Thursday, September 19, 2013

EGMR: Von Hannover gegen Deutschland (Nr. 3) - zur jüngsten Staffel einer juristischen telenovela

"Von Hannover", das ist keine geschützte geografische Angabe (wie beim schlesischen Streuselkuchen, über den ich jüngst geschrieben habe), sondern die etwas förmlichere Bezeichnung für eine Art juristischer telenovela, die in Deutschland schon mit großem Erfolg unter dem Titel "Caroline" gelaufen ist. Auf europäischer Ebene hat nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die dritte Staffel abgedreht: nach dem heutigen Urteil in der Sache Von Hannover gegen Deutschland (Nr. 3), Appl. no. 8772/10 (Pressemitteilung des EGMR) aber wird sich die Regie wohl etwas Neues einfallen lassen, wenn die Sache für die nächsten "Caroline" bzw "Von Hannover"-Folgen spannend bleiben soll.

Was bisher geschah:
"Zärtliche Romanze", "Melancholie" und "einfaches Glück" - entsprechend bebildert (von Hannover am Pferd, am Fahrrad etc.) - führten zum ersten "Von Hannover"-Urteil des EGMR am 24.06.2004; ein Spaziergang in St. Moritz war dann Anlass für den bisherigen dramaturgischen Höhepunkt, dem Urteil der Großen Kammer in der Sache von Hannover gegen Deutschland Nr. 2 (Appl. nos. 40660/08 und 60641/08) (mehr dazu hier im Blog).

Zur aktuellen Staffel - die deutsche Vorgeschichte
Die Geschichte beginnt mit einem kurzen Rückblick auf Deutschland: dort hatte der Bundesgerichtshof in einem Urteil des VI. Zivilsenats vom 6.3.2007 - VI ZR 52/06 über ein Foto zu urteilen, das die Klägerin (im BGH-Urteil fast anonymisiert: "eine Tochter des verstorbenen Fürsten von Monaco") "im Urlaub neben ihrem Ehemann auf einer öffentlichen Straße mit anderen Menschen zeigt." Das Bild diente der Illustration eines Berichts, wonach die Klägerin und ihr Ehemann (der natürlich auch klagte) ihre auf der Insel Lamu/Kenia gelegene Villa vermieten. Der BGH meinte, dass das kein Vorgang von allgemeinem Interesse sei und die von Hannovers die Bildveröffentlichung nicht hinnehmen müssten.

Das Bundesverfassungsgericht hingegen wollte auch der "bloßen Unterhaltung" einen Bezug zur Meinungsbildung nicht von vornherein absprechen und hob die Entscheidung des BGH auf (26.02.2008, 1 BvR 1607/07): "Der Schutzbereich der Pressefreiheit umfasst auch unterhaltende Beiträge über das Privat- oder Alltagsleben von Prominenten und ihres sozialen Umfelds, insbesondere der ihnen nahestehenden Personen. Es würde die Pressefreiheit in einer mit Art. 5 Abs. 1 GG unvereinbaren Weise einengen, bliebe die Lebensführung dieses Personenkreises einer Berichterstattung außerhalb der von ihnen ausgeübten Funktionen grundsätzlich entzogen." Dem BGH gab er dabei noch allerlei gute Ratschläge zur Abwägung mit auf den Weg, hielt sich aber selbst zurück, denn die konkrete Abwägung sei eben Aufgabe der Fachgerichte. 

Also tat der BGH wie ihm geheißen und kam schließlich in seinem Urteil vom 01.07.2008, VI ZR 67/08, zu dem von ihm im folgenden Rechtssatz zusammengefassten Ergebnis: "Kann ein Bericht über die Vermietung der Ferienvilla einer Person des öffentlichen Interesses Anlass für sozialkritische Überlegungen der Leser geben, kann die Bebilderung dieses Berichts mit einem Foto des Eigentümers und seiner Ehefrau auch ohne deren Einwilligung zulässig sein." Und weil das so eben so gewesen sei, sei auch die Abbildung der Frau von Hannover zulässig. 

Die Regenbogenpresse als Hort der Sozialkritik, das muss auch das Bundesverfassungsgericht überzeugt haben - jedenfalls nahm es die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde nicht an (was uns leider auch um die Chance eines weiteren Caroline-Urteils des BVerfG brachte).

Zur aktuellen Staffel - das Urteil aus Straßburg
Das Privatleben, so belehrt uns der EGMR gleich einleitend (Abs 41), ist "une notion large" (ein weiter Begriff). Und dann folgt all das, was aus Von Hannover (Nr. 2) bekannt ist, die Abwägung, der Beurteilungsspielraum, die Kontrolle durch den EGMR, der aber nicht an die Stelle der nationalen Gerichte treten wolle, jedenfalls nicht wenn die nationalen Gerichte bei der Abwägung die in der Rechtsprechung des EGMR herausgearbeiteten Kriterien entsprechend anwenden. Nur schwerwiegende Gründe würden es rechtfertigen, die Auffassung des EGMR an die Stelle jener des nationalen Gerichts zu setzen, etwa wenn die Beziehung zwischen dem strittigen Foto und dem begleitenden Text völlig künstlich und willkürlich wäre ("lorsque le lien entre la photo litigieuse et le texte l’accompagnant s’avère purement artificiel et arbitraire"). 

Wenn nun BVerfG und BGH meinten, dass der Artikel in der Regenbogenpresse zu einer Debatte von allgemeinem Interesse (Tatsächlich: Berühmte Menschen vermieten ihre Villen!) beigetragen habe, dann will der EGMR da nicht kleinlich sein: "au moins dans une certaine mesure", zmindest in einem gewissen Maß, wird das wohl der Fall gewesen sein. Da schließlich auch das - kleinformatige - Foto selbst nicht heimlich aufgenommen worden war, sah der EGMR keinen Grund, die Abwägung der deutschen Gerichte zu kippen.

Nächste Staffel?
Wie schon gesagt: die Spannung ist draußen, die Handlung dieser Staffel war erwartbar, gerade dass das Urteil diesmal in französischer Sprache erging, statt wie beim ersten von Hannover-Urteil in Englisch, sorgte noch für etwas Abwechslung (das von Hannover Nr 2-Urteil war - da von der Großen Kammer - in beiden Sprachen). Aber sonst: Wir wissen längst, dass man eine Interessenabwägung zwischen den nach Art 8 EMRK und den nach Art 10 EMRK geschützten Interessen vorzunehmen hat, und wir wissen nun auch wieder, dass der EGMR, wenn er dem BGH und dem BVerfG bei dieser Balanciererei sozusagen über die Schulter schauen kann, keine besondere Lust hat, die Verwertungsinteressen von Berühmtheiten übermäßig zu befördern.

Aber andererseits kann man wohl auch nie genug Caroline-Urteile haben ...

Update 25.02.2014: Mit Beschluss vom 17.02.2014 hat das "panel" der Großen Kammer die von der Beschwerdeführerin beantragte Verweisung der Sache an die Große Kammer abgelehnt.

Monday, September 16, 2013

EuG: französisches Projekt zur Breitbandversorgung (THD 92) erfüllte die Altmark-Kriterien

Mit dem Projekt "THD 92" wollten die französichen Behörden den flächendeckenden Ausbau und Betrieb eines Breitbandnetzes im Département des Hauts-de-Seine erreichen ("THD 92" steht für "très haut débit", sehr hohe Bandbreite, und die Postleitzahl des Bezirks). Dazu wurden - nach Ausschreibung einer Dienstleistungskonzession - einem Unternehmen gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegt (délégation de service public, DSP) und dafür Ausgleichszahlungen von 59 Mio € geleistet. Das Projekt wurde der Kommission notifiziert; diese entschied am 30.09.2009, dass es sich um keine staatliche Beihilfe handle (Case N 331/2008; Pressemitteilung). Entscheidend war, dass der betraute Betreiber durch eine Ausschreibung ermittelt wurde und keine Überkompensation erfolgte; zudem bietet der Betreiber technologieneutral an (Vermietung von dark fibre, also unbeschalteter Glasfaser) und steht nur mit anderen Betreibern, nicht aber direkt mit Endkunden in Verbindung.

