes Österreichischer Zeitungen. Update: siehe auch die Berichte auf lto.de, in der Wiener Zeitung, auf derstandard.at, auf kurier.at, auf EurActiv.de]

Tuesday, September 09, 2014

Update zu Telekomsachen vor dem EuGH: Schlussanträge T-Mobile Austria und neue Vorabentscheidungsersuchen

1. Schlussanträge C-282/13 T-Mobile Austria

Generalanwalt Szpunar hat heute die Schlussanträge in der Rechtssache C-282/13, T-Mobile Austria, erstattet. In diesem Verfahren geht es wieder einmal um die Frage, wer von einer Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde im Sinne von Art 4 der RahmenRL "betroffen" ist, in diesem Fall im Zusammenhang mit einem Verfahren zur Übertragung von Nutzungsrechten an Frequenzen (Art 5 Abs 6 der GenehmigungsRL).

Die Rechtssache, so der Generalanwalt, bietet "die Gelegenheit, allgemeiner darüber nachzudenken, inwieweit das Unionsrecht in die prozessrechtliche Regelung der Mitgliedstaaten über die Voraussetzungen für die Anfechtung von Verwaltungsentscheidungen eingreifen kann." Er verweist eingangs auch auf die weiter gehende Bedeutung der Vorlagefrage im Hinblick auf ähnliche Regelungen in anderen Rechtsakten der Union (Art 22 Abs 3 Postdienste-RL, Art 37 Abs 17 Elektrizitätsbinnenmarkt-RL, Art 41 Abs 17 Erdgasbinnenmarkt-RL).

Im Folgenden wesentliche Aussagen aus den Schlussanträgen im Wortlaut (da das Verfahren auf ein Vorabentscheidungsersuchen des VwGH zurückgeht, enthalte ich mich jeder Kommentierung):

Zur Verfahrensautonomie:
42. [...] Auf den Grundsatz der Verfahrensautonomie kann man sich erst auf der Stufe der Gestaltung einzelner Vorschriften und Verfahren zur Geltendmachung von aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechten berufen. Die Verfahrensautonomie umfasst hingegen nicht die Bestimmung, wem die Anfechtungsbefugnis in einem durch das Unionsrecht geregelten Bereich zusteht.
Zum Zweck des Art 4 Abs 1 RahmenRL:
46. Nach meinem Verständnis beschränkt sich der Zweck dieser Vorschrift nicht darauf, den Grundsatz eines effektiven Rechtsschutzes widerzuspiegeln, der ja bereits in übergeordneten Normen geregelt wird, und zwar derzeit in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
47. Zweck des Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie ist die Bestimmung eines einheitlichen Umfangs der Anfechtungsbefugnis von Privaten im Bereich der elektronischen Telekommunikation.
48. Mit dieser Vorschrift soll verhindert werden, dass eine Person – bei identischer Sachlage – in einem Mitgliedstaat zum Schutz ihrer Rechte die Befugnis zur Anfechtung einer Entscheidung der Regulierungsbehörde hätte, nicht aber in einem anderen Mitgliedstaat. Solche Unterschiede im Bereich des Zugangs zu einem Rechtsbehelf würden dazu führen, dass der Inhalt der Rechte, die dem Einzelnen im Bereich der elektronischen Kommunikation aus dem Unionsrecht erwachsen, in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich aufgefasst würde. Solche Unterschiede könnten auch dazu führen, dass in einigen Mitgliedstaaten schon die Existenz von Rechten dieser Art an sich in Frage gestellt werden könnte.
Zur konkreten Auslegung des Art 4 Abs 1 RahmenRL:
69. Die Voraussetzung nach Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie, dass eine Person von der entsprechenden Entscheidung „betroffen“ sein muss, ist meines Erachtens dahin zu verstehen, dass sich die behördliche Entscheidung auf den Bereich der rechtlich geschützten Interessen der jeweiligen Person auswirken muss.
70. Für die Zuerkennung der Anfechtungsbefugnis ist es hingegen nicht erforderlich, dass der Rechtsbehelfsführer darlegt, dass seine konkreten subjektiven Rechte verletzt wurden.
[...]
80. Eine Entscheidung der Regulierungsbehörde, die in einem Verfahren zum Schutz des Wettbewerbs ergeht, wirkt sich zweifellos auf das individuelle Interesse eines Unternehmens aus, dessen Marktstellung infolge der Handlungen, die Gegenstand der Entscheidung sind, spürbar beeinträchtigt werden könnte.
81. Ein solches Interesse besteht nicht nur auf faktischer Ebene, sondern stellt [...] auch ein rechtliches Interesse dar. Die Lage der konkurrierenden Unternehmen wird in einer unionsrechtlichen Norm berücksichtigt, nach der die Regulierungsbehörde Maßnahmen treffen muss, um eine solche wesentliche Änderung der Marktstellung von konkurrierenden Unternehmen, die zu einer Verzerrung oder Beschränkung des Wettbewerbs führen könnte, zu verhindern.
82. Im Verhältnis zu Unternehmen, die mit dem Adressaten der Entscheidung konkurrieren, ist die Voraussetzung nach Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie, dass das jeweilige Unternehmen von der Entscheidung „betroffen“ sein muss, meines Erachtens dann erfüllt, wenn die Regulierungsbehörde im Rahmen eines in einer unionsrechtlichen Norm, die den Schutz des Wettbewerbs bezweckt, vorgesehenen Verfahrens entscheidet und die Entscheidung Handlungen oder Transaktionen betrifft, die die Marktstellung des Rechtsbehelfsführers spürbar beeinträchtigen.
Zur Auslegung des Art 5 Abs 6 GenehmigungsRL:
93. Gemäß Art. 5 Abs. 6 der Genehmigungsrichtlinie sorgen die zuständigen Behörden dafür, dass der Wettbewerb nicht durch Übertragungen von Rechten zur Nutzung von Funkfrequenzen verzerrt wird. Hierbei können die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen ergreifen, z. B., indem sie den Verkauf oder die Vermietung von Frequenznutzungsrechten anordnen.
94. Trotz der fakultativen Formulierung im letzten Satz der zitierten Vorschrift – die Mitgliedstaaten „können“ geeignete Maßnahmen ergreifen – ergibt sich tatsächlich aus dem vorausgehenden Satz der Vorschrift ausdrücklich, dass der Mitgliedstaat, wenn er eine Übertragung von Frequenznutzungsrechten zwischen Betreibern genehmigt, zugleich verpflichtet ist, geeignete Rechtsrahmen zur Regulierung dieser Übertragungsgeschäfte zu schaffen, damit die Wettbewerbsbedingungen hierdurch nicht verzerrt werden.
[...]
96. Es steht außer Zweifel, dass die Mitgliedstaaten bei der erstmaligen Frequenzzuteilung die Notwendigkeit der Gewährleistung einer wettbewerbsfähigen Marktstruktur besonders zu berücksichtigen haben. Dieser Grundsatz wäre wirkungslos, wenn die Wettbewerbsstruktur durch eine spätere Übertragung von Rechten zwischen konkurrierenden Unternehmen beeinträchtigt werden könnte.
97. Angesichts dieser Erwägungen dient die Kontrolle der Übertragung von Frequenzen gemäß Art. 5 Abs. 6 der Genehmigungsrichtlinie – und damit auch das Verfahren vor der TCK, das Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist – vor allem dem Schutz der Wettbewerbsstruktur des Marktes.
Vorgeschlagene Antwort auf die Vorlagefrage:
Art. 4 Abs. 1 der [RahmenRL] ist dahin auszulegen, dass das Recht zur Anfechtung einer Entscheidung der Regulierungsbehörde über die Genehmigung einer Übertragung von Frequenznutzungsrechten gemäß Art. 5 Abs. 6 der [GenehmigungsRL] einem mit den an der Transaktion Beteiligten konkurrierenden Unternehmen zusteht, sofern die Transaktion seine Marktstellung spürbar beeinträchtigen kann.

