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Thursday, June 09, 2022

Kurzes Update zu den Sanktionen gegen russische Staatsmedien

Ich habe im März einen längeren Blog-Beitrag zu den EU-Sanktionen betreffend RT und Sputnik geschrieben (eine gekürzte Fassung gibt es hier auf dem Verfassungsblog). Seither ist einiges geschehen, das ich zunächst in Nachträgen/Updates bei meinem ursprünglichen Beitrag verarbeitet habe - nun schien es mir aber doch an der Zeit, die aktuellen Entwicklungen gesondert kurz darzustellen.

Nichtigkeitsklagen gegen die RT/Sputnik-Sanktionen vom 1. März 2022:

Die Sanktionen gegen RT und Sputnik sind mittlerweile Gegenstand von Nichtigkeitsklagen vor dem EuG, eingebracht einerseits durch RT France (T-125/22 RT France/Rat) und andererseits von niederländischen ISPs (T-307/22, A2B Connect u.a./Rat). In der Rechtssache T-125/22 findet am 10. Juni 2022 bereits die mündliche Verhandlung statt, mit einer relativ zeitnahen Entscheidung ist zu rechnen (der Präsident des EuG hat in seiner - ablehnenden - Entscheidung über den einstweiligen Rechtsschutz - siehe dazu auch die Pressemitteilung des EuG - bereits darauf hingewiesen, dass über die Klage "aufgrund der außergewöhnlichen Umstände" im beschleunigten Verfahren entschieden wird). [Update: zum Urteil des EuG vom 27.07.2022 in dieser Rechtssache siehe diesen Blogbeitrag; das Rechtsmittel von RT France ist beim EuGH anhängig zu C-620/22 P] Die Klage der niederländischen ISPs - die insofern interessanter ist, als darin auch und gerade die Frage der Freiheit des Zugangs zu Informationen thematisiert wird - kommt für eine Verbindung der beiden Verfahren damit zu spät. 

Erweiterung der Sanktionen gegen RT und Sputnik am 3. Juni 2022: Verbot der Werbung in Inhalten der sanktionierten Medien

Mit dem Beschluss (GASP) 2022/884 des Rates vom 3. Juni 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. L 153 vom 3.6.2022, S. 128) sowie mit der darauf aufbauenden Verordnung (EU) 2022/879 des Rates vom 3. Juni 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. L 153 vom 3.6.2022, S. 53) hat der Rat die bereits bestehenden Sanktionen gegen RT und Sputnik noch erweitert. Verboten ist nun auch, in Inhalten, die von RT und Sputnik erstellt oder gesendet werden, für Produkte oder Dienstleistungen zu werben. 

Dieses Verbot richtet sich an jedermann, betroffen davon werden neben den werbetreibenden Unternehmen selbst vor allem Agenturen bzw. Werbemittler sein. Bemerkenswert ist - abgesehen davon, dass auch hier wiederum nicht die Begrifflichkeiten aus der AVMD-Richtlinie ("kommerzielle Kommunikation") verwendet werden -  dass nur Produkt- und Dienstleistungswerbung verboten wird, nicht aber zB Werbung für Ideen oder politische Werbung. Das Verbot erstreckt sich mit dem kryptischen letzten Halbsatz ("einschließlich durch Übertragung oder Verbreitung mittels der in Absatz 1 genannten Möglichkeiten.") auch auf Werbung, die mit der Übertragung oder Verbreitung etwa im Web verbunden ist; zu denken ist hier zB an Pre-Roll-Videos oder In-App-Werbung. 

Diese neuen Sanktionen richten sich nach dem klaren Wortlaut der Norm gegen Werbung in allen "Inhalten, die von den in Anhang XV aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen erstellt oder gesendet werden"; die Formulierung in Erwägungsgrund 14 zur Verordnung ("sofern die entsprechenden Rundfunklizenzen ausgesetzt wurden") ist insofern missverständlich, als es nicht darauf ankommt, dass konkrete Lizenzen ausgesetzt wurden; gemeint ist hier wohl schlicht, dass es um jene Einrichtungen geht, die in den Anhang XV aufgenommen wurden, wodurch ja automatisch (allfällige) Rundfunklizenzen und Genehmigungen ausgesetzt werden.

Verstöße gegen diese erweiterten Sanktionen müssen von den Mitgliedstaaten natürlich bestraft werden. Da in Österreich aber die aufgrund der Sanktionen vom 1. März 2022 neu geschaffenen Strafbestimmungen im AMD-G auf bestimmte Diensteanbieter (Anbieter eines Kommunikationsdienstes, Hörfunkveranstalter und Video-Sharing-Plattformanbieter) beschränkt sind (abgesehen von wissentlichen Umgehungshandlungen), tut sich damit ein gewisser Bruch auf: wer Inhalte von RT und Sputnik verbreitet, muss von der KommAustria nach dem AMD-G verwaltungsstrafrechtlich verfolgt werden. Wer in diesen Programmen wirbt, unterliegt den Verwaltungsstrafbestimmungen des Sanktionengesetzes, die von den Bezirksverwaltungsbehörden bzw. Landespolizeidirektionen vollzogen werden.

(Mögliche) Erweiterung der Sanktionen auf weitere russische Staatssender: 

Nach dem Europäischen Rat am 30./31. Mai 2022 hat Kommissionspräsidentin von der Leyen verkündet, dass auch "die Aussetzung der Sendetätigkeiten von drei weiteren russischen Staatsmedien in der EU" Teil des beschlossenen Sanktionenpakets sei. Mit den oben bereits genannten Rechtsakten vom 3. Juni 2022 (Beschluss (GASP) 2022/884 und Verordnung (EU) 2022/879) wurden dann die davon betroffenen Medien genannt; es handelt sich dabei um 

  • Rossiya RTR / RTR Planeta 
  • Rossiya 24 / Russia 24 
  • TV Centre International

Allerdings trat die Erweiterung dieser Sanktionen auf die nun genannten weiteren Medien (durch Erweiterung der jeweiligen Anhänge zu den Rechtsakten) nicht sofort in Kraft, sondern es bedarf noch eines Durchführungsrechtsakts des Rates. Geregelt ist dies in Art. 1 Z 21 der VO (EU) 2022/879 folgendermaßen:

"Diese Nummer gilt in Bezug auf eine oder mehrere der in Anhang VI der vorliegenden Verordnung aufgeführten Organisationen ab dem 25. Juni 2022, sofern der Rat nach Prüfung der betreffenden Fälle dies im Wege eines Durchführungsrechtsakts beschließt."

Das bedeutet, dass der Rat bis spätestens 25. Juni 2022 entscheiden muss, ob die genannten Staatsmedien tatsächlich von den Sanktionen betroffen sein sollen. Diese Verzögerung könnte meines Erachtens auch damit zu tun haben, dass den Betroffenen Medien noch eine Chance zur Verteidigung eingeräumt wird - dazu wurde auch eine entsprechende Mitteilung im Amtsblatt veröffentlicht, wonach diese Einrichtungen Informationen in Bezug auf ihre Aufnahme in die Liste der sanktionierten Medien vom Generalsekretariat des Rates erhalten können. 

Sollte der Rat den Durchführungsrechtsakt vor dem 25. Juni 2022 beschließen, würden für die neu betroffenen Medien die gleichen Sanktionsregeln gelten, wie sie bereits derzeit für RT und Sputnik maßgeblich sind. 

Update 24.06.2022: der Rat hat am 24. Juni 2022 den Beschluss (GASP) 2022/995 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, getroffen und die Durchführungsverordnung (EU) 2022/994 beschlossen; beide wurden am selben Tag im Amtsblatt kundgemacht. Damit treten die Sanktionen auch gegen Rossiya RTR / RTR Planeta, Rossiya 24 / Russia 24 und TV Centre International am 25. Juni 2022 in Kraft. 

[Update 30.01.2023: zu den am 1. Februar 2023 in Kraft tretenden Sanktionen gegen weitere Medien siehe im Blog hier.]

Weitere Sanktionen gegen Medienunternehmen und Medienverantwortliche

Die Sanktionen betreffend RT und Sputnik (sowie - wahrscheinlich - ab 25. Juni 2022 betreffend Rossiya RTR / RTR Planeta, Rossiya 24 / Russia 24 und TV Centre International) richten sich gegen die Verbreitung von Inhalten dieser Medien in der EU. Sie haben damit - worauf ich schon in meinem früheren Blogpost hingewiesen habe - eine andere Stoßrichtung als die bisherigen "klassischen" restriktiven Maßnahmen gegenüber Unternehmen oder Personen, mit denen - etwas vereinfacht gesagt - die Finanzkraft und Bewegungsfreiheit dieser Unternehmen und Personen getroffen werden soll. Der Grund für solche "klassischen" Sanktionen liegt in der Beteiligung dieser Personen an jenen Handlungen, die Auslöser für die Verhängung von Sanktionen waren (oder an der ihnen zukommenden Verantwortung). Betroffen sind davon allerdings auch einzelne Medienunternehmen und Medienverantwortliche. 

So wurde im jüngsten Sanktionenpaket zum Beispiel auch Белтэлерадыёкампанiя (Belteleradio Company, das nationale staatliche Fernseh- und Hörfunkunternehmen der Republik Belarus) auf die Sanktionenliste gesetzt (Durchführungsverordnung (EU) 2022/876). Dieses Unternehmen kann damit zB keine Konten in der EU mehr eröffnen, die Verbreitung von Sendungen dieses Unternehmens innerhalb der EU ist damit aber nicht untersagt. Grund für die Aufnahme in die Sanktionenliste ist auch nicht das Verbreiten von Desinformation in der EU, sondern die Entlassung protestierender Mitarbeiter, die durch russische Medienmitarbeiter ersetzt. wurden, sodass dieses Unternehmen daher "für Repressionen gegen die Zivilgesellschaft verantwortlich" ist. 

Ebenfalls mit dem jüngsten Sanktionenpaket wurden zB auch Alina Maratovna Kabaeva (Vorsitzende des Vorstands der russischen Nationalen Mediengruppe, die "in enger Verbindung mit Präsident Vladimir Putin" steht) und Arkady Yurievich Volozh (Gründer und Vorstandsvorsitzender von Yandex, der größter russischer ISP ist und  die beliebteste russische Suchmaschine anbietet) neu auf die Sanktionenliste gesetzt. Auch Andrei Yurievich Lipov, Chef von Roskomnadzor (Föderaler Dienst für die Überwachung der Kommunikation, der Informationstechnologie und der Massenmedien, der vor allem auch für Websperren zuständig ist), wurde auf die Sanktionenliste gesetzt (alle mit Durchführungsverordnung (EU) 2022/878). 

