Sunday, January 29, 2012

"Die Novelle brachte der Telekom 10 Millionen Euro jährlich" - wirklich?

Die Novelle zur Universaldienstverordnung, deren Entstehungsgeschichte derzeit unter anderem Gegenstand des "Untersuchungsausschusses zur Klärung von Korruptionsvorwürfen" des Nationalrats ist, soll der Telekom Austria AG "10 Millionen Euro jährlich" gebracht haben.

So wird das in vielen Medien als - nicht weiter hinterfragte - Vermutung berichtet (zB in der Wiener Zeitung "10 Millionen soll das der Telekom jährlich gebracht haben"). Manchmal aber wird diese Zahl auch gleich als Tatsache präsentiert (etwa auf krone.at: "Die Novelle brachte der Telekom zehn Millionen Euro jährlich.", im News Nr 51/2011, S. 88: "...Verordnung so geändert, dass dies der Telekom zehn Millionen Euro pro Jahr mehr in die Kassen spült.", auf diepresse.com: "Resultat auf Telekom-Seite: zehn Millionen Euro Mehreinnahmen pro Jahr."). Peter Pilz vermutet noch höhere Beträge (die Presse schreibt dazu: "Laut dem Ausschussmitglied Peter Pilz (Grüne) habe man sich seitens der Telekom eine Verordnung erwartet, die 40 Millionen Euro zusätzlich einbringen könnte"). Einem Reality-Check hat diese Zahlen offenbar noch niemand unterzogen. Kann es wirklich sein, dass diese Verordnungsänderung der TA zehn Millionen Euro pro Jahr gebracht hat?

Reality-Check - warum die Novelle wohl keine zehn Mio € pro Jahr gebracht hat
Dazu vorweg nochmal ein kurzer Hinweis, was die Novelle geändert hat (mehr dazu schon hier): der Telekom Austria wurde ermöglicht, den Zugang zu den kostenlosen 0800-Rufnummern und den 0810- bzw. 0820-Rufnummern (shared cost) aus den öffentlichen Sprechstellen zu sperren. Damit brach ein Großteil des Geschäfts der calling card-Anbieter weg, die vor allem günstige Auslandstarife angeboten hatten, die man nach Anwahl einer 0800-Nummer, häufig aus Sprechstellen, nutzen konnte. Wesentliche Zielgruppen dieser Angebote waren zB MigrantInnen und TouristInnen, die keinen Festnetzanschluss nutzen konnten und denen die Handy-Tarife für Auslandstelefonate zu hoch waren.

Das Telefoniegeschäft mit den öffentlichen Sprechstellen war aber schon vor dem verstärkten Aufkommen der Calling Cards durch die rasant zunehmende Verbreitung von Mobiltelefonen deutlich unter Druck gekommen. Hier die Zahlen aus den Geschäftsberichten der Telekom Austria, die in den Jahren 2002 bis 2008 jeweils die Umsatzerlöse aus öffentlichen Sprechstellen und Mehrwertdiensten (gemeinsam) ausgewiesen hat:

2002: 67,1 Mio €
2003: 57,8 Mio €
2004: 52,6 Mio €
2005: 48,1 Mio €
2006: 44,9 Mio €
2007: 46,7 Mio €
2008: 41,2 Mio €


Ab dem Jahr 2009 wurden diese Umsätze offenbar so gering, dass die Telekom Austria auf eine gesonderte Ausweisung dieser Umsatzerlöse verzichtete und sie unter die "sonstigen Umsatzerlöse" packte. Zur Erklärung dieser Entwicklungen gibt es in den österreichischen Geschäftsberichten der TA nur recht dürftige Angaben:
"Der Rückgang der Erlöse aus öffentlichen Sprechstellen und Mehrwertdiensten ist eine Folge der rückläufigen Nutzung öffentlicher Sprechstellen." [Geschäftsbericht 2004]
"Höhere Umsätze aus Mehrwertdiensten konnten die geringere Nutzung von öffentlichen Sprechstellen nicht ausgleichen" [Geschäftsbericht 2005]
"Höhere Umsätze aus Mehrwertdiensten konnten die geringere Nutzung und Anzahl von öffentlichen Sprechstellen nicht ausgleichen" [Geschäftsbericht 2006]
"Weiters wurde nun auch in Österreich die rechtliche Grundlage für die Payphone Access Charge geschaffen, wodurch Telekom Austria berechtigt ist, für Anrufe zu 0800-Nummern über öffentliche Sprechstellen ein Entgelt an die alternativen Betreiber zu verrechnen." [Geschäftsbericht 2006]
"Im Geschäft mit öffentlichen Sprechstellen und Mehrwertdiensten stiegen die Umsätze infolge einer neuen Tarifstruktur für öffentliche Sprechstellen und des Absatzes von Wertkarten und von Mehrwertdienstleistungen, die beispielsweise für Fernsehsendungen oder Gewinnspielplattformen angeboten werden, um 4,0% auf 46,7 Mio. EUR." [Geschäftsbericht 2007]
"Die unter der Position öffentliche Sprechstellen und Mehrwertdienste erfassten Umsatzerlöse gingen um 11,8% auf 41,2 Mio. EUR zurück." [Geschäftsbericht 2008
Etwas besser dokumentiert ist die Situation in den aufgrund des damaligen Listings in New York erforderlichen Filings mit der amerikanischen Börsenaufsicht (Hervorhebung jeweils hinzugefügt):
Public payphone services and value added services
In 2004, the revenues from our public payphone and VAS decreased by 22.1% to EUR 52.6 million from EUR 67.5 million in 2003. The revenues from public payphones declined due to falling demand primarily as a result of the high mobile penetration rate. Neither the further roll-out of more attractive public multimedia stations providing access to internet, e-mail, video telephony and various other multimedia services in 2004 nor the increase in VAS from event based premium rate services traffic could offset this decline. [Quelle]
Public payphone services and value added services
In 2005 the revenues from our public payphone and VAS decreased by 8.5% to EUR 48.1 million from EUR 52.6 million in 2004. The revenues from public payphones declined due to an increased number of calls with prepaid calling cards of other providers, usable at public payphones, resulting in an decrease in charged minutes. Neither the further roll-out of public multimedia stations providing access to internet, e-mail, video telephony and various other multimedia services in 2005 nor the slight increase in VAS from calling cards could offset this decline.[Quelle]
Public payphone services and value added services
In 2006 the revenues from our public payphone and VAS decreased by 6.7% to EUR 44.9 million from EUR 48.1 million in 2005. The revenues from public payphones declined due to the decreasing usage of public payphones and an increased number of calls with prepaid calling cards of other providers, usable at public payphones, resulting in a decrease in charged minutes. Since November 2006, Telekom Austria is entitled by law to charge a Payphone Access Charge (contribution to payphone infrastructure) from operators that offer calling card services. The slight increase in VAS from event based and voting line calls could not offset this decline. [Quelle
Zusammenfassend: 
Folgt man den in Österreich publizierten Geschäftsberichten der TA, so war der Rückgang der Umsatzerlöse aus öffentlichen Sprechstellen schlicht eine Folge der "rückläufigen Nutzung", teilweise auch der "geringeren Anzahl" der Sprechstellen, von calling cards ist in diesen Berichten nicht die Rede. Nach den Filings mit der SEC waren die hohe Mobilpenetration, die geringere Nutzung und (auch, aber nicht nur!) der Anstieg der Anrufe über calling cards ursächlich für den Rückgang der Erlöse. In den - im Hinblick auf die Nutzung der calling cards interessanten - Jahren 2005 und 2006 sanken die Erlöse aus dem Segment Sprechstellen und Mehrwertdienste um 7,7 Mio €. Auch wenn man einen Anstieg bei den Mehrwertdiensten annimmt, waren das insgesamt (über zwei Jahre verteilt!) wohl kaum zehn Millionen Euro. Schaut man sich dann die Jahre 2007 und 2008 an (also jene Jahre, in denen die geänderte UDV voll wirksam wurde), sieht man einen kurzen Anstieg von 2006 auf 2007 um 1,8 Mio € und im folgenden Jahr einen Abstieg um 5,5 Mio €. Selbst wenn man realistischerweise annimmt, dass ohne Änderung der UDV der Rückgang noch deutlicher gewesen wäre: dass in diesem Geschäftssegment Jahr für Jahr zehn Millionen Euro für die TA an Mehrerlös oder "Ersparnis"allein aufgrund der UDV-Novelle zu erzielen gewesen wären, ist angesichts dieser Zahlen höchst unwahrscheinlich.

