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Wednesday, March 26, 2025

EuG: Auch Internetprovider scheitern mit Klage gegen die Sanktionen gegen russische staatsnahe Medien

Die Sanktionen gegen russische staatsnahe Medien bleiben aufrecht - nachdem schon 2022 die Klage eines sanktionierten Unternehmens abgewiesen wurde, scheiterten nun auch drei niederländische Internet Service Provider, die vor dem EuG (unter anderem) geltend machten, dass durch die Sanktionen ihr Grundrecht auf Verbreitung von Informationen verletzt worden wäre. Das EuG hat diese Argumentation verworfen, ob die ISPs nun Rechtsmittel an den EuGH ergreifen, ist noch unklar

Die Vorgeschichte

Der Rat der Europäischen Union hat mit Beschluss (GASP) 2022/351 und Verordnung (EU) 2022/350, jeweils vom 1. März 2022, die im Jahr 2014 nach der Annexion der Krim verhängten Sanktionen gegen Russland erstmals auch auf Medieninhalte ausgeweitet. Auch davor waren schon einzelne Medienunternehmen und Medienpersönlichkeiten von typischen Sanktionen wie Reisebeschränkungen oder Einfrieren von Geldern betroffen. Neu an der Verordnung vom 1. März 2022 war aber, dass Wirtschaftsakteuren ("Betreibern") innerhalb der Union verboten wurde, Medieninhalte bestimmter staatsnaher russischer Medien zu verbreiten, und dass sämtliche Rundfunklizenzen sowie (private) Übertragungs- und Verbreitungsvereinbarungen "ausgesetzt" wurden (siehe im Blog dazu vor allem hier). 

Von Anfang an wurde heftig diskutiert (siehe zB hier oder hier), ob damit die Medienfreiheit (Art. 11 GRC: Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit) unzulässig eingeschränkt wurde, insbesondere weil nicht auf einzelne problematische Sendungen oder Inhalte, sondern pauschal auf den Absender (zunächst RT und Sputnik, mittlerweile zahlreiche weitere, siehe hier) abgestellt wurde, und weil unter "Betreibern" auch Internet Service Betreiber zu verstehen waren, die den Zugang zu Websites mit diesen Inhalten bloß ermöglichten . 

Die Sanktionierung wurde gerichtlich zunächst von RT France bekämpft; diese Klage wurde vom EuG im beschleunigten Verfahren behandelt und mit einem in Großer Kammer ergangenen Urteil vom 27. Juli 2022, T-125/22, abgewiesen (siehe dazu hier); das zunächst dagegen erhobene Rechtsmittel wurde nach der Insolvenz von RT France wieder zurückgenommen, zu einer Entscheidung des EuGH ist es daher nicht gekommen.

Gegen die Sanktionen war aber nicht nur RT France als direkt betroffenes Medienunternehmen gerichtlich vorgegangen. Auch drei niederländische Internet Service Provider, unterstützt auch von einer niederländischen Journalistenorganisation, erhoben Nichtigkeitsklage beim EuG. 

Das Urteil des EuG

Nun - nach rund dreijähriger Verfahrensdauer - hat das EuG mit Urteil vom 26. März 2025, T-307/22, A2B Connect u.a. / Rat, auch über diese Klage entschieden. Berichter (Rapporteur) war - wie bereits in der Rechtssache RT France - wieder Roberto Mastroianni.

GASP-Beschlüsse

Das EuG verwirft die Klage zunächst insoweit, als sie sich gegen den Beschluss (GASP) 2022/351 (und einen Folgebeschluss) richtet. Dieser Beschlüsse stellten zwar restriktive Maßnahmen gegen die darin individualisierten Unternehmen dar, nicht aber gegenüber den darin nicht genannten ISPs - das Gericht habe daher keine Jurisdiktion, um über die Rechtmäßigkeit dieser Beschlüsse im vorliegenden Verfahren zu entscheiden (Rn. 32).

Verordnungen: Zuständigkeit und Zulässigkeit

Die bekämpften Verordnungen (2022/350 und 2022/879) hingegen wurden auf Grundlage des Art. 215 Abs. 2 AEUV erlassen und unterliegen der vollen Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Unionsgerichte (Rn. 33). 

Da sich die Klage als unbegründet erweist, geht das EuG auf die - vom Rat (mit meines Erachtens  teilweise guten Gründen) bestrittene - Zulässigkeit gar nicht ein, sondern lässt diese offen und behandelt die Sache gleich in merito. 

Kompetenz des Rates zur Erlassung der Verordnungen

Um die in der Klage bestrittene Kompetenz des Rates zur Erlassung der Verordnungen zu prüfen, muss das EuG zunächst doch auf die Kompetenz des Rates zur Erlassung der Beschlüsse im Rahmen der GASP eingehen, die sich auf Art. 29 EUV (Bestimmung des Standpunkts der Union zu bestimmten Fragen) stützen. Nur wenn die Beschlüsse rechtmäßig zustande gekommen sind, können auch die Verordnungen rechtmäßig sein, da die restriktiven Maßnahmen nach Art. 215 Abs. 2 AEUV nur verhängt werden können, wenn dies ein im Rahmen der GASP [rechtmäßig] erlassener Beschluss vorsieht. Diese Kompetenzfrage wird - im Wesentlichen entlang der schon im Urteil RT France vorgezeichneten Argumentation - bejaht. Dabei wird wieder auf die gerade auch von Medienrechtlern gerne vorgebrachten Argumente eingegangen, wonach die Regulierung von Medieninhalten Sache der Mitgliedstaaten sei (siehe etwa hier), die das EuG wenig überraschend nicht beeindrucken: nicht nur dass aus nationalen Zuständigkeiten natürlich in keiner Weise Beschränkungen der Unionszuständigkeiten abgeleitet werden können, die nationalen Maßnahmen verfolgen auch ganz andere Zwecke (Rn. 56f). Auch dass andere Unionszuständigkeiten für die Regulierung von Medien bestehen, ändert an den Kompetenzen im Rahmen der GASP - und daran anknüpfend für die Erlassung restriktiver Maßnahmen nach dem AEUV - nichts: diese schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern sind komplementär, mit jeweils eigenem Anwendungsbereich und unterschiedlichen Zielrichtungen (Rn. 60). Dass schließlich die Erlassung von Sanktionen auf Unionsebene besser geeignet ist, das Ziel einer einheitlichen Anwendung dieser Sanktionen zu erreichen als ein Handeln auf Ebene der Mitgliedstaaten, ist für das EuG auch klar (Rn. 62). 

Recht auf eine gute Verwaltung

Die Kläger machten auch eine Verletzung des in Art. 41 GRC garantierten Rechts auf eine gute Verwaltung geltend - ein typischerweise eher schwaches Argument, das auch hier vom EuG routiniert abgehandelt wird: eigentlich geht es den klagenden ISPs nur um das Recht auf eine Begründung der getroffenen Entscheidung, und da ist zu bedenken, dass es sich hier nicht um einen Rechtsakt handelt, der individuell an die ISPs gerichtet ist. Vor diesem Hintergrund sieht das EuG die Verordnungen wenig überraschend als ausreichend begründet an (Rn 81). 

Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit

Die spannendste Frage handelt das EuG am Schluss ab: den Eingriff in die nach Art. 11 GRC geschützte Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit. 

Das EuG betont zunächst, dass die Grundrechte bei allen Handlungen der Union zu beachten sind, einschließlich bei Rechtsakten, durch die Beschlüsse im Rahmen der GASP umgesetzt werden (Rn. 101). Die in Art. 11 GRC - der unter Beachtung der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 10 EMRK auszulegen ist (Rn. 106) - garantierten Rechte können keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen , sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden (Rn. 104). 

Die ISPs machen eine Verletzung sowohl in ihrem Recht auf Verbreitung von Informationen geltend als auch im Recht ihrer Nutzer auf Erhalt von Informationen. Das EuG zieht zunächst in Zweifel, ob die ISPs überhaupt Grundrechtsträger sein können, die eine Verletzung in ihrem Recht auf Verbreitung von Nachrichten geltend machen können, zumal sie sich darauf stützen, dass die eine neutrale Rolle in der Verbreitung von Inhalten einnehmen. Diese Frage lässt das EuG ausdrücklich offen, da die Klage auch erfolglos bleibt, wenn man die Grundrechtsträgereigenschaft annimmt (Rn. 110). 

Even assuming that internet service providers, such as the applicants, which after all describe themselves as operators providing internet access to individuals or businesses (see paragraph 3 above), may be regarded as holders of an autonomous right to freedom to impart information, despite relying on their neutral role in the broadcasting of content, the applicants’ arguments cannot succeed.

Danach prüft das EuG (unter der Annahme, dass ein Eingriff in das Grundrecht vorliegt), ob die Eingriffsschranken iSd Art. 52 GRC gewahrt sind:  

"gesetzlich vorgesehen"

Der Eingriff hatte laut EuG eine rechtliche Grundlage in den Verträgen (Art. 29 EUV, Art. 215 AEUV; Rn. 112) und für die ISPs sei vorhersehbar gewesen, dass sie von solchen Sanktionen betroffen sein könnten (Rn. 114), sodass das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage gegeben ist (Rn. 115). Bei erster Lektüre lässt mich dieser Begründungsteil ein wenig ratlos zurück, da meines Erachtens die Frage, ob der Eingriff "gesetzlich vorgesehen" war, auch direkt auf die bekämpften Verordnungen abgestellt werden könnte und das vom EGMR entwickelte Kriterium der Vorhersehbarkeit sich eher auf die Frage beziehen würde, ob für die ISPs klar war, ob sie bzw. mit welchen Handlungen sie dem Eingriff unterliegen. Aber auch diese Betrachtungsweise würde wohl keinen Unterschied im Ergebnis machen. 

