Wieder einmal ein Zwischenupdate zum Stand des EU-Gesetzgebungsvorhabens für den Binnenmarkt für elektronische Kommunikation, aka Telecom Single Market (TSM), in dem letzte Woche durch einen Beschluss im Rat (auf COREPER-Ebene) wieder etwas Bewegung aufgekommen ist. Es scheint damit nun wieder wahrscheinlicher, dass es tatsächlich zu einer - allerdings gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag ziemlich abgespeckten - Verordnung kommen könnte.
Was bisher geschah:
a) Vorschlag der Kommission
Ausgangspunkt des Gesetzgebungsvorhabens war der Vorschlag
der Kommission für eine Verordnung über Maßnahmen zum europäischen Binnenmarkt der
elektronischen Kommunikation und zur Verwirklichung des vernetzten
Kontinents (dazu im Blog insbesondere hier und hier): das war ein umfangreiches Rechtssetzungsvorhaben, das insbesondere im Sinne einer Förderung europaweiter Unternehmen eine einheitliche europaweite Genehmigung für Anbieter und eine weitgehende Harmonisierung von Frequenznutzungen vorsah, aber auch ein - im Detail kompliziertes - Zurückfahren von Roamingentgelten ab Mitte 2016 sowie Ansätze für eine Art "Netzneutralität light".
b) Erste Lesung im Europäischen Parlament
Im April 2014 hat das Europäische Parlament in seiner ersten Lesung eine legislative Entschließung gefasst, die in vielen Punkten so deutlich vom Vorschlag der Kommission (und auch von der vorauszusehenden Position des Rates) abwich, dass auf dieser Basis eine Einigung nicht ernsthaft erwartet werden konnte. Das zeigte sich vor allem im Bereich der Frequenzverwaltung, der freilich in der Öffentlichkeit weit weniger präsent war als die beiden leicht kommunizierbaren Themen Roaming und Netzneutralität. Zu Roaming wollte das - damals in Vorwahlstimmung befindliche - Parlament die Kommission noch übertrumpfen und die Reduktion der Roamingentgelte vorziehen; außerdem schloß sich die Mehrheit im Parlament einer etwas netzneutralitätsfreundlicheren Position an, als dies von der Kommission (und der Industrie) gewünscht worden war (zu Details siehe im Blog hier).
c) Beratungen im Rat
Für den verbindlichen Beschluss einer Rechtsnorm auf europäischer Ebene braucht es im (hier anzuwendenden) ordentlichen Gesetzgebungsverfahren übereinstimmende Beschlüsse von Parlament und Rat (mehr zum Verfahrensablauf schon in diesem Blogpost hier, gegen Ende). In der Ratsarbeitsgruppe, in der die mitgliedstaatlichen Beamten verhandeln, um eine Beschlussfassung auf Ministerebene vorzubereiten, war die Begeisterung für das Vorhaben eher gering, die Verhandlungen zogen sich hin, es stand auch ein völliges Scheitern im Raum. Letzten November gab es dann ein wenig Aufregung, als einzelne interne Dokumente veröffentlicht wurden; ich habe dazu einen Beitrag im Blog geschrieben, in dem ich auch meine Einschätzung äußerte, dass der Beschluss eines Gesamtpaktes nicht mehr zu erwarten sei, dass aber neben Roaming auch das Thema Netzneutralität (gegenüber dem für 2016 zu erwartenden Vorschlag für einen regulären "Review" des Rechtsrahmens) vorgezogen werden könnten.
Das aktuelle Mandat der Ratspräsidentschaft für den informellen Trilog
Ende Februar wurde in der Ratsarbeitsgruppe ein Text für eine Ratsposition fertiggestellt, die letzte Woche im COREPER abgesegnet wurde (dem Vernehmen nach mit nur sehr vereinzelten Gegenstimmen). Sie bildet die Grundlage für das Verhandlungsmandat der Ratspräsidentschaft (siehe dazu die Presseaussendung des Rats), mit dem nun der sogenannte informelle Trilog gestartet werden kann (siehe auch dazu bereits hier, gegen Ende). Ziel ist es, zu einer weitgehenden Übereinstimmung zu kommen, sodass in zweiter Lesung einheitliche Beschlüsse von Rat und Parlament gefasst werden können (und die Kommission den Vorschlag nicht zurückzieht).
Der Textentwurf der Ratsarbeitsgruppe, auf dessen Grundlage das Mandat beschlossen wurde, wurde von EDRi öffentlich gemacht. Er beschränkt sich tatsächlich auf die beiden Punkte "Netzneutralität" und Roaming - alle anderen Themen des Kommissionsvorschlags bleiben tatsächlich außen vor. Beim Thema Netzneutralität ist der Text nahe an der Kommissionposition. Er will ein "offenes Internet" schützen, was aber erstens Vorrang für "specialised services" und zweitens Differenzierunngen nach Preis, Geschwdindigkeit oder anderen wirtschaftlichen oder technischen Gesichtspunkten nicht ausschließen soll. Zugang zum Internet soll demnach Zugang zu "im Wesentlichen [substantially] allen Endpunkten des Internets" bedeuten; Traffic Management ist zulässig, ebenso Einschränkungen aus rechtlichen Gründen (siehe dazu näher Art 3 des Textes). Die Regulierungsbehörden sollen die Qualität des Internetzugangs beobachten, BEREC soll Leitlinein erstellen (beides in Art 4 des Textes) und die Mitgliedstaaten sollen bei nicht in der Verordnung für zulässig erklärten Einschränkungen auch Strafen verhängen (Art 5 des Textes).
Für den Roamingbereich sollen dieselben Preise für Telefonate im EU-Ausland wie im Inland gelten, allerdings beschränkt auf eine "basic allowance", also ein - nicht näher definiertes - Minimalkontingent, das auf die durchschnittlichen Reise- und Verbrauchsgewohnheiten aller Europäer abstellt (da übrigens im Durchschnitt zB nur 16 Prozent aller EU-Bürger 4 oder mehr Nächte im Ausland verbringen, sollte man sich da keine umfangreiche "allowance" erwarten). Darüber hinaus soll nicht mehr verlangt werden dürfen als der gewichtete Durchschnitt der höchsten(!) Mobilterminierungsentgelte in der Union. Dieser Durchschnitt soll vom BEREC festgestellt werden, dessen diesbezügliche Entscheidung nach Vorstellung des Rates auch Gegenstand von Verfahren vor dem EuGH sein könnten (was die Kommission in dieser Form wohl schon deshalb nicht akzeptieren kann, weil BEREC gerade nicht als Behörde eingerichtet wurde, deren Entscheidungen beim EuG bzw EuGH bekämpfbar sein sollten). Dieses Roamingmodell sollte ab 30.06.2016 angewendet werden (für Verträge, die schon vor dem Inkrafttreten abgeschlossen wurden, mit 01.01.2017).
Ganz wesentlich beim Text des Rates ist, dass die geplante Verordnung - wie auch von der Kommission gewünscht - eine Vollharmonisierung bewirken soll; mit anderen Worten: abweichende Regelungen - etwa die Netzneutralitätsbestimmumgen in den Niederlanden - müssten angepasst werden, die Mitgliedstaaten dürften Netzneutralität nicht mehr strenger - oder weniger streng - regulieren als die Verordnung vorsieht.
Was bedeutet dieses Mandat?
Unter regulären Umständen würde die Kommission wohl ihren Vorschlag zurückziehen, da sie eine derartige Amputation gerade der für sie wichtigsten Punkte (einheitliche Genehmigung, Frequenzharmonisierung) nicht ohne völligen Gesichtsverlust hinnehmen könnte. Hier ist aber vieles anders: zunächst einmal ist nicht mehr dieselbe Kommission im Amt, die den Vorschlag 2013 erstattet hat. Vor allem aber haben sich fast alle politisch Verantwortlichen - in Kommisison, Parlament und auch Rat - auf eine Senkung der Roamingentgelte einzementiert, und mit einer Zurückziehung würde die Kommission de facto
als Sündenbock für das Ausbleiben der vielfach angekündigten Absenkung dastehen, was sie sicher vermeiden will. Hinzu kommt, dass Netzneutralität ein politisch dermaßen heikles (und aus Kommissionssicht unberechenbares) Thema geworden ist, dass man es vor dem Gesamtreview des Rechtsrahmens, aber auch schon vor dem "Digital Single Market"-Vorhaben, jedenfalls aus dem Weg geräumt haben will, hat es doch das Potential, das eine oder andere sonstige Vorhaben komplizierter zu machen.
Ich erwarte daher nicht, dass die Kommission ihren Vorschlag zurückzieht, sondern eher im Gegenteil, dass sie der Ratsposition recht aufgeschlossen gegenübersteht (Kommissions-Vizepräsident Andrus Ansip hat zwar in einem Tweet noch gemeint, dass die Gespräche auch das Thema Frequenzen umfassen würden, aber das ist wohl aussichtslos). Darauf deuten auch Informationen hin, wonach das Kabinett des Kommissars Oettinger recht eindringlich auf zweifelnde Mitgliedstaaten eingewirkt haben soll, um die Beschlussfassung im Rat zu erreichen.
Auch das Parlament steckt in einer Zwickmühle: es wollte zwar mehr als der Rat, sowohl quantitativ (beim Regelungsumfang, aber das dürfte das geringste Problem sein) als auch inhaltlich (schnellere Absenkung der Roamingentgelte, etwas netzneutralitäts-freundlichere Regeln). Aber es muss auch das Verprechen niedrigerer Roamingentgelte einlösen.
Was ist nun zu erwarten? Ich gehe davon aus, dass beim Roaming etwas geschehen muss, eben weil sich alle ziemlich einzementiert haben. Das völlige Verbot von Roamingentgelten - das natürlich ein Eingriff zugunsten großer, mitgliedstaat-übergreifend tätigter Unternehmen wäre - dürfte unmittelbar noch nicht durchsetzbar sein. Ich erwarte, dass es zu einer Einigung bei einer etwas großzügigeren "basic allowance" kommen könnte; alternativ dazu schiene allenfalls auch ein "gemütlicheres" gänzliches Ausphasen der Roamingentgelte denkbar.
Welche trade-offs eine Einigung bei den Roamingentgelten für das zweite Verhandlungsthema, die Netzneutralität, mit sich bringen könnte, ist für mich derzeit schwer einschätzbar. Grundsätzlich wird man den Unternehmensinteressen, je mehr man sie bei den Roamingentgelten beschneidet, umso mehr beim Thema Netzneutralität Rechnung tragen. Hier trifft sich auch die Position der Kommission, die "specialised services" auf jeden Fall sicherstellen will und im Übrigen auf "Vertragsfreiheit" und Transparenz setzt (dh Einschränkungen der Netzneutralität sollen zulässig sei, wenn sie entsprechend vereinbart und den Kunden transparent sind) mit der mehrheitlichen Ratsposition. Allzu hinhaltend wird der Widerstand dagegen vom Parlament (dessen Mehrheiten beim Thema Netzneutralität ziemlich unsicher sind) auch nicht sein, wenn ein brauchbarer Roamingkompromiss zustande kommt.
PS: Noch eine Anmerkung zur Kommissionsposition und Oettingers "Taliban"-Äußerung:
Hat sich an der Position der Kommission zur Netzneutralität nach dem Amtsantritt der neuen Kommission etwas geändert? Es deutet nichts darauf hin. Dass Kommissar Oettinger für unterschiedliche Geschwindigkeiten bzw den Schutz von "specialised services", etwa für Gesundheitsanwendungen, ist, hat er selbst - in der ihm eigenen etwas originellen Art - bekanntgegeben (Transkript des Videos auf netzpolitik.org). Inhaltlich unterscheidet er sich dabei freilich nicht im Geringsten von Neelie Kroes, die zwar gern vom "open internet" sprach, aber letztlich immer denselben Standpunkt vertrat wie Oettinger. So sagte sie zB noch in ihrer Rede vor der Abstimmung im Europäischen Parlament, dass "safeguards for specialised services" notwendig seien, und sie sprach dort - wie nun auch Oettinger in seiner "Taliban"-Wortmeldung - besonders die Gesundheitsdienste an: "Can we say to hospitals and healthcare workers they can't try out new telehealth procedures? All those things depend on enhanced quality of service." Oettinger klingt eigentlich nur wie ein akustisch etwas verunglücktes Echo von Kroes, inhaltlich sind seine Aussagen aber auf derselben Linie.
Update 16.04.2015: ein aktuelles Dokument der Präsidentschaft zur Vorbereitung des 2. Trilog-Treffens wurde am 16.04.2015 von statewatch.org veröffentlicht - es dokumentiert auch bereits Kompromissangebote des Rates (zB Vorziehen der Evaluation auf Ende 2017) und enthält erste konkrete Zahlen, was in der "basic allowance" enthalten sein soll: an mindestens 7 Tagen pro Jahr mindestens 5 Min Sprachtelefonie (aktiv und passiv), 5 SMS und 10 MB Daten.
Update 28.04.2015: wieder hat statewatch.org ein Dokument der Ratspräsidentschaft zur Vorbereitung des nächsten (dritten) Trilog-Treffens veröffentlicht. Änderungen gegenüber dem letzten Dokument finden sich nur bei der "basic allowance" - in diesem Kontigent sollen nun 50 Minuten Sprachtelefonie (aktiv und passiv), 50 gesendete SMS und 100 MB Daten, jeweils pro Jahr, enthalten sein, wobei die Betreiber - um einem Missbrauch(!?) dieser basic allowance zu begegnen - auch eine tägliche, wöchentliche, monatliche oder sonstige periodische "allowance" vorsehen können, wenn diese insgesamt mindestens die 50 Min/SMS bzw 100 MB pro Jahr erreicht und die "basic communication needs" des Konsumenten erfüllt - denkbar wären also vielleicht auch 5 Minuten pro Monat. Dass das schon der Durchbruch sein könnte, dem das Parlament freudig zustimmt, kann ich mir nicht wirklich vorstellen.
Update 29.04.2015: nun wurde auch ein Dokument der Kommission geleakt, in dem - nur zum Thema Netzneutralität - mögliche Kompromissvarianten dargestellt werden; hier abrufbar.
Update 19.05.2015: politico.eu hat ein "non-paper" der lettischen Präsidentschaft veröffentlicht, das ausgehend von einem Vorschlag des Europäischen Parlaments die Sitzung der Ratsarbeitsgruppe am 19.05.2015 vorbereiten sollte.
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Tuesday, March 10, 2015
Friday, November 21, 2014
Netzneutralität in der EU wieder einmal in Gefahr? Nicht mehr und nicht weniger als bisher!
Reuters hat angefangen: EU leans towards broader net neutrality rules hieß es vor vier Tagen; dann kamen die anderen Medien, in denen zB von einer geplanten Verwässerung der Netzneutralität durch die EU die Rede war, und nun folgte auch EDRi (European Digital Rights), mit der Schlagzeile: Leaked documents show net neutrality may be in danger!
Was gibt es aber wirklich Neues? Meines Erachtens nicht allzu viel, wie gerade auch die beiden Dokumente zeigen, die EDRi "geleakt" hat (und die auch Grundlage für den Reuters-Bericht waren). Es handelt es sich um eine Note der italienischen Präsidentschaft an die Delegationen (in der Ratsarbeitsgruppe Telekommunikation und Informationsgesellschaft) mit Anhang, die der Vorbereitung der jüngsten Ratsarbeitsgruppensitzung dienten.
Um die Bedeutung solcher Dokumente einschätzen zu können, muss man ein wenig Verständnis für den Gesetzgebungsprozess auf Unionsebene aufbringen (siehe zum Verfahren gerade in dieser Sache im Blog schon hier [Punkt 3.]) und auch den Gesamtzusammenhang berücksichtigen.
Der Zusammenhang: es geht nicht nur um Netzneutralität, sondern um viel mehr: die Telekom-Binnenmarkt-Verordnung
Erstens geht es um das Rechtssetzungsvorhaben der Telekom-Binnenmarkt-Verordnung (oder "Vernetzer Kontinent"-Verordnung; oft auch im deutschen Sprachraum englisch als TSM- bzw "connected continent"-regulation bezeichnet). Der von der Kommission dazu im September 2013 vorgelegte Vorschlag (zu dem ich zB hier geschrieben habe) war ambitioniert, sowohl im Zeitplan als auch im Regelungsgegenstand - da war etwa eine EU-weite Genehmigung für "europäische Anbieter" genauso vorgesehen wie eine massive Stärkung der Rolle der Kommission bei der Frequenzverwaltung und der Wettbewerbsregulierung - und als eine Art Köder für das Europäische Parlament sollten auch weitere Einschnitte (aus Unternehmenssicht) bzw Verbesserungen (aus Kundensicht) beim Roaming dienen. Es war politisch durchaus schlau geplant - die Kommission rechnete damit, dass das Parlament die Roaming-Änderungen publikumswirksam noch vor der Europawahl beschließen wollte und dass im "Roaming-Windschatten" und dem durch die Wahlen gegebenen Zeitdruck das gesamte Vorhaben leichter durchgehen könnte.