All das schließt freilich nicht aus, dass für die Änderung dieser Verordnung (oder, aus meiner Sicht viel wahrscheinlicher, aus manchen anderen Gründen) Geld in dunkle Kanäle geflossen sein könnte (bei dieser Gelegenheit ist anzumerken, dass die Transparenz der Parteienfinanzierung in Österreich nicht den europäischen Standards entspricht, wie zuletzt mit dem vernichtenden GRECO-Bericht eindrucksvoll belegt wurde).

Es ist auch nicht auszuschließen, dass innerhalb - und teilweise vielleicht auch außerhalb - der TA die Bedeutung der UDV-Novelle (oder anderer Rechtsänderungen oder Regulierungs- bzw Personalentscheidungen) etwas überzeichnet dargestellt wurde, um die diesbezüglichen Leistungen der beschäftigten Lobbyisten herauszustreichen oder für deren Notwendigkeit zu argumentieren. Ex-TA-Vorstand Rudolf Fischer etwa ist erkennbar bemüht, die unter seiner Verantwortung getätigten beträchtlichen Aufwendungen für "Lobbying" (in sehr weit verstandenem Sinne) durch die seiner Ansicht nach dadurch erzielten Erfolge zu rechtfertigen. So sagte er in einem News-Interview (News Nr. 36/2011, S. 36) auf die Frage, was die UDV-Novelle der TA gebracht habe: "Heute heißt es, es wären rund zehn Millionen Euro gewesen. Das kann stimmen."

Das kann stimmen heißt natürlich nicht: "das stimmt".

Das "Kommunikationsbarometer" im Untersuchungsausschuss

Der "Untersuchungsausschuss zur Klärung von Korruptionsvorwürfen" des Nationalrats hat am 26.01.2012 die ersten Auskunftspersonen einvernommen. Beweisthema war vor allem die Änderung der Universaldienstverordnung im Jahr 2006, was mich schon insofern fast interessieren muss, als gerade diese Novelle Thema des ersten inhaltlichen Beitrags in diesem am 26.10.2006 begonnenen Blog war. Dann war es fast fünf Jahre ruhig um diese Verordnung, bis im vergangenen August (wieder) Korruptionsvorwürfe in diesem Zusammenhang geäußert wurden. Nun nimmt sich also der Untersuchungsausschuss dieser Vorwürfe an. Von mir dazu drei Anmerkungen (eine weitere Anmerkung folgt im nächsten Beitrag):

Erstens: Gesetzeskauf?
Zunächst: die Universaldienstverordnung ist kein Gesetz, jedenfalls nicht im herkömmlichen österreichischen juristischen Sprachgebrauch, nach dem Gesetze in einem parlamentarischen Verfahren beschlossen werden, und es sich bei Verordnungen um ausführende Rechtsvorschriften handelt, die von Verwaltungsorganen wie zB einem Minister auf der Grundlage von Gesetzen erlassen werden. Ich weiß schon, dass es vereinzelt Verordnungen auf Gesetzesstufe gibt, dass man auch Verordnungen als Gesetz im materiellen Sinne verstehen kann, und dass es schließlich EU-Verordnungen gibt, die nicht nur unmittelbar bindend sind, sondern auch in einem teilweise parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren beschlossen werden. Dennoch sollte man bei der Erörterung von Korruptionsvorwürfen meines Erachtens danach unterscheiden, ob jene Rechtsvorschriften, deren Inhalt durch Lobbying (oder allenfalls eben auch durch Korruption) beeinflusst wurde (oder werden sollte), von einem Minister ohne Befassung des Nationalrats beschlossen werden konnten, oder ob das Parlament mitgewirkt hat. Bei der Universaldienstverordnung jedenfalls war der Nationalrat nicht beteiligt, um einen "Gesetzeskauf", wie in den Medien häufig geschrieben, geht es daher nicht.

