Tuesday, February 07, 2012

"Caroline Nr. 2": Große Kammer des EGMR zu Pressefreiheit und Schutz der Privatsphäre im Fall von Hannover Nr. 2

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 24.06.2004 im Fall von Hannover gegen Deutschland (Appl. no 59320/00), besser bekannt als "Caroline-Urteil" des EGMR (neben den Caroline-Urteilen des BGH und des BVerfG), ist wohl eines der am heftigsten diskutierten Urteile zum Verhältnis vom Pressefreiheit und Schutz des Privatlebens.

Caroline von Hannover ist nach dem EGMR-Urteil nicht untätig geblieben und weiterhin - gemeinsam mit ihrem Ehemann Prinz Ernst August von Hannover - zum Schutz ihrer Privatsphäre (und damit vielleicht, als leider unvermeidbare Nebenwirkung, ein wenig auch zum Schutz ihrer Einnahmen aus Exlusivverträgen) gerichtlich gegen diverse Presseerzeugnisse vorgegangen, die Fotos aus ihrem Urlaub abgedruckt haben, ohne dafür ihre Zustimmung einzuholen. Hinsichtlich eines Fotos, das das Ehepaar anlässlich eines Skiurlaubs in St. Moritz zeigte und von einem Bericht über die schlechte Gesundheit des Fürsten Rainier von Monaco begleitet war, blieben die von Hannovers vor vom deutschen Bundesgerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht ohne Erflog und wandten sich an den EGMR.

Dieser hat mit dem heute veröffentlichten Urteil der Großen Kammer in der Sache von Hannover gegen Deutschland Nr. 2 (Appl. nos. 40660/08 und 60641/08) den Beschwerden der von Hannovers nicht Folge gegeben und keine Verletzung des Artikel 8 durch Deutschland festgestellt. Das Urteil bietet eine umfassende Darstellung der EGMR-Rechtsprechung zur Abwägung zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und dem Schutz des Privatlebens, mit ausführlicher Abhandlung der bei einer Fotoveröffentlichung relevanten Kriterien, nämlich:
  • Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse, 
  • Bekanntheit der Person, über die berichtet wird und Gegenstand des Berichts, 
  • früheres Verhalten der Person, 
  • Inhalt, Form und Folgewirkungen der Veröffentlichung
  • Umstände, unter denen die Fotos aufgenommen wurden
Im konkreten Fall betont der EGMR die Bedeutung der vom BGH und BVerfG vorgenommenen Abwägung anhand der vom EGMR entwickelten Kriterien. Sogar die Ansicht, dass die Erkrankung von Fürst Rainier von Monaco als ein "event of contemporary society" einzustufen sei, wurde vom EGMR als nicht "unreasonable" beurteilt. So richtig hundertprozentig überzeugt scheint der Gerichshof davon nicht, denn immerhin betont er in diesem Zusammenhang, dass das Verbot der Veröffentlichung zweier weiterer Bilder der von Hannovers, die sie in ähnlichen Umständen zeigen, vom BGH aufrechterhalten wurde, weil diese Bilder nur zu Unterhaltungszwecken veröffentlicht worden seien. Schließlich kann der EGMR aber akzeptieren, dass die verfahrensgegenständlichen Fotos zumindest zu einem gewissen Grad zu einer Debatte von allgemeinem Interesse beigetragen haben: "The Court can therefore accept that the photos in question, considered in the light of the accompanying articles, did contribute, at least to some degree, to a debate of general interest."

Die Sorge der von Hannovers, die Medien würden den Schutz des Privatlebens umgehen, in dem sie einfach irgendein Ereignis der Zeitgeschichte als Vorwand für eine Veröffentlichung von Fotos heranziehen würden, teilte der EGMR nicht: erstens betont er, dass er nicht allfällige zukünftige Verletzungen zu beurteilen sind, zweitens weist er aber auch darauf hin, dass das BVerfG ausgesprochen habe, dass im Falle eines bloß als Vorwand herangezogenen zeitgeschichtlichen Ereignisses kein Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse geleistet werde und die Veröffentlichung daher nicht gerechtfertigt wäre.
Die Streitfrage, ob und warum die von Hannovers "public fugures" sind, löste der EGMR recht einfach - die von Hannovers sind unbestritten sehr bekannt, und es kommt daher gar nicht darauf an, welche staatliche Funktionen sie allenfalls einnehmen: "The Court considers, nonetheless, that irrespective of the question whether and to what extent the first applicant assumes official functions on behalf of the Principality of Monaco, it cannot be claimed that the applicants, who are undeniably very well known, are ordinary private individuals. They must, on the contrary, be regarded as public figures". 

Vor den nationalen Gerichten war auch nicht vorgebracht worden, dass die Fotos unter Belästigung der von Hannovers aufgenommen worden wären. Und schließlich war auch der Inhalt der Fotos (sie zeigen die von Hannovers in der Mitte einer Straße in St. Moritz) nicht geeignet, ein Verbot zu rechtfertigen. 

Der EGMR betont dann abschließend nochmals die sorgfältige Abwägung durch die nationalen Gerichte:
124.  The Court observes that, in accordance with their case-law, the national courts carefully balanced the right of the publishing companies to freedom of expression against the right of the applicants to respect for their private life. In doing so, they attached fundamental importance to the question whether the photos, considered in the light of the accompanying articles, had contributed to a debate of general interest. They also examined the circumstances in which the photos had been taken.
125.  The Court also observes that the national courts explicitly took account of the Court’s relevant case-law. Whilst the Federal Court of Justice had changed its approach following the Von Hannover judgment, the Federal Constitutional Court, for its part, had not only confirmed that approach, but also undertaken a detailed analysis of the Court’s case-law in response to the applicants’ complaints that the Federal Court of Justice had disregarded the Convention and the Court’s case-law.
126.  In those circumstances, and having regard to the margin of appreciation enjoyed by the national courts when balancing competing interests, the Court concludes that the latter have not failed to comply with their positive obligations under Article 8 of the Convention. Accordingly, there has not been a violation of that provision.
Das - einstimmig ergangene - Urteil der Großen Kammer mag zwar daran zweifeln lassen, ob alle beteiligten Richter, wären sie an Stelle des BGH gestanden, zum gleichen Ergebnis wie dieser gekommen wären - aber es lässt keinen Zweifel offen, dass der EGMR deutlich bemüht ist, dem gelegentlich entstandenen Eindruck entgegenzutreten, er würde einfach als weiteres Instanzgericht seine Abwägung an die Stelle der Abwägung der nationalen Gerichte setzen. Voraussetzung für diese Zruückhaltung ist allerdings, dass sich die nationalen Gerichte eingehend und nachvollziehbar mit der EGMR-Rechtsprechung auseinandergesetzt und die Abwägung entsprechend der vom EGMR entwickelten Kriterien durchgeführt haben. Vielleicht könnte man es, in Abwandlung des klassischen Diktums, so ausdrücken: "Not only must the balancing exercise be done; it must also be seen to be done."

Nachtrag:
Zu den heutigen EGMR-Urteilen Caroline 2 und Springer auch David Ziegelmayer auf LTO, Max Steinbeis im Verfassungsblog und Rónán Ó Fathaigh bei Strasbourg Observers.
Update 12.05.2012: Der EGMR hat nun auch eine deutschsprachige Fassung des Urteils (nichtamtliche Übersetzung durch die deutsche Bundesregierung) veröffentlicht.

No comments :