Allerdings war das von der Kommission vorgelegte Gesamtpaket dann doch in manchen Punkten - vor allem bei der europaweiten Genehmigung und bei der Zentralisierung der Frequenzverwaltung - so überzogen, dass das geplante Denkmal für die scheidende Kommissarin Kroes schon vor der Errichtung langsam zu bröckeln begann. Im Rat - und das heißt zunächst einmal in der Ratsarbeitsgruppe, die auf Ebene der FachbeamtInnen der Mitgliedstaaten die Position des Rates vorbereitet - war der Widerstand ziemlich breit. Neben inhaltlichen Bedenken hing das sicher auch mit dem eher merkwürdigen rechtstechnischen Zugang zusammen: die Kommission hatte eine Verordnung vorgeschlagen, die quer zum bisherigen, überwiegend aus Richtlinien bestehenden Rechtsrahmen lag. Es war weder ein vollständiger "Review" des bestehenden Rechtsrahmens, noch eine bloße Ergänzung. Die Verordnung hätte damit auch massive Unschärfen in der Anwendung und Probleme bei der Anpassung der bestehenden nationalen Rechtsvorschriften mit sich gebracht. Das heißt also: ganz unabhängig vom Inhalt gab es durchaus gute Gründe, dem Verordnungsvorschlag mit Skepsis zu begegnen - und inhaltlich stand das Thema Netzneutralität nicht im Vordergrund der mitgliedstaatlichen Überlegungen.
Das Europäische Parlament, von den praktischen Problemen der Umsetzung bzw Anwendung in den Mitgliedstaaten doch deutlich weiter entfernt als die FachbeamtInnen in der Ratsarbeitsgruppe, hat sich mit dem Verordnungsvorschlag befasst und im April in erster Lesung eine legislative Entschließung getroffen. Dabei erzielten die Netzneutralitäts-Befürworter einen Erfolg, da ihre Positionen teilweise in die Entschließung Eingang gefunden haben (im Detail dazu im Blog hier [Punkt 2]). Abgesehen davon war aber die legislative Entschließung des Parlaments in manchen anderen Punkten so, dass ein Übernehmen dieser Position durch den Rat völlig ausgeschlossen ist.
Aktueller Stand des Gesetzgebungsverfahrens
Ich habe schon im April die Pläne der damaligen griechischen Ratspräsidentschaft, die "allgemeine Ausrichtung" (ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Annahme einer Position des Rates in erster Lesung) noch im Juni zu erreichen, für sehr unwahrscheinlich gehalten. Tatsächlich ist es bislang noch nicht zu dieser allgemeinen Ausrichtung gekommen, und die italienische Ratspräsidentschaft plant diesen Schritt nun für die kommende Ratstagung der Telekomminister am 27.11.2014.
In diesem Zusammenhang sind nun die "geleakten" Dokumente zu verstehen. In der Ratsarbeitsgruppe war der Fortschritt bisher ziemlich schleppend, von der Annahme einer Position zum gesamten Verordnungsvorschlag ist man weit entfernt. Das Scheitern des gesamten Rechtssetzungsvorhabens steht ernsthaft im Raum. Das ergab sich auch aus dem Arbeitspapier der italienischen Ratspräsidentschaft aus dem September, in dem versucht wurde, einen möglichen Ausweg aus den ins Stocken geratenen Verhandlungen in der Ratsarbeitsgruppe zu finden. Auch dieses Papier kam nicht besonders gut an, 16 Mitgliedstaaten, so hieß es informell, seien explizit dagegen gewesen, den Kommissionvorschlag überhaupt weiter zu behandeln, nur 6 ausdrücklich dafür (der Rest war indifferent). Die Themen Roaming und Netzneutralität waren damals noch nicht einmal intensiver beraten worden.
Nun steht also das Ende der italienischen Ratspräsidentschaft bevor, und sie bemüht sich natürlich, noch eine erkennbare Wegmarke zu setzen, bevor der nächste Mitgliedstaat sein Glück mit dem eher unglücklichen Verordnungsvorschlag versuchen darf. Daher auch der Versuch, mit der "geleakten" Note der Präsidentschaft wenigstens irgendeine Art von Kompromisspapier vorzulegen, das in möglichst offenen Worten gefasst ist und damit eine Schein-Übereinstimmung ermöglicht - so nach dem Motto: wenn nichts wirklich drinsteht, kann jeder Mitgliedstaat hineininterpretieren, was er für richtig hält. So ist das Scheitern wenigstens nicht ganz so offensichtlich dokumentiert.
Heute tagt der Ausschuss der Ständigen Vertreter I (COREPER I), die nächsthöhere Ebene über der Ratsarbeitsgruppe. Der COREPER dient der Vorbereitung der Ratstagungen und befasst sich - unter vielen anderen Angelegenheiten - auch mit dem "Conected Continent"-Verordnungsvorschlag (siehe die Tagesordnung). Für die Ratstagung am 27.11.2014 wird versucht, eine "allgemeine Ausrichtung" zu erreichen, die notgedrungen relativ vage bleiben wird, und meines Erachtens auch kaum zu Verhandlungen mit dem Parlament taugen kann. Netzneutralität ist dabei ein interessantes, aber nicht das sperrigste Thema.
Wie geht es weiter?
Das Interessanteste an der Note der Ratspräsidentschaft ist eigentlich der Vorspann, in dem das Umfeld skizziert wird, in dem das aktuelle - mehr oder weniger gescheiterte - Gesetzgebungsvorhaben zu sehen ist.
Die - mittlerweile neue - Kommission wird sich wohl kaum darin verbeißen, das geplante Denkmal für Neelie Kroes noch zu retten und die "Connected Continent"-Verordnung unbedingt durchzuboxen - sie hat mittlerweile signalisiert, den regulären "Review" des Rechtsrahmens für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste in Angriff nehmen zu wollen. Eine Konsultation ist für 2015 (wohl noch im ersten Quartal) geplant, legislative Vorschläge eher Anfang 2016. Auch andere legislative Instrumente (insbesondere die Frequenzentscheidung) stehen vor einem Review. Die Tendenz geht ganz offensichtlich dazu, den Verordnungsvorschlag als Ganzes jedenfalls zu vergessen, und gleich Nägeln mit Köpfen zu machen, also eine ernsthafte Reform des Rechtsrahmens in Angriff zu nehmen.
Im Hinblick auf den politischen und medialen Druck, den Neelie Kroes mit ihrem Parlamentarier-Zuckerl der weiteren Reduzierung bzw Abschaffung der Roamingentgelte aufgebaut hat, wird man aber wohl kaum umhin kommen, den Roaming-Aspekt auch vom Rat vorzuziehen. Insofern könnte vom gesamten Projekt der "Connected Continent"-Verordnung vielleicht auch bloß eine Art Novelle zur Roaming-Verordnung übrig bleiben.
Das Thema Netzneutralität hat allerdings deutlich an öffentlichem Interesse gewonnen, und so steht - darauf deutet die "geleakte" Note der Ratspräsidentschaft hin - auch zur Debatte, neben Roaming auch das Thema Netzneutralität gegenüber dem regulären "Review" des Rechtsrahmens vorzuziehen. Ich bin nicht sicher, ob man sich das aus Sicht der Netzneutraliätsbefürworter wirklich wünschen kann: denn wenn im Roamingbereich die Netzbetreiber weiter nachgeben müssen, dann steht als Ausgleich für sie natürlich eine möglichst weiche Netzneutralitätsregelung (zB im Sinne der von der italienischen Ratspräsidentschaft angedeuteten bloßen "Prinzipien") im Raum. Insofern besteht die von EDRi diagnostizierte Gefahr natürlich wirklich.
Wirklich neu ist das alles freilich nicht. Die aktuellen Dokumente bestätigen nur die bisherige Einschätzung des Gesetzgebungsprozesses. Dazu verweise ich nochmals auf mein Blogpost aus dem April, wo ich das Verfahren näher geschildert habe, und auf die Veranstaltung der Rundfunk und Telekom Regulierungs GmbH vom 14.10.2014, die auf der Website der RTR dokumentiert ist, wo ich mich ebenfalls mit den möglichen Szenarien befasst habe.
Was gibt es aber wirklich Neues? Meines Erachtens nicht allzu viel, wie gerade auch die beiden Dokumente zeigen, die EDRi "geleakt" hat (und die auch Grundlage für den Reuters-Bericht waren). Es handelt es sich um eine Note der italienischen Präsidentschaft an die Delegationen (in der Ratsarbeitsgruppe Telekommunikation und Informationsgesellschaft) mit Anhang, die der Vorbereitung der jüngsten Ratsarbeitsgruppensitzung dienten.
Um die Bedeutung solcher Dokumente einschätzen zu können, muss man ein wenig Verständnis für den Gesetzgebungsprozess auf Unionsebene aufbringen (siehe zum Verfahren gerade in dieser Sache im Blog schon hier [Punkt 3.]) und auch den Gesamtzusammenhang berücksichtigen.
Der Zusammenhang: es geht nicht nur um Netzneutralität, sondern um viel mehr: die Telekom-Binnenmarkt-Verordnung
Erstens geht es um das Rechtssetzungsvorhaben der Telekom-Binnenmarkt-Verordnung (oder "Vernetzer Kontinent"-Verordnung; oft auch im deutschen Sprachraum englisch als TSM- bzw "connected continent"-regulation bezeichnet). Der von der Kommission dazu im September 2013 vorgelegte Vorschlag (zu dem ich zB hier geschrieben habe) war ambitioniert, sowohl im Zeitplan als auch im Regelungsgegenstand - da war etwa eine EU-weite Genehmigung für "europäische Anbieter" genauso vorgesehen wie eine massive Stärkung der Rolle der Kommission bei der Frequenzverwaltung und der Wettbewerbsregulierung - und als eine Art Köder für das Europäische Parlament sollten auch weitere Einschnitte (aus Unternehmenssicht) bzw Verbesserungen (aus Kundensicht) beim Roaming dienen. Es war politisch durchaus schlau geplant - die Kommission rechnete damit, dass das Parlament die Roaming-Änderungen publikumswirksam noch vor der Europawahl beschließen wollte und dass im "Roaming-Windschatten" und dem durch die Wahlen gegebenen Zeitdruck das gesamte Vorhaben leichter durchgehen könnte.
Allerdings war das von der Kommission vorgelegte Gesamtpaket dann doch in manchen Punkten - vor allem bei der europaweiten Genehmigung und bei der Zentralisierung der Frequenzverwaltung - so überzogen, dass das geplante Denkmal für die scheidende Kommissarin Kroes schon vor der Errichtung langsam zu bröckeln begann. Im Rat - und das heißt zunächst einmal in der Ratsarbeitsgruppe, die auf Ebene der FachbeamtInnen der Mitgliedstaaten die Position des Rates vorbereitet - war der Widerstand ziemlich breit. Neben inhaltlichen Bedenken hing das sicher auch mit dem eher merkwürdigen rechtstechnischen Zugang zusammen: die Kommission hatte eine Verordnung vorgeschlagen, die quer zum bisherigen, überwiegend aus Richtlinien bestehenden Rechtsrahmen lag. Es war weder ein vollständiger "Review" des bestehenden Rechtsrahmens, noch eine bloße Ergänzung. Die Verordnung hätte damit auch massive Unschärfen in der Anwendung und Probleme bei der Anpassung der bestehenden nationalen Rechtsvorschriften mit sich gebracht. Das heißt also: ganz unabhängig vom Inhalt gab es durchaus gute Gründe, dem Verordnungsvorschlag mit Skepsis zu begegnen - und inhaltlich stand das Thema Netzneutralität nicht im Vordergrund der mitgliedstaatlichen Überlegungen.
Das Europäische Parlament, von den praktischen Problemen der Umsetzung bzw Anwendung in den Mitgliedstaaten doch deutlich weiter entfernt als die FachbeamtInnen in der Ratsarbeitsgruppe, hat sich mit dem Verordnungsvorschlag befasst und im April in erster Lesung eine legislative Entschließung getroffen. Dabei erzielten die Netzneutralitäts-Befürworter einen Erfolg, da ihre Positionen teilweise in die Entschließung Eingang gefunden haben (im Detail dazu im Blog hier [Punkt 2]). Abgesehen davon war aber die legislative Entschließung des Parlaments in manchen anderen Punkten so, dass ein Übernehmen dieser Position durch den Rat völlig ausgeschlossen ist.
Aktueller Stand des Gesetzgebungsverfahrens
Ich habe schon im April die Pläne der damaligen griechischen Ratspräsidentschaft, die "allgemeine Ausrichtung" (ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Annahme einer Position des Rates in erster Lesung) noch im Juni zu erreichen, für sehr unwahrscheinlich gehalten. Tatsächlich ist es bislang noch nicht zu dieser allgemeinen Ausrichtung gekommen, und die italienische Ratspräsidentschaft plant diesen Schritt nun für die kommende Ratstagung der Telekomminister am 27.11.2014.
In diesem Zusammenhang sind nun die "geleakten" Dokumente zu verstehen. In der Ratsarbeitsgruppe war der Fortschritt bisher ziemlich schleppend, von der Annahme einer Position zum gesamten Verordnungsvorschlag ist man weit entfernt. Das Scheitern des gesamten Rechtssetzungsvorhabens steht ernsthaft im Raum. Das ergab sich auch aus dem Arbeitspapier der italienischen Ratspräsidentschaft aus dem September, in dem versucht wurde, einen möglichen Ausweg aus den ins Stocken geratenen Verhandlungen in der Ratsarbeitsgruppe zu finden. Auch dieses Papier kam nicht besonders gut an, 16 Mitgliedstaaten, so hieß es informell, seien explizit dagegen gewesen, den Kommissionvorschlag überhaupt weiter zu behandeln, nur 6 ausdrücklich dafür (der Rest war indifferent). Die Themen Roaming und Netzneutralität waren damals noch nicht einmal intensiver beraten worden.
Nun steht also das Ende der italienischen Ratspräsidentschaft bevor, und sie bemüht sich natürlich, noch eine erkennbare Wegmarke zu setzen, bevor der nächste Mitgliedstaat sein Glück mit dem eher unglücklichen Verordnungsvorschlag versuchen darf. Daher auch der Versuch, mit der "geleakten" Note der Präsidentschaft wenigstens irgendeine Art von Kompromisspapier vorzulegen, das in möglichst offenen Worten gefasst ist und damit eine Schein-Übereinstimmung ermöglicht - so nach dem Motto: wenn nichts wirklich drinsteht, kann jeder Mitgliedstaat hineininterpretieren, was er für richtig hält. So ist das Scheitern wenigstens nicht ganz so offensichtlich dokumentiert.
Heute tagt der Ausschuss der Ständigen Vertreter I (COREPER I), die nächsthöhere Ebene über der Ratsarbeitsgruppe. Der COREPER dient der Vorbereitung der Ratstagungen und befasst sich - unter vielen anderen Angelegenheiten - auch mit dem "Conected Continent"-Verordnungsvorschlag (siehe die Tagesordnung). Für die Ratstagung am 27.11.2014 wird versucht, eine "allgemeine Ausrichtung" zu erreichen, die notgedrungen relativ vage bleiben wird, und meines Erachtens auch kaum zu Verhandlungen mit dem Parlament taugen kann. Netzneutralität ist dabei ein interessantes, aber nicht das sperrigste Thema.
Wie geht es weiter?

Die - mittlerweile neue - Kommission wird sich wohl kaum darin verbeißen, das geplante Denkmal für Neelie Kroes noch zu retten und die "Connected Continent"-Verordnung unbedingt durchzuboxen - sie hat mittlerweile signalisiert, den regulären "Review" des Rechtsrahmens für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste in Angriff nehmen zu wollen. Eine Konsultation ist für 2015 (wohl noch im ersten Quartal) geplant, legislative Vorschläge eher Anfang 2016. Auch andere legislative Instrumente (insbesondere die Frequenzentscheidung) stehen vor einem Review. Die Tendenz geht ganz offensichtlich dazu, den Verordnungsvorschlag als Ganzes jedenfalls zu vergessen, und gleich Nägeln mit Köpfen zu machen, also eine ernsthafte Reform des Rechtsrahmens in Angriff zu nehmen.
Im Hinblick auf den politischen und medialen Druck, den Neelie Kroes mit ihrem Parlamentarier-Zuckerl der weiteren Reduzierung bzw Abschaffung der Roamingentgelte aufgebaut hat, wird man aber wohl kaum umhin kommen, den Roaming-Aspekt auch vom Rat vorzuziehen. Insofern könnte vom gesamten Projekt der "Connected Continent"-Verordnung vielleicht auch bloß eine Art Novelle zur Roaming-Verordnung übrig bleiben.
Das Thema Netzneutralität hat allerdings deutlich an öffentlichem Interesse gewonnen, und so steht - darauf deutet die "geleakte" Note der Ratspräsidentschaft hin - auch zur Debatte, neben Roaming auch das Thema Netzneutralität gegenüber dem regulären "Review" des Rechtsrahmens vorzuziehen. Ich bin nicht sicher, ob man sich das aus Sicht der Netzneutraliätsbefürworter wirklich wünschen kann: denn wenn im Roamingbereich die Netzbetreiber weiter nachgeben müssen, dann steht als Ausgleich für sie natürlich eine möglichst weiche Netzneutralitätsregelung (zB im Sinne der von der italienischen Ratspräsidentschaft angedeuteten bloßen "Prinzipien") im Raum. Insofern besteht die von EDRi diagnostizierte Gefahr natürlich wirklich.