Sehr verwundert war ich von der allenthalben um sich greifenden Aufregung darüber, dass ein großes Unternehmen Textvorschläge für Rechtstexte vorlegt, die schließlich auch übernommen werden. Im konkreten Fall ging es zudem nur um die Worte "und der Rufnummernbereiche 0800, 0810 und 0820", also nicht um einen besonders anspruchsvollen oder schwierig zu gestaltenden Text. Außerdem ist jedenfalls mir nicht klar, was wirklich der TA-Textvorschlag war, da im Untersuchungsausschuss angesprochen wurde, dass der Vorschlag, auch 0810 und 0820 aufzunehmen, von der RTR gekommen sein soll, bzw dass die TA auch den Rufnummernbereich 0900 habe ausnehmen wollen - beides sind freilich eher Randfragen, im Kern ging es um die über 0800-Rufnummern erreichbaren calling cards [update 30.01.2012: nun ist das Protokoll der U-Ausschuss-Sitzung vom 26.01.2012 verfügbar, da kann man die Aussagen der Auskunftspersonen im Wortlaut nachlesen]. BZÖ-NRAbg Petzner meint zudem, das BMVIT habe gegenüber dem TA-Text eine "entscheidende Einschränkung" getroffen, nämlich die Worte "so weit dies technisch möglich ist" hinzugefügt; das ist insofern falsch, als sich diese Einschränkung erstens auf den ungehinderten Zugang zu allen Rufnummernbereichen bezieht, der nur "so weit dies technisch möglich ist" zu gewährleisten ist, und zweitens diese Einschränkung schon seit der Novelle BGBl II 2000/173 besteht und bei der Novelle 2006 nur aus Gründen der Übersichtlichkeit - Neufassung der gesamten Ziffer 4 des § 23 Abs 1 UDV - wieder im Novellentext aufscheint.

Die entscheidende Frage ist doch, warum der Minister beschlossen hat, dem Wunsch der TA nach dieser Novelle nachzukommen, nicht aber, wer schließlich die paar Worte formuliert hat. Wesentlich ist: war der Minister überzeugt, dass der TA-Wunsch inhaltlich berechtigt war, oder wurde seiner Überzeugung durch (in Aussicht gestellte) finanzielle Zuwendungen, von wem und an wen auch immer, nachgeholfen? Oder, falls er inhaltlich ohnehin überzeugt war, zeigte man sich vielleicht im Nachhinein für seine Überzeugung irgendwie erkenntlich?

Wer den Text verfasst hat, ist im konkreten Fall schon deshalb vollkommen irrelevant, weil ohnehin klar ist, dass es inhaltlich um die Umsetzung eines Wunsches der TA ging. Für sich muss das auch nicht schlecht sein: es gibt häufig Gesetzes- oder Verordnungsänderungen, weil sich bestehende Regelungen - oft aus Gründen, mit denen man bei der ursprünglichen Normsetzung nicht rechnen konnte oder jedenfalls nicht gerechnet hat - als nachteilig für bestimmte Unternehmen erweisen. In solchen Fällen ist es durchaus angebracht, die Vorschriften zu ändern, sofern dies ohne Beeinträchtigung öffentlicher Interessen möglich ist und gegenläufige private Interessen (zB anderer betroffener Unternehmen oder von BürgerInnen etc.) als politisch nicht wesentlich beurteilt werden.

Dass betroffene Unternehmen, deren Interessenvertreter und Lobbyisten nicht nur allgemeine Wünsche äußern, sondern konkret darlegen, wie diese Wünsche in Rechtsvorschriften zu fassen wären, ist weder neu noch ungewöhnlich; es betrifft auch nicht nur die Ministerialebene (wo die meisten Rechtstexte formuliert werden), sondern natürlich auch die parlamentarische Ebene. Im Telekombereich sollten die Abgeordneten, die sich nun im Untersuchungsausschuss über die Vorschläge von der TA wundern, vielleicht einmal ihre für Telekomsachen fachzuständigen KollegInnen fragen, ob sie nicht den einen oder anderen "fachlichen Input" von der TA wie auch von anderen Unternehmen bekommen haben. Nicht immer führen diese Vorschläge tatsächlich zu Gesetzen, aber wie das hier gezeigte ältere Beispiel zeigt, ist es nicht ungewöhnlich, dass die TA Abänderungen, die sie sich im Gesetzgebungsprozess wünscht, fertig vorformuliert den Abgeordneten zur Verfügung stellt (ich habe das Beispiel hier schon mal erwähnt).

Ein untrügliches Zeichen, dass der Text vom Unternehmen selbst oder von Lobbyisten stammt, ist es übrigens, wenn er legistisch mangelhaft ist und mehr atmosphärisch zur Beruhigung der Unternehmensspitze dient als zu einer materiell entscheidenden Rechtsänderung (Beispiele dafür wären etwa die demonstrative Erwähnung von "Kosten und Risken" in § 1 Abs 2 Z 2 lit c und § 42 Abs 2 TKG 2003 in der Fassung dieses Initiativantrags [mehr dazu hier] oder § 42 Abs 1 TKG 2003 in der Fassung der jüngsten Novelle [dazu hier]).

Nochmal: entscheidend ist nicht, wer einen Verordnungs- oder Gesetzestext schreibt. Entscheidend ist vielmehr, wer und aus welchen Gründen den Rechtstext in der jeweiligen Fassung beschließt.


Zweitens: im Behörden-Wirrwarr
Da ich die Betroffenen persönlich kenne, andererseits aber im Untersuchungsausschuss natürlich nicht dabei war, will ich weder die - in den Medien berichteten - Aussagen der am 26. Jänner vernommenen Auskunftspersonen kommentieren, noch das überraschende Fernbleiben des Geschäftsführers für den Fachbereich Telekom und Post der RTR, der als erste Auskunftsperson hätte aussagen sollen. Dabei fiel aber wieder auf, wie unübersichtlich die Konstruktion der Telekom-Regulierungsbehörden nicht nur für die JournalistInnen, sondern auch für die Abgeordneten ist.