2. Neue Vorabentscheidungsersuchen

Beim EuGH wurden in letzter Zeit auch wieder neue Vorabentscheidungsersuchen zu Fragen des Telekomrechts eingebracht. Ich versuche die offenen Verfahren relativ zeitnah in meiner Übersichtsliste zu erfassen und weise üblicherweise nicht mit Blogposts auf neue Verfahren hin. Hier dennoch ein kurzer Überblick zu den in den letzten Monaten neu anhängig gemachten Telekom-Verfahren:

Indexklausel als Änderung von Vertragsbedingungen iSd Art 20 UniversaldienstRL?
Der Oberste Gerichtshof möchte wissen, ob das in Art 20 Abs 2 der Universaldienstrichtlinie für die Teilnehmer vorgesehene Recht, "bei der Bekanntgabe von Änderungen der Vertragsbedingungen" den Vertrag ohne Zahlung von Vertragsstrafen zu widerrufen, auch für den Fall vorzusehen ist, dass sich eine Anpassung der Entgelte aus den Vertragsbedingungen ableitet, die bereits bei Vertragsabschluss vorsehen, dass in der Zukunft eine Anpassung der Entgelte (Steigerung/Reduktion) entsprechend den Veränderungen eines objektiven Verbraucherpreisindex, der die Geldwertentwicklung abbildet, zu erfolgen hat? Das Verfahren ist anhängig unter C-326/14 A1 Telekom Austria (Volltext des Vorabentscheidungsersuchens des Obersten Gerichtshofs)

Pflicht zur Durchführung des "Art 7-Verfahrens" bei Entgeltgenehmigung?
Das deutsche Bundesverwaltungsgericht fragt, ob Art 7 Abs 3 RahmenRL dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regulierungsbehörde, die einen Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht verpflichtet hat, Mobilfunkterminierungsleistungen zu erbringen, und die hierfür verlangten Entgelte unter Einhaltung des in der genannten Richtlinienbestimmung vorgesehenen Verfahrens der Genehmigungspflicht unterworfen hat, verpflichtet ist, das Verfahren nach Art 7 Abs 3 RahmenRL vor jeder Genehmigung konkret beantragter Entgelte erneut durchzuführen. Das Verfahren ist anhängig zu C-395/14 Vodafone (Volltext des Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts; zu Art 7 Abs 3 RahmenRL ist derzeit auch noch das Vorabentscheidungsersuchen des polnischen Obersten Gerichtshofes C-3/14 Polska Telefonia Cyfrowa anhängig).

Zugang zu nicht-geografischen Nummern
Der polnische Oberste Gerichtshof fragt zur Auslegung des Art 28 UniversaldienstRL (in der Stammfassung), ob auch Endnutzer aus anderen Mitgliedstaaten Zugang zu nicht-geografischen Rufnummern (0800, 0801 und 0804) bekommen müssen, und - wenn ja - ob schließlich die nationale Regulierungsbehörde dafür kostenorientierte Zusammenschaltungsentgelte festlegen kann, wenn Verhandlungen zwischen den Betreibern gescheitert sind. Das Verfahren ist anhängig zu C-397/14 Polkomtel (Volltext des Vorabentscheidungsersuchens, in polnischer Sprache; zu Art 28 UniversaldienstRL sind derzeit auch noch die Vorabentscheidungsersuchen C-85/14 KPN des niederländischen College van Beroep voor het bedrijfsleven sowie C-1/14 KPN Group Belgium und Mobistar des belgischen Verfassungsgerichts [Grondwettelijk Hof]).