Wirklich neu ist das alles freilich nicht. Die aktuellen Dokumente bestätigen nur die bisherige Einschätzung des Gesetzgebungsprozesses. Dazu verweise ich nochmals auf mein Blogpost aus dem April, wo ich das Verfahren näher geschildert habe, und auf die Veranstaltung der Rundfunk und Telekom Regulierungs GmbH vom 14.10.2014, die auf der Website der RTR dokumentiert ist, wo ich mich ebenfalls mit den möglichen Szenarien befasst habe.
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Sunday, April 06, 2014
Spoiler: Schutz der Netzneutralität "bleibt" nicht, sondern kommt erst - falls überhaupt - 2015 (frühestens)
Ich will die zivilgesellschaftliche Freude über den Abstimmungserfolg in Sachen Netzneutralität im Europäischen Parlament am vergangenen Donnerstag ja nicht trüben, aber zu drei Punkten wollte ich doch etwas anmerken: erstens zur aktuellen Rechtslage (ohne Verordnung), zweitens zum konkreten Beschluss des Parlaments und drittens zum Ausblick, wie es bis zu einer (allfälligen) verbindlichen Verordnung nun weitergeht.
1. Netzneutralität heute - oder: Was es nicht gibt, kann auch nicht abgeschafft werden
Der Kommission wurde vielfach der Vorwurf gemacht, sie wolle mit ihrem Verordnungsvorschlag die Netzneutralität abschaffen. Mit Einschränkungen könnte man diesen Vorwurf allenfalls für Slowenien und die Niederlande gelten lassen, wo es derzeit gesetzliche Regelungen zum Schutz der Netzneutralität gibt (Niederlande, Slowenien, jeweils inoffizielle Übersetzungen; siehe für eine Analyse auch diesen Artikel von Thomas Lohninger) - für alle anderen Mitgliedstaaten aber trifft der Vorwurf nicht zu, denn derzeit ist die Netzneutralität weder unionsrechtlich verankert noch in den Mitgliedstaaten (außer eben den Niederlanden und Slowenien).
Ob die Netzneutralitäts-Regelungen in den Niederlanden und Slowenien mit den aktuellen unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar sind, ist übrigens zweifelhaft (die Kommission hat allerdings - wohl mehr aus politischen Überlegungen heraus - bisher kein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet); nach einer Neuordnung durch die aktuell diskutierte Verordnung wäre das neu zu überprüfen. In allen anderen Mitgliedstaaten, so auch in Österreich, gibt es keine vergleichbaren Regeln, die derzeit Einschränkungen der Netzneutralität verhindern könnten.
Beschränkungen der Netzneutralität sind daher - im Rahmen des allgemeinen Vertragsrechts und bei Erfüllung der telekomrechtlichen Informationspflichten (für Österreich siehe insbesondere § 25 Abs 4 Z 2 lit b, c, und e TKG 2003) - möglich und kommen auch in der Praxis vor (zB VoIP-Blocking in Mobilnetzen, siehe diesen BEREC-Bericht). Zu mehr als anekdotischen Ansätzen für eine gesetzliche Regelung hat es in Österreich bisher nicht gereicht (mehr dazu hier im Blog; zu Grundfragen der Netzneutralität verweise ich auch gern auf einen älteren Vortrag von mir aus 2008 [Manuskript, Folien]; die auch heute noch aktuelle Unions-Rechtslage habe ich bei einem Vortrag 2011 einmal zusammengefasst [Manuskript, S. 4- 9]).
Erich Möchel schreibt in seinem Bericht über die Abstimmung im Europäischen Parlament, dass sich das Plenum gegen die Empfehlungen der EU-Kommission entschieden habe, "die 'Verkehrsregeln' auf dem europäischen Markt grundlegend zu ändern". Das ist im Ergebnis schon richtig, denn die Kommission wollte erstmals einen - wenn auch nicht extrem ausgeprägten - gesetzlichen Schutz der Netzneutralität verankern, und das Parlament hat sich dafür entschieden, diese "Verkehrsregeln" in die gleiche Richtung, aber eben noch etwas grundlegender zu ändern, als es die Kommission vorgeschlagen hatte.
2. Was hat das Europäische Parlament überhaupt beschlossen?
Die Abstimmung betraf einen Verordnungsvorschlag der Kommission, mit dem der Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste in vielen Punkten abgeändert werden soll. Der vom Parlament gefasste Beschluss ist eine "Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 3. April 2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen zum europäischen Binnenmarkt der elektronischen Kommunikation und zur Verwirklichung des vernetzten Kontinents und zur Änderung der Richtlinien 2002/20/EG, 2002/21/EG und 2002/22/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1211/2009 und (EU) Nr. 531/2012 (COM(2013)0627".
Wie der lange Namen schon andeutet, geht es dabei um weit mehr als die in den Medien diskutierten Fragen der Netzneutralität und des Roamings. Ich will mich hier trotzdem auf das Thema Netzneutralität beschränken, wer die gesamte Entschließung lesen will, kann dies in der aktuell verfügbaren vorläufigen Fassung hier [als Word-Dokument!] tun (Übersicht der am 03.04.2014 angenommenen Texte). Der Text geht über rund 180 Seiten, wirklich lesbar - soweit EU-Rechtstexte überhaupt lesbar sind - wird er zudem nur im direkten Vergleich mit dem Verordnungsvorschlag der Kommission. Zum gesamten Inhalt des Kommissionsvorschlags habe ich übrigens im Blog hier und hier mehr geschrieben (und auf der Basis eines Vorentwurfs habe ich in einem Vortrag auf dem Salzburger Telekom-Forum 2013 auch ein paar kritische Anmerkungen zu den Vorhaben der Kommission - insbesondere zur geplanten Oligopolisierungder Telekom-Branche auf europäischer Ebene - angebracht).
Die zentralen Bestimmungen betreffend die Netzneutralität sollen laut Parlament nun wie folgt lauten (Hervorhebung hinzugefügt):
Die Gesetzgebungsprozesse in der Europäischen Union sind ziemlich unübersichtlich: im vorliegenden Fall kommt das sogenannte "ordentliche Gesetzgebungsverfahren" zur Anwendung, das in Art 294 AEUV geregelt ist (wer das lieber grafisch dargestellt hat, kann sich an einem Schaubild in der Wikipedia orientieren). Zu beachten ist aber, dass Art 294 AEUV nicht alle Details des praktischen Ablaufs abbildet, insbesondere ist darin keine Rede von den Ratsarbeitsgruppen und auch der sogenannte "Trilog" findet keine Erwähnung.
- Erste Lesung im Rat
Das Europäische Parlament hat nun seinen Standpunkt in erster Lesung festgelegt und übermittelt diesen dem Rat. Der Rat besteht aus den Ministern der Mitgliedstaaten und tagt in unterschiedlichen Formationen; für Telekomangelegenheiten ist die Formation Verkehr, Telekommunikation und Energie zuständig.
Natürlich erörtern die Minister den Standpunkt des Parlaments aber nicht ad hoc und freihändig, sondern lassen sich ihre Tagung von Ratsarbeitsgruppen (bestehend aus den fachlich zuständigen BeamtInnen der Mitgliedstaaten) und dann vom Ausschuss der Ständigen Vertreter (COREPER) vorbereiten. Erst wenn in der zuständigen Ratsarbeitsgruppe des Rates die Standpunkte halbwegs klar sind und die Präsidentschaft absieht, dass man sinnvoller Weise die Minister damit beschäftigen könnte, kommt die Angelegenheit - im Weg des COREPER - in den Rat.
Beim aktuellen Gesetzgebungsvorhaben gab es im Rat bisher lediglich eine "erste Orientierungsaussprache" am 05.12.2013 (siehe auch die Presseaussendung), aber noch nicht einmal eine "allgemeine Ausrichtung". Nach der Planung der derzeitigen griechischen Präsidentschaft (siehe S. 55) wäre die allgemeine Ausrichtung ("general approach"), aber allenfalls auch bloß die Erörterung eines weiteren Fortschrittsberichts, erst für die Ratstagung am 6. Juni 2014 vorgesehen. Nun sind die Planungen der Präsidentschaft meist sogar optimistischer als der tatsächliche Fortschritt, insofern halte ich es also für sehr unwahrscheinlich, dass - über die Planung der Präsidentschaft hinaus - bereits auf der Tagung der Telekomminister im Rat am 6. Juni 2014 der Standpunkt des Rates festgelegt werden könnte; eine Frist für den Standpunkt des Rates in erster Lesung gibt es nicht. Nun gehen also erstmal die Tagungen der Ratsarbeitsgruppe weiter, nächster Termin dafür ist der 9. April. Ich würde den Standpunkt des Rates daher erst im Herbst dieses Jahres erwarten; es kann aber auch sein, dass im Hinblick auf den doch ambitionierten Zeithorizont des Parlaments beim Roaming (Abschaffung von Roamingentgelten bis 15.12.2015) auch Zeitdruck beim Rat entsteht, zumal die Betreiber möglichst bald mehr Sicherheit über die zu erwartenden Regeln haben wollen.
Theoretisch könnte der Rat den Standpunkt des Parlaments in erster Lesung zur Gänze billigen - damit wäre die Verordnung angenommen. Im vorliegenden Fall ist dies aber wirklich nur theoretisch: Das Parlament hat zwar in seinen Änderungen einige Bedenken, die auch aus dem Rat gekommen sind (etwa was die EU-weite Genehmigung und Sitzstaatskontrolle betrifft), aufgegriffen (zur österreichischen Position zum Verordnungsvorschlag siehe die EU-Jahresvorschau des BMVIT, S 13: "Österreich steht diesem Vorschlag [...] sehr kritisch bis ablehnend gegenüber"). Es hat aber auch einigen Wünschen der Telekomindustrie Rechnung getragen, die von den Mitgliedstaaten kaum mitgetragen werden können - allein die auf einen Streich erfolgte Erweiterung der Dauer aller Frequenznutzungsrechte "auf 25 Jahre ab dem Datum der Erteilung" (Artikel 8a nach der Entschließung des Parlaments) schließt eine Zustimmung des Rates zu diesem Text meines Erachtens aus. Eine zweite Lesung in Parlament und Rat wird daher jedenfalls erforderlich sein.
- Standpunkt der Kommission
Nächster Schritt ist dann der Standpunkt der Kommission zu den von Parlament und Rat vorgesehenen Änderungen. Auch die Kommission kann mit einigen der vom Parlament vorgeschlagenen Änderungen keinesfalls einverstanden sein, etwa mit der Verpflichtung der Kommission zur Erlassung von Durchführungsrechtsakten innerhalb eines Jahres (in Artikel 12 Abs 2). Im Standpunkt der Kommission wird in der Regel auch erkennbar, in welchen Punkten sich ein Kompromiss abzeichnen könnte und wo die Kommission hart bleiben möchte (was für eine allfällige dritte Lesung von Bedeutung ist). Die Kommission könnte den Vorschlag zudem jederzeit auch zurückziehen und damit das Gesetzgebungsverfahren zu einem abrupten Ende bringen.
Dass das Parlament den von seinem ersten Standpunkt abweichenden Standpunkt des Rates dann in zweiter Lesung ohne Weiteres billigt, ist schon aus Gründen der demonstrativen Selbstachtung des Parlaments auszuschließen, und zwar ganz egal wie das Parlament nach der Wahl zusammengesetzt sein wird. Also werden - in einem viel kürzeren Zeitraum, nämlich binnen einer Frist von drei Monaten - neuerlich Änderungsvorschläge des Parlaments beschlossen werden, die wiederum dem Rat vorgelegt werden.
- Trilog
Zuvor aber wird ein informeller Trilog (siehe zu diesem "secret lawmaking" zB hier auf eu obvserver) versucht werden, also eine Abstimmung zwischen Parlament, Rat und Kommission, um das Gesetzgebungsvorhaben in zweiter Lesung - mit übereinstimmenden Beschlüssen von Parlament und Rat - abschließen zu können. Denn für die praktische Arbeit hat sich das offizielle ordentliche Gesetzgebungsverfahren als viel zu schwerfällig erwiesen, sodass in den meisten Fällen eine "Abkürzung" versucht wird, in dem sich Parlament und Rat schon vor der Beschlussfassung in zweiter Lesung (manchmal auch vor der ersten Lesung) auf einen gemeinsamen Text verständigen. Das erfolgt außerhalb formeller Regeln und führt auch nicht immer zu einem Ergebnis - und manchmal gibt es zwar eine Einigung im Trilog, die dann aber vom Plenum des Parlaments abgelehnt wird. Im Telekombereich war dies beim letzten Reformpaket 2009 der Fall, wo die Diskussion um Netzsperren - ähnlich wie diesmal zur Netzneutralität - und die zivilgesellschaftliche Mobilmachung in letzter Minute dazu führte, dass das Plenum anders abstimmte, als die VertreterInnen des Parlaments im Trilog mit Rat und Kommission ausgemacht hatten (siehe dazu im Blog hier; siehe auch das Procedure File, das die dadurch eingetretene Verzögerung von etwa einem halben Jahr dokumentiert).
- Zweite Lesung im Rat
Nur wenn es im Trilog ein Agreement zwischen Rat und Parlament und Kommission gegeben hat, und wenn das Plenum des Parlaments diesem Agreement auch folgt, ist die zweite Lesung im Rat eine Formsache. Die Zustimmung der Kommission ist wesentlich, denn gegen den Standpunkt der Kommission kann der Rat in zweiter Lesung nur einstimmig beschließen, was extrem schwer erreichbar ist. Gab es keine Einigung im Trilog, dann ist die zweite Lesung im Rat gewissermaßen nur der Auftakt zum:
- Vermittlungsausschuss
Der Vermittlungsausschuss ist sozusagen der formelle Trilog, in dem von VertreterInnen von Rat, Parlament und Kommission binnen sechs Wochen ein gemeinsamer Text beschlossen werden muss - gelingt dies nicht, ist das Gesetzgebungsverfahren gescheitert.
Wie sich der Text in diesem noch langwierigen Verfahren weiterentwickeln wird, ist derzeit noch kaum abzusehen. Die Lobbyisten der Industrie ebenso wie jene der Zivilgesellschaft werden natürlich versuchen, alle weiteren Schritte - auf Rats-, Kommissions- und Parlamentsebene - zu beeinflussen. Die Abstimmung im Parlament ist dabei ein Zwischenbefund, das Endergebnis kann noch deutlich davon abweichen.
Nochmals zusammengefasst:
PS: Bemerkenswert war die in den Tagen vor der Abstimmung im Parlament immer schriller und unprofessioneller werdende Kampagne von Kommissarin Kroes, die allen Kritikern vorwarf, sich von den Fakten zu entfernen (zB hier); offenbar lagen bei ihr und auch bei ihrem Team die Nerven blank, weil auch ein völliges Scheitern des Prestige-Vorhabens noch im Raum stand. Zuletzt wurde gegen die Änderungsvorschläge zugunsten der Netzneutralität auch noch ins Treffen gebracht, dass damit dem Kindesmissbrauch Vorschub geleistet würde (siehe auch die Rede von Kroes im Parlament), was tatsächlich zu Gegenstimmen der meisten Abgeordneten aus dem Vereinigten Königreich führte. Dies hat seinen Grund darin, dass nach den Änderungsvorschlägen Art 23 Abs 3 des Kommissionsvorschlags entfällt (dieser lautet: "Dieser Artikel lässt die Rechtsvorschriften der Union oder nationale Rechtsvorschriften über die Rechtmäßigkeit der übertragenen Informationen, Inhalte, Anwendungen oder Dienste unberührt.") und weiters nach Art 23 Abs 5 lit a Verkehrsmanagmentmaßnahmen zulässig sind, "um einem Gerichtsbeschluss nachzukommen", aber nicht mehr - ohne Gerichtsbeschluss - einfach auch "um schwere Verbrechen abzuwehren oder zu verhindern". Daraus hatte die britische Internet Watch Foundation geschlossen, dass ihre privaten Maßnahmen gegen illegale Inhalte in Gefahr sein könnten (siehe dazu auch den Blogbeitrag von Chris Marsden). Auch in Österreich gab es übrigens im Vorfeld der Abstimmung die eine oder andere eher skurrile Presseaussendung.
1. Netzneutralität heute - oder: Was es nicht gibt, kann auch nicht abgeschafft werden
Der Kommission wurde vielfach der Vorwurf gemacht, sie wolle mit ihrem Verordnungsvorschlag die Netzneutralität abschaffen. Mit Einschränkungen könnte man diesen Vorwurf allenfalls für Slowenien und die Niederlande gelten lassen, wo es derzeit gesetzliche Regelungen zum Schutz der Netzneutralität gibt (Niederlande, Slowenien, jeweils inoffizielle Übersetzungen; siehe für eine Analyse auch diesen Artikel von Thomas Lohninger) - für alle anderen Mitgliedstaaten aber trifft der Vorwurf nicht zu, denn derzeit ist die Netzneutralität weder unionsrechtlich verankert noch in den Mitgliedstaaten (außer eben den Niederlanden und Slowenien).
