Wednesday, November 25, 2009

Staatsfreiheit des Rundfunks, österreichische Version

Wesentlicher Bestandteil der deutschen rundfunkrechtlichen Folklore ist der Grundsatz der Staatsfreiheit (oder auch Staatsferne). Das mag für einen Außenstehenden oft schwer nachvollziehbar sein, insbesondere wenn man einen Blick auf die Organisationsstruktur der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wirft, aber das Bundesverfassungsgericht wird nicht müde, diesen Grundsatz zu betonen (fast möchte man anmerken: wider manche Evidenz), zB im Urteil vom 12. März 2008, 2 BvF 4/03, so:

"Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG fordert ... die Staatsfreiheit des Rundfunks. Es ist dem Gesetzgeber daher versagt, Regelungen zu treffen, die zulassen, dass der Staat unmittelbar oder mittelbar ein Unternehmen beherrscht, das Rundfunksendungen veranstaltet.  ... Die Parteien weisen verglichen mit anderen gesellschaftlichen Kräften eine besondere Staatsnähe auf. Sie sind ihrem Wesen nach auf die Erlangung staatlicher Macht ausgerichtet und üben entscheidenden Einfluss auf die Besetzung der obersten Staatsämter aus. ... Der Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks ist vom Gesetzgeber daher grundsätzlich auch bei der Beteiligung von politischen Parteien an der Veranstaltung und Überwachung von Rundfunk zu beachten." [Ein Grundsatz also, der grundsätzlich zu beachten ist!]

Wie schon - etwas versteckt - in diesem Blog vermerkt (hier, zweiter Bulletpoint), spitzt sich in Deutschland derzeit der Streit um die Weiterbestellung von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender zu. Roland Koch, hessischer Ministerpräsident und zugleich stellvertretender Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrats, will die Vertragsverlängerung verhindern; dagegen gibt es juristisch wohlbegründete offene Briefe (u.a. hier und hier) und viele weitere Stellungnahmen; herauszuheben ist wieder einmal ein Kommentar von Stefan Niggemeier. Ausgehend von einem Satz im offenen Brief der Staatsrechtler ("Was geschieht, wenn es die Garantie der Staatsfreiheit nicht gibt, wird uns derzeit am Beispiel anderer europäischer Staaten vor Augen geführt.") hier eine juristische Anmerkung zur österreichischen Situation:

Das österreichische Rundfunkrecht kennt die besondere Ausprägung des Grundsatzes der Staatsfreiheit, wie er in Deutschland - zumindest auf dem Papier - zelebriert wird, tatsächlich nicht. Zwar ist die österreichische Verfassungsrechtslage vielleicht noch deutlicher ist als jene in Deutschland, denn immerhin haben wir ein Bundesverfassungsgesetz über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks, nach dem "die Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Berücksichtigung der Meinungsvielfalt, die Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit der Personen und Organe" zu gewährleisten ist, während sich die deutschen rundfunkrechtlichen Theoriegebilde aus dem einfachen Satz in Art 5 Grundgesetz ableiten, wonach die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film gewährleistet werden. Dennoch hat die "Staatsfreiheit" in Österreich in der Rechtsprechung nicht einmal annähernd ein vergleichbares Gewicht erhalten wie in Deutschland. Der Verfassungsgerichtshof hat insbesondere auch ausgesprochen, dass Art I Abs 2 BVG-Rundfunk kein spezifisches Grundrecht schafft, sondern nur den Bundesgesetzgeber zur gesetzlichen Sicherstellung der Unabhängigkeit [damals nur:] des ORF verpflichtet (VfSlg 12.344/1990).

Für die Organe des ORF gilt ein "Politikerverbot", das in § 20 Abs 3 ORF-G für den Stiftungsrat, § 28 Abs 2 ORF-G für den Publikumsrat und § 26 Abs 2 ORF-G für den Generaldirektor, die Direktoren und die Landesdirektoren näher ausgeführt wird.

Über die Bestellung von Direktoren entscheidet gemäß § 21 Abs 1 Z 5 ORF-G - auf Vorschlag des Generaldirektors - der Stiftungsrat, dessen Mitglieder dabei (wie bei ihrer gesamten Tätigkeit) "dieselbe Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit wie Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft" haben (§ 20 Abs 2 ORF-G; siehe zur dabei geforderten "intelligenzmäßigen Kapazität" schon hier). Die Mitglieder des Stiftungsrates sind dabei an keine Weisungen und Aufträge gebunden (§ 19 Abs 2 ORF-G).

Wie sieht die Unabhängigkeit und Politikferne nun an einem konkreten Beispiel aus?
Nehmen wir an, dass sich - vollkommen überraschend - eine Direktorin des ORF beruflich verändern will und daher ihren Direktoren-Job aufgibt. In diesem Fall muss der Generaldirektor die Funktion mit einer Bewerbungsfrist von vier Wochen ausschreiben (§ 27 Abs 1 ORF-G) und dann dem Stiftungsrat einen Vorschlag für die Besetzung dieser Funktion vorlegen (§ 24 Abs 1 ORF-G). Grundvoraussetzung für die Bestellung zum Direktor ist nach § 26 Abs 1 ORF-G die volle Geschäftsfähigkeit (dh ein Mindestalter von 18 Jahren und kein Sachwalter) und "eine entsprechende Vorbildung oder eine fünfjährige einschlägige oder verwandte Berufserfahrung". Zu beachten ist dabei freilich, dass nach § 27 Abs 2 ORF-G bei der Auswahl von Bewerbern "in erster Linie die fachliche Eignung zu berücksichtigen" ist (dabei hat der Stiftungsrat nach der Rechtsprechung - VwGH 14.1.2009, 2006/04/0201 -  einen "personal- und unternehmenspolitischen Spielraum"). Eine staatliche Einflussnahme bzw. Einflussnahme von Parteien wäre demnach rechtlich nicht möglich.

