Wednesday, March 13, 2013

EGMR zur Abwägung zwischen Urheberrecht und freier Meinungsäußerung (Neij und Sunde, The Pirate Bay)

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit dem heute bekanntgegebenem Beschluss vom 19.02.2013, Neij und Sunde Kolmisoppi gegen Schweden (Appl. no. 40397/12), die Beschwerden von zwei führenden Vertretern von "The Pirate Bay"  (TPB) gegen ihre strafrechtliche Verurteilung als unzulässig zurückgewiesen (siehe auch die Pressemitteilung des EGMR und die rechtliche Zusammenfassung).

Fredrik Neij war technischer Entwickler, Peter Sunde Pressesprecher von TPB, der weltweit größten BitTorrent tracker-Website. Die Website ermöglichte mittels torrent files ihren Nutzern, in Kontakt mit anderen Nutzern zu treten und dann direkt mit diesen (nicht über die Server von TBP) durch file sharing urheberrechtlich geschützte Musik- und Filmwerke auszutauschen. 

Neij und Sunde wurden wegen Beihilfe zu Urheberrechtsverletzungen angeklagt und in einem medial vielbeachteten Strafverfahren in erster Instanz zu je einem Jahr Haft verurteilt (in der Instanz auf zehn bzw acht Monate reduziert). Weiters wurden sie gemeinschaftlich zu Schadenersatz in der Höhe von rund 5 Mio € verurteilt. In ihrer Beschwerde an den EGMR stützten sie sich auf das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK

Der EGMR sieht die Aktionen der Beschwerdeführer grundsätzlich als durch Art 10 EMRK geschützt, die Verurteilung war daher eine Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung. Ein derartiger Eingriff ist nur dann rechtmäßig, wenn er auf einem Gesetz beruht, ein in Art 10 Abs 2 EMRK genanntes legitimes Ziel verfolgt und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist. Die Verurteilung hatte eine klare Grundlage im schwedischen Urheberrechtsgesetz, und sie verfolgte das legitime Ziel des Schutzes der Rechte anderer und der Verbrechensverhütung. Entscheidend war daher die Frage, ob der Eingriff auch einem dringenden sozialen Bedarf ("a pressing social need") entsprach und damit in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war.

Bei der Antwort auf diese Frage muss der EGMR verschiedene Faktoren berücksichtigen, unter anderem die Art der betroffenen gegenläufigen Interessen und das Ausmaß, in dem diese Interessen unter den Umständen des Falles Schutz erfordern. Hier war der EGMR aufgerufen, einerseits das Interesse der Beschwerdeführer an der Erleichterung des Informationsaustausches und andererseits das Interesse am Schutz der Urheberrechte abzuwägen. Auch das Urheberrecht (als geistiges Eigentum unter dem Schutz des Art 1 1. ZP EMRK) steht unter dem Schutz der EMRK, so dass der Konventionsstaat zwei gegenläufige, jeweils von der EMRK geschützte Interessen abzuwägen hatte. In einem solchen Fall kommt ihm ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Die Weite des Beurteilungsspielraums hängt von einer Anzahl verschiedener Faktoren ab; die Art der Information ist dabei von besonderer Bedeutung: 
In the present case, although protected by Article 10, the safeguards afforded to the distributed material in respect of which the applicants were convicted cannot reach the same level as that afforded to political expression and debate. It follows that the nature of the information at hand, and the balancing interest mentioned above, both are such as to afford the State a wide margin of appreciation which, when accumulated as in the present case, makes the margin of appreciation particularly wide [...].
Da die schwedischen Behörden verpflichtet waren, die Eigentumsrechte der Rechteinhaber zu schützen, bestanden gewichtige Gründe für die Einschränkung des Rechts der Beschwerdeführer auf freie Meinungsäußerung. Auch die Freiheitsstrafe und die Verurteilung zum Schadenersatz wurden nicht als unverhältnismäßig beurteilt; der EGMR berücksichtigt dabei insbesondere, dass die Beschwerdeführer trotz Aufforderung nichts unternommen hatten, um die fraglichen torrent files zu entfernen.

Der EGMR kam daher zum Schluss, dass der Eingriff im Sinne des Art 10 Abs 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war und beurteilte die Beschwerde als offensichtlich unbegründet. 

Nach dem Urteil im Fall Ashby Donald ua gegen Frankreich hat der EGMR damit binnen kurzer Zeit neuerlich zum Verhältnis zwischen Urheberrecht und Recht auf freie Meinungsäußerung Stellung genommen. Wie schon bei Ashby Donald (RNr 41) sieht der Gerichtshof dabei einen besonders weiten Beurteilungsspielraum der nationalen Behörden, und er streicht auch hervor, dass es ganz wesentlich auf die Art der vermittelten Informationen ankommt. Im Fall Neij und Sunde (The Pirate Bay) ging es um ein kommerzielles Unternehmen, das - etwas vereinfacht - Informationen über Möglichkeiten zum (widerrechtlichen) Austausch urheberrechtlich geschützter Musik- und Filmwerke bereitstellte (die Verurteilung bezog sich nur auf solche urheberrechtlich geschützten torrents); im Fall Ashby Donald ging es um Modefotos, die verkauft werden sollten - auch hier verfolgten die Beschwerdeführer ausschließlich kommerzielle Interessen und trugen nicht zu einer Debatte von allgemeinem Interesse bei. 

PS: dass das Recht auf freie Meinungsäußerung urheberrechtlichen Ansprüchen entgegenstehen kann, ist in Österreich - seit dem Fall "Medienprofessor" - ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (siehe RS0115377); zum "Medienprofessor" siehe aber auch das Urteil des EGMR im Fall Krone Verlag GmbH & Co KG gegen Österreich (Nr. 5) - und dazu diesen Beitrag im Blog.

Update 17.03.2013: siehe zu dieser Entscheidung auch Lorna Woods auf Law, Justice and Journalism und Monica Horten auf Iptegrity.com; in einem Bericht auf Torrentfreak.com wird Peter Sunde zitiert, der gemeint habe: "not all doors are closed yet." Für das Verfahren vor dem EGMR sehe ich - da die Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen wurde und daher, anders als bei Kammerurteilen (wie etwa Ashby Donald), auch keine Anrufung der Großen Kammer mehr möglich ist - allerdings keine offene Türen mehr.
Update 22.03.2013: siehe nun auch ein Blogpost von Dirk Voorhoof und Inger Høedt-Rasmussen auf dem Kluwer Copyright Blog und den Beitrag auf nipclaw.

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