Thursday, June 17, 2010

Transparenz, die lüsterne Neugier der Nachbarn und der nicht namentlich genannte österreichische Graf: Die Schlussanträge zu C-92/09

Die dem EuGH vom Verwaltungsgericht Wiesbaden vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Empfänger landwirtschaftlicher Förderungen aus EU-Geldern (siehe für Österreich die "Transparenzdatenbank") sind aus telekomrechtlicher Sicht insofern von Interesse, als auch Fragen zur Gültigkeit RL 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten gestellt wurden. In den heute veröffentlichten Schlussanträgen der Generalanwältin Sharpston in diesen Rechtssachen, C-92/09 Volker und Markus Schecke GbR / Land Hessen, verbunden mit C-93/09 Hartmut Eifert / Land Hessen, findet sich jedoch keine Antwort auf diese Fragen, die von der Generalanwältin als "merkwürdig formuliert" (RNr 151) bzw. "etwas eigenartig" (RNr 161) beurteilt wurden. Nach Ansicht der Generalanwältin haben die vom VG Wiesbaden gestellten Fragen zur Gültigkeit der Vorratsdaten-RL keinerlei Auswirkungen auf den zu beurteilenden Sachverhalt und sind rein hypothetisch: "Es wäre völlig unangebracht, würde der Gerichtshof eine abstrakte Prüfung der Gültigkeit der Richtlinie 2006/24 vornehmen." (RNr 158)

Abseits der Fragen zur Vorratsdaten-RL sind die Schlussanträge aber durchaus spannend. Zunächst betont die Generalanwältin die Bedeutung der Transparenz, , die im EU-Recht eine gesicherte Grundlage habe (RNr 66) und auf politischer Ebene "als wesentlicher Bestandteil einer demokratischen öffentlichen Verwaltung anerkannt" sei. Aber: "Gelegentlich ... kann es erforderlich sein, die Transparenz gegen ein anderes, widerstreitendes Ziel abzuwägen. Insoweit ist absolute Transparenz nicht zwangsläufig ein absoluter Wert. ... Um im vorliegenden Fall festzustellen ob zwischen der Transparenz auf der einen und der Privatsphäre und dem Schutz von personenbezogenen Daten auf der anderen Seite der richtige Ausgleich gefunden wurde, wird genau zu prüfen sein, was mit Transparenz im spezifischen Kontext der GAP [gemeinsamen Agrarpolitik] erreicht werden soll." (RNr 70).

Und tatsächlich läuft es im Ergebnis auf eine Prüfung des mit der Veröffentlichung verfolgten Ziels hinaus: dass die Veröffentlichung (1.) einen Eingriff in ein Grundrecht darstellt, wird von der Generalanwältin bejaht - dass in den Förderanträgen ein Hinweis auf die Veröffentlichung enthalten ist und man daraus auf eine Einwilligung schließen könnte, überzeugt sie verständlicherweise nicht: wenn die Landwirte 30-70% ihres Einkommens aus den Föderungen beziehen, bleibt ihnen wenig Wahl: "beträchtlicher wirtschaftlicher Druck" reicht demnach aus, um "die Einwilligung zu einer nicht freiwilligen (und somit nicht im Sinne von Art. 2 Buchst. h der Richtlinie 95/46 [Datenschutz-RL] 'ohne Zwang erfolgten') zu machen." (RNr 82)

Auch dass (2.) der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist, wird von der Generalanwältin bejaht. Ins Grundsätzliche gehen die Schlussanträge dann bei der Frage, ob (3.) der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist. Hier schreibt die Generalanwältin:
"Ich bin daher bereit, anzunehmen, dass grundsätzlich – und ich hebe diese Worte hervor – ein gewisser Grad des Eingriffs in die Rechte auf Schutz der Privatsphäre und von personenbezogenen Daten zur Förderung der Transparenz des demokratischen Prozesses 'in einer demokratischen Gesellschaft notwendig' ist, weil er einem dringenden gesellschaftlichen Erfordernis entspricht." (RNr 94)
Die Förderung von Transparenz des demokratischen Prozesses bildet nach Ansicht der Generalanwältin eine legitime Grundlage für die Datenverarbeitung (RNr 95). Und wenn die allgemeine Öffentlichkeit informiert werden soll, "ist das naheliegende Medium für die Veröffentlichung heute das Internet. Die leichte Zugänglichkeit des Internets, die von ihm gebotenen Suchmöglichkeiten und seine bequeme Nutzung bedeuten jedoch, dass eine derartige Veröffentlichung potenziell entsprechend stärker in die Rechte der Kläger auf Schutz der Privatsphäre und ihrer personenbezogenen Daten eingreifen wird als eine Veröffentlichung in eher herkömmlicher Weise." (RNr 96)

Die wirklichen Probleme liegen aber bei der 4. Stufe der Prüfung: Ist der Eingriff verhältnismäßig? Hier zeichnet die Generalanwältin ein bemerkenswertes Bild der Uneinigkeit zwischen Kommission und Rat, was mit der Veröffentlichung überhaupt erreicht werden soll: Betrugsbekämpfung? Die Kommission meint: nein, der Rat: ja; öffentliche Kontrolle, bei der Steuerzahler auch Interesse an den ihren Nachbarn gewährten beihilfen haben? Rat: ja, Kommission sagt, es sei nicht Ziel der Maßnahmen, "die Menschen in die Lage zu versetzen, ihre lüsterne Neugier in Bezug auf die finanzielle Lage der Nachbarn zu befriedigen"; usw. Auch in sich waren die Ausführungen von Rat und Kommission in der Verhandlung vor dem EuGH offenbar nicht immer stimmig - aus österreichischer Sicht interessant:
"Dabei war und blieb unklar, ob die Kommission 'alle Begünstigten' oder lediglich Einzelne wie 'den österreichischen Grafen' meinte (den der Bevollmächtigte der Kommission in der mündlichen Verhandlung höflicherweise nicht namentlich genannt hat), bei dem es sich offenbar um einen Hauptempfänger von GAP-Mitteln handelt." (RNr 116)
Conclusio: "Das verschwommene (wenn nicht gar widersprüchliche) Wesen der Ziele, die die Organe nach eigenem Bekunden verfolgen, lässt nicht den Schluss zu, dass die getroffenen Maßnahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten." (RNr 118); Oder, zusammenfassend in RNr 123:
"Ich glaube nicht, dass der Gerichtshof Rechtsvorschriften absegnen sollte, die völlig zutreffend auf außerordentlich wünschenswerte allgemeine Grundsätze verweisen, jedoch – wenn nach einer spezielleren Erläuterung gefragt wird, die den Gerichtshof in die Lage versetzen soll, seine richterliche Kontrollaufgabe wahrzunehmen – ein Ausmaß an Unklarheit und fehlendem Gleichklang zwischen den Organen enthüllt, wie es sich in der vorliegenden Rechtssache gezeigt hat."

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