Glaubt man nun den Zeitungsberichten, hat der ORF-Generaldirektor offenbar am Abend des 16. November 2009, ohne jeglichen Bezug zu der kurz zuvor erzielten politischen Einigung über die sogenannte "Refundierung der Gebührenbefreiung", vom überraschenden beruflichen Veränderungswunsch seiner kaufmännischen Direktorin erfahren. Obwohl es schon spät war, schaffte er es großartiger Weise, schon am nächsten Morgen die Ausschreibung dieser so kurzfristig freigewordenen Funktion in der Wiener Zeitung veröffentlichen zu lassen und setzte eine Frist bis 15. Dezember 2009 für die Bewerbung. Nur wenig später wusste ein ORF-Journalist vom Wunsch des Generaldirektors, ihn für diese Funktion vorzuschlagen und kündigte seine Bewerbung an.

Nach der Ausschreibung müssen Bewerber nun ein Exposé der vorgeschlagenen Maßnahmen im Aufgabenbereich der zu besetzenden Funktion erstellen, was - angesichts der Zurückhaltung des ORF, unternehmensrelevante Daten öffentlich zugänglich zu machen - wohl umso leichter möglich sein wird, je mehr man sich schon vor Ende der Bewerbungsfrist mit konkreten Projekten im ausgeschriebenen Aufgabenbereich beschäftigen kann (wie machen das bloß die externen InteressentInnen, die sich bei einer derart offenen Ausschreibung mit vollkommen ungewissem Ausgang sicher zahlreich bewerben werden?).

Der Generaldirektor hat dann am 16. Dezember 2009 Zeit, die eingelangten Bewerbungen und Exposés zu studieren, gründlich zu überlegen und dem am 17. Dezember 2009 tagenden Stiftungsrat einen Vorschlag zu machen. Mit der Sorgfalt ordentlicher Aufsichtsräte werden die unabhängigen Stiftungsräte den Vorschlag prüfen und gegebenenfalls die vorgeschlagene Person bestellen. Angesichts der bekannten Unabhängigkeit und Politikferne aller Beteiligten kann daher derzeit niemand vorhersagen, wer kaufmännische(r) Direktor(in) des ORF werden wird.

So staats- und politikfern wie in Deutschland ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Österreich also allemal.

Warum sich Kommissarin Reding für Netzneutralität ausspricht

Fragen der Netzneutralität könnte man zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung der Kommunikationsfreiheit betrachten - aber es geht auch einfacher. Kommissarin Viviane Reding zum Beispiel hat am 9. November 2009 bei einer Rede unter dem Titel "Creating impact for an eUnion 2015" klargemacht, weshalb sie sich für Offenheit und Neutralität des Internet einsetzt:
"we have to remember that a fundamental merit of the Internet is the fact that it allows new providers of online services and goods to enter the market with a very limited amount of resources.
It is for this reason that I am defending the fundamental principles that underlie the Internet architecture, including its openness and neutrality."
Solange also ein "neutrales Internet" auch den einfachen Marktzutritt für Waren- und Dienstleistungsanbieter gewährleistet, braucht man sich um die Neutralität keine Sorgen machen. Wenn es aber nur um die Kommunikationsgrundrechte ginge ... ?

Tuesday, November 24, 2009

Reding und die Rückkehr der Super-Agency - Telekom-Paket angenommen

Das "Telekom-Paket" der EU ist heute auch im Europäischen Parlament angenommen worden. Nach der Pressemitteilung der Kommission soll morgen die förmliche Unterzeichnung erfolgen und am 18.12.2009 die Veröffentlichung im Amtsblatt. Für die Umsetzung in nationales Recht bleibt 18 Monate Zeit (allerdings steht in der "Bessere Rechtsetzung"-RL "18 Monate nach dem Datum der Annahme dieser Richtlinie", also nicht erst ab Kundmachung im Amtsblatt - demnach wäre das Umsetzungsdatum also Ende Mai, nicht erst Ende Juni 2011. Keine Umsetzung braucht natürlich die Verordnung zur Einrichtung des "GEREK"). Hier wieder einmal die direkten Links zu den Letztfassungen:
Mit dem GEREK ist der Kommissionswunsch nach einer "Europäischen Behörde für die Märkte der elektronischen Kommunikation" nur in sehr reduzierter Weise Wirklichkeit geworden. Nach seiner in Art 2 der Verordnung definierten Rolle entwickelt das GEREK bewährte Regulierungspraktiken, unterstützt die nationalen Regulierungsbehörden (nur auf deren Antrag), gibt Stellungnahmen ab, erstellt Berichte, berät die Kommission und unterstützt das Europäische Parlament, den Rat und die Kommission (ebenfalls nur auf deren Antrag). Entscheidungskompetenzen kommen dem GEREK nicht zu.

Kommisarin Reding spricht dennoch vom "sogenannten" GEREK als neuer Europäischer Telekom-Regulierungsbehörde ("The new European Telecoms Authority, the so-called Body of European Regulators", Rede vom 23.11.2009): "a single, authoritative voice at the heart of the decision making process". Das ist nicht einmal falsch, denn das GEREK mag zwar nah am Entscheidungsprozess sein, getroffen werden die Entscheidungen freilich von der wirklichen Superagency: der Kommission.

PS: Die Presseaussendung besteht aus den üblichen Versatzstücken (zB "mehr Wettbewerb", "größeres Angebot", "besser versorgt", "stärker verankert", etc.), und sie kündigt wieder einmal an, dass ein "echter Binnenmarkt für Europas Telekommunikationsbetreiber und Verbraucher .. jetzt in greifbarer Nähe" sei. Wahrscheinlich hat die Nonsense Presse-Abteilung vergessen, dass sie schon im April 2007 den Fall der letzten Grenze im EU-Binnenmarkt als unmittelbar bevorstehend angekündigt hatte (damals wegen der Roaming-Verordnung).Solange Reding Kommissarin ist, kann man freilich sicher sein, dass die letzten Grenzen im Binnenmarkt wieder und wieder fallen werden.

