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Thursday, September 15, 2016

EuGH: Abweichen von Terminierungsempfehlung zulässig, wenn es aufgrund der tatsächlichen Umstände des konkreten Falles geboten ist

Ein Dauerbrenner der Telekom-Regulierung ist der Streit um die Höhe der Mobilterminierungsentgelte. Besonders hartnäckig waren und sind die Auseinandersetzungen dazu in den Niederlanden: dort kam es zu einer Art "stand off" zwischen der Regulierungsbehörde (früher OPTA, nun ACM) - unterstützt durch die Europäische Kommission - einerseits und dem College van Beroep voor het bedrijfsleven (CBb, Erst- und zugleich Höchstgericht in den meisten Angelegenheiten der Telekomregulierung) andererseits. Das heutige Urteil des EuGH in der Rechtssache C-28/15, Koninklijke KPN ua, bringt aber leider nicht die erhoffte Auflösung, sondern bleibt in der Kernfrage doch recht vage (was freilich auch mit der Art der Fragestellung zusammenhängt).

Zum Ausgangsfall:
Der Ausgangsstreit geht gut sechs Jahre zurück. Die Regulierungsbehörde legte 2010 zunächst Mobilterminierungsentgelte nach dem Kostenrechnungsmodell "pure BU-LRIC" fest, wie dies von der Kommission in der Empfehlung über die Regulierung der Festnetz- und Mobilfunk-Zustellungsentgelte in der EU empfohlen wird. Das Gericht (CBb) vertrat dagegen die Auffassung, es wäre ein "BU-LRIC plus"-Modell zu verwenden gewesen (was vereinfacht gesagt zu höheren Mobilterminierungsentgelten führt), und hob die Entscheidung der Behörde auf (einer der Richter ist übrigens ein University of Chicago-geschulter "Law and Economics"-Professor, der sich in solchen Verfahren mit recht prononcierten Positionen einbringt, was aus der Regulierungsbehörde zur Kritik führte, das Gericht wolle hier über die Funktion der Rechtskontrolle hinaus selbst Regulator spielen).

In der Folge notifizierte die Regulierungsbehörde den zunächst im Sinne der CBb-Entscheidung geänderten Maßnahmenentwurf auf Basis "BU-LRIC plus" im Verfahren nach Art. 7a RahmenRL. Die Kommission sprach sich dagegen aus und empfahl, den Entwurf zurückzuziehen. Die Regulierungsbehörde erließ schließlich doch eine Entscheidung, in der sie sich, der Kommission folgend, am "pure BU-LRIC"-Modell orientierte. Im Rechtsmittelverfahren legte das CBb dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vor.

EuGH-Urteil

1. Eine Empfehlung ist eine Empfehlung
Die erste Frage richtete sich auf die Kompetenz des in einem Verfahren über die Entgeltregulierung angerufenen Gerichts, von dem in der Terminierungsentgelte-Empfehlung vorgesehenen Kostenrechnungsmodell abzuweichen. Die Antwort darauf ist nicht allzu vielsagend:

Empfehlungen sind nach Art. 288 AEUV grundsätzlich nicht verbindlich, außerdem gestatten Art. 19 Abs. 2 UAbs. 2 RahmenRL den Regulierungsbehörden ausdrücklich, von den nach Art. 19 Abs. 1 RahmenRL erlassenen Empfehlungen - wie der Terminierungsentgelte-Empfehlung - abzuweichen. Also ist die Regulierungsbehörde auch an diese Empfehlung nicht gebunden (Rn. 35). Die Regulierungsbehörde hat grundsätzlich den in der Empfehlung gegebenen Hinweisen zu folgen. "Nur wenn sie im Rahmen ihrer Beurteilung einer konkreten Situation den Eindruck hat, dass das in dieser Empfehlung empfohlene 'reine Bulric'-Modell den Umständen nicht angemessen ist, kann sie unter Angabe ihrer Gründe von ihr abweichen" (Rn. 38).

Dasselbe gilt auch für das mit einem Rechtsmittel nach Art. 4 RahmenRL angerufene Gericht: es kann von der Empfehlung abweichen (Rn. 40), muss sie aber berücksichtigten (Rn. 41) und kann dann (aber "nur dann") von ihr abweichen, "wenn es dies aufgrund der tatsächlichen Umstände des konkreten Falles, insbesondere der Besonderheiten des Marktes des betreffenden Mitgliedstaats, für geboten erachtet" (Rn. 42). Mit anderen Worten: Abweichen von der Empfehlung ist erlaubt, aber nur mit guter Begründung im konkreten Einzelfall - eine Antwort, für die es den EuGH nicht wirklich gebraucht hätte.

2. Regulierungsziele und Verhältnismäßigkeit: auch vom Gericht zu prüfen
Mit der zweiten Frage wollte das CBb wissen, inwiefern es ihm gestattet sei, bei der Überprüfung der Entgeltregulierungsmaßnahme deren Verhältnismäßigkeit, Eignung und Angemessenheit im Hinblick auf die Ziele und Regulierungsgrundsätze nach Art. 8 RahmenRL und Art. 13 ZugangsRL zu prüfen. Insbesondere stellte das CBb auch die Frage, inwiefern auch dem Umstand Rechnung getragen werden darf, dass die Maßnahme (hier: "pure BU-LRIC"-Modell für Festlegung der Terminierungsentgelte) zur Förderung der Interessen der Endnutzer auf einem anderen, nicht regulierten (Endkunden-)Markt dient.