Monday, October 11, 2021

"Ich hoffe sehr, dass es eine Gegenleistung gab: nämlich Berichterstattung und ein Inserat" - Anmerkungen zu gekaufter Berichterstattung

Die Durchsuchungs- und Sicherstellungsanordnung der Wirtschafts- und Korruptionsanwaltschaft, in der u.a. der (mittlerweile Ex-)Bundeskanzler, sein Pressesprecher, sein "Kanzlerbeauftragter für Medien" sowie Helmuth und Wolfgang Fellner verschiedener strafbarer Handlungen verdächtigt werden (es gilt die Unschuldsvermutung), enthält auch Hinweise darauf, dass es zu den "Inserate- und Medienkooperationsvereinbarungen" des Finanzministeriums mit der Mediengruppe "Österreich"  GmbH eine Nebenabrede gegeben habe, wonach "aus sachfremden und nicht im Interesse des BMF gelegenen Gründen ... im Gegenzug für die aufgrund ... von Inseratenaufträgen durch das BMF geleisteten Zahlungen - zusätzlich zu den für die Verschleierung der Tathandlungen erforderlichen gekennzeichneten Schaltungen - ... vorgegebene redaktionelle Inhalte ... veröffentlicht werden".  
 
Mit anderen Worten: redaktionelle Berichterstattung nach Wunsch im Gegenzug gegen Werbebuchungen, oder "wer schaltet, schafft an." In diese Richtung konnte man ja schon eine frühere Äußerung des Nationalratspräsidenten verstehen, der in einem Interview zu Wolfgang Fellner sagte: "Sie kennen des G'schäft jo: für's Inserat gibt's a Gegeng'schäft, oder?" (Video). Und auch der (Ex-)Bundeskanzler sagte im ZIB2-Interview mit Martin Thür am 7.10.2021 auf die Frage, ob es eine Gegenleistung für die Schaltung von Inseraten durch das BMF gab: "ich hoffe sehr, dass es eine Gegenleistung gab, nämlich Berichterstattung und ein Inserat, das ist nämlich der Preis, den man bezahlt" (Video, bei ca. 14:10). Sollte das kein Versprecher gewesen sein, würde es auch ein Verständnis nahelegen, dass die gewünschte Berichterstattung Teil des "Deals" bei einer Inseratenschaltung ist. 

Auch abseits des Strafrechts (und - für die involvierten öffentlich Bediensteten - des Dienst- bzw. Disziplinarrechts), das mich hier nicht weiter interessiert, ist dieses Verständnis von "Medienkooperationen" rechtlich problematisch, um es vorsichtig auszudrücken. Dazu ein paar Anmerkungen.

1. Für "Regierungswerbung" gibt es gesetzliche Vorgaben. 

Entgeltliche Veröffentlichungen von Rechtsträgern, die der Rechnungshofkontrolle unterliegen, müssen den inhaltlichen Anforderungen des Medienkooperations- und -förderungs-Transparenzgesetzes (MedKF-TG) entsprechen. § 3a MedKF-TG verlangt unter anderem, dass solche entgeltlichen Veröffentlichungen "ausschließlich der Deckung eines konkreten Informationsbedürfnisses der Allgemeinheit zu dienen [haben], das in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Wirkungsbereich des jeweiligen Rechtsträgers steht. Darunter fallen insbesondere Informationen zur Rechtslage sowie Handlungs- oder Verhaltensempfehlungen und Sachinformationen. Audiovisuelle Kommunikation oder entgeltliche Veröffentlichungen, die keinen konkreten Bezug zur Deckung eines Informationsbedürfnisses aufweisen und ausschließlich oder teilweise lediglich der Vermarktung der Tätigkeit des Rechtsträgers dienen, sind unzulässig."

Für den Bund enthalten die "Richtlinien über Ausgestaltung und Inhalt entgeltlicher Veröffentlichungen von Rechtsträgern des Bundes" nähere Vorgaben, insbesondere muss der Auftragnehmer vertraglich zur eindeutigen Kennzeichnung als entgeltliche Einschaltung verpflichtet werden. Außerdem ist "die ausschließliche oder auch nur teilweise Vermarktung der Tätigkeit eines Rechtsträgers untersagt". Eine solche Vermarktung liegt nach den Richtlinien insbesondere dann vor, "wenn die Veröffentlichung überwiegend der Imagepflege des Rechtsträgers dient." 

Redaktionelle Berichterstattung, die als Gegenleistung für die Schaltung von Inseraten erfolgt, ist eine  entgeltliche Veröffentlichung; sie wäre daher (medienrechtlich nach § 26 Mediengesetz) zu kennzeichnen, und sie verstößt schon deshalb, weil eine Verpflichtung zur Kennzeichnung offensichtlich nicht Teil des Auftrags war, auch gegen das MedKF-TG. Im übrigen wird eine derartige gekaufte Berichterstattung in der Regel auch die inhaltlichen Kriterien nach dem MedKF-TG (Deckung eines konkreten Informationsbedürfnisses, Rechts- oder Sachinformation oder Handlungs- oder Verhaltensempfehlung) nicht erfüllen. 

Für den Fall der Verletzung der inhaltlichen Anforderungen des MedKF-TG sieht dieses Gesetz keine Sanktion vor, insbesondere auch keine Verwaltungsstrafe oder Geldbuße. Das ändert freilich nichts daran, dass eine "gekaufte Berichterstattung" eines öffentlichen Rechtsträgers, etwa des Bundes (zB vertreten durch das BMF), nach diesem Gesetz rechtswidrig ist. 

2. Die öffentliche Hand ist auch bei der Schaltung von Inseraten zur Gleichbehandlung verpflichtet. 

Die Frage, inwieweit der Bund und andere öffentliche Rechtsträger bei der Vergabe von Inseraten auch "im geschäftlichen Verkehr" im Sinne des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) handeln und daher der lauterkeitsrechtlichen Kontrolle nach dem UWG unterliegen, war früher durchaus umstritten, die genauen Grenzen der lauterkeitsrechtlichen Kontrolle sind es immer noch. Ich spare mir hier die dogmatische Ableitung und Abgrenzung, denn für die hier interessierenden Fragen reicht ein Verweis auf die jüngere Rechtsprechung des OGH, die er insbesondere in seinem Beschluss vom 13.6.2019, 4 Ob 59/19h übersichtlich zusammenfasst. 

Demnach ist die öffentliche Hand aufgrund der Grundrechtebindung zur Gleichbehandlung von Wirtschaftsteilnehmern verpflichtet und darf diese nicht unsachlich bevorzugen oder benachteiligen.  
Eine privatwirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand unterliegt auch dann, wenn die öffentliche Hand damit überwiegende öffentliche Zielsetzungen verfolgt bzw. als reine Nachfragerin tätig ist, insoweit der lauterkeitsrechtlichen Kontrolle, als sie die Grenze des Gleichbehandlungsgebots überschreitet und einzelne Wirtschaftsteilnehmer unsachlich bevorzugt. 

Mit anderen Worten: die öffentliche Hand darf bei der Schaltung von Inseraten die Anbieter (Medien) nicht aus unsachlichen Gründen ungleich behandeln. Natürlich ist es schwierig abzugrenzen, wann eine unzulässige Ungleichbehandlung vorliegt und wann eine Differenzierung aus sachlichen Gründen. Wenn man Landwirt*innen mit Informationen zu Agrarförderungen erreichen will, wird man zulässigerweise eine Stadtzeitung anders behandeln können (und müssen) als eine Fachzeitschrift für die Landwirtschaft. Eine unzulässige Ungleichbehandlung liegt aber jedenfalls vor, wenn Anzahl oder Umfang der in einem bestimmten Medium geschalteten Werbung der öffentlichen Hand nicht von der gewünschten Reichweite oder Zielgruppe abhängig ist, sondern von Kriterien, die nichts mit dem nach § 3a Abs. 1 MedKF-TG gesetzlich einzig zulässigen Ziel - Deckung eines konkreten Informationsbedürfnisses der Allgemeinheit - zu tun haben. Das wäre zB dann der Fall, wenn Inseratenschaltungen in Abhängigkeit von (positiver oder negativer) Berichterstattung der Medien erfolgten, und natürlich insbesondere dann, wenn ein bestimmter Inhalt oder eine bestimmte Art der Berichterstattung sogar als Nebenabrede zum Vertrag über die Inseratenschaltung vereinbart würde.

Würde der Bund Inserate an eine bestimmte Berichterstattung binden, würde er nicht nur rechtswidrig handeln (einerseits nach dem MedKF-TG, andererseits wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Gleichbehandlung), sondern damit auch unlauter fremden Wettbewerb fördern. Er könnte daher gegebenenfalls von anderen Medien auf Unterlassung und - bei Verschulden - auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden. 

3. (Exkurs) Inserate als Medienförderung wären rechtswidrig.

Andy Kaltenbrunner kommt in seiner Studie "Scheinbar transparent II", einer Analyse der Inserate der Bundesregierung in Österreichs Tageszeitungen und der Presse- und Rundfunkförderung im Pandemiejahr 2020, u.a. zu folgendem Befund: "Das im Corona-Jahr 2020 in historischer Rekordhöhe dotierte Werbebudget der Bundesregierung diente nicht nur der Information der BürgerInnen, sondern auch als indirekte Medienförderung." 

Wie schon erwähnt, müssen jedoch entgeltliche Veröffentlichungen von Rechtsträgern, die der Rechnungshofkontrolle unterliegen, ausschließlich der Deckung eines konkreten Informationsbedürfnisses der Allgemeinheit dienen, das in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Wirkungsbereich des jeweiligen Rechtsträgers steht (§ 3a Abs. 1 MedKF-TG). Würde man als Vertreter*in der öffentlichen Hand also tatsächlich Inserate aus anderen Erwägungen als zur Deckung eines konkreten Informationsbedürfnisses schalten, etwa auch zum Zweck der indirekten Medienförderung, wäre dies rechtswidrig. (Strafrechtliche Fragen klammere ich auch hier aus.)

4. Einflussnahme auf redaktionelle Inhalte widerspricht der Medienethik

Als Außenstehender "auf Inhalt oder Form eines redaktionellen Beitrags" Einfluss zu nehmen, ist unzulässig, sagt der Ehrenkodex für die österreichische Presse. Dieser Ehrenkodex ist freilich kein Gesetz, und schon gar nicht kann er die darin angesprochenen "Außenstehenden" binden. Aber er enthält jedenfalls eine klare Botschaft, deren Einhaltung man sich insbesondere auch von Vertreter*innen der öffentlichen Hand erwarten dürfte. 

5. Was tun?

Der Verdacht, dass jedenfalls in der Vergangenheit Inseratenschaltungen des Finanzministeriums nicht ausschließlich von sachlich nach dem MedKF-TG zulässigen Erwägungen geleitet gewesen sein könnten, liegt mit der inzwischen öffentlich bekannten Durchsuchungsanordnung auf dem Tisch. Der aktuelle Bundesminister für Finanzen hat immerhin schon angekündigt, dass die interne Revision des BMF, mit Unterstützung der Finanzprokuratur, die Sache prüfen wird. Außerdem wurde von Oppositionsparteien ein Untersuchungsausschuss angekündigt, mit noch unklarem Auftrag. 