Ob die Netzneutralitäts-Regelungen in den Niederlanden und Slowenien mit den aktuellen unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar sind, ist übrigens zweifelhaft (die Kommission hat allerdings - wohl mehr aus politischen Überlegungen heraus - bisher kein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet); nach einer Neuordnung durch die aktuell diskutierte Verordnung wäre das neu zu überprüfen. In allen anderen Mitgliedstaaten, so auch in Österreich, gibt es keine vergleichbaren Regeln, die derzeit Einschränkungen der Netzneutralität verhindern könnten.
Beschränkungen der Netzneutralität sind daher - im Rahmen des allgemeinen Vertragsrechts und bei Erfüllung der telekomrechtlichen Informationspflichten (für Österreich siehe insbesondere § 25 Abs 4 Z 2 lit b, c, und e TKG 2003) - möglich und kommen auch in der Praxis vor (zB VoIP-Blocking in Mobilnetzen, siehe diesen BEREC-Bericht). Zu mehr als anekdotischen Ansätzen für eine gesetzliche Regelung hat es in Österreich bisher nicht gereicht (mehr dazu hier im Blog; zu Grundfragen der Netzneutralität verweise ich auch gern auf einen älteren Vortrag von mir aus 2008 [Manuskript, Folien]; die auch heute noch aktuelle Unions-Rechtslage habe ich bei einem Vortrag 2011 einmal zusammengefasst [Manuskript, S. 4- 9]).
Erich Möchel schreibt in seinem Bericht über die Abstimmung im Europäischen Parlament, dass sich das Plenum gegen die Empfehlungen der EU-Kommission entschieden habe, "die 'Verkehrsregeln' auf dem europäischen Markt grundlegend zu ändern". Das ist im Ergebnis schon richtig, denn die Kommission wollte erstmals einen - wenn auch nicht extrem ausgeprägten - gesetzlichen Schutz der Netzneutralität verankern, und das Parlament hat sich dafür entschieden, diese "Verkehrsregeln" in die gleiche Richtung, aber eben noch etwas grundlegender zu ändern, als es die Kommission vorgeschlagen hatte.
2. Was hat das Europäische Parlament überhaupt beschlossen?
Die Abstimmung betraf einen Verordnungsvorschlag der Kommission, mit dem der Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste in vielen Punkten abgeändert werden soll. Der vom Parlament gefasste Beschluss ist eine "Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 3. April 2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen zum europäischen Binnenmarkt der elektronischen Kommunikation und zur Verwirklichung des vernetzten Kontinents und zur Änderung der Richtlinien 2002/20/EG, 2002/21/EG und 2002/22/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1211/2009 und (EU) Nr. 531/2012 (COM(2013)0627".
Wie der lange Namen schon andeutet, geht es dabei um weit mehr als die in den Medien diskutierten Fragen der Netzneutralität und des Roamings. Ich will mich hier trotzdem auf das Thema Netzneutralität beschränken, wer die gesamte Entschließung lesen will, kann dies in der aktuell verfügbaren vorläufigen Fassung hier [als Word-Dokument!] tun (Übersicht der am 03.04.2014 angenommenen Texte). Der Text geht über rund 180 Seiten, wirklich lesbar - soweit EU-Rechtstexte überhaupt lesbar sind - wird er zudem nur im direkten Vergleich mit dem Verordnungsvorschlag der Kommission. Zum gesamten Inhalt des Kommissionsvorschlags habe ich übrigens im Blog hier und hier mehr geschrieben (und auf der Basis eines Vorentwurfs habe ich in einem Vortrag auf dem Salzburger Telekom-Forum 2013 auch ein paar kritische Anmerkungen zu den Vorhaben der Kommission - insbesondere zur geplanten Oligopolisierungder Telekom-Branche auf europäischer Ebene - angebracht).
Die zentralen Bestimmungen betreffend die Netzneutralität sollen laut Parlament nun wie folgt lauten (Hervorhebung hinzugefügt):
[Neue Ziffer 12a) und geänderte Ziffer 15) in den Definitionen des Art 2 Abs 2]
12a) „Netzneutralität“ bezeichnet den Grundsatz, nach dem der gesamte Internetverkehr ohne Diskriminierung, Einschränkung oder Beeinträchtigung und unabhängig von Absender, Empfänger, Art, Inhalt, Gerät, Dienst oder Anwendung gleich behandelt wird;
15) „Spezialdienst“ ist ein elektronischer Kommunikationsdienst, der für spezielle Inhalte, Anwendungen oder andere Dienste oder eine Kombination dieser Angebote optimiert ist, über logisch getrennte Kapazitäten und mit strenger Zugangskontrolle erbracht wird, Funktionen anbietet, die durchgehend verbesserte Qualitätsmerkmale erfordern, und als Substitut für Internetzugangsdienst weder vermarktet wird noch genutzt werden kann;
Artikel 23 - Freiheit der Bereitstellung und Inanspruchnahme eines offenen Internetzugangs und angemessenes Verkehrsmanagement
[hier wurden offenbar zwei widersprüchliche Änderungsanträge angenommen, in der zweiten, ebenfalls in der Entschließung enthaltenen Fassung lautet die Überschrift "Freiheit der Bereitstellung und Inanspruchnahme eines offenen Internetzugangs und Verkehrsmanagement" - ohne das Wort "angemessenes"](1) Endnutzer haben das Recht, über ihren Internetzugangsdienst Informationen und Inhalte abzurufen und zu verbreiten, Anwendungen und Dienste zu nutzen und bereitzustellen und Endgeräte ihrer Wahl zu nutzen, unabhängig vom Standort des Endnutzers oder des Anbieters und von Standort, Ursprung oder Bestimmung der Dienste, Informationen oder Inhalte.
(2) Anbietern von Internetzugang, Anbietern von öffentlicher elektronischer Kommunikation und Anbietern von Inhalten, Anwendungen und Diensten steht es frei, Endnutzern Spezialdienste anzubieten. Solche Dienste dürfen nur angeboten werden, wenn die Netzwerkkapazitäten ausreichen, um sie zusätzlich zu Internetzugangsdiensten bereitzustellen, und sie die Verfügbarkeit oder Qualität der Internetzugangsdienste nicht beeinträchtigen. Anbieter von Internetzugang für Endnutzer diskriminieren nicht zwischen funktional gleichwertigen Diensten und Anwendungen.
[Absatz 3 entfällt]
(4) Endnutzern werden vollständige Informationen gemäß Artikel 20 Absatz 2, Artikel 21 Absatz 3 und Artikel 21a der Richtlinie 2002/22/EG bereitgestellt, darunter Informationen zu allen angewandten Verkehrsmanagementmaßnahmen, die den Zugang zu und die Verbreitung von Informationen, Inhalten, Anwendungen und Diensten gemäß den Absätzen 1 und 2 beeinträchtigen können.
(5) Anbieter von Internetzugangsdiensten und Endnutzer können vereinbaren, Datenvolumina oder ‑geschwindigkeiten für Internetzugangsdienste zu begrenzen. Anbieter von Internetzugangsdiensten dürfen das in Absatz 1 genannte Recht nicht durch Blockierung, Verlangsamung, Änderung, Verschlechterung oder Diskriminierung gegenüber bestimmten Inhalten, Anwendungen oder Diensten oder bestimmten Klassen davon beschränken, außer in den Fällen, in denen Verkehrsmanagementmaßnahmen erforderlich sind. Verkehrsmanagementmaßnahmen müssen transparent, nicht diskriminierend, verhältnismäßig und erforderlich sein,
a) um einem Gerichtsbeschluss nachzukommen;b) um die Integrität und Sicherheit des Netzes, der über dieses Netz erbrachten Dienste und der Endgeräte der Endnutzer zu wahren;
[Buchstabe c) entfällt]
d) um die Auswirkungen einer vorübergehenden und außergewöhnlichen Netzüberlastung zu verhindern oder zu verringern, sofern gleichwertige Verkehrsarten auch gleich behandelt werden.
Maßnahmen des Verkehrsmanagements werden nicht länger als notwendig aufrechterhalten.
Unbeschadet der Richtlinie 95/46/EG dürfen im Rahmen von Maßnahmen zum Verkehrsmanagement nur solche personenbezogenen Daten verarbeitet werden, die für die in diesem Absatz genannten Zwecke erforderlich und verhältnismäßig sind, und sie unterliegen auch der Richtlinie 2002/58/EG, insbesondere in Bezug auf die Achtung der Vertraulichkeit der Kommunikation.
Anbieter von Internetzugangsdiensten richten geeignete, klare, offene und effiziente Verfahren für die Bearbeitung von Beschwerden zu mutmaßlichen Verstößen gegen diesen Artikel ein. Solche Verfahren lassen das Recht der Endnutzer, die Angelegenheit an die nationale Regulierungsbehörde zu verweisen, unberührt.
Artikel 30a - Überwachung und DurchsetzungDaneben wurden auch die Erwägungsgründe (also der erklärende, nicht verbindliche Text) gegenüber dem Vorschlag der Kommission geändert - die wesentlichsten Passagen im Zusammenhang mit der Netzneutralität lauten in der Entschließung des Parlaments so:
[...]
(5) Die nationalen Regulierungsbehörden richten geeignete, klare, offene und effiziente Verfahren zum Umgang mit Beschwerden wegen mutmaßlicher Verstöße gegen Artikel 23 ein. Die nationalen Regulierungsbehörden reagieren ohne unnötige Verzögerungen auf Beschwerden.
(45) [...] Der Grundsatz der „Netzneutralität“ im offenen Internet bedeutet, dass der gesamte Datenverkehr ohne Diskriminierung, Einschränkung oder Beeinträchtigung und unabhängig von Absender, Empfänger, Art, Inhalt, Gerät, Dienst oder Anwendung gleich behandelt werden sollte. Laut der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. November 2011 zu dem Thema "Offenes Internet und Netzneutralität in Europa" ist der offene Charakter des Internets sogar eine zentrale Triebkraft für die Wettbewerbsfähigkeit, das Wirtschaftswachstum, die gesellschaftliche Entwicklung und Innovationen, wodurch ein herausragendes Entwicklungsniveau bei Online-Anwendungen, ‑Inhalten und ‑Diensten erreicht und auf diese Weise auch ein eindrucksvolles Wachstum von Angebot und Nachfrage bei Inhalten und Diensten bewirkt wurde, und hat in ganz entscheidendem Maße den freien Verkehr von Wissen, Ideen und Informationen beschleunigt, und zwar auch in Ländern, in denen unabhängige Medien nur eingeschränkt zugänglich sind. Der bisherige Rechtsrahmen zielt darauf ab, Nutzern die Möglichkeit zu geben, Informationen abzurufen und zu verbreiten bzw. Anwendungen und Dienste ihrer Wahl zu nutzen. Allerdings hat ein aktueller Bericht des Gremiums Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) über die Praxis im Datenverkehrsmanagement vom Mai 2012 und eine Studie im Auftrag der Exekutivagentur für Gesundheit und Verbraucher (EAHC) vom Dezember 2012 über das Funktionieren des Marktes für Internetzugang und ‑dienste aus Sicht der Verbraucher in der Europäischen Union gezeigt, dass sehr viele Nutzer von Datenverkehrsmanagementpraktiken betroffen sind, die bestimmte Anwendungen blockieren oder verlangsamen. Diesem Trend muss mit klaren Regeln auf Unionsebene entgegengewirkt werden, damit das Internet offen bleibt und es nicht zu einer Fragmentierung des Binnenmarkts durch individuelle Maßnahmen seitens der Mitgliedstaaten kommt.3. Wie geht es jetzt weiter?
[...]
(47) In einem offenen Internet sollten Anbieter von Internetzugangsdiensten innerhalb der im Rahmen von Internetzugangsdiensten vertraglich vereinbarten Grenzen für Datenvolumina und ‑übertragungsgeschwindigkeiten Inhalte, Anwendungen und Dienste oder bestimmte Kategorien dieser Leistungen außer im Falle einer begrenzten Anzahl von Verkehrsmanagementmaßnahmen weder blockieren noch verlangsamen, verschlechtern oder diskriminieren. Solche Maßnahmen sollten technisch notwendig, transparent, verhältnismäßig und nicht diskriminierend sein. Die Behebung einer Überlastung des Netzes sollte möglich sein, sofern die Netzüberlastung nur vorübergehend oder aufgrund außergewöhnlicher Umstände auftritt. Nationale Regulierungsbehörden sollten verlangen können, dass ein Anbieter nachweist, dass eine Gleichbehandlung des Datenverkehrs weitaus weniger effizient wäre.
[...]
(49) Es sollte möglich sein, der Nachfrage der Nutzer nach Diensten und Anwendungen mit einem höheren Niveau an zugesicherter Dienstqualität zu entsprechen. Solche Dienste können u. a. Fernsehen, Videokonferenzen sowie bestimmte Anwendungen im Gesundheitswesen umfassen. Die Nutzer sollten daher auch die Freiheit haben, mit Anbietern von Internetzugangsdiensten, Anbietern öffentlicher elektronischer Kommunikation und Anbietern von Inhalten, Anwendungen oder Diensten Vereinbarungen über die Bereitstellung von Spezialdiensten mit verbesserter Dienstqualität schließen zu können. Beim Abschluss derartiger Vereinbarungen sollte der Anbieter von Internetzugangsdiensten sicherstellen, dass die allgemeine Qualität des Internetzugangs durch den Dienst mit verbesserter Qualität nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Darüber hinaus sollten Verkehrsmanagementmaßnahmen nicht so angewandt werden, dass in Wettbewerb stehende Dienste diskriminiert werden.
(50) Darüber hinaus besteht seitens der Inhalte‑, Anwendungs- und Diensteanbieter Nachfrage nach der Bereitstellung von Übertragungsdiensten auf der Grundlage flexibler Qualitätsparameter, einschließlich der unteren Prioritätsebenen für nicht zeitabhängigen Datenverkehr. Dass Inhalte‑, Anwendungs- und Diensteanbietern die Möglichkeit offensteht, eine solche flexible Dienstqualität mit Anbietern elektronischer Kommunikation auszuhandeln, kann auch für die Bereitstellung bestimmter Dienste wie der Maschine-Maschine-Kommunikation (M2M) erforderlich sein. Inhalte‑, Anwendungs- und Diensteanbieter und Anbieter elektronischer Kommunikation sollten deshalb weiterhin die Freiheit haben, Spezialdienst-Vereinbarungen über konkrete Dienstqualitätsniveaus zu schließen, sofern solche Vereinbarungen die Qualität des Internetzugangsdienstes nicht beeinträchtigen.
Die Gesetzgebungsprozesse in der Europäischen Union sind ziemlich unübersichtlich: im vorliegenden Fall kommt das sogenannte "ordentliche Gesetzgebungsverfahren" zur Anwendung, das in Art 294 AEUV geregelt ist (wer das lieber grafisch dargestellt hat, kann sich an einem Schaubild in der Wikipedia orientieren). Zu beachten ist aber, dass Art 294 AEUV nicht alle Details des praktischen Ablaufs abbildet, insbesondere ist darin keine Rede von den Ratsarbeitsgruppen und auch der sogenannte "Trilog" findet keine Erwähnung.
- Erste Lesung im Rat
Das Europäische Parlament hat nun seinen Standpunkt in erster Lesung festgelegt und übermittelt diesen dem Rat. Der Rat besteht aus den Ministern der Mitgliedstaaten und tagt in unterschiedlichen Formationen; für Telekomangelegenheiten ist die Formation Verkehr, Telekommunikation und Energie zuständig.
Natürlich erörtern die Minister den Standpunkt des Parlaments aber nicht ad hoc und freihändig, sondern lassen sich ihre Tagung von Ratsarbeitsgruppen (bestehend aus den fachlich zuständigen BeamtInnen der Mitgliedstaaten) und dann vom Ausschuss der Ständigen Vertreter (COREPER) vorbereiten. Erst wenn in der zuständigen Ratsarbeitsgruppe des Rates die Standpunkte halbwegs klar sind und die Präsidentschaft absieht, dass man sinnvoller Weise die Minister damit beschäftigen könnte, kommt die Angelegenheit - im Weg des COREPER - in den Rat.
Beim aktuellen Gesetzgebungsvorhaben gab es im Rat bisher lediglich eine "erste Orientierungsaussprache" am 05.12.2013 (siehe auch die Presseaussendung), aber noch nicht einmal eine "allgemeine Ausrichtung". Nach der Planung der derzeitigen griechischen Präsidentschaft (siehe S. 55) wäre die allgemeine Ausrichtung ("general approach"), aber allenfalls auch bloß die Erörterung eines weiteren Fortschrittsberichts, erst für die Ratstagung am 6. Juni 2014 vorgesehen. Nun sind die Planungen der Präsidentschaft meist sogar optimistischer als der tatsächliche Fortschritt, insofern halte ich es also für sehr unwahrscheinlich, dass - über die Planung der Präsidentschaft hinaus - bereits auf der Tagung der Telekomminister im Rat am 6. Juni 2014 der Standpunkt des Rates festgelegt werden könnte; eine Frist für den Standpunkt des Rates in erster Lesung gibt es nicht. Nun gehen also erstmal die Tagungen der Ratsarbeitsgruppe weiter, nächster Termin dafür ist der 9. April. Ich würde den Standpunkt des Rates daher erst im Herbst dieses Jahres erwarten; es kann aber auch sein, dass im Hinblick auf den doch ambitionierten Zeithorizont des Parlaments beim Roaming (Abschaffung von Roamingentgelten bis 15.12.2015) auch Zeitdruck beim Rat entsteht, zumal die Betreiber möglichst bald mehr Sicherheit über die zu erwartenden Regeln haben wollen.