Denn der Geschäftsführer der RTR für den Fachbereich Telekom und Post, Dr. Georg Serentschy, ist natürlich "nicht irgendwer", insoweit stimme ich dem im Standard zitierten Justizsprecher der SPÖ zu. Aber er ist deshalb nicht auch gleich "Chef einer Behörde mit richterlichem Einschlag." Die in diesem Zusammenhang relevante "Behörde mit richterlichem Einschlag" wäre nämlich die Telekom-Control-Kommission, der Serentschy nicht nur nicht vorsteht (und auch gar nicht angehört), sondern der er vielmehr weisungsunterworfen ist. Serentschy ist daher auch nicht "Hüter der Telefonietarife", dessen Behörde "die Zusammenschaltungsentgelte die Netzanbieter untereinander festlegt" und regelt, "wie viel einander die Anbieter beim Universaldienst zahlen" (wie das zB orf.at schreibt); die dafür zuständige Behörde ist nämlich wiederum die Telekom-Control-Kommission, die sich dabei von der RTR als ihrem Hilfsorgan unterstützen lässt. Dass in der Praxis die tägliche Arbeit in der RTR geschieht, ändert nichts daran, dass die wesentlichen Entscheidungen von der Telekom-Control-Kommission getroffen werden.


Drittens: das Kommunikationsbarometer
Im ersten Beweisbeschluss des Untersuchungsausschusses vom 18.11.2011 wurden auch verschiedene Behörden - darunter die Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR) - zur Vorlage von Beweismitteln aufgefordert. Ganz sicher, was sie dabei sehen wollten, waren sich die Abgeordneten wohl nicht, denn es wurden zB Akten "betreffend eines Antrages der Telekom Austria hinsichtlich eines Verfahrens zur Änderung der sogenannten 'Zusammenschaltungsanordnung' [...]" angefordert. Solche Zusammenschaltungsanordnungen gab es allerdings zahlreich, gemeint sind wohl die Verfahren Z 8-11/04 (Bescheid), mit denen im zweiten Anlauf eine Payphone Access Charge eingeführt werden sollte (siehe dazu das aufhebende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes). Wenn man ganz genau sein wollte, geht es dabei übrigens nicht nur um Akten der RTR, sondern ganz wesentlich auch der Telekom-Control-Kommission, die ja - siehe schon die obige Anmerkung - entscheidende Behörde ist.

Und schließlich sollte die RTR auch Aktenstücke zur "Verordnung, mit der Bestimmungen für Kommunikationsbarometer" festgelegt werden, vorlegen. Das dürfte ist ein klassischer Diktatfehler sein, denn richtig heißt es natürlich "Kommunikationsparameter".

Aber vielleicht wäre es auch ganz gut, im Untersuchungsausschuss ein Kommunikationsbarometer aufzustellen, um das Verhandlungsklima zu beobachten.

Friday, January 27, 2012

Kurze Notiz zum Jahresbericht 2011 des EGMR

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat gestern seinen Jahresbericht 2011 sowie eine statistische Übersicht veröffentlicht. In österreichischen Fällen gab es im Jahr 2011 ganze 12 Urteile, wobei in 7 Fällen mindestens eine Verletzung der EMRK festgestellt wurde (in fünf dieser Fälle betraf dies eine überlange Verfahrensdauer nach Art 6 EMRK); Verletzungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK wurden 2011 nicht festgestellt (siehe dazu bereits hier, am Ende). Festzuhalten ist auch, dass 334 Fälle als unzulässig beurteilt oder aus der Liste gestrichen wurden.

Alle Vertragsstaaten zusammen wurden in insgesamt 32 Fällen wegen Verletzung des Art 10 verurteilt, "führend" war dabei wieder einmal die Türkei mit sechs Fällen, danach folgen die Ukraine und Portugal mit je drei Fällen und Bulgarien, Frankreich, Ungarn, Montenegro und Polen mit je zwei Fällen (angesichts der an sich schon geringen Zahlen sind diese Werte natürlich nicht statistisch signifikant). Im Hinblick auf Deutschland wurde in einem Fall - Heinisch gegen Deutschland (Appl. no. 28274/08) - eine Verletzung des Art 10 festgestellt, dies betraf die Entlassung einer Whistleblowerin. Die Schweiz fasste - wie Österreich - keine Verurteilung nach Art 10 aus.

Im Jahresbericht werden zu Art 10 folgende Fälle besonders hervorgehoben: Palomo Sanchez ua gegen Spanien (Große Kammer, dazu hier), Donaldson gegen Vereinigtes Königreich (dazu hier), Otegi Mondragon gegen Spanien (dazu hier), RTBF gegen Belgien (dazu hier), Editorial Board of Pravoye Delo und Shtekel gegen Ukraine, Uj gegen Ungarn (dazu hier) und der schon erwähnte Fall Heinisch gegen Deutschland.


Neue Unzulässigkeitsentscheidungen
In meine Übersicht der Entscheidungen zu Artikel 10 EMRK habe ich zwei kürzlich veröffentlichte Entscheidungen aufgenommen, mit denen Beschwerden als unzulässig zurückgewiesen wurden: Tănăsoaica gegen Rumänien (Appl. no. 3466/03) betreffend die Verurteilung eines Journalisten zu immateriellem Schadenersatz wegen Ehrverletzung und Floquet und Esménard gegen Frankreich (Appl. no. 29064/08 und 29979/08) betreffend eine Diffamierung zweier Untersuchungsrichter, denen im Zusammenhang mit dem mysteriösen Tod von Bernard Borrel in einem Buch verschiedene - unrichtige - Vorwürfe gemacht wurden. In beiden Fällen wurde kein Wahrheitsbeweis angetreten und nicht belegt, dass sorgfältig genug recherchiert wurde.

