"Von Hannover", das ist keine geschützte geografische Angabe (wie beim schlesischen Streuselkuchen, über den ich jüngst geschrieben habe), sondern die etwas förmlichere Bezeichnung für eine Art juristischer telenovela, die in Deutschland schon mit großem Erfolg unter dem Titel "Caroline" gelaufen ist. Auf europäischer Ebene hat nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die dritte Staffel abgedreht: nach dem heutigen Urteil in der Sache Von Hannover gegen Deutschland (Nr. 3), Appl. no. 8772/10 (Pressemitteilung des EGMR) aber wird sich die Regie wohl etwas Neues einfallen lassen, wenn die Sache für die nächsten "Caroline" bzw "Von Hannover"-Folgen spannend bleiben soll.
Was bisher geschah:
"Zärtliche Romanze", "Melancholie" und "einfaches Glück" - entsprechend bebildert (von Hannover am Pferd, am Fahrrad etc.) - führten zum ersten "Von Hannover"-Urteil des EGMR am 24.06.2004; ein Spaziergang in St. Moritz war dann Anlass für den bisherigen dramaturgischen Höhepunkt, dem Urteil der Großen Kammer in der Sache von Hannover gegen Deutschland Nr. 2 (Appl. nos. 40660/08 und 60641/08) (mehr dazu hier im Blog).
Zur aktuellen Staffel - die deutsche Vorgeschichte
Die Geschichte beginnt mit einem kurzen Rückblick auf Deutschland: dort hatte der Bundesgerichtshof in einem Urteil des VI. Zivilsenats vom 6.3.2007 - VI ZR 52/06 über ein Foto zu urteilen, das die Klägerin (im BGH-Urteil fast anonymisiert: "eine Tochter des verstorbenen Fürsten von Monaco") "im Urlaub neben ihrem Ehemann auf einer öffentlichen Straße mit anderen Menschen zeigt." Das Bild diente der Illustration eines Berichts, wonach die Klägerin und ihr Ehemann (der natürlich auch klagte) ihre auf der Insel Lamu/Kenia gelegene Villa vermieten. Der BGH meinte, dass das kein Vorgang von allgemeinem Interesse sei und die von Hannovers die Bildveröffentlichung nicht hinnehmen müssten.
Das Bundesverfassungsgericht hingegen wollte auch der "bloßen Unterhaltung" einen Bezug zur Meinungsbildung nicht von vornherein absprechen und hob die Entscheidung des BGH auf (26.02.2008, 1 BvR 1607/07): "Der Schutzbereich der Pressefreiheit umfasst auch unterhaltende Beiträge
über das Privat- oder Alltagsleben von Prominenten und ihres sozialen
Umfelds, insbesondere der ihnen nahestehenden Personen. Es würde die
Pressefreiheit in einer mit Art. 5 Abs. 1 GG unvereinbaren Weise
einengen, bliebe die Lebensführung dieses Personenkreises einer
Berichterstattung außerhalb der von ihnen ausgeübten Funktionen
grundsätzlich entzogen." Dem BGH gab er dabei noch allerlei gute Ratschläge zur Abwägung mit auf den Weg, hielt sich aber selbst zurück, denn die konkrete Abwägung sei eben Aufgabe der Fachgerichte.
Also tat der BGH wie ihm geheißen und kam schließlich in seinem Urteil vom 01.07.2008, VI ZR 67/08, zu dem von ihm im folgenden Rechtssatz zusammengefassten Ergebnis: "Kann ein Bericht über die Vermietung der Ferienvilla einer Person des öffentlichen Interesses Anlass für sozialkritische Überlegungen der Leser geben, kann die Bebilderung dieses Berichts mit einem Foto des Eigentümers und seiner Ehefrau auch ohne deren Einwilligung zulässig sein." Und weil das so eben so gewesen sei, sei auch die Abbildung der Frau von Hannover zulässig.
Die Regenbogenpresse als Hort der Sozialkritik, das muss auch das Bundesverfassungsgericht überzeugt haben - jedenfalls nahm es die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde nicht an (was uns leider auch um die Chance eines weiteren Caroline-Urteils des BVerfG brachte).
Zur aktuellen Staffel - das Urteil aus Straßburg
Das Privatleben, so belehrt uns der EGMR gleich einleitend (Abs 41), ist "une notion large" (ein weiter Begriff). Und dann folgt all das, was aus Von Hannover (Nr. 2) bekannt ist, die Abwägung, der Beurteilungsspielraum, die Kontrolle durch den EGMR, der aber nicht an die Stelle der nationalen Gerichte treten wolle, jedenfalls nicht wenn die nationalen Gerichte bei der Abwägung die in der Rechtsprechung des EGMR herausgearbeiteten Kriterien entsprechend anwenden. Nur schwerwiegende Gründe würden es rechtfertigen, die Auffassung des EGMR an die Stelle jener des nationalen Gerichts zu setzen, etwa wenn die Beziehung zwischen dem strittigen Foto und dem begleitenden Text völlig künstlich und willkürlich wäre ("lorsque le lien entre la photo litigieuse et le texte l’accompagnant s’avère purement artificiel et arbitraire").
Wenn nun BVerfG und BGH meinten, dass der Artikel in der Regenbogenpresse zu einer Debatte von allgemeinem Interesse (Tatsächlich: Berühmte Menschen vermieten ihre Villen!) beigetragen habe, dann will der EGMR da nicht kleinlich sein: "au moins dans une certaine mesure", zmindest in einem gewissen Maß, wird das wohl der Fall gewesen sein. Da schließlich auch das - kleinformatige - Foto selbst nicht heimlich aufgenommen worden war, sah der EGMR keinen Grund, die Abwägung der deutschen Gerichte zu kippen.
Nächste Staffel?
Wie schon gesagt: die Spannung ist draußen, die Handlung dieser Staffel war erwartbar, gerade dass das Urteil diesmal in französischer Sprache erging, statt wie beim ersten von Hannover-Urteil in Englisch, sorgte noch für etwas Abwechslung (das von Hannover Nr 2-Urteil war - da von der Großen Kammer - in beiden Sprachen). Aber sonst: Wir wissen längst, dass man eine Interessenabwägung zwischen den nach Art 8 EMRK und den nach Art 10 EMRK geschützten Interessen vorzunehmen hat, und wir wissen nun auch wieder, dass der EGMR, wenn er dem BGH und dem BVerfG bei dieser Balanciererei sozusagen über die Schulter schauen kann, keine besondere Lust hat, die Verwertungsinteressen von Berühmtheiten übermäßig zu befördern.
Aber andererseits kann man wohl auch nie genug Caroline-Urteile haben ...
Update 25.02.2014: Mit Beschluss vom 17.02.2014 hat das "panel" der Großen Kammer die von der Beschwerdeführerin beantragte Verweisung der Sache an die Große Kammer abgelehnt.
Thursday, September 19, 2013
EGMR: Von Hannover gegen Deutschland (Nr. 3) - zur jüngsten Staffel einer juristischen telenovela
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