Theoretisch könnte der Rat den Standpunkt des Parlaments in erster Lesung zur Gänze billigen - damit wäre die Verordnung angenommen. Im vorliegenden Fall ist dies aber wirklich nur theoretisch: Das Parlament hat zwar in seinen Änderungen einige Bedenken, die auch aus dem Rat gekommen sind (etwa was die EU-weite Genehmigung und Sitzstaatskontrolle betrifft), aufgegriffen (zur österreichischen Position zum Verordnungsvorschlag siehe die EU-Jahresvorschau des BMVIT, S 13: "Österreich steht diesem Vorschlag [...] sehr kritisch bis ablehnend gegenüber"). Es hat aber auch einigen Wünschen der Telekomindustrie Rechnung getragen, die von den Mitgliedstaaten kaum mitgetragen werden können - allein die auf einen Streich erfolgte Erweiterung der Dauer aller Frequenznutzungsrechte "auf 25 Jahre ab dem Datum der Erteilung" (Artikel 8a nach der Entschließung des Parlaments) schließt eine Zustimmung des Rates zu diesem Text meines Erachtens aus. Eine zweite Lesung in Parlament und Rat wird daher jedenfalls erforderlich sein.
- Standpunkt der Kommission
Nächster Schritt ist dann der Standpunkt der Kommission zu den von Parlament und Rat vorgesehenen Änderungen. Auch die Kommission kann mit einigen der vom Parlament vorgeschlagenen Änderungen keinesfalls einverstanden sein, etwa mit der Verpflichtung der Kommission zur Erlassung von Durchführungsrechtsakten innerhalb eines Jahres (in Artikel 12 Abs 2). Im Standpunkt der Kommission wird in der Regel auch erkennbar, in welchen Punkten sich ein Kompromiss abzeichnen könnte und wo die Kommission hart bleiben möchte (was für eine allfällige dritte Lesung von Bedeutung ist). Die Kommission könnte den Vorschlag zudem jederzeit auch zurückziehen und damit das Gesetzgebungsverfahren zu einem abrupten Ende bringen.
Dass das Parlament den von seinem ersten Standpunkt abweichenden Standpunkt des Rates dann in zweiter Lesung ohne Weiteres billigt, ist schon aus Gründen der demonstrativen Selbstachtung des Parlaments auszuschließen, und zwar ganz egal wie das Parlament nach der Wahl zusammengesetzt sein wird. Also werden - in einem viel kürzeren Zeitraum, nämlich binnen einer Frist von drei Monaten - neuerlich Änderungsvorschläge des Parlaments beschlossen werden, die wiederum dem Rat vorgelegt werden.
- Trilog
Zuvor aber wird ein informeller Trilog (siehe zu diesem "secret lawmaking" zB hier auf eu obvserver) versucht werden, also eine Abstimmung zwischen Parlament, Rat und Kommission, um das Gesetzgebungsvorhaben in zweiter Lesung - mit übereinstimmenden Beschlüssen von Parlament und Rat - abschließen zu können. Denn für die praktische Arbeit hat sich das offizielle ordentliche Gesetzgebungsverfahren als viel zu schwerfällig erwiesen, sodass in den meisten Fällen eine "Abkürzung" versucht wird, in dem sich Parlament und Rat schon vor der Beschlussfassung in zweiter Lesung (manchmal auch vor der ersten Lesung) auf einen gemeinsamen Text verständigen. Das erfolgt außerhalb formeller Regeln und führt auch nicht immer zu einem Ergebnis - und manchmal gibt es zwar eine Einigung im Trilog, die dann aber vom Plenum des Parlaments abgelehnt wird. Im Telekombereich war dies beim letzten Reformpaket 2009 der Fall, wo die Diskussion um Netzsperren - ähnlich wie diesmal zur Netzneutralität - und die zivilgesellschaftliche Mobilmachung in letzter Minute dazu führte, dass das Plenum anders abstimmte, als die VertreterInnen des Parlaments im Trilog mit Rat und Kommission ausgemacht hatten (siehe dazu im Blog hier; siehe auch das Procedure File, das die dadurch eingetretene Verzögerung von etwa einem halben Jahr dokumentiert).
- Zweite Lesung im Rat
Nur wenn es im Trilog ein Agreement zwischen Rat und Parlament und Kommission gegeben hat, und wenn das Plenum des Parlaments diesem Agreement auch folgt, ist die zweite Lesung im Rat eine Formsache. Die Zustimmung der Kommission ist wesentlich, denn gegen den Standpunkt der Kommission kann der Rat in zweiter Lesung nur einstimmig beschließen, was extrem schwer erreichbar ist. Gab es keine Einigung im Trilog, dann ist die zweite Lesung im Rat gewissermaßen nur der Auftakt zum:
- Vermittlungsausschuss
Der Vermittlungsausschuss ist sozusagen der formelle Trilog, in dem von VertreterInnen von Rat, Parlament und Kommission binnen sechs Wochen ein gemeinsamer Text beschlossen werden muss - gelingt dies nicht, ist das Gesetzgebungsverfahren gescheitert.
Wie sich der Text in diesem noch langwierigen Verfahren weiterentwickeln wird, ist derzeit noch kaum abzusehen. Die Lobbyisten der Industrie ebenso wie jene der Zivilgesellschaft werden natürlich versuchen, alle weiteren Schritte - auf Rats-, Kommissions- und Parlamentsebene - zu beeinflussen. Die Abstimmung im Parlament ist dabei ein Zwischenbefund, das Endergebnis kann noch deutlich davon abweichen.
Nochmals zusammengefasst:
- Netzneutralität ist derzeit weder unionsrechtlich noch in den meisten Mitgliedstaaten (einschließlich Österreich) rechtlich gesichert.
- Der Beschluss des Parlaments sieht ein Diskriminierungsverbot vor, lässt aber gewisse Verkehrsmanagementmaßnahmen zu, ebenso wie Spezialdienste, die allerdings nur "über logisch getrennte Kapazitäten" angeboten werden dürfen.
- Ein endgültiger Beschluss der Verordnung durch Parlament und Rat ist realistisch nicht vor Ende 2014 zu erwarten, vielleicht auch erst Anfang 2015. Wie der Text dann aussehen wird, ist noch völlig offen.
PS: Bemerkenswert war die in den Tagen vor der Abstimmung im Parlament immer schriller und unprofessioneller werdende Kampagne von Kommissarin Kroes, die allen Kritikern vorwarf, sich von den Fakten zu entfernen (zB hier); offenbar lagen bei ihr und auch bei ihrem Team die Nerven blank, weil auch ein völliges Scheitern des Prestige-Vorhabens noch im Raum stand. Zuletzt wurde gegen die Änderungsvorschläge zugunsten der Netzneutralität auch noch ins Treffen gebracht, dass damit dem Kindesmissbrauch Vorschub geleistet würde (siehe auch die Rede von Kroes im Parlament), was tatsächlich zu Gegenstimmen der meisten Abgeordneten aus dem Vereinigten Königreich führte. Dies hat seinen Grund darin, dass nach den Änderungsvorschlägen Art 23 Abs 3 des Kommissionsvorschlags entfällt (dieser lautet: "Dieser Artikel lässt die Rechtsvorschriften der Union oder nationale Rechtsvorschriften über die Rechtmäßigkeit der übertragenen Informationen, Inhalte, Anwendungen oder Dienste unberührt.") und weiters nach Art 23 Abs 5 lit a Verkehrsmanagmentmaßnahmen zulässig sind, "um einem Gerichtsbeschluss nachzukommen", aber nicht mehr - ohne Gerichtsbeschluss - einfach auch "um schwere Verbrechen abzuwehren oder zu verhindern". Daraus hatte die britische Internet Watch Foundation geschlossen, dass ihre privaten Maßnahmen gegen illegale Inhalte in Gefahr sein könnten (siehe dazu auch den Blogbeitrag von Chris Marsden). Auch in Österreich gab es übrigens im Vorfeld der Abstimmung die eine oder andere eher skurrile Presseaussendung.
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Wednesday, September 11, 2013
Vernetzter Kontinent: der Kommissionsvorschlag für die Verordnung über den Binnenmarkt für elektronische Kommunikation liegt nun auf dem Tisch
(Update 13.09.2013: nun liegen der deutsche Text des Verordnungsvorschlags vor, ich habe im Beitrag daher die Zitate nun ausgewechselt auf die deutsche Fassung, den Beitrag aber sonst nicht verändert)
Gestern habe ich eine Vorschau geliefert, nun liegt der offizielle Kommissionsvorschlag vor (Regulation of the European Parliament and of the Council laying down measures concerning the European single market for electronic communications and to achieve a Connected Continent - COM(2013) 627 -vorerst nur in englischer Sprache in deutscher Sprache: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maßnahmen zum europäischen Binnenmarkt der elektronischen Kommunikation und zur Verwirklichung des vernetzten Kontinents und zur Änderung der Richtlinien 2002/20/EG, 2002/21/EG und 2002/22/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1211/2009 und (EU) Nr. 531/2012 ); ergänzt wird der Verordnungsvorschlag von einer Mitteilung der Kommission (Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions on the Telecommunications Single Market - COM(2013) 634; deutsche Fassung). In der Mitteilung ist auch angekündigt, dass mit dem Vorschlag für die Verordnung auch die Empfehlung zur Nichtdiskriminierung und zu Kostenrechnungsmethoden für den Zugang zu NGA- und Kupfernetzen vorgelegt wird
(Update 12.09.2013: nun ist auch diese Empfehlung online: Commission recommendation on consistent non-discrimination obligations and costing methodologies to promote competition and enhance the broadband investment environment - C(2013) 5761; in deutsch vorerst [13.09.2013] nur hier zu finden: Empfehlung der Kommission vom 11.9.2013 über einheitliche Nichtdiskriminierungsverpflichtungen und Kostenrechnungsmethoden zur Förderung des Wettbewerbs und zur Verbesserung des Umfelds für Breitbandinvestitionen). Außerdem gibt es ein Impact Assessment für das gesamte Paket (auch in einer Zusammenfassung).
Das Ganze muss natürlich mit viel heißer Luft auch verkauft werden, wozu es eine Presseaussendung und ein Memo gibt (ich verlinke von der Presseaussendung, die es auch in deutscher Sprache gibt, nur die englische Fassung, da die deutsche Version eher irreführend übersetzt ist: "EU-wide and roaming-free mobile plans" sind nämlich schlicht Tarifoptionen, nicht "Pläne für EU-weite Mobilfunkdienste ohne Roamingaufschläge").
Inhaltsübersicht
Ich kann den Vorschlag jetzt nicht in jedem Detail behandeln, sondern nur eine grobe und schnelle Übersicht geben, unter allen Vorbehalten, wie sie einem solchen Schnellschuss entgegengebracht werden sollten. Zunächst allgemein zum Inhalt: Art 1 Abs 2 schreibt wie üblich diverse hehre regulatorische Grundsätze fest, zu deren Erreichung die Verordnung, so Art 1 Abs 3, detaillierte Regelungen für folgende Bereiche enthält:
Die Verordnung definiert den Europäischen Anbieter elektronischer Kommunikation als "ein in der Union niedergelassenes Unternehmen, das unmittelbar oder über eine oder mehrere Tochtergesellschaften elektronische Kommunikationsnetze oder -dienste bereitstellt oder bereitzustellen beabsichtigt, die an mehr als einen Mitgliedstaat gerichtet sind, und das nicht als Tochtergesellschaft eines anderen Anbieters elektronischer Kommunikation angesehen werden kann". Dieser Betreiber, samt seiner Tochtergesellschaften, soll - mit einer "EU-weiten Genehmigung" ("single EU authorisation", Art 3) seines Sitzstaates ausgestattet - im Wesentlichen der Aufsicht des Sitzstaats unterliegen (Art 5). Das wird durch zahlreiche Meldepflichten und Verfahrensvorschriften ergänzt, zumal es ja durchaus zu unterschiedlichen Auffassungen der nationalen Regulierungsbehörden kommen kann, wer nun wofür zuständig ist.
Ein solcher Europäischer Anbieter ist natürlich von allen Mitgliedstaaten gleich zu behandeln wie ein "einheimischer" Betreiber; zur Beruhigung der Mitgliedstaaten dürfen von ausreichend großen Europäischen Anbietern auch weiterhin Verwaltungs- und Universaldienstabgaben eingehoben werden (Art 3 Abs 3 und 4). Das damit eröffnete "regulatory forum shopping" soll - anders als in den ersten geleakten Entwürfen - nicht mehr durch genauere Regeln zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats beschränkt werden. Es reicht nun aus, dass im zuständigen Mitgliedstaat die wesentlichen geschäftlichen und Investitionsentscheidungen getroffen werden (Art 2 Abs 6). Ob - wie früher im Fernsehbereich - Luxemburg schon wieder bereit steht, um günstige Regulierungskonditionen zu bieten? Immerhin muss der Sitzsaat gewährleisten, dass rechtliche Dokumente zugestellt werden können (Art 7 Abs 2).
Koordination der Frequenznutzung
Die Bestimmungen des Chapter III der Verordnung betreffen nur harmonisierte Frequenzen für drahtlose Breitbanddienste, für deren Nutzung regulatorische Grundsätze (Art 9) und Zuteilungskriterien (Art 10) aufgestellt werden. Ergänzt wird das durch im Einzelnen komplexe Vorschriften zur europaweiten Harmonisierung, insbesondere auch der Zeitpläne. Art 13 des Verordnungsvorschlags soll ein Koordinationsverfahren analog dem Art 7 bzw Art 7a-Verfahren nach der RahmenRL etablieren: der Kommission sind die nationalen Entscheidungsentwürfe zu kommunizieren, dann kann die Kommission "serious doubts" äußern und wenn es zu keiner Einigung kommt, letztlich die nationale Behörde auffordern, die Entscheidung zurückzunehmen.
Art 14 des Vorschlags will die Bereitstellung öffentlicher WLANs und „drahtloser Zugangspunkte mit geringer Reichweite“ erleichtern; insbesondere soll die nicht kommerzielle Bereitstellung öffentlicher WLAN-Zugänge durch öffentliche Stellen, Endnutzer oder zB Cafés nicht als Erbringung eines elektronischen Kommunikationsdienstes angesehen werden (wobei das meines Erachtens auch jetzt schon so war, allenfalls mit Ausnahme von Unternehmen, die den WLAN-Zugang als Nebenleistung angeboten haben). Auch soll die Bereitstellung und der Betrieb unaufdringlicher ("unobtrusive") drahtloser Zugangspunkte mit geringer Reichweite nicht unangemessen beschränkt werden. Schließlich sieht Art 16 noch weitere Kooperations- und Koordinationspflichten der Mitgliedstaaten bei der Frequenzplanung vor.
Europäische virtuelle Zugangsprodukte
Der Verordnungsvorschlag sieht vor, dass Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht, die aufgrund spezifischer Verpflichtungen Zugang gewähren müssen, verpflichtet werden können, europaweit harmonisierte Zugangsprodukte anzubieten ("Europäisches virtuelles Breitbandzugangsprodukt" und "Konnektivitätsprodukt mit zugesicherter Dienstqualität (ASQ-Konnektivitätsprodukt)"). Minimalerfordernisse dafür sind in den Anhängen I und II des Vorschlags enthalten, außerdem kann die Kommission technische Durchführungsverordnungen erlassen.
Harmonisierte Endkunden-Rechte
Kapitel IV des Entwurfs (Art 21 bis 29) will bestimmte Endnutzerrechte harmonisieren. Harmonisieren, das muss man hier vielleicht betonen, heißt unionsrechtlich, dass die Mitgliedstaaten davon auch zugunsten der Endnutzer nicht mehr abweichen können - weitergehende nationale Verbraucherrechte in diesem Bereich sind damit ausgeschlossen.
Diskrimierungsverbot
Art 21 enthält ein Verbot von (behördlichen) Beschränkungen für die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Diensten, sowie ein Verbot für Betreiber, Kunden abhängig von der Nationalität oder dem Wohnsitz zu diskriminieren ("sofern solche Unterschiede nicht objektiv gerechtfertigt sind") - was jetzt wohl auch keine große inhaltliche Neuerung ist.