"den Wesensgehalt achtend"

zur zweiten Voraussetzung, dass der Eingriff den Wesensgehalt des Rechts achten muss, verweist das EuG einerseits recht knapp darauf, dass nur wenige "media outlets" betroffen sind (Rn. 116; mittlerweile ist die Liste auf immerhin 32 angewachsen, aber auch das ist wohl noch eine vergleichsweise geringe Zahl, wenn man sie in Relation zu allen [online] "media outlets" setzt). Andererseits betont das EuG auch, dass die Einschränkungen nur zeitlich beschränkt und reversibel sind (Rn. 117f). Schließlich ist der Umstand, dass das Filtern der betroffenen Inhalte für die ISPs viel Arbeit und hohe Kosten verursacht, im Zusammenhang mit der Beurteilung, ob der Wesensgehalt des Grundrechts verletzt wird, irrelevant ist. Dieses Argument wäre eher im Zusammenhang mit Art. 16 GRC (Unternehmerische Freiheit) relevant, darauf haben sich die ISPs aber nicht gestützt (Rn. 119) - für mich völlig unverständlich, weil das gerade in der Leitentscheidung zu Netzsperren (EuGH 27.3.2014, C‑314/12, UPC Telekabel Wien) ein wesentliches Thema war.

"dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen" 

Die Maßnahmen dienen (u.a.) dem Schutz der Werte der Union und ihrer Sicherheit, waren Teil der Verfolgung dieser Zielsetzungen, konsistent mit diesen und zielten darauf ab, den Kriegszustand und die Verletzungen des Humanitären Völkerrechts zu beenden, was ebenfalls ein Ziel von grundlegendem allgemeinem Interesse ist (Rn. 122).  

Verhältnismäßigkeit 

Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit stellt sich die Frage etwas anders als im Fall RT France, da hier die Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die ISPs zu prüfen is (Rn. 126). Die Maßnahmen entsprachen der Zielsetzung, maximalen Druck auf die russischen Machthaber auszuüben. Es war auch angemessen für den Rat, ISPs in gleicher Weise wie andere Weiterverbreiter von Inhalten in Betracht zu ziehen (Rn. 129). Dass die sanktionierten Inhalte in in der Union noch zugänglich sind, schadet nicht: Mögliche Schwierigkeiten in der Anwendung der bekämpften Verordnungen können nicht dazu führen, dass die Maßnahmen den anerkannten Zielsetzungen nicht tatsächlich entsprechen würden (Rn. 130): 

The fact, claimed by the applicants, that the restrictive measures at issue are not suited to their purpose, because the website of the Russia Today newspaper can still be accessed everywhere in the European Union, cannot call into question the appropriateness of the broadcasting prohibition at issue. Possible difficulties in applying the contested regulations cannot render those measures inappropriate.

(Zur tatsächlichen Erreichbarkeit sanktionierter Inhalte - in Frankreich und Belgien - siehe übrigens einen aktuellen Befund hier

Das EuG bejaht auch die Notwendigkeit der Maßnahmen im Hinblick auf die ISPs ("intrinsically necessary", Rn. 132); eine Beschränkung auf Rundfunk und On Demand-Abrufdienste wäre nicht ausreichend gewesen (Rn. 133). 

Zur eigentlichen Abwägungsentscheidung betreffend die Verhältnismäßigkeit verweist das EuG auf die Bedeutung des größeren Ziels, Frieden und internationale Sicherheit aufrechtzuerhalten, die auch  beträchtliche negative Konsequenzen für Unternehmen, die für diese Situation keinerlei Verantwortung tragen, aufwiegt. Die ISPs sind nur hinsichtlich der Verbreitung der Inhalte relativ weniger Unternehmen beschränkt und können ansonsten Zugang zu allen anderen Inhalten herstellen - es liegt daher kein unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheit, Informationen zu verbreiten, vor (Rn. 134).. 

Zur Verletzung des Rechts der Internet-Nutzer auf Zugang zu Informationen

Die ISPs haben auch auf das Recht ihrer Kunden (Nutzer) hingewiesen, Zugang zu Informationen zu erhalten. Das EuG legt sich hier zunächst gar nicht fest, ob ein solches Recht der Nutzer überhaupt besteht ("Even assuming that those users ... were able to invoke an infringement of a right to freedom of expression and information ..."); selbst wenn es besteht (was meines Erachtens nicht zweifelhaft ist) könne es nämlich von den ISPs nicht geltend gemacht werden. Die ISPs hätten auch nicht dargelegt, aus welchem Grund sie berechtigt wären, sich auf dieses Recht gewissermaßen in Vertretung ihrer Kunden zu stützen (Rn. 138f). 

In diesem Punkt überrascht mich, dass offenbar die ISPs kein substantiiertes Vorbringen erstattet haben, denn aus dem schon zitierten UPC Telekabel Wien-Urteil könnte man doch Hinweise entnehmen, dass ISPs auch Verantwortung für die Grundrechte ihrer Nutzer tragen, zumal es dort ( Rn. 55) heißt, dass ein ISP (dort als Adressat einer Anordnung zu einer Netzsperre) "auch für die Beachtung des Grundrechts der Internetnutzer auf Informationsfreiheit Sorge tragen" muss (dort ging es um die Wahl der Mittel, einer Sperrverfügung nachzukommen, aber es handelt sich doch um eine sehr ähnliche Situation, in der ein ISP nicht aus eigenem Willen, sondern aufgrund behördlicher oder gerichtlicher Entscheidung für seine Kunden den Zugang zu zuvor frei zugänglichen Inhalten unterbinden muss). 

Wie geht es weiter?

Gegen das Urteil des EuG können die ISPs Rechtsmittel an den EuGH erheben. Ob sie das tun werden, ist noch nicht klar, die erste Reaktion der niederländischen Journalistenvereinigung, die eine treibende Kraft hinter der Klage war, klingt eher zurückhaltend. 

Bis zu einem allfälligen EuGH-Urteil ist aber klargestellt, dass die Sanktionen gegen russische staatsnahe Medien Bestand haben und auch von Internet Service Betreibern einzuhalten sind.  

Monday, February 24, 2025

EU-Sanktionen gegen russische Medien - Update

Heute hat der Rat der EU weitere Sanktionen gegen russische staatsnahe Medien beschlossen (Beschluss (GASP) 2025/394 des Rates vom 24. Februar 2025 zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ABl. L, 2025/394, 24.2.2025).  

Mit der Verordnung (EU) 2025/395 des Rates vom 24. Februar 2025 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. L, 2025/395, 24.2.2025) wird - vorbehaltlich eines bis 9. April 2025 vom Rat zu beschließenden Durchführungsrechtsakts - der Anhang XV der VO (EU) Nr. 833/2014 um folgende Organisationen ergänzt:

  • EADaily / Eurasia Daily
  • Fondsk
  • Lenta
  • NewsFront
  • RuBaltic
  • SouthFront
  • Strategic Culture Foundation
  • Krasnaya Zvezda / Tvzvezda

Wenn - was zu erwarten ist - der Rat diesen Durchführungsrechtsakt rechtzeitig beschießt, werden ab 9. April 2025 auch die von diesen Medienorganisationen erstellten Inhalte in der EU nicht mehr verbreitet werden dürfen, allfällige Rundfunklizenzen oder Verbreitungsvereinbarungen werden ausgesetzt und es ist dann auch nicht mehr erlaubt, in diesen Medien zu werben (siehe zum genauen Inhalt der Sanktionen Artikel 2f der VO (EU) Nr. 833/2014). 

Update 8.4.2025: Mit der heute im Amtsblatt veröffentlichten Durchführungsverordnung (EU) 2025/701 des Rates vom 7. April 2025 hat der Rat erwartungsgemäß ausgesprochen, dass die in Artikel 2f der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 genannten Maßnahmen ab dem 9. April 2025 auf alle in Anhang V der Verordnung (EU) 2025/395 aufgeführten Organisationen Anwendung finden. Ebenso hat der Rat mit dem heute im Amtsblatt veröffentlichten Beschluss (GASP) 2025/700 des Rates vom 7. April 2025 ausgesprochen, dass die in Artikel 4g des Beschlusses 2014/512/GASP genannten Maßnahmen ab dem 9. April 2025 auf alle unter Nummer 3 des Anhangs des Beschlusses (GASP) 2025/394 aufgeführten Einrichtungen Anwendung finden.

Außerdem kommt Bewegung in die gerichtliche Auseinandersetzung über diese Sanktionen: das EuG wird am 26. März 2025 über die von niederländischen Internet Service-Betreibern eingebrachte Nichtigkeitsklage T-307/22 A2B Connect ua entscheiden (Update 26.03.2025: siehe dazu im Blog hier; zusammengefasst: das EuG hat die Nichtigkeitsklage der Provider abgewiesen). 

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PS: was bisher geschah - meine bisherigen Blogbeiträge zu diesem Thema

PPS: die Gesamtliste der sanktionierten Medien 
  • RT — Russia Today English
  • RT — Russia Today UK
  • RT — Russia Today Germany
  • RT — Russia Today France
  • RT — Russia Today Spanish
  • Sputnik
  • Rossiya RTR / RTR Planeta
  • Rossiya 24 / Russia 24
  • TV Centre International
  • NTV/NTV Mir 
  • Rossiya 1 
  • REN TV 
  • Pervyi Kanal
  • RT Arabic
  • Sputnik Arabic
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  • Rossiiskaja Gazeta
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Friday, September 29, 2023

EU-Sanktionen gegen russische Medien - Update

Wieder mal ein kurzes Update zu den EU-Sanktionen betreffend russische staatsnahe Medien: 

Die erstmals mit Verordnung (EU) 2022/350 des Rates bzw. Beschluss (GASP) 2022/351 des Rates, jeweils vom 1. März 2022, zunächst befristet verhängten restriktiven Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Inhalten bestimmter russischer staatlicher bzw, staatsnaher Medien wurden seither mehrfach verlängert und auf weitere Medieninhalte ausgeweitet. Ich habe im Blog die Entwicklung dieser Sanktionsinstrumente mehrfach dokumentiert und verweise dazu auf die bisherigen Beiträge: 

Mit der heute kundgemachten Durchführungsverordnung (EU) 2023/2081 des Rates vom 28.  September 2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) 2023/1214 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren hat der Rat nun wie erwartet beschlossen, dass die in Artikel 2f der  Verordnung (EU) Nr. 833/2014 genannten restriktiven Maßnahmen ab dem 1. Oktober 2023 auf alle in Anhang IV der Verordnung (EU) 2023/1214 aufgeführten Organisationen Anwendung finden.

