Tuesday, October 15, 2013

Übersicht über Urteile und Entscheidungen des EGMR zu Art 10 EMRK betreffend Österreich

Diese Übersichtsseite verlinkt Urteile und Entscheidungen*) des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Verfahren betreffend Österreich, in denen eine Verletzung des durch Art 10 EMRK geschützten Rechts auf freie Meinungsäußerung geltend gemacht wurde. Die Übersicht beginnt mit 1.11.1998**) und enthält Urteile und Entscheidungen, mit denen Beschwerden als unzulässig beurteilt wurden; die (seltenen) Entscheidungen, mit denen Beschwerden für zulässig erklärt wurden, habe ich nicht aufgenommen. Urteile und Entscheidungen, mit denen - etwa wegen einer gütlichen Einigung - Rechtssachen aus dem Register gestrichen wurden, finden sich am Ende der Aufstellung.

2023
  • 5. September 2023, Zöchling gegen Österreich (Appl. no. 4222/18); Urteil eines Ausschusses nach Art. 28 EMRK; die Beschwerdeführerin war Journalistin beim Nachrichtenmagazin profil und Gegenstand negativer Artikel auf der FPÖ-nahen Plattform "unzensuriert.at"; zu einem Artikel gab es herabwürdigende bzw. zu Gewalt aufrufende Postings gegen sie (zB "Schade, das es keine gaskammern mehr gibt!!" oder "Bild der Zielperson mit Erfolg ausgedruckt … und wurde erfolgreich als Zielscheibe verwendet [...] Allen Kameraden viel Erfolg bei eigenen Schießübungen – STOP"), die erst nach 11 Tagen gelöscht wurden, nachdem die Medieninhaberin von der Journalistin dazu aufgefordert worden war; das LG für Strafsachen Wien sprach der Journalistin eine Entschädigung nach § 6 Mediengesetz zu, das OLG Wien hob diese Entscheidung auf, unter Hinweis auf das Haftungsprivileg nach dem E-Commerce-Gesetz.  Der EGMR stellte (einstimmig) eine Verletzung des Art. 8 EMRK fest: das OLG Wien habe die in der Delfi-Rechtsprechung festgelegten Kriterien für die vorzunehmende Abwägung nicht berücksichtigt und damit die prozessualen Garantien zum Schutz des Rechts der Journalistin auf Achtung des Privatlebens verletzt.
2022
  • 26. April 2022, Mediengruppe Österreich GmbH gegen Österreich (Appl. no. 37713/18legal summary); in einem Artikel in der Tageszeitung "Österreich" am 20. Juli 2016 war über ein Treffen des damaligen Bundespräsidentschaftskandidaten N.H. mit der Bild-Zeitung berichtet worden, an dem auf Seiten des Präsidentschaftskandidaten auch ein gewisser R.S. teilgenommen hatte, der wiederum der Bruder von H.J.S. war; R.S. und H.J.S. waren wiederum gemeinsam auf einem Foto zu sehen, dass bei einer Neonazi-Demo 1987 aufgenommen worden war (siehe zu alldem auch den Bericht auf derstandard.at); im "Österreich"-Artikel wurde H.J.S. auch als "verurteilter Neonazi" bezeichnet; H.J.S. klagte deshalb erfolgreich auf Unterlassung und Entschädigung (Beschluss im Provisorialverfahren: OGH 30.01.2017, 6 Ob 2016/16g; Beschluss im Hauptverfahren: OGH 21.12.2017, 6 Ob 222/17s); der EGMR wies die Beschwerde der Medieninhaberin ab (mit 4:3 Stimmen, Dissenting Opinion von Richterin Guerra Martins, der sich Richter Vehabović und Richterin Motoc anschlossen), der OGH habe eine Abwägung in Übereinstimmung mit dem Urteil Österreichischer Rundfunk vorgenommen.  
