Sunday, March 01, 2009

Wieviel profil hat Ihre Wahrheit?

Profil-Chefredakteur Herbert Lackner liefere "Orientierung für Anstand und Qualität im heimischen Journalismus", urteilte die Jury anlässlich der Vergabe des Kurt Vorhofer-Preises 2008 (Bericht hier). An der Qualität seiner aktuellen Titelgeschichte im profil sollte man sich aber wohl eher nicht orientieren.

"
In Wahrheit", so schreibt Lackner dabei über den ORF, "hat erst die nun so tiefe Sorge mimende Politik den ORF in die finanzielle Bredouille gebracht." Mag sein, aber die im nächsten Satz dafür gelieferte Begründung ist keine:
"So wurde etwa 1999 – natürlich kurz vor den Wahlen – mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP die Befreiung sozial Schwacher von den Rundfunkgebühren beschlossen. Der Beschluss im Nationalrat sah vor, dass dem ORF der Einnahmenentfall – er beläuft sich auf 57 Millionen Euro im Jahr – ab 2001 aus dem Bundesbudget refundiert werden sollte. Kurz bevor die erste Zahlung fällig war, brachte Finanzminister Karl-Heinz Grasser ein Budgetbegleit­gesetz ein, das die Refundierung widerrief, 'um den Weg zum Nulldefizit zu ebnen', wie es in den Erläuterungen hieß. Fazit: Die Politik verteilte ein Wahlzuckerl, die üppige Rechnung zahlt Jahr für Jahr der ORF."
"In Wahrheit" besteht die Befreiung sozial Schwacher (ohne "Refundierung" aus dem Budget) seit Jahrzehnten; an den Befreiungstatbeständen wurde 1999 nichts geändert (siehe dazu schon hier); richtig ist, dass die vom ORF vorgeschlagene und 1999 im Nationalrat auch so beschlossene Abgeltung des auf Grund dieser Befreiung eintretenden Entfalls von Programmentgelten wegen des "dazwischengetretenen" Budgetbegleitgesetzes 2001 nicht wirksam geworden ist (für Detailfreudige: das mit dem "Weg zum Nulldefizit ebnen" stand auch nicht in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage, sondern in einer Presseaussendung, und natürlich hat nicht Finanzminister Grasser, sondern die Bundesregierung den Entwurf für das Gesetz eingebracht). Dass aber ein Wahlzuckerl verteilt wurde, dessen Rechnung der ORF zahlt, ist schlicht falsch - für den ORF hat sich im Ergebnis nichts geändert (bzw nicht zum Schlechteren: durch die mit der Novelle 1999 verbundenen Verbesserungen bei der Einhebung der Programmentgelte und die Anstrengungen der GIS wurde es möglich, den Anteil der "Schwarzseher/hörer" zu verringern).

Weiter in Lackners Bericht: "Der große Einbruch folgte aber erst 2007, als die Digitalisierung voll einsetzte und der ORF sein analoges Sendernetz schrittweise abschaltete. ... Die Fernsehwelt änderte sich danach grundlegend: Ein kleines Zusatzgerät um weniger als hundert Euro sorgte dafür, dass schlagartig 90 Prozent der österreichischen Haushalte – um die Hälfte mehr als zuvor – bis zu 70 deutschsprachige Programme empfangen konnten."

Laut Lackner konnten also 2006 nur 60% der Haushalte "bis zu 70 deutschsprachige Programme empfangen". Da wohl kaum anzunehmen ist, dass er auch den Empfang von bloß zwei oder drei Programmen in die Kategorie "bis zu 70" einordnet (und er damit auch nicht meint, dass nur 60% der Haushalte 2006 überhaupt Fernsehempfang hatten), meint er damit wohl, dass der Satelliten- und Kabel-Empfang von 2006 auf 2007 von 60% der Haushalte auf 90% der Haushalte angestiegen ist. Das wäre tatsächlich schlagartig, ist aber natürlich ebenso falsch. Der Anteil der nur terrestrisch versorgten Haushalte (also jener Haushalte, die nur über die Hausantenne und damit in der Regel nur ORF 1 und 2 sowie ATV sowie nunmehr über DVB-T teilweise noch weitere Programme empfangen), hat seit Beginn der Digitalisierung von rund 12% auf 8% abgenommen (so steht es im aktuellen Digitalisierungsbericht). Das ist merkbar und hat Auswirkungen auf die ORF-Reichweiten und Marktanteile, aber die Dramatik ist ein wenig anders als das im profil-Bericht dargestellt wird.