Aus meiner Sicht wäre es - neben der straf- und dienstrechtlichen Aufarbeitung der konkreten Verdachtsfälle - geboten, die Frage der "Inseratenpolitik" im Verhältnis zur regulären Medienförderung grundsätzlich zu überdenken (siehe dazu zB auch den "Kommentar der anderen" von Sebastian Loudon auf derstandard.at). 

Aber daneben wäre es auch angebracht, sich der Frage nach möglichen "dunklen Flecken" in der "Inseratenpolitik" der Bundesministerien grundsätzlicher zu stellen. Wünschenswert wäre - wie auch bei der Aufarbeitung dunkler Flecken in anderem Zusammenhang - eine umfassende interdisziplinäre Aufarbeitung, bei der den Forschenden voller Zugang zu allen relevanten Akten/Informationen der Ministerien gewährt wird, und bei der quantitativ und qualitativ ein möglicher Zusammenhang zwischen Inseratenschaltung und Inhalten der Berichterstattung geprüft wird. Ich bin sicher, dass ein Team von Medienökonom*innen, Publizist*innen, Politikwissenschaftler*innen und Jurist*innen hier eine spannende Aufgabe von hohem öffentlichen Interesse finden würde. Eine solche Aufarbeitung wäre meines Erachtens auch eine mögliche fachliche Grundlage für eine allfällige politische Aufarbeitung in einem Untersuchungsausschuss. Nur einen U-Ausschuss einzusetzen allein wird nämlich nicht reichen, um zu belastbaren, wissenschaftlich gesicherten Fakten über die Inseratenpolitik zu kommen. 

6. (Als PS) Auch sanktionslose Gesetze sollten eingehalten werden

Das MedKF-TG enthält für Verstöße gegen die inhaltlichen Anforderungen an "Regierungswerbung" keine Sanktionen. Wie meist bei Gesetzen, die sich an Vertreter*innen öffentlicher Rechtsträger richten, geht man davon aus, dass Gesetze schon deshalb eingehalten werden, weil es sie eben gibt. 

Das erinnert ein wenig an die Antwort von George Mallory auf die Frage, warum er den Mount Everest besteigen wolle: "Because it's there". 

Nun ist die schlichte Einhaltung eines Gesetzes keine Aufgabe, die mit der Besteigung eines Achttausenders vergleichbar wäre, aber bei der Beobachtung jüngerer Entwicklungen würde ich mir gelegentlich mehr von diesem Spirit wünschen - ein Gesetz nicht erst einhalten, wenn man Sanktionen befürchten muss, sondern schlicht: "because it's there". 

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tl;dr: selektive Inseratenvergabe, gekoppelt an inhaltliche Berichterstattung, ist rechtswidrig und unlauter. Eine umfassende interdisziplinäre Aufarbeitung der Inseratenpolitik des Bundes (und wenn wir schon dabei sind: auch der Länder) wäre notwendig.

Wednesday, February 17, 2016

EuGH: "Schwarze Sekunden" zwischen Werbespots sind in die zulässige Höchstdauer der Fernsehwerbung einzurechnen

In seinem heutigen Urteil in der Rechtssache C-314/14, Sanoma Media Finland Oy, hatte der EuGH wieder einmal Bestimmungen zur Fernsehwerbung in der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-RL) auszulegen. Dabei ging es um die Abgrenzung von Werbung und sonstigem Programm bei der Split-Screen-Werbung, um die Einbeziehung von Sponsorhinweisen außerhalb gesponserter Sendungen in die zulässige Werbezeit und schließlich um die etwas esoterisch klingende Frage, ob auch "schwarze Sekunden" in die zulässige Werbezeit einzurechnen sind.

Split-Screen: der geteilte Bildschirm ist ein ausreichender Werbetrenner
Nach Art 19 Abs 1 AVMD-RL müssen Fernsehwerbung und Teleshopping "als solche leicht erkennbar und vom redaktionellen Inhalt unterscheidbar sein" (Satz 1). Außerdem müssen müssen Fernsehwerbung und Teleshopping "durch optische und/oder akustische und/oder räumliche Mittel eindeutig von anderen Sendungsteilen abgesetzt sein." (Satz 2)

Wird am Ende einer Sendung der Bildschirm in zwei Spalten geteilt, wobei in einer Spalte der Abspann zur Sendung gezeigt wird, in der anderen Spalte "eine Programmtafel mit der Präsentation der nachfolgenden Sendungen des Diensteanbieters" (wobei ich annehme, dass dieser Teil als Werbung anzusehen ist, sonst bleibt das Urteil nämlich unverständlich), so reicht die durch die Teilung des Bildschirms erzielte räumliche Trennung aus, um die Anforderungen des Art 19 Abs 1 zweiter Satz AVMD-RL zu erfüllen. Aus dem Urteil:
36   Wie insbesondere aus der doppelten Verwendung von „und/oder“ hervorgeht, lässt dieser zweite Satz den Mitgliedstaaten die Möglichkeit offen, einige dieser Mittel auszuwählen und andere auszuschließen.
37   Folglich müssen Fernsehwerbung und Teleshopping zwar unter Anwendung der einzelnen in Art. 19 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste aufgezählten Mittel klar von den Fernsehsendungen getrennt werden. Diese Mittel müssen aber gemäß dieser Bestimmung nicht kumulativ angewendet werden. Wenn nämlich schon mit einem von ihnen, sei es optisch, akustisch oder räumlich, sichergestellt werden kann, dass die Anforderungen, die sich aus Art. 19 Abs. 1 Satz 1 dieser Richtlinie ergeben, in vollem Umfang eingehalten werden, brauchen die Mitgliedstaaten nicht den kombinierten Einsatz dieser Mittel vorzusehen.
Die Mitgliedstaaten dürfen gemäß Art 4 Abs 1 AVMD-RL strengere Regeln vorsehen; tun sie das aber nicht (wie zB auch der österreichische Gesetzgeber), so reicht also eine entweder optische oder akustische oder räumliche Trennung, um die Anforderungen des Art 19 Abs 1 zweiter Satz AVMD-RL zu erfüllen. Ob damit aber auch schon die Anforderungen des ersten Satzes erfüllt sind (leichte Erkennbarkeit als Werbung und Unterscheidbarkeit vom redaktionellen Inhalt), müssen die nationalen Gerichte beurteilen.

Generalanwalt Szpunar war in diesem Punkt in seinen Schlussanträgen noch zu einem anderen Ergebnis gekommen und hatte die Auffassung vertreten, "dass allein die Aufteilung des Bildschirms in verschiedene Teile, von denen einer für Werbung bestimmt ist, keine ausreichende Trennung dieser Werbung vom redaktionellen Inhalt darstellt."

[Allerdings lässt mich das Urteil des EuGH in diesem Punkt eher ratlos zurück, da es (in RNr 28) von einem geteilten Bildschirm spricht, "in dem der Programmabspann einer Fernsehsendung in einer Spalte und eine Programmtafel mit der Präsentation der nachfolgenden Sendungen des Diensteanbieters in einer anderen Spalte angezeigt werden, um die Sendung, die endet, von der Fernsehwerbeunterbrechung, die ihr nachfolgt, zu trennen". Da eine Programmtafel nicht zwingend Werbung sein muss, und das "Nachfolgen" zeitlich auch heißen kann, dass die Werbung erst nach Ende des Abspanns und der Programmtafel gesendet wird, könnte man das auch dahin verstehen, dass es um die Trennung von einer erst nach dem Split Screen mit Abspann/Vorschau gesendeten Werbung geht (ähnlich auch in RNr 38, wo neuerlich von der Fernsehwerbeunterbrechung die Rede ist, die einer Sendung "nachfolgt"). In den Schlussanträgen des Generalanwalts wird hingegen eindeutig auf eine Trennung zwischen Programmabspann auf der einen Seite des Split Screens und Fernsehwerbung auf der anderen Seite Bezug genommen, und nur wenn man dieses Verständnis des Sachverhalts auch dem EuGH-Urteil zugrundelegt, ergibt es Sinn.]

Sponsorzeichen außerhalb des gesponserten Programms: in Werbezeit einzurechnen
Nach Art 23 Abs 1 AVMD-RL darf der Anteil von Fernsehwerbespots und Teleshopping-Spots an der Sendezeit innerhalb einer vollen Stunde 20 % nicht überschreiten. Fraglich war , ob in die Werbezeit auch Sponsorenhinweise einzurechnen sind, die außerhalb der gesponserten Sendung gebracht werden. Solche Sponsorenhinweise wurden im Ausgangsfall etwa in den Programmhinweisen zur gesponserten Sendung oder in anderen Sendungen gebracht (eine Praxis, die auch in Österreich durchaus üblich ist).

Der EuGH ist hier knapp und argumentiert, dass nach Art 10 Abs 1 lit c der RL Sponsorenhinweise "zum Beginn, während und/oder zum Ende der Sendung" zu platzieren sind; werden sie außerhalb der Sendung gebracht und nicht in die zulässige Werbezeit eingerechnet, würden damit die Bestimmungen über die höchstzulässige Werbezeit umgangen. Solche Hinweise sind daher in diese maximal zulässige Sendezeit für Werbung innerhalb einer vollen Stunde einzuberechnen. Ohne weitere Argumentation vorausgesetzt wird dabei, dass es sich bei diesen Sponsorenhinweisen außerhalb der Sendungen um Fernsehwerbung handelt.

"Schwarze Sekunden" zwischen Werbespots sind Werbezeit
Zwischen redaktionellem Programm und Werbung sowie zwischen einzelnen Werbespots wird zur optischen Trennung häufig eine Schwarzblende eingesetzt. Im Ausgangsfall ließ der Fernsehveranstalter jedem "ausgestrahlten Werbespot schwarze Bilder mit einer Dauer von 0,4 bis 1 Sekunde vor- und nachfolgen, die als 'schwarze Sekunden' bezeichnet werden." Da unter Einrechnung dieser "schwarzen Sekunden" eine Gesamtwerbezeit von 12 Minuten und 7 (!) Sekunden in einer vollen Stunde erreicht wurde, hatte die Regulierungsbehörde eine Rechtsverletzung festgestellt.

Der EuGH hält fest, dass sich allein anhand des Wortlauts von Art 23 Abs 1 AVMD-RL nicht ermitteln lässt, ob diese Bestimmung dahin auszulegen ist, dass sie vorschreibt, "schwarze Sekunden" in die Grenze von 20 % (einer Stunde) einzuberechnen. Daher ist der Status der "schwarzen Sekunde" im Hinblick auf die Zielsetzung von Art. 23 Abs. 1 AVMD-RL zu bestimmen. Die Bestimmung, so der EuGH, folgt der Absicht des Unionsgesetzgebers, das ordnungsgemäße Erreichen des wesentlichen Ziels dieser Richtlinie sicherzustellen, das darin besteht, die Verbraucher als Zuschauer gegen übermäßige Fernsehwerbung zu schützen. Daher erlaube sie den Mitgliedstaaten nicht, "die Mindestsendezeit, die für die Ausstrahlung von Sendungen oder anderen redaktionellen Inhalten bestimmt ist, zugunsten von Werbeelementen auf unter 80 % innerhalb einer vollen Stunde – die in diesem Artikel implizit bestätigte Grenze – herabzusetzen."

