Das war im Jahr 2003. Kommende Woche, am 1.6.2017, wird der EGMR in dieser Sache das (voraussichtlich) letzte Urteil sprechen (Vorschau-Pressemitteilung S.8). Das Verfahren ist nicht nur deshalb interessant, weil immerhin ein ehemaliger Vizekanzler der Republik Österreich Partei ist, sondern auch wegen des ungewöhnlichen Verfahrensganges, in dem die Sache nun schon zum zweiten Mal dem EGMR vorliegt. Vor dem Urteil also ein Blick zurück:
1. Das medienrechtliche Verfahren, erster Teil:
Im Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17.5.2014 finden sich (unter anderem) folgende Feststellungen:
Am 19. September 2003 ist in der satirischen Sendung „Das Letzte der Woche" nach Einblendung eines Fotos des Antragstellers Mag. Herbert H***** ein Film, in dem ein großes und ein kleines Nilpferd durch die Gegend trotteten, veröffentlicht worden. Zu diesem Beitrag verlas die Sprecherin folgenden Text: „Vizekanzler Herbert H***** ist Pate eines Nilpferdbabys im Wiener Tiergarten Schönbrunn. Der FPÖ-Chef hat seinem Patenkind bereits einen Besuch abgestattet. Das größere Tier ist übrigens der Vizekanzler. Die beiden haben sich übrigens auf Anhieb gut verstanden. Es gibt viele Ähnlichkeiten: in beider Umfeld wimmelt es von braunen Ratten."Da dem (nun: Ex-)Vizekanzler damit mangelnde Abgrenzung gegenüber in Österreich verpönten NS-nahen Positionen und Trägern dieser Ideologie vorgeworfen werde und der Wahrheitsbeweis nicht gelungen sei, wurde ATV dafür gemäß § 6 Abs 1 MedienG zur Zahlung einer Entschädigung von 2.000 Euro sowie gemäß § 8a Abs 6 MedienG zur Urteilsveröffentlichung verpflichtet. Das OLG Wien - in solchen Verfahren regulär die letzte Instanz - bestätigte das erstinstanzliche Urteil.
2. Die EGMR-Beschwerde von ATV:
ATV sah sich durch dieses Urteil im durch Art. 10 EMRK garantierten Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt und erhob am 26.6.2005 Beschwerde an den EGMR. Am 2.6.2008 teilte der EGMR die Beschwerde mit diesem Statement of Facts Österreich mit.
3. Das medienrechtliche Verfahren, zweiter Teil: außerordentliche Wiederaufnahme
In der Folge nahm der OGH das Strafverfahren gemäß § 362 StPO auf Antrag der Generalprokuratur wieder auf und hob die in dieser Sache ergangenen Strafurteile des OLG Wien und des Landesgerichts für Strafsachen Wien auf (OGH 24.6.2009, 15 Os 172/08w, 15 Os 173/08t). Der OGH hielt fest, dass diese Gerichte folgenden Aspekten nicht den gebotenen Stellenwert beigemessen hätten:
zum einen der damaligen - in der Sendung ausdrücklich genannten - Funktion des Antragstellers als FPÖ-Obmann; zum anderen der schon durch seine Stellung als Spitzenfunktionär dieser Partei indizierten, im satirischen Gewand transportierten politischen Kritik nicht nur - wie konstatiert - an seiner Person, sondern damit verbunden augenscheinlich auch an den in seiner Partei von einigen zum Teil hochrangigen Repräsentanten vertretenen, der NS-Ideologie entlehnten oder nahestehenden Positionen, die Gegenstand der öffentlichen Diskussion und medialen Berichterstattung auch vor und zur Zeit der Ausstrahlung des inkriminierten Beitrags waren [...]Ausdrücklich verwies der OGH dabei auf die Urteile Nikowitz/Verlagsgruppe News GmbH gegen Österreich (im Blog dazu hier) und Vereinigung bildender Künstler gegen Österreich (im Blog dazu hier). Der OGH ordnete die Wiederaufnahme des erstinstanzlichen Verfahrens an, in dem schließlich mit Urteil vom 16.10.2009 der Entschädigungsantrag abgewiesen und der Ex-Vizekanzler zur Tragung der Kosten verpflichtet wurde. Ein Rechtsmittel des Ex-Vizekanzlers blieb erfolglos.
4. Die Streichung der ATV-Beschwerde aus dem Register des EGMR
Daraufhin beschloss der EGMR mit Entscheidung vom 29.1.2013, die ATV-Beschwerde aus dem Register zu streichen: ATV hatte die Neueröffnung des Verfahrens erreicht und darin auch obsiegt; dass noch ein Streit über weitere Kosten anhängig war, änderte daran nichts.
5. Die EGMR-Beschwerde des Ex-Vizekanzlers
Durch die außerordentliche Wiederaufnahme - und die daraufhin erfolgte Abweisung des Entschädigungsantrags - sah sich nun aber der Ex-Vizekanzler in Rechten verletzt, die durch die EMRK garantiert werden.
Zunächst natürlich in Art. 8 EMRK, weil die österreichischen Gerichte ihn nicht gegen die herabsetzenden Äußerungen und Angriffe auf seinen guten Ruf geschützt hätten. Insofern liegt dem EGMR die klassische Abwägungssituation zwischen der Freiheit der Meinungsäußerung und dem Schutz des Privatlebens vor, die er nach den in seiner Rechtsprechung entwickelten Kriterien auflösen wird (im Wesentlichen geht es dabei um die Frage des Beitrags zu einer Debatte von allgemeinem Interesse; die Bekanntheit der Person, über die berichtet wird und den Gegenstand des Berichts; das frühere Verhalten der Person; Inhalt, Form und Folgewirkungen der Veröffentlichung; siehe dazu v.a. hier und hier). Als Beschwerdeführer würde ich mir hier nicht allzu große Hoffnungen machen, dass der EGMR die letztlich schon vom OGH unter Berufung auf EGMR-Rechtsprechung vorgenommene Abwägungsentscheidung wieder "aufmachen" wird.
Interessant im Hinblick auf die österreichische Lösung der außerordentlichen Wiederaufnahme ist ein weiteres Argument des Ex-Vizekanzlers: er stützt sich nämlich auch auf den Schutz des Eigentums nach Art 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK, weil sein Entschädigungsanspruch nach der Wiederaufnahme abgewiesen wurde, obwohl er ja zuvor bereits "endgültig" (rechtskräftig) zugesprochen worden war (auch auf diese Frage ist der OGH in seinem Wiederaufnahme-Beschluss bereits eingegangen, auf EGMR-Rechtsprechung konnte er sich dabei aber noch nicht stützen).
6. Das Urteil des EGMR am 1.6.2017 [Update - richtig: die am 1.6.2017 verkündete Entscheidung des EGMR]
... [ich werde am 1.6. im Ausland sein und voraussichtlich erst später dazu etwas schreiben können]
Update 01/10.06.2017: Der EGMR hat die Beschwerde mit der am 1.6.2017 veröffentlichten, bereits am 2.5.2017 getroffenen Entscheidung einstimmig als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen (Entscheidung; Pressemitteilung).
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PS: Der EGMR wird am 1.6.2017 noch einen weiteren österreichischen Fall - allerdings ohne medienrechtlichen Bezug - entscheiden, Beschwerdeführer sind der Kärntner Ex-Landesrat J.M. (vom EGMR anonymisiert, aber nicht schwer zu identifizieren), sowie Hypo-Manager bzw -Aufsichtsräte Hans Jörg Megymorez, und Gert Xander (siehe ebenfalls in der Pressemitteilung, S. 8).
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