Update 18.5.2024: mit der gestern kundgemachten Verordnung (EU) 2024/1428 des Rates vom 17. Mai 2024 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren wurde beschlossen, vier weitere Medien (Voice of Europe, RIA Novosti, Izvestija, Rossiiskaja Gazeta) in Anhang XV der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 aufzunehmen, und zwar ab 25. Juni 2024, "sofern der Rat dies nach Prüfung der jeweiligen Fälle dieser Organisationen im Wege eines Durchführungsrechtsakts beschließt." Es ist anzunehmen, dass das nur ein formaler Akt sein wird (Update: am 24.06.2024 wurde die Durchführungsverordnung (EU) 2024/1776 des Rates, ABl. L, 2024/1776 vom 24.6.2024, kundgemacht), und dass daher ab 25. Juni 2024 (vorerst befristet bis zum 31. Juli 2024) Inhalte folgender "juristischer Personen, Organisationen und Einrichtungen" von den Sanktionen erfasst sind: 

  • RT — Russia Today English
  • RT — Russia Today UK
  • RT — Russia Today Germany
  • RT — Russia Today France
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  • Sputnik
  • Rossiya RTR / RTR Planeta
  • Rossiya 24 / Russia 24
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  • Voice of Europe
  • RIA Novosti
  • Izvestija
  • Rossiiskaja Gazeta

Nur zur Klarstellung (Näheres vor allem in meinem ersten ausführlichen Beitrag dazu): mit den Sanktionen werden nicht einfach "nur" - wie das oft verstanden wurde - die betroffenen Sender "verboten" (Rundfunklizenzen oder -genehmigungen, Übertragungs- und Verbreitungsvereinbarungen werden ausgesetzt), sondern es wird allen Wirtschaftsakteuren ("Betreibern") untersagt, Inhalte der betroffenen Medien "zu senden oder deren Sendung zu ermöglichen, zu erleichtern oder auf andere Weise dazu beizutragen"; das betrifft insbesondere auch ISPs, aber zB auch App-Stores und viele mehr. Außerdem ist es verboten, in  den betroffenen Inhalten für Produkte oder Dienstleistungen zu werben. 

Die gerichtliche Bekämpfung der Sanktionen durch RT France ist vor dem EuG gescheitert (Urteil des EuG vom 27.07.2022, T-125/22 RT France / Rat). Nach der Insolvenz hat RT France - wohl um der Streichung der Verfahren zuvor zu kommen - das gegen dieses Urteil erhobene Rechtsmittel ebenso wie mehrere gegen die jeweiligen "Verlängerungs"-Verordnungen eingebrachte Klagen zurückgenommen. Damit bleibt nur mehr die von niederländischen Internetprovidern erhobene Nichtigkeitsklage T-307/22 A2B Connect ua beim EuG anhängig. Ein Verhandlungstermin wurde vom EuG noch nicht bekannt gegeben. 

Update 10.06.2024: Nun gibt es einen Termin für die Verhandlung vor dem EuG: 10. Juli 2024. Die Verhandlung findet vor der ersten erweiterten (d.h. mit fünf Richter:innen besetzten) Kammer statt. Das deutet darauf hin, dass die Klage wohl eher nicht als von vornherein unzulässig angesehen wird. [Ergänzung 22.07.2024: Einen Bericht zur Verhandlung findet man hier]

Update 23.06.2024: Die Kommission hat eine konsolidierte Fassung der FAQs zu den Sanktionen (letztes Update 14.05.2024) veröffentlicht, in der auch Fragen zu den Mediensanktionen beantwortet werden.

Saturday, April 08, 2023

Sanktionen gegen russische Staatsmedien - zum aktuellen Stand nach der Insolvenz von RT France

tl;dr: RT France ist insolvent. Die von RT France beim EuG bzw. EuGH anhängig gemachten Verfahren zur Nichtigerklärung der Sanktionen werden daher voraussichtlich ohne weitere Entscheidung in der Sache eingestellt werden. Wann das EuG über die von niederländischen ISPs eingebrachte Nichtigkeitsklage entscheiden wird, ist noch offen.

Die Sanktionen wurden zuletzt mit Wirkung vom 10. April 2023 ausgeweitet und bleiben (vorerst) bis 31. Juli 2023 in Kraft.

Update 02.07.2023: Mit Beschluss (GASP) 2023/1217 des Rates vom 23. Juni 2023 bzw. mit Verordnung (EU) 2023/1214 des Rates vom 23. Juni 2023 wurden der Beschluss 2014/512/GASP bzw. die VO (EU) Nr. 833/2014 jeweils dahingehend geändert, dass auch Inhalte folgender "juristischer Personen, Organisationen und Einrichtungen" von den Sanktionen erfasst sein sollen, und zwar ab 01.10.2023, "sofern der Rat dies nach Prüfung der betreffenden Fälle einstimmig beschließt" bzw. "sofern der Rat nach Prüfung der betreffenden Fälle dies im Wege eines Durchführungsrechtsakts beschließt"; die entsprechende Mitteilung an die betroffenen Einrichtungen ist bereits ergangen)

  • RT Balkan
  • Oriental Review
  • Tsargrad
  • New Eastern Outlook
  • Katehon

Was bisher geschah

Ich habe mich in diesem Blog (und anderswo) schon mehrfach mit den vom Rat der Europäischen Union nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 verhängten Sanktionen befasst, soweit sich diese (erstmals) auch gegen die Verbreitung bestimmter Medieninhalte innerhalb der EU richteten. Zur Übersicht vorweg Links zu den bisherigen Beiträgen:

Von den Sanktionen betroffene Medieninhalte

Die Sanktionen betrafen zunächst die englisch-, deutsch-, französisch- und spanischsprachigen Inhalte von RT (Russia Today) und die Inhalte von Sputnik. Sie wurden in der Folge mehrfach verlängert und auf andere Inhalte russischer Staatsmedien ausgedehnt. Ab übermorgen, 10. April 2023 (und vorerst befristet bis 31. Juli 2023; Update 21.07.2023: nach dem heute veröffentlichten Beschluss (GASP) 2023/1517 des Rates verlängert bis zum 31. Jänner 2024) sind Inhalte folgender "juristischer Personen, Organisationen und Einrichtungen" von den Sanktionen erfasst: 

  • RT — Russia Today English
  • RT — Russia Today UK
  • RT — Russia Today Germany
  • RT — Russia Today France
  • RT — Russia Today Spanish
  • Sputnik
  • Rossiya RTR / RTR Planeta
  • Rossiya 24 / Russia 24
  • TV Centre International
  • NTV/NTV Mir 
  • Rossiya 1 
  • REN TV 
  • Pervyi Kanal
  • RT Arabic
  • Sputnik Arabic

Nichtigkeitsklagen von RT France

Die Sanktionen wurden gerichtlich von RT France bekämpft, wobei RT France in erster Instanz unterlag (Urteil des EuG vom 27.07.2022, T-125/22 RT France / Rat). Gegen dieses Urteil hat RT France Rechtsmittel an den EuGH erhoben, das Verfahren ist noch zu C-620/22 P anhängig. Zudem hat RT France auch die jeweiligen Rechtsakte, mit denen die Sanktionen verlängert wurden, mit Klage beim EuG bekämpft; diese Verfahren sind noch anhängig (T-605/22 RT France / RatT-75/23 RT France / Rat und T-169/23 RT France / Rat). 

Update 21.07.2023: die Klagen zu T-605/22, T-75/23 und T-169/23 wurden von RT France jeweils zurückgezogen, die Verfahren mit Beschlüssen des EuG daher aus dem Register gestrichen.

Update 14.08.2023: das Rechtsmittel von RT France gegen das Urteil des EuG vom 27.07.2022, Ta-125/22 RT France / Rat wurde zurückgezogen. Der EuGH hat das Verfahren in der Rechtssache C-620/22 P daher mit Beschluss vom 28.07.2023 aus dem Register gestrichen.

Insolvenz von RT France

Nun ist RT France laut Medienberichten (die auch auf ein entsprechendes Statement der Geschäftsführerin von RT France auf Twitter verweisen) endgültig insolvent. Damit stellt sich die Frage, was mit den beim EuGH bzw. beim EuG anhängigen Verfahren passiert. 

Nach der Rechtsprechung des EuG muss das Rechtsschutzinteresse der Klägerin bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung weiter vorliegen; im Fall der Liquidation des Unternehmens wegen Insolvenz - wenn das Unternehmen keine "werbende Geschäftstätigkeit" mehr ausüben kann - fällt dieses Rechtsschutzinteresse allerdings weg. Dies gilt auch dann, wenn das (insolvente) Unternehmen eine Haftungsklage gegen die Gemeinschaft nach einer Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung anstrebt; diesbezüglich hat das EuG ausgesprochen, dass die Schadensersatzklage im Vertrag als selbständiger Rechtsbehelf vorgesehen ist und dass eine solche Klage somit parallel zu einer Nichtigkeitsklage erhoben werden kann (EuG 19.06.2009, T-269/03, Socratec). Meines Erachtens spricht somit viel dafür, dass RT France mit Eintritt der Insolvenz das Rechtsschutzinteresse verloren hat und die Verfahren daher als erledigt eingestellt werden. (Update 14.08.2023: RT France ist der Einstellung durch Zurückziehung des Rechtsmittels zuvorgekommen; das Verfahren wurde daher mit Beschluss vom 28.07.2023 aus dem Register gestrichen).

Nichtigkeitsklage niederländischer ISPs

Allerdings ist noch ein weiteres Verfahren gegen die Sanktionen beim EuG anhängig, nämlich die von niederländischen Internetprovidern erhobene (und von der niederländischen Journalistenvereinigung NVJ unterstützte!) Nichtigkeitsklage T-307/22 A2B Connect ua. Zwar ist in einer Pressemitteilung des NVJ die Rede davon, dass im September 2022 eine zweite Klage eingebracht worden sei, tatsächlich dürfte aber bloß die zu T-307/22 anhängige Klage ergänzt worden sein (in diesem Sinn auch die Information auf der Website der sogenannten Freedom of Information Coalition, die das Verfahren ebenfalls unterstützt). Ein Verhandlungstermin wurde vom EuG noch nicht bekannt gegeben. 

