(Schlussanträge in der Rs C-424/07 Kommission / Deutschland, "Regulierungsferien"; siehe dazu hier). Die Politik in Deutschland wie in Österreich würde diese Entscheidung auch gerne treffen, aber eine solche nationale politische Entscheidung ist - auch darauf hat der Generalanwalt hingewiesen - nicht mehr gestattet, "wenn eine gemeinschaftliche Regulierung des Telekommunikationssektors vorgesehen ist."
Vor diesem Hintergrund ist auch ein guter Teil des aktuellen Initiativantrages der Abgeordneten Hakl, Gartlehner und Kolleginnen und Kollegen zur Änderung des TKG 2003 zu sehen (da es sich um Abgeordnete der Koalitionsparteien handelt, ist damit zu rechnen, dass der Antrag Gesetz wird). Wenn etwa bei den Regulierungszielen in § 1 Abs 2 Z 2 TKG 2003 ergänzt werden soll, dass auch "die Sicherstellung von bestehenden und zukünfigten Investitionen in Kommunikationsnetze und -dienste durch Berücksichtigung der Kosten und Risiken" erreicht werden soll, und wenn die "Kosten und Risiken von Investitionen" (bzw "für Investitionen") auch bei der Entgeltkontrolle für den Zugang in § 42 TKG 2003 gleich zweimal erwähnt werden, dann hat das wohl eher symbolischen Charakter: denn einerseits sind "Kosten und Risken" schon jetzt zu berücksichtigen, sollte aber andererseits mit diesen Ergänzungen angedeutet werden, dass auch ineffiziente Investitionen geschützt werden oder dass indirekt eine "Regulierungsfreistellung" für NGN-Investitionen gewährt werden könnte, dann stößt dies rasch an die Grenzen des gemeinschaftsrechtlich Zulässigen. Im Ergebnis sind diese Ergänzungen daher eher atmosphärisch denn materiell relevant.
Aber der Änderungsantrag bringt durchaus auch inhaltliche Neuerungen:
- Die Leitungsrechte werden ausgebaut: vom Leitungsrecht soll auch die Erweiterung und Erneuerung von Anlagen gedeckt sein, ebenso die Einführung und Durchleitung "in Kabelschächten und sonstigen Einrichtungen zur Verlegung von Kabeln".
- Die unentgeltliche Inanspruchnahme von Leitungsrechten an öffentlichem Gut wird auch auf das bisher ausgeschlossene öffentliche Wassergut ausgeweitet.
- Die Verwalter des öffentlichen Gutes müssen einen Alternativvorschlag unterbreiten, falls sie gegen ein geplantes Vorhaben Einwendungen haben.
- Die Fristen bei der Entscheidung über Leitungsrechte werden gekürzt; bei Leitungsrechten an privaten Liegenschaften kann man, wenn innerhalb von vier Wochen keine Einigung erzielt wird, die Fernemeldebehörde zur Entscheidung anrufen, diese hat dem Verpflichteten eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen einzuräumen [das ist nicht ganz schlüssig, denn die Behörde könnte auch vom Verpflichteten angerufen werden!], dann muss sie innerhalb von sechs Wochen entscheiden; die Berufungsbehörde muss innerhalb von zwei Monaten entscheiden.
- Eine nicht erklärte Neuerung für die österreichische Rechtsordnung ist die Möglichkeit der Fernmeldebehörde (ebenso der Regulierungsbehörde nach § 9 Abs 2 neue Fassung), "gegebenenfalls auch mit Zwischenbescheid" zu entscheiden; damit dürfte wohl so etwas ähnliches wie das Zwischenurteil nach § 393 ZPO gemeint sein - also etwas, das dem österreichischen Verwaltungsverfahren laut Rechtsprechung (bisher) fremd ist.
- Die Judikaturdivergenz zwischen Verwaltungsgerichtshof und OGH zum § 8 Abs 1 TKG ("wer ein Wegerecht ... in Anspruch genommen hat") wird im Sinne der Rechtsprechung des VwGH geklärt: nicht nur ein durch Bescheid, sondern auch ein durch Vereinbarung eingeräumtes Wegerecht begründet die Pflicht zur Duldung der Mitbenutzung.
