Zum Ausgangssachverhalt:
Der Ausgangsrechtsstreit wird zwischen UPC Nederland und der Gemeinde Hilversum geführt. Diese hatte schon lange vor Inkrafttreten des neuen Rechtsrahmens das ursprünglich von ihr betriebene Kabel-TV-Netz an die Rechtsvorgängerin der UPC verkauft. In einer beim Verkauf abgeschlossenen "Vereinbarung über den zukünftigen Betrieb des Kabelnetzes von Hilversum" verpflichtete sich UPC unter anderem zur "Gewährleistung eines vielfältigen Mindestangebots an Hörfunk- und Fernsehprogrammen über Kabel zu einem sozialverträglichen Preis und mit einer für den Abonnenten optimalen Empfangsqualität". Das konkrete Höchstentgelt für dieses "Basisangebot" ergab sich ebenfalls aus dem Vertrag (in Verbindung mit einer Indexklausel).
Im Jahr 2003 wollte UPC das Entgelt für das Basisangebot anheben. Die Gemeinde Hilversum klagte gegen die Erhöhung und gewann in allen Instanzen. Im Jahr 2005 prüfte die niederländische Wettbewerbsbehörde, ob UPC seine marktbeherrschende Stellung durch überhöhte Abonnemententgelte missbraucht habe und kam zum Ergebnis, dass dies nicht der Fall sei. Ebenfalls 2005 veröffentlichte die (damalige) Telekomregulierungsbehörde OPTA nach einer Marktanalyse einen Maßnahmenentwurf, in dem sie feststellte, dass UPC in ihrem Versorgungsgebiet über beträchtliche Marktmacht auf "dem Markt für die Bereitstellung frei zugänglicher Hörfunk- und Fernsehprogrammangebote über Kabel" verfüge, und ihr Verpflichtungen in Bezug auf die Berechnung ihrer Entgelte auferlegte. Die Europäische Kommission hatte schwerwiegende Bedenken (siehe dazu näher auch den Bericht der IRG-Expertengruppe) und die von OPTA schließlich beschlossene endgültige Maßnahme sah keine Preisregulierung mehr vor.
In der Folge klagte UPC die Gemeinde Hilversum und beantragte, die Entgeltbeschränkungsklausel für nichtig zu erklären und die Gemeinde zur Duldung von Entgelterhöhungen zu verpflichten, da die Entgeltbeschränkungsklausel mit dem neuen Rechtsrahmen nicht vereinbar sei. In diesem Verfahren legte das Berufungsgericht schließlich dem EuGH 18(!) Vorabentscheidungsfragen vor, die Generalanwalt Villalón allerdings übersichtlich auf drei Fragen (und letztlich zwei Antworten) zusammenfasst:
1. Zum Begriff "elektronischer Kommunikationsdienst"
Dass die hier zu beurteilenden Kabel-TV-Dienste (Anbieten eines "Basispakets" an Rundfunkprogrammen über Kabel) auch nach Ansicht des Generalanwalts als elektronische Kommunikationsdienste im Sinne des Art 2 lit c der RahmenRL 2002/21/EG einzustufen sind, überrascht nicht, war das doch seit Inkrafttreten des neuen Rechtsrahmens durchgängig herrschende Meinung (jedenfalls der wesentlichsten nationalen Regulierungsbehörden). Das Argument, dass der Abopreis auch die von UPC an die Sender für das Weiterverbreitungsrecht zu zahlenden Entgelte und die Zahlungen an die Verwertungsgesellschaften umfasste, konnte den Generalanwalt auch nicht umstimmen. Der Vorschlag des Generalanwalts für die erste Fragebeantwortung lautet daher:
Die RahmenRL 2002/21/EG ist dahin auszulegen, dass ein aus der Verbreitung frei zugänglicher Hörfunk- und Fernsehprogramme über Kabel bestehender Dienst, für den ein Entgelt zu zahlen ist, das die Übertragungskosten sowie die an Rundfunkanstalten und kollektive Verwertungsgesellschaften im Zusammenhang mit der Verbreitung ihrer Inhalte gezahlten Gebühren enthält, in ihren sachlichen Anwendungsbereich fällt, da dieser Dienst die Übertragung von Signalen über elektronische Kommunikationsnetze umfasst.2. Preiskontrolle durch die Gemeinde?
Da es sich beim Kabel-TV-Dienst um einen elektronischen Kommunikationsdienst im Sinne der RahmenRL handelt, können - so der Generalanwalt in RNr 46 der Schlussanträge - Maßnahmen zur Kontrolle des Preises für diesen Dienst nur zulässig sein, "wenn sie zu den Maßnahmen gehören, die von einer nationalen Regulierungsbehörde gegenüber einem Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht erlassen werden können, oder wenn sie sich durch ein Ziel des Allgemeininteresses oder durch Art. 106 Abs. 2 AEUV rechtfertigen lassen."