Monday, January 30, 2023

Weiteres Update zu den EU-Sanktionen gegen russische Staatsmedien

Ab 1. Februar 2023 treffen die Sanktionen gegen russische Staatsmedien auch NTV/NTV Mir, Rossiya 1, REN TV und Pervyi Kanal. 

"Sendeverbot" für RT und Sputnik

Am 1. März 2022 hat der Rat der Europäischen Union restriktive Maßnahmen ("Sanktionen") gegen bestimmte Medienunternehmen verhängt, die vom russischen Staat kontrolliert werden. Diese Sanktionen gingen über das bis dahin übliche Sanktionsregime deutlich hinaus, und umfassten ein de facto Sende- und Verbreitungsverbot der von diesen Medien hergestellten Inhalte im Raum der EU. Mit der Reichweite dieser - ihrer Art nach vollkommen neuen - restriktiven Maßnahmen habe ich mich noch im März letzten Jahres hier im Blog (und hier auf dem Verfassungsblog) eingehend beschäftigt (siehe auch ein ausführliches Gespräch, das Prof. Nikolaus Forgó mit mir zu diesem Thema führte, als Folge 279 des Ars Boni Video-Podcast auf YouTube). 

Erste Erweiterung der Sanktionen 

Die - befristet verhängten - Sanktionen wurden inzwischen mehrfach verlängert, zuletzt bis 31. Juli 2023. Vor allem aber wurden die gegen die Verbreitung bestimmter Medieninhalte gerichteten Sanktionen auch inhaltlich erweitert und auf weitere Medienkanäle ausgedehnt; siehe dazu diesen Beitrag im Blog.

Gerichtsverfahren

Daneben sind die Sanktionen auch Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen: die Nichtigkeitsklage von RT France wurde vom EuG bereits abgewiesen, das Rechtsmittel von RT France ist zu C-620/22 P beim EuGH anhängig (zum EuG-Urteil siehe im Blog näher hier; update 14.08.2023: das Verfahren vor dem EuGH wurde nach Zurückziehung des Rechtsmittels durch RT France mit Beschluss vom 28.07.2023 aus dem Register gestrichen). Eine weitere Nichtigkeitsklage, die von niederländischen ISPs initiiert wurde, ist noch beim EuG anhängig (T-307/22, A2B Connect u.a./Rat,).  

Zweite Erweiterung der Sanktionen

Mit dem neunten Sanktionspaket wurde im Dezember 2022 auch eine weitere Ausdehnung der Sanktionen gegen die Verbreitung von Inhalten staatlich kontrollierter russischer Medien beschlossen. Demnach sollten auch 

  • NTV/NTV Mir 
  • Rossiya 1 
  • REN TV 
  • Pervyi Kanal 

von den Sanktionen betroffen sein. Rechtlich erfolgte die Ausweitung der Sanktionen durch den Beschluss (GASP) 2022/2478 des Rates vom 16. Dezember 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl L 322 I/614 vom 16. Dezember 2022) und die Verordnung (EU) 2022/2474 des Rates vom 16. Dezember 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl L 322 I/1 vom 16. Dezember 2022). In beiden Rechtsakten wurde festgehalten, dass die Änderungen des jeweiligen Anhangs, in dem die betroffenen Medien aufgelistet sind, erst ab dem 1. Februar 2023 gelten, "sofern der Rat nach Prüfung der betreffenden Fälle dies im Wege eines Durchführungsrechtsakts einstimmig beschließt" (Beschluss (GASP) 2022/2478) bzw. "vorausgesetzt der Rat beschließt dies nach Prüfung der betreffenden Fälle im Wege eines Durchführungsrechtsakts" (VO (EU) 2022/2474). 

Diese Durchführungsrechtsakte wurden nunmehr beschlossen und heute, am 30. Jänner 2023 kundgemacht: 

  • Beschluss (GASP) 2023/190 des Rates vom 27. Januar 2023 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl L 26/43 vom 30. Jänner 2023
  • Durchführungsverordnung (EU) 2023/180 des Rates vom 27. Januar 2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) 2022/2474 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl L 26/1 vom 30. Jänner 2023)

Update (09.03.2023):

Mit dem zehnten Sanktionspaket wurden die Sanktionen gegen staatlich kontrollierte russische Medien neuerlich erweitert und auf "RT Arabic" und "Sputnik Arabic" ausgeweitet. Rechtlich erfolgte die Ausweitung der Sanktionen durch den Beschluss (GASP) 2023/434 des Rates vom 25. Februar 2023 zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. L 59I vom 25.2.2023, S. 593) und die Verordnung (EU) 2023/427 des Rates vom 25. Februar 2023 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. L 59I vom 25.2.2023, S. 6). In beiden Rechtsakten wurde festgehalten, dass die Änderungen des jeweiligen Anhangs, in dem die betroffenen Medien aufgelistet sind, erst ab dem 10. April 2023 gelten, "sofern der Rat nach Prüfung der betreffenden Fälle dies im Wege eines Durchführungsrechtsakts beschließt." (Die Mitteilung an "RT Arabic" und "Sputnik Arabic" ist im ABl. C 70I vom 27.2.2023, S. 12, veröffentlicht).

Update (03.04.2023):

Der Beschluss (GASP) 2023/728 des Rates vom 31. März 2023 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren wurde am 3. April 2023 im Amtsblatt veröffentlicht (ABl. L 94 vom 3.4.2023, S. 65). 
Die Durchführungsverordnung (EU) 2023/722 des Rates vom 31. März 2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) 2023/427 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren wurde am 3. April 2023 im Amtsblatt veröffentlicht (ABl. L 94 vom 3.4.2023, S. 19). Eine Mitteilung an "RT Arabic" und "Sputnik Arabic" wurde ebenfalls am 3. April veröffentlicht (ABl. C 120 vom 3.4.2023, S. 2).
Damit treffen die Sanktionen ab 10. April auch "RT Arabic" und "Sputnik Arabic".

Aktueller Text der Rechtsvorschriften 

Mit Stand 10. April 2023 gelten daher folgende Sanktionen gegen Medien, die vom russischen Staat kontrolliert werden (konsolidierter Text, ohne Gewähr): 

1. Nach dem Beschluss 2014/512/GASP des Rates in der zum 10. April 2023 geltenden Fassung:

Artikel 4g

(1)   Es ist den Betreibern verboten, Inhalte durch die in Anhang IX aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen zu senden oder deren Sendung zu ermöglichen, zu erleichtern oder auf andere Weise dazu beizutragen, auch durch die Übertragung oder Verbreitung über Kabel, Satellit, IP-TV, Internetdienstleister, Internet-Video-Sharing-Plattformen oder -Anwendungen, unabhängig davon, ob sie neu oder vorinstalliert sind.

(2)   Alle Rundfunklizenzen oder -genehmigungen, Übertragungs- und Verbreitungsvereinbarungen mit den in Anhang IX aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen werden ausgesetzt.

(3)   Es ist verboten, in Inhalten, die von den in Anhang IX aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen erstellt oder gesendet werden, für Produkte oder Dienstleistungen zu werben, einschließlich durch Übertragung oder Verbreitung mittels der in Absatz 1 genannten Möglichkeiten.

...

Artikel 9

Dieser Beschluss gilt bis zum 31. Juli 2023.

...

ANHANG IX

LISTE DER JURISTISCHEN PERSONEN, ORGANISATIONEN UND EINRICHTUNGEN NACH ARTIKEL 4g

RT — Russia Today English
RT — Russia Today UK
RT — Russia Today Germany
RT — Russia Today France
RT — Russia Today Spanish
Sputnik
Rossiya RTR / RTR Planeta
Rossiya 24 / Russia 24
TV Centre International
NTV/NTV Mir 
Rossiya 1 
REN TV 
Pervyi Kanal
RT Arabic
Sputnik Arabic


2. Nach der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates in der zum 10. April 2023 geltenden Fassung:

Artikel 2f

(1)   Es ist den Betreibern verboten, Inhalte durch die in Anhang XV aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen zu senden oder deren Sendung zu ermöglichen, zu erleichtern oder auf andere Weise dazu beizutragen, auch durch die Übertragung oder Verbreitung über Kabel, Satellit, IP-TV, Internetdienstleister, Internet-Video-Sharing-Plattformen oder -Anwendungen, unabhängig davon, ob sie neu oder vorinstalliert sind.

(2)   Alle Rundfunklizenzen oder -genehmigungen, Übertragungs- und Verbreitungsvereinbarungen mit den in Anhang XV aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen werden ausgesetzt.

(3)   Es ist verboten, in Inhalten, die von den in Anhang XV aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen erstellt oder gesendet werden, für Produkte oder Dienstleistungen zu werben, einschließlich durch Übertragung oder Verbreitung mittels der in Absatz 1 genannten Möglichkeiten.

...

ANHANG XV

Liste der natürlichen und juristischen personen, organisationen und einrichtungen nach artikel 2f

RT — Russia Today English
RT — Russia Today UK
RT — Russia Today Germany
RT — Russia Today France
RT — Russia Today Spanish
Sputnik
Rossiya RTR / RTR Planeta
Rossiya 24 / Russia 24
TV Centre International
NTV/NTV Mir 
Rossiya 1 
REN TV 
Pervyi Kanal 
RT Arabic
Sputnik Arabic

 

Friday, July 29, 2022

EuG: Keine Nichtigerklärung der Sanktionen gegen RT France

Das Sende- und Weiterverbreitungsverbot für Inhalte von RT (Russia Today) ist gültig. Zu diesem Ergebnis ist das EuG in seinem Urteil der Großen Kammer vom 27. Juli 2022, T-125/22, RT France / Rat (Pressemitteilung) gekommen. Die Nichtigkeitsklage von RT France gegen den Beschluss (GASP) 2022/351 des Rates und die Verordnung (EU) 2022/350 des Rates wurde abgewiesen. Damit bleiben diese Sanktionen (jedenfalls vorerst) in Kraft - der Rechtszug zum EuGH steht RT France noch offen. Zudem hat das EuG auch noch über eine weitere Nichtigkeitsklage gegen diese Sanktionen, die von niederländischen Internet Service Providern erhoben wurde (T-307/22 A2B Connect ua /Rat), zu entscheiden, in der wohl auch Klagegründe geltend gemacht werden, die im nun entschiedenen Fall keine Rolle gespielt haben. 