Interessant ist Abs 3 des Art 21, der höhere Entgelte für Festnetz-Anrufe innerhalb der Union (gegenüber nationalen Fernverbindungen) nur mit objektiver Rechtfertigung zulässt (internationale Terminierungsentgelte, die von ausländichen Terminierungsnetzbetreibern verlangt werden, dürften aber wohl solche objektive Gründe sein); für mobile Kommunikation (also für Gespräche und SMS über Mobilnetze vom Inland ins Ausland, nicht für Roaming!) darf nicht mehr verlangt werden, als für Roaminganrufe (ab 01.07.2014: 0,19 € plus USt) bzw Roaming-SMS (ab 01.07.2014 0,06 € plus USt):
Freiheit, qualitätsdifferenzierte Dienste zu bekommen (Netzneutralität light)
Art 23 steht unter der fantastischen Überschrift "Freiheit der Bereitstellung und Inanspruchnahme eines offenen Internetzugangs und angemessenes Verkehrsmanagement". Die Bestimmung verheißt den Endkunden die Freiheit, Verträge über Datenvolumen und Geschwindigkeiten einzugehen und vertragsgemäß Anwendungen und Dienste in Anspruch zu nehmen (Art 23 Abs 1). Die im geleakten Entwurf noch enthaltenen weiteren Einschränkungen, dass man auch Qualitätscharakteristika vereinbaren könne, fehlt nun im Vorschlag der Kommission. Dafür sieht Abs 2 vor, dass Endkunden auch die "Freiheit" haben, Spezialdienste mit einer höheren Dienstqualität (enhanced QoS) in Anspruch zu nehmen. Dazu sollen Diensteanbieter auch Deals mit Telekombetreibern eingehen können, um eine definierte Qualität oder eine dedizierte Kapazität zu sichern. Dadurch soll aber das "normale" Internet nicht (dauerhaft oder wiederholt) allzu großen Schaden nehmen: "Durch die Bereitstellung von Spezialdiensten darf die allgemeine Qualität von Internetzugangsdiensten nicht in wiederholter oder ständiger Weise beeinträchtigt werden."
Zusätzlich wird, wie schon im letzten Reformpaket, besonderer Wert auf Informationsbereitstellung gelegt (Art 25 Abs 1, Art 26 Abs 2 und Art 27 Abs 1 und 2). Immerhin enthält Art 23 Abs 5 auch ein ausdrückliches Verlangsamungs-, Verschlechterungs- und Diskriminierungsverbot:
Die Kommission soll dazu auch Durchführungsvorschriften erlassen können, um zB Speed-Tests, QoS-Parameter und Messmethoden zu normieren (Art 25 Abs 2). Endkunden müssen Zugang zu unabhängigen Evaluierungstools haben, um die Performance ihres Internetzugangs zu vergleichen (Art 25 Abs 3). Art 26 enthält wieder umfassende Informationspflichten für Verträge (mit dem schon bekannten Problem, dass dabei nicht immer deutlich ist, was davon nur Information, und was vertragliche Vereinbarung sein soll). Art 27 soll gewährleisten, dass Endkunden ausreichende Mechanismen zur Verfügung stehen, um den "Verbrauch" (Daten, Minuten, etc.) zu kontrollieren.
Provider als Hilfssheriffs?
Art 25 Abs 4 sieht vor, dass Diensteanbieter auf Ersuchen von Behörden kostenlos Informationen an ihre Endkunden weiterleiten müssen, unter anderem - wer würde das erraten haben - betreffend übliche gesetzwidrige Aktivitäten ("die häufigsten Formen einer Nutzung elektronischer Kommunikationsdienste für unrechtmäßige Handlungen oder die Verbreitung schädlicher Inhalte, insbesondere wenn dadurch die Achtung der Rechte und Freiheiten anderer Personen beeinträchtigt werden kann, einschließlich Verstößen gegen Datenschutzrechte, das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte und ihre rechtlichen Folgen") sowie zum Schutz von Sicherheitsbedrohungen.
Vertragsdauer
Wie schon jetzt sollen Verträge nicht auf längere Zeit als 24 Monate abgeschlossen werden. Neu - und meines Erachtens höchst entbehrlich - ist die Bestimmung, dass Anbieter auch einen Vertrag mit einer Höchstdauer von 12 Monaten anbieten muss (den kann er freilich so teuer wie er will anbieten, sodass das dem Endnutzer im Ergebnis nichts bringt). Für mich unklar ist jedenfalls beim ersten schnellen Durchlesen, wie es um das Recht steht, einen Vertrag bei nachteiliger Änderung der Vertragsbedingungen kostenlos aufzulösen. Die Bestimmung in Art 28 Abs 4 sagt, dass der Anbieter den Kunden über sein Recht informieren muss, den Vertrag ohne Kosten zu kündigen; dann aber heißt es "Absatz 2 gilt entsprechend." In Abs 2 wiederum ist für den Fall, dass ein Vertrag vorzeitig aufgelöst wird, vorgesehen, dass dafür keine Entschädigung zu leisten ist, außer "dem Restwert verbilligter Endgeräte, die bei Vertragsschluss an den Vertrag geknüpft waren, und einer zeitanteiligen Rückzahlung anderer Angebotsvorteile, die bei Vertragsschluss als solche beworben worden waren." Wurde damit dem Wunsch der Telekomunternehmen Rechnung getragen, dass auch bei vorzeitiger Auflösung, weil der Betreiber die Bedingungen verschlechtert, eine Ersatzzahlung für das gestützte Handy zu leisten ist?
(Zeitlich beschränkte) "Portierung" auch von E-Mail-Adressen
Art 30 soll das Wechseln von Betreibern erleichtern und enthält dazu neben Regeln über die Nummernportierung auch die Bestimmung, dass ein "verlassener" Internetzugangs-Anbieter auf Wunsch des Kunden kostenlos eine E-Mail-Weiterleitung für 12 Monate einrichten muss.
Änderungen anderer Richtlinien und Verordnungen
In Art 7a der RahmenRL soll - wenig überraschend - die Kommission in bestimmten Fällen doch eine Veto-Entscheidung treffen können. In Art 15 RahmenRL wird der - bisher aus den Marktanalyse-Leitlinien - bekannte 3-Kriterientest nun ausdrücklich in der Richtlinie verankert. In der UniversaldienstRL entfallen die Bestimmungen über Verträge, Transparenz und Veröffentlichung von Informationen, Dienstequalität und Anbieterwechsel, die durch die einschlägigen Bestimmungen der neuen Verordnung ersetzt werden.
In der BEREC-Verordnung wird vorgesehen, dass der/die BEREC-Vorsitzende auf drei Jahre bestellt und "a full-time independent professional" ("eine unabhängige Vollzeitfachkraft") sein muss.
Roaming
Art 4 der Roaming-VO, mit der ab 01.07.2014 der separate Verkauf von Roamingdiensten auf Endkundenebene eingeführt wird, bleibt bestehen, soll aber für jene Roaminganbieter nicht verpflichtend sein, die nach dem neuen Art 4a der Roaming-VO ein Endkundenpaket anbieten, in dem Roaminganrufe nicht teurer sind als solche im Heimatnetz, wobei es zumindest einen Betreiber in jedem Mitgliedstaat geben muss, über dessen Netz solche "inlandsgleichen" Roaminganrufe geführt werden können. Im Einzelnen sind angemessene Beschränkungen möglich, für die BEREC Leitlinien aufstellen soll. Vom 01.07.2014 bis zum 30.06.2016 kommen recht komplexe Übergangsbestimmungen ("Gleitpfad") zum Tragen, bei denen es im Wesentlichen darum geht, dass die Betreiber das "inlandsgleiche" Roaming ("roam like home")noch nicht in allen Angebotspaketen oder nicht in allen Mitgliedstaaten gewährleisten müssen.
Für passive Roaminggespräche soll bereits ab 01.07.2014 kein Entgelt verlangt werden dürfen.
Zielzeitpunkt für die Anwendung:
Nach Art 29 des Verordnungsvorschlags soll die Verordnung ab 01.07.2014 angewendet werden, ausgenommen die Endkunden-Schutzbestimmungen (Art 21 bis 30), die erst mit 01.07.2016 angewendet werden sollen.
Zuvor muss freilich noch der Gesetzgebungsprozess - mit Rat und Parlament - durchlaufen werden.
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*) das ist eine unvollständige Übersetzung; in der englischen Fassung ist klargestellt, dass lit a sich nur auf Festnetzverbindungen und lit b nur auf Mobilverbindungen bezieht:
Gestern habe ich eine Vorschau geliefert, nun liegt der offizielle Kommissionsvorschlag vor (Regulation of the European Parliament and of the Council laying down measures concerning the European single market for electronic communications and to achieve a Connected Continent - COM(2013) 627 -
(Update 12.09.2013: nun ist auch diese Empfehlung online: Commission recommendation on consistent non-discrimination obligations and costing methodologies to promote competition and enhance the broadband investment environment - C(2013) 5761; in deutsch vorerst [13.09.2013] nur hier zu finden: Empfehlung der Kommission vom 11.9.2013 über einheitliche Nichtdiskriminierungsverpflichtungen und Kostenrechnungsmethoden zur Förderung des Wettbewerbs und zur Verbesserung des Umfelds für Breitbandinvestitionen). Außerdem gibt es ein Impact Assessment für das gesamte Paket (auch in einer Zusammenfassung).
Das Ganze muss natürlich mit viel heißer Luft auch verkauft werden, wozu es eine Presseaussendung und ein Memo gibt (ich verlinke von der Presseaussendung, die es auch in deutscher Sprache gibt, nur die englische Fassung, da die deutsche Version eher irreführend übersetzt ist: "EU-wide and roaming-free mobile plans" sind nämlich schlicht Tarifoptionen, nicht "Pläne für EU-weite Mobilfunkdienste ohne Roamingaufschläge").
Inhaltsübersicht
Ich kann den Vorschlag jetzt nicht in jedem Detail behandeln, sondern nur eine grobe und schnelle Übersicht geben, unter allen Vorbehalten, wie sie einem solchen Schnellschuss entgegengebracht werden sollten. Zunächst allgemein zum Inhalt: Art 1 Abs 2 schreibt wie üblich diverse hehre regulatorische Grundsätze fest, zu deren Erreichung die Verordnung, so Art 1 Abs 3, detaillierte Regelungen für folgende Bereiche enthält:
a) eine EU-weite Genehmigung für europäische Anbieter elektronischer Kommunikation;Sitzstaatkontrolle
b) die weitere Vereinheitlichung der Regulierung hinsichtlich der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit von Abhilfemaßnahmen, die die nationalen Regulierungsbehörden europäischen Anbietern elektronischer Kommunikation auferlegen;
c) die harmonisierte Bereitstellung bestimmter Breitbandvorleistungsprodukte auf Unionsebene unter konvergierenden rechtlichen Rahmenbedingungen;
d) einen koordinierten europäischen Rahmen für die Zuteilung harmonisierter Funkfrequenzen für drahtlose Breitbandkommunikationsdienste, wodurch ein europäischer Raum der Drahtloskommunikation geschaffen wird;
e) die Harmonisierung von Vorschriften über die Rechte der Endnutzer und die Förderung eines wirksamen Wettbewerbs auf den Endkundenmärkten, wodurch ein europäischer Raum der elektronischen Kommunikation für Verbraucher geschaffen wird;
f) den Abbau ungerechtfertigter Preisaufschläge für unionsinterne Auslandsverbindungen und für Roamingverbindungen innerhalb der Union.
Die Verordnung definiert den Europäischen Anbieter elektronischer Kommunikation als "ein in der Union niedergelassenes Unternehmen, das unmittelbar oder über eine oder mehrere Tochtergesellschaften elektronische Kommunikationsnetze oder -dienste bereitstellt oder bereitzustellen beabsichtigt, die an mehr als einen Mitgliedstaat gerichtet sind, und das nicht als Tochtergesellschaft eines anderen Anbieters elektronischer Kommunikation angesehen werden kann". Dieser Betreiber, samt seiner Tochtergesellschaften, soll - mit einer "EU-weiten Genehmigung" ("single EU authorisation", Art 3) seines Sitzstaates ausgestattet - im Wesentlichen der Aufsicht des Sitzstaats unterliegen (Art 5). Das wird durch zahlreiche Meldepflichten und Verfahrensvorschriften ergänzt, zumal es ja durchaus zu unterschiedlichen Auffassungen der nationalen Regulierungsbehörden kommen kann, wer nun wofür zuständig ist.
Ein solcher Europäischer Anbieter ist natürlich von allen Mitgliedstaaten gleich zu behandeln wie ein "einheimischer" Betreiber; zur Beruhigung der Mitgliedstaaten dürfen von ausreichend großen Europäischen Anbietern auch weiterhin Verwaltungs- und Universaldienstabgaben eingehoben werden (Art 3 Abs 3 und 4). Das damit eröffnete "regulatory forum shopping" soll - anders als in den ersten geleakten Entwürfen - nicht mehr durch genauere Regeln zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats beschränkt werden. Es reicht nun aus, dass im zuständigen Mitgliedstaat die wesentlichen geschäftlichen und Investitionsentscheidungen getroffen werden (Art 2 Abs 6). Ob - wie früher im Fernsehbereich - Luxemburg schon wieder bereit steht, um günstige Regulierungskonditionen zu bieten? Immerhin muss der Sitzsaat gewährleisten, dass rechtliche Dokumente zugestellt werden können (Art 7 Abs 2).
Koordination der Frequenznutzung
Die Bestimmungen des Chapter III der Verordnung betreffen nur harmonisierte Frequenzen für drahtlose Breitbanddienste, für deren Nutzung regulatorische Grundsätze (Art 9) und Zuteilungskriterien (Art 10) aufgestellt werden. Ergänzt wird das durch im Einzelnen komplexe Vorschriften zur europaweiten Harmonisierung, insbesondere auch der Zeitpläne. Art 13 des Verordnungsvorschlags soll ein Koordinationsverfahren analog dem Art 7 bzw Art 7a-Verfahren nach der RahmenRL etablieren: der Kommission sind die nationalen Entscheidungsentwürfe zu kommunizieren, dann kann die Kommission "serious doubts" äußern und wenn es zu keiner Einigung kommt, letztlich die nationale Behörde auffordern, die Entscheidung zurückzunehmen.
Art 14 des Vorschlags will die Bereitstellung öffentlicher WLANs und „drahtloser Zugangspunkte mit geringer Reichweite“ erleichtern; insbesondere soll die nicht kommerzielle Bereitstellung öffentlicher WLAN-Zugänge durch öffentliche Stellen, Endnutzer oder zB Cafés nicht als Erbringung eines elektronischen Kommunikationsdienstes angesehen werden (wobei das meines Erachtens auch jetzt schon so war, allenfalls mit Ausnahme von Unternehmen, die den WLAN-Zugang als Nebenleistung angeboten haben). Auch soll die Bereitstellung und der Betrieb unaufdringlicher ("unobtrusive") drahtloser Zugangspunkte mit geringer Reichweite nicht unangemessen beschränkt werden. Schließlich sieht Art 16 noch weitere Kooperations- und Koordinationspflichten der Mitgliedstaaten bei der Frequenzplanung vor.
Europäische virtuelle Zugangsprodukte
Der Verordnungsvorschlag sieht vor, dass Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht, die aufgrund spezifischer Verpflichtungen Zugang gewähren müssen, verpflichtet werden können, europaweit harmonisierte Zugangsprodukte anzubieten ("Europäisches virtuelles Breitbandzugangsprodukt" und "Konnektivitätsprodukt mit zugesicherter Dienstqualität (ASQ-Konnektivitätsprodukt)"). Minimalerfordernisse dafür sind in den Anhängen I und II des Vorschlags enthalten, außerdem kann die Kommission technische Durchführungsverordnungen erlassen.
Harmonisierte Endkunden-Rechte
Kapitel IV des Entwurfs (Art 21 bis 29) will bestimmte Endnutzerrechte harmonisieren. Harmonisieren, das muss man hier vielleicht betonen, heißt unionsrechtlich, dass die Mitgliedstaaten davon auch zugunsten der Endnutzer nicht mehr abweichen können - weitergehende nationale Verbraucherrechte in diesem Bereich sind damit ausgeschlossen.
Diskrimierungsverbot
Art 21 enthält ein Verbot von (behördlichen) Beschränkungen für die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Diensten, sowie ein Verbot für Betreiber, Kunden abhängig von der Nationalität oder dem Wohnsitz zu diskriminieren ("sofern solche Unterschiede nicht objektiv gerechtfertigt sind") - was jetzt wohl auch keine große inhaltliche Neuerung ist.