"Schwarze Sekunden" zwischen den einzelnen Spots als auch zwischen dem letzten Spot und der Sendung, die der Werbeunterbrechung nachfolgt (nicht aber die "schwarzen Sekunden" vor dem ersten Spot einer Werbeunterbrechung), sind daher als Sendezeit für die Ausstrahlung von Fernsehwerbung für die Zwecke des Art 23 Abs 1 AVMD-RL anzusehen.

Update 26.02.2016: nach einer Schrecksekunde, die immerhin mehr als eine Woche dauerte, melden sich jetzt überrascht die Fernsehveranstalter zu Wort: ORF-Generaldirektor Wrabetz meint, dass das "fast alle Sender seit gefühlten 60 Jahren" so machen (nämlich die schwarzen Sekunden nicht in die Werbezeit einrechnen; siehe Bericht auf DerStandard.at). ATV-Chef Martin Gastinger wird in Medienberichten die Idee einer Anfechtung der EuGH-Entscheidung zugeschrieben (Bericht auf DerStandard.at; mehr auf Horizont.at [mittlerweile richtiggestellt]); tatsächlich hat er aber nur gesagt, dass ATV versuchen werde, "gemeinsam mit anderen Sendern dagegen vorzugehen."

Update 08.04.2016: Die österreichische Rundfunkregulierungsbehörde KommAustria ist nach Analyse des EuGH-Urteils zum Ergebnis gekommen, "dass die bislang in Österreich bestehende Vollzugspraxis bzw. Rechtsprechung in einigen Punkten von der nunmehrigen Rechtsansicht des EuGH abweicht"; sie hat daher mit Schreiben vom 08.04.2016 alle österreichischen Rundfunkveranstalter über Auslegungsfragen nach dem EuGH-Urteil informiert.

Thursday, July 18, 2013

EuGH: unterschiedliche Werbebeschränkungen für Pay-TV und Free-TV grundsätzlich zulässig

Darf der nationale Gesetzgeber für Pay-TV-Anbieter kürzere zulässige Werbezeiten vorsehen als für Veranstalter von frei empfangbarem Fernsehen? Diese Frage hat der EuGH heute mit seinem Urteil in der Rechtssache C-234/12 Sky Italia, den Schlussanträgen von Generalanwältin Kokott folgend, grundsätzlich bejaht - vorbehaltlich allerdings der vom vorlegenden nationalen Gericht noch vorzunehmenden Prüfung, ob auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird.

Nach Art 4 Abs 1 der Richtline über audiovisuelle Mediendienste können die Mitgliedstaaten "Mediendiensteanbieter, die ihrer Rechtshoheit unterworfen sind, verpflichten, strengeren oder ausführlicheren Bestimmungen in den von dieser Richtlinie koordinierten Bereichen nachzukommen, sofern diese Vorschriften im Einklang mit dem Unionsrecht stehen." Der EuGH entnimmt dieser Bestimmung, ohne dies noch weiter herzuleiten, dass die Mitgliedstaaten Mediendiensteanbeiter verpflichten können, "strengeren oder ausführlicheren Bestimmungen und in bestimmten Fällen unterschiedlichen Bedingungen" nachzukommen (RNr 13 des Urteils; Hervorhebung hinzugefügt).

Der Grundsatz der Gleichbehandlung, wie er in Art 20 und 21 der Grundrechtecharta verankert ist, steht dem nicht entgegen, sofern sich die Betroffenen nicht in einer vergleichbaren Situation befinden. die Vergleichbarkeit zweier verschiedener Sachverhalte ist "in Anbetracht aller Merkmale, die sie kennzeichnen, sowie anhand der Grundsätze und Ziele des Regelungsbereichs, in den die in Rede stehende Regelung fällt, zu beurteilen". Zwischen Pay-TV und Free-TV-Veranstaltern bestehen diesbezüglich nach Ansicht des EuGH relevante Unterschiede:
20   In Bezug auf die Regelungen über die Sendezeit für Fernsehwerbung unterscheiden sich nämlich die finanziellen Interessen der Veranstalter von Bezahlfernsehen von denen der Veranstalter von frei empfangbarem Fernsehen. Während Erstere durch die von den Zuschauern abgeschlossenen Abonnements Einnahmen erzielen, verfügen Letztere über keine solche unmittelbare Finanzierungsquelle und müssen die benötigten Mittel durch mit Fernsehwerbung erzielte Einnahmen oder durch andere Finanzierungsquellen aufbringen.
21   Ein solcher Unterschied ist grundsätzlich geeignet, die Veranstalter von Bezahlfernsehen im Hinblick auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Regelungen über die Sendezeiten für Fernsehwerbung auf ihre Finanzierungsmodalitäten in eine objektiv andere Situation zu versetzen.
22   Überdies unterscheidet sich die Situation der Zuschauer, die als Abonnenten die Dienste eines Veranstalters von Bezahlfernsehen in Anspruch nehmen, objektiv von der Situation der Zuschauer eines Veranstalters von frei empfangbarem Fernsehen. Die Abonnenten unterhalten nämlich eine unmittelbare Geschäftsbeziehung mit ihrem Fernsehveranstalter und zahlen einen Preis, um in den Genuss der Fernsehprogramme zu kommen.
23   Bei der Suche nach einem ausgewogenen Schutz der finanziellen Interessen der Fernsehveranstalter und der Interessen der Fernsehzuschauer im Bereich der Fernsehwerbung konnte der nationale Gesetzgeber daher, ohne gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung zu verstoßen, die Sendezeit pro Stunde für diese Werbung unterschiedlich begrenzen, je nachdem, ob es sich um Veranstalter von Bezahlfernsehen oder von frei empfangbarem Fernsehen handelt. 
In Bezug auf die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage zur Vereinbarkeit der Beschränkung mit der Dienstleistungsfreiheit (Art 56 AEUV) verweist der EuGH auf seine Rechtsprechung, dass der Schutz der Verbraucher gegen ein Übermaß an geschäftlicher Werbung einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellt (Urteil vom 28.10.1999, C-6/98 ARD), dass die Beschränkung aber zur Zielerreichung geeignet sein muss und nicht über das hinausgehen darf, was hierzu erforderlich ist (Urteil vom 18.10.2012, C-498/10, X). Wie so oft kommt es also letztlich auf die Frage der Verhältnismäßigkeit an, die freilich vom nationalen Gericht zu prüfen ist.

Die spannendere zweite Vorlagefrage war, ob Art 11 der Grundrechtecharta, ausgelegt im Licht von Art 10 EMRK, "sowie insbesondere der Grundsatz der Informationsvielfalt" der italienischen Regelung entgegenstehen. Das vorlegende Gericht meinte dazu, dass diese Regelung "den Wettbewerb verzerrt und die Begründung bzw. den Ausbau einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt der Fernsehwerbung begünstigt". Diese Frage ist natürlich vor dem spezifisch italienischen Hintergrund zu verstehen, in dem Sky Italia als "Murdoch-Pay-TV" den vor allem im Free-TV starken "Berlusconi"-Sendern von Mediaset gegenübersteht, die rein zufällig von diversen gesetzlichen Regelungen immer wieder einmal profitiert haben (siehe nur beispielsweise hier).

Leider stellte sich der EuGH dieser Frage nicht und verwies darauf, dass die Vorlageentscheidung "äußerst unvollständig" sei, "was Informationen u. a. zur Definition des relevanten Marktes, zur Berechnung der Marktanteile der verschiedenen auf diesem Markt tätigen Unternehmen und zu dem vom vorlegenden Gericht in seiner zweiten Frage erwähnten Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung betrifft."

Update 16.07.2013: siehe zu diesem Urteil auch den Bericht auf medialaws.eu (in italienischer Sprache)

Monday, April 22, 2013

EGMR (Große Kammer): Animal Defenders - Verbot politischer Fernsehwerbung kein Verstoß gegen Art 10 EMRK - Abkehr von VgT?

Knapper hätte die Entscheidung nicht ausfallen können: mit 9:8 Stimmen entschied heute die Große Kammer des EGMR, dass das Verbot der Fernsehausstrahlung eines Werbespots der Tierrechtsorganisation "Animal Defenders International" (ADI) im Vereinigten Königreich keine Verletzung des Art 10 EMRK darstellte (EGMR 22.04.2013, Animal Defenders International gegen Vereinigtes Königreich, Appl. no.48876/08; siehe auch die Pressemitteilung des EGMR und das "legal summary").

Abkehr von der VgT-Rechtsprechung
Damit geht der EGMR im Ergebnis von seiner bisherigen Rechtsprechung zum Verbot politischer Fernsehwerbung - insbesondere dem Fall VgT - ab, auch wenn dies in der Mehrheitsmeinung etwas relativiert wird. Zentrale Bedeutung hatte es für die Entscheidung der Mehrheit, dass das Verbot politischer Fernsehwerbung im Vereinigten Königreich eine sehr lange Geschichte hat und die Regelung - vor und nach dem VgT-Urteil - umfassend parlamentarisch und in diversen offiziellen Kommissionen und Konsultationen erörtert und schließlich im Parlament auch ohne Gegenstimme beschlossen worden war. Wesentlich war weiters, dass das Werbeverbot auf das "einflussreichste und teuerste Medium" beschränkt war und dem Ziel diente, die Unparteilichkeit des Rundfunks zu bewahren - ein Ziel, das schließlich auch in die vom EGMR vorgenommene Abwägung zwischen dem Recht der beschwerdeführenden NGO auf Weitergabe von Informationen und dem Wunsch der Behörden, die demokratischen Debatten und Prozesse vor einer Verzerrung durch finanzkräftige Gruppen zu schützen, eingestellt wurde. Das Urteil enthält in diesem Zusammenhang auch bemerkenswerte Ausführungen zur Bedeutung des Internet und der sozialen Medien. Ein ausführliches zustimmendes Sondervotum stammt vom britischen Richter Bratza, zwei abweichende Meinungen verdeutlichen dann die tiefe Spaltung des Gerichtshofes in dieser Frage.

Im Folgenden eine erste - angesichts der Bedeutung des Urteils etwas länger geratene - Übersicht über dieses Urteil:

1. Zur Vorgeschichte
Der Werbespot "My Mate's A Primate"  - in dem man zunächst ein vierjähriges Mädchen und dann einen Schimpansen in einem Käfig sieht - war vom Broadcast Advertising Clearance Centre als politisch eingestuft und nicht zur Ausstrahlung zugelassen worden. Grundlage dafür war Sec 321 (2) und (3) des Communications Act 2003, wonach politische Werbung (in einem sehr weit verstandenen Sinn) im Fernsehen verboten ist. Der High Court und das House of Lords sahen keine Verletzung des britischen Human Rights Act und der damit umgesetzten Konventionsrechte; die nationalen Urteile setzten sich ausführlich auch mit der Rechtsprechung des EGMR, insbesondere dem Fall VgT, auseinander.