Der EuGH verwies zunächst auf die mit den Regulierungsmaßnahmen zu verfolgenden Ziele nach Art. 8 RahmenRL (grob zusammengefasst: Förderung des Wettbewerbs, Beitrag zur Entwicklung des Binnenmarkts, Förderung der Interessen der Unionsbürger) sowie auf das Ziel der ZugangsRL (Gewährleistung von nachhaltigem Wettbewerb und Interoperabilität sowie Förderung der Verbraucherinteressen). Die Maßnahmen der Entgeltregulierung müssen der Art des aufgetretenen Problems entsprechen, im Hinblick auf die Ziele des Art. 8 RahmenRL angemessen und gerechtfertigt sein und dürfen nur nach der Anhörung gemäß den Art. 6 und 7 RahmenRL auferlegt werden. Bemerkenswert ist, dass der EuGH den nationalen Regulierungsbehörden (NRB) die (wohl gleichzeitige) Beachtung aller Regulierungsziele auferlegt, was vom Gericht zu prüfen ist. Rn. 50 des Urteils lautet:
Folglich muss sich die NRB beim Erlass einer Entscheidung, mit der sie den Betreibern aufgrund der Art. 8 und 13 der Zugangsrichtlinie Verpflichtungen auferlegt, dessen vergewissern, dass diese Verpflichtungen sämtlichen in Art. 8 der Rahmenrichtlinie und in Art. 13 der Zugangsrichtlinie genannten Zielen gerecht werden. Zudem muss ein nationales Gericht im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle dieser Entscheidung sicherstellen, dass die NRB allen sich aus diesen beiden Artikeln ergebenden Anforderungen genügen. [Hervorhebung hinzugefügt]
Dass die Regulierungsbehörde eine Maßnahme (Entgeltregulierung unter Verwendung des "pure BU-LRIC"-Modells) auf die Terminierungs-Empfehlung gestützt hat, entzieht dem Gericht nicht die Befugnis, die Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Das nationale Gericht kann daher "im Rahmen seiner Kontrolle unter Anwendung der nationalen Verfahrensvorschriften prüfen, ob die Kläger hinreichende Anhaltspunkte dargetan haben, um glaubhaft zu machen, dass die Anwendung dieses Modells gegebenenfalls angesichts der Besonderheiten des betreffenden Marktes im Hinblick auf die in Art. 8 der Rahmenrichtlinie und in Art. 13 der Zugangsrichtlinie genannten Ziele unverhältnismäßig ist."

3. Interessen der Verbraucher auf Endkundenmarkt sind zu berücksichtigen
Die Regulierungsbehörde muss, so der EuGH in Rn. 54 des Urteils, "die Interessen der Endnutzer und der Verbraucher unabhängig davon berücksichtigen, auf welchem Markt die Verpflichtungen auferlegt werden. Da die Endnutzer und die Verbraucher definitionsgemäß auf den Vorleistungsmärkten für die Festnetz- und Mobilfunkzustellung nicht präsent sind, ist es zudem äußerst wichtig, dass ihre Interessen bei der Prüfung der Wirkung, die eine von der NRB auf einem Vorleistungsmarkt auferlegte Preisverpflichtung auf einem Endkundenmarkt haben soll, berücksichtigt und bewertet werden können."

Damit ist auch der Rahmen für das über ein Rechtsmittel entscheidende Gericht festgelegt: es kann bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Entgeltregulierungsmaßnahme prüfen, ob die auf dem Vorleistungsmarkt (hier: Mobilterminierung) auferlegte Verpflichtung auch den Interessen der Endnutzer auf einem nicht regulierten Endkundenmarkt dient.

4. Keine Beweislast für die Verwirklichung der Regulierungsziele
Der EuGH hält fest, dass die Regulierungsmaßnahmen (hier: Entgeltregulierung für die Mobilterminierung) auf die Verwirklichung der Ziele des Art. 8 RahmenRL gerichtet sein müssen. Dagegen kann nicht verlangt werden, dass die Regulierungsbehörde glaubhaft macht, dass mit diesen Verpflichtungen diese Ziele tatsächlich verwirklicht werden (zumal dieser Nachweis bei zukunftsorientierten Maßnahmen "unmöglich oder übermäßig schwierig" sei).

Conclusio:
Der EuGH bestätigt, was man auch als "acte clair" hätte ansehen können: dass sowohl die Regulierungsbehörde wie auch das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Regulierungsbehörde entscheidet, von einer Kommissions-Empfehlung abweichen darf. Dass das Gericht nur dann abweichen darf, wenn es dies "als geboten erachtet", ist eine Leerformel - die entscheidende Frage wäre, unter welchen Umständen des konkreten Falles das Abweichen geboten ist, aber das lässt sich so abstrakt - und anhand des konkreten Vorabentscheidungsersuchens - wohl nicht festmachen.

Spannend wäre im vorliegenden Fall auch, ob das Gericht - wenn es in der Sache anders als die Regulierungsbehörde und damit abweichend von der Kommissions-Empfehlung entscheiden will - das Anhörungsverfahren nach Art. 6 und 7 RahmenRL neuerlich durchführen müsste. Der EuGH erwähnt dieses Verfahren in Rn. 48 im Zusammenhang mit den Verpflichtungen der Regulierungsbehörde, deren Einhaltung dann vom nationalen Gericht auch zu prüfen sind. Dass das Gericht neuerlich das Art. 7-Verfahren durchführen müsste, geht aus dem Urteil jedenfalls nicht hervor.