Selbst wenn die Gemeinde als Regulierungsbehörde angesehen werden könnte, hat sie bei Erlassung der Entgeltbeschränkungsklausel jedenfalls gegen die Verfahrensvorschriften verstoßen, was der Generalanwalt unter Bezugnahme auf die GenehmigungsRL, die ZugangsRL (die meines Erachtens schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil es um eine Endkundenpreisregelung geht) und die UniversaldienstRL näher darlegt. Der Generalanwalt kommt daher zum Schluss (RNr 63), "dass der NRR der Entgeltbeschränkungsklausel grundsätzlich entgegensteht, es sei denn, es wird nachgewiesen, dass diese durch die Verfolgung von Zielen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist."
Die Gemeinde und auch die niederländische Regierung brachten dazu vor, dass die - zwischen der Gemeinde und UPC frei vereinbarte - Entgeltbeschränkungsklausel ein Verbraucherschutzinteresse verfolge. Sie erlaube es, die Bereitstellung des analogen Basisangebots zu einem sozialverträglichen Preis, der für Haushalte mit niedrigen Einkommen erschwinglich bleiben müsse, zu gewährleisten; dieser Dienst stelle daher einen Dienst der elementaren Daseinsvorsorge dar.
Der Generalanwalt kann dem nichts abgewinnen:
71. Das Ziel des NRR besteht [...] gerade darin, den Nutzern durch die Förderung des Wettbewerbs größtmögliche Vorteile in Bezug auf Auswahl, Preise und Qualität elektronischer Kommunikationsdienste zu garantieren. Insbesondere ist es allein Sache der nationalen Regulierungsbehörden, nach Durchführung einer Analyse des Marktes gegebenenfalls unparteiisch und transparent gegen ein Unternehmen mit beträchtlicher Macht auf diesem Markt vorzugehen, das aufgrund eines Mangels an wirksamem Wettbewerb seine Preise zum Nachteil der Endnutzer auf einem übermäßig hohen Niveau halten könnte"Mit anderen Worten: Verbraucherschutz ist keine Rechtfertigung für Gemeinden, um die Preise elektronischer Kommunikationsdienste zu regulieren, auch wenn dies im Wege vertraglicher Vereinbarungen mit einem Diensteanbieter erfolgt. Der Schutz der Verbraucher vor überhöhten Preisen ist vielmehr (ausschließliche) Aufgabe der nationalen Regulierungsbehörden, die den Wettbewerb zu fördern haben. (Und, so könnte man ergänzen, offenbar auch Sache des europäischen Gesetzgebers, der mit der Roamingverordnung ja - ganz ohne Beachtung des sonst geltenden neuen Rechtsrahmens - eine echte Preiskontrollmaßnahme sowohl für Endkunden als auch Vorleistungskunden geschaffen hat).
72. Folglich – und sogar unabhängig davon, dass die OPTA im vorliegenden Fall [...] unter der Kontrolle der Kommission einen Bescheid im genau gegenteiligen Sinne erlassen hat – ist diese von der Gemeente Hilversum und der niederländischen Regierung vorgebrachte Rechtfertigung als solche nicht zulässig.
Einen möglichen Ausweg lässt der Generalanwalt aber noch offen: der Vertrag zwischen UPC und der Gemeinde könnte allenfalls auch als Betrauung mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interessse im Sinne von Art 106 Abs 2 AEUV anzusehen sein. Dazu müsste das nationale Gericht aber erst die erforderlichen Feststellungen treffen und prüfen, ob die Anwendung des Unionsrechts die Erfüllung der an die UPC übertragenen "besonderen Aufgabe" verhindert und ob die auferlegten Verpflichtungen verhältnismäßig sind. Die vorgeschlagene Antwort des Generalanwalts auf die zweite Frage lautet daher:
Die Art 6, 8 und 13 der ZugangsRL 2002/19/EG, die Art 3 und 6 Abs 2 der GenehmigungsRL 2002/20/EG sowie Art 1 Abs 2 und 3, die Art 3, 6 und 7 und die Art 14 bis 16 der RahmenRL 2002/21/EG sind dahin auszulegen, dass sie der Anwendung einer Entgeltbeschränkungsklausel wie der im Ausgangsverfahren grundsätzlich entgegenstehen, es sei denn, es wird nachgewiesen, dass diese durch die Verfolgung von Zielen des Allgemeininteresses oder nach Art. 106 Abs. 2 AEUV gerechtfertigt ist und in völligem Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit steht, was das vorlegende Gericht zu überprüfen hat.PS: nationale Regulierungsbehörden werden mit Interesse lesen, dass sie ihre Bescheide betreffend die Auferlegung spezifischer Verpflichtungen ("remedies" oder Abhilfemaßnahmen) "unter der Kontrolle der Kommission" erlassen haben (wie dies Generalanwalt Villalón in RNr 72 seiner Schlussanträge schreibt) - und dies noch zur Rechtslage vor Wirksamwerden der erweiterten Befugnisse der Kommission nach Art7a der RahmenRL, also für einen Zeitraum, in dem sich die Kommission im Hinblick auf "remedies" höchstens was wünschen durfte, aber weder eine Empfehlung abgeben noch eine Entscheidung treffen konnte.
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