Wednesday, August 24, 2011

Aus aktuellem Anlass: zur Universaldienstverordnung

Mit den heutigen Berichten von News (ots-Aussendung) über den Korruptionsverdacht gegen Ex-Vizekanzler Gorbach im Zusammenhang mit der Novelle zur Universaldienstverordnung im Jahr 2006 ist die Existenz diese Verordnung wohl erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden.

Liest man die Presseberichte - auch und insbesondere die Originalgeschichte im Print-News - könnte man vom Inhalt dieser Verordnung allerdings einen falschen Eindruck bekommen. So schreibt News wörtlich: "In dieser Universaldienstverordnung wird geregelt, was sich die verschiedenen Telekomunternehmen untereinander für diverse Dienste und Services wie beispielsweise Vermittlungs- oder Leitungsgebühren bezahlen."

Bei allem Verständnis für journalistisch notwendige Verknappung: das ist nicht ungenau oder verkürzt, sondern schlicht und einfach einfach vollkommen falsch. Daher hier ein kurzer Überblick, worum es bei der Universaldienstverordnung geht.

1. Universaldienst (in der Telekommunikation)
ist nach § 26 TKG 2003 "ein Mindestangebot an öffentlichen Diensten, zu denen alle Endnutzer unabhängig von ihrem Wohn- oder Geschäftsort zu einem erschwinglichen Preis Zugang haben müssen". Er umfasst (unter anderem) den "Zugang zum öffentlichen Telefondienst über einen an einem festen Standort realisierten Anschluss" und "die flächendeckende Versorgung mit öffentlichen Sprechstellen an allgemein und jederzeit zugänglichen Standorten." Zur Erbringung des Universaldienstes ist - derzeit noch (mit der TKG-Novelle 2011 wird das fallen) - die A1 Telekom Austria AG verpflichtet. Für die "nachweislich aufgelaufenen Kosten des Universaldienstes, die trotz wirtschaftlicher Betriebsführung nicht hereingebracht werden können", kann die A1 TA einen finanziellen Ausgleich von anderen Telekomunternehmen ansprechen (§ 31 TKG 2003; in der Praxis erfolgten privatrechtliche Einigungen über diesen Ausgleich). Vereinfacht zusammengefasst: das TKG soll garantieren, dass jeder in Österreich einen Festnetzanschluss bekommen kann und dass genügend Telefonzellen zur Verfügung stehen. Und damit bei der Erbringung dieser Leistungen nicht an der Qualität gespart wird, kann die Verkehrsministerin gemäß § 27 TKG 2003 mit Verordnung Qualitätskriterien und Zielwerte für den Universaldienst festlegen.

2. Die Universaldienstverordnung
findet ihre Grundlage (nun) in § 27 TKG 2003 (bei ihrer Erlassung § 25 TKG); sie regelt entsprechend ihrer gesetzlichen Grundlage Qualitätskriterien und Zielwerte, also zB wie lange die Frist für die Bereitstellung eines Anschlusses oder für die Behebung einer Störung sein darf  (zB § 8 Abs 1: "90% der Störungen müssen an Arbeitstagen innerhalb von 24 Stunden behoben werden."), oder wie man die Sprachübertragungsqualität ermittelt ("durch jährliche, nach anerkannten sozialwissenschaftlichen Methoden durchzuführende, repräsentative Benutzerbefragungen"; dabei ist ein MOS - Mean Opinion Score - "nach der folgenden Formel zu berechnen: I = (4xpe) + (3xpg) + (2xpf) + pp" - meine Lieblingsstelle in der Verordnung).

§ 23 der Verordnung regelt die "Mindestausstattung öffentlicher Sprechstellen" (aka Telefonzellen). Demnach sind bestimmte Mindestfunktionalitäten bereitzustellen, wie zB kostenloser und ungehinderter Zugang zu sämtlichen Notrufdiensten und - jetzt wird es spannend - :
"ungehinderter Zugang zu sämtlichen Rufnummernbereichen mit Ausnahme des Rufnummernbereiches für öffentliche Verbindungsnetze, soweit dies technisch möglich ist, und der Rufnummernbereiche 0800, 0810 und 0820"
Mit anderen Worten: aus jeder Telefonzelle muss man grundsätzlich alle Rufnummern erreichen können, allerdings gibt es ein paar Ausnahmen: die Ausnahme für "öffentliche Verbindungsnetze" (alternative Netze, die man von einem TA-Festnetzanschluss mit einer fix eingestellten oder im Einzelfall gewählten Vorwahl - 10xx - auswählen kann) war bereits in der Stammfassung der Verordnung enthalten; die Ausnahme für die Rufnummernbereiche 0800, 0810 und 0820 wurde mit der heute in den Blickpunkt gerückten Novelle BGBl II 2006/400 eingefügt.