Und ob in den Niederlanden die Mobilterminierungsentgelte nun nach dem "pure BU-LRIC" oder dem "BU-LRIC plus"-Kostenrechnungsmodell festgelegt werden, kann man nach dem EuGH-Urteil auch noch nicht sagen. Die Betonung der Berücksichtigung der Endnutzer-Interessen würde eher auf "pure BU-LRIC" hinweisen, aber das CBb hat bisher eine so starke Präferenz für "BU-LRIC plus" erkennen lassen, dass ich es für eher unwahrscheinlich halte, dass es nun - wo ihm das Abweichen von der Empfehlung durch den EuGH so ausdrücklich gestattet wurde - anders festlegen wird.

Thursday, June 19, 2014

EuGH: Zugangsverpflichtung kann auch Pflicht zum Legen neuer Anschlussleitungen umfassen

Eine nationale Telekom-Regulierungsbehörde kann einen Netzbetreiber mit beträchtlicher Marktmacht nach Art 8 und Art 12 der Zugangsrichtlinie 2002/19/EG (in der Fassung der RL 2009/140/EG) unter bestimmten Umständen dazu verpflichten, auf Antrag konkurrierender Betreiber Anschlussleitungen von seiner Glasfaserinfrastruktur zum Endverbraucher zu verlegen. Zu diesem Ergebnis kam der EuGH in seinem heute verkündeten Urteil in der Rechtssache C-556/12, TDC A/S; er folgt damit vollinhaltlich den Schlussanträgen von Generalanwalts Cruz Villalón (siehe zu diesen näher hier im Blog).

Der Ausgangsfall
Die dänische Regulierungsbehörde hatte festgestellt, dass TDC auf dem Vorleistungsmarkt für Breitbandzugang über Kupfer-, Koaxialkabel- und Glasfasernetze über beträchtliche Marktmacht verfügte und dem Unternehmen verschiedene Verpflichtungen auferlegt, darunter auch die Verpflichtung, berechtigten Anträgen auf Zugang zu Breitbandverbindungen über das Glasfasernetz stattzugeben. Dies umfasste unter anderem auch die Pflicht, neue Anschlussleitungen über eine maximale Länge von 30 Metern zu verlegen, um Endkunden an das Glasfasernetz anzuschließen. TDC klagte dagegen, da damit eine Verpflichtung zur Errichtung neuer Infrastruktur verbunden sei, was dem Konzept des Zugangs nach der ZugangsRL nicht entspreche. Das damit befasste Gericht richtete ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH.

Zugang
Der EuGH hielt zunächst fest, dass Art 12 iVm Art 8 der ZugangsRL der nationalen Regulierungsbehörde die Befugnis gibt, Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht die Verpflichtung aufzuerlegen, berechtigten Anträgen auf Zugang zu bestimmten Netzkomponenten und zugehörigen Einrichtungen und auf deren Nutzung stattzugeben. "Zugang" bedeeutet nach Art 2 lit a der ZugangsRL "die ausschließliche oder nicht ausschließliche Bereitstellung von Einrichtungen und/oder Diensten für ein anderes Unternehmen unter bestimmten Bedingungen zur Erbringung von elektronischen Kommunikationsdiensten, auch bei deren Verwendung zur Erbringung von Diensten der Informationsgesellschaft oder Rundfunkinhaltsdiensten." Zugang umfasst unter anderem "Zugang zu Netzkomponenten und zugehörigen Einrichtungen, wozu auch der feste oder nicht feste Anschluss von Geräten gehören kann (dies beinhaltet insbesondere den Zugang zum Teilnehmeranschluss sowie zu Einrichtungen und Diensten, die erforderlich sind, um Dienste über den Teilnehmeranschluss zu erbringen)".

Aus dem Wortlaut von Art 2 lit a der ZugangsRL ist daher erstens abzuleiten, dass das Konzept des Zugangs auch Adaptierungen umfasst, damit Netzeinrichtungen oder Dienste von anderen Unternehmen zum Zweck der Erbringung elektronischer Kommunikationsdienste genutzt werden können. Zweitens ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung auch, dass die darin enthaltene Aufzählung der Formen des Zugangs nicht abschließend ist.

Als nächstes nimmt der EuGH die Systematik der ZugangsRL in den Blick und stellt fest, dass in Art 2 lit b der RL für den Begriff der Zusammenschaltung (als Sonderfall des Zugangs) auf die physische und logische Verbindung zweier Netze abgestellt wird, und dass nach Art 5 Abs 1 der RL eine nationale Regulierungsbehörde in begründeten Fällen Netzbetreibern auch die Verpflichtung auferlegen kann, ihre Netze zusammenzuschalten. Diese Bestimmungen zeigten, dass das Konzept des "Zugangs" im Sinne der ZugangsRL auch eine Anpassung an eine bestehendes Netzwerk beinhalten könne, um eine Verbindung zwischen diesem Netz und dem Endkunden zu ermöglichen.

Schließlich prüft der EuGH den Zweck der RL und verweist dazu auf Art 1 Abs 1 der ZugangsRL (wo insbesondere nachhaltiger Wettbewerb genannt wird) und Art 8 Abs 1 der RahmenRL, der von den nationalen Regulierungsbehörden verlangt, "alle angezeigten Maßnahmen" zu treffen, die den in Art 8 Abs 2 bis 4 genannten Zielen dienen, darunter insbesondere die Förderung des Wettbewerbs.