Bemerkenswert ist, dass das EuG - im Allgemeinen nicht gerade für kurze Verfahrensdauern bekannt - diese Rechtssache im beschleunigten Verfahren innerhalb von weniger als fünf Monaten entschieden hat (Einlangen der Klage am 8. März 2022, Urteilsverkündung am 27. Juli 2022). Auch das zeigt - neben der Entscheidung in der Großen Kammer - dass es keine Routinesache war, die hier verhandelt und entschieden wurde.

Zur Vorgeschichte 

Die EU hat mit Beschluss (GASP) 2022/351 des Rates vom 1. März 2022 und - darauf aufbauend - mit Verordnung (EU) 2022/350 des Rates vom 1. März 2022, die bereits 2014 verhängten restriktiven Maßnahmen "angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren", weiter verschärft und in diese Sanktionen erstmals auch ein Verbot der Verbreitung bestimmter audiovisueller Inhalte sowie ein Aussetzen von Rundfunklizenzen aufgenommen (siehe in diesem Blog bislang hier und hier). Betroffen waren damals RT (Russia Today, in verschiedenen Sprachen) und Sputnik (mittlerweile wurde die Liste erweitert, siehe näher dazu hier). Die Entscheidung, de facto ein Sendeverbot für Rundfunkveranstalter zu verhängen, wurde vielfach kritisch beurteilt, insbesondere (wie aus Deutschland nicht anders zu erwarten) im Hinblick auf eine angeblich nicht vorhandene Kompetenzgrundlage für ein derartiges Eingreifen der Union einerseits (zB von Ferreau im Verfassungsblog) und wegen des damit verbundenen Eingriffs in die Meinungsäußerungs- bzw. Medienfreiheit nach Art. 11 Grundrechtecharta andererseits (zB von Voorhoof auf Inforrm's Blog, von Helberger und Schulz auf dem Media@LSE Blog, oder von Popović auf EJIL: Talk!). Von Bedeutung dabei ist auch, dass die Sanktionen nicht nur die "sanktionierten" Rundfunkveranstalter treffen, sondern etwa auch Internet Service Provider, Suchmaschinen oder Social Media Plattformen, die den Zugang zu Websites der betroffenen Rundfunkveranstalter sperren müssen (zur Reichweite der Sanktionen im Detail hier). 

Die Klägerin

RT France ist eine in Frankreich niedergelassene Aktiengesellschaft, deren einzige Aktionärin "TV Novosti" ist, eine gemeinnützigen Vereinigung mit Sitz in Moskau, die fast vollständig aus dem russischen Staatshaushalt finanziert wird. Seit 2017 sendete RT France auf Basis einer von der französischen Regulierungsbehörde (Conseil Supérieur de l'Audiovisuel - CSA) erteilten Zulassung audiovisuelle Inhalte über Satellit und Internet (in Frankreich und darüber hinaus). Die Klage vor dem EuG stützte RT France auf vier Klagegründe:

  1. Verletzung der Verteidigungsrechte, 
  2. Verletzung der Meinungs- und Informationsfreiheit, 
  3. Verletzung der unternehmerischen Freiheit,  
  4. Verletzung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit.

Der Beklagte und seine Streithelfer 

Beklagt war der Rat als Normsetzer der bekämpften Rechtsakte. Als Streithelfer auf der Seite des Rates sind die Kommission und der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik beigetreten, sowie von den Mitgliedstaaten einerseits die (teilweise) französischsprachigen Staaten Frankreich und Belgien und andererseits - mit Ausnahme Finnlands - alle Staaten mit einer Landgrenze zu Russland (Polen, Estland, Lettland und Litauen). Aus diesem Line-up muss man nicht allzu viel ableiten, aber es zeigt doch, dass die "westlichen" EU-Staaten (mit Ausnahme Frankreichs und Belgiens) kein besonderes Interesse an der Sache zeigen. Österreich zum Beispiel hat sich ebenso wie Deutschland im Verfahren nicht eingebracht.

Das Urteil

Kompetenz des Rates

Im Rahmen des zweiten Klagegrundes zog RT France auch die Zuständigkeit des Rates zur Erlassung der bekämpften Rechtsakte in Zweifel. Alleine die nationalen Regulierungs- bzw. Aufsichtsbehörden (in Frankreich nunmehr Arcom) seien zuständig, gegen ein audiovisuelles Medium wegen unangemessener redaktioneller Inhalte zu bestrafen. 

Damit machte RT France der Sache nach Bedenken geltend, wie sie auch von klassischen deutschen Medienrechtlern gerne vorgebracht werden: Medien wären demnach allein mitgliedstaatlicher Regulierung unterworfen. Abgesehen davon, dass diese Ansicht schon die Binnenmarkt-Dimension der Medienregulierung übersieht (Stichwort: AVMD-Richtlinie), greift sie im Fall der Sanktionierung russischer Staatsmedien schon wegen der anderen Kompetenzgrundlage nicht, wie das EuG in seinem Urteil deutlich macht:

Der bekämpfte Beschluss stützt sich auf Art 29 EUV, wonach der Rat den Standpunkt der Union (im Rahmen der GASP, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik) bestimmt. Nach der Rechtsprechung des EuGH verfügt der Rat dabei "wegen des breiten Spektrums der in Art. 3 Abs. 5 EUV und Art. 21 EUV sowie den speziellen Vorschriften über die GASP, insbesondere den Art. 23 und 24 EUV, genannten Ziele und Felder der GASP" über einen großen Spielraum (das EuG verweist dazu [wie auch ich bereits in meinem ersten Blogbeitrag] auf das zu früheren Sanktionen gegen Russland ergangene Urteil Rosneft, Rn. 88).

Das EuG hält fest, dass dem Rat nicht vorgeworfen werden könne, dass er angesichts der internationalen Krise, die durch die Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine verursacht wurde, auch das vorübergehende Verbot der Ausstrahlung von Inhalten bestimmter Medien, insbesondere der vom russischen Staat finanzierten RT-Gruppe, als eine der zielführenden Maßnahmen ("mesures utiles") angesehen hat, um auf die schwere Bedrohung des Friedens an den Grenzen der Union und den Verstoß gegen das Völkerrecht zu reagieren. Der Eingriff steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Zielen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Da Propaganda- und Desinformationskampagnen geeignet sind, die Grundlagen demokratischer Gesellschaften in Frage zu stellen und einen integralen Bestandteil des Arsenals moderner Kriegsführung zu bilden, sind die restriktiven Maßnahmen auch Teil der Verfolgung der Ziele der Union nach Art. 3 Abs. 1 und 5 EUV.

Zum Argument, dass nur die nationale Regulierungsbehörde einen derartigen Eingriff hätte vornehmen dürfen, verweist das EuG einerseits darauf, dass Zuständigkeiten der Union, einschließlich jener der im Rahmen der GASP, nicht durch Befugnisse nationaler Verwaltungsbehörden ausgeschlossen oder eingeschränkt werden können. Dass eine nationale Behörde zu bestimmten "Sanktionen" befugt ist, steht der Befugnis des Rates zur Erlassung restriktiver Maßnahmen nicht entgegen, auch wenn diese Maßnahmen darauf abzielen, die Verbreitung von Inhalten eines Rundfunkveranstalters (vorübergehend) zu untersagen. Andererseits merkt das EuG an, dass die den nationalen  Behörden durch die innerstaatliche Gesetzgebung übertragenen Befugnisse nicht dieselben Ziele verfolgen, nicht auf denselben Werten beruhen und nicht dieselben Ergebnisse garantieren können wie die im Rahmen der GASP getroffenen einheitlichen Sofortmaßnahmen für das gesamten Gebiet der Union. 

In diesem Zusammenhang bezieht sich das EuG auch darauf, dass die restriktiven Maßnahmen auch an alle "Betreiber" gerichtet sind, die Inhalte der RT-Gruppe verbreiten, sodass ein allfälliges Eingreifen nationaler Aufsichtsbehörden, das auf den Hoheitsbereich des jeweiligen Mitgliedstaates beschränkt ist, nicht zum selben Ergebnis hätte führen können. 

Kurz geht das EuG geht auch auf die - von RT France gar nicht geltend gemachte - Frage der Aufteilung von Kompetenzen innerhalb der Union ein. Dass eine Regelung etwa auch im Rahmen der Binnenmarktkompetenz (wie bei der AVMD-Richtlinie) möglich gewesen wäre, schließt die Kompetenz im Rahmen der GASP aber nicht aus: Die Maßnahmen ergänzen einander, haben ihren eigenen Anwendungsbereich und andere Ziele. 

Die bekämpfte Verordnung stützte sich auf Art. 215 Abs. 2 AEUV, auch die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Kompetenzgrundlage sieht das EuG konsequenterweise als gegeben an.

Keine Verletzung der Verteidigungsrechte

Rechtlich etwas heikler als die meines Erachtens wenig problematische Kompetenzfrage war die Frage , ob RT France als unmittelbar von der Maßnahme betroffenes Unternehmen in seinen Verteidigungsrechten verletzt wurde, weil keine vorherige Anhörung erfolgt war und die Begründung der Maßnahmen relativ knapp gehalten wurde. 