Sunday, January 22, 2012

EGMR: nochmals zur identifizierenden Berichterstattung, diesmal: Täter

Am 17.01.2012 hat der EGMR nicht nur in den Fällen Krone und Kurier über den Schutz eines Verbrechensopfers vor identifizierender Berichterstattung entschieden (dazu hier), sondern auch im Fall Lahtonen gegen Finnland (Appl. no. 29576/09) über den Schutz des Beschuldigten einer Straftat (und eine Woche zuvor im Fall Standard gegen Österreich Nr. 3 über den Schutz eines in unklarer Rolle in einen Bankenskandal involvierten Managers; dazu hier).

Ausgangspunkt des Falls Lahtonen war eine ungewöhnliche Straftat. Ein Polizist, der zu diesem Zeitpunkt außer Dienst war, hatte ein Auto angehalten, seinen Dienstausweis vorgezeigt und das Auto - angeblich wegen eines Notfalls - in Besitz genommen. Nach einer Panne wollte er ein zweites Auto auf diese Weise requirieren, stieß dabei aber auf zwei Polizisten in Zivil, denen er Gewalt androhte. Er raste dann mit weit überhöhter Geschwindigkeit weiter, wurde aber schließlich von der Polizei gestellt und in der Folge angeklagt.

Bald nach seiner Festnahme gab der Polizist (J.) einem Magazin - gegen Entgelt - ein Exklusivinterview. Das Magazin nannte seinen Namen nicht, zeigte aber ein Profilfoto und erwähnte, dass er sich zu dieser Zeit einer nicht freiwilligen Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzog. J. bot auch dem Magazin "Alibi", dessen Chefredakteur Herr Lahtonen war, ein Interview gegen Geld ab, was von Lahtonen abgelehnt wurde. Bald darauf veröffentlichte die Zeitschrift Alibi einen Artikel über den Fall, der sich auf die öffentlich zugänglichen Informationen aus den Gerichtsdokumenten in diesem Fall stützte. J. wurde mit seinem Namen und Geburtsjahr genannt. Der Artikel enthielt etwas Information zum persönlichen Background und aktuellen Arbeitsplatz von J., außerdem einen Bericht über die konkreten Straftaten und dass J. selbst eine psychiatrische Untersuchung gewünscht hatte. J. wurde in der Folge schuldig gesprochen, erhielt aber keine Strafe, da er für sein Handeln (wohl wegen seines psychischen Zustands) nicht verantwortlich gewesen war.

J. wandte sich an den finnischen Presserat, der gegenüber dem Journalisten eine Verwarnung aussprach, da er durch die Nennung des Namens von J. sowie durch die Information über die psychiatrische Untersuchung die gute journalistische Praxis verletzt hatte (hier die Entscheidung des Presserats). In der Folge beantragte J. die Verfolgung von Herrn Lahtonen wegen der Verbreitung von Informationen, durch die das Privatleben verletzt wurde (ein in Finnland gerichtlich strafbares Delikt nach Kapitel 24, § 8 des finnischen Strafgesetzbuchs). Nach längerem Verfahren über mehrere Instanzen wurde Herr Lahtonen zu einer Strafe von 30 Tagessätzen (insgesamt 1.170 €) und - gemeinsam mit dem Medieninhaber - zu einer Entschädigung von 5.000 € sowie zum Kostenersatz von im Ergebnis etwas über 10.000 € verurteilt.

Vor dem EGMR bestand Einigkeit über das Vorliegen eines Eingriffs in das Recht auf freie Meinungsäußerung. Zur gesetzlichen Grundlage für den Eingriff machte der Beschwerdeführer geltend, dass diese nicht ausreichend bestimmt gewesen sei. Dem folgte der EGMR nicht und argumentierte - wie schon im Fall Reinboth (dazu hier), ohne diesen dabei ausdrücklich zu zitieren -, dass der Beschwerdeführer als Journalist zumindest die Richtlinien der journalistischen Berufsausübung, die strenger als das Gesetz waren, kennen hätte müssen (wie ich schon in meinem Beitrag zum Fall Reinboth geschrieben habe, überzeugt mich das nicht).

Erfolg hatte der Beschwerdeführer aber beim Test, ob der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war. Der EGMR betont, dass die Fakten in objektiver Weise dargestellt worden waren, dass ihre Richtigkeit nie bestritten wurde und dass die Informationen auch nicht in unzulässiger Weise beschafft worden waren (anders als im "Caroline"-Fall!). Da J. ein erfahrener Polizist war und - auch wenn er in der Freizeit gehandelt hatte - seine Autorität als Polizist missbraucht hatte, sei es schwer zu sehen, wie diese Taten nicht als Angelegenheit von öffentlichem Interesse gesehen werden könnten. Dem Journalisten war zudem im Hinblick auf die Unschuldsvermutung kein Vorwurf zu machen. Und schließlich war noch die - unverhältnismäßige - Schwere der Sanktionen zu berücksichtigen. Der Gerichtshof kam daher einstimmig zum Ergebnis, dass eine Verletzung des Art 10 EMRK vorlag.

Wednesday, January 18, 2012

EGMR zu identifizierendem Bericht über Kärntner Hypo-Skandal: "persons and personal relationships were clearly of considerable importance"

"Justiz ermittelt in Haiders Hypo" lautete die fast zeitlose Überschrift über einem Artikel im Standard vom 4.4.2006 (online hier). Der Beitrag behandelte Ermittlungen gegen Verantwortliche der Hypo Alpe-Adria Bank nach dem Bekanntwerden verlustreicher Spekulationsgeschäfte (Landeshauptmann Haider hielt die Ermittlungen übrigens für "Übereifer der Justiz", sein damaliger Stellvertreter Martin Strutz, heute Nationalratsabgeordneter, bezeichnete die verspekulierten 328 Mio. Euro als "Mücke, aus der man keinen Elefanten machen soll").
Im besonderen befasste sich der Artikel auch mit dem Treasury-Bereichsleiter Christian Rauscher, der von Bankchef Kulterer und LH Haider als allein für die Spekulationsverluste verantwortlich genannt worden war. Rauscher wurde im Artikel mit vollem Namen genannt; hingewiesen wurde auch darauf, dass er der Sohn eines früheren SPÖ-Landesrats ist.