Die nationalen Regulierungsbehörden müssen daher im Einklang mit den Bestimmungen der ZugangsRL einen angemessenen Zugang und eine geeignete Zusammenschaltung sowie die Interoperabilität der Dienste sicherstellen und ihre Befugnisse in einer Weise nutzen, durch die Effizienz, nachhaltiger Wettbewerb, effiziente Investitionen und Innovationen gefördert werden. Die Verpflichtungen, berechtigten Anträgen auf Zugang zu bestimmten Netzkomponenten und zugehörigen Einrichtungen und auf deren Nutzung stattzugeben, sind in der ZugangsRL nicht abschließend definiert, sondern sind - so der EuGH - von der Regulierungsbehörde im Einzelfall im Lichte der Ziele des Art 8 der RahmenRL festzulegen.

Daher kann das Konzept des Zugangs zu "bestimmten Netzkomponenten und zugehörigen Einrichtungen" im Sinne des Art 2 lita bzw Art 12 Abs 1 ZugangsRL auch die Errichtung von Anschlussleitungen vom Verteiler eines Zugangsnetzwerks zum Netzabschlusspunkt in den Endkundenräumlichkeiten umfassen.

Bedingungen
Nach Art 8 Abs 4 der ZugangsRL müssen die auferlegten Verpflichtungen der Art des aufgetretenen Problems entsprechen und im Hinblick auf die Ziele des Art 8 der RahmenRL angemessen und gerechtfertigt sein. Diese Beurteilung überlässt der EuGH dem nationalen Gericht, aber nicht ohne vorher darzulegen, dass im Ausgangsfall nach dem Sachverhalt des Vorabentscheidungsersuchens die Verlegung der strittigen Anschlussleitungen eine notwendige Voraussetzung sei, dass andere Betreiber mit TDC konkurrieren könnten.

Berücksichtigung von Investitionen
Das vorlegende Gericht fragte auch, ob bei einer derartigen Verpflichtung die Anfangsinvestitionen des Betreibers zu berücksichtigen seien. Der EuGH verweist dazu auf die Aufzählung der Faktoren, denen die Regulierungsbehörde bei Auferlegung von Zugangsverpflichtungen Rechnung zu tragen hat (Art 12 Abs 2 lit a bis d der ZugangsRL) und auf die Regeln, die bei der Auferlegung von Verpflichtungen zur Preiskontrolle nach Art 13 der ZugangsRL zu beachten sind (dort heißt es: "Um zu Investitionen der Betreiber auch in Netze der nächsten Generation anzuregen, tragen die nationalen Regulierungsbehörden den Investitionen des Betreibers Rechnung und ermöglichen ihm eine angemessene Rendite für das entsprechend eingesetzte Kapital, wobei gegebenenfalls die spezifischen Risiken im Zusammenhang mit einem bestimmten neuen Netzprojekt, in das investiert wird, zu berücksichtigen sind."). Schließlich verweist der EuGH auch auf Art 8 Abs 5 lit d der RahmenRL, wonach die Regulierungebehörden ua "effiziente Investitionen und Innovationen im Bereich neuer und ver­besserter Infrastrukturen" fördern, und zwar auch dadurch, dass sie dafür sorgen, dass bei jeglicher Zugangsverpflichtung dem Risiko der inves­tierenden Unternehmen gebührend Rechnung getragen wird.

Der EuGH kommt daher zum Ergebnis, dass die Regulierungsbehörde, wenn sie die Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Verpflichtung im Lichte der Ziele nach Art 8 Abs 1 der RahmenRL prüft, unter anderem auch die Anfangsinvestition des Eigentümers der Einrichtung und das Bestehen eines Preiskontrollsystems berücksichtigen muss. Will die Regulierungsbehörde dem Netzeigentümer eine Verpflichtung zur Anpassung des bestehenden Netzwerks auferlegen, so muss sie die Kosten dieser Anpassung berücksichtigen.

Fazit
Der EuGH folgt mit diesem Urteil einer sehr weiten Auslegung des Begriffs "Zugang" in Art 2 lit a der ZugangsRL: Die Verpflichtung, Zugang zu gewähren, kann demnach insbesondere auch die Verpflichtung umfassen, neue Infrastruktur erst zu errichten, um Netze zu verbinden oder Endkunden (konkurrierender Betreiber) anzuschließen. Zugleich hat der EuGH aber auch klargestellt, dass dabei die Kosten für die Errichtung derartiger Infrastrukturen von der Regulierungsbehörde "zu berücksichtigen" sind (auch wenn das nicht zwingend eine vollständige Abgeltung dieser Kosten bedeuten muss, ihr aber wohl in der Regel nahekommen dürfte).

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PS: derzeit gibt es keine deutsche Sprachfassung des Urteils, ich habe mich an der englischen Fassung orientiert, es kann daher sein, dass in der in den nächsten Tagen zu erwartenden deutschen Sprachfassung nicht exakt die gleichen Begriffe verwendet werden wie hier.

