EGMR: Murphy gegen Irland - Verbot religiöser Rundfunkwerbung
Heuer möchte ich auf ein schon fast zehn Jahre altes Urteil des EGMR zu Art 10 EMRK hinweisen, das sich auch mit österlicher Werbung im Rundfunk auseinandersetzt. Im Fall Murphy gegen Irland (Appl. no 44179/98, Urteil vom 10. Juli 2003; siehe auch diese deutschsprachige Zusammenfassung) hatte der EGMR zu beurteilen, ob ein von der irischen Rundfunkbehörde ausgesprochenes Ausstrahlungsverbot für einen Radiospot einer christlichen Organisation diese in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK verletzte. Der Spot sollte auf ein Video hinweisen, das "Beweise für die Auferstehung" liefern sollte und das von der christlichen Organisation während der Osterwoche wiederholt vorgeführt (und auch im Satellitenfernsehen gezeigt) wurde. Nach der damaligen irischen Rechtslage war Werbung für religiöse und politische Zwecke untersagt ("No advertisement shall be broadcast which is directed towards any religious or political end"; die aktuelle Rechtslage in Irland enthält ein solches absolutes Verbot nicht mehr, siehe dazu näher Sec. 41(4) des Broadcasting Act 2009).
Das Verbot war daher gesetzlich vorgesehen und der EGMR sah - mit extrem knapper Begründung - auch ein legitimes Interesse für den Eingriff im Sinne des Art 10 Abs 2 EMRK als gegeben an ("to ensure respect for the religious doctrines and beliefs of others so that the aims of the impugned provision were public order and safety together with the protection of the rights and freedoms of others").
Wesentlich ausführlicher setzte sich der EGMR dann mit der Frage auseinander, ob das Verbot in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war und ob dafür "ausreichende und relevante" Gründe vorlagen - was er im Ergebnis bejahte, wenngleich unter deutlichem Hinweis auf die konkreten Umstände in Irland, vor allem die "besonderen religiösen Empfindlichkeiten in der irischen Gesellschaft" ("the particular religious sensitivities in Irish society"), auf die sich die irische Regierung zur Rechtfertigung des Verbots stützte. In die Abwägung miteinbezogen wurde auch der Umstand, dass sich das Verbot nur auf audiovisuelle Medien bezog, die - wie der EGMR unter Hinweis auf das Urteil Jersild ausdrücklich anerkannte - "eine unmittelbarere, eindringlichere und stärkere Wirkung auch auf den passiven Rezipienten" hätten. In Printmedien wäre die Werbung daher zulässig gewesen. Außerdem betraf das Verbot nur Werbung, nicht aber die Behandlung religiöser Themen im Programm (einschließlich Dokumentationen, Diskussionen, Filme oder Live-Übertragung von Gottesdiensten). Der Beschwerdeführer hatte das selbe Recht wie jeder andere Bürger, an Programmen über religiöse Themen mitzuwirken und Gottesdienste seiner Kirche übertragen zu lassen. Die Programmgestaltung musste ausgewogen und neutral sein, die Zulässigkeit religiöser Werbung hingegen würde zu einer Begünstigung jener religiösen Gruppen führen, die über größerer Ressorucen verfügten (meines Erachtens sind das eher merkwürdige Argumente: denn welches Recht hat denn ein einfacher Bürger, an religiösen Programmen mitzuwirken, oder gar dass Gottesdienste seiner Kirche übertragen würden? Gerade die ausgewogene Programmgestaltung führt zudem wohl eher dazu, dass in der Bevölkerung stark verankerte Religionsgemeinschaften - die in der Regel auch über mehr Ressourcen verfügen - stärker im Programm vorkommen).
Was unterscheidet religiöse von politischer oder ideeller Werbung?