2021
2020
  • 29. September 2020, Tretter u.a. gegen Österreich (Appl. no. 3599/10); Unzulässigkeitsbeschluss; BeschwerdeführerInnen waren mehrere AntragstellerInnen, die vor dem VfGH vergeblich mit Individualantrag die Aufhebung von Bestimmungen des SPG, insb § 53 Abs 3a und 3b, begehrt hatten (Zurückweisung durch VfGH mit Beschluss vom 01.07.2009); die auf  Art. 8, 10 und 13 EMRK gestützte Beschwerde wurde wegen mangelndem Opferstatus der Beschwerdeführerinnen als unzulässig zurückgewiesen.
  • 12. Mai 2020, Ringler gegen Österreich (Appl. no. 2309/10); die Beschwerdeführerin hatte mit Individualantrag die Aufhebung von § 53 Abs 3a und 3b SPG - der die Auskunftspflicht von Telekomanbietern gegenüber Sicherheitsbehörden regelt - beantragt (vom VfGH mit Beschluss vom 01.07.2009 zurückgewiesen); die auf Art. 8 und 13 EMRK gestützte Beschwerde wrude vom EGMR (einstimmig) zurückgewiesen, da nach Ansicht des EGMR eine Beschwerde an die Datenschutzkommission (nun Datenschutzbehörde) ein wirksames Rechtsmittel gewesen wäre, wenn die Beschwerdeführerin den Verdacht gehabt hätte, dass sie von einer Auskunftserteilung an die Sicherheitsbehörden betroffen gewesen wäre. 
2019
  • 10. Oktober 2019, Lewit gegen Österreich (Appl. no. 4782/18; Pressemitteilung; legal summary); der Beschwerdeführer, ein 1923 geborener Überlebender des KZ-Mauthausen, hatte einen Antrag auf Entschädigung nach § 8a MedienG gegen die Medieninhaberin der Zeitschrift "Aula" und den Verfasser eines Artikels in dieser Zeitschrift gestellt, aufgrund eines Artikels, in dem über die 1945 aus dem KZ Mauthausen befreiten Häftlinge ua geschrieben wurde, diese hätten „raubend und plündernd, mordend und schändend“ das Land geplagt; der Antrag wurde vom OLG Graz (wie bereits zuvor vom das LG für Strafsachen Graz) abgewiesen, ua mit der Begründung, dass der Antragsteller kein „Betroffener“ iSd § 6 Abs 1 MedienG sei; der EGMR stellte einstimmig eine Verletzung des Art. 8 EMRK fest, weil sich die nationalen Gerichte nie mit dem Kern des Vorbringens des Beschwerdeführers auseinandergesetzt hatten, wonach sich dieser durch die Aussagen persönlich betroffen und diffamiert fühlte, weil nur mehr sehr wenige Mitglieder der Gruppe der KZ-Befreiten am Leben sind (die Entscheidung erging nicht zu Art. 10 EMRK, sondern zu Art. 8 EMRK, wurde in diese Liste aber wegen des engen Zusammenhangs aufgenommen); siehe zu dieser Entscheidung die Anmerkung von Alexander Warzilek in medien und recht 2020, S. 19-22. Der nach dem Urteil des EGMR gestellte Erneuerungsantrag des Beschwerdeführers blieb erfolglos, da der OGH mit Beschluss vom 1. Juli 2020, 15 Os 36/20p, zum Ergebnis kam, dass der Beschwerdeführer zur Stellung des Erneuerungsantrags nicht legitimiert ist.
