Saturday, March 21, 2009

ORF-Finanzierungswunsch: deutlich höheres Programmentgelt und € 57 Mio vom Bund

"Tatsache ist, dass der ORF strukturell unterfinanziert ist, d.h. dass mit den Programmentgelten der öffentlich-rechtliche Auftrag bei weitem nicht finanzierbar ist." Das steht laut Standard im "Strategie- und Strukturkonzept", das ORF-Generaldirektor Wrabetz gestern den Mitgliedern des Stiftungsrats übermittelt hat (offenbar aber nicht nur diesen: "SPÖ-Medienstaatssekretär Josef Ostermayer habe ein Exemplar des ORF-Konzepts zur Verfügung gestellt bekommen", schreibt der Standard). Unter dieser Prämisse einer strukturellen Unterfinanzierung ist es nur logisch, weitere Finanzierungsquellen zu suchen oder bestehende auszubauen. Die zwei sich anbietenden Varianten: Erhöhung des Programmentgelts und/oder (Zusatz-)Finanzierung aus Steuermitteln.

Die Höhe des Programmentgelts wird allein vom ORF selbst festgelegt (derzeit noch - im Hinblick auf das EU-Beihilfenverfahren könnten hier gesetzliche Änderungen bevorstehen). Zwar ist jeder, der ORF-Programme empfangen kann, gesetzlich zur Zahlung des Programmentgelts - wie hoch auch immer es sein mag - verpflichtet (von den "Gebührenbefreiten" abgesehen). Dennoch würde eine wesentliche Erhöhung wohl auf Widerstand in der Öffentlichkeit stoßen (was sich schon bei der vergleichsweise geringen Anhebung Anpassung im vergangenen Jahr abzeichnete).

Wie also könnte man das Programmentgelt um die Hälfte erhöhen, ohne dass dies von den zahlenden Rundfunkteilnehmern bemerkt würde? Ganz einfach: würden die derzeit zugleich mit dem Programmentgelt eingehobenen Bundes- und Landesabgaben wegfallen, würde der zu zahlende Betrag auch bei einer Erhöhung des Programmentgelts um gut 50% gleich bleiben (Berechnungsgrundlage sind die Zahlen laut GIS-Presseaussendung für 2008: demnach gingen 66% des "Transaktionsvolumens" der GIS von € 724,2 Mio an den ORF, 34% an Bund und Länder - in diesen 34% dürfte allerdings auch die USt vom Programmentgelt enthalten sein).

Könnte man also Bund und Länder zu einem Verzicht auf die Abgabe bewegen, wäre Platz für eine aus der Sicht der "Gebührenzahler" aufwandsneutrale Erhöhung des ORF-Programmentgelts. Nach den in den Medien wiedergegebenen Kurzfassungen des Strategiekonzepts strebt der ORF-Generaldirektor an, dass die Bundes- und Landesabgaben "zu einem wesentlichen Prozentsatz für öffentlich-rechtliche Aufgaben des ORF eingesetzt werden." Das klingt eher nicht nach einer direkten Erhöhung des Programmentgelts im Gegenzug zu einem (teilweisen) Wegfall der Abgaben, sondern als Wunsch nach einer neuen Beihilfe aus Bundes- und Landesmitteln, die sich der Höhe nach an den mit dem Programmentgelt eingehobenen Abgaben orientieren - und jedenfalls einen beträchtlichen Teil dieser Abgaben ausmachen - soll. Die Salzburger Nachrichten schreiben von einem konkreten Wunsch des ORF in der Höhe von €177 Mio, was de facto einer Erhöhung des Programmentgelts um etwa 37% gleichkommen würde. (Die gesamte Höhe der Bundes- und Landesabgaben machte laut GIS im Jahr 2008 € 246 Mio aus).

Und zusätzlich wünscht sich der ORF die sogenannte "Refundierung" jener Programmentgelte, die gebührenbefreite Rundfunkteilnehmer, wären sie nicht befreit, zahlen müssten (siehe dazu schon hier, hier und hier). Aktuell geht es dabei um etwa € 57 Mio, Ende 2007 waren 323.139 Rundfunkteilnehmer "gebührenbefreit. Zählt man also die beiden Finanzierungswünsche (€ 177 Mio. und € 57 Mio.) zusammen, kommt man auf einen Betrag, der ziemlich genau einer Programmentgelterhöhung um 50% gleichkommen würde.