2. Nationaler rechtlicher Hintergrund und internationale Quellen
Das Urteil der Großen Kammer stellt zunächst nicht nur die Entscheidungen der britischen Gerichte relativ ausführlich dar (RNr 11-33), sondern vor allem auch die im Zusammenhang mit der Revision der Rundfunk-Rechtsvorschriften im UK stehenden Konsultationen, Komitees und Berichte bzw parlamentarischen Debatten (RNr 37-55). Ausführlich zitiert wird auch eine von der EPRA (European Platorm of Regulatory Authorities) durchgeführte Untersuchung über die Zulässigkeit politischer Fernsehwerbung in 31 europäischen Staaten (RNr 65-70). Auch der EGMR selbst hat 34 Vertragsstaaten der EMRK untersucht; in 19 dieser Staaten gibt es Verbote politischer Werbung in irgendeiner Form (RNr 71-72). Der Trend geht aber in einer großen Mehrheit der Staaten dahin, Werbung in gewissem sozialen Interesse von bestimmten Einrichtungen zuzulassen. Schließlich verweist der EGMR auch auf eine Empfehlung des Europarats-Ministerkomitees aus dem Jahr 1999 und die Erläuterungen dazu und hält dabei fest, dass auch bei der Überarbeitung der Empfehlung durch die Empfehlung Rec(2007)15 vom Ministerkomitee keine ausdrückliche Position zur Zulässigkeit politischer Werbung eingenommen wurde.

3. Gesetzlich begründeter Eingriff zur Verfolgung eines legitimen Ziels
Vor dem EGMR war unstrittig, dass das Verbot der Ausstrahlung des Werbespots einen Eingriff in das nach Art 10 EMRK geschützte Recht darstellte, dass dieser Eingriff gesetzlich begründet war und einem legitimen Ziel diente. Der EGMR erkennt dabei ausdrücklich an, dass das Ziel, die Unparteilichkeit des Rundfunks in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu bewahren und dadurch den demokratischen Prozess zu schützen ("preserving the impartiality of broadcasting on public interest matters and, thereby, of protecting the democratic process") dem legitimen Ziel des Schutzes der Rechte anderer im Sinne des Art 10 Abs 2 EMRK entspreche (RNr 78; Kritik schon an dieser Annahme gibt es übrigens in der ersten abweichenden Meinung - siehe deren RNr 12: "for aims which may not necessarily fully conform to one or more of the legitimate aims of Article 10 § 2").

4. Allgemeine Grundsätze - NGOs als public watchdogs
Der EGMR legt dann anhand seiner Rechtsprechung die allgemeinen Grundsätze für die Beurteilung von Eingriffen in das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK dar (RNr 100-105) und betont dabei auch, dass eine NGO, wenn sie auf Angelegenheiten von öffentlichem Interesse aufmerksam macht, eine Rolle als "public watchdog" ausübt, die von vergleichbarer Bedeutung wie jene der Presse ist (Verweis auf das Urteil Vides Aizsardzības Klubs, RNr 42). Der Beurteilungsspielraum des Staates sei im vorliegenden Kontext daher eng - allerdings nur im Prinzip: "the margin of appreciation to be accorded to the State in the present context is, in principle, a narrow one" (RNr 104).

5. "Vorbemerkungen" - Rechtfertigung einer allgemeinen Maßnahme
Interessant ist, dass der EGMR nicht nur - wie sonst üblich - zwischen den allgemeinen Grundsätzen und ihrer Anwendung auf den konkreten Fall unterscheidet, sondern sich auch noch zu umfassenden "Vorbemerkungen" (RNr 106-112) veranlasst sieht. Er hebt hervor, dass die Verfahrensparteien darin übereinstimmten, dass politische Werbung durch eine allgemeine Maßnahme geregelt werden könne, dass aber Meinungsdifferenzen zur möglichen Breite dieser Maßnahme bestünden. Wesentlich sei aber, dass eine generelle Maßnahme von einer Vorzensur ("prior restraint") betreffend eine individuelle Äußerung zu unterscheiden ist.

Um die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme zu beurteilen, müssten vor allem die gesetzgeberischen Entscheidungen bewertet werden. Die Qualität der parlamentarischen und gerichtlichen Kontrolle der Notwendigkeit einer Maßnahme sei dabei von besonderer Bedeutung (RNr 108). Je überzeugender die allgemeine Rechtfertigung für die allgemeine Maßnahme sei, desto weniger Bedeutung lege der Gerichtshof ihren Auswirkungen im Einzelfall bei (RNr 109).

Relevant sei dabei nicht, ob weniger strenge Regeln hätten erlassen werden können oder ob gar der Staat beweisen könnte, dass das legitime Ziel ohne Verbot nicht erreicht werden könnte; es gehe vielmehr darum, ob der Gesetzgeber durch die Annahme der allgemeinen Maßnahme und damit der mit ihr getroffenen Abwägung innerhalb des ihm zukommenden Beurteilungsspielraums gehandelt habe (RNr 110).

Der EGMR erinnert dann an den Reichtum historischer, kultureller und politischer Unterschiede innerhalb Europas, sodass es an jedem Staat liege, die eigene demokratische Vision zu formen. Aufgrund ihres direkten und ständigen Kontakts mit den wesentlichen Kräften in ihren Ländern, der Gesellschaft und deren Bedürfnissen seien die gesetzgeberischen und gerichtlichen Organe in der besten Position, um die besonderen Schwierigkeiten beim Schutz der demokratischen Struktur in ihren jeweiligen Staaten zu bewerten. Den Staaten müsse bei dieser landesspezifischen und komplexen Bewertung, die im vorliegenden Fall von zentraler Bedeutung für die gesetzgeberischen Entscheidungen gewesen sei, ein gewisses Ermessen eingeräumt werden (RNr 111).

Interessant ist, dass der EGMR schon in dieser Vorbemerkung auf eine vorzunehmende Abwägung zwischen dem Recht der NGO auf Informationsweitergabe und dem Wunsch(!) der Behörden nach Schutz der demokratischen Debatte eingeht:
112. Finally, the Court notes that both parties have the same objective namely, the maintenance of a free and pluralist debate on matters of public interest and, more generally, contributing to the democratic process. The Court is required therefore to balance, on the one hand, the applicant NGO’s right to impart information and ideas of general interest which the public is entitled to receive with, on the other, the authorities’ desire to protect the democratic debate and process from distortion by powerful financial groups with advantageous access to influential media. The Court recognises that such groups could obtain competitive advantages in the area of paid advertising and thereby curtail a free and pluralist debate, of which the State remains the ultimate guarantor. Regulation of the broadcasted public interest debate can therefore be necessary within the meaning of Article 10 § 2 of the Convention.
6. Verhältnismäßigkeit - genaue parlamentarische Prüfung
Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der generellen Maßnahme (des allgemeinen Verbots politischer Werbung) betont der EGMR zunächst, dass das Verbot zwar seit den 1950er Jahren besteht, aber die Notwendigkeit durch den Bericht des Committee on Standards in Public Life (Neill Committee) im Jahr 1998 spezifisch geprüft und bestätigt worden sei. In der Folge sei ein Weißbuch, das wieder ein Verbot politischer Werbung enthielt, erarbeitet und zur Konsultation gestellt worden. Die Auswirkungen des EGMR-Urteils VgT aus dem Jahr 2001 seien dann in allen Phasen der Gesetzesvorbereitung geprüft worden. Im Jahr 2002 sei ein Gesetzesentwurf vorgestellt worden, wobei die Erläuterungen wiederum ausführlich auf das Urteil VgT eingingen. Alle konsultierten spezialisierten Einrichtungen seien für die Beibehaltung des Verbots gewesen und hätten die Auffassung vertreten, dass es sich dabei auch im Lichte des VgT-Urteils um eine verhältnismäßige allgemeine Maßnahme handle. Die Regierung habe sogar die von ihr eingeholte rechtliche Begutachtung veröffentlicht. Das Gesetz, das das Verbot enthält, sei schließlich ohne Gegenstimme verabschiedet worden (RNr 114): 
114. [...] The prohibition was therefore the culmination of an exceptional examination by parliamentary bodies of the cultural, political and legal aspects of the prohibition as part of the broader regulatory system governing broadcasted public interest expression in the United Kingdom and all bodies found the prohibition to have been a necessary interference with Article 10 rights.
Diese besondere Kompetenz des Parlaments und die vorherige umfassende Konsultation über die EMRK-Kompatibilität des Verbots erkläre auch die Zurückhaltung der nationalen Richter. Dennoch sei die Verhältnismäßigkeit von den nationalen Gerichten - die auch das VgT-Urteil zitierten - eingehend erörtert worden. 
116. The Court, for its part, attaches considerable weight to these exacting and pertinent reviews, by both parliamentary and judicial bodies, of the complex regulatory regime governing political broadcasting in the United Kingdom and to their view that the general measure was necessary to prevent the distortion of crucial public interest debates and, thereby, the undermining of the democratic process.
7. Sinkende Bedeutung der Rundfunkwerbung wegen Internet und sozialen Medien?
Der EGMR hält es weiters für wesentlich, dass das Verbot so umschrieben war, dass es dem Risiko der Verzerrung, die der Staat verhindern wollte, mit der geringst möglichen Beeinträchtigung der Freiheit der Meinungsäußerung begegnen sollte. Das Verbot galt nur der Werbung (wegen deren naturgemäß parteilichen Charakters), der entgeltlichen Werbung (wegen der Gefahr ungleichgewichtigen Zugangs je nach finanziellen Möglichkeiten) und der politischen Werbung (weil diese "das Herz des demokratischen Prozesses" betraf). Außerdem war das Verbot auf bestimmte Medien (Hörfunk und Fernsehen) beschränkt, weil diese die einflussreichsten und teuersten Medien sind. Eine Reihe alternativer Medien sei der beschwerdeführenden NGO zur Verfügung gestanden (RNr 117). 