Rauscher klagte nach § 7a Mediengesetz (Schutz vor Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen) und erhielt - abweichend vom erstinstanzlichen Verfahrensergebnis - in zweiter Instanz vom OLG Wien eine Entschädigung von 5.000 € zugesprochen. Der Standard, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Windhager, erhob Beschwerde an den EGMR, der in seinem Urteil vom 10. Jänner 2012,  Standard Verlags GmbH gegen Österreich (Nr. 3) (Appl. no. 34702/07) einstimmig eine Verletzung des Art 10 EMRK feststellte.

Außer Streit stand, dass ein Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung vorlag und dass dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen war und einem legitimen Ziel - dem Schutz des guten Rufs und der Rechte Dritter - diente. Zu prüfen war daher, ob der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war.

Der EGMR merkte an, dass die nationalen Gerichte zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen waren. Beide hatten allerdings zutreffend erkannt, dass es in der Sache um eine Abwägung zwischen dem Recht der Medieninhaberin auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK und dem Recht des von der Berichterstattung Betroffenen auf Schutz seines Privatlebens nach Art 8 EMRK ging. Wesentlich war daher die Frage, ob es sich bei Rauscher um eine "public figure" handelte bzw. ob er sonst die öffentliche Arena betreten hatte ("entered the public scene). Der EGMR schloss sich diesbezüglich der Auffassung der nationalen Gerichte an, dass Rauscher weder als leitender Angestellter der Bank noch wegen des Umstands, dass sein Vater Politiker gewesen war, als "public figure" anzusehen war. Allerdings stellt die Frage, ob der Betroffene eine "public figure" war, nur ein Element unter mehreren dar, die bei der Abwägung zu berücksichtigen sind. Ein wichtiger Faktor bei dieser Abwägung ist auch der Beitrag, der durch die Veröffentlichung in der Presse zu einer Debatte im öffentlichen Interesse geleistet wird. Wörtlich heißt es im Urteil:
40. It is not in dispute in the present case that the article reported on an issue of public interest. It concerned a banking scandal which led to enormous losses by a bank, 45% of which was owned by the Land of Carinthia. Against this background, the article dealt with the fact that politics and banking were intertwined on the one hand and reported on the opening of an investigation by the public prosecutor on the other hand. In this connection the Court reiterates that there is little scope under Article 10 § 2 of the Convention for restrictions on political speech or on debate on questions of public interest [...].
41. Moreover, it is not in dispute that the facts reported in the article were correct. As head of the bank’s treasury, the claimant held a position in the management of the bank at the material time, in which he was responsible for authorising foreign currency transactions and answerable only to the executive board. The fact that his father was a former member of the regional government was not in dispute either, nor the fact – not mentioned in the article but established by the domestic courts in the course of the proceedings – that he had been a member of the bank’s supervisory board at the time when the losses were incurred and the claimant was head of its treasury.
42. [...] The Court refers to the particular duties incumbent on the media in relation to providing information on criminal proceedings [...] It accepts the Vienna Court of Appeal’s finding that the disclosure of a suspect’s identity may be particularly problematic at the early stage of criminal proceedings.
43. However, when assessing the necessity of an interference, the Court must have regard to the article as a whole. It observes that the article at issue is not a typical example of court reporting but focuses mainly on the political dimension of the banking scandal at hand. This is already made clear by its title 'Haider’s Hypo now also facing criminal investigation', which refers to Mr Haider, the then Regional Governor of Carinthia, and by the introductory text in which Mr Haider is said to have accused the authorities of being 'overzealous and politically motivated'. Apart from reporting the fact that the public prosecutor had opened an investigation into the bank’s senior management on suspicion of embezzlement, the article does not deal with the conduct or contents of the investigation as such.
44. The article’s focus is instead on the extent to which politics and banking are intertwined and on the political and economic responsibility for the bank’s enormous losses. It mentions that Mr Haider, who himself also represented the Land as a shareholder and performed a supervisory function at the bank, and Mr Kulterer from the bank’s executive board, were trying to put the blame on the claimant and in this context refers to his father, member of the Socialist Party and former member of the regional government, thus hinting at motives of party politics. Names, persons and personal relationships are clearly of considerable importance in this sphere. It is difficult to see how the applicant company could have reported on these issues in a meaningful manner without mentioning the names of all those involved, including the claimant [...].
46. In sum, the Court finds that the reasons adduced by the Vienna Court of Appeal, though being 'relevant' were not 'sufficient'. The Court therefore considers that the domestic courts have overstepped the narrow margin of appreciation afforded to them with regard to restrictions on debates of public interest. It follows that the interference with the applicant company’s right to freedom of expression was not 'necessary in a democratic society'. [Hervorhebungen hinzugefügt]
Damit gibt es erstmals seit 14.11.2008 wieder eine Verurteilung Österreichs wegen eines Verstoßes gegen Art 10 EMRK (zur Chronik der österreichischen Fälle siehe hier); in den Jahren 2009 bis 2011 ist es zu keiner Verurteilung gekommen, im Jahr 2012 gab es auch bereits zwei Österreich betreffende Urteile, in denen keine Verletzung des Art 10 EMRK festgestellt wurde (mehr dazu hier)..
Update 22.01.2012: Das UK Human Rights Blog schreibt zu diesem Fall unter dem Titel "Should bankers be namend and shamed?
Update 03.04.2012: Das EGMR-Urteil wird von Rechtsanwältin Dr. Windhager in der Zeitschrift Medien und Recht, 2012, 11-12. besprochen; sie weist auch auf eine noch beim EGMR anhängige Beschwerde in einem Parallelfall hin (zu einem Bericht in "profil"). Update 04.11.2013: der EGMR hat nun im Parallelfall, Verlagsgruppe News gegen Österreich (Appl. no. 60818/10), das "statement of facts" veröffentlicht.