Vermischte Lesehinweise (2)

1. Rundfunkrechtliches aus Deutschland:
2. Aus dem Ofcom-Broadcasting Bulletin:
  • Wer sich über eine zu detaillierte Rundfunkaufsicht in Österreich aufregt, kennt die britische Situation nicht: in den regelmäßig alle zwei Wochen erscheinenden Broadcast Bulletins werden auf vielen - oft über hundert - Seiten die Verfehlungen der Rundfunkveranstalter (oder Feststellungen, dass keine Verfehlungen vorlagen) ausgeführt. Das kann manchmal amüsant sein, manchmal aber auch recht grundsätzlich. Die jüngste Nummer (146) beschäftigt sich mit der (unzulässigen) werblichen Gestaltung von sponsorship credits. Die diesbezüglichen Regeln sind in Österreich aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben sehr ähnlich ("Patronanzsendungen", zB § 17 ORF-Gesetz). 
  • In Nummer 146 des Broadcast Bulletins fndet sich eine interessante Entscheidung zu den Pflichten von Rundfunkveranstaltern, die Minderjährige in ihren Programmen (hier: "Boys and Girls Alone") einsetzen.
3. Von der EU-Kommission:
4. Telekom:
5. Medien:

Monday, November 23, 2009

Postmarkt und Parlament, eine Anmerkung

Das Postmarktgesetz wurde am Mittwoch vergangener Woche - unverändert gegenüber der Regierungsvorlage (zum Entwurf siehe hier) - im Plenum des Nationalrats beschlossen. Am Donnerstag wurde es im Bundesrat dem Verkehrsausschuss zugewiesen und schon heute, am dritten Arbeitstag nach dem Nationalratsbeschluss, kam es zur Beschlussfassung im Ausschuss und gleich darauf im Plenum des Bundesrates (Parlamentskorrespondenz).

Angesichts der Streitigkeiten, die der Regierungsvorlage vorausgegangen waren, ist die rasche und zwischen den Koalitionsparteien letztlich unstrittige Beschlussfassung durchaus bemerkenswert - auch wenn der Infrastruktursprecher der ÖVP offenbar ein spannendes Match mit sich selbst ausgetragen haben dürfte, wie aus seinen Presseaussendungen vom 11.11.2009 und vom 18.11.2009 hervorgeht.

Zunächst stimmte er am 10.11.2009 im Verkehrsausschuss der Regierungsvorlage zu (Ausschussbericht 459 BlgNR 24. GP) - und stellte damit "den Antrag, der Nationalrat wolle dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf (319 der Beilagen) die verfassungs­mäßige Zustimmung erteilen."

Am nächsten Tag appellierte er an die Verkehrsministerin, eine Bestimmung  (§ 3 Abs 2 lit b des Entwurfs) "noch einmal zu überprüfen und gegebenenfalls entsprechend abzuändern." Das ist nicht nur deshalb interessant, weil er auch Mitglied der Geschäftsführung der MEDICUR-Holding ist und damit beruflich in einem gewissen Nahebezug zu einem Unternehmen steht, das von § 3 Abs 2 lit b des Entwurfs durchaus profitieren dürfte, und weil er tags zuvor noch überzeugt war, dass die Regierungsvorlage unverändert angenommen werden sollte, sondern weil die Verkehrsministerin eine Regierungsvorlage, die schon dem Nationalratsplenunm vorliegt, ja schlecht abändern kann.

Aber vielleicht war das auch gar nicht so ernst gemeint, denn im Plenum des Nationalrats hat der zwischendurch offenbar unsicher gewordene Infrastuktursprecher ohnehin wieder der (unveränderten) Regierungsvorlage zugestimmt, um noch am selben Tag in einer Pressaussendung verlauten zu lassen, dass die Entstehungsgeschichte des Postmarktgesetzes "von einer gewissen Orientierungslosigkeit und einem defizitären politischen Management geprägt" gewesen sei (er zielte mit diesem Vorwurf allerdings auf die Verkehrsministerin).

Abgesehen von dieser Anmerkung zum parlamentarischen Prozess noch ein legistisches Detail:
Das Postmarktgesetz wird am 1. Jänner 2011 in Kraft treten (§ 64 Abs 1). Von diesem Grundsatz gibt es ganz wenige Ausnahmen, darunter auch die Bestimmungen des § 59 Abs. 2 bis 5, die schon am Tag nach der Kundmachung in Kraft treten. § 59 Abs 2 und 4 (betrifft Aufgaben der Regulierungsbehörden) treten dann mit Ablauf des 31. Dezember 2010 - also noch vor Inkrafttreten des gesamten Postmarktgesetzes - schon wieder außer Kraft; für eine gewisse Verwirrung dürfte damit gesorgt sein, zumal damit im Jahr 2010 neben dem Postgesetz auch schon (teilweise vorübergehend) einzelne Bestimmungen des Postmarktgesetzes gelten.

Und schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass auch das KommAustria-Gesetz (KOG) mit dem Postmarktgesetz mit Wirksamkeit ab 1.1.2011 geändert wird - schon mit 1.1.2010 soll das KOG durch die letzte Woche dem Parlament zugeleitete Regierungsvorlage 471 BlgNR 24. GP geändert werden (und natürlich auch mit dem derzeit in Begutachtung befindlichen Entwurf zur Änderung vor allem des ORF-Gesetzes).

PS: Der Ausschussbericht zum Postmarktgesetz (laut Parlamentswebsite, sowohl in der pdf- als auch der html-Version) zählt übrigens die "wesentlichen Punkte des neuen Postmarktgesetzes" so auf :
"-       Definition des Universaldienstes
-       Definition des Universaldienstes
-       Definition des Universaldienstes
-       Definition des Universaldienstes
-       Definition des Universaldienstes"

Friday, November 20, 2009

"thy just and lawful aid"*: Volltext der Beihilfenentscheidung zur ORF-Finanzierung

Die Ende Oktober ergangene Entscheidung der Kommission, das Verfahren betreffend die "Staatliche Beihilfe E 2/2008 (ex CP 163/2004 und CP 227/2005) – Finanzierung des ORF" nach Zusicherungen durch Österreich einzustellen, ist nun auch im Volltext veröffentlicht; als Geschäftsgeheimnisse wurden, soweit ich das gesehen habe, nur die (Schätz-)Werte für das Jahr 2009 unkenntlich gemacht.

Die beabsichtigte sogenannte "Refundierung der Gebührenbefreiung" (siehe § 31 Abs 10a bis 10g ORF-G in der Fassung des Begutachtungsentwurfs) wurde von der Kommission in der Entscheidung schon berücksichtigt und - wenn sie nicht mehr als 10% der Einnahmen des ORF aus den Programmentgelten beträgt - als "nicht wesentliche Änderung" der bestehenden Beihilfe beurteilt (Randnummer 242 der Entscheidung).