Das Urteil Murphy ist meines Erachtens nur vor dem konkreten Hintergrund der besonderen irischen Religionskonflikte zu verstehen, auf die der EGMR bei seiner Abwägung Bedacht genommen hat. In Fällen politischer Werbung - die in einigen Mitgliedstaaten, etwa auch in Irland, gleich wie religiöse Werbung geregelt und damit oft verboten oder eingeschränkt war - ist der EGMR nämlich zu anderen Ergebnissen gekommen. Das geschah bereits im Fall VgT Verein gegen Tierfabriken gegen Schweiz (Appl. no. 24699/94; Urteil vom 28. Juni 2001) im Hinblick auf Werbung einer Tierschutzorganisation und schließlich im Fall TV Vest und Rogaland Pensjonistparti gegen Norwegen (Appl. No. 21132/05; Urteil vom 11. Dezember 2008) im Hinblick auf Werbung politischer Parteien (siehe dazu in diesem Blog hier). Auch aus diesen Urteilen ergibt sich freilich nicht, dass politische und ideelle Werbung uneingeschränkt zulässig sein muss, ein völliges Verbot solcher Werbung wäre aber nur zu rechtfertigen, wenn dies im Hinblick auf besondere "Empfindlichkeiten" ("sensitivities as to divisiveness or offensiveness") notwendig wäre. Daher muss man wohl davon ausgehen, dass man an Einschränkungen etwa in Staaten, in denen massive politische Konflikte erst kurze Zeit zurückliegen - etwa den Staaten des Westbalkan -, andere Maßstäbe anlegen könnte als in etablierten Demokratien ohne jüngere Konfliktvergangenheit.
Animal Defenders - die Große Kammer des EGMR wird am 22.4. entscheiden
Besonders spannend ist der vor dem EGMR noch anhängige Fall Animal Defenders International gegen Vereinigtes Königreich (Appl. no. 48876/08), in dem die Große Kammer des EGMR am 22. April 2013 ihr Urteil verkünden wird. Dabei geht es wiederum um das Verbot politischer Werbung, diesmal im Vereinigten Königreich, aufgrund dessen ein Fernsehspot der Tierrechtsorganisation ADI (Spot "My Mate's a Primate", hier auf YouTube zu sehen) nicht gesendet werden durfte (mehr Hintergrund dazu im "Statement of Facts" des EGMR und hier bzw hier auf Inforrm's Blog; dort ist auch die Stellungnahme des UK an den EGMR zu finden).
Politische Werbung in Österreich: müssen wir die Krot schlucken?
Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 12.12.2011, B 1672/10, zu einem Fernsehspot der Arbeiterkammer ("Müssen wir jede Krot schlucken?" hier auf YouTube zu sehen) Folgendes ausgeführt:
Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 12.12.2011, B 1672/10, zu einem Fernsehspot der Arbeiterkammer ("Müssen wir jede Krot schlucken?" hier auf YouTube zu sehen) Folgendes ausgeführt:
Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR, wonach ein generelles Verbot politischer Werbung iwS im Konflikt mit Art 10 EMRK steht (EGMR 28.6.2001, Fall VgT Verein gegen Tierfabriken, Appl. 24.699/94, und 30.6.2009, Fall VgT Verein gegen Tierfabriken [Nr. 2], Appl. 32.772/02; 11.12.2008, Fall TV Vest AS & Rogaland Pensjonistparti, Appl. 21.132/05), ist § 13 Abs 3 ORF-G [in der damaligen Fassung, nun § 14 Abs 1 ORF-G] verfassungskonform dahingehend zu verstehen, dass er auch nicht-kommerzielle, ideelle Werbung erfasst. Diese Sichtweise entspricht sowohl dem Europäischen Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen (an dessen Werbebegriff sich das Rundfunkgesetz weitgehend orientiert hat, wie sich aus den Materialien zum Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen ergibt: RV 1064 BlgNR 20. GP, 35 ff., und AB 1256 BlgNR 20. GP), als auch der Rechtsprechung des OGH (24.2.2009, 4 Ob 223/08k) sowie der Praxis des BKS (vgl. BKS 28.9.2009, 611.009/0015-BKS/2009; zum Ganzen Kogler, TV (on demand), 2010, 154 f.).In der Praxis ist allerdings "Werbung mit religiösem oder parteipolitischem Inhalt" in den Fernseh- und Hörfunkprogrammen des ORF aufgrund der AGB für Werbesendungen in den österreichweiten Programmen (Punkt 3d) ausgeschlossen (ebenso in den interessanterweise gesonderten AGB für ORF III, als wäre dieses Programm nicht österreichweit; sowie in den AGB für Radiowerbung in bundeslandweiten Programmen und regionale Fernsehwerbung). Die AGB des ORF für sogenannte "Beiträge im Dienst der Öffentlichkeit" legen fest, dass solche Beiträge keine parteipolitische Werbung beinhalten dürfen (Punkt 1) und schließen auch Beiträge mit religiösem Charakter aus (Punkt 6). Auf orf.at ist Werbung mit religiösem Inhalt ausgeschlossen (Punkt 3.4), nicht hingegen (partei)politische Werbung (AGB ORF.at), dasselbe gilt für Werbung im Teletext (AGB Teletext).
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