Friday, January 17, 2014

EuGH-Generalanwalt: Zugangsverpflichtung nach der Zugangsrichtlinie kann auch Verpflichtung umfassen, neue Anschlussleitungen zu legen

Kann eine nationale Telekom-Regulierungsbehörde einen Netzbetreiber mit beträchtlicher Marktmacht nach Art 8 und Art 12 der Zugangsrichtlinie 2002/19/EG (in der Fassung der RL 2009/140/EG) dazu verpflichten, auf Antrag konkurrierender Betreiber Anschlussleitungen von seiner Glasfaserinfrastruktur zum Endverbraucher zu verlegen, wenn dies nicht einen Grabungsaufwand von mehr als 30 Metern erfordert? Diese Frage - bei der es im Wesentlichen um die Auslegung des Begriffs "Zugang" nach Art 2 lit a der ZugangsRL geht - hat der EuGH auf Ersuchen eines dänischen Gerichts in der Rechtssache C-556/12 TDC A/S zu klären.

Gestern erstattete Generalanwalt Cruz Villalón dazu seine seine Schlussanträge - und gleich der zweite Absatz enthält eine Feststellung, der man schwer widersprechen kann: "nicht alle Vorschriften der Richtlinie 2002/19 [Zugangsrichtlinie] sind eindeutig."

Sein Ergebnis ist aber - vergleichsweise - eindeutig: die ZugangsRL ermöglicht auch derart weitgehende Verpflichtungen, die vom Betreiber die Herstellung von Anschlussleitungen verlangen. Der Regulierungsbehörde kommt bei der Auferlegung von Verpflichtungen auch ein weiter Handlungsspielraum zu, sie muss aber sicherstellen, dass die Maßnahme verhältnismäßig ist.

Der Ausgangsfall
Die dänische Regulierungsbehörde hatte dem Incumbent TDC die strittige Verpflichtung auferlegt, nachdem TDC durch mehrere Zukäufe, zuletzt im Jahr 2009 eines größeren Powerline-Anbieters, seine Marktmacht noch ausgebaut hatte. TDC war dadurch (auch) zu einem Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht "auf dem Markt für Glasfasernetze" geworden, wie der Generalanwalt etwas untechnisch schreibt. Die Details zum nationalen Verfahren bleiben in den Schlussanträgen etwas unklar, es geht offenbar um Verpflichtungen, die zwischen zwei Marktanalyserunden speziell nur für das Glasfasernetz auferlegt worden waren, betroffen ist der Markt 4 der Märkteempfehlung (Vorleistungsmarkt für den [physischen] Zugang zu Netzinfrastrukturen); ein Verfahren nach Art 7 RahmenRL hat damals offenbar nicht stattgefunden.*)

Aktive und passive Dimension des Zugangs
Der Generalanwalt hebt zunächst hervor, dass Zugang in Art 2 lit a der ZugangsRL abschließend definiert wird. Nach dem ersten Halbsatz der Definition besteht "Zugang" in der "ausschließliche[n] oder nicht ausschließliche[n] Bereitstellung von Einrichtungen und/oder Diensten für ein anderes Unternehmen unter bestimmten Bedingungen zur Erbringung von elektronischen Kommunikationsdiensten"[Hervorhebung durch den Generalanwalt]. Der Generalanwalt schließt daraus, "dass die Bereitstellung des Netzes etwas enthält, das als eine 'passive' und eine 'aktive' Dimension bezeichnet werden kann, Dimensionen, die offenkundig den Netzinhaber betreffen." Der Netzbetreiber muss einerseits passiv den Zugang dulden, hat also "eine Pflicht zur Enthaltung, die dahin geht, dass er andere Betreiber nicht am Zugang zu seinem Netz hindern darf". Andererseits hat er auch eine aktive Verpflichtung, "die in der Erbringung von Diensten besteht, die ausschließlich dazu dienen, den Zugang zu ermöglichen."

Auch in den Beispielen für den Zugang kommt die sowohl "aktive" wie "passive" Dimension des Zugangs zum Ausdruck ("aktiv" zB: Zugang "zu Diensten, die erforderlich sind, um Dienste über den Teilnehmeranschluss zu erbringen"). Die - wiederum nur beispielhafte - Aufzählung der verschiedenen Verpflichtungen, die nationale Regulierungsbehörden Betreibern auferlegen können, in Art 12 der RL enthält sowohl Verpflichtungen zu einem Tun wie zu einem Unterlassen. Dass in dieser Aufzählung eine Verpflichtung zur Verlegung der Anschlussleitung auf Antrag eines konkurrierenden Betreibers nicht enthalten ist, bedeutet nach Auffassung des Generalanwalts "keineswegs, dass es sich um eine Verpflichtung handelt, die mit den Befugnissen, die die Richtlinie 2002/19 den nationalen Regulierungsbehörden zuweist, unvereinbar ist. Im Gegenteil: Da die Zugangsverpflichtung durch ein Tun oder Unterlassen im Sinne von Art. 2 Buchst. a die 'Erbringung von elektronischen Kommunikationsdiensten' zum Gegenstand hat, kann der Schluss gezogen werden, dass die Verpflichtung in den Anwendungsbereich von Art. 8 und insbesondere von Art. 12 fällt."

Der Generalanwalt berücksichtigt auch den Umstand, "dass die in Rede stehende Erweiterung des Netzes keinesfalls einen Ausbau des vorhandenen Netzverlaufs bedeutet, sondern einzig und allein dort, wo bereits ein Netz vorhanden ist, die Verbindung zum Endnutzer ermöglicht. Es handelt sich mithin um einen Ausbau in einem sehr engen Sinne." Die Verpflichtung ziele nur darauf ab, die letzte Verbindung dort herzustellen, wo ein Netz bereits vorhanden ist.