Diese Entscheidung der Kommission wurde von drei Telekommunikationsunternehmen beim EuG angefochten. Mit seinen heutigen Urteilen in den Rechtssachen T-79/10 Colt Télécommunications France / Kommission, T-258/10 Orange / Kommission und T-325/10 Iliad ua / Kommission hat das EuG alle Klagen abgewiesen und die Rechtsansicht der Kommission bestätigt (siehe auch die Pressemitteilung des EuG).
[Update 09.02.2014: gegen die Urteile in den Rechtssachen T-258/10 und T-325/10 wurden Rechtsmittel erhoben, die beim EuGH unter C-621/13 P Orange / Kommission bzw C-624/13 P Iliad ua / Kommission anhängig sind.
Update 01.05.2015: Der EuGH hat die Rechtsmittel mit Beschlüssen vom 11.02.2015 (Orange, Iliad) zurückgewiesen.]

Nach prozeduralen Fragen (insbesondere zur Frist für die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens) prüft das EuG vor allem das Vorliegen der "Altmark-Kriterien", nach denen eine Ausgleichszahlung für die Übernahme gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen dann nicht als staatliche Beihilfe eingestuft wird, wenn vier kumulative Kriterien erfüllt sind (1. Beauftragung mit klar definierten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen; 2. Im vorhinein aufgestellte objektive und transparente Parameter zur Berechnung des Ausgleichs; 3. Der Ausgleich darf nicht über das hinausgehen, was zur Deckung der Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen erforderlich ist; 4. Wenn das Unternehmenen nicht in einem Vergabeverfahren ausgewählt wurde, muss der Ausgleich auf Grundlage der Kosten eines durchschnittlichen, gut geführten Unternehmens berechnet werden).

Zum ersten Kriterium kommt das EuG zum Ergebnis, dass es um eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse geht. Es liegt Marktversagen vor, weil kein anderer Betreiber ein derartiges Hochleistungsnetz errichtet habe; der Zugang zu Hochleistungsdiensten deckt einen allegemeinen Bedarf, der besonders dem Gemeinwohl dient. Die Mitgliedstaaten haben zudem einen weiten Wertungsspielraum bei der Feststellung, was sie als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ansehen, solange diese gewissen Mindestkriterien entsprechen müsse, darunter dem Kriterium, dass diese Aufgabe universal und obligatorisch sein muss, was im Fall des "THD 92"-Projekts gegeben war.

Das Gericht kann auch keine Überkompensation entdecken; es hält fest, dass der Mitgliedstaat über Ermessen zur Einschätzung der Mehrkosten verfügt. Da diese Einschätzung von komplexen wirtschaftlichen Umständen abhängt, beschränkt sich die von der Kommission ausgeübte Kontrolle betreffend das Vorliegen einer Überkompensation darauf, ob ein offenkundiger Fehler vorliegt.

Das EuG zitiert mehrfach die "Leitlinien für die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen im Zusammenhang mit dem schnellen Breitbandausbau" aus 2009, auch wenn diese zum Zeitpunkt der Notifikation noch nicht veröffentlicht waren; dabei geht es aber nicht um die Heranziehung als Rechtsquelle, sondern weil die Leitlinien die Praxis der Kommission bei der Anwendung insbesondere auch der Altmark-Kriterien auf diesem Gebiet darlegen (mittlerweile gibt es dazu übrigens neuere Leitlinien aus dem Jahr 2013).

Natürlich betreffen diese Urteile das konkrete französische Projekt, aber es lässt sich doch zusammenfassen, dass das EuG dem von der Kommission in ihren Leitlinien dargelegten Zugang hinsichtlich der Förderung von Breitbandprojekten folgt. Das EuG zweifelt insbesondere nicht daran, dass es sich bei einem derartigen Projekt zum Ausbau und Betrieb von Hochleistungsnetzen um eine Dienstleistung im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse handelt, und dies auch in einer Region wie dem Département des Hauts-de-Seine, die ja keineswegs ein vernachlässigtes ländliches Randgebiet Frankreichs ist, sondern direkt an die Hauptstadt angrenzt. Wenn selbst dort die Feststellung von Marktversagen so problemlos akzeptiert wird, dann sollte dies jedenfalls bei Breitbandausbau-Projekte in ländlichen Gegenden - wenn sie entsprechend neutral ausgestaltet sind und ordnungsgemäß ausgeschrieben werden - noch weniger Schwierigkeiten machen.

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Das EuG traf heute noch eine weitere Entscheidung in einer Beihilfenstreitigkeit: Mit seinem Urteil in den verbundenen Rechtssachen T-226/09, British Telecommunications plc, und T-230/09, BT Pension Scheme Trustees Ltd, bestätigte das EuG die Entscheidung der Kommission, dass die teilweise Ausnahme von der Verpflichtung zur Leistung eines Beitrags zum Pension Protection Fund eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe darstellt.

Sunday, September 15, 2013

Völlig off topic: Streuselkuchen und Grundrechte - oder: wenn deutsche Bäcker vor dem EuG über die Grenzen Schlesiens streiten

Schlesischer Kuchen ....
Die Grundrechte deutscher Bäcker sind in Gefahr, meint der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks. Die Bedrohung geht immerhin von der Europäischen Kommission aus, und sie ist so ernst, dass der Verband beim EuG Klage erhoben hat (T-354/13). Die Kommission habe nämlich eine fehlerhafte geografische Abgrenzung Schlesiens nicht erkannt und zudem "Kołocz śląski" bzw "Kołacz śląski" (schlesischer Streuselkuchen) als Ursprungs- statt als Gattungsbezeichnung* beurteilt**.

Wird nun also vor dem Gericht der Europäischen Union - und danach vielleicht vor dem EuGH - wegen eines Streuselkuchens ein Streit über die wahren Grenzen Schlesiens ausgefochten werden?

Wohl nicht. Denn auch wenn ich die näheren Umstände des Verfahrens nicht kenne, so scheint der Aufstand der schlesischen Weber deutschen Bäcker doch reichlich spät zu kommen. Der Zentralverband hatte gegen den Eintragungsantrag nämlich keinen Einspruch erhoben (sodass der Durchführungsverordnung nichts entgegen stand), will aber nun, schon kurz nach der Eintragung, die Löschung. Dieses Begehren könnte meines Erachtens nur dann aussichtsreich sein, wenn sich zwischen Eintragung und Löschungsantrag Substanzielles geändert hätte - was ich beim Streuselkuchen nicht wirklich annehmen würde. Und welche konkreten Bäcker-Grundrechte durch die Eintragung der geschützten geografischen Angabe verletzt sein sollen, geht zumindest aus der Zusammenfassung der Klage im Amtsblatt auch nicht hervor.

... Krainer Wurst, Steirisches Öl ...  
Aber das Verfahren zeigt wieder einmal, wie leicht die Eintragung einer geschützten geografischen Angabe für "juristische Grenzkonflikte" sorgen kann, die dann in manchen Medien gleich als Kriege vermarktet werden. Österreich hat damit eine gewisse Erfahrung, wie der - formal noch offene, inhaltlich aber offenbar bereits bereinigte - Streit um die Eintragung der "Kranjska klobasa" zeigt (dazu habe ich ja - genauso off topic - auch schon mal gebloggt). Zuvor schon gab es die Auseinandersetzung um das Štajersko prekmursko bučno olje, das ich jetzt - nach der Durchführungsverordnung der Kommission - nur mehr teilweise übersetzen darf: Kürbiskernöl aus der Štajerska oder aus Prekmurje ist das, aber eben keinesfalls steirisches Kürbiskernöl.