Und schließlich kann auch Lackner nicht an der Gesichte mit den "Rundfunkgebühren" vorbei, von denen nach seinen Aussagen "Bund und Länder Jahr für Jahr stillschweigend" je 120 Millionen Euro "abzweigen". Auch von einem Qualitätsjournalisten kann man offenbar nicht erwarten, dass er Rundfunkgebühren, Programmentgelt und sonstige Abgaben auseinanderhält - soll sein. Aber "stillschweigend" ist doch eine etwas merkwürdige Bezeichnung für einen Umstand, der nicht nur gesetzlich geregelt ist, sondern von der GIS bei jeder Gelegenheit, etwa bei der letzten Erhöhungsmitteilung, prominent hervorgehoben wird. Das alles funktioniert so stillschweigend, dass laut GIS-eigener Umfrage aus dem Jahr 2007 69% aller Österreicher davon wissen.

Die Rundfunkgebühren, das sagte auch schon Minister Grasser in einer Anfragebeantwortung, "werden nicht aufgrund einer Leistung, sondern als ausschließliche Bundesabgabe entrichtet. Diese Abgabe bezweckt wie jede Abgabe die Erzielung staatlicher Einnahmen." Man kann natürlich für die Abschaffung dieser Abgabe (und der diversen weiteren Abgaben, die mit den Programmentgelten eingehoben werden) eintreten: aber zu sagen, dass dem ORF "auf diesen Wegen" Beträge "entzogen" würden, ist schlicht Unsinn. Würde man alle mit dem Programmentgelt eingehobenen Abgaben abschaffen, der ORF bekäme dadurch keinen Cent mehr an Einnahmen, außer er würde neuerlich das Programmentgelt anheben.

Die profil-Geschichte ist einigermaßen martialisch, schon am Titel ist von Angriff, abschießen und zurückerobern die Rede. Offenbar herrscht Krieg, die Dolchstoßlegenden werden vorbereitet - und wieder einmal zeigt sich, dass die Wahrheit das erste Opfer des Krieges ist ("the first casualty when war comes, is truth", Hiram Johnson).

2 comments :

Anonymous said...

wobei in Sachen "Digitalisierung" anzumerken wäre, dass in Folge der Analog-Abschaltung der terrestrischen ORF-Sender ein massiver Anstieg beim Digital-SAT Empfang zu verzeichnen ist. Die meisten dieser nunmehr 1,7 Mio Digi-Sat Haushalte waren schon vorher mit SAT Empfang beglückt, aber nur mit analogen SAT-Receivern ausgestattet. Den ORF konnte man aber nie über Analog-SAT empfangen, darum gab es den typischen Doppelempfang Analog-SAT/Analog-Terrestrik. Mittels ASTRA-Digitalempfang ist hingegen ORF und Privat-TV mit nur einer Antenne und einer Empfangsbox verfügbar.
Warum ist dieser massive Umstieg von Analog- zu DigitalSAT-Empfang für den ORF so dramatisch? Weil dadurch die technische Reichweite der Österreich-Werbefenster der privaten Deutschen Programme (RTL / Pro7Sat1) ebenso massiv zulgen konnte. Am analogen SAT gab es keine Möglichkeit, den österreichischen Werbemarkt getrennt vom deutschen zu adressieren. Dank des Digitalisierungsschubes ist es nun möglich, eine landesweite Produktkampagne im Werbefernsehen *ohne* ORF-Buchungen durchzuziehen! In welchem Ausmass der österr. TV-Werbemarkt "gekippt" ist, spiegelt sich in der aktuell angekündigten ORF-Bilanz 2008 wider.

hplehofer said...

@ Sat Sam: das ist natürlich richtig - aber im profil-Artikel wurde so getan, als ob es nur auf die Anzahl der deutschsprachigen Sender ankäme, die auch über analogen Sat-Empfang schon recht groß war. Die Bedeutung der Werbefenster in den digitalen Sat-Programmen wurde in diesem Zusammenhang gerade nicht angesprochen. Außerdem stimmen selbst dann die Zahlen nicht, wenn man nur auf die digitalen Sat-Seher abstellt: nur Terrestrik und Analog-Sat kommen im Dezember 2006 auf zusammen 37%, im Dezember 2007 auf zusammen noch immer 26%, im Juni 2008 auf 17% - auch das ergibt nicht die Zahlen, wie sie im profil-Bericht genannt werden ("schlagartig" von 60% auf 90% für Ka[digi?]Sat-Haushalte). Nochmal: ich will ja die Auswirkungen dieser Umstellung nicht kleinreden (besser: -schreiben), mich irritierte bloß der etwas lockere Umgang mit den Fakten im profil-Bericht - den würde wohl auch Karl Amon nicht mehr (wie die ORF-Berichterstattung) "tatsachennah" nennen ;-)