Die zunächst aus dem Wortlaut der RL gewonnene Auslegung wird auch durch die Ziele der ZugangsRL bestärkt, die auch die Aufrechterhaltung gleicher Wettbewerbsbedingungen für sämtliche Marktteilnehmer umfassen. Die aufzuerlegenden Verpflichtungen bezwecken, "einem Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht Lasten aufzuerlegen, damit durch seine Position die für das Funktionieren des Markts erforderlichen Bedingungen nicht geändert werden." In Absatz 29 der Schlussanträge heißt es:
Daher besteht das Ziel der Verpflichtungen zu einem Tun oder Unterlassen im Sinne des Art. 12 der Richtlinie 2002/19 letztendlich in der Gewährleistung von Wettbewerbsbedingungen für alle Betreiber. Der "Zugang", dessen Gewährleistung die Richtlinie regelt, ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zur Schaffung eines wettbewerbsfähigen Telekommunikationsmarkts.
Nach Ansicht des Generalanwalts sind daher Art 2 lit a sowie Art 8 und 12 der ZugangsRL dahin auszulegen, dass eine Verpflichtung zur Gewährleistung des Zugangs zu Telekommunikationsnetzen grundsätzlich und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch eine Verpflichtung beinhalten kann, auf Antrag eines konkurrierenden Betreibers eine Anschlussleitung mit einer Länge von höchstens 30 Metern zu verlegen.

Verhältnismäßigkeitsprüfung - Aufgabe des nationalen Gerichts
Art 12 der ZugangsRL verpflichtet die nationalen Regulierungsbehörden dazu, den Betreibern "angemessene" Verpflichtungen aufzuerlegen. Dabei müssen die Regulierungsbehörden einer Reihe von Faktoren, wie der technischen und wirtschaftlichen Tragfähigkeit der Verpflichtung, der Anfangsinvestition des Eigentümers oder der Notwendigkeit zur Sicherung des Wettbewerbs, Rechnung tragen. Die Würdigung dieser Faktoren hat aber, so der Generalanwalt, nicht der EuGH, sondern das nationale Gericht vorzunehmen, da dabei die tatsächlichen Umstände zu prüfen sind. Der EuGH könne nur Auslegungshinweise für die Verhältnismäßigkeitsprüfung geben.

Prämisse: Weiter Handlungsspielraum der Regulierungsbehörden
Der Generalanwalt verweist darauf, dass der EuGH im Urteil C-227/07 Kommission/Polen (im Blog dazu hier) die "weitgehenden Interventionsmöglichkeiten" der nationalen Regulierungsbehörden unterstrichen hat. Folglich müsse die Auslegung der Art 8 und 12 der ZugangsRL und konkret die dort vorgesehene Verhältnismäßigkeitskontrolle "von der Prämisse ausgehen, dass die nationalen Regulierungsbehörden über einen weiten Handlungsspielraum verfügen, wenn sie den auf dem Markt tätigen Betreibern und insbesondere den wichtigsten Betreibern Verpflichtungen auferlegen, die sie für erforderlich halten."

Das nationale Gericht müsse prüfen, ob die mit der Maßnahme verfolgten Ziele den in Art 8 RahmenRL und in der ZugangsRL genannten Zielen entsprechen (ua Sicherstellung des Zugangs der Betreiber zu den Telekommunikationsnetzen, Beibehaltung effektiven Wettbewerbs zwischen Betreibern und Qualität des dem Endnutzer angebotenen Dienstes).

Nächster Schritt ist die Prüfung 1) der Eignung (ist die Maßnahme objektiv zur Zielerreichnung geeignet?), 2) der Erforderlichkeit (gibt es weniger einschneidende Mittel zur Zielerreichung?) und 3) der Verhältnismäßigkeit im eigentlichen Sinne (Abwägung zwischen den betroffenen Gütern und Interessen). Das Gericht muss prüfen, ob die Regulierungsbehörde eine zutreffende Abwägung zwischen den durch die Maßnahme hervorgerufenen Belastungen und den durch sie erlangten Vorteilen vorgenommen hat. Als besonders wichtig erachtet der Generalanwalt dabei einerseits die Bewertung der Kosten der Investition und andererseits das Bestehen eines Tarifsystems, das dem Betreiber ermöglicht, trotz der ihm auferlegten Verpflichtung die Kosten der Investition zu decken. Diese Beurteilung ist "eindeutig Sache des vorlegenden Gerichts, das aber die hier gegebenen Auslegungshinweise berücksichtigen muss."