Beim schlesischen Kuchen hätte vielleicht so ein Übersetzungsverbot wie beim Kürbiskernöl aus der (Unter-)SteiermarkŠtajerska auch geholfen, aber das haben die Bäcker wohl - wie man in der Branche so sagt - versemmelt.

... Bayerische Brezen
Doch wird es demnächst die österreichischen Bäcker zerbrezeln? Letzten Mittwoch wurde nämlich ein Antrag im Amtsblatt veröffentlicht, mit dem der Name "Bayerische Breze"/"Bayerische Brezn"/"Bayerische Brez’n"/"Bayerische Brezel" als geografische Angabe geschützt werden soll; ein österreichischer Bäcker könnte also keine "bayerischen Brezen" mehr anbieten. Perfekt wie fast immer*** bei solchen Anträgen ist übrigens die Beschreibung der Besonderheiten des Produkts; da liest man zB:
Wertbestimmend für den Genusswert ist der laugige Geschmack in Verbindung mit dem röschen, kurzen Bruch der Breze sowie die wattige, noch weiche Beschaffenheit der Krume beim Verzehr.
Falls die österreichischen Bäcker vielleicht der Meinung sein sollten, dass die Bayerische Breze/Brezn/Brez'n/Brezel eine Gattungsbezeichnung sei, oder Bayern mit der Angabe "Freistaat Bayern" fehlerhaft geografisch abgegrenzt würde, so hätten sie jetzt drei Monate ab Veröffentlichung Zeit für einen Einspruch!

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*) Unter Gattungsbezeichnung versteht man nach Art 3 Z 6 der VO (EU) 1151/2012 einen Produktnamen, der, ob­wohl er auf den Ort, die Region oder das Land verweist, in dem das Erzeugnis ursprünglich hergestellt oder vermark­tet wurde, zu einer allgemeinen Bezeichnung für ein Erzeug­nis in der Union geworden ist. Ähnlich war die Defintion bereits in der Vorgänger-Verordnung VO (EG) 510/2006.
**) Die vom Zentralverband angeführten Löschungsgründe betreffend die Eintragung "Kołocz śląski/Kołacz śląski" als geschützte geographische Angabe sind laut der Veröffentlichung im Amtsblatt: "bei der streitgegenständlichen Bezeichnung handele es sich um eine Gattungsbezeichnung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 510/2006; das geografische Gebiet Schlesiens sei in der Spezifikation der Eintragung fehlerhaft abgegrenzt worden".
***) Manchmal wirken die Besonderheiten auch ein wenig schlicht: gerade beim Streuselkuchen zB heißt es in der Spezifikation: "Ein weiteres besonderes Merkmal, durch das sich der 'Kołocz śląski' oder 'Kołacz śląski' von anderen ähnlichen Produkten unterscheidet, ist seine rechteckige Form." Das klingt mir jetzt nicht gerade nach einem ultimativen Alleinstellungsmerkmal.

PS (Update 23.09.2013): Der Spiegel hat mein Blog gelesen und diesen Beitrag zum Anlass für eine Geschichte genommen (Nr. 39/2013, S. 60; online nur angeteasert, im Volltext wird mein Text zitiert und auch offengelegt, dass die Headline des Artikels im Spiegel - "versemmelt" - aus dem Blog stammt). Update 02.12.2014: online inzwischen hier zu finden.

Update 12.11.2013: Die taz behandelt das Thema schlesischer Streuselkuchen in der Rubrik "was fehlt" (hier); wenig überraschend interessierte sich auch die eher am rechten Rand angesiedelte "Junge Freiheit" für das Thema, der  Beitrag, in dem sie mich ausführlich zitiert, ist aber harmlos.

Update 27.11.2013: Die Kommission hat mit Durchführungsbeschluss vom 14.11.2013 (ABl L 306/40 vom 16.11.2013) den Antrag Deutschlands auf Löschung der in das Verzeichnis der geschützten Ursprungsbezeichnungen und der geschützten geografischen Angaben gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates eingetragenen Bezeichnung Kołocz śląski/kołacz śląski (g. g. A.) abgelehnt.

Update (22.04.2014): Der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks geht mit einer am 17.01.2014 eingereichten Klage auch gegen den oben erwähnten Durchführungsbeschluss vor: anhängig beim EuG unter T-49/14, Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks/ Kommission.

Update 02.12.2014: Die erste Klage wurde erwartungsgemäß als unzulässig zurückgewiesen (Beschluss des EuG vom 10.09.2014, T-354/13). Über die zweite Klage wird am 03.12.2014 vor dem EuG verhandelt.

Update 29.09.2015: Das Urteil in der Rechtssache T-49/14, Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks/ Kommission ist für 07.10.2015 angekündigt.

Update 07.10.2015: zum Urteil siehe im Blog hier!

Wednesday, September 11, 2013

Vernetzter Kontinent: der Kommissionsvorschlag für die Verordnung über den Binnenmarkt für elektronische Kommunikation liegt nun auf dem Tisch

(Update 13.09.2013: nun liegen der deutsche Text des Verordnungsvorschlags vor, ich habe im Beitrag daher die Zitate nun ausgewechselt auf die deutsche Fassung, den Beitrag aber sonst nicht verändert)

Gestern habe ich eine Vorschau geliefert, nun liegt der offizielle Kommissionsvorschlag vor (Regulation of the European Parliament and of the Council laying down measures concerning the European single market for electronic communications and to achieve a Connected Continent - COM(2013) 627 - vorerst nur in englischer Sprache in deutscher Sprache: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen zum europäischen Binnenmarkt der elektronischen Kommunikation und zur Verwirklichung des vernetzten Kontinents und zur Änderung der Richtlinien 2002/20/EG, 2002/21/EG und 2002/22/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1211/2009 und (EU) Nr. 531/2012 ); ergänzt wird der Verordnungsvorschlag von einer Mitteilung der Kommission (Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions on the Telecommunications Single Market - COM(2013) 634; deutsche Fassung). In der Mitteilung ist auch angekündigt, dass mit dem Vorschlag für die Verordnung auch die Empfehlung zur Nichtdiskriminierung und zu Kostenrechnungsmethoden für den Zugang zu NGA- und Kupfernetzen vorgelegt wird

(Update 12.09.2013: nun ist auch diese Empfehlung online: Commission recommendation on consistent non-discrimination obligations and costing methodologies to promote competition and enhance the broadband investment environment - C(2013) 5761; in deutsch vorerst [13.09.2013] nur hier zu finden: Empfehlung der Kommission vom 11.9.2013 über einheitliche Nichtdiskriminierungsverpflichtungen und Kostenrechnungsmethoden zur Förderung des Wettbewerbs und zur Verbesserung des Umfelds für Breitbandinvestitionen). Außerdem gibt es ein Impact Assessment für das gesamte Paket (auch in einer Zusammenfassung).

Das Ganze muss natürlich mit viel heißer Luft auch verkauft werden, wozu es eine Presseaussendung und ein Memo gibt (ich verlinke von der Presseaussendung, die es auch in deutscher Sprache gibt, nur die englische Fassung, da die deutsche Version eher irreführend übersetzt ist: "EU-wide and roaming-free mobile plans" sind nämlich schlicht Tarifoptionen, nicht "Pläne für EU-weite Mobilfunkdienste ohne Roamingaufschläge").