Bemerkenswert ist aber, dass die Kommission nicht nur für die Zukunft von einem in der Regel fünf Jahre betragenden "Finanzierungszeitraum" (siehe § 31 Abs 2 ORF-G idF des Begutachtungsentwurfs) ausgeht, sondern offenbar auch die bestehende Rechtslage dahin verstanden hat, dass der ORF nach der Programmentgelterhöhung 2008 nun bis 2012 keine Erhöhung mehr vornehmen könnte. In RNr. 255 der Entscheidung heißt es:
"Im vorliegenden Fall wurde der dem ORF für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags zu zahlende Ausgleich kurz vor Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2008 bis zum Jahr 2012 festgesetzt, so dass dem allgemeinen Rückgang der Werbeeinnahmen auf dem Rundfunkmarkt nicht Rechnung getragen wurde. Ferner hat sich die Finanz- und Wirtschaftskrise durch die Abwertung der Vermögenswerte des ORF nachteilig auf dessen Bilanz ausgewirkt. Da der ORF trotz des gesunkenen Eigenkapitals bis 2012 das Programmentgelt nicht erhöhen kann, stimmt die Kommission mit Österreich darin überein, dass der ORF die Möglichkeit haben muss, sein Eigenkapital selbst zu erhöhen, wenn er im nächsten Finanzierungszeitraum schwarze Zahlen schreiben sollte." [Hervorhebung hinzugefügt]
Nach der geltenden Rechtslage ist das unrichtig, denn § 31 ORF-G sieht keine Bechränkungen vor, wann oder wie oft der ORF eine Erhöhung Anpassung des Programmentgelts beschließen kann. Rechtlich wäre der ORF daher keineswegs gehindert gewesen, das Programmentgelt nach Eintritt der Krise zu erhöhen (politisch ist die Sache natürlich anders, da ist eine Subvention aus dem Bundesbudget leichter durchsetzbar als eine direkte Erhöhung des Programmentgelts).

*) Shakespeare, King Henry VI, Part iii, Act III, Scene 3

Thursday, November 19, 2009

ORF-G-Novelle: Qualitätssicherung im ORF (und: wo ist Struve?)

Der Entwurf für ein "Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz, das KommAustria-Gesetz, das Telekommunikationsgesetz 2003, das Verwertungsgesellschaftengesetz 2006, das ORF-Gesetz, das Privatfernsehgesetz, das Privatradiogesetz und das Fernseh-Exklusivrechtegesetz geändert werden" (im Folgenden, der Einfachkeit halber: Entwurf für eine Novelle zum ORF-G) enthält auch detailliertere Regelungen zur Qualitätssicherung. Schon bisher gab es ja - eher indirekt formuliert über die Aufgaben des Stiftungsrates in § 21 ORF-G und des Publikumsrates in § 30 ORF-G - den Auftrag zur Einführung von Qualitätsssicherungssystemen.

Wie der ORF damit umgegangen ist, kann man teilweise dem letzten Rechnungshofbericht entnehmen: demnach war die Erarbeitung eines Qualitätssicherungssystems im Jahr 2002 eine von vier Voraussetzungen für die Auszahlung von Bonifikationen an die Generaldirektorin und die Direktoren. Die Generaldirektorin legte auch tatsächlich "einen drei Seiten umfassenden Vorschlag zur Einführung eines Qualitätssicherungssystems für Programme vor. Dieser Vorschlag basierte auf einem seit mehreren Jahren im ORF bestehenden Qualitätsmonitoring, das nunmehr auf das gesamte Programmangebot ausgeweitet und um Maßnahmen zum Jugendschutz erweitert wurde. Für diesen Vorschlag wurden der Generaldirektorin und den sechs Direktoren Bonifikationen von insgesamt rd. 63.600 EUR ausgezahlt." (Zitat aus dem Rechnungshofbericht, Hervorhebung hinzugefügt; mehr dazu schon hier).

Diese drei teuren Seiten (auf ein Honorar von € 21.200 pro Seite kommen wohl nicht viele Autoren) werden vom ORF als Geheimnis gehütet, ebenso wie die in der Folge (weiterhin) erstellten Bretschneider-Gutachten, "ob im jeweiligen Geschäftsjahr den Qualitätskriterien im Wesentlichen entsprochen wurde" (Antwort laut Rechnungshof war: ja, "insgesamt in den wesentlichen Belangen"; Preis dafür "jährlich zwischen 225.000 EUR und 279.000 EUR").

Seit Juni 2008 wacht angeblich ex-ARD Programmdirektor Günter Struve, bekannter Mitten im Achten-Fan und Verteidiger des Marienhofs, über das Qualitätssicherungssystem für Programme 2008 und 2009 (ORF-Aussendung); siehe dazu auch schon hier und hier. Was dabei genau herausgekommen ist, kann ich nicht beurteilen, veröffentlicht hat der ORF dazu bislang nichts.

Offenbar waren aber manche nicht so recht zufrieden mit der bisherigen Qualitätssicherung im ORF, denn der  Entwurf für eine Novelle zum ORF-G widment dem Qualitätssicherungssystem nun einen eigenen, ziemlich langen Paragraphen (nachzulesen hier im Entwurf, § 4a ORF-G, ab Seite 17, Erläuterungen dazu ab Seite 102; wenn die Erläuterungen von externen Gutachten schreiben, setzen sie den Begriff "Gutachten" übrigens unter Anführungszeichen). Neu ist insbesondere auch eine Transparenzverpflichtung (§ 4a Abs 7 des Entwurfs):
"Das nach den Grundsätzen dieser Bestimmung eingeführte Qualitätssicherungssystem sowie die dazu erstellten Studien und Teilnehmerbefragungen und die diesbezüglichen Beschlüsse des Stiftungsrates und des Publikumsrates sind auf der Website des ORF leicht, unmittelbar und ständig zugänglich zu machen, soweit dies rechtlich möglich ist und damit nicht berechtigte Unternehmensinteressen des ORF beeinträchtigt werden." 
Bemerkenswert ist ja, dass dem ORF offenbar alle Schritte zu mehr Transparenz gesetzlich abgerungen werden müssen (ich bin auch schon gespannt auf die Stellungnahme des ORF zu den ohnehin nicht radikalen Transparenzverpflichtungen im Gesetzesentwurf). Ich hätte vorerst nur die Anmerkung, dass anstelle der Worte "berechtigte Unternehemnsinteressen des ORF" schlicht die Worte "öffentliche Interessen" gesetzt werden: für den Träger des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sollte wohl das öffentliche Interesse der Maßstab sein.