Das Argument der beschwerdeführenden NGO, die Beschränkung des Verbots auf Hörfunk- und Fernsehwerbung sei angesichts der vergleichbaren Wirkungsmacht neuerer Medien wie des Internet unlogisch, überzeugte den EGMR nicht:
118. [...] However, the Court considers coherent a distinction based on the particular influence of the broadcast media. In particular, the Court recognises the immediate and powerful effect of the broadcast media, an impact reinforced by the continuing function of radio and television as familiar sources of entertainment in the intimacy of the home (Jersild v. Denmark, § 31; Murphy v. Ireland [im Blog dazu hier], § 74; TV Vest [im Blog dazu hier], at § 60; and Centro Europa 7 S.R.L. and Di Stefano v. Italy [im Blog dazu hier], § 132). In addition, the choices inherent in the use of the internet and social media mean that the information emerging therefrom does not have the same synchronicity or impact as broadcasted information. Notwithstanding therefore the significant development of the internet and social media in recent years, there is no evidence of a sufficiently serious shift in the respective influences of the new and of the broadcast media in the respondent State to undermine the need for special measures for the latter.
Dieser Auffassung, wonach der Einfluss des Rundfunks (immer noch) eine regulatorische Sonderbehandlung rechtfertige, tritt die zweite, von Richterin Tulkens verfasste, abweichende Meinung deutlich entgegen: dort heißt es (RNr 11): 
Information obtained through the use of the Internet and social networks is gradually having the same impact, if not more, as broadcasted information. Their development in recent years undoubtedly signals a sufficiently serious shift in the influence of traditional broadcasting media to undermine the need to apply special measures to the latter.
8. Weitere Abwägung 
Dass Rundfunkwerbung nicht mehr teurer sei als Werbung in anderen Medien, mochte die Mehrheit des EGMR nicht glauben: "The Court considers that it is sufficient to note, [...] that broadcasted advertisements had an advantage of which advertisers and broadcasters were aware and for which advertisers would pay large sums of money, far beyond the reach of most NGOs who would wish to participate in the public debate." (RNr 120)

Entgegen der Ansicht der beschwerdeführenden NGO war der EGMR auch nicht der Ansicht, dass die im UK geltenden allgemeinen Regeln, wonach vor Wahlen gratis Sendezeit für wahlwerbende Parteien vergeben wird, für den Beschwerdefall nicht relevant wären: Auch diese "kontrollierte Lockerung" des Verbots müsse ein wesentlicher Faktor in der Beurteilung des Gesamtgleichgewichts ("overall balance") sein, das durch die allgemeine Maßnahme erreicht werde (RNr 121). 

Und schließlich sah der EGMR auch keine Verpflichtung des Staates, den Anwendungsbereich des Verbots einzuschränken, um Werbung von Initiativgruppen außerhalb von Wahlzeiten zu erlauben. Auf nationaler Ebene war dazu vor allem auf die Gefahr von Missbrauch und Willkür hingewiesen worden - was der EGMR billigt:  
122. [...] The risk of abuse is to be primarily assessed by the domestic authorities [...] and the Court considers it reasonable to fear that this option would give rise to a risk of wealthy bodies with agendas being fronted by social advocacy groups created for that precise purpose. Financial caps on advertising could be circumvented by those wealthy bodies creating a large number of similar interest groups, thereby accumulating advertising time. The Court also considers rational the concern that a prohibition requiring a case-by-case distinction between advertisers and advertisements might not be a feasible means of achieving the legitimate aim. In particular, having regard to the complex regulatory background, this form of control could lead to uncertainty, litigation, expense and delay as well as to allegations of discrimination and arbitrariness, these being reasons which can justify a general measure [...]. It was reasonable therefore for the Government to fear that the proposed alternative option was not feasible and that it might compromise the principle of broadcasting impartiality, a cornerstone of the regulatory system at issue [...].
9. Kein europäischer Konsens
Der EGMR betont, dass es keinen Konsens der Konventionsstaaten gibt, wie bezahlte politische Werbung zu regulieren sei. Auch wenn es einen Trend weg von breiten Verboten gebe, so blieben immer noch beträchtliche Unterschiede. Dieser Mangel an Konsens erweitere den Beurteilungsspielraum der Konventionsstaaten (RNr 123).

10. Auswirkungen des Verbots
Die Auswirkungen des Verbots, so der EGMR in RNr 124 des Urteils, würden die überzeugende Rechtfertigung für die allgemeine Maßnahme nicht überwiegen. Die beschwerdeführende NGO könne an (politischen) Hörfunk- und Fernsehdiskussionen teilnehmen; wenn sie eine wohltätige Einrichtung gründe, könne sie für diese auch im Fernsehen werben, und sie habe vor allem vollen Zugang für Werbung in allen Medien außer Hörfunk und Fernsehen, also Presse, Internet (einschließlich social media), "Demonstrationen", Plakate und Flugblätter. 

Und nachdem der EGMR zunächst Internet und soziale Medien als nicht vergleichbar mit Rundfunk abgetan hat, verweist er die beschwerdeführende NGO dann gerade darauf, weil es sich dabei um mächtige Kommunikationswerkzeuge handle (RNr 124): 
"Even if it has not been shown that the internet, with its social media, is more influential than the broadcast media in the respondent State [...], those new media remain powerful communication tools which can be of significant assistance to the applicant NGO in achieving its own objectives."
11. Ergebnis
Im Ergebnis hält die knappe Mehrheit der Großen Kammer daher die von den Behörden gegebene Begründung für das Verbot als relevant und ausreichend, sodass das Verbot nicht als unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung anzusehen ist und keine Verletzung des Art 10 EMRK vorliegt. 

12. Zustimmendes Sondervotum von Richter Bratza
Der aus dem Vereinigten Königreich stammende Richter (und frühere EGMR-Präsident) Bratza erklärt seine zustimmende Ansicht in einem ausführlichen Sondervotum. Bemerkenswert an diesem Votum ist vor allem die deutliche Kritik am VgT-Urteil (die im Mehrheitsvotum so nicht zum Ausdruck gebracht wurde) und die Betonung der Notwendigkeit einer "klaren Linie" ("brightline") durch eine allgemeine Maßnahme, auch wenn das Festhalten an einer solchen klaren, allgemeinen Regelung einen Härtefall für den einzelnen Betroffenen darstellen könne. Bratza betont auch, dass nur ein Verbot einer bestimmten Art politischer Äußerung (nämlich Werbung) in einem bestimmten Teil der Medien (Rundfunk) zu beurteilen gewesen sei und Äußerungen anderer Art oder in anderen Medien zulässig blieben. 

Auch Bratza meint, dass die beschwerdeführende NGO nicht gehindert werde, ihre Botschaft im Rundfunk auf andere Art als durch Werbung zu verbreiten, zum Beispiel in dem sie zu aktuellen Sendungen oder Diskussionen beitrage. Diese etwas naive Sicht wird übrigens in der ersten abweichenden Meinung ziemlich zerpflückt; dort heißt es in RNr 13:
The hope that Animal Defenders International will be able to make their views known thanks to “programming” disregards the reality that broadcasting, and television in particular, is driven by commercial advertising. Programming is a matter of editorial choice and is subject to the need to maximize viewership. Even in the context of public broadcasting, with all its obligations of fairness, there is a strong tendency to avoid divisive or offensive topics. Programming choices are not likely to stand on the side of NGOs which may represent minority or controversial views, or are critical of the Government of the day which has considerable control over public broadcasting, even in the presence of important safeguards as to daily programming.
Nach seiner Kritik am Urteil VgT befasst sich Bratza noch ausführlich mit der Bedeutung der - sorgfältig vorbereiteten - nationalen parlamentarischen Entscheidung, wobei er diesbezüglich auf den Unterschied zum Fall Hirst (No. 2) hinweist, in dem wegen der Verweigerung des Wahlrechts für Strafgefangene eine Verletzung des Art 3 1. ZP EMRK festgestellt wurde, was im Vereinigten Königreich bis heute zu massiver Kritik (bis hin zur Forderung nach dem Austritt aus der EMRK) führt. Im weiteren Text des Sondervotums lobt Bratza noch die Sorgfalt der englischen Richter und betont schließlich, dass der EGMR nicht selbst eine Abwägung vorzunehmen habe und auch nicht seine Auffassung, wie eine faire und handhabbare Kompromisslösung gefunden werden könne, an die Stelle jener des nationalen Gesetzgebers stellen solle. Alles in allem hat man beim Lesen des Sondervotums das Gefühl, dass es sich weniger an die Beschwerdeführerin richtet als vielmehr an Regierung, Gesetzgeber und Öffentlichkeit im Vereinigten Königreich. 

13. Abweichende Meinung 1: Ziemele (Lettland), Sajó (Ungarn), Kalaydjieva (Bulgarien), Vučinić (Montenegro), De Gaetano (Malta)
Die erste der beiden abweichenden Meinungen ist deutlich libertär ausgerichtet, mit starken Zweifeln an hoheitlich verordneten Einschränkungen, die der Freiheit dienen sollen, und einigen markanten "soundbites". Schon zu Beginn des Votums wird die Unterscheidung zum Fall VgT zum Thema gemacht:
We are particularly struck by the fact that when one compares the outcome in this case with the outcome in the case of VgT [...] the almost inescapable conclusion must be that an essentially identical “general prohibition” on “political advertising” [...] is not necessary in Swiss democratic society, but is proportionate and a fortiori necessary in the democratic society of the United Kingdom. We find it extremely difficult to understand this double standard within the context of a Convention whose minimum standards should be equally applicable throughout all the States parties to it.
Die abweichende Meinung wendet sich vor allem gegen den Zugang der Mehrheit, die allgemeine Maßnahme gewissermaßen in einem milderen Licht zu sehen als individuelle Beschränkungen. Vor allem der besondere Respekt gegenüber dem Gesetzgeber wird in der abweichenden Meinung nicht geteilt:
9. [...] The fact that a general measure was enacted in a fair and careful manner by Parliament does not alter the duty incumbent upon the Court to apply the established standards that serve for the protection of fundamental human rights. Nor does the fact that a particular topic is debated (possibly repeatedly) by the legislature necessarily mean that the conclusion reached by that legislature is Convention compliant; and nor does such (repeated) debate alter the margin of appreciation accorded to the State. Of course, a thorough parliamentary debate may help the Court to understand the pressing social need for the interference in a given society. In the spirit of subsidiarity, such explanation is a matter for honest consideration. In the present judgment, however, excessive importance has been attributed to the process generating the general measure, which has resulted in the overruling, at least in substance, of VgT, a judgment which inspired a number of member States to repeal their general ban -- a change that was effected without major difficulties.
Die abweichende Meinung sieht ein Verbot politischer Werbung überhaupt als problematisch an: 
12 [...] there seems to be an inherent contradiction in a viable democracy safeguarded by broadcasting restrictions. [...] There is a risk that by developing the notion of positive obligations to protect the rights under Articles 8 to 11, and especially in the context of Articles 9 to 11, one can lose sight of the fundamental negative obligation of the State to abstain from interfering. The very initiative to legislate on the exercise of freedom in the name of broadcasting freedom, and in order to promote democracy in general terms, and for aims which may not necessarily fully conform to one or more of the legitimate aims of Article 10 § 2, remains problematic. The ban itself creates the condition it is supposedly trying to avert – out of fear that small organisations could not win a broadcast competition of ideas, it prevents them from competing at all. It is one thing to level a pitch; it is another to lock the gates to the cricket field.
Und schließlich wendet sich die abweichende Meinung gegen einen gewissen paternalistischen Zug, den sie in der Mehrheitsmeinung erkennt: 
13. [...] Freedom of expression is based on the assumption that the speakers, not the Government, know best what they want to say and how to say it. [...]
14. There can be no robust democracy through benevolent silencing of all voices (except those of the political parties) and providing access only through programming. A robust democracy is not helped by well‑intentioned paternalism. Where there is little scope for restriction of a right, the proportionality analysis requires consideration of the existence of less restrictive alternatives. An individualised consideration of the proposed advertisement, for example like the one that operates for commercial advertisements, is one such possibility. A narrower definition of political advertisement could be another. Moreover, the respondent Government did not consider the difference between public and private broadcasting, which have different standards of impartiality. 
14. Abweichende Meinung 2: Tulkens (Belgien), Spielmann (Luxemburg), Laffranque (Estland)
Ebenfalls mit der Mehrheit nicht einverstanden ist Richterin Tulkens, der sich Präsident Spielmann und Richterin Laffranque anschließen. Anders als in der ersten - fast radikal libertären - abweichenden Meinung sieht diese Meinung Einschränkungen durchaus als möglich an; sie hält es - wie die Mehrheitsmeinung - auch für notwendig, bei der Beurteilung der Maßnahme das Recht der beschwerdeführenden NGO gegen das Streben nach Schutz der demokratischen Debatte abzuwägen. Eine gewisse Regulierung der Debatte im öffentlichen Interesse in Hörfunk und Fernsehen könne daher im Sinne des Art 10 Abs 2 EMRK notwendig sein. 