Inhaltsübersicht
Ich kann den Vorschlag jetzt nicht in jedem Detail behandeln, sondern nur eine grobe und schnelle Übersicht geben, unter allen Vorbehalten, wie sie einem solchen Schnellschuss entgegengebracht werden sollten. Zunächst allgemein zum Inhalt: Art 1 Abs 2 schreibt wie üblich diverse hehre regulatorische Grundsätze fest, zu deren Erreichung die Verordnung, so Art 1 Abs 3, detaillierte Regelungen für folgende Bereiche enthält:
a) eine EU-weite Genehmigung für europäische Anbieter elektronischer Kommunikation;
b) die weitere Vereinheitlichung der Regulierung hinsichtlich der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit von Abhilfemaßnahmen, die die nationalen Regulierungsbehörden europäischen Anbietern elektronischer Kommunikation auferlegen;
c) die harmonisierte Bereitstellung bestimmter Breitbandvorleistungsprodukte auf Unionsebene unter konvergierenden rechtlichen Rahmenbedingungen;
d) einen koordinierten europäischen Rahmen für die Zuteilung harmonisierter Funkfrequenzen für drahtlose Breitbandkommunikationsdienste, wodurch ein europäischer Raum der Drahtloskommunikation geschaffen wird;
e) die Harmonisierung von Vorschriften über die Rechte der Endnutzer und die Förderung eines wirksamen Wettbewerbs auf den Endkundenmärkten, wodurch ein europäischer Raum der elektronischen Kommunikation für Verbraucher geschaffen wird;
f) den Abbau ungerechtfertigter Preisaufschläge für unionsinterne Auslandsverbindungen und für Roamingverbindungen innerhalb der Union.
Sitzstaatkontrolle
Die Verordnung definiert den Europäischen Anbieter elektronischer Kommunikation als "ein in der Union niedergelassenes Unternehmen, das unmittelbar oder über eine oder mehrere Tochtergesellschaften elektronische Kommunikationsnetze oder -dienste bereitstellt oder bereitzustellen beabsichtigt, die an mehr als einen Mitgliedstaat gerichtet sind, und das nicht als Tochtergesellschaft eines anderen Anbieters elektronischer Kommunikation angesehen werden kann". Dieser Betreiber, samt seiner Tochtergesellschaften, soll - mit einer "EU-weiten Genehmigung" ("single EU authorisation", Art 3) seines Sitzstaates ausgestattet - im Wesentlichen der Aufsicht des Sitzstaats unterliegen (Art 5). Das wird durch zahlreiche Meldepflichten und Verfahrensvorschriften ergänzt, zumal es ja durchaus zu unterschiedlichen Auffassungen der nationalen Regulierungsbehörden kommen kann, wer nun wofür zuständig ist.

Ein solcher Europäischer Anbieter ist natürlich von allen Mitgliedstaaten gleich zu behandeln wie ein "einheimischer" Betreiber; zur Beruhigung der Mitgliedstaaten dürfen von ausreichend großen Europäischen Anbietern auch weiterhin Verwaltungs- und Universaldienstabgaben eingehoben werden (Art 3 Abs 3 und 4). Das damit eröffnete "regulatory forum shopping" soll - anders als in den ersten geleakten Entwürfen - nicht mehr durch genauere Regeln zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats beschränkt werden. Es reicht nun aus, dass im zuständigen Mitgliedstaat die wesentlichen geschäftlichen und Investitionsentscheidungen getroffen werden (Art 2 Abs 6). Ob - wie früher im Fernsehbereich - Luxemburg schon wieder bereit steht, um günstige Regulierungskonditionen zu bieten? Immerhin muss der Sitzsaat gewährleisten, dass rechtliche Dokumente zugestellt werden können (Art 7 Abs 2).

Koordination der Frequenznutzung
Die Bestimmungen des Chapter III der Verordnung betreffen nur harmonisierte Frequenzen für drahtlose Breitbanddienste, für deren Nutzung regulatorische Grundsätze (Art 9) und Zuteilungskriterien (Art 10) aufgestellt werden. Ergänzt wird das durch im Einzelnen komplexe Vorschriften zur europaweiten Harmonisierung, insbesondere auch der Zeitpläne. Art 13 des Verordnungsvorschlags soll ein Koordinationsverfahren analog dem Art 7 bzw Art 7a-Verfahren nach der RahmenRL etablieren: der Kommission sind die nationalen Entscheidungsentwürfe zu kommunizieren, dann kann die Kommission "serious doubts" äußern und wenn es zu keiner Einigung kommt, letztlich die nationale Behörde auffordern, die Entscheidung zurückzunehmen.

Art 14 des Vorschlags will die Bereitstellung öffentlicher WLANs und „drahtloser Zugangspunkte mit geringer Reichweite“ erleichtern; insbesondere soll die nicht kommerzielle Bereitstellung öffentlicher WLAN-Zugänge durch öffentliche Stellen, Endnutzer oder zB Cafés nicht als Erbringung eines elektronischen Kommunikationsdienstes angesehen werden (wobei das meines Erachtens auch jetzt schon so war, allenfalls mit Ausnahme von Unternehmen, die den WLAN-Zugang als Nebenleistung angeboten haben). Auch soll die Bereitstellung und der Betrieb unaufdringlicher ("unobtrusive") drahtloser Zugangspunkte mit geringer Reichweite nicht unangemessen beschränkt werden. Schließlich sieht Art 16 noch weitere Kooperations- und Koordinationspflichten der Mitgliedstaaten bei der Frequenzplanung vor.

Europäische virtuelle Zugangsprodukte
Der Verordnungsvorschlag sieht vor, dass Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht, die aufgrund spezifischer Verpflichtungen Zugang gewähren müssen, verpflichtet werden können, europaweit harmonisierte Zugangsprodukte anzubieten ("Europäisches virtuelles Breitbandzugangsprodukt" und "Konnektivitätsprodukt mit zugesicherter Dienstqualität (ASQ-Konnektivitätsprodukt)"). Minimalerfordernisse dafür sind in den Anhängen I und II des Vorschlags enthalten, außerdem kann die Kommission technische Durchführungsverordnungen erlassen.

Harmonisierte Endkunden-Rechte
Kapitel IV des Entwurfs (Art 21 bis 29) will bestimmte Endnutzerrechte harmonisieren. Harmonisieren, das muss man hier vielleicht betonen, heißt unionsrechtlich, dass die Mitgliedstaaten davon auch zugunsten der Endnutzer nicht mehr abweichen können - weitergehende nationale Verbraucherrechte in diesem Bereich sind damit ausgeschlossen.

Diskrimierungsverbot
Art 21 enthält ein Verbot von (behördlichen) Beschränkungen für die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Diensten, sowie ein Verbot für Betreiber, Kunden abhängig von der Nationalität oder dem Wohnsitz zu diskriminieren ("sofern solche Unterschiede nicht objektiv gerechtfertigt sind") - was jetzt wohl auch keine große inhaltliche Neuerung ist.

Interessant ist Abs 3 des Art 21, der höhere Entgelte für Festnetz-Anrufe innerhalb der Union (gegenüber nationalen Fernverbindungen) nur mit objektiver Rechtfertigung zulässt (internationale Terminierungsentgelte, die von ausländichen Terminierungsnetzbetreibern verlangt werden, dürften aber wohl solche objektive Gründe sein); für mobile Kommunikation (also für Gespräche und SMS über Mobilnetze vom Inland ins Ausland, nicht für Roaming!) darf nicht mehr verlangt werden, als für Roaminganrufe (ab 01.07.2014: 0,19 € plus USt) bzw Roaming-SMS (ab 01.07.2014 0,06 € plus USt):
(3) Außer wenn dies objektiv gerechtfertigt ist, dürfen Anbieter öffentlicher elektronischer
Kommunikation für unionsinterne, in einem anderen Mitgliedstaat zugestellte Verbindungen
keine Tarife anwenden, die höher sind
a) als die Tarife für inländische Fernverbindungen in Festnetzen;
b) als der jeweilige Eurotarif für regulierte Sprachanrufe und SMS-Roamingnachrichten
gemäß der Verordnung (EG) Nr. 531/2012 in Mobilfunknetzen.*)

Freiheit, qualitätsdifferenzierte Dienste zu bekommen (Netzneutralität light)
Art 23 steht unter der fantastischen Überschrift "Freiheit der Bereitstellung und Inanspruchnahme eines offenen Internetzugangs und angemessenes Verkehrsmanagement". Die Bestimmung verheißt den Endkunden die Freiheit, Verträge über Datenvolumen und Geschwindigkeiten einzugehen und vertragsgemäß Anwendungen und Dienste in Anspruch zu nehmen (Art 23 Abs 1). Die im geleakten Entwurf noch enthaltenen weiteren Einschränkungen, dass man auch Qualitätscharakteristika vereinbaren könne, fehlt nun im Vorschlag der Kommission. Dafür sieht Abs 2 vor, dass Endkunden auch die "Freiheit" haben, Spezialdienste mit einer höheren Dienstqualität (enhanced QoS) in Anspruch zu nehmen. Dazu sollen Diensteanbieter auch Deals mit Telekombetreibern eingehen können, um eine definierte Qualität oder eine dedizierte Kapazität zu sichern. Dadurch soll aber das "normale" Internet nicht (dauerhaft oder wiederholt) allzu großen Schaden nehmen: "Durch die Bereitstellung von Spezialdiensten darf die allgemeine Qualität von Internetzugangsdiensten nicht in wiederholter oder ständiger Weise beeinträchtigt werden."