3. Hintergrund der Novelle zur Universaldienstverordnung im Jahr 2006
Die Telefonzellen sollten sich grundsätzlich vor allem über etwas erhöhte Gesprächsgebühren finanzieren: bei einem Festnetzanschluss zu Hause zahlte man monatliche Grundgebühr und Gesprächsgebühren, in der Telefonzelle eben höhere Gesprächsgebühren, zur Finanzierung von Zelle samt Anbindung. Dieses Modell geriet allerdings in eine Schieflage, als die calling cards populärer wurden. Mit solchen cards wählte man eine kostenfreie Nummer (0800), um sich von dort weitervermitteln zu lassen. Die TA erhielt in diesem Fall vom Endkunden, der in der Telefonzelle stand, gar nichts, und vom Betreiber des Calling Card-Dienstes die "Originierungsentgelte" in gleicher Höhe wie sie zB auch bei einem Anruf von einem normalen Festnetzanschluss zu einer 0800-Nummer anfielen. Da solche calling cards immer stärker genutzt wurden - gerade für Anrufe ins Ausland - fiel ein Teil der früher für die Finanzierung der Telefonzellen erzielten (erhöhten) Gesprächsgebühren weg.

Um das auszugleichen, wollte die TA eine sogenannte "PAC" - payphone access charge - verrechnen - und zwar den Telekomunternehmen, die eben diese 0800-Nummern betrieben. Die Verrechnung sollte mit den Zusammenschaltungsentgelten erfolgen. Da aber die betroffenen Unternehmen nicht freiwillig zahlten, kam es zu Verfahren vor der Regulierungsbehörde - die eine PAC als (zusätzliches) Zusammenschaltungsentgelt akzeptierte - und schließlich vor dem Verwaltungsgerichtshof, der zum Ergebnis kam, dass es sich nicht um ein Zusammenschaltungsentgelt handelte, sodass die Anordnung durch die Regulierungsbehörde nicht rechtmäßig war  (PAC IPAC II).*

Das bedeutet nicht, dass die Vereinbarung einer PAC unzulässig (oder ungewöhnlich) wäre. Tatsächlich sind solche charges in anderen Ländern üblich (siehe im Blog zur US Supreme Court-Entscheidung dazu hier) - als eine Gegenleistung dafür, dass 0800-Nummern  (etwa für Calling Cards) auch von der Telefonzelle aus kostenfrei erreicht werden können. In Österreich hatte die TA keinen "Hebel" für Verhandlungen mit den 0800-Anbietern, da sie ja nach der Universaldienstverordnung verpflichtet war, den Zugang zu diesen Nummern anzubieten, und dies - nach einer Bestimmung in einer Verordnung der Regulierungsbehörde (nunmehr § 85 Abs 1 KEM-V 2009) - kostenfrei.

4. Die Wirkung der Novelle
Die Novelle zur Universaldienstverordnung BGBl II 2006/400 bewirkte nun, dass die TA den Zugang zu 0800er-Nummern in ihren Telefonzellen sperren konnte - sofern die Betreiber nicht bereit waren, eine entsprechende payphone access charge (PAC) zu entrichten. Es ist nachvollziehbar, dass sich durch diese Änderung der Verordnung die Verhandlungsmacht der beteiligten Unternehmen gewissermaßen umgedreht hat und dass es der TA daher möglich war, entsprechende Leistungen der anderen Betreiber auszuhandeln. Im Ergebnis trifft es also schon zu, was heute in den Medien berichtet wurde: dass die Telekom Austria durch die Novelle zur Universaldienstverordnung zusätzliche Erträge erzielen konnte (wie hoch diese wirklich waren, ist eine andere Frage).

Umgekehrt könnte man natürlich auch sagen, dass durch die frühere Verpflichtung, die 0800-Nummern aus allen Telefonzellen kostenlos erreichbar zu machen, die Betreiber dieser Nummern einen Ertragsvorteil zu Lasten der Telekom Austria hatten (jedenfalls im Vergleich zu jenen Märkten, in denen PACs üblich waren). Ich will das weder in die eine noch in die andere Richtung bewerten, sondern bloß festhalten, dass die Erlassung der umstrittenen UDV-Novelle BGBl II 2006/400 nicht schon für sich "anrüchig" ist - es könnte auch sein, dass der Minister schlicht von der Argumentation (im engeren Sinn, also nicht von finanziellen Angeboten) der Telekom Austria überzeugt wurde und seinen Gestaltungsspielraum als Verordnungsgeber eben in diesem Sinne genutzt hat.

*) Zur Präzisierung (9.9.2011): auch die Regulierungsbehörde hatte zunächst die PAC nicht als Zusammenschaltungsleistung anerkannt, was in der ersten Entscheidung des VwGH bestätigt wurde. Erst im Jahr 2005 änderte die Regulierungsbehörde ihre Auffassung und entschied, dass die PAC im Rahmen der Zusammenschaltung zu zahlen war, was vom VwGH dann in der zweiten Entscheidung unter Hinweis auf das Vorerkenntnis als rechtswidrig beurteilt wurde.

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