Wednesday, October 21, 2015

Wie ein Pferd aussieht, weiß vielleicht doch nicht jeder: EuGH zum Videoangebot einer Zeitungs-Website als audiovisueller Mediendienst

Der EuGH hat heute sein Urteil in der Rechtssache C-347/14 New Media Online verkündet (siehe auch die Pressemitteilung des EuGH; zum Vorabentscheidungsersuchen siehe im Blog hier). Dabei ging es im Wesentlichen um die Frage, ob die Bereitstellung von Videos mit kurzen Sequenzen aus lokalen Nachrichten, Sport und Unterhaltung auf einer Subdomain einer "elektronischen Ausgabe einer Tageszeitung" als audiovisueller Mediendienst (auf Abruf) im Sinne der RL über audiovisuelle Mediendienste anzusehen ist.

Der Generalanwalt hatte in seinen Schlussanträgen noch gemeint „Wie ein Pferd aussieht, das weiß ein jeder“, und darauf aufbauend Folgendes geschrieben:
Der Umstand, dass es in der Theorie Schwierigkeiten bereitet, den audiovisuellen Mediendienst abstrakt zu definieren, bedeutet nicht, dass er auch in der Praxis schwer zu identifizieren ist. Der größte Teil der Dienste dieser Art beruht darauf, dass auf Internetseiten Langspielfilme, Fernsehserien, Sportübertragungen usw. angeboten werden. Es handelt sich also um Formen von Sendungen, die leicht als typische Fernsehsendungen eingestuft werden können. Tauchen jedoch Zweifel auf, ist im Einklang mit dem Ziel der Richtlinie über die audiovisuellen Mediendienste in der Weise zu entscheiden, dass sie auf multimediale Internetseiten keine Anwendung findet. Als audiovisuelle Mediendienste dürfen daher nur diejenigen Internetseiten angesehen werden, die zweifelsfrei alle Kriterien dieses Dienstes erfüllen.
Der Generalanwalt war daher auch zum Ergebnis gekommen, dass die RL über audiovisuelle Mediendienste dahin auszulegen sei, dass weder die Internetseite einer Tageszeitung, die audiovisuelles Material enthält, noch irgendein Teilbereich dieser Internetseite als ein audiovisueller Mediendienst im Sinne dieser Richtlinie anzusehen sei.

Vielleicht ist es aber doch nicht so klar, wie ein Pferd aussieht: Der EuGH ist jedenfalls von den Schlussanträgen abgewichen und hat die vom österreichischen Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Fragen folgendermaßen beantwortet:
1. Der Begriff „Sendung“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) ist dahin auszulegen, dass er die Bereitstellung kurzer Videos, die kurzen Sequenzen aus lokalen Nachrichten, Sport oder Unterhaltung entsprechen, in einer Subdomain der Website einer Zeitung erfasst.
2. Art. 1 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Richtlinie 2010/13 ist dahin auszulegen, dass bei der Beurteilung des Hauptzwecks eines in der elektronischen Ausgabe einer Zeitung angebotenen Dienstes der Bereitstellung von Videos darauf abzustellen ist, ob dieser Dienst als solcher in Inhalt und Funktion gegenüber der journalistischen Tätigkeit des Betreibers der betreffenden Website eigenständig und nicht nur eine – insbesondere wegen der zwischen dem audiovisuellen Angebot und dem Textangebot bestehenden Verbindungen – unabtrennbare Ergänzung dieser Tätigkeit ist. Diese Beurteilung ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Auch Videos (sehr) kurzer Dauer (nach dem Sachverhalt ging es um Videos von "30 Sekunden bis mehrere Minuten") stehen demnach einer Einstufung als "Sendung" nicht entgegen (Rn 20). Zudem geht der EuGH davon aus, dass sich die Videos - offenbar allein weil sie auf der Website zum Abruf bereitstehen - "wie ein Fernsehprogramm an ein Massenpublikum richten und bei diesem im Sinne des 21. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2010/13 eine deutliche Wirkung entfalten können" (Rn 21); ob die Videos tatsächlich ein Massenpublikum erreichen (und bei diesem "deutliche Wirkung" entfalten), scheint es daher nicht anzukommen. Wesentlich ist der Umstand, dass die Videos in Wettbewerb zu den von den (regionalen) Fernsehsendern angebotenen Informationsdiensten treten (Rn 23) bzw dass gleiche Wettbewerbsbedingungen (Rn 31) erreicht werden.

[Da ich am Ausgangsverfahren beim Verwaltungsgerichtshof als Richter beteiligt bin, kommentiere ich die Angelegenheit nicht weiter - auch nicht die Reaktion des Verbandes Österreichischer Zeitungen. Update: siehe auch die Berichte auf lto.de, in der Wiener Zeitung, auf derstandard.at, auf kurier.at, auf EurActiv.de]

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