Zusätzlich wird, wie schon im letzten Reformpaket, besonderer Wert auf Informationsbereitstellung gelegt (Art 25 Abs 1, Art 26 Abs 2 und Art 27 Abs 1 und 2). Immerhin enthält Art 23 Abs 5 auch ein ausdrückliches Verlangsamungs-, Verschlechterungs- und Diskriminierungsverbot:
Innerhalb vertraglich vereinbarter Datenvolumina oder -geschwindigkeiten für Internetzugangsdienste dürfen Anbieter von Internetzugangsdiensten die in Absatz 1 genannten Freiheiten nicht durch Blockierung, Verlangsamung, Verschlechterung oder Diskriminierung gegenüber bestimmten Inhalten, Anwendungen oder Diensten oder bestimmten Klassen davon beschränken, außer in den Fällen, in denen angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen erforderlich sind. Angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen müssen transparent, nicht diskriminierend, verhältnismäßig und erforderlich sein,
a) um einer Rechtsvorschrift oder einem Gerichtsbeschluss nachzukommen oder um schwere Verbrechen abzuwehren oder zu verhindern;
b) um die Integrität und Sicherheit des Netzes, der über dieses Netz erbrachten Dienste und der Endgeräte der Endnutzer zu wahren;
c) um die Übertragung unerbetener Mitteilungen an Endnutzer zu unterbinden, welche ihre vorherige Zustimmung zu solchen beschränkenden Maßnahmen gegeben haben;
d) um die Auswirkungen einer vorübergehenden oder außergewöhnlichen Netzüberlastung zu minimieren, sofern gleichwertige Verkehrsarten auch gleich behandelt werden.
Im Rahmen eines angemessenen Verkehrsmanagements dürfen nur solche Daten verarbeitet werden, die für die in diesem Absatz genannten Zwecke erforderlich und verhältnismäßig sind.
Das ist zwar keine unbedingte Netneutralität, aber es ist immerhin ein Ansatz für eine Art "Netzneutralität light". Ergänzt wird das durch Monitoringaufgaben der Regulierungsbehörde (Art 24) und - wie schon erwähnt - Transparenz und Informationspflichten (Art 25 bis 27).

Die Kommission soll dazu auch Durchführungsvorschriften erlassen können, um zB Speed-Tests, QoS-Parameter und Messmethoden zu normieren (Art 25 Abs 2). Endkunden müssen Zugang zu unabhängigen Evaluierungstools haben, um die Performance ihres Internetzugangs zu vergleichen (Art 25 Abs 3). Art 26 enthält wieder umfassende Informationspflichten für Verträge (mit dem schon bekannten Problem, dass dabei nicht immer deutlich ist, was davon nur Information, und was vertragliche Vereinbarung sein soll). Art 27 soll gewährleisten, dass Endkunden ausreichende Mechanismen zur Verfügung stehen, um den "Verbrauch" (Daten, Minuten, etc.) zu kontrollieren.

Provider als Hilfssheriffs?
Art 25 Abs 4 sieht vor, dass Diensteanbieter auf Ersuchen von Behörden kostenlos Informationen an ihre Endkunden weiterleiten müssen, unter anderem - wer würde das erraten haben - betreffend übliche gesetzwidrige Aktivitäten ("die häufigsten Formen einer Nutzung elektronischer Kommunikationsdienste für unrechtmäßige Handlungen oder die Verbreitung schädlicher Inhalte, insbesondere wenn dadurch die Achtung der Rechte und Freiheiten anderer Personen beeinträchtigt werden kann, einschließlich Verstößen gegen Datenschutzrechte, das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte und ihre rechtlichen Folgen") sowie zum Schutz von Sicherheitsbedrohungen.

Vertragsdauer
Wie schon jetzt sollen Verträge nicht auf längere Zeit als 24 Monate abgeschlossen werden. Neu - und meines Erachtens höchst entbehrlich - ist die Bestimmung, dass Anbieter auch einen Vertrag mit einer Höchstdauer von 12 Monaten anbieten muss (den kann er freilich so teuer wie er will anbieten, sodass das dem Endnutzer im Ergebnis nichts bringt). Für mich unklar ist jedenfalls beim ersten schnellen Durchlesen, wie es um das Recht steht, einen Vertrag bei nachteiliger Änderung der Vertragsbedingungen kostenlos aufzulösen. Die Bestimmung in Art 28 Abs 4 sagt, dass der Anbieter den Kunden über sein Recht informieren muss, den Vertrag ohne Kosten zu kündigen; dann aber heißt es "Absatz 2 gilt entsprechend." In Abs 2 wiederum ist für den Fall, dass ein Vertrag vorzeitig aufgelöst wird, vorgesehen, dass dafür keine Entschädigung zu leisten ist, außer "dem Restwert verbilligter Endgeräte, die bei Vertragsschluss an den Vertrag geknüpft waren, und einer zeitanteiligen Rückzahlung anderer Angebotsvorteile, die bei Vertragsschluss als solche beworben worden waren." Wurde damit dem Wunsch der Telekomunternehmen Rechnung getragen, dass auch bei vorzeitiger Auflösung, weil der Betreiber die Bedingungen verschlechtert, eine Ersatzzahlung für das gestützte Handy zu leisten ist?

(Zeitlich beschränkte) "Portierung" auch von E-Mail-Adressen
Art 30 soll das Wechseln von Betreibern erleichtern und enthält dazu neben Regeln über die Nummernportierung auch die Bestimmung, dass ein "verlassener" Internetzugangs-Anbieter auf Wunsch des Kunden kostenlos eine E-Mail-Weiterleitung für 12 Monate einrichten muss.

Änderungen anderer Richtlinien und Verordnungen
In Art 7a der RahmenRL soll - wenig überraschend - die Kommission in bestimmten Fällen doch eine Veto-Entscheidung treffen können. In Art 15 RahmenRL wird der - bisher aus den Marktanalyse-Leitlinien - bekannte 3-Kriterientest nun ausdrücklich in der Richtlinie verankert. In der UniversaldienstRL entfallen die Bestimmungen über Verträge, Transparenz und Veröffentlichung von Informationen, Dienstequalität und Anbieterwechsel, die durch die einschlägigen Bestimmungen der neuen Verordnung ersetzt werden.

In der BEREC-Verordnung wird vorgesehen, dass der/die BEREC-Vorsitzende auf drei Jahre bestellt und "a full-time independent professional" ("eine unabhängige Vollzeitfachkraft") sein muss.