  • 23. April 2019, Grasser gegen Österreich (Appl. no. 37898/17); Unzulässigkeitsentscheidung; der ehemalige österreichische Finanzminister war gegen Unternehmer vorgegangen, die ein an Monopoly angelehntes Brettspiel unter dem Titel "KHG - Korrupte haben Geld" herausgebracht hatten; er sah dadurch sein Namensrecht verletzt, scheiterte aber vor den österreichischen Gerichten (Zurückweisung der ao. Revision durch den OGH mit Beschluss vom 25.10.2016, 4 Ob 209/16p); die auf Art. 8 EMRK gestützte Beschwerde wurde vom EGMR - in Abwägung mit den durch Art. 10 EMRK gewährleisteten Rechten der Spiel-Herausgeber - einstimmig als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen
2018
2017
  • 23. November 2017, Standard Verlagsgesellschaft mbH gegen Österreich (Appl. nos. 19068/13 und 73322/13); Urteil eines Ausschusses nach Art. 28 EMRK; Vorwurf, "Spiritus Rector" einer Bespitzelungsaktion zu sein, ist Tatsachenbehauptung; Verpflichtung zu Entschädigung und Unterlassung kein Verstoß gegen Art. 10 EMRK (siehe im Blog dazu hier).
  • 2. Mai 2017, Haupt gegen Österreich (Appl. no. 55537/10; Pressemitteilung); Unzulässigkeitsentscheidung; der Beschwerdeführer, ehemaliger österreichischer Vizekanzler, behauptete eine Verletzung (ua) des Art. 8 EMRK, weil ein zu seinen Gunsten ergangenes Urteil, in dem ATV wegen eines satirischen Beitrags über ihn verurteilt worden war, nachträglich aufgehoben wurde (mehr dazu hier); die Beschwerde wurde einstimmig als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
2016
  • 25. Oktober 2016,  Verlagsgruppe News GmbH gegen Österreich (Appl. no. 60.818/10); Verurteilung der Medieninhaberin eines Wochenmagazins zu einer Entschädigung wegen identifizierender Verdachtsberichterstattung über den Treasurer der Hypo Alpe-Adria Bank; Verletzung des Art. 10 EMRK (einstimmig); im Blog dazu hier.
  • 16. Februar 2016, Ärztekammer für Wien und Dorner gegen Österreich (Appl. no. 8895/10); Die Ärztekammer bezeichnete eine GmbH, die Radiologiepraxen übernehmen wollte, in einem Rundschreiben und auf der Website als "Heuschrecken-Unternehmen" bezeichnet, was von den österreichischen Gerichten als Tatsachenbehauptung beurteilt wurde, bei dem die Ärztekammer den Nachweis für einen sachlich richtigen Kern nicht erbracht hatte; in einem UWG-Verfahren war die Ärztekammer daher zur Unterlassung dieser herabsetzenden Äußerungen verurteilt worden (OGH 22.01.2008, 4 Ob 236/07w): Beschwerde der Ärztekammer nicht zulässig (weil staatliche Organisation); Beschwerde des Präsidenten der Ärtzekammer zulässig, aber unbegründet (einstimmig);  im Blog dazu hier.
  • 12. Jänner 2016, Genner gegen Österreich (Appl. no. 55495/08); Verurteilung eines Mitarbeiters von "Asyl in Not" wegen über Nachrede (weil er am Tag nach dem Tod der Innenministerin Liese Prokop auf der Website des Vereins unter anderem geschrieben hatte "Die gute Meldung zum Jahresbeginn: Liese Prokop, Bundesministerin für Folter und Deportation, ist tot" und "Liese Prokop war eine Schreibtischtäterin, wie es viele gab in der grausamen Geschichte dieses Landes; völlig abgestumpft, gleichgültig gegen die Folgen ihrer Gesetze und Erlässe, ein willfähiges Werkzeug einer rassistisch verseuchten Beamtenschaft. Kein anständiger Mensch weint ihr eine Träne nach."). Keine Verletzung des Art 10 EGMR (einstimmig).
2015
  • 6. Oktober 2015, ATV Privatfernseh-GmbH gegen Österreich (Appl. no. 588542/09); Nichtzulässigkeitsentscheidung. ATV war in einem medienrechtlichen Entschädigungsverfahren wegen einem Bericht über neuen Freund der ehemaligen Gesundheitsministerin verurteilt worden. Beschwerde wurde wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges als unzulässig zurückgewiesen, da ATV keinen Erneuerungsantrag nach § 363a StPO eingebracht hatte.