Interessant ist Abs 3 des Art 21, der höhere Entgelte für Festnetz-Anrufe innerhalb der Union (gegenüber nationalen Fernverbindungen) nur mit objektiver Rechtfertigung zulässt (internationale Terminierungsentgelte, die von ausländichen Terminierungsnetzbetreibern verlangt werden, dürften aber wohl solche objektive Gründe sein); für mobile Kommunikation (also für Gespräche und SMS über Mobilnetze vom Inland ins Ausland, nicht für Roaming!) darf nicht mehr verlangt werden, als für Roaminganrufe (ab 01.07.2014: 0,19 € plus USt) bzw Roaming-SMS (ab 01.07.2014 0,06 € plus USt):
(3) Außer wenn dies objektiv gerechtfertigt ist, dürfen Anbieter öffentlicher elektronischer
Kommunikation für unionsinterne, in einem anderen Mitgliedstaat zugestellte Verbindungen
keine Tarife anwenden, die höher sind
a) als die Tarife für inländische Fernverbindungen in Festnetzen;
b) als der jeweilige Eurotarif für regulierte Sprachanrufe und SMS-Roamingnachrichten
gemäß der Verordnung (EG) Nr. 531/2012 in Mobilfunknetzen.*)
Freiheit, qualitätsdifferenzierte Dienste zu bekommen (Netzneutralität light)
Art 23 steht unter der fantastischen Überschrift "Freiheit der Bereitstellung und Inanspruchnahme eines offenen Internetzugangs und angemessenes Verkehrsmanagement". Die Bestimmung verheißt den Endkunden die Freiheit, Verträge über Datenvolumen und Geschwindigkeiten einzugehen und vertragsgemäß Anwendungen und Dienste in Anspruch zu nehmen (Art 23 Abs 1). Die im geleakten Entwurf noch enthaltenen weiteren Einschränkungen, dass man auch Qualitätscharakteristika vereinbaren könne, fehlt nun im Vorschlag der Kommission. Dafür sieht Abs 2 vor, dass Endkunden auch die "Freiheit" haben, Spezialdienste mit einer höheren Dienstqualität (enhanced QoS) in Anspruch zu nehmen. Dazu sollen Diensteanbieter auch Deals mit Telekombetreibern eingehen können, um eine definierte Qualität oder eine dedizierte Kapazität zu sichern. Dadurch soll aber das "normale" Internet nicht (dauerhaft oder wiederholt) allzu großen Schaden nehmen: "Durch die Bereitstellung von Spezialdiensten darf die allgemeine Qualität von Internetzugangsdiensten nicht in wiederholter oder ständiger Weise beeinträchtigt werden."
Zusätzlich wird, wie schon im letzten Reformpaket, besonderer Wert auf Informationsbereitstellung gelegt (Art 25 Abs 1, Art 26 Abs 2 und Art 27 Abs 1 und 2). Immerhin enthält Art 23 Abs 5 auch ein ausdrückliches Verlangsamungs-, Verschlechterungs- und Diskriminierungsverbot:
Innerhalb vertraglich vereinbarter Datenvolumina oder -geschwindigkeiten für Internetzugangsdienste dürfen Anbieter von Internetzugangsdiensten die in Absatz 1 genannten Freiheiten nicht durch Blockierung, Verlangsamung, Verschlechterung oder Diskriminierung gegenüber bestimmten Inhalten, Anwendungen oder Diensten oder bestimmten Klassen davon beschränken, außer in den Fällen, in denen angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen erforderlich sind. Angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen müssen transparent, nicht diskriminierend, verhältnismäßig und erforderlich sein,Das ist zwar keine unbedingte Netneutralität, aber es ist immerhin ein Ansatz für eine Art "Netzneutralität light". Ergänzt wird das durch Monitoringaufgaben der Regulierungsbehörde (Art 24) und - wie schon erwähnt - Transparenz und Informationspflichten (Art 25 bis 27).
a) um einer Rechtsvorschrift oder einem Gerichtsbeschluss nachzukommen oder um schwere Verbrechen abzuwehren oder zu verhindern;
b) um die Integrität und Sicherheit des Netzes, der über dieses Netz erbrachten Dienste und der Endgeräte der Endnutzer zu wahren;
c) um die Übertragung unerbetener Mitteilungen an Endnutzer zu unterbinden, welche ihre vorherige Zustimmung zu solchen beschränkenden Maßnahmen gegeben haben;
d) um die Auswirkungen einer vorübergehenden oder außergewöhnlichen Netzüberlastung zu minimieren, sofern gleichwertige Verkehrsarten auch gleich behandelt werden.
Im Rahmen eines angemessenen Verkehrsmanagements dürfen nur solche Daten verarbeitet werden, die für die in diesem Absatz genannten Zwecke erforderlich und verhältnismäßig sind.
Die Kommission soll dazu auch Durchführungsvorschriften erlassen können, um zB Speed-Tests, QoS-Parameter und Messmethoden zu normieren (Art 25 Abs 2). Endkunden müssen Zugang zu unabhängigen Evaluierungstools haben, um die Performance ihres Internetzugangs zu vergleichen (Art 25 Abs 3). Art 26 enthält wieder umfassende Informationspflichten für Verträge (mit dem schon bekannten Problem, dass dabei nicht immer deutlich ist, was davon nur Information, und was vertragliche Vereinbarung sein soll). Art 27 soll gewährleisten, dass Endkunden ausreichende Mechanismen zur Verfügung stehen, um den "Verbrauch" (Daten, Minuten, etc.) zu kontrollieren.
Provider als Hilfssheriffs?
Art 25 Abs 4 sieht vor, dass Diensteanbieter auf Ersuchen von Behörden kostenlos Informationen an ihre Endkunden weiterleiten müssen, unter anderem - wer würde das erraten haben - betreffend übliche gesetzwidrige Aktivitäten ("die häufigsten Formen einer Nutzung elektronischer Kommunikationsdienste für unrechtmäßige Handlungen oder die Verbreitung schädlicher Inhalte, insbesondere wenn dadurch die Achtung der Rechte und Freiheiten anderer Personen beeinträchtigt werden kann, einschließlich Verstößen gegen Datenschutzrechte, das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte und ihre rechtlichen Folgen") sowie zum Schutz von Sicherheitsbedrohungen.
Vertragsdauer
Wie schon jetzt sollen Verträge nicht auf längere Zeit als 24 Monate abgeschlossen werden. Neu - und meines Erachtens höchst entbehrlich - ist die Bestimmung, dass Anbieter auch einen Vertrag mit einer Höchstdauer von 12 Monaten anbieten muss (den kann er freilich so teuer wie er will anbieten, sodass das dem Endnutzer im Ergebnis nichts bringt). Für mich unklar ist jedenfalls beim ersten schnellen Durchlesen, wie es um das Recht steht, einen Vertrag bei nachteiliger Änderung der Vertragsbedingungen kostenlos aufzulösen. Die Bestimmung in Art 28 Abs 4 sagt, dass der Anbieter den Kunden über sein Recht informieren muss, den Vertrag ohne Kosten zu kündigen; dann aber heißt es "Absatz 2 gilt entsprechend." In Abs 2 wiederum ist für den Fall, dass ein Vertrag vorzeitig aufgelöst wird, vorgesehen, dass dafür keine Entschädigung zu leisten ist, außer "dem Restwert verbilligter Endgeräte, die bei Vertragsschluss an den Vertrag geknüpft waren, und einer zeitanteiligen Rückzahlung anderer Angebotsvorteile, die bei Vertragsschluss als solche beworben worden waren." Wurde damit dem Wunsch der Telekomunternehmen Rechnung getragen, dass auch bei vorzeitiger Auflösung, weil der Betreiber die Bedingungen verschlechtert, eine Ersatzzahlung für das gestützte Handy zu leisten ist?
(Zeitlich beschränkte) "Portierung" auch von E-Mail-Adressen
Art 30 soll das Wechseln von Betreibern erleichtern und enthält dazu neben Regeln über die Nummernportierung auch die Bestimmung, dass ein "verlassener" Internetzugangs-Anbieter auf Wunsch des Kunden kostenlos eine E-Mail-Weiterleitung für 12 Monate einrichten muss.
Änderungen anderer Richtlinien und Verordnungen
In Art 7a der RahmenRL soll - wenig überraschend - die Kommission in bestimmten Fällen doch eine Veto-Entscheidung treffen können. In Art 15 RahmenRL wird der - bisher aus den Marktanalyse-Leitlinien - bekannte 3-Kriterientest nun ausdrücklich in der Richtlinie verankert. In der UniversaldienstRL entfallen die Bestimmungen über Verträge, Transparenz und Veröffentlichung von Informationen, Dienstequalität und Anbieterwechsel, die durch die einschlägigen Bestimmungen der neuen Verordnung ersetzt werden.
In der BEREC-Verordnung wird vorgesehen, dass der/die BEREC-Vorsitzende auf drei Jahre bestellt und "a full-time independent professional" ("eine unabhängige Vollzeitfachkraft") sein muss.
Roaming
Art 4 der Roaming-VO, mit der ab 01.07.2014 der separate Verkauf von Roamingdiensten auf Endkundenebene eingeführt wird, bleibt bestehen, soll aber für jene Roaminganbieter nicht verpflichtend sein, die nach dem neuen Art 4a der Roaming-VO ein Endkundenpaket anbieten, in dem Roaminganrufe nicht teurer sind als solche im Heimatnetz, wobei es zumindest einen Betreiber in jedem Mitgliedstaat geben muss, über dessen Netz solche "inlandsgleichen" Roaminganrufe geführt werden können. Im Einzelnen sind angemessene Beschränkungen möglich, für die BEREC Leitlinien aufstellen soll. Vom 01.07.2014 bis zum 30.06.2016 kommen recht komplexe Übergangsbestimmungen ("Gleitpfad") zum Tragen, bei denen es im Wesentlichen darum geht, dass die Betreiber das "inlandsgleiche" Roaming ("roam like home")noch nicht in allen Angebotspaketen oder nicht in allen Mitgliedstaaten gewährleisten müssen.
Für passive Roaminggespräche soll bereits ab 01.07.2014 kein Entgelt verlangt werden dürfen.
Zielzeitpunkt für die Anwendung:
Nach Art 29 des Verordnungsvorschlags soll die Verordnung ab 01.07.2014 angewendet werden, ausgenommen die Endkunden-Schutzbestimmungen (Art 21 bis 30), die erst mit 01.07.2016 angewendet werden sollen.
Zuvor muss freilich noch der Gesetzgebungsprozess - mit Rat und Parlament - durchlaufen werden.
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*) das ist eine unvollständige Übersetzung; in der englischen Fassung ist klargestellt, dass lit a sich nur auf Festnetzverbindungen und lit b nur auf Mobilverbindungen bezieht:
a) as regards fixed communications, than tariffs for domestic long-distance communications;
b) as regards mobile communications, than the euro-tariffs for regulated voice and SMS
roaming communications, respectively, established in Regulation (EC) No 531/2012.
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Tuesday, September 10, 2013
Vernetzter Kontinent: Vorschlag der Kommission zur Vollendung des Binnenmarkts für elektronische Kommunikation steht bevor
Update11.09.2013: Der Kommissionsvorschlag wurde nun offiziell veröffentlicht, meine erste Übersicht dazu ist hier zu lesen.
Eigentlich war der Vorschlag der Kommission für die nächste größere Reform des europäischen Telekommunikationsrechts schon für Juli 2013 erwartet worden. Nun wird es wohl der 12.09.2013, an dem Kommissarin Kroes den von der Kommission - nach einigen internen Auseinandersetzungen - angenommenen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend Maßnahmen zur Vollendung des europäischen Binnenmarkts für elektronische Kommunikation und zur Erreichung eines vernetzten Kontinents (kurz: "Connected Continent"-Verordnung) vorstellen kann. Was dann von den bereits geleakten Vorentwürfen (erste Version, überarbeitete Fassung) übrig sein wird, bleibt abzuwarten; die Stoßrichtung des Vorschlags ist aber klar:
1. Verordnung statt Richtlinie
Richtlinien sind von den Mitgliedstaaten erst umzusetzen, was aus der Sicht der Kommission zumindest zwei Nachteile hat: erstens vergeht mindestes ein Jahr, bis die Vorschriften wirksam werden können (beim letzten Reformpaket betrug die Umsetzungsfrist 18 Monate), zweitens können die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung nicht nur (zu) zögerlich, sondern auch (zu) kreativ sein, was erst mit langwierigen Vertragsverletzungsverfahren wieder eingefangen werden kann. Da ist es nur naheliegend, dass die Kommission auf die Idee gekommen ist, die Harmonisierung mittels Verordnung voranzutreiben, die ohne weitere Umsetzungsmaßnahmen unmittelbar in den Mitgliedstaaten gilt.
Als Vorbild gibt es ja mittlerweile insbesondere die Roaming-Verordnung, und ein weiterer Testballon für das Rechtsinstrument der Verordnung ist die derzeit von Parlament und Rat verhandelte Breitband-Verordnung (Vorschlag der Kommission vom 26. März 2013). Der Rat wird mit einer Verordnung vielleicht nicht uneingeschränkt glücklich sein, das Europäische Parlament schon eher. Denn die Verordnung hat aus der Sicht der Kommission wie auch des Parlaments noch einen wesentlichen Vorteil: sie ist viel unmittelbarer der europäischen Ebene zuzurechnen. Wenn man - wie etwa beim Roaming - ein Zuckerl für Konsumenten darin verpackt, dann wird als "candyman"/"candywoman" nicht die mitgliedstaatliche Politik, sondern "Brüssel" wahrgenommen. Besonders gut verkauft das meist das zuständige Kommissionsmitglied: die bis heute ungebrochene Popularität Viviane Redings stützt sich zu einem nicht geringen Teil auf "ihre" Roaming-Verordnung. Aber auch Parlamentarier können im Wahlkampf damit viel deutlicher auf konkrete Vorteile der EU verweisen.
2. Herkunftslandkontrolle: "single authorisation"
Telekom-Unternehmen sollen nach der Vorstellung der Kommission nicht mehr in jedem Mitgliedstaat, in dem sie tätig werden wollen, auch eine "Allgemeingenehmigung" brauchen (gesonderte Einzelbewilligungen sind ja schon derzeit nicht zulässig, die Mitgliedstaaten können höchstens eine Art "Meldepflicht" vorsehen). Auch die Aufsicht über solche Unternehmen soll dann im Wesentlichen vom Heimatstaat aus geführt werden. Diese Herkunftslandkontrolle soll sich nicht nur auf das "Mutterunternehmen" beziehen, sondern auch auf Tochtergesellschaften: damit wäre etwa die deutsche Bundesnetzagentur zuständige Regulierungsbehörde für die in Österreich aktive T-Mobile Austria.
Bei der Herkunftslandkontrolle bzw "single authorisation" (ursprünglich als "EU Passport" bezeichnet) dürften gegenüber dem geleakten Entwurf noch deutliche Änderungen vorgenommen worden sein, auf Details gehe ich daher vorerst einmal nicht ein. Es werden sich dabei aber jedenfalls spannende Fragen auftun, vor allem auch in der Verfahrensführung und Koordination zwischen den nationalen Regulierungsbehörden.
3. Weitere Vereinheitlichung der Regulierung und Frequenzverwaltung
Die Kommission will eine weitere Vereinheitlichung nicht nur bei klassischen Regulierungsmaßnahmen, sondern nun auch bei Maßnahmen der Frequenzverwaltung, wo ein Verfahren eingeführt werden soll, das jenem nach Art 7/Art 7a- der Rahmenrichtlinie ähnlich ist.
4. Abschaffung der Roamingentgelte?
Mit Blick auf die im Frühling 2014 ins Haus stehenden Wahlen zum Europäischen Parlament ist die Ankündigung des Endes für teure Roamingentgelte natürlich ein wichtiger Schachzug der Kommission, vor allem auch um das Parlament zur Eile anzutreiben und dieses "Goodie" für die Konsumenten möglichst noch vor den Wahlen zu beschließen. Da aber die aktuelle Roamingverordnung gerade für die Zeit ab 01.07.2014 ein komplexes neues Regime ("separater Verkauf regulierter Roamingdienste auf Endkundenebene") vorgesehen hat, auf das sich die Betreiber jetzt mühsam eingestellt haben bzw noch einstellen müssen, scheint mir dieser neuerliche Schwenk der Kommission in der Roaming-Frage nicht auf allzu sicherem Boden zu stehen. Natürlich gibt es auf der anderen Seite "Gegenfinanzierungen": so hat Kommissarin Kroes etwa schon mehrfach klar signalisiert, dass sie einer Konsolidierung auf Anbieterseite nicht im Wege stehen möchte - sie träumt offen von wenigen paneuropäischen Telekom-Anbietern. Die "Connected Continent"-Verordnung soll zB auch mit der "single authorisation" dazu beitragen, dass größere Unternehmen eher begünstigt werden.
Neben dem Ende für Roaming-Entgelte sollen auch Differenzierungen zwischen nationalen und internationalen Tarifen (innerhalb der EU) nur mehr zulässig sein, wenn höhere Kosten für grenzüberschreitende Dienste durch tatsächliche zusätzliche Kosten gerechtfertigt sind.
5. Netzneutralität light
Kommissarin Kroes ist alles anderes als glücklich damit, dass einzelne Mitgliedstaaten (Slowenien, Niederlande) Alleingänge zum Schutz der Netzneutralität unternommen haben. An sich vertritt Kroes nach wie vor einen laissez faire-Ansatz zur Netzneutralität: Anbieter sollen, sofern sie entsprechend darüber informieren und dies gegebenenfalls auch vereinbaren, die Netzneutralität nach Wunsch einschränken können. Kroes sieht darin Möglichkeiten zur Produktdifferenzierung (sie vergleicht das gern mit Champagner vs. Schaumwein: wer für Champagner zahlt, soll auch Champagner - uneingeschränkten Internetzugang - bekommen, wer sich mit Schaumwein - eingeschränktem Internetzugang - zufrieden gibt, soll auch nicht für Champagner bezahlen müssen).