Roaming
Art 4 der Roaming-VO, mit der ab 01.07.2014 der separate Verkauf von Roamingdiensten auf Endkundenebene eingeführt wird, bleibt bestehen, soll aber für jene Roaminganbieter nicht verpflichtend sein, die nach dem neuen Art 4a der Roaming-VO ein Endkundenpaket anbieten, in dem Roaminganrufe nicht teurer sind als solche im Heimatnetz, wobei es zumindest einen Betreiber in jedem Mitgliedstaat geben muss, über dessen Netz solche "inlandsgleichen" Roaminganrufe geführt werden können. Im Einzelnen sind angemessene Beschränkungen möglich, für die BEREC Leitlinien aufstellen soll. Vom 01.07.2014 bis zum 30.06.2016 kommen recht komplexe Übergangsbestimmungen ("Gleitpfad") zum Tragen, bei denen es im Wesentlichen darum geht, dass die Betreiber das "inlandsgleiche" Roaming ("roam like home")noch nicht in allen Angebotspaketen oder nicht in allen Mitgliedstaaten gewährleisten müssen.

Für passive Roaminggespräche soll bereits ab 01.07.2014 kein Entgelt verlangt werden dürfen.

Zielzeitpunkt für die Anwendung:
Nach Art 29 des Verordnungsvorschlags soll die Verordnung ab 01.07.2014 angewendet werden, ausgenommen die Endkunden-Schutzbestimmungen (Art 21 bis 30), die erst mit 01.07.2016 angewendet werden sollen.

Zuvor muss freilich noch der Gesetzgebungsprozess - mit Rat und Parlament - durchlaufen werden.


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*) das ist eine unvollständige Übersetzung; in der englischen Fassung ist klargestellt, dass lit a sich nur auf Festnetzverbindungen und lit b nur auf Mobilverbindungen bezieht:
a) as regards fixed communications, than tariffs for domestic long-distance communications;
b) as regards mobile communications, than the euro-tariffs for regulated voice and SMS
roaming communications, respectively, established in Regulation (EC) No 531/2012.

Tuesday, September 10, 2013

Vernetzter Kontinent: Vorschlag der Kommission zur Vollendung des Binnenmarkts für elektronische Kommunikation steht bevor

Update11.09.2013: Der Kommissionsvorschlag wurde nun offiziell veröffentlicht, meine erste Übersicht dazu ist hier zu lesen.

Eigentlich war der Vorschlag der Kommission für die nächste größere Reform des europäischen Telekommunikationsrechts schon für Juli 2013 erwartet worden. Nun wird es wohl der 12.09.2013, an dem Kommissarin Kroes den von der Kommission - nach einigen internen Auseinandersetzungen - angenommenen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend Maßnahmen zur Vollendung des europäischen Binnenmarkts für elektronische Kommunikation und zur Erreichung eines vernetzten Kontinents (kurz: "Connected Continent"-Verordnung) vorstellen kann. Was dann von den bereits geleakten Vorentwürfen (erste Version, überarbeitete Fassung) übrig sein wird, bleibt abzuwarten; die Stoßrichtung des Vorschlags ist aber klar:

1. Verordnung statt Richtlinie
Richtlinien sind von den Mitgliedstaaten erst umzusetzen, was aus der Sicht der Kommission zumindest zwei Nachteile hat: erstens vergeht mindestes ein Jahr, bis die Vorschriften wirksam werden können (beim letzten Reformpaket betrug die Umsetzungsfrist 18 Monate), zweitens können die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung nicht nur (zu) zögerlich, sondern auch (zu) kreativ sein, was erst mit langwierigen Vertragsverletzungsverfahren wieder eingefangen werden kann. Da ist es nur naheliegend, dass die Kommission auf die Idee gekommen ist, die Harmonisierung mittels Verordnung voranzutreiben, die ohne weitere Umsetzungsmaßnahmen unmittelbar in den Mitgliedstaaten gilt.

Als Vorbild gibt es ja mittlerweile insbesondere die Roaming-Verordnung, und ein weiterer Testballon für das Rechtsinstrument der Verordnung ist die derzeit von Parlament und Rat verhandelte Breitband-Verordnung (Vorschlag der Kommission vom 26. März 2013). Der Rat wird mit einer Verordnung vielleicht nicht uneingeschränkt glücklich sein, das Europäische Parlament schon eher. Denn die Verordnung hat aus der Sicht der Kommission wie auch des Parlaments noch einen wesentlichen Vorteil: sie ist viel unmittelbarer der europäischen Ebene zuzurechnen. Wenn man - wie etwa beim Roaming - ein Zuckerl für Konsumenten darin verpackt, dann wird als "candyman"/"candywoman" nicht die mitgliedstaatliche Politik, sondern "Brüssel" wahrgenommen. Besonders gut verkauft das meist das zuständige Kommissionsmitglied: die bis heute ungebrochene Popularität Viviane Redings stützt sich zu einem nicht geringen Teil auf "ihre" Roaming-Verordnung. Aber auch Parlamentarier können im Wahlkampf damit viel deutlicher auf konkrete Vorteile der EU verweisen.

2. Herkunftslandkontrolle: "single authorisation"
Telekom-Unternehmen sollen nach der Vorstellung der Kommission nicht mehr in jedem Mitgliedstaat, in dem sie tätig werden wollen, auch eine "Allgemeingenehmigung" brauchen (gesonderte Einzelbewilligungen sind ja schon derzeit nicht zulässig, die Mitgliedstaaten können höchstens eine Art "Meldepflicht" vorsehen). Auch die Aufsicht über solche Unternehmen soll dann im Wesentlichen vom Heimatstaat aus geführt werden. Diese Herkunftslandkontrolle soll sich nicht nur auf das "Mutterunternehmen" beziehen, sondern auch auf Tochtergesellschaften: damit wäre etwa die deutsche Bundesnetzagentur zuständige Regulierungsbehörde für die in Österreich aktive T-Mobile Austria.

Bei der Herkunftslandkontrolle bzw "single authorisation" (ursprünglich als "EU Passport" bezeichnet) dürften gegenüber dem geleakten Entwurf noch deutliche Änderungen vorgenommen worden sein, auf Details gehe ich daher vorerst einmal nicht ein. Es werden sich dabei aber jedenfalls spannende Fragen auftun, vor allem auch in der Verfahrensführung und Koordination zwischen den nationalen Regulierungsbehörden.

3. Weitere Vereinheitlichung der Regulierung und Frequenzverwaltung
Die Kommission will eine weitere Vereinheitlichung nicht nur bei klassischen Regulierungsmaßnahmen, sondern nun auch bei Maßnahmen der Frequenzverwaltung, wo ein Verfahren eingeführt werden soll, das jenem nach Art 7/Art 7a- der Rahmenrichtlinie ähnlich ist.

4. Abschaffung der Roamingentgelte?
Mit Blick auf die im Frühling 2014 ins Haus stehenden Wahlen zum Europäischen Parlament ist die Ankündigung des Endes für teure Roamingentgelte natürlich ein wichtiger Schachzug der Kommission, vor allem auch um das Parlament zur Eile anzutreiben und dieses "Goodie" für die Konsumenten möglichst noch vor den Wahlen zu beschließen. Da aber die aktuelle Roamingverordnung gerade für die Zeit ab 01.07.2014 ein komplexes neues Regime ("separater Verkauf regulierter Roamingdienste auf Endkundenebene") vorgesehen hat, auf das sich die Betreiber jetzt mühsam eingestellt haben bzw noch einstellen müssen, scheint mir dieser neuerliche Schwenk der Kommission in der Roaming-Frage nicht auf allzu sicherem Boden zu stehen. Natürlich gibt es auf der anderen Seite "Gegenfinanzierungen": so hat Kommissarin Kroes etwa schon mehrfach klar signalisiert, dass sie einer Konsolidierung auf Anbieterseite nicht im Wege stehen möchte - sie träumt offen von wenigen paneuropäischen Telekom-Anbietern. Die "Connected Continent"-Verordnung soll zB auch mit der "single authorisation" dazu beitragen, dass größere Unternehmen eher begünstigt werden.

Neben dem Ende für Roaming-Entgelte sollen auch Differenzierungen zwischen nationalen und internationalen Tarifen (innerhalb der EU) nur mehr zulässig sein, wenn höhere Kosten für grenzüberschreitende Dienste durch tatsächliche zusätzliche Kosten gerechtfertigt sind.