Das Recht jeder Person auf rechtliches Gehör, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird, ist in Art. 41 Abs. 2 Buchst. a GRC verankert. Im Zusammenhang mit der Aufnahme (oder Belassung) einer Person auf die Sanktionsliste hat der EuGH bereits ausgesprochen, dass die zuständige Unionsbehörde der betroffenen Person die ihr vorliegenden belastenden Informationen, auf die sie ihre Entscheidung stützt, mitteilen muss, damit diese Person ihre Rechte unter den bestmöglichen Bedingungen verteidigen und in Kenntnis aller Umstände entscheiden kann, ob es angebracht ist, den Unionsrichter anzurufen (Urteil Kadi II, Rn. 111). Diese Information muss aber nicht zwingend vor der erstmaligen Aufnahme in die Sanktionsliste erfolgen (Urteil Kadi I, Rn. 338-342). 

Das EuG überträgt diese Rechtsprechung, die den notwendigen Überraschungseffekt in Fällen der Aufnahme in die Sanktionsliste, insbesondere im Hinblick auf das Einfrieren von Geldern, betont hat, auch auf den hier vorliegenden Fall eines (temporären) Sende- und Verbreitungsverbots. Auch dabei sei ein sofortiges Handeln unerlässlich, um den "effet utile", die Wirksamkeit der Maßnahme, nicht zu gefährden. 

Die Erfordernisse der Dringlichkeit und Wirksamkeit aller erlassenen restriktiven Maßnahmen würden daher die Beschränkung des nach Art. 41 Abs. 2 Buchst. a GRC gewährleisteten Rechts rechtfertigen, soweit die Maßnahmen tatsächlich anerkannten Zielen des Gemeinwohls - wie zB der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in der Union - dienen. 

Das EuG hält auch fest, dass es - um die Integrität der demokratischen Debatte innerhalb der europäischen Gesellschaft zu wahren - notwendig geworden sei, nach dem Ausbruch des bewaffneten Konflikts restriktive Maßnahmen gegenüber Medien zu ergreifen, die vom russischen Staat - dem Aggressorstaat - finanziert werden, und die als Quelle ständiger und konzertierter Desinformation und Manipulation von Tatsachen anzusehen sind (Rn. 88). Das EuG bezieht sich in diesem Zusammenhang auch auf Rechtsprechung des EGMR (Urteil NIT, Abs.181 und 182), wonach zu berücksichtigen sei, dass audiovisuelle Medien eine viel unmittelbarere und stärkere Wirkung haben als die Presse, da sie durch Bilder Botschaften übermitteln können, die das geschriebene Wort nicht vermitteln kann.

Unter Berücksichtigung des "ganz außergewöhnlichen Kontexts", in dem die angefochtenen Rechtsakte erlassen wurden, kommt das EuG daher zum Ergebnis, dass der Rat nicht verpflichtet war, RT France vor der erstmaligen Eintragung in die Sanktionslisten anzuhören. Sicherheitshalber führt das EuG aber in einer Alternativbegründung auch noch aus, dass RT nicht dargelegt hat, dass eine Anhörung zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (Rn. 93 bis 99). 

Auch das Erfordernis einer ausreichenden Begründung sieht das EuG als erfüllt an: in den Erwägungsgründen 6 bis 9 der angefochtenen Rechtsakte ergibt sich, dass (auch) RT France deshalb in die Liste aufgenommen wurde, weil sie die darin vorgesehenen spezifischen und konkreten Voraussetzungen erfüllte, nämlich ein Medium zu sein, das der ständigen unmittelbaren oder mittelbaren Kontrolle der Führung der russischen Föderation unterstand, und Propagandaaktionen durchführte, die unter anderem darauf abzielten, die militärische Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine zu rechtfertigen und zu unterstützen. Diese Begründung sei "verständlich und hinreichend genau," um es RT France zu ermöglichen, die Gründe zu erfahren, die den Rat zur Einbeziehung von RT France in die Sanktionen veranlasst haben, und zweitens um die Rechtmäßigkeit dieser Rechtsakte vor den Unionsgerichten anzufechten. 

Keine Verletzung der Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit

Die spannende Kernfrage des Rechtsstreits war natürlich die Vereinbarkeit des Sende- und Verbreitungsverbots mit der durch Art. 11 GRC garantierten Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit. 

Das EuG setzt an die Spitze seiner Ausführungen zunächst einige allgemeine Anmerkungen zu den rechtswissenschaftlichen Grundsätzen der Meinungsäußerungsfreiheit, wobei es sich ganz wesentlich auf die Rechtsprechung des EGMR stützt. Es betont (in Rn. 133), dass die Meinungsäußerungsfreiheit für jedermann gilt (unter Hinweis auf EGMR Öztürk, Abs. 49), auch für schockierende oder störende Äußerungen (unter Hinweis auf EGMR Handyside, Abs. 49, und - etwas irritierend - auf NIT, Abs. 177 und die dort zitierte Rechtsprechung, die sich aber auf die Frage der Notwendigkeit eines Eingriffs bezieht). Danach (Rn. 134) verweist das EuG darauf, dass es in demokratischen Gesellschaften grundsätzlich als notwendig erachtet werden kann, Hassrede zu sanktionieren, sofern die Beschränkungen oder Sanktionen in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen (unter Hinweis auf EGMR Erbakan, Abs. 56, und Rouillan, Abs. 66). Das EuG hebt (wiederum unter Berufung auf EGMR NIT, Abs. 180-182 und die dort zitierte Rechtsprechung) auch die Bedeutung der journalistischen Berufsethik, der Regeln des verantwortlichen Journalismus und die unmittelbare und stärkere Wirkung audiovisueller Medien hervor (Rn. 136-138). Das EuG schließt seine "Einleitung" zur Meinungsäußerungsfreiheit mit einem eher allgemeinen Hinweis darauf, dass Äußerungen, die Gewalt, Hass, Fremdenfeindlichkeit oder andere Formen der Intoleranz befürworten oder rechtfertigen, normalerweise nicht geschützt sind (unter Hinweis auf EGMR Sürek, Abs. 61 und 62, und Perinçek, Abs. 197 und 230), wobei der Kontext der Äußerungen zu berücksichtigen ist (Rn. 139 bis 140). 

Zwei Aspekte fallen schon in dieser allgemeinen Einleitung auf: erstens wird die Frage, ob die Garantien des Art. 11 GRC wirklich uneingeschränkt auch für staatliche (ausländische) Unternehmen gelten, nicht thematisiert. Nun ist es eine Besonderheit des Unionsrechts, dass fremden Staaten (und deren Unternehmen) der volle Zugang zu den Unionsgerichten eröffnet ist, um restriktive Maßnahmen zu bekämpfen (siehe EuGH, 22. 6. 2021, C-872/19 P, Venezuela / Rat) - dass diese sich dabei aber auch uneingeschränkt auf die Unionsgrundrechte berufen können, ist keine Selbstverständlichkeit und würde eine nähere Betrachtung rechtfertigen. 

Und zweitens bleibt die Einleitung im Hinblick auf die Abgrenzung zu Art. 54 GRC (vergleichbar mit Art. 17 EMRK) höchst unscharf: zwar wird auf das EGMR-Urteil Perinçek verwiesen, in dem diese Frage erörtert wurde, aber ausdrücklich angesprochen wird diese Grundfrage, ob überhaupt der Anwendungsbereich des Art. 11 GRC eröffnet wird, weder in der Einleitung noch danach in der Anwendung dieser Grundsätze auf den konkreten Fall. Es überrascht insbesondere auch, dass der Beschluss des EGMR im Fall Roj TV im Urteil des EuG überhaupt nicht erwähnt wird, obwohl das EuG Rechtsprechung des EGMR sonst umfassend zitiert.

Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit: Das EuG geht, ohne Art. 54 GRC überhaupt nur zu erwähnen, ohne weiteres von einer Einschränkung der nach Art. 11 GRC garantierten Meinungsäußerungsfreiheit aus. Wenn man Art. 54 GRC ausblendet - was allerdings keineswegs naheliegt -, ist das natürlich konsequent und richtig. Damit stellen sich dann die Folgefragen, ob im Sinne des Art. 52 GRC die Einschränkung 1. "gesetzlich vorgeschrieben" ist, 2. den Wesensgehalt des Grundrechts achtet, 3. einem von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Ziel entspricht und 4. verhältnismäßig ist. 

"Gesetzlich vorgesehen": das EuG bezieht sich hier auf die Rechtsprechung des EGMR zur Vorhersehbarkeit. Demnach muss ein "Gesetz" (im materiellen Sinne) nicht nur bestehen, sondern auch zugänglich und so bestimmt sein, dass die Auswirkungen auf die betroffenen Personen - nötigenfalls mit entsprechender Beratung - vorhersehbar sind. 

Ich wäre davon ausgegangen, dass die Einschränkung im vorliegenden Fall durch ein Gesetz im materiellen Sinn (Beschluss und Verordnung des Rates) erfolgte, zumal diese Rechtsakte ein Verbreitungsverbot bestimmter Inhalte normierten und nicht als ein unmittelbar an eine bestimmte Person gerichteter Verwaltungsakt anzusehen sind. Das EuG prüft aber tatsächlich, ob die Verhängung der Sanktionen selbst (also die Erlassung der bekämpften Rechtsakte) für RT vorhersehbar war, geht also, wenn auch nicht ausdrücklich (und aus meiner Sicht nicht zutreffend), davon aus, dass das die Einschränkung verfügende materielle Gesetz Art. 29 EUV bzw. Art. 215 Abs. 2 AEUV wäre. Auch mit diesem - meines Erachtens nicht zutreffenden - Verständnis bejaht das EuG die Vorhersehbarkeit angesichts des weiten Ermessensspielraums des Rates, der Bedeutung insbesondere der audiovisuellen Medien und der Rolle, die eine umfassende Medienunterstützung für die militärische Aggression Russlands in der Ukraine spielt (Rn. 151). Mit anderen Worten: ein vollständig aus dem russischen Staatshaushalt finanziertes Medium, das die völkerrechtswidrige Aggression Russlands unterstützt, musste damit rechnen, sanktioniert zu werden. 

