Tuesday, June 22, 2010

Der Gesetzgeber ist keine Regulierungsbehörde: Schlussanträge zu belgischen Universaldienst-Fällen

Der europäische Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste verlangt von den Mitgliedstaaten, bestimmte Aufgaben ihren nationalen Regulierungsbehörden zu übertragen. Wie Deutschland in Sachen Regulierungsferien einsehen zur Kenntnis nehmen musste, kann sich der Gesetzgeber die nach den Richtlinien von den Regulierungsbehörden wahrzunehmenden Aufgaben nicht einfach arrogieren. Eine ähnliche Lektion steht auch Belgien bevor, falls der EuGH den heute erstatteten Schlussanträgen von Generalanwalt Pedro Cruz Villalón in der Rechtssache C-389/08, Base ua / Belgacom folgt.

In diesem Verfahren ging es um die Finanzierung des Universaldienstes - insbesondere für Sozialtarife - in Belgien. Nach Art 13 der Universaldienst-RL 2002/22/EG ist es Aufgabe der nationalen Regulierungsbehörden, auf der Grundlage der Berechnung der Nettokosten des Universaldienstes festzustellen, dass durch die Erbringung dieses Dienstes ein Unternehmen unzumutbar belastet wird. In Belgien wurde diese Beurteilung vom Gesetzgeber getroffen, der durch ein Gesetz im Jahr 2007 das Telekommunikationsgesetz aus dem Jahr 2005 authentisch auslegte und dabei festhielt, dass er (der belgische Gesetzgeber) bei der Vorbereitung des Telekommunikationsgesetzes vom 13. Juni 2005 die Belastungen des früheren Monopolisten beurteilt habe und zu der Ansicht gelangt sei, "dass sämtliche aus der genannten Berechnung hervorgehenden, auf der Erbringung des Universaldienstes beruhenden Verluste unangemessen und daher eine 'unzumutbare Belastung' seien".

Der Generalanwalt kommt unter Hinweis auf die Rechtsprechung (neben C-424/07 Kommission / Deutschland auch C-82/07 Comisión del Mercado de las Telecomunicaciones [dazu hier]) zum eindeutigen Ergebnis, dass der Gesetzgeber nicht als Regulierungsbehörde tätig werden kann, um die unzumutbare Belastung zu beurteilen. In RNr 49 beurteilt der Generalanwalt das Verfahren, das die RL 2002/22 vorgibt, übrigens als "völlig klar"; so betrachtet hätte sich der belgische Verfassungsgerichtshof die Vorlage wohl sparen können.

Bemerkenswert sind aus meiner Sicht zwei Aspekte: zunächst, dass das Rechtsbehelfverfahren nach Art 4 der RahmenRL 2002/21/EG gar nicht erwähnt wird; auch dieses spricht meines Erachtens sehr klar dafür, dass ein gesetzgebendes Organ nicht als Regulierungsbehörde tätig werden kann, zumal "Rechtsbehelfe" gegen Entscheidungen des Gesetzgebers, falls überhaupt, nur in sehr eingeschränktem Umfang denkbar sind (in Österreich etwa Individualanträge nach Art 140 B-VG, mit denen freilich nur die Verfassungskonformität überprüft werden kann). Und zum anderen misst der Generalanwalt auch der Notifikation der nationalen Regulierungsbehörden gegenüber der Kommission (Art 3 Abs 6 der RL 2002/21/EG) hohe Bedeutung bei: aus RNr 53 der Schlussanträge würde ich ableiten, dass einer nationale Regulierungsbehörde diese Funktion erst dann zukommt, wenn die Notifikation an die Kommission erfolgt ist (das erinnert ein wenig an das Urteil C-194/04 CIA Security, nach dem technische Vorschriften, die entgegen der RL 83/189/EG [nun 98/34/EG] der Kommission nicht notifiziert wurden, national nicht angewendet werden dürfen).

Ebenfalls heute wurden auch die Schlussanträge in der Rechtssache C-222/08 Kommission/Belgien verkündet, in der es ebenfalls um die Finanzierung des Universaldienstes in Belgien - hier aber in einem von der Kommission angestrengten Vertragsverletzungsverfahren - geht. Auch hier wird vom Generalanwalt die rückwirkende Erklärung des Gesetzgebers zur "unzumutbaren Belastung" nicht als ordnungsgemäße RL-Umsetzung anerkannt. Der Generalanwalt folgt der Kommission auch darin, dass bei der Berechnung der Nettokosten des Universaldienstes auch die immateriellen Vorteile einfließen müssen. Anders als die Kommission meint der Generalanwalt allerdings, dasseine vorherige Kostenermittlung bei jedem einzelnen Erbringer des Universaldienstes dann nicht notwendig sei, wenn ausnahmslos alle Anbieter zur Erbringung des Universaldienstes verpflichtet sind (wie dies offenbar in Belgien für die Sozialtarife der Fall ist).

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