Tulkens hält es aber angesichts der vergleichbaren Stärke neuer Medien wie des Internet für unlogisch, das Verbot nur auf Radio und Fernsehen zu beschränken (siehe schon oben 7.). Auch reiche das britische Verbot politischer Werbung weiter als das vom EGMR als exzessiv erachtete Verbot im Fall VgT. Das breite Verbot sei gegen den Trend, der in anderen Konventionsstaaten zu beobachten sei. Weder die gesetzgebenden Körperschaften noch die nationalen Gerichte hätten überzeugende Argumente vorgebracht, warum weniger weitreichende Beschränkungen, wie sie in anderen Staaten bestünden, abzulehnen seien. 

Die beschwerdeführende NGO habe auf eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse hingewiesen; niemand habe vorgebracht, dass die Werbung schockierend oder verwerflich gewesen wäre. Das Verbot wurde auch unabhängig von der Identität der Organisation angewandt: niemand hatte behauptet, dass die beschwerdeführende NGO finanzkräftig sei und das Ziel oder die Möglichkeit hätte, die Unparteilichkeit des Rundfunkveranstalters zu gefährden oder die öffentliche Debatte unangemessen zu verzerren (oder dass sie einen Deckmantel für eine derartige mächtige Gruppe gebildet hätte). Die NGO habe nur an einer allgemeinen Debatte über Tierschutz teilnehmen wollen. 
To illustrate the scale of the ban’s effect in the applicant NGO’s case, one need only compare its situation to that of a commercial firm: the latter would have had full freedom, limited only by its financial resources, to screen advertisements using animals to promote its products, an approach directly contrary to the values of the applicant NGO.
15. Auswirkungen des EGMR-Urteils?
Das Urteil hat keine unmittelbaren Auswirkungen auf Österreich (politische Fernsehwerbung in Österreich ist grundsätzlich erlaubt; siehe im Blog dazu jüngst hier, gegen Ende). Spannend kann natürlich sein, ob bzw wie weit der EGMR auch in Zukunft - wie hier in der Mehrheitsmeinung - die parlamentarische und außerparlamentarische Vorbereitung von Rechtsvorschriften bei einer Prüfung von Eingriffen in die Rechte nach Art 10 EMRK einbeziehen wird. Da es in Österreich eine gewisse Tradition gibt, Rundfunk-Rechtsvorschriften eher erst in letzter Sekunde - in den Ausschussberatungen oder auch erst durch Änderungsanträge im Plenum des Nationalrates - zu finalisieren, oft ohne besondere Erläuterungen (vor allem, wenn die Änderungen etwa auf Deals Verhandlungsergebnissen, zB von ORF und VÖZ, beruhen), hätte ich aber wenig Hoffnung, dass man zur Verteidigung österreichischer Rechtsvorschriften auf ähnlich umfassendes Material zurückgreifen könnte, wie es im hier entschiedenen Fall möglich war.

Interessant wäre natürlich eine Prüfung, inwieweit die neuen ungarischen Regelungen, nach denen politische Werbung nun ausgerechnet in Privatsendern - nicht aber im öffentlich-rechtlichen Fernsehen - untersagt ist (siehe zB hier und hier), unter Berücksichtigung des heutigen Urteils mit Art 10 EMRK kompatibel sind. Dass der EGMR nun in der Großen Kammer (mit knapper Mehrheit) das Verbot politischer Werbung im Vereinigten Königreich akzeptiert hat, bedeutet aber jedenfalls nicht, dass alle derartigen Verbote zulässig wären (zumal die schon gefällten Urteile VgT und TV Vest jedenfalls formal nicht "overruled" wurden).

Update 25.04.2013: siehe zu diesem Urteil auch die Blogposts von Jacob Rowbottom, von Ronan Ó Fathaigh und von Rosalind English sowie von Maximilian Steinbeis, der von einer "geradezu karlsruhesk staatstragenden Abwägerei" spricht (eine Formulierung, die man sich merken muss).
Update 26.04.2013: siehe nun auchdie Blogposts von Antoine Buysevon Marc de Werd, von Jeff King und von Thomas Stadler.

Sunday, March 31, 2013

Beweise für die Auferstehung? Zum Verbot religiöser und politischer Rundfunkwerbung (aus der Serie "Rundfunkrecht und Ostern")

Ostern und Rundfunkrecht, das ist mittlerweile in diesem Blog schon eine kleine Serie: den Beginn machte der "Lehrbub des Osterhasen", der es vor alle drei österreichischen Höchstgerichte geschafft hat (hier). Im zweiten Teil ging es um einen von der Medienbehörde beanstandeten Werbespot für die ORF "Oster-Nachlese" (hier). Und dann war da noch die Entscheidung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien zur Frage, ob der Wunsch "Frohe Ostern" ein - nach dem ORF-Gesetz unzulässiger - Hinweis auf den Inhalt eines periodischen Druckwerks oder nicht doch bloß ein im zeitlichen Zusammenhang mit dem Osterfest nicht unüblicher Wunsch war (hier).

EGMR: Murphy gegen Irland - Verbot religiöser Rundfunkwerbung
Heuer möchte ich auf ein schon fast zehn Jahre altes Urteil des EGMR zu Art 10 EMRK hinweisen, das sich auch mit österlicher Werbung im Rundfunk auseinandersetzt. Im Fall Murphy gegen Irland (Appl. no 44179/98, Urteil vom 10. Juli 2003; siehe auch diese deutschsprachige Zusammenfassung) hatte der EGMR zu beurteilen, ob ein von der irischen Rundfunkbehörde ausgesprochenes Ausstrahlungsverbot für einen Radiospot einer christlichen Organisation diese in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK verletzte. Der Spot sollte auf ein Video hinweisen, das "Beweise für die Auferstehung" liefern sollte und das von der christlichen Organisation während der Osterwoche wiederholt vorgeführt (und auch im Satellitenfernsehen gezeigt) wurde. Nach der damaligen irischen Rechtslage war Werbung für religiöse und politische Zwecke untersagt ("No advertisement shall be broadcast which is directed towards any religious or political end"; die aktuelle Rechtslage in Irland enthält ein solches absolutes Verbot nicht mehr, siehe dazu näher Sec. 41(4) des Broadcasting Act 2009).

Das Verbot war daher gesetzlich vorgesehen und der EGMR sah - mit extrem knapper Begründung - auch ein legitimes Interesse für den Eingriff im Sinne des Art 10 Abs 2 EMRK als gegeben an ("to ensure respect for the religious doctrines and beliefs of others so that the aims of the impugned provision were public order and safety together with the protection of the rights and freedoms of others").

Wesentlich ausführlicher setzte sich der EGMR dann mit der Frage auseinander, ob das Verbot in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war und ob dafür "ausreichende und relevante" Gründe vorlagen - was er im Ergebnis bejahte, wenngleich unter deutlichem Hinweis auf die konkreten Umstände in Irland, vor allem die "besonderen religiösen Empfindlichkeiten in der irischen Gesellschaft" ("the particular religious sensitivities in Irish society"), auf die sich die irische Regierung zur Rechtfertigung des Verbots stützte. In die Abwägung miteinbezogen wurde auch der Umstand, dass sich das Verbot nur auf audiovisuelle Medien bezog, die - wie der EGMR unter Hinweis auf das Urteil Jersild ausdrücklich anerkannte - "eine unmittelbarere, eindringlichere und stärkere Wirkung auch auf den passiven Rezipienten" hätten. In Printmedien wäre die Werbung daher zulässig gewesen. Außerdem betraf das Verbot nur Werbung, nicht aber die Behandlung religiöser Themen im Programm (einschließlich Dokumentationen, Diskussionen, Filme oder Live-Übertragung von Gottesdiensten). Der Beschwerdeführer hatte das selbe Recht wie jeder andere Bürger, an Programmen über religiöse Themen mitzuwirken und Gottesdienste seiner Kirche übertragen zu lassen. Die Programmgestaltung musste ausgewogen und neutral sein, die Zulässigkeit religiöser Werbung hingegen würde zu einer Begünstigung jener religiösen Gruppen führen, die über größerer Ressorucen verfügten (meines Erachtens sind das eher merkwürdige Argumente: denn welches Recht hat denn ein einfacher Bürger, an religiösen Programmen mitzuwirken, oder gar dass Gottesdienste seiner Kirche übertragen würden? Gerade die ausgewogene Programmgestaltung führt zudem wohl eher dazu, dass in der Bevölkerung stark verankerte Religionsgemeinschaften - die in der Regel auch über mehr Ressourcen verfügen - stärker im Programm vorkommen).