5. Netzneutralität light
Kommissarin Kroes ist alles anderes als glücklich damit, dass einzelne Mitgliedstaaten (Slowenien, Niederlande) Alleingänge zum Schutz der Netzneutralität unternommen haben. An sich vertritt Kroes nach wie vor einen laissez faire-Ansatz zur Netzneutralität: Anbieter sollen, sofern sie entsprechend darüber informieren und dies gegebenenfalls auch vereinbaren, die Netzneutralität nach Wunsch einschränken können. Kroes sieht darin Möglichkeiten zur Produktdifferenzierung (sie vergleicht das gern mit Champagner vs. Schaumwein: wer für Champagner zahlt, soll auch Champagner - uneingeschränkten Internetzugang - bekommen, wer sich mit Schaumwein - eingeschränktem Internetzugang - zufrieden gibt, soll auch nicht für Champagner bezahlen müssen).

Die nationalen Alleingänge kann Kroes aber nur dann wirksam verhindern, wenn Regelungen zur Netzneutralität auf europäischer Ebene harmonisiert sind. Daher wird die Verordnung harmonisierte Bestimmungen zu den Rechten der Nutzer enthalten, so etwa das eher zynisch wirkende Recht von Endnutzern, frei Verträge über Datenvolumsbeschränkungen, Geschwindigkeiten und allgemeine Qualitätsmerkmale eingehen zu können - mit anderen Worten: Anbieter dürfen qualitätsdifferenzierte Produkte anbieten. Die Regulierungsbehörden sollen dann die Qualität überwachen und können allenfalls Mindestqualitätskriterien festlegen. Sogar die Generaldirektion Justiz hat in einer Stellungnahme im Zuge der kommissionsinternen Konsultation die im (Vor-)Entwurf enthaltenen Beschränkungen der Netzneutralität kritisiert.

Der Vorschlag der Kommission ist erst der Anfang
Wenn die Kommission am 12.09.2013 ihren Vorschlag vorlegt, beginnt erst die Arbeit des Rates (zunächst in Ratsarbeitsgruppen) und des Parlaments. Die Kommission drängt auf Geschwindigkeit und hofft, dass sich eine Beschlussfassung noch vor der Europawahl im Mai 2014 ausgeht. Das ist, vorsichtig ausgedrückt, ziemlich ambitioniert - aber wenn es um Roamingentgelte geht, wollen gerade Parlamentarier nicht gern als Bremser dastehen.

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Exkurs: Kroes' 10 Punkte für Breitband
In der futurezone war heute ein Beitrag, in dem der "10 Punkte"-Breitband-Plan von Kroes mit der kommenden "Connected Continent"-Verordnung ein wenig durcheinander gebracht wurde. Aus diesem Anlass hier auch eine knappe Übersicht, welche Projekte Kroes mit ihren "10 Punkten" angesprochen hat. Ausgangspunkt ist ihre Rede vom 30.01.2013 über die "10 steps to deliver broadband". Die zehn Punkte waren:
  1. Empfehlung zur Nichtdiskriminierung und Kostenrechnungsmethoden für den Zugang zu NGA- und Kupfernetzen ("Recommendation on consistent non-discrimination obligations and costing methodologies to promote competition and enhance the broadband investment environment"). Kroes kündigte dazu die endgültige Empfehlung für Juli 2013 an: "I [...] hope the final recommendation will be ready in July [2013]." (aktueller Status 10.09.2013: noch gibt es - auch nach massiver Kritik von BEREC - keine Endfassung).
  2. Fortsetzung der Umsetzung des Funkfrequenzprogramms: die angekündigte "Bestandsaufnahme der Funkfrequenzen" ("spectrum inventory") - nach Maßgabe des Mehrjahresprogramms für die Funkfrequenzpolitik aus dem Jahr 2012 - wurde mit Durchführungsbeschluss 2013/195/EU vom 23. April 2013 in die Wege geleitet (vieles davon baut auf dem im Rahmen der CEPT entwickelten EFIS auf). Weiters kündigte Kroes an, gegen jene Mitgliedstaaten, die nicht - wie im Mehrjahresprogramm - vorgesehen, die Frequenzbereiche 3,4-3,8 GHz, 2,5-2,69 GHz und 900-1800 MHz für drahtloses Breitband verfügbar machen, mit Vertragsverletzungsverfahren vorzugehen ("we will use our full Treaty powers"). Österreich, schon etwas im Verzug, bekam eine Ausnahmeregelung bis 30. September 2013 - bis dahin dürfte die aktuelle Multiband-Auktion der TKK wohl abgeschlossen sein (der Beschluss über die Ausnahmeregelung ist derzeit nur im Entwurf online).
  3. Ein "wireless action plan" (Mitteilung der Kommission) war für das erste Quartal 2013 angekündigt; zu rechnen ist damit wohl eher erst im Oktober, falls überhaupt.
  4. Zur Unterstützung des Breitband-Rollouts sollten auch Mittel der Union aus der "digital Connecting Europe Facility" für die Jahre 2014 bis 2020 dienen. Diese Pläne wurden von den Mitgliedstaaten im Rat vorerst ziemlich zurechtgestutzt, für den Breitbandausbau dürfte nach Kürzungen von 8 Mrd € nicht mehr viel übrig sein (siehe dazu zB die Rede von Kroes vom 19.03.2013); das Gesetzgebungsverfahren für die "CEF-Verordnung" ist noch im Gang, eine erste Lesung im Plenum des Europaparlaments ist im Oktober vorgesehen (siehe den CEF-Verordnungsentwurf, eine Zusammenfassung der Ratsdiskussion vom 06.06.2013, sowie den geänderten Verordnungsentwurf der Kommission für Leitlinien für transeuropäische Telekommunikationsnetze, der mit der CEF-Verordnung zusammenhängt).
  5. Breitband-Verordnung: diese soll laut Kroes vor allem dazu dienen, die Projektkosten (Grabungskosten, Bewilligungen, Planung,...) für den Breitbandausbau zu reduzieren . Der Vorschlag der Kommission für diese Verordnung wurde am 26. März 2013 beschlossen.
  6. Leitlinien für Breitband-Beihilfen ("Leitlinien der EU für die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen im Zusammenhang mit dem schnellen Breitbandausbau").
  7. Eine Studie über tatsächliche Internet-Geschwindigkeiten: veröffentlicht am 26.06.2013 (Studie, Pressemitteilung).
  8. "Guidance on net neutrality": hier blieb Kroes eher vage: einerseits gebe es (wie eine BEREC-Erhebung gezeigt hat) aktuell keine Netzneutralität, andererseits wolle sie aber das Internet nicht zu stark regulieren. Da sie aber auch keine länderspezifischen Regelungen möchte, bleibt ihr nicht viel anderes übrig, als einen Legislativvorschlag einzubringen, der im Ergebnis eine Diskriminierung (oder "Differenzierung") zulässt, aber vielleicht Vorkehrungen trifft, dass es zumindest ein paar "neutrale" Internetangebote gibt. (Mehr dazu schon oben bzw werden wir ab 12.09.2013 mehr wissen).
  9. Eine Empfehlung über den Universaldienst in einer digitalen Gesellschaft wurde für spätestens Juli 2013 angekündigt, aber beim Universaldienst (der ohnehin stets ein Stiefkind der Kommission war, siehe dazu zB schon hier) sieht die Kommission wohl keine Eile; die angekündigte Empfehlung liegt jedenfalls noch nicht vor.
  10. Punkt 10 auf Kroes' Liste ist mehr oder weniger ein Auffangbecken für ein paar andere Ideen, die irgendwie mit Breitband zu tun haben könnten ("a host of actions to stimulate demand for broadband"). Urheberechtsmodernisierung, Grünbuch zu "Connected TV" (Grünbuch über die Vorbereitung auf die vollständige Konvergenz der audiovisuellen Welt: Wachstum, Schöpfung und Werte), Cyber-Security.
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PS: Beim 14. Salzburger Telekom-Forum am 22. und 23. August - wie immer eine Art Klassentreffen der österreichischen Telekom-Regulierungsszene - waren die Kommissionsvorschläge, auch wenn sie noch nicht offiziell vorlagen, natürlich ein zentrales Diskussionsthema. Ich sollte diesmal - vor dem Hintergrund der Kommissionsvorschläge - einige Überlegungen zur Europäisierung des Verwaltungsrechts beisteuern, wofür ich, da der offizielle Vorschlag der Kommission auf sich warten ließ, nur auf den von EDRI geleakten Vor-Entwurf zurückgreifen konnte. Wer sich für das nicht weiter redigierte oder ergänzte Manuskript meines Vortrags interessiert, kann es hier nachlesen. 