Und dann hätte ich noch drei Fragen: Was hat Günter Struve bis jetzt konkret für den ORF gemacht? Was hat das gekostet? Wo kann man das Ergebnis nachlesen?

Bonusfrage: wann werden die drei Seiten veröffentlicht, auf denen die früherer Generaldirektorin das (offenbar derzeit noch aktuelle) Qualitätssicherungssystem des ORF skizziert hat?

PS: Die SRG hat vor kurzem ihr "Qualitätssymposium 2009" abgehalten, Details (mit Videos und  weiteren Dokumenten) dazu hier.

EuGH-Generalanwältin: obligatorischer Streitbeilegungsversuch vor Klage keine Verletzung des effektiven Rechtsschutzes

Der Friedensrichter von Ischia hat seine Vorlagefragen in den Rechtssachen C-317/08 bis C-320/08, Alassini ua (siehe dazu schon hier) zwar nicht sehr präzise formuliert und auch hinsichtlich der angesprochenen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften eher einmal grob auf den Busch geklopft - Generalwältin Kokott konnte in ihren heute dazu erstatteten Schlussanträgen aber doch eine wichtige Frage aufgreifen, deren Bedeutung weit über den Anlassfall und das Telekomrecht hinausgeht.

Ausgangspunkt des Vorabentscheidungsverfahrens sind Streitigkeiten zwischen italienischen Verbrauchern und Telekomunternehmen, für die nach italienischem Recht vor Klagserhebung zunächst ein außergerichtlicher Streitbeilegungsversuch unternommen werden muss (siehe dazu schon näher hier, mit Hinweisen auf die konkreten italienischen Rechtsvorschriften).

Die eher obskure Bezugnahme des vorlegenden Gerichts auf die Verbrauchsgüterkauf-RL und zwei Kommissions-Empfehlungen (1, 2)  wird von Generalanwältin Kokott in RNr 26 und 27 der Schlussanträge in geboten knappen Worten abgehandelt. Danach prüft die Generalanwältin die Vereinbarkeit eines obligatorischen Streitbeilegungsverfahrens mit Art 34 der UniversaldienstRL. Dort steht zwar, dass die Mitgliedstaaten sicher stellen, "dass transparente, einfache und kostengünstige außergerichtliche Verfahren zur Beilegung von Streitfällen zur Verfügung stehen", und dass sie Maßnahmen ergreifen, "um sicherzustellen, dass diese Verfahren eine gerechte und zügige Beilegung von Streitfällen ermöglichen". Die RL enthält aber keine
Aussage über die Zulässigkeit eines obligatorischen außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahrens. "Diese Frage", so die Generalanwältin, "ist daher allein am Maßstab des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes zu beurteilen."

Der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ist ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts; nationale Regelungen sind aber nur dann daran zu messen, wenn sie in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen. Dies ist bei einem obligatorischen Streitschlichtungsverfahren, das die Durchsetzung der in der UniversaldienstRL gewährten materiellen Rechte betrifft, der Fall.

Der obligatorische Streitbeilegungsversuch stellt eine zusätzliche Hürde für den Zugang zu Gericht auf und es liegt daher ein Eingriff in den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes vor (RNr. 43). Er dient jedoch einer schnelleren und kostengünstigeren Beilegung von Streitigkeiten und verfolgt somit legitime Ziele des Allgemeininteresses, zu deren Erreichung er auch geeignet ist (RNr. 45-46).
Durch das vorgeschaltete Streitbeilegungsverfahren wird die Erhebung einer gerichtlichen Klage nur unwesentlich verzögert, die Durchführung der Streitbeilegung ist kostengünstig und die Verjährung der Ansprüche ist während des Schlichtungsversuchs gehemmt, sodass im Ergebnis der Eingriff in den gerichtlichen Rechtsschutz nicht unverhältnismäßig ist (RNr.48 bis 51). Ein unverhältnismäßiger Eingriff läge allerdings vor, wenn (wie das vorlegende Gericht behauptet), der Schlichtungsversuch zwingend auf Formblättern beantragt werden muss, die auf der Internetseite der Aufsichtsbehörde zu finden sind; die Generalanwältin äußert allerdings auf Grund der italienischen Rechtsvorschriften Zweifel, ob tatsächlich nur die elektronische Antragstellung möglich ist (RNr. 52-53).

Zusammenfassend kommt Generalwältin Kokott zum Ergebnis, "dass ein vor ein Gerichtsverfahren geschaltetes obligatorisches Streitbeilegungsverfahren grundsätzlich keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz darstellt. Bestimmungen wie die streitgegenständlichen stellen einen geringfügigen Eingriff in das Recht auf gerichtliche Rechtsdurchsetzung dar, der ausgeglichen wird durch die Chance, auf kostengünstigem und schnellem Weg zu einer Beendigung des Rechtstreits zu gelangen." 

PS: Die Mediationsrichtlinie 2008/52/EG ist im konkreten Fall zwar nicht anwendbar, aber die Schlussanwältin weist auf die in dieser RL zum Ausdruck kommende Wertung hin, die auf den vorliegenden Fall übertragbar ist: nach der MediationsRL bleibt eine in nationalen Rechtsvorschriften vorgesehene Verpflichtung zur Inanspruchnahme der Mediation vor oder nach Einleitung eines Gerichtsverfahrens von unberührt, sofern diese Rechtsvorschriften die Parteien nicht daran hindern, ihr Recht auf Zugang zum Gerichtssystem wahrzunehmen.

