Für Einwendungen gegen die beantragte Eintragung sieht die Verordnung ein klares Verfahren vor, das einige Zeit in Anspruch nimmt. Das hindert den österreichischen Boulevard natürlich nicht, aus Angst um die Käsekrainer schon jetzt mit dem Hyperventilieren zu beginnen. Nach einer hysterischen Titel-Schlagzeile der Krone konnte auch "Österreich" nicht zurückstehen und erklärte gleich einmal, dass nicht einfach "Krieg" herrscht, sondern dass der Krieg um die Käsekrainer sogar noch eskaliert (wie berichtet "Österreich" eigentlich über ernsthafte kriegerische Auseinandersetzungen?). Wie Dieter Chmelar treffend kommentiert hat: ein echtes "Wurst-Käs-Szenario".
Den Nonsens eines "Österreich"-Artikels will ich hier nun wirklich nicht kommentieren; skurril ist allein schon, wie der Eindruck erweckt werden soll, dass der Antrag offenbar gerade eben eingelangt sein soll, obwohl er offiziell seit rund drei Jahren in der dafür bestehenden Datenbank zugänglich vermerkt ist (Einbringungsdatum: 24.03.2009!) und spätestens seit der Veröffentlichung im Amtsblatt am 18.02.2012 allgemein öffentlich bekannt war.
Aber die Krainer-Posse gibt immerhin Anlass zu einer Leseempfehlung: zu erinnern ist nämlich an den leading case (und leading Käs) des europäischen Rechts der Ursprungsbezeichnungen: das Urteil der Großen Kammer des EuGH im Streit um die Bezeichnung "Feta" (EuGH 25.10.2005 C-465/02 und C-466/02, Deutschland und Dänemark / Kommission). Das Urteil erging zwar noch zur Rechtslage vor der nun anzuwendenden Verordnung und betraf eine geschützte Ursprungsbezeichnung (für die Kranjska klobasa wird eine geschützte geografische Angabe beantragt), ist aber sicher das instruktivste und bekannteste Verfahren, das zu diesen Gütezeichen der landwirtschaftlichen Qualitätspolitik der EU geführt wurde. Besonders hinzuweisen ist aber weniger auf das Urteil als auf die Schlussanträge des Generalanwalts, des leider bereits verstorbenen M. Dámaso Ruiz-Jarabo Colomer (der auch in vielen Telekom-Sachen Schlussanträge verfasste und zu dessen Tod ich hier gebloggt habe). Ein kleiner Auszug aus diesen Colomer-typisch weit ausholenden Schlussanträgen (Fußnoten weggelassen):
5. Der erste Hinweis auf eine Ursprungsbezeichnung findet sich in der Bibel, und zwar in der Schilderung der Errichtung des Tempels von Jerusalem, den König David dem Herrn versprochen hatte und für den Hiram, der König von Tyrus und Sidon, Zedern im Libanon im Auftrag von Salomon fällen ließ, dessen Palast sodann mit einer solchen Menge dieser Zedern erbaut wurde, dass er unter dem Namen „Libanonwaldhaus“ bekannt war. Er errichtete sodann vier Reihen von Säulen aus dem wertvollen Holz, mit dem er auch die Thronhalle austäfeln ließ, „die Gerichtshalle, um darin Recht zu sprechen“. [...] Klassische Autoren wie Herodot, Aristoteles oder Platon brachten die Wertschätzung der Griechen für die Bronze aus Korinth, den Marmor aus Phrygien und Paros, die Töpferkunst aus Athen, die Terrakottastatuetten aus Thisbe, die Parfums aus Arabien und die Weine aus Naxos, Rhodos und Korinth zum Ausdruck. Vergil erzählt in der Äneis, dass Helenos Äneas „kostbare Stück aus Gold und Elfenbein [und] reichliche Mengen von Silber, Kessel vom Heiligtume Dodonas“ schenkte und nennt unter den Geschenken von Andromache für Ascanius „mit Gold bestickte Gewänder, auch einen phrygischen Mantel“. Horaz hat sein Werk durch eine wirkliche Zusammenstellung römischer geografischer Angaben bereichert und vor Fälschungen gewarnt. [...]Sollte der Streit um die Kranska klobasa jemals den EuGH erreichen, so hoffe ich natürlich auf ähnlich literaturkundige Generalanwälte. Zwei kleine Tipps vorweg: Peter Kern erwähnte in einem Text für DATUM eine "Bombe in Form einer Käsekrainer" und in einem Dramolett von Bernd Weber in Memoriam Thomas Bernhard, unter dem bezeichnenden Titel "Alles ist grauslich", verschluckt sich Claus Peymann an einer Käsekrainer. Die jeweilige Herkunft der Wurstwaren lassen die Autoren leider im Dunkel.
10. Unterdessen enthielten die europäische Literatur und Kultur weiterhin zahlreiche Hinweise auf den Ursprung bestimmter Erzeugnisse, durch die deren bewährte Qualität und Besonderheiten hervorgehoben werden sollten. Cervantes erwähnt in Don Quichotte die Spindeln von Guadarrama, bestimmte Lebensmittel wie die Kichererbsen aus Martos, die Frankoline aus Mailand, die Fasane aus Rom, das Kalbfleisch aus Sorrent, die Rebhühner aus Morón und die Gänse aus Lavajos sowie die neapoletanische Seife und bestimmte Stoffe wie das Tuch aus Cuenca und das „Límiste“ aus Segovia. Lope de Vega rühmt einen französischen Mantel und erwähnt das Tuch aus Cuenca und die Teller aus Talavera. Shakespeare spricht in Hamlet, Prinz von Dänemark, von den Zügen Rheinweins, mit denen der König einen Trunk ausbringt, und berichtet, wie Claudio und Laertes sechs Berberhengste gegen sechs französische Degen wetten. Proust berichtet, wie alle Gäste eine Nachspeise lobten und meinten, man müsse dazu ein paar Flaschen Portwein öffnen, und schildert das Treffen des Erzählers mit der Gräfin von Guermantes, die in ein Kleid aus grauem Crêpe de Chine gehüllt war, in dem Hotel in Baalbek, und Carpentier, der der europäischen Kultur auf dem amerikanischen Kontinent vertrauenswürdig Ausdruck verleiht, schreibt über Bordeauxwein, italienische Strohhüte, französische und italienische Puppen und schottischen Whisky.
PS: es gibt übrigens noch einen Beitrag in diesem Blog, der sich ganz off topic mit "food law" beschäftigt: Streuselkuchen und Grundrechte
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