- Auch ein Inhaber "von Kabelschächten oder Rohren oder Teilen davon" muss die Mitbenutzung für Kommunikationslinien gestatten.
- Für die Mitbenutzungsrechte bzw Duldungspflichten besteht weiterhin eine Entscheidungszuständigkeit der Regulierungsbehörde (anders als bei der Entscheidung über Leitungsrechte durch das Fernmeldebüro gibt es hier auch keine sukzessive Zuständigkeit der Gerichte für die Festsetzung der Abgeltung); auch hier kommt es zu einer Verkürzung der Entscheidungsfristen (sechs Wochen ab Einlangen der Stellungnahme, für die der Verpflichtete zwei Wochen Zeit hat). Mit dem Amtswegigkeitsprinzip nicht leicht in Einklang zu bringen scheint die Regelung, wonach die Regulierunsgbehörde in ihrer Entscheidung "nur fristgerechte Einwendungen des Verpflichteten zu berücksichtigen" hat.
Da die Mitbenutzungsmöglichkeiten wie schon erwähnt ausgeweitet werden, kann es also in Zukunft sein, dass die Telekom-Control-Kommission (ein dreiköpfiges Kollegialorgan, dem unter anderem eine Hofrätin des Obersten Gerichtshofs angehört, mit Sitz in Wien) über die Mitbenutzung eines Kabelschachtes in Vorarlberg entscheiden muss - bei der Einräumung eines vergleichbaren Leitungsrechts entscheidet das Fernmeldebüro für Tirol und Vorarlberg durch den Behördenleiter (oder ein von ihm ermächtigtes Organ). Ganz gleichgewichtig scheint mir das nicht zu sein. - Die Genehmigungspflicht für AGB und Entgelte für den Universaldienst wird beseitigt (die Regulierungsbehörde kann - allerdings nur bei begründetem Verdacht auf einen Gesetzesverstoß - prüfen) - damit wird wohl die Ära behördlich genehmigter Endkundenentgelte - jedenfalls für Verbindungsentgelte - dem Ende zugehen.
- Wenn in der Marktdefinition ein Markt wegfällt, sollen die bisher in diesem Markt auferlegten spezifischen Verpflichtungen automatisch (und offenbar ohne Übergangsfrist) wegfallen.
- Bei der Auferlegung von spezifischen Verpflichtungen ist "dem allfälligen Wettbewerb zwischen den unterschiedlichen Märkten im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgebotes bei der Wahl und Ausgestaltung der Verpflichtungen angemessen Rechnung zu tragen" (???).
- Die regionale Differenzierung der Regulierung wird wahrscheinlich wiederkehren - allerdings bei der Marktdefinition, nicht bei der Marktanalyse. Die Marktdefinition soll nämlich "unter Berücksichtigung allfälliger gepographischer Besonderheiten in Bezug auf die Wettbewerbssituation" erfolgen. Das ist zwar inhaltlich nichts Neues, umso mehr aber muss man den ausdrücklichen Hinweis auf die "geographischen Besonderheiten" als Signal verstehen.
[Update 09.06.2009:hier die Aussendung der Parlamentsdirektion zur heutigen Beschlussfassung im Forschungsausschuss; und zum Nachlesen, wie die antragstellenden Abgeordneten ihren Antrag sehen, hier die Presseaussendung von Karin Hakl, und hier jene von Kurt Gartlehner]
Update 27.09.2011/06.10.2011: die Vorgeschichte zu diesem Initiativantrag ist Gegenstand einer parlamentarischen Anfrage des Abg. Dr. Pilz; die A1 Telekom Austria AG hat "Spekulationen, wonach es im Zuge der Novellierung des Telekommunikationsgesetzes 2009 zu unrechtmäßigen Absprachen gekommen sei," in einer Presseaussendung zurückgewiesen.
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