Wednesday, November 18, 2009

TKG-Änderungen mit der "ORF-Gesetz-Novelle": Regeln für Großverfahren

Auch wenn in der öffentlichen Diskussion vor allem die Neuregelungen für den ORF im Vordergrund standen, soll der angeblich heute in Begutachtung gehende Gesetzesentwurf* (update: hier der Entwurf mit Erläuterungen, hier die Textgegenüberstellung) u. a. auch Änderungen im Telekommunikationsgesetz 2003 bringen. Diese dienen vor allem der "Aufarbeitung" der verfahrenstechnischen Nachwehen EuGH-Urteils in der Sache C-426/05 - Tele2UTA (siehe dazu hier und hier, sowie das in der Folge ergangene Erkenntnis des VwGH vom 26.3.2008, 2008/03/0020).

Zunächst sollen im KommAustria-Gesetz eigene Regelungen für Großverfahren geschaffen werden (§ 40 KOG idF des Entwurfs), die für alle Verfahren vor den Regulierungsbehörden im Sinne dieses Gesetzes (KommAustria, Telekom-Control-Kommission, RTR-GmbH und Bundeskommunikationssenat) gelten, an denen voraussichtlich mehr als 100 Personen beteiligt sind. Die Regelung ist angelehnt an die Bestimmungen für Großverfahren im AVG (§ 44a AVG), allerdings mit einigen wesentlichen Unterschieden. So kommt eine Kundmachung der Verfahrenseinleitung mittels Edikt nicht nur - wie nach dem AVG - für antragsgebundene Verfahren in Betracht, sondern auch für amtswegige Verfahren wie insbesondere Marktanalyseverfahren.Wer nicht innerhalb von sechs Wochen "seine Betroffenheit schriftlich glaubhaft macht", verliert seine Stellung als Partei im Verfahren ("Betroffenheit", so stellen die Erläuterungen klar, ist natürlich im Sinne des Gemeinschaftsrechts auszulegen, eben insbesondere im Sinne des Urteils C-426/05 - Tele2UTA).

Das Edikt zur Verfahrenseinleitung (und auch zur Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, die grundsätzlich öffentlich ist, wobei allerdings unter den Voraussetzungen des § 67e AVG die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden kann) ist nur auf der Website der Regulierungsbehörde kundzumachen, die nach dem AVG gegebene Veröffentlichungspflicht in Tageszeitungen und dem Amtsblatt zur Wiener Zeitung besteht nicht. Und schließlich kann das Verfahren "unter Zuhilfenahme von elektronischen Kommunikationswegen geführt" und auch Akteneinsicht elektronisch gewährt werden.

Im TKG sollen dementsprechend die Regeln über das Marktanalyseverfahren in § 37 adaptiert werden; in diesem Verfahren soll jedenfalls das Unternehmen, dem gegenüber spezifische Verpflichtungen beibehalten, auferlegt, abgeändert oder aufgehoben werden, Partei sein, zusätzlich jene, die gemäß § 40 Abs 2  KOG (idF des Entwurfs**) ihre Betroffenheit glaubhaft gemacht haben.

Weiters soll ein Marktanalyseverfahren, wenn die Regulierungsbehörde zum Ergebnis kommt, dass wirksamer Wettbewerb besteht, in Hinkunft nicht mehr "mit Beschluss formlos eingestellt" werden (§ 37 Abs 3 TKG 2003), sondern eine bescheidmäßige Feststellung erfolgen. Auch die Bestimmungen über das Aufsichtsverfahren nach § 91 TKG 2003 sollen nach dem Entwurf ergänzt werden, um die Parteistellung in diesem Verfahren zu regeln und außerdem die bescheidmäßige Feststellung, dass Mängel nicht mehr bestehen, ausdrücklich vorzusehen.

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*) Ich habe diesen Beitrag auf der Grundlage eines Entwurfs verfasst, der gestern auf DerStandard.at verfügbar war (heute früh habe ich den Text nicht mehr gefunden). Ich kann daher nicht garantieren, dass es sich dabei um den Entwurf handelt, der tatsächlich in Begutachtung geht. Update 18.11.2009 abends: der Begutachtungsentwurf und eine Textgegenüberstellung sind nun auf der Website des Bundeskanzleramts online.
**) In § 37 Abs 9 TKG 2003 idF des Entwurfs wird "§ 14a KOG" zitiert; ich habe dieses Redaktionsversehen berücksichtigt und auf den offenkundig gemeinten § 39  40 KOG verwiesen.
Update 1.12.2009: Durch einen Kommentar zu diesem Post wurde ich dankenswerter Weise darauf hingewiesen, dass auch ich mich vergriffen habe: meine "Berichtigung" verwies zunächst auf § 39, statt richtig auf § 40 KOG. Der Kommentar ist aber irgendwo - wohl in der Spam-Abwehr - verlorengegangen - sorry!

Tuesday, November 17, 2009

ORF-TVThek: Kreuzfahrten verkaufen für die "Zielgruppe der reiferen ORF-GebührenzahlerInnen"

Der Pensionistenverband hat heute nicht nur seinen Kandidaten für die Publikumsratswahl bekannt gegeben, sondern bei dieser Gelegenheit auch gleich protestiert - und zwar "gegen die kolportierten Pläne des ORF, 'Schöner leben', die einzige Sendung, die direkt für die Zielgruppe der reiferen ORF-GebührenzahlerInnen abzielt, einzustellen."
Glücklicherweise gibt es mittlerweile die "TVThek" des ORF, auf der man gleich nachsehen kann, welches televisionäre Wunderwerk hier in Gefahr sein könnte. Also habe ich mir einen Teil der letzten Sendung angesehen und bin angemessen beeindruckt. Zum Beispiel von einem Beitrag, der so einmoderiert wird:
"Ein wirklicher Jungbrunnen ist sicherlich auch eine gelungene Urlaubsreise. Und eine Reise, die Ihnen sicher lange Zeit in guter Erinnerung bleiben wird, ist unsere Ostseekreuzfahrt. Die reizstoffarme Seeluft wirkt sich zum Beispiel positiv auf Haut, Lunge und Immunsystem aus und auf dieser Reise erleben Sie auch die Höhepunkte des Nordens, und zwar von Kiel bis Kopenhagen."
und endet so:
"Wenn auch Sie die außergewöhnlichen Genüsse der Schöner-Leben Kreuzfahrt in den Norden genießen wollen, kommen Sie im Mai 2010 an Bord. Informationen unter der kostenfreien Reisehotline 0800 800 303 und auf unserer Homepage tv.ORF.at/schoenerleben".