Die nationalen Alleingänge kann Kroes aber nur dann wirksam verhindern, wenn Regelungen zur Netzneutralität auf europäischer Ebene harmonisiert sind. Daher wird die Verordnung harmonisierte Bestimmungen zu den Rechten der Nutzer enthalten, so etwa das eher zynisch wirkende Recht von Endnutzern, frei Verträge über Datenvolumsbeschränkungen, Geschwindigkeiten und allgemeine Qualitätsmerkmale eingehen zu können - mit anderen Worten: Anbieter dürfen qualitätsdifferenzierte Produkte anbieten. Die Regulierungsbehörden sollen dann die Qualität überwachen und können allenfalls Mindestqualitätskriterien festlegen. Sogar die Generaldirektion Justiz hat in einer Stellungnahme im Zuge der kommissionsinternen Konsultation die im (Vor-)Entwurf enthaltenen Beschränkungen der Netzneutralität kritisiert.
Der Vorschlag der Kommission ist erst der Anfang
Wenn die Kommission am 12.09.2013 ihren Vorschlag vorlegt, beginnt erst die Arbeit des Rates (zunächst in Ratsarbeitsgruppen) und des Parlaments. Die Kommission drängt auf Geschwindigkeit und hofft, dass sich eine Beschlussfassung noch vor der Europawahl im Mai 2014 ausgeht. Das ist, vorsichtig ausgedrückt, ziemlich ambitioniert - aber wenn es um Roamingentgelte geht, wollen gerade Parlamentarier nicht gern als Bremser dastehen.
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Exkurs: Kroes' 10 Punkte für Breitband
In der futurezone war heute ein Beitrag, in dem der "10 Punkte"-Breitband-Plan von Kroes mit der kommenden "Connected Continent"-Verordnung ein wenig durcheinander gebracht wurde. Aus diesem Anlass hier auch eine knappe Übersicht, welche Projekte Kroes mit ihren "10 Punkten" angesprochen hat. Ausgangspunkt ist ihre Rede vom 30.01.2013 über die "10 steps to deliver broadband". Die zehn Punkte waren:
Eigentlich war der Vorschlag der Kommission für die nächste größere Reform des europäischen Telekommunikationsrechts schon für Juli 2013 erwartet worden. Nun wird es wohl der 12.09.2013, an dem Kommissarin Kroes den von der Kommission - nach einigen internen Auseinandersetzungen - angenommenen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend Maßnahmen zur Vollendung des europäischen Binnenmarkts für elektronische Kommunikation und zur Erreichung eines vernetzten Kontinents (kurz: "Connected Continent"-Verordnung) vorstellen kann. Was dann von den bereits geleakten Vorentwürfen (erste Version, überarbeitete Fassung) übrig sein wird, bleibt abzuwarten; die Stoßrichtung des Vorschlags ist aber klar:
1. Verordnung statt Richtlinie
Richtlinien sind von den Mitgliedstaaten erst umzusetzen, was aus der Sicht der Kommission zumindest zwei Nachteile hat: erstens vergeht mindestes ein Jahr, bis die Vorschriften wirksam werden können (beim letzten Reformpaket betrug die Umsetzungsfrist 18 Monate), zweitens können die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung nicht nur (zu) zögerlich, sondern auch (zu) kreativ sein, was erst mit langwierigen Vertragsverletzungsverfahren wieder eingefangen werden kann. Da ist es nur naheliegend, dass die Kommission auf die Idee gekommen ist, die Harmonisierung mittels Verordnung voranzutreiben, die ohne weitere Umsetzungsmaßnahmen unmittelbar in den Mitgliedstaaten gilt.
Als Vorbild gibt es ja mittlerweile insbesondere die Roaming-Verordnung, und ein weiterer Testballon für das Rechtsinstrument der Verordnung ist die derzeit von Parlament und Rat verhandelte Breitband-Verordnung (Vorschlag der Kommission vom 26. März 2013). Der Rat wird mit einer Verordnung vielleicht nicht uneingeschränkt glücklich sein, das Europäische Parlament schon eher. Denn die Verordnung hat aus der Sicht der Kommission wie auch des Parlaments noch einen wesentlichen Vorteil: sie ist viel unmittelbarer der europäischen Ebene zuzurechnen. Wenn man - wie etwa beim Roaming - ein Zuckerl für Konsumenten darin verpackt, dann wird als "candyman"/"candywoman" nicht die mitgliedstaatliche Politik, sondern "Brüssel" wahrgenommen. Besonders gut verkauft das meist das zuständige Kommissionsmitglied: die bis heute ungebrochene Popularität Viviane Redings stützt sich zu einem nicht geringen Teil auf "ihre" Roaming-Verordnung. Aber auch Parlamentarier können im Wahlkampf damit viel deutlicher auf konkrete Vorteile der EU verweisen.
2. Herkunftslandkontrolle: "single authorisation"
Telekom-Unternehmen sollen nach der Vorstellung der Kommission nicht mehr in jedem Mitgliedstaat, in dem sie tätig werden wollen, auch eine "Allgemeingenehmigung" brauchen (gesonderte Einzelbewilligungen sind ja schon derzeit nicht zulässig, die Mitgliedstaaten können höchstens eine Art "Meldepflicht" vorsehen). Auch die Aufsicht über solche Unternehmen soll dann im Wesentlichen vom Heimatstaat aus geführt werden. Diese Herkunftslandkontrolle soll sich nicht nur auf das "Mutterunternehmen" beziehen, sondern auch auf Tochtergesellschaften: damit wäre etwa die deutsche Bundesnetzagentur zuständige Regulierungsbehörde für die in Österreich aktive T-Mobile Austria.
Bei der Herkunftslandkontrolle bzw "single authorisation" (ursprünglich als "EU Passport" bezeichnet) dürften gegenüber dem geleakten Entwurf noch deutliche Änderungen vorgenommen worden sein, auf Details gehe ich daher vorerst einmal nicht ein. Es werden sich dabei aber jedenfalls spannende Fragen auftun, vor allem auch in der Verfahrensführung und Koordination zwischen den nationalen Regulierungsbehörden.
3. Weitere Vereinheitlichung der Regulierung und Frequenzverwaltung
Die Kommission will eine weitere Vereinheitlichung nicht nur bei klassischen Regulierungsmaßnahmen, sondern nun auch bei Maßnahmen der Frequenzverwaltung, wo ein Verfahren eingeführt werden soll, das jenem nach Art 7/Art 7a- der Rahmenrichtlinie ähnlich ist.
4. Abschaffung der Roamingentgelte?
Mit Blick auf die im Frühling 2014 ins Haus stehenden Wahlen zum Europäischen Parlament ist die Ankündigung des Endes für teure Roamingentgelte natürlich ein wichtiger Schachzug der Kommission, vor allem auch um das Parlament zur Eile anzutreiben und dieses "Goodie" für die Konsumenten möglichst noch vor den Wahlen zu beschließen. Da aber die aktuelle Roamingverordnung gerade für die Zeit ab 01.07.2014 ein komplexes neues Regime ("separater Verkauf regulierter Roamingdienste auf Endkundenebene") vorgesehen hat, auf das sich die Betreiber jetzt mühsam eingestellt haben bzw noch einstellen müssen, scheint mir dieser neuerliche Schwenk der Kommission in der Roaming-Frage nicht auf allzu sicherem Boden zu stehen. Natürlich gibt es auf der anderen Seite "Gegenfinanzierungen": so hat Kommissarin Kroes etwa schon mehrfach klar signalisiert, dass sie einer Konsolidierung auf Anbieterseite nicht im Wege stehen möchte - sie träumt offen von wenigen paneuropäischen Telekom-Anbietern. Die "Connected Continent"-Verordnung soll zB auch mit der "single authorisation" dazu beitragen, dass größere Unternehmen eher begünstigt werden.
Neben dem Ende für Roaming-Entgelte sollen auch Differenzierungen zwischen nationalen und internationalen Tarifen (innerhalb der EU) nur mehr zulässig sein, wenn höhere Kosten für grenzüberschreitende Dienste durch tatsächliche zusätzliche Kosten gerechtfertigt sind.
5. Netzneutralität light
Kommissarin Kroes ist alles anderes als glücklich damit, dass einzelne Mitgliedstaaten (Slowenien, Niederlande) Alleingänge zum Schutz der Netzneutralität unternommen haben. An sich vertritt Kroes nach wie vor einen laissez faire-Ansatz zur Netzneutralität: Anbieter sollen, sofern sie entsprechend darüber informieren und dies gegebenenfalls auch vereinbaren, die Netzneutralität nach Wunsch einschränken können. Kroes sieht darin Möglichkeiten zur Produktdifferenzierung (sie vergleicht das gern mit Champagner vs. Schaumwein: wer für Champagner zahlt, soll auch Champagner - uneingeschränkten Internetzugang - bekommen, wer sich mit Schaumwein - eingeschränktem Internetzugang - zufrieden gibt, soll auch nicht für Champagner bezahlen müssen).
Die nationalen Alleingänge kann Kroes aber nur dann wirksam verhindern, wenn Regelungen zur Netzneutralität auf europäischer Ebene harmonisiert sind. Daher wird die Verordnung harmonisierte Bestimmungen zu den Rechten der Nutzer enthalten, so etwa das eher zynisch wirkende Recht von Endnutzern, frei Verträge über Datenvolumsbeschränkungen, Geschwindigkeiten und allgemeine Qualitätsmerkmale eingehen zu können - mit anderen Worten: Anbieter dürfen qualitätsdifferenzierte Produkte anbieten. Die Regulierungsbehörden sollen dann die Qualität überwachen und können allenfalls Mindestqualitätskriterien festlegen. Sogar die Generaldirektion Justiz hat in einer Stellungnahme im Zuge der kommissionsinternen Konsultation die im (Vor-)Entwurf enthaltenen Beschränkungen der Netzneutralität kritisiert.
Der Vorschlag der Kommission ist erst der Anfang
Wenn die Kommission am 12.09.2013 ihren Vorschlag vorlegt, beginnt erst die Arbeit des Rates (zunächst in Ratsarbeitsgruppen) und des Parlaments. Die Kommission drängt auf Geschwindigkeit und hofft, dass sich eine Beschlussfassung noch vor der Europawahl im Mai 2014 ausgeht. Das ist, vorsichtig ausgedrückt, ziemlich ambitioniert - aber wenn es um Roamingentgelte geht, wollen gerade Parlamentarier nicht gern als Bremser dastehen.
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Exkurs: Kroes' 10 Punkte für Breitband
In der futurezone war heute ein Beitrag, in dem der "10 Punkte"-Breitband-Plan von Kroes mit der kommenden "Connected Continent"-Verordnung ein wenig durcheinander gebracht wurde. Aus diesem Anlass hier auch eine knappe Übersicht, welche Projekte Kroes mit ihren "10 Punkten" angesprochen hat. Ausgangspunkt ist ihre Rede vom 30.01.2013 über die "10 steps to deliver broadband". Die zehn Punkte waren:
- Empfehlung zur Nichtdiskriminierung und Kostenrechnungsmethoden für den Zugang zu NGA- und Kupfernetzen ("Recommendation on consistent non-discrimination obligations and costing methodologies to promote competition and enhance the broadband investment environment"). Kroes kündigte dazu die endgültige Empfehlung für Juli 2013 an: "I [...] hope the final recommendation will be ready in July [2013]." (aktueller Status 10.09.2013: noch gibt es - auch nach massiver Kritik von BEREC - keine Endfassung).
- Fortsetzung der Umsetzung des Funkfrequenzprogramms: die angekündigte "Bestandsaufnahme der Funkfrequenzen" ("spectrum inventory") - nach Maßgabe des Mehrjahresprogramms für die Funkfrequenzpolitik aus dem Jahr 2012 - wurde mit Durchführungsbeschluss 2013/195/EU vom 23. April 2013 in die Wege geleitet (vieles davon baut auf dem im Rahmen der CEPT entwickelten EFIS auf). Weiters kündigte Kroes an, gegen jene Mitgliedstaaten, die nicht - wie im Mehrjahresprogramm - vorgesehen, die Frequenzbereiche 3,4-3,8 GHz, 2,5-2,69 GHz und 900-1800 MHz für drahtloses Breitband verfügbar machen, mit Vertragsverletzungsverfahren vorzugehen ("we will use our full Treaty powers"). Österreich, schon etwas im Verzug, bekam eine Ausnahmeregelung bis 30. September 2013 - bis dahin dürfte die aktuelle Multiband-Auktion der TKK wohl abgeschlossen sein (der Beschluss über die Ausnahmeregelung ist derzeit nur im Entwurf online).
- Ein "wireless action plan" (Mitteilung der Kommission) war für das erste Quartal 2013 angekündigt; zu rechnen ist damit wohl eher erst im Oktober, falls überhaupt.
- Zur Unterstützung des Breitband-Rollouts sollten auch Mittel der Union aus der "digital Connecting Europe Facility" für die Jahre 2014 bis 2020 dienen. Diese Pläne wurden von den Mitgliedstaaten im Rat vorerst ziemlich zurechtgestutzt, für den Breitbandausbau dürfte nach Kürzungen von 8 Mrd € nicht mehr viel übrig sein (siehe dazu zB die Rede von Kroes vom 19.03.2013); das Gesetzgebungsverfahren für die "CEF-Verordnung" ist noch im Gang, eine erste Lesung im Plenum des Europaparlaments ist im Oktober vorgesehen (siehe den CEF-Verordnungsentwurf, eine Zusammenfassung der Ratsdiskussion vom 06.06.2013, sowie den geänderten Verordnungsentwurf der Kommission für Leitlinien für transeuropäische Telekommunikationsnetze, der mit der CEF-Verordnung zusammenhängt).
- Breitband-Verordnung: diese soll laut Kroes vor allem dazu dienen, die Projektkosten (Grabungskosten, Bewilligungen, Planung,...) für den Breitbandausbau zu reduzieren . Der Vorschlag der Kommission für diese Verordnung wurde am 26. März 2013 beschlossen.
- Leitlinien für Breitband-Beihilfen ("Leitlinien der EU für die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen im Zusammenhang mit dem schnellen Breitbandausbau").
- Eine Studie über tatsächliche Internet-Geschwindigkeiten: veröffentlicht am 26.06.2013 (Studie, Pressemitteilung).
- "Guidance on net neutrality": hier blieb Kroes eher vage: einerseits gebe es (wie eine BEREC-Erhebung gezeigt hat) aktuell keine Netzneutralität, andererseits wolle sie aber das Internet nicht zu stark regulieren. Da sie aber auch keine länderspezifischen Regelungen möchte, bleibt ihr nicht viel anderes übrig, als einen Legislativvorschlag einzubringen, der im Ergebnis eine Diskriminierung (oder "Differenzierung") zulässt, aber vielleicht Vorkehrungen trifft, dass es zumindest ein paar "neutrale" Internetangebote gibt. (Mehr dazu schon oben bzw werden wir ab 12.09.2013 mehr wissen).
- Eine Empfehlung über den Universaldienst in einer digitalen Gesellschaft wurde für spätestens Juli 2013 angekündigt, aber beim Universaldienst (der ohnehin stets ein Stiefkind der Kommission war, siehe dazu zB schon hier) sieht die Kommission wohl keine Eile; die angekündigte Empfehlung liegt jedenfalls noch nicht vor.
- Punkt 10 auf Kroes' Liste ist mehr oder weniger ein Auffangbecken für ein paar andere Ideen, die irgendwie mit Breitband zu tun haben könnten ("a host of actions to stimulate demand for broadband"). Urheberechtsmodernisierung, Grünbuch zu "Connected TV" (Grünbuch über die Vorbereitung auf die vollständige Konvergenz der audiovisuellen Welt: Wachstum, Schöpfung und Werte), Cyber-Security.
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PS: Beim 14. Salzburger Telekom-Forum am 22. und 23. August - wie immer eine Art Klassentreffen der österreichischen Telekom-Regulierungsszene - waren die Kommissionsvorschläge, auch wenn sie noch nicht offiziell vorlagen, natürlich ein zentrales Diskussionsthema. Ich sollte diesmal - vor dem Hintergrund der Kommissionsvorschläge - einige Überlegungen zur Europäisierung des Verwaltungsrechts beisteuern, wofür ich, da der offizielle Vorschlag der Kommission auf sich warten ließ, nur auf den von EDRI geleakten Vor-Entwurf zurückgreifen konnte. Wer sich für das nicht weiter redigierte oder ergänzte Manuskript meines Vortrags interessiert, kann es hier nachlesen.
PS: Beim 14. Salzburger Telekom-Forum am 22. und 23. August - wie immer eine Art Klassentreffen der österreichischen Telekom-Regulierungsszene - waren die Kommissionsvorschläge, auch wenn sie noch nicht offiziell vorlagen, natürlich ein zentrales Diskussionsthema. Ich sollte diesmal - vor dem Hintergrund der Kommissionsvorschläge - einige Überlegungen zur Europäisierung des Verwaltungsrechts beisteuern, wofür ich, da der offizielle Vorschlag der Kommission auf sich warten ließ, nur auf den von EDRI geleakten Vor-Entwurf zurückgreifen konnte. Wer sich für das nicht weiter redigierte oder ergänzte Manuskript meines Vortrags interessiert, kann es hier nachlesen.
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