Eine Erhöhung des Programmentgelts hätte den Vorteil, dass dies gemeinschaftsrechtlich lediglich eine Ausdehnung einer "bestehenden Beihilfe" wäre und damit jedenfalls nicht vorweg der Europäischen Kommission notifziert werden müsste. Eine Finanzierung des ORF aus allgemeinen Budgetmitteln hingegen bestand zum Zeitpunkt des österreichischen EU-Beitritts nicht. Angesichts des hier angesprochenen Umfangs der gewünschten Budget-Finanzierung scheint es mir ziemlich fraglich, ob dies noch als bloße Modifikation der bisherigen Beihilfe beurteilt werden könnte. Die Kommission steht - zuletzt im Entwurf zur neuen Rundfunkmitteilung - auf dem Standpunkt, dass jeweils im Einzelfall zu prüfen ist, ob Änderungen der Finanzierung nach dem Beitritt "die ursprüngliche Maßnahme in ihrem Kern betreffen (d. h. die Art des Vorteils oder die Finanzierungsquelle, das Ziel der Beihilfe, den Kreis der Begünstigten oder die Tätigkeitsbereiche der Begünstigten) oder ob es sich um rein formale oder verwaltungstechnische Änderungen handelt" (vgl das Urteil des EuGH in der Rs C-44/93 Namur). Eine erstmalige substantielle Finanzierung direkt aus dem Budget (aus nicht zweckgebundenen Abgaben) - und damit eben aus einer neuen Finanzierungsquelle - wäre daher ohne vorherige Notifikation meines Erachtens nicht ohne Risiko. Allerdings wird angesichts des derzeit laufenden Beihilfenverfahrens wohl im Ergebnis ohnehin ein "Gesamtkompromiss" zu finden sein, in dem auch diese Frage zwischen der Kommission und Österreich einvernehmlich geklärt wird. Interessant wird sein, ob bzw wie Frankreich die geplanten Finanzierungsänderungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks notifiziert; vergangenes Jahr wurde etwa eine Kapitaldotation von € 150 Mio von Frankreich notifziert (und von der Kommission als mit dem gemeinsamen Markt vereinbar beurteilt - gegen diese Entscheidung haben M6 und TF1 schon beim EuG Klage erhoben).

Noch ein letztes Wort zur "Refundierung": in der Kurzfassung des Strategiekonzepts steht: "Der ORF verlangt die vollständige staatliche Refundierung der Mittel, die ihm aus dem Titel 'Gebühren-Befreiung aus sozialen Gründen' zustehen. Dies ist nicht mehr als ein Akt der Gleichbehandlung mit den Telekom-Unternehmen, ÖBB, etc." Das wird zwar durch Wiederholung nicht richtiger, ist aber aus PR-Sicht schlicht genial: in zahlreichen Medien wird diese "Argumentation" unreflektiert übernommen. Nur Armin Thurnher im Falter blieb es vorbehalten, gleich einen Betrag von € 120 Mio. zu erfinden, der dem ORF als "Aufwand für die Gebührenbefreiungen" [?] entsteht (der Artikel ist auch online zu finden).

PS: Armin Thurnher hatte übrigens ein zum Nachteil des Falter ergangenes Urteil vor wenigen Wochen zum Anlass genommen, den "Rechtsstaat in der Krise" zu sehen und zu schreiben: "Mittlerweile muss man sich von Leuten aburteilen lassen, die schlampig arbeiten, schlechtes Deutsch schreiben und der indirekten Rede nicht mächtig sind, sodass manche ihrer Sätze das Gegenteil von dem sagen, was sie sagen sollen. Kann man von solchen Leuten verlangen, dass sie das Konzept der Meinungsfreiheit verstehen?"
Vielleicht sollte ich angesichts seiner Fehler* im Artikel zum ORF nun den "Journalismus in der Krise" sehen, etwa so: "Mittlerweile muss man sich von Leuten informieren lassen, die schlampig arbeiten und des Recherchierens nicht mächtig sind, sodass manche ihrer Sätze das Gegenteil davon sagen, was den Tatsachen entspräche. Kann man von solchen Leuten erwarten, dass sie das Konzept der objektiven Information verstehen?"

*) Schon beim flüchtigen Lesen des Artikels im Falter Nr. 12/09 fallen - neben der grundlegend falschen Zahl von €120 Mio - einige weitere Fehler auf: Thurnher schreibt zB auch, dass "die EU" jede Form öffentlicher Finanzierung als unerlaubte Beihilfen betrachte, und er behauptet, dass sich der ORF "überwiegend aus Werbung" finanziere (2007 kamen 30% der ORF-Erlöse aus der Werbung); auch dass das Parlament 1967 ein neues ORF-Gesetz beschlossen habe, ist falsch, und zwar nicht nur weil es damals Rundfunkgesetz hieß, sondern auch weil der Parlamentsbeschluss im Juli 1966 war; und nicht einmal dass Bruno Kreisky "13 Jahre lang mit absoluter Mehrheit das Land regierte", ist richtig: die absolute Mehrheit erreichte Kreisky mit der SPÖ bei den Nationalratswahlen am 10.10.1971, und er verlor sie bei den NR-Wahlen am 24. April 1983 - nicht einmal zwölf Jahre.

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