Dazwischen liegen etwa acht Minuten Reisebericht (mehr will ich dazu gar nicht sagen). Die "Reisehotline" verweist übrigens (wie auch die ORF-Kundendienst-Seite) weiter auf eine Website, die von einem Reisebüro betrieben wird. Auf dieser Reisebüro-Website wird man so empfangen:
"Es freut uns, dass wir Ihnen mit den Reiseberichten im Lifestyle-Magazin 'Schöner leben' Gusto aufs Reisen machen! ...
Da [xy] Reisen die 'Schöner leben' Reisen maßschneidert, können wir für jeden Typ und für verschiedene Reisebudgets die richtige Reise bieten.
"
Unterzeichnet ist das von jemandem mit dem Etikett "Redaktionelle Leitung 'Schöner Leben' / ORF"

Monday, November 16, 2009

"Mach dir ein eigenes Gesetz": neues "Fernsehgesetz" auf Parlamentswebsite

In den Verhandlungen zur geplanten Änderung des ORF-Gesetzes ist nun offenbar zwischen SPÖ und ÖVP Einigung erzielt worden (Standard, Presse, Kurier, Kleine Zeitung, OÖ Nachrichten). Dass auch zumindest eine der drei Oppositionsparteien schon Teil dieser Einigung wäre, habe ich allerdings nirgends gelesen - insoweit wird man auch den kommenden Begutachtungsentwurf noch nicht als abgeschlossenes Werk ansehen können. Zumindest hinsichtlich der Medienbehörde, für die es wohl eine Verfassungsmehrheit braucht, kann man also noch auf interessante Auseinandersetzungen gespannt sein. [update 17.11.2009: heute ist schon der/die neue kaufmännische Direktor(in) ausgeschrieben, gefordert sind wie üblich entweder "Vorbildung" oder einschlägige / verwandte Berufserfahrung; mit der Einigung über das Gesetz hat das sicher keinen Zusammenhang]

Viel einfacher ginge es, würde man vom "Gesetzesgenerator" (hier im Bild) Gebrauch machen, den eine Website der Parlamentsdirektion großzügigerweise bereit stellt."Entwirf [...] dein eigenes Gesetz. Das macht Spaß", heißt es dort (fairerweise muss man anmerken, dass es sich um eine an Kinder gerichtete Website handelt, mit dem Ziel der "spielerischen Vermittlung von Demokratie und Parlamentarismus"). Ganz trivial ist die Sache aber doch wieder nicht:
"Ein Gesetz entsteht nicht einfach so. Da müssen jede Menge Überlegungen und Entscheidungen getroffen werden: Zuerst braucht dein Gesetz einen Namen."
Das wäre das geringste Problem, "Fernsehgesetz" könnte man es zum Beispiel nennen - aber dummerweise gibt es das schon: hier. Das Gesetzblatt enthält allerdings noch folgenden kleingedruckten Hinweis: "Dieses mit dem Gesetzesgenerator erstelle Dokument dient ausschließlich pädagogischen Zwecken." (als ich studierte, hieß es übrigens noch "lex imperat, non docet", und auch die legistischen Richtlinien des BKA sagen: "Gesetze und Verordnungen sind grundsätzlich zur Erzeugung von Rechtsnormen bestimmt. Daher sind ... belehrende Ausführungen ... zu vermeiden.").

PS, ganz im Ernst: Ein wirkliches Ärgernis auf dieser Kinder-Website des Parlaments sind die Nutzungsbedingungen. Nett finde ich, dass sich die Parlamentsdirektion offenbar nicht ganz sicher ist, ob man diese Seite überhaupt anschauen darf, denn zunächst heißt es zwar: "Jeder Benutzer / Jede Benutzerin ist berechtigt, die auf der Webseite www.demokratiewebstatt.at angebotenen Informationen abzurufen und die angebotenen Leistungen zu nutzen." Doch gleich im nächsten Punkt steht dann: "Jede auch nur auszugsweise, gewerbliche oder private Nutzung bedarf der vorherigen schriftlichen Genehmigung." Aber vielleicht wurden die Nutzungsbedingungen auch in einem AGB-Generator erstellt ("Entwirf deine eigenen Nutzungsbedingungen - das macht Spaß!"). Den Hinweis, dass die Nutzungsbedingungen nur pädagogischen Zwecken dienen, habe ich allerdings bis jetzt nicht entdeckt. Ein lehrreiches Beispiel dafür, wie man AGB für Online-Angebote nicht gestalten sollte, sind diese Nutzungsbedingungen aber jedenfalls.

Sunday, November 15, 2009

Repräsentative Räte (Teil 1): der Publikumsrat (oder: was der Kameradschaftsbund mit Bildung zu tun hat)

"Das Rätewesen als Zusammenarbeit von Ratgebern und Ratholern auf Gegenseitigkeit ist über die Bestimmung der Interessenvertretung in sich verbundener Menschengruppen hinaus die natürliche Organisationsform jeder Gesellschaft überhaupt", heißt es in Erich Mühsams anarchistischer Streitschrift "Alle Macht den Räten". Nun soll der Publikumsrat des ORF zwar in einer gewissen Weise Abbild der Gesellschaft sein, die Gefahr (oder neutral: Perspektive), dass ihm allzu viel Macht zukommt, besteht freilich nicht, denn de facto besteht die einzig wirksame Macht des Publikumsrats in der Entscheidung darüber, welche sechs seiner Mitglieder er in den Stiftungsrat entsendet (§ 30 Abs 1 Z 2 ORF-G).