Was unterscheidet religiöse von politischer oder ideeller Werbung?
Das Urteil Murphy ist meines Erachtens nur vor dem konkreten Hintergrund der besonderen irischen Religionskonflikte zu verstehen, auf die der EGMR bei seiner Abwägung Bedacht genommen hat. In Fällen politischer Werbung - die in einigen Mitgliedstaaten, etwa auch in Irland, gleich wie religiöse Werbung geregelt und damit oft verboten oder eingeschränkt war - ist der EGMR nämlich zu anderen Ergebnissen gekommen. Das geschah bereits im Fall VgT Verein gegen Tierfabriken gegen Schweiz (Appl. no. 24699/94; Urteil vom 28. Juni 2001) im Hinblick auf Werbung einer Tierschutzorganisation und schließlich im Fall TV Vest und Rogaland Pensjonistparti gegen Norwegen (Appl. No. 21132/05; Urteil vom 11. Dezember 2008) im Hinblick auf Werbung politischer Parteien (siehe dazu in diesem Blog hier). Auch aus diesen Urteilen ergibt sich freilich nicht, dass politische und ideelle Werbung uneingeschränkt zulässig sein muss, ein völliges Verbot solcher Werbung wäre aber nur zu rechtfertigen, wenn dies im Hinblick auf besondere "Empfindlichkeiten" ("sensitivities as to divisiveness or offensiveness") notwendig wäre. Daher muss man wohl davon ausgehen, dass man an Einschränkungen etwa in Staaten, in denen massive politische Konflikte erst kurze Zeit zurückliegen - etwa den Staaten des Westbalkan -, andere Maßstäbe anlegen könnte als in etablierten Demokratien ohne jüngere Konfliktvergangenheit. 

Animal Defenders - die Große Kammer des EGMR wird am 22.4. entscheiden
Besonders spannend ist der vor dem EGMR noch anhängige Fall Animal Defenders International gegen Vereinigtes Königreich (Appl. no. 48876/08), in dem die Große Kammer des EGMR am 22. April 2013 ihr Urteil verkünden wird. Dabei geht es wiederum um das Verbot politischer Werbung, diesmal im Vereinigten Königreich, aufgrund dessen ein Fernsehspot der Tierrechtsorganisation ADI (Spot "My Mate's a Primate", hier auf YouTube zu sehen) nicht gesendet werden durfte (mehr Hintergrund dazu im "Statement of Facts" des EGMR und hier bzw hier auf Inforrm's Blog; dort ist auch die Stellungnahme des UK an den EGMR zu finden).

Politische Werbung in Österreich: müssen wir die Krot schlucken?
In Österreich ist politische und religiöse Werbung weder im öffentlich-rechtlichen noch im privaten Rundfunk verboten. 

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 12.12.2011, B 1672/10, zu einem Fernsehspot der Arbeiterkammer ("Müssen wir jede Krot schlucken?" hier auf YouTube zu sehen) Folgendes ausgeführt:
Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR, wonach ein generelles Verbot politischer Werbung iwS im Konflikt mit Art 10 EMRK steht (EGMR 28.6.2001, Fall VgT Verein gegen Tierfabriken, Appl. 24.699/94, und 30.6.2009, Fall VgT Verein gegen Tierfabriken [Nr. 2], Appl. 32.772/02; 11.12.2008, Fall TV Vest AS & Rogaland Pensjonistparti, Appl. 21.132/05), ist § 13 Abs 3 ORF-G [in der damaligen Fassung, nun § 14 Abs 1 ORF-G] verfassungskonform dahingehend zu verstehen, dass er auch nicht-kommerzielle, ideelle Werbung erfasst. Diese Sichtweise entspricht sowohl dem Europäischen Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen (an dessen Werbebegriff sich das Rundfunkgesetz weitgehend orientiert hat, wie sich aus den Materialien zum Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen ergibt: RV 1064 BlgNR 20. GP, 35 ff., und AB 1256 BlgNR 20. GP), als auch der Rechtsprechung des OGH (24.2.2009, 4 Ob 223/08k) sowie der Praxis des BKS (vgl. BKS 28.9.2009, 611.009/0015-BKS/2009; zum Ganzen Kogler, TV (on demand), 2010, 154 f.).
In der Praxis ist allerdings "Werbung mit religiösem oder parteipolitischem Inhalt" in den Fernseh- und Hörfunkprogrammen des ORF aufgrund der AGB für Werbesendungen in den österreichweiten Programmen (Punkt 3d) ausgeschlossen (ebenso in den interessanterweise gesonderten AGB für ORF III, als wäre dieses Programm nicht österreichweit; sowie in den AGB für Radiowerbung in bundeslandweiten Programmen und regionale Fernsehwerbung). Die AGB des ORF für sogenannte "Beiträge im Dienst der Öffentlichkeit" legen fest, dass solche Beiträge keine parteipolitische Werbung beinhalten dürfen (Punkt 1) und schließen auch Beiträge mit religiösem Charakter aus (Punkt 6). Auf orf.at ist Werbung mit religiösem Inhalt ausgeschlossen (Punkt 3.4), nicht hingegen (partei)politische Werbung (AGB ORF.at), dasselbe gilt für Werbung im Teletext (AGB Teletext).

Thursday, November 24, 2011

Was ist ein Werbespot? EuGH legt FernsehRL aus

In seinem heutigen Urteil im Vertragsverletzungsverfahren C-281/09 Kommission / Spanien
(siehe hier zu den Schlussanträgen des Generalanwalts) musste sich der EuGH mit der Kreativität auseinandersetzen, mit der Spanien die Begrenzung der Werbezeiten nach der FernsehRL zu umgehen versuchte.

Die RL nannte in ihrem Art 18 Abs 1 "Teleshopping-Spots, Werbespots und andere Formen der Werbung mit Ausnahme von Teleshopping-Fenstern" und begrenzte in der Folge die Sendezeit für Werbespots mit 15 v. H. der täglichen Sendezeit; innerhalb einer Stunde war der Anteil an Sendezeit für Werbespots und Teleshopping-Spots nach Art 18 Abs 2 der RL mit 20 v. H. begrenzt (in der nun geltenden Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, 2010/13/EG, wurde die tägliche Begrenzung fallen gelassen, es blieb allerdings die Begrenzung für den Anteil von Fernsehwerbespots und Teleshopping-Spots von maximal 20% innerhalb einer vollen Stunde).

Wie der EuGH darlegt, hatte Spanien neben Werbespots noch folgende Werbeformen (die daher bei der Berechnung der Werbezeitenbegrenzung nicht berechnet wurden):
"Werbereportagen: Werbebotschaft von längerer Dauer als ein Spot, die im Allgemeinen argumentativ, informativ und beschreibend ist. Es handelt sich ebenfalls um eine Standardproduktion, die mehrfach ausgestrahlt werden kann, obwohl sie in der Regel wegen ihrer einmaligen Merkmale der Dauer und Argumentation nicht mehrfach gesendet wird.
Telepromotions: Werbebotschaften in Verbindung mit einem Programm, für die dieselbe Bühne, dasselbe Bühnenbild, dieselbe Szenografie und/oder dieselben Kostüme verwendet werden wie für das Programm, mit dem sie in Verbindung stehen. Es handelt sich um eine 'Serienproduktion', die nicht in eigenständiger Form, sondern nur im Rahmen der Wiederholung des Programms, in dem sie produziert wurde, mehrfach gesendet werden soll. Da die Telepromotions desselben Produkts in den aufeinanderfolgenden Sendungen eines Programms verschiedenen Aufnahmen entsprechen (denen der verschiedenen Folgen des Programms), sind sie niemals identisch. Eine Telepromotion kann in einer ausschließlich mündlichen Botschaft des Moderators bestehen, soweit diese der Werbung dient.
Sponsoring-Werbespots: Auf Antrag bestimmter Fernsehgesellschaften hat der ehemalige Secretario General de Comunicaciones (Generaldirektor Verkehr im Ministerium für Infrastruktur und Verkehr) entschieden, dass eine besondere Form von Spots – nach der Bezeichnung eines Fernsehveranstalters die 'Euroclaqueta' –, in denen der Hinweis auf das Sponsoring eines Programms und die Werbung des Sponsors gleichzeitig erfolgen, den anderen Formen der Werbung zugerechnet werden, wenn sie die drei folgenden Bedingungen erfüllen:
    – Höchstdauer von 10 Sekunden;
    – Ausstrahlung unmittelbar vor oder nach dem Programm, auf das sie sich beziehen;
    – Produktionseigenschaften, die sich deutlich von der Produktion herkömmlicher Spots unterscheiden.
Mikrowerbespots: Mikrospots, die Werbebotschaften enthalten, werden als 'eine andere Form der Werbung' angesehen, wenn sie länger als 60 Sekunden dauern und wenn es sich nicht um eine bloße Zusammenfassung entfernt zusammenhängender Spots handelt."
Spanien bemühte sich redlich, die Besonderheiten zu betonen, die diese Werbeformen von typsichen Werbespots abheben würden. Besonders nett finde ich das Argument, "dass die vier streitigen Werbeformen nicht nur wegen ihrer Standardlänge, sondern auch wegen ihrer geringeren kommerziellen Aggressivität, ihrer verringerten suggestiven Wirkung auf den Verbraucher und des Umstands, dass sie eine geringere Störung des Programmgenusses für die Zuschauer bewirkten, nicht unter den Begriff der Werbespots fielen." (Rn 34) 

Der EuGH ließ sich davon nicht beeindrucken. Vor allem unter Bezugnahme auf das Urteil C-195/06 Österreichischer Rundfunk hob der Gerichtshof hervor, dass "dem Schutz der Verbraucher als Zuschauer gegen übermäßige Werbung im Rahmen des Ziels der Richtlinie 89/552 eine wesentliche Bedeutung zukommt" (Rn 45). Der Begriff Werbespot ist daher "unter Berücksichtigung des Ziels der Richtlinie auszulegen ist, die Ausübung der Werbefreiheit im Fernsehen mit dem zwingenden Gebot in Einklang zu bringen, Fernsehzuschauer gegen ein Übermaß an Werbesendungen zu schützen." Im Ergebnis hielt der EuGH fest,
"dass alle Formen der Fernsehwerbung, die zwischen den Programmen oder während der Pausen gesendet werden, grundsätzlich einen 'Werbespot' im Sinne der Richtlinie 89/552 darstellen, es sei denn, die betreffende Werbeart fällt unter eine ausdrücklich von der Richtlinie vorgesehene andere Form der Werbung, wie dies etwa beim 'Teleshopping' der Fall ist, oder sie nimmt wegen der Art und Weise ihrer Darbietung mehr Zeit in Anspruch als Werbespots, vorausgesetzt, eine Anwendung der für Werbespots vorgesehenen Begrenzungen liefe darauf hinaus, diese Werbeform ohne stichhaltige Rechtfertigung gegenüber Werbespots zu benachteiligen."
Am Ende lief es schlicht auf die Dauer der Sonder-Werbeformen hinaus: da jede der vier Werbeformen im Allgemeinen eine Dauer von höchstens zwei Minuten hat, fallen sie, wie der EuGH in Rn 55 des Urteils ausspricht, unter den Begriff der Werbespots iSd FernsehRL (und wohl auch iSd Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, 2010/13/EG).

Das Königreich Spanien hat daher gegen seine Verpflichtungen aus Art. 3 Abs. 2 der Fernsehrichtlinie (in der Fassung der RL 97/36/EG) verstoßen, indem es duldete, dass bestimmte Formen der Werbung, wie Werbereportagen, Telepromotion-Spots, Sponsoring-Werbespots und Mikrowerbespots, von spanischen Fernsehanstalten mit längerer Dauer ausgestrahlt werden als nach der RL erlaubt.