Tuesday, January 17, 2012

Der Störsender am Schul-WC - eine kleine Verwaltungsübertretung als große Nachricht

Natürlich muss das eine gute Story sein, wenn sie sogar mit einem dreiminütigen Beitrag in einer der wichtigsten TV-Nachrichtensendungen des Landes gewürdigt wird: die Geschichte vom Schuldirektor, der SchülerInnen mit einem illegal betriebenen Störsender am smartphone-unterstützten Schummeln hindern will und sich darüber wundert, dass das Gerät sichergestellt und ein Verwaltungsstrafverfahren durchgeführt wird (Berichte zB auf orf.at, in SN, Krone, Presse etc; der ZIB 2-Bericht ist in der TVthek noch 6 Tage abrufbar).

Folgt man der weithin übereinstimmenden Berichterstattung und den dabei gezeigten Bildern, dann dürfte der Direktor einen Störsender (Jammer) dieser Art in Betrieb genommen haben, was nach § 74 Abs 2 TKG 2003 (auch in der zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme im Mai oder Juni 2011 geltenden Fassung) ganz eindeutig nicht zulässig ist: nach dieser Bestimmung (in der Fassung vor dem 22.11.2011) darf nämlich eine Bewilligung zur Errichtung und zum Betrieb einer elektrischen Einrichtung, deren Zweck es ist, mittels Funkwellen Funkkommunikation zu verhindern (und die daher gemäß § 3 Z 6 letzter Satz TKG 2003 als Funkanlage gilt), ausschließlich Sicherheitsbehörden erteilt werden. Seit 22.11.2011 können alle Behörden, "soweit diese mit Aufgaben der öffentlichen Sicherheit, Verteidigung, Sicherheit des Staates oder Strafrechtspflege betraut sind", eine Bewilligung erhalten,* sodass nun auch in Österreich die - in Deutschland schon länger übliche - Verwendung von Jammern in Haftanstalten möglich ist.

Das unbefugte Betreiben einer Funkanlage ist eine Verwaltungsübertretung, die nach § 109 Abs 1 Z 4 TKG 2003 mit Geldstrafe bis zu 4.000 € bedroht ist (zum Zeitpunkt der Übertretung war die Strafnorm § 109 Abs 1 Z 3 TKG 2003); nach § 109 Abs 7 TKG 2003 können im Straferkenntnis die Gegenstände, mit denen die strafbare Handlung begangen wurde, für verfallen erklärt werden. Zuständig für die Aufsicht über Telekommunikationsanlagen (zu denen auch die Funkanlagen gehören) und Verwaltungsstrafbehörde sind die Fernmeldebüros, deren Organe - etwa des "Aufsichts– und Ausforschungsdienstes" der sieben regionalen Funküberwachungen - umfassende Betretungsrechte (§ 86 Abs 4 TKG 2003) und in bestimmten Fällen auch Durchsuchungsrechte (§ 87 TKG 2003) haben.

Dass gegen den Betreiber eines Störsenders ein Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet wird, ist nicht überraschend. Auch dass bei einer offensichtlich erstmaligen Betretung unter den in diesem Fall gegebenen konkreten Umständen ein Absehen von der Strafe gemäß § 21 Abs 1 VStG erfolgt, ist nicht wirklich verwunderlich; Voraussetzung dafür ist, dass das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind. Eine - bescheidmäßige - Ermahnung ist auszusprechen, "sofern dies erforderlich ist, um den Beschuldigten von weiteren strafbaren Handlungen gleicher Art abzuhalten."

Genau das dürfte, folgt man den (meisten) Medienberichten, erfolgt sein. Also juristisch nicht gerade eine weltbewegende Geschichte, sondern eine klare Verwaltungsübertretung, bei der die Behörde wegen geringfügigen Verschuldens nicht einmal eine Strafe verhängt und auch die Funkanlage nicht für verfallen erklärt hat.

Lustig ist, was das Gratisblatt "heute" in seiner Printausgabe aus der Geschichte gemacht hat: in der Phantasie des heute-Redakteurs schickte ein Handynetzbetreiber(!) Mitarbeiter mit Peilgeräten aus, die den Störsender orteten und beschlagnahmten; außerdem habe der Schuldirektor vor Gericht müssen, wo der Richter Milde habe walten lassen - alles ein typischer Fall phantasievoller, aber grundfalscher Ausschmückung einer Agenturgeschichte.

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*) auch der ZIB 2-Bericht ist diesbezüglich unscharf: er beschreibt - wohl wegen des Anlassfalls - die Rechtslage vor dem 22.11.2011, erweckt aber den Eindruck, dass diese auch heute noch gelte. Beim Hinweis auf die "Sicherheitsbehörden" ist das eine journalistisch akzeptable Verknappung, unrichtig ist aber die Behauptung, dass laut Gesetz "der Betrieb einer Funkanlage nur mit Bewilligung zulässig" sei: mit der TKG-Novelle 2011 kam es nämlich zu einem Paradigmenwechsel, sodass die überwiegende Zahl der Funkanlagen nun ohne Bewilligung betrieben werden kann.

EGMR: Verurteilung wegen Preisgabe der Identität eines Verbrechensopfers durch Nennung der (verwandten) Täter - keine Verletzung des Art 10 EMRK

Ein Fall brutaler Kindesmisshandlung erschütterte Ende 2003 - und dann nochmals anlässlich des Strafprozesses im Jahr 2005 - die österreichische Öffentlichkeit. Vater und Stiefmutter eines zum Zeitpunkt der Übergriffe etwa zehnjährigen Mädchens wurden schließlich wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen, der absichtlichen schweren Körperverletzung, des Quälens oder Vernachlässigens einer unmündigen Person und wegen des Vergehen der Freiheitsentziehung verurteilt (siehe zB hier; die sachlich-nüchterne Aufzählung der Tathandlungen im Beschluss des OGH vom 20.9.2005, mit dem die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten zurückgewiesen wurde, kann einem näher gehen als als so manche reißerische Boulevard-Berichterstattung).