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*) Die konkrete Entscheidung der Regulierungsbehörde konnte ich - jedenfalls auf die Schnelle - auf dem Server der dänischen Regulierungsbehörde nicht finden (dort finden sich aber Informationen zur dritten Runde der Marktanalyse auf Markt 4 und zur vorangegangenen zweiten Runde); gefunden habe ich nur einen (dänischen) Medienbericht zur Entscheidung. Auch in der Datenbank der Kommission über die Art 7-Verfahren konnte ich nur die Verfahren zur zweiten und dritten Runde der Marktanalyse finden. In der dritten Runde (DK/2012/1339) hat die Regulierungsbehörde die hier interessierende Verpflichtung neuerlich vorgeschlagen; in der Stellungnahme der Kommission wird die Maßnahme so beschrieben:
With regard to access to the fibre loops DBA [nationale Regulierungsbehörde] imposes on TDC a specific obligation to construct, at the request of an alternative operator, a 'drop cable' (up to 30 m of length) connecting the end customer with the near-by fibre network. DBA considers that it is specific to the Danish market that the fibre distribution network has been already significantly rolled out and passes near-by individual households. Furthermore, unlike the copper or CaTV networks, the fibre connection is extended to the end customer only at the time of signing a contract for the provision of broadband services over fibre. TDC installs such drop cables whenever an end-customer signs a contract with TDC, however, absent the drop cable obligation, it does not install such connections, as a wholesale service, when the end customers are solicited by alternative operators. As a result, TDC may exploit a significant first mover advantage and may foreclose alternative operators from competing for an increasing number of potential customers. DBA proposes that the costs of the drop cable connections will be included in the regulated cost-base of TDC'snetwork and will not be reimbursed by way of a one-off payment. [...]
DBA considers that any less intrusive remedy, such as non-discrimination, transparency or specific migration rules would not be sufficient to address the competition problems identified (first mover advantages)
In den "Comments" der Kommission wird diese Maßnahme sehr vorsichtig gewürdigt, wobei besonders auf die notwendige Verhältnismäßigkeit hingewiesen wird:
The Commission points out that the obligation to roll out the drop cables at the request of competing operators may be considered necessary and appropriate only in the absence of any other less intrusive measure, such as, for example, unbundled access to the fibre already built by the SMP operator, or the inability of the alternative operators to self supply, which prima facie do not seem to be possible alternatives in the specific circumstances of this case.
The Commission therefore invites DBA to provide in its final measure additional elements showing that an obligation to provide the drop cables is justified and proportionate, and in particular why other less intrusive remedies fail to address TDC's first mover advantage in an equally effective manner. In this respect, the Commission invites DBA to consider a planning mechanism, which would require TDC to consult alternative operators on the installation of drop cables prior to TDC securing a contract with end customers in a certain area.

Thursday, November 12, 2009

EuGH: Zusammenschaltungsverpflichtung nur für Netzbetreiber, nicht auch Diensteanbieter

In der Rechtssache C-192/08 TeliaSonera hat der EuGH heute die schon in den Schlussanträgen des Generalanwalts (siehe zu diesen und zum näheren Hintergrund des Verfahrens hier) vertretene Position bestätigt, dass die in Art. 4 der Zugangsrichtlinie vorgesehene Verpflichtung, "über die Zusammenschaltung zwecks Erbringung der öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienste zu verhandeln, um die gemeinschaftsweite Bereitstellung von Diensten sowie deren Interoperabilität zu gewährleisten", nur zwischen Betreibern von Kommunikationsnetzen besteht - reine Diensteanbieter können sich darauf nicht berufen.

Die Mitgliedstaaten dürfen solche Verhandlungsverpflichtungen, die über jene nach der ZugangsRL hinausgehen, auch nicht im nationalen Recht vorsehen, da Art 3 Abs a der RL den Unternehmen die Freiheit gewährt, zu verhandeln und Verträge abzuschließen und die in Art 4 Abs 1 der RL vorgesehene Verhandlungsverpflichtung daher eine Ausnahme darstellt, die eng auszulegen ist. Ob die Unternehmen im konkreten Streitfall Netzbetreiber sind, ist vom nationalen Gericht anhand der Begriffsbestimmungen in Art 2 der ZugangsRL und Art 2 der RahmenRL zu beurteilen.

Der EuGH weist auch darauf hin, dass die Verhandlungen nach Treu und Glauben zu führen sind - ein Netzbetreiber kann daher auch dann, wenn er keine beträchtliche Marktmacht hat, nicht ganz einseitige Bedingungen verlangen. Der EuGH: "Eine nationale Regulierungsbehörde kann es als einen Verstoß gegen die Verpflichtung, über eine Zusammenschaltung zu verhandeln, ansehen, wenn ein Unternehmen, das über keine beträchtliche Marktmacht verfügt, einem anderen Unternehmen die Zusammenschaltung zu einseitigen Bedingungen anbietet, die geeignet sind, die Entwicklung eines wettbewerbsorientierten Marktes auf Endverbraucherebene zu behindern, weil diese Bedingungen die Kunden dieses anderen Unternehmens daran hindern, dessen Dienste zu nutzen."

Thursday, May 14, 2009

Die Katharsis des Sektors, das Wesen der Netze und dazwischen ein "Superdummkopf" - Schlussanträge in der Rs C-192/08 TeliaSonera

Generalanwalt Dámaso Ruiz-Jarabo Colomer ist für seine manchmal exzentrischen Schlussanträge bekannt (siehe dazu zB hier, hier, hier, hier oder hier). Auch die heute veröffentlichten Schlussanträge in der Rechtssache C-192/08 TeliaSonera werden diesen Ruf wohl eher bestärken, denn auch diesmal gibt es wieder eher philosophische Ausflüge in Geschichte und Grundkonzeption der Telekomregulierung, eine manchmal ungewöhnliche Wortwahl* und schließlich Literaturzitate, deren Bezug zur Rechtssache nicht unnmittelbar einleuchtend scheint.

