Das Deregulierungsgrundsätzegesetz - zu dem ich letzte Woche gebloggt habe - wird heute im Nationalrat beschlossen. Dieses Gesetz, das weniger Rechtsnorm als "eine Art Selbsthypnose des Gesetzgebers" (AbgNR Matznetter in der ZIB 2) ist, sieht unter anderem vor, dass Rechtsvorschriften "nach Möglichkeit nur für einen bestimmten, von vornherein festgelegten Zeitraum in Geltung treten" sollen. Die Erläuterungen verwenden dazu auch den Begriff, der sich für solche temporären Normen schon vor Jahrzehnten in den USA etabliert hat: "Sunset Legislation."*)
Keine Frage: Befristungen können manchmal sinnvoll sein (traditionell kennt man "sunset clauses" vor allem bei Ausgabenermächtigungen; die aber in Österreich ohnehin schon derzeit überwiegend befristet sind). Skeptisch bin ich aber gegenüber einer deutlichen Ausweitung befristeter Gesetze, und zwar aus ganz praktischen Gründen: das Parlament wäre vielfach nicht in der Lage, die notwendige Verlängerung befristeter Gesetze rechtzeitig zu beschließen.
Trotz gut geölter Gesetzgebungsmaschinerie kann es schon bei einer geringen Anzahl befristeter Gesetze knapp werden. Das zeigt etwa die Erfahrung mit den befristet beschlossenen Rechtsvorschriften, die die Versorgung in Krisenzeiten sichern sollen. Nur ein willkürlich herausgegriffenes Beispiel von vielen: das Energielenkungsgesetz war zunächst befristet bis 30.06.1984. Das Bundesgesetzblatt mit der Verlängerung der Befristung wurde erst am letzten Tag der alten Befristung - am 30.06.1984 - kundgemacht Das Spiel wiederholte sich am 30.06.1988 und am 30.06.1992 in exakt gleicher Weise: Verlängerung am letzten Tag, oder - um im Sonnenuntergangsbild zu bleiben - etwa bei Einsetzen der Dämmerung. Dabei stand die Notwendigkeit der Verlängerung nie in Frage und es gab auch keine sonstigen Erschwernisse für eine rechtzeitige Beschlussfassung wie zB (Neu-)Wahlen, offene Koalitionsverhandlungen oder instabile Mehrheiten.
Misslungener Sunrise
Meine Skepsis wird aber noch bestärkt durch ein anderes Phänomen, das wir - wieder einmal - morgen im Nationalrat beobachten können: das rückwirkende(!) Hinausschieben des Inkrafttretens einer schon in Kraft stehenden Rechtsvorschrift. Diesmal betrifft es das Gesundheitsberuferegister-Gesetz (GBRG), das nach einer ohnehin langen und mühevollen Entstehungsgeschichte erst vergangenen September mit BGBl I 2016/87 kundgemacht wurde. Nach § 29 GBRG sollten wesentliche Teile dieses Gesetzes mit 1. Jänner 2017 in Kraft treten; der tatsächliche Registerbetrieb sollte am 1. Jänner 2018 aufgenommen werden.
Nun schreiben wir Ende März 2017 - und dem Nationalrat liegt ein Gesetzesentwurf vor, mit dem nicht nur der "Start des Gesundheitsberuferegisters ... um ein halbes Jahr verschoben" werden soll (Aussendung der Parlamentskorrespondenz). Auch die seit 1. Jänner dieses Jahres schon in Kraft stehende Bestimmung des § 12 GBRG, die Dienstgeber/innen zu bestimmten Meldungen verpflichtet (und auch den Hauptverband der Sozialversicherungsträger in Pflicht nimmt), soll geändert werden und auch in der geänderten Form erst später in Kraft treten. Nach den Erläuterungen hat sich nämlich "herausgestellt", dass die Übermittlung der Daten des Hauptverbandes an Registrierungsbehörde "mangels Information bzw. Wissens des Hauptverbands ... über die Zuständigkeit ... nicht möglich ist". Der legistische Unfall muss also beseitigt und aus dem juristischen Gedächtnis gelöscht werden:
§ 12 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 87/2016 tritt rückwirkend mit 1. Jänner 2017 außer Kraft und in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. xx/2017 mit 1. Jänner 2018 in Kraft.Ein ähnliches Beispiel für eine zu spät kommende Novellierung vor dem Wirksamwerden einer Rechtsvorschrift bietet das Transparenzdatenbankgesetz 2012 (TDBG): nach § 32 Abs 6 TDBG sollten bestimmte Abfragemöglichkeiten "längstens bis zum 31. Dezember 2014" eingerichtet sein. Am 13. Jänner 2015 - das "längstens" war also längst vorbei - wurde eine Novelle zu diesem Gesetz kundgemacht, die aus einem einzigen Satz bestand:
In § 32 Abs. 6 wird die Jahreszahl „2014“ durch die Jahreszahl „2015“ ersetztDass der Gesetzgeber manchmal daran scheitert, noch vor dem Inkrafttreten notwendige Änderungen einer Rechtsvorschrift auch tatsächlich vor deren Inkrafttreten vorzunehmen, ist kein gutes Vorzeichen für das rechtzeitige Beschließen der Verlängerung befristeter Gesetze.
Der Weg zur Hölle ...
AbgNR Matznetter hat in der ORF-Sendung "Hohes Haus" wörtlich Folgendes zum Deregulierungsgrundsätzegesetz gesagt: "In dem Fall tut der Gesetzgeber auch gute Vorsätze beschließen, und ich find gute Vorsätze besser als schlechte Vorsätze," Man kann also festhalten, dass nicht nur der sprichwörtliche Weg zur Hölle, sondern auch der Weg der Bundesgesetzgebung (so die Zwischenüberschrift