Monday, September 09, 2013

Wieder einmal aus aktuellem Anlass: zur Universaldienstverordnung

Vor knapp sieben Jahren habe ich hier meinen ersten Beitrag zur Universaldienstverordnung geschrieben. Es war ein schlichter Hinweis auf die damals gerade kundgemachte Novelle, BGBl II 2006/400, auf deren Vorgeschichte und auf die auch damals schon geäußerten Vermutungen über einen Zusammenhang mit Wahlspenden.

Vor etwa zwei Jahren brach dann der Telekom-Skandal auf und die Medien begannen, konkreter über Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit der Verordnungsnovelle zu berichten. Dabei wurde in manchen Berichten deutlich, dass das Verständnis für den Regelungsgegenstand der Verordnung doch ziemlich begrenzt ist. Also habe ich mich in einem weiteren Beitrag bemüht, die Universaldienstverordnung und vor allem den Hintergrund der Novelle verständlich zu machen (ich kann freilich nicht beurteilen, ob das jetzt über oder unter dem "Vorstandsniveau" war, auf auf dem der Regulierungsverantwortliche der Telekom seinem Vorstand das Thema Universaldienstverordnung erklärt hat). Rund um den Beginn des parlamentarischen Untersuchungsauschusses habe ich mich nochmals damit befasst (hier) und schließlich auch versucht, die kolportierte Größenordnung der Vorteile zu hinterfragen, die der Telekom Austria durch die Novelle entstanden sein könnten (hier). Auf das Knappste zusammengefasst: die Novelle war im Interesse der Telekom Austria, aber die kolportierten 10 Mio. €, die ihr das angeblich gebracht haben soll, lassen sich für mich nicht nachvollziehen (nähere Begründung dazu in den schon erwähnten Blogbeiträgen hier, hier und hier).

Der ORF kann offenbar nicht zwischen Verfassungs-
und Verwaltungsgerichtshof unterscheiden
Der aktuelle Anlass, aus dem ich mich nun wieder mit der Universaldienstverordnung befasse, ist aber nicht der heute fortgesetzte Strafprozess (zu dem ich mich nicht äußern werde), sondern die gestrige Pressestunde im ORF mit dem Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes (und ja, egal was das Insert im ORF sagt, Jabloner ist Präsident des Verwaltungs-, nicht des Verfassungsgerichtshofes). ORF-Journalist Wolfgang Wagner stellte Jabloner dabei (etwa bei 12.20 im - bis kommenden Sonntag verfügbaren - Video) folgende Frage:
"Aber bleiben wir bei dem Punkt, den die Kollegin angesprochen hat: Korruption. Also die Politik ist in wirkliches schiefes Licht gekommen, durch die Enthüllungen der vergangenen Jahre, auch jetzt wieder in den letzten Wochen neue Enthüllungen, zum Telekom-Skandal, morgen geht der Prozess weiter.
Ich möchte etwas fragen, da Sie ja den Senat im Verwaltungsgerichtshof leiten, der sich mit Fragen der Telekommunikation beschäftigt. Sie werden sicherlich, ich hab’s auch nachgesehen, in den letzten Jahren immer wieder auch Beschwerden behandelt haben von Konkurrenten der Telekom Austria, die sich irgendwo zurückgesetzt gefühlt haben. Es ist ja der Sinn zu regulieren und gleiche Marktzugänge von der Verwaltung den Marktteilnehmern zu ermöglichen. Jetzt haben Sie dort Beschwerden möglicherweise abgelehnt, die auf Grund einer Universaldienstverordnung gemacht wurden, auf die die Telekom Austria Einfluss genommen hat, wie man jetzt weiß. Die Drehscheibe, Herr Hochegger, hat das immer wieder politische Landschaftspflege genannt. Ist das für Sie ein Problem, nachträglich zu sagen, hab ich da richtig entschieden, hat sich jemand ein Gesetz, das ich dann anwenden musste, maßschneidern lassen?"
Abgesehen davon, dass die Universaldienstverordnung kein Gesetz ist (aber diese Fehlmeinung ist wohl nicht mehr wegzubekommen, gerade war das auch im Morgenjournal auf Ö1 wieder zu hören), hätte man natürlich, wenn man schon "nachgesehen" hat, auch leicht herausfinden können, dass der Verwaltungsgerichtshof noch keine Entscheidungen zur novellierten Universaldienstverordnung zu treffen hatte (das RIS ist dein Freund!). Die Sachlage war - auch das habe ich schon in den früheren Beiträgen dargestellt - vielmehr so, dass die Novelle der Universaldienstverordnung im Kern eine Reaktion des Verordnungsgebers auf Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes war (vom 25.2.2004, 2002/03/0273, und vom 19.12.2005, 2005/03/0200): da nach dieser Rechtsprechung eine "payphone access charge" nicht mit Zusammenschaltungsanordnungen durchgesetzt werden konnte, wurde die Möglichkeit dazu eben durch eine Änderung der Universaldienstverordnung geschaffen.

Dass Gesetze (oder Verordnungen) "maßgeschneidert" werden, kommt natürlich vor, und dass gerade im Telekombereich intensives Lobbying - aller Seiten - üblich war (und ist), war (und ist) kein Geheimnis. Angesichts der engen unionsrechtlichen Vorgaben für die Ausgestaltung des Telekom-Rechtsrahmens waren die Erfolge der Lobbyisten auf österreichischer Ebene aber meist überschaubar und blieben eher symbolisch oder atmosphärisch. Besonders deutlich ist das an der TKG-Novelle 2009 (BGBl I 2009/65) zu sehen. Diese Novelle basiert auf einem Initiativantrag der Abgeordneten Hakl und Gartlehner (siehe im Blog dazu hier), und natürlich kann man bestimmte Formulierungen auf Wünsche eines bestimmten Marktteilnehmers zurückführen: dass etwa bei einzelnen Regulierungsmaßnahmen "Kosten und Risiken von Investitionen" zu berücksichtigen sind, war wohl kein autonomer Einfall der Abgeordneten (oder der im Hintergrund den Text ausarbeitenden Legisten).

Dennoch ist die Bedeutung dieser Änderung marginal (falls überhaupt vorhanden), denn natürlich waren schon zuvor bei einer ordnungsgemäßen regulatorischen Kostenrechnung auch Investitionsrisken zu berücksichtigen - strittig ist ja in der Regel nur, wie diese Risken bewertet werden. "Auf Vorstandsniveau" könnten Lobbyisten solche Änderungen aber sicher als großen Erfolg ihrer Aktivitäten darstellen.

So etwas würde ich übrigens auch für die Universaldienstverordnung nicht ausschließen: dass die Änderung, selbst wenn sie nicht unmittelbar auf das Wirken der mutmaßlich beteiligten Lobbyisten zurückgehen sollte, dennoch dem Vorstand als Lobbying-Erfolg verkauft wurde (und das vielleicht noch als größerer Erfolg, als ihn die unmittelbar damit befassten Regulierungsexperten des Unternehmens wahrgenommen haben).