Die Kronenzeitung (und krone.at) berichtete über den Strafprozess unter Nennung des Vornamens des Opfers und der vollen Namen der Angeklagten und veröffentlichte nicht nur Bilder der Angeklagten, sondern auch des Opfers (eines hatte sie von der biologischen Mutter des Opfers bekommen, andere waren anlässlich von Krankenhausbesuchen mit der biologischen Mutter - die zu diesen Zeitpunkten nicht obsorgeberechtigt war - gemacht worden). Die Krone Verlag GmbH & Co KG wurde wegen Bekanntgabe der Identität des Opfers einer strafbaren Handlung nach § 7a Mediengesetz zu einer Entschädigung von (insgesamt) 8.000 € verurteilt, die Krone Multimedia GmbH & Co KG wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs  nach § 7 Mediengesetz zu einer Entschädigung von (insgesamt) 16.000 €.

Der Kurier veröffentlichte zwar keine Fotos des Opfers, aber deren Vornamen und die vollen Namen der Angeklagten, wodurch das Opfer identifiziert werden konnte. Die Medieninhaberin des Kurier wurde nach § 7a Mediengesetz zu einer Entschädigung von (insgesamt) 10.000 € verurteilt.

Die verurteilten Medieninhaber erhoben Beschwerde vor dem EGMR, da sie sich durch die Urteile der österreichischen Gerichte in ihrem Recht auf freie Meiungsäußerung nach Art 10 EMRK verletzt erachteten. Mit den heutigen Urteilen in den Rechtssachen Krone Verlag GmbH & Co KG und Krone Multimedia GmbH & Co KG gegen Österreich (Appl. no. 33497/07) und Kurier Zeitungsverlag und Druckerei GmbH gegen Österreich (Appl. no. 3401/07) stellte der EGMR jedoch (einstimmig) fest, dass keine Verletzung des Art 10 EMRK vorlag.

Unstrittig war, dass ein Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung vorlag, dass dieser durch das Gesetz vorgesehen war und dass er ein legitimes Ziel - den Schutz der guten Rufs oder der Rechte Dritter - verfolgte. Der EGMR hatte daher zu prüfen, ob der Eingriff auch in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war.

Der EGMR betont (im Fall Krone, das Urteil im Fall Kurier ist in den wesentlichen Passagen praktisch wortgleich) zunächst, dass dem Konventionsstaat ein weiter Beurteilungsspielraum bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen zukommt (Recht der Medien zur Information der Öffentlichkeit über eine Angelegenheit des öffentlichen Interesses nach Art 10 EMRK einerseits, positive Verpflichtung des Staates zum Schutz des Privatlebens des Opfers nach Art 8 EMRK andererseits). Die nationalen Gerichte hatten eine Abwägung durchgeführt und waren zum Ergebnis gekommen, dass die Medien auch ohne Preisgabe der Identität der Angeklagten - und damit (wegen des Familienverhältnisses) des Opfers - ausreichend detailliert hätten berichten können; dieses Ergebnis wird vom EGMR geteilt:
56.  In the present case, C was not a public figure, nor does the Court consider that she has entered the public scene by becoming the victim of a criminal offence which attracted considerable public attention.
57. The Court considers further that the articles at issue dealt with a matter of public concern, a crime involving violence against a child and sexual abuse committed within the family and could well give rise to a public debate on how the commission of similar crimes could be prevented. However, given that neither the offenders nor the victim were public figures or had previously entered the public sphere, it cannot be said that the knowledge of the identity of these persons was material for understanding the particulars of the case [...]. In this connection the Court notes that the applicant companies were not prevented from reporting on all the details concerning the case of C, only from revealing her identity and publishing a picture of her from which she could be recognised.
58. On the other hand there is no doubt that the identity of the victim of a crime deserves particular protection on account of his or her vulnerable position, all the more so in the instant case as C was a child at the time of the events and had become the victim of violence and sexual abuse. In this connection the Court refers to Article 31 of the Council of Europe Convention on the Protection of Children against Sexual Exploitation and Sexual Abuse, which obliges the Contracting States 'to take the necessary legislative or other measures to protect the rights and interests of victims, by protecting their ... identity and ... by taking measures in accordance with international law to prevent the public dissemination of any information that could lead to their identification.[...]
59. The applicant companies also claimed that in 2003 they had received the authorisation of D to report on the case in the manner they did including the publication of photos of C. However, the Court notes that the Austrian courts examined this issue carefully and, having heard several witnesses, concluded that at the time of the publication at issue no valid consent to the applicant companies’ publications had existed as in 2005 D had explicitly revoked her consent given in 2003. The Court considers that these findings do not appear unreasonable and in this connection reiterates that the fact that a person cooperated with the press on previous occasions cannot serve as an argument for depriving that person of protection against the publication by the press of photographs revealing his or her identity [...].
60. Lastly, the Court considers that the interference with the applicant companies’ right to impart information was proportionate. The applicant companies have not been subject to fines imposed in criminal proceedings but ordered to pay compensation for the injury caused to the person whose identity was revealed by them to the public. The amounts of compensation, EUR 8,000 as regards the first applicant company and EUR 12,000 as regards the second applicant company, relate to two articles published. Even though substantial, the amounts appear reasonable taking into account the length of the articles, their contents which, on account of the details given, constituted a particularly serious interference [...].
61. In sum, the Court finds that, by awarding C compensation for the disclosure of her identity as the victim of a crime, the respondent State acted within its margin of appreciation in assessing the need to protect her privacy. It is satisfied that the restriction on the applicant companies’ right to freedom of expression resulting from the Court of Appeal’s judgment of 28 June 2006 was supported by reasons that were relevant and sufficient, and was proportionate to the legitimate aims pursued.
62. There has accordingly been no violation of Article 10 of the Convention.

PS: letzte Woche hat der EGMR im Fall Standard Verlags GmbH gegen Österreich (Nr. 3) (Appl. no. 34702/07) eine Verletzung des Art 10 EMRK festgestellt (update: siehe im Blog nun hier); heute auch im Fall Lahtonen gegen Finnland (Appl. no. 29576/09); update 22.01.2012: siehe dazu nun hier.