Wesensgehalt des Grundrechtes: das EuG betont, dass die Einschränkung temporär ist (zunächst bis 31.07.2022, mittlerweile verlängert bis 31.01.2023) und wieder rückgängig gemacht werden kann. Die Aufrechterhaltung der Einschränkung hängt von zwei - kumulativen -Voraussetzungen ab: Beendigung der Aggression gegen die Ukraine und Einstellung der russischen Propagandaaktionen gegen die Union und ihre Mitgliedstaaten. Außerdem sei nicht jegliche Tätigkeit von RT France, die unter Art. 11 GRC fällt, untersagt. RT France kann zB weiter Inhalte produzieren und diese außerhalb der Union verbreiten oder verwerten. Der Wesensgehalt des Grundrechts ist damit nicht verletzt (Rn. 159).

Dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung: das EuG anerkennt die vom Rat verfolgten Ziele des Schutzes der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in der Union und der Wahrung des Friedens, der Verhütung von Konflikten und der Stärkung der internationalen Sicherheit. Das mit den Sanktionen verfolgte Ziel der Beendigung des Kriegszustands und der Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht ist ein Ziel von überwiegendem Allgemeininteresse für die Gemeinschaft (Hinweis auf EuGH 30.7.1996, C‑84/95, Bosporus, Rn. 26).

Verhältnismäßigkeit: Bei der im Zentrum des Urteils stehenden Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Einschränkung prüft das EuG, ob die Einschränkungen nicht weiter gehen, als zur Verfolgung der legitimen Ziele notwendig ist, ob es eine weniger einschränkende geeignete Maßnahme gäbe, und ob die Nachteile nicht außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehen. 

Vorweg geht das EuG aber auf die vom Rat vorgelegten Nachweise ein, prüft also auf Sachverhaltsebene, ob eine "hinreichend solide Tatsachengrundlage" für die Entscheidung, Sanktionen zu verhängen, besteht. Das EuG kommt dabei zum Ergebnis, der Rat habe nachgewiesen, dass RT France unter Kontrolle der russischen Führung steht (Rn. 171 bis 174), und ebenso, dass RT France kontinuierliche und abgestimmte Propagandaaktionen gegen die Zivilgesellschaft in der Europäischen Union und in den Nachbarstaaten lanciert hat, die insbesondere darauf abzielten, die den Angriff Russlands auf die Ukraine zu rechtfertigen (Rn. 175 bis 191). Das EuG legt dazu im Einzelnen den Ablauf der Ereignisse unmittelbar rund um die Invasion in der Ukraine und die damit zusammenhängende Berichterstattung von RT dar. Alles zusammen belegt auch nach Auffassung des EuG, dass RT France vor Erlassung der Sanktionen die destabilisierende und aggressive Politik der Russischen Föderation gegenüber der Ukraine unterstützt und die militärische Aggression gerechtfertigt habe, was die Annahme einer erheblichen und direkten Bedrohung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Union rechtfertige.

Eignung der Einschränkungen zur Zielerreichung: das EuG kommt in sehr knappen Worten zum Ergebnis, dass das vorübergehende Verbreitungsverbot für Inhalte von RT - als eine Maßnahme im Rahmen einer schnellen, einheitlichen, abgestuften und koordinierten Reaktion der Union - eine geeignete Maßnahme sei, um das Ziel zu erreichen, größtmöglichen Druck auf die russischen Behörden auszuüben, damit sie ihre militärische Aggression beenden (Rn. 193 bis 194).

Erforderlichkeit der Maßnahmen: Das EuG kommt auch zum Schluss, dass Sendeverbote in einzelnen Staaten oder die Verpflichtung, Warnhinweise einzublenden, zur Zielerreichung nicht geeignet gewesen wären (Rn. 196 bis 200).

Interessenabwägung: Das EuG betont hier einerseits die Bedeutung der mit den restriktiven Maßnahmen verfolgten Ziele - nichts weniger als der Weltfrieden wird hier wieder ins Spiel gebracht (etwa in Rn. 203, unter Hinweis auch auf einen Beschluss der Generalversammlung der Vereinten Nationen) - und andererseits die Pflichten und Verantwortlichkeiten, die die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung nach der Rechtsprechung des EGMR mit sich bringt. Das EuG verweist in diesem Zusammenhang auch wieder auf EGMR NIT (Abs. 215), und bringt zum Ausdruck, dass die betroffenen Inhalte keine seien, die den "verstärkten Schutz" nach Art. 11 GRC erfordern würden, noch dazu, weil das betroffene Medium unter Kontrolle des Aggressorstaates steht (Rn. 206).

Das EuG greift auch das Vorbringen der Streithelfer auf, wonach Art. 20 Abs. 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte jede Kriegspropaganda verbietet (siehe dazu schon den Beitrag von Baade im Verfassungsblog). Dieses Verbot umfasse auch Äußerungen, die wiederholt und abgestimmt zugunsten eines andauernden völkerrechtswidrigen Krieges abgegeben werden, insbesondere wenn diese Kommentare von Medien stammen, die direkt oder indirekt vom Aggressorstaat kontrolliert werden (Rn 208 bis 210). Auch die Interessenabwägung geht daher zugunsten des Rates aus. 

In diesem Zusammenhang ist noch bemerkenswert, dass das EuG auch kurz auf die "passive" Informationsfreiheit eingeht und meint, dass dann, wenn sich ein Verbot der Ausstrahlung und Weiterverbreitung als verhältnismäßig erweise, dies umso mehr (a fortiori) auch für die damit verbundene Einschränkung des Rechts der Öffentlichkeit, diese Informationen zu empfangen, gelte (Rn. 214). 

Insgesamt kommt das EuG daher zum Ergebnis, dass das Recht von RT France auf freie Meinungsäußerung im Sinne des Art. 11 GRC durch die Sanktionen nicht verletzt wurde. 

Keine Verletzung der unternehmerischen Freiheit

Es ist natürlich nicht zweifelhaft, dass die Sanktionen eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 GRC bewirken. Auch diese Freiheit gilt freilich nicht unbeschränkt, sondern kann ebenso wie die Meinungsäußerungsfreiheit unter den Voraussetzungen des Art. 52 Abs. 1 GRC beschränkt werden. Auch diese Voraussetzungen sieht das EuG - in diesem Punkt wenig überraschend - als gegeben an (Rn. 216 bis 230). 

Keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit

Die von RT France behauptete Diskriminierung aus Gründen der (russischen) Staatsangehörigkeit (als Verletzung des Art. 21 Abs. 2 GRC) kann schon deshalb nicht zum Erfolg der Klage führen, weil sich darauf nur Unionsbürger berufen können (ganz abgesehen von der Frage, ob sich eine Aktiengesellschaft auf eine "Staatsbürgerschaft" berufen könnte). Aber auch soweit man Art. 21 GRC als Ausprägung eines allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes lesen kann, hat RT France nicht aufgezeigt, dass andere ihr vergleichbare Medienunternehmen eine günstigere Behandlung erfahren hätten. Das EuG verwirft daher auch diesen Klagegrund.

Ausblick

RT France kann (und wird wohl) den - auf Rechtsfragen beschränkten - Rechtszug zum EuGH nützen (Update 04.10.2022: Das Rechtsmittel ist nun beim EuGH anhängig zu C-620/22 P; update 14.08.2023: das Verfahren vor dem EuGH wurde nach Zurückziehung des Rechtsmittels durch RT France mit Beschluss vom 28.07.2023 aus dem Register gestrichen). Das EuG konnte sich in seiner Entscheidung einerseits auf gesicherte Rechtsprechung des EuGH (insbesondere RosneftKadi I, Kadi II und Bosphorus) zu den Grundfragen des Sanktionenrechts stützen, und hat andererseits im Hinblick auf die neuartigen Sanktionen gegenüber Medien extensiv - wenn auch manchmal etwas erratisch - Rechtsprechung des EGMR herangezogen. Auch wenn man manche Details - insbesondere die Frage des Anwendungsbereichs im Hinblick auf Art. 54 GRC oder die Prüfung der Vorhersehbarkeit - vielleicht anders abhandeln hätte können, sind gravierende Anhaltspunkte, die eine Aufhebung oder ein "Umdrehen" der Entscheidung durch den EuGH erwarten ließen, nicht auszumachen. 

Im Verfahren gar nicht thematisiert wurde die konkrete Reichweite der Sanktionen, die insbesondere im Hinblick auf die daraus resultierenden Verpflichtungen von Suchmaschinenbetreibern, Internetzugangsanbietern und Social Media Plattformen für Diskussionen gesorgt haben (siehe dazu näher meinen ersten Blogbeitrag dazu). Die Frage, ob etwa für einen ISP die genaue Abgrenzung seiner Verpflichtungen "vorhersehbar" war, könnte das EuG noch in der Rechtssache T-307/22, A2B Connect u.a./Rat, beschäftigen, die von niederländischen ISPs initiiert wurde. 

Sofern das EuG diese Klage als zulässig beurteilt, würde dort auch noch die Frage abzuhandeln sein, inwiefern die Sanktionen das Recht von Dritten (etwa Kunden der ISPs) auf Zugang zu Informationen verletzen könnten. Zu diesem Punkt hat das EuG allerdings schon im nun vorliegenden Urteil darauf hingewiesen, dass eine Verletzung des Rechts auf den Empfang von Informationen nicht gegeben sein kann, wenn schon das Senden der Informationen zulässigerweise beschränkt (untersagt) wurde.

(Update 24.08.2022: erwartungsgemäß kritisch befassen sich Ronan Ó Fathaigh und Dirk Voorhoof mit dem EuG-Urteil in diesem Beitrag auf Inforrm's Blog.)

(Update 15.11.2022: Wie RT DE die EU-Sanktionen umgeht, hat Sophie Timmermann auf correctiv.org dargestellt.)

Thursday, June 09, 2022

Kurzes Update zu den Sanktionen gegen russische Staatsmedien

Ich habe im März einen längeren Blog-Beitrag zu den EU-Sanktionen betreffend RT und Sputnik geschrieben (eine gekürzte Fassung gibt es hier auf dem Verfassungsblog). Seither ist einiges geschehen, das ich zunächst in Nachträgen/Updates bei meinem ursprünglichen Beitrag verarbeitet habe - nun schien es mir aber doch an der Zeit, die aktuellen Entwicklungen gesondert kurz darzustellen.