  • 16. April 2015, Armellini und andere gegen Österreich (Appl. n. 14134/07); Verurteilung wegen (unrichtigem) Bestechlichkeitsvorwurf gegenüber Profifussballern in einer Tageszeitung; keine Verletzung des Art 10 EMRK (einstimmig); siehe dazu im Blog hier. 
2014
  • 7. Oktober 2014, Stefan Lichtenstrasser gegen Österreich (Appl. no. 32413/08); Unzulässigkeitsentscheidung; der Beschwerdeführer war beim "Jungunternehmertag" von einer Zeitung interviewt worden und hatte dabei ua Folgendes gesagt: "In einer Konzernstruktur kannst du deine eigenen Ideen nur schwer verwirklichen. Wenn du ein Unternehmen aufbaust, hingegen schon". Das Unternehmen trat an ihn am nächsten Tag mit dem Wunsch nach einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses heran und es kam zu einer einvernehmlichen Auflösung, die vom Beschwerdeführer nachträglich - erfolglos - bei Gericht bekämpft wurde. Die Beschwerde machte eine Verletzung des Art 10 EMRK geltend; der EGMR wies sie einstimmig als offensichtlich unbegründet zurück. 
2013
2012
2011 - keine Urteile oder Unzulässigkeitsentscheidungen 
2010 - keine Urteile oder Unzulässigkeitsentscheidungen

2009
2008
2007
2006
2005
2004
  • 25. Mai 2004, Österreichischer Rundfunk gegen Österreich (Appl. no. 57597/00); Entscheidung: Beschwerde unzulässig; Veröffentlichung eines Bildes im Zusammenhang mit Hinweisen auf die Briefbombenserie, wobei die gezeigte Person von diesbezüglichen Vorwürfen freigesprochen worden war. 
  • 13. Mai 2004, Öllinger gegen Österreich (Appl. no. 74245/01), Entscheidung: Beschwerde unzulässig; Vorwurf, dass eine Zusage über den Erhalt von Arbeitsplätzen nach einer Betriebsübernahme nicht eingehalten worden sei.
  • 13. Mai 2004, Krone Verlag Gesellschaft mbH und Gerhard Walter gegen Österreich (Appl. no. 36961/02); Entscheidung: Beschwerde unzulässig; der unzutreffende Vorwurf, "that Mr Einem had refused for political reasons to publish the correct profile of the author of the attacks because in view of the forthcoming elections he preferred to search in the right wing circles, is a statement of fact. ...The Court notes further that the Austrian courts found, after extensive taking of evidence, i.e. having heard the criminal psychologist, the Director General for public security and the responsible police officer at the time of the criminal investigations concerning the letter bombs, that this accusation was factually incorrect."
2003
2002
2001
2000
1999 und ab 1998 (ab 1.11.) - keine Urteile und Unzulässigkeitsentscheidungen

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Urteile und Entscheidungen, mit denen die Beschwerden aus dem Register gestrichen wurden:
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*) Beim EGMR ist der Begriff "Entscheidung" kein Überbegriff für Urteile und andere Formen gerichtlicher Erledigungen, sondern entspricht etwa dem, was nach österreichischem juristischem Sprachgebrauch ein Beschluss ist. Die vom EGMR selbst herausgegebene Broschüre "Der Gerichtshof in 50 Fragen" erklärt den Unterschied so: "Eine Entscheidung wird gewöhnlich von einem Einzelrichter, einem Ausschuss oder einer Kammer des Gerichtshofes erlassen. Sie betrifft nur die Zulässigkeit und nicht die Begründetheit der Rechtssache. Normalerweise prüft eine Kammer die Zulässigkeit und Begründetheit einer Beschwerde gleichzeitig. Sie fällt dann ein Urteil."
**) Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls zur EMRK, mit dem das Verfahren grundlegend geändert wurde; der EGMR spricht vom "neuen Gerichtshof" ab diesem Zeitpunkt.

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