Colomer spricht etwa von der "Läuterung des Sektors", die gewisse Impulse von außen erfordert habe (Nr. 41, im spanischen Original: "la catarsis del sector precisaba de ciertos impulsos externos"), oder er fordert "die Untersuchung des Wesens der Netze" (Nr. 49, "desvelar ... a naturaleza de las redes"). Und in Nr. 50 merkt er zum Wortlaut des Art 4 der ZugangsRL an, dass dieser "eine synallagmatische Verbindung erkennen [lässt], die für die einen Vorteile, für die anderen aber häufig Nachteile mit sich bringt" - und umittelbar dazu stellt er eine Fußnote, die (vollständig) so lautet:
"Der italienische Wirtschaftshistoriker Cipolla, C. M., schildert in Allegro ma non troppo, Ed. Crítica, Biblioteca de bolsillo, Barcelona, 2001, mit köstlicher Ironie 'die Gesetze der menschlichen Dummheit' und ordnet die Personen anhand einer einfachen Gewinn- und Verlustrechnung in vier Kategorien ein: 'Der Leichtgläubige' führt eine Handlung aus, durch die er Schaden erleidet, aber dem Nächsten einen Vorteil verschafft, 'der Intelligente' erzielt einen Vorteil und lässt einen anderen daran teilhaben, 'der Bösewicht' erzielt einen Gewinn und schadet dabei einem anderen, und dem 'Dummkopf', einem absurden Geschöpf, das anderen schadet, ohne dabei etwas zu gewinnen, fügt er eine Unterkategorie 'Superdummkopf' hinzu, der wegen seines unglaublichen Verhaltens den anderen und sich selbst schadet."
Was das mit der Verhandlungspflicht über die Zusammenschaltung, die in Art 4 der ZugangsRL geregelt ist, zu tun haben soll, erschließt sich mir nicht. Ebenso zusammenhanglos könnte ich also hier zB auf Cipollas erstes Grundgesetz der menschlichen Dummheit hinweisen: "Sempre ed inevitabilmente ognuno di noi sottovaluta il numero di individui stupidi in circolazione." (ungefähr übersetzt: "Jeder unterschätzt immer und unvermeidlich die Zahl der im Umlauf befindlichen dummen Personen").

Nun aber zur Rechtssache, die sich eigentlich vergleichsweise einfach zusammenfassen lässt: iMEZ AB, ein Anbieter von SMS und MMS-Diensten, der ein "Short Message Service Center" betreibt und in Schweden mit allen Mobiltelefonbetreibern Verträge abgeschlossen hat, will auch in Finnland stärker ins Geschäft kommen und mit dem stärksten Betreiber, TeliaSonera, einen (Zusammenschaltungs?)Vertrag abschließen, um seine Dienste auch über dieses Netz anbieten zu können (in Finnland hatte iMEZ zu diesem Zeitpunkt nur einen Vertrag mit Elisa Oyj). TeliaSonera bietet aber, nach Ansicht der Regulierungsbehörde, nur sehr einseitige Bedingungen an und wird daher von der Regulierungsbehörde verpflichtet, nach Treu und Glauben über die Zusammenschaltung für SMS und MMS zu verhandeln und die "Operabilität" dieser Dienste herzustellen. (Weder TeliaSonera noch iMEZ haben auf einem hier relevanten Markt beträchtliche Marktmacht im Sinne des Art 14 RahmenRL.) TeliaSonera geht gegen die Entscheidung der Regulierungsbehörde zu Gericht und das oberste finnische Verwaltungsgericht legt dem EuGH Fragen zur Vereinbarkeit einer Verhandlungs- und Zusammenschaltungspflicht, wie sie im finnischen Gesetz vorgesehen ist, mit den Art 4, 5 und 8 der ZugangsRL vor.

Wesentliches Ergebnis der Schlussanträge: Die Verhandlungspflicht nach Art 4 ZugangsRL trifft nur Netzbetreiber, nicht auch Diensteanbieter. Da es sich nicht um eine Mindestregelung handelt, dürfen die Mitgliedstaaten diese Verpflichtung auch nicht ausweiten. Unter bestimmten Bedingungen könnte die Regulierungsbehörde aber nach Art 5 Abs 4 der ZugangsRL iVm Art 20 Abs 1 der RahmenRL auch für Dienste eingreifen - denn Art 5 Abs 4 der ZugangsRL gilt auch für den Zugang, der - anders als die Zusammenschaltung nach dem neuen Rechtsrahmen - auch Dienste, nicht nur Netze, betrifft.

Ob iMEZ allerdings ein Netzbetreiber ist oder nur ein Diensteanbieter, lässt sich aus dem Vorlagebeschluss nicht beurteilen. Dass iMEZ von der schwedischen Regulierungsbehörde ein Mobile Network Code zugeteilt wurde, ist für den Generalanwalt dabei nicht von Bedeutung; in Nr. 100 schreibt er: "Doch darf dieser Sachverhalt, der sich in Schweden ereignete, keine transnationalen Auswirkungen haben und sich in maßgeblicher Art und Weise auf den Telekommunikationsmarkt in Finnland auswirken". Das scheint mir im Hinblick auf Art 8 Abs 3 der RahmenRL doch recht kurz gegriffen.

*) Gelegentlich hat man den Eindruck, dass die deutsche Übersetzung des spanischen Originals noch merkwürdiger ist als das Original selbst, etwa wenn in Nr. 55 von den "übrigen Unternehmen der Zunft" die Rede ist (spanisch: "El resto de entidades del gremio").