Von diesen sechs Mitgliedern, die der Publikumsrat in den Stiftungsrat entsendet, müssen wiederum drei aus jenen Publikumsratsmitgliedern stammen, die "mittels Wahl durch die Rundfunkteilnehmer" (§ 28 Abs 4 bis 11 ORF-G) bestellt werden. Aus aktuellem Anlass (Ausschreibung vom 6.11.2009) ein paar Worte zum Wahlmodus:

Vorschläge: Der Bundeskanzler hat gemäß § 28 Abs 4 ORF-G Vorschläge einzuholen, und zwar (für die Direktwahl) von Einrichtungen bzw. Organisationen, die für folgende "Bereiche bzw. Gruppen" repräsentativ sind: die Bildung, der Sport, die Jugend, die älteren Menschen, die Eltern bzw. Familien, die Konsumenten. Wer als repräsentativ anzusehen ist, dafür gibt es im Gesetz keinen Hinweis (zum alten Rundfunkgesetz gab es - nur vorübergehend 1974/75 -  eine einschlägige Verordnung). Kogler/Traimer/Truppe schreiben, dass "aufgrund des statutengemäßen Zwecks in Zusammenahlt mit dem tatsächlichen Wirkungsbereich und der Mitgliederzahl" zu beurteilen sein werde, ob eine Organisation oder einrichtung repräsentativ ist. Daher hier ein kleiner "reality check", welche Einrichtungen sich bei der letzten Publikumsratswahl als repräsentativ angesehen haben (und vom BKA auch als repräsentativ genug beurteilt wurden, dass sich die von ihnen genannten Kandidaten der Direktwahl stellen konnten; Details auch hier):
  • Für den Bereich Bildung: Umweltdachverband, Verband Wiener Volksbildung, Wirtschaftsförderungsinstitut, Österreichischer Kameradschaftsbund
  • für den Bereich Jugend: Österreichische HochschülerInnenschaft, Umweltdachverband,  Kinderwelt Österreichs
  • für den Bereich ältere Menschen: Österreichischer Seniorenbund, Steirischer Seniorenbund, Pensionistenverband Österreichs
  • für den Bereich Eltern bzw. Familie: Österreichischer Familienbund, Katholischer Familienverband Österreichs, Die Kinderfreunde, Österreichischer Verband der Elternvereine an den öffentl. Pflichtschulen
  • für den Bereich Sport: Österreichische Bundes-Sportorganisation
  • für den Bereich Konsumenten: Bundesarbeitskammer, Umweltdachverband, Österreichisches Rotes Kreuz
Die Wahl. Der ORF hat nach § 28 Abs 6 ORF-G "im Rahmen der technischen Möglichkeiten und der wirtschaftlichen Tragbarkeit dafür Sorge zu tragen, dass jeder Rundfunkteilnehmer durch Stimmabgabe über Telefon, Telefax, Internet oder andere technisch vergleichbare Einrichtungen jeweils sechs Personen (eine für jeden Bereich) aus den zur Wahl stehenden Kandidaten auswählen kann. Dazu hat er eine Frist von einer Woche einzuräumen."

Wahlberechtigt sind nach dem Gesetz die "Rundfunkteilnehmer", wobei dieser Begriff durch einen Verweis auf § 2 Rundfunkgebührengesetz (RGG) definiert wird (allerdings mit der Abweichung, dass nur natürliche Personen wahlberechtigt sind). Nach dieser Bestimmung ist Rundfunkteilnehmer, "wer eine Rundfunkempfangseinrichtung im Sinne des § 1 Abs. 1 in Gebäuden betreibt". De facto konnten bei der letzten Publikumsratswahl nur "die bei der GIS erfassten" Rundfunkteilnehmer wählen (also jene, die entweder Gebühren zahlten oder von der Entrichtung der Gebühren befreit waren; nicht "erfasst" waren jene Rundfunkteilnehmer, die nach § 2 Abs 2 Z 2 RGG nicht der Gebührenpflicht unterlagen, weil für den jeweiligen Standort bereits jemand anderer die Gebühren entrichtete).

Wer bei der Publikumswahl durchfällt, kann noch immer darauf hoffen, dass er als eines der 17 vom Bundeskanzler zu bestellenden Mitglieder doch noch in den Publikumsrat einzieht. Auch dabei muss der Bundeskanzler aber aus den Vorschlägen auswählen, die ihm von "repräsentativen Einrichtungen bzw. Organisationen" gemacht werden (neben den schon genannten Bereichen auch für die Bereiche Hochschulen, Kunst, Schüler, behinderte Menschen, Volksgruppen, Touristik, Kraftfahrer und Umweltschutz).

So wurde etwa auch Helmut Pechlaner, der in der Publikumswahl unterlag, vom Bundeskanzler für den Bereich Bildung zum Mitglied des Publikumsrates bestellt. Pechlaner selbst war der Auffassung, er habe einen "ÖVP-Sitz im Publikumsrat", von dem er im Dezember 2008 aus Protest wegen einer - in keinem Zusammenhang mit dem ORF stehenden - politischen Auseinandersetzung mit dem damaligen (ÖVP-)Finanzminister Pröll zurücktrat.

Persönliche Anforderungen an Publikumsratsmitglieder bestehen - abgesehen von Unvereinbarkeitsregeln nach § 28 Abs 2 ORF-G - nur indirekt: da sechs Publikumsratsmitglieder (darunter drei der direkt gewählten) in den Stiftungsrat zu entsenden sind, hat schon der Bundeskanzler in der Ausschreibung angemerkt, dass bei den Wahlvorschlägen darauf zu achten ist, "dass die vorgeschlagenen Personen die gemäß § 20 Abs. 1 letzter Satz ORF-G für den Stiftungsrat erforderlichen Qualifikationen aufweisen." Allzu hart sind diese Kriterien allerdings auch nicht: erstens müssen die "Mitglieder die persönliche und fachliche Eignung durch eine entsprechende Vorbildung oder einschlägige Berufserfahrung in den vom Stiftungsrat zu besorgenden Angelegenheiten aufweisen" und zweitens "über Kenntnisse des österreichischen und internationalen Medienmarktes verfügen oder sich auf Grund ihrer bisherigen Tätigkeit im Bereich der Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst oder Bildung hohes Ansehen erworben haben." Zusammengefasst also: Vorbildung oder Berufserfahrung und (einfache) Kenntnisse oder hohes Ansehen.

PS: Details zu den Mitgliedern des Publikumsrates bei der letzten konstituierenden Sitzung am am 3.2.2006 hier und bei der ersten konstituierenden Sitzung am 16.10.2001 hier.