Nichtigkeitsklagen gegen die RT/Sputnik-Sanktionen vom 1. März 2022:

Die Sanktionen gegen RT und Sputnik sind mittlerweile Gegenstand von Nichtigkeitsklagen vor dem EuG, eingebracht einerseits durch RT France (T-125/22 RT France/Rat) und andererseits von niederländischen ISPs (T-307/22, A2B Connect u.a./Rat). In der Rechtssache T-125/22 findet am 10. Juni 2022 bereits die mündliche Verhandlung statt, mit einer relativ zeitnahen Entscheidung ist zu rechnen (der Präsident des EuG hat in seiner - ablehnenden - Entscheidung über den einstweiligen Rechtsschutz - siehe dazu auch die Pressemitteilung des EuG - bereits darauf hingewiesen, dass über die Klage "aufgrund der außergewöhnlichen Umstände" im beschleunigten Verfahren entschieden wird). [Update: zum Urteil des EuG vom 27.07.2022 in dieser Rechtssache siehe diesen Blogbeitrag; das Rechtsmittel von RT France ist beim EuGH anhängig zu C-620/22 P] Die Klage der niederländischen ISPs - die insofern interessanter ist, als darin auch und gerade die Frage der Freiheit des Zugangs zu Informationen thematisiert wird - kommt für eine Verbindung der beiden Verfahren damit zu spät. 

Erweiterung der Sanktionen gegen RT und Sputnik am 3. Juni 2022: Verbot der Werbung in Inhalten der sanktionierten Medien

Mit dem Beschluss (GASP) 2022/884 des Rates vom 3. Juni 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. L 153 vom 3.6.2022, S. 128) sowie mit der darauf aufbauenden Verordnung (EU) 2022/879 des Rates vom 3. Juni 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. L 153 vom 3.6.2022, S. 53) hat der Rat die bereits bestehenden Sanktionen gegen RT und Sputnik noch erweitert. Verboten ist nun auch, in Inhalten, die von RT und Sputnik erstellt oder gesendet werden, für Produkte oder Dienstleistungen zu werben. 

Dieses Verbot richtet sich an jedermann, betroffen davon werden neben den werbetreibenden Unternehmen selbst vor allem Agenturen bzw. Werbemittler sein. Bemerkenswert ist - abgesehen davon, dass auch hier wiederum nicht die Begrifflichkeiten aus der AVMD-Richtlinie ("kommerzielle Kommunikation") verwendet werden -  dass nur Produkt- und Dienstleistungswerbung verboten wird, nicht aber zB Werbung für Ideen oder politische Werbung. Das Verbot erstreckt sich mit dem kryptischen letzten Halbsatz ("einschließlich durch Übertragung oder Verbreitung mittels der in Absatz 1 genannten Möglichkeiten.") auch auf Werbung, die mit der Übertragung oder Verbreitung etwa im Web verbunden ist; zu denken ist hier zB an Pre-Roll-Videos oder In-App-Werbung. 

Diese neuen Sanktionen richten sich nach dem klaren Wortlaut der Norm gegen Werbung in allen "Inhalten, die von den in Anhang XV aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen erstellt oder gesendet werden"; die Formulierung in Erwägungsgrund 14 zur Verordnung ("sofern die entsprechenden Rundfunklizenzen ausgesetzt wurden") ist insofern missverständlich, als es nicht darauf ankommt, dass konkrete Lizenzen ausgesetzt wurden; gemeint ist hier wohl schlicht, dass es um jene Einrichtungen geht, die in den Anhang XV aufgenommen wurden, wodurch ja automatisch (allfällige) Rundfunklizenzen und Genehmigungen ausgesetzt werden.

Verstöße gegen diese erweiterten Sanktionen müssen von den Mitgliedstaaten natürlich bestraft werden. Da in Österreich aber die aufgrund der Sanktionen vom 1. März 2022 neu geschaffenen Strafbestimmungen im AMD-G auf bestimmte Diensteanbieter (Anbieter eines Kommunikationsdienstes, Hörfunkveranstalter und Video-Sharing-Plattformanbieter) beschränkt sind (abgesehen von wissentlichen Umgehungshandlungen), tut sich damit ein gewisser Bruch auf: wer Inhalte von RT und Sputnik verbreitet, muss von der KommAustria nach dem AMD-G verwaltungsstrafrechtlich verfolgt werden. Wer in diesen Programmen wirbt, unterliegt den Verwaltungsstrafbestimmungen des Sanktionengesetzes, die von den Bezirksverwaltungsbehörden bzw. Landespolizeidirektionen vollzogen werden.

(Mögliche) Erweiterung der Sanktionen auf weitere russische Staatssender: 

Nach dem Europäischen Rat am 30./31. Mai 2022 hat Kommissionspräsidentin von der Leyen verkündet, dass auch "die Aussetzung der Sendetätigkeiten von drei weiteren russischen Staatsmedien in der EU" Teil des beschlossenen Sanktionenpakets sei. Mit den oben bereits genannten Rechtsakten vom 3. Juni 2022 (Beschluss (GASP) 2022/884 und Verordnung (EU) 2022/879) wurden dann die davon betroffenen Medien genannt; es handelt sich dabei um 

  • Rossiya RTR / RTR Planeta 
  • Rossiya 24 / Russia 24 
  • TV Centre International

Allerdings trat die Erweiterung dieser Sanktionen auf die nun genannten weiteren Medien (durch Erweiterung der jeweiligen Anhänge zu den Rechtsakten) nicht sofort in Kraft, sondern es bedarf noch eines Durchführungsrechtsakts des Rates. Geregelt ist dies in Art. 1 Z 21 der VO (EU) 2022/879 folgendermaßen:

"Diese Nummer gilt in Bezug auf eine oder mehrere der in Anhang VI der vorliegenden Verordnung aufgeführten Organisationen ab dem 25. Juni 2022, sofern der Rat nach Prüfung der betreffenden Fälle dies im Wege eines Durchführungsrechtsakts beschließt."

Das bedeutet, dass der Rat bis spätestens 25. Juni 2022 entscheiden muss, ob die genannten Staatsmedien tatsächlich von den Sanktionen betroffen sein sollen. Diese Verzögerung könnte meines Erachtens auch damit zu tun haben, dass den Betroffenen Medien noch eine Chance zur Verteidigung eingeräumt wird - dazu wurde auch eine entsprechende Mitteilung im Amtsblatt veröffentlicht, wonach diese Einrichtungen Informationen in Bezug auf ihre Aufnahme in die Liste der sanktionierten Medien vom Generalsekretariat des Rates erhalten können. 

Sollte der Rat den Durchführungsrechtsakt vor dem 25. Juni 2022 beschließen, würden für die neu betroffenen Medien die gleichen Sanktionsregeln gelten, wie sie bereits derzeit für RT und Sputnik maßgeblich sind. 

Update 24.06.2022: der Rat hat am 24. Juni 2022 den Beschluss (GASP) 2022/995 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, getroffen und die Durchführungsverordnung (EU) 2022/994 beschlossen; beide wurden am selben Tag im Amtsblatt kundgemacht. Damit treten die Sanktionen auch gegen Rossiya RTR / RTR Planeta, Rossiya 24 / Russia 24 und TV Centre International am 25. Juni 2022 in Kraft. 

[Update 30.01.2023: zu den am 1. Februar 2023 in Kraft tretenden Sanktionen gegen weitere Medien siehe im Blog hier.]

Weitere Sanktionen gegen Medienunternehmen und Medienverantwortliche

Die Sanktionen betreffend RT und Sputnik (sowie - wahrscheinlich - ab 25. Juni 2022 betreffend Rossiya RTR / RTR Planeta, Rossiya 24 / Russia 24 und TV Centre International) richten sich gegen die Verbreitung von Inhalten dieser Medien in der EU. Sie haben damit - worauf ich schon in meinem früheren Blogpost hingewiesen habe - eine andere Stoßrichtung als die bisherigen "klassischen" restriktiven Maßnahmen gegenüber Unternehmen oder Personen, mit denen - etwas vereinfacht gesagt - die Finanzkraft und Bewegungsfreiheit dieser Unternehmen und Personen getroffen werden soll. Der Grund für solche "klassischen" Sanktionen liegt in der Beteiligung dieser Personen an jenen Handlungen, die Auslöser für die Verhängung von Sanktionen waren (oder an der ihnen zukommenden Verantwortung). Betroffen sind davon allerdings auch einzelne Medienunternehmen und Medienverantwortliche. 

So wurde im jüngsten Sanktionenpaket zum Beispiel auch Белтэлерадыёкампанiя (Belteleradio Company, das nationale staatliche Fernseh- und Hörfunkunternehmen der Republik Belarus) auf die Sanktionenliste gesetzt (Durchführungsverordnung (EU) 2022/876). Dieses Unternehmen kann damit zB keine Konten in der EU mehr eröffnen, die Verbreitung von Sendungen dieses Unternehmens innerhalb der EU ist damit aber nicht untersagt. Grund für die Aufnahme in die Sanktionenliste ist auch nicht das Verbreiten von Desinformation in der EU, sondern die Entlassung protestierender Mitarbeiter, die durch russische Medienmitarbeiter ersetzt. wurden, sodass dieses Unternehmen daher "für Repressionen gegen die Zivilgesellschaft verantwortlich" ist. 

Ebenfalls mit dem jüngsten Sanktionenpaket wurden zB auch Alina Maratovna Kabaeva (Vorsitzende des Vorstands der russischen Nationalen Mediengruppe, die "in enger Verbindung mit Präsident Vladimir Putin" steht) und Arkady Yurievich Volozh (Gründer und Vorstandsvorsitzender von Yandex, der größter russischer ISP ist und  die beliebteste russische Suchmaschine anbietet) neu auf die Sanktionenliste gesetzt. Auch Andrei Yurievich Lipov, Chef von Roskomnadzor (Föderaler Dienst für die Überwachung der Kommunikation, der Informationstechnologie und der Massenmedien, der vor allem auch für Websperren zuständig ist), wurde auf die Sanktionenliste gesetzt (alle mit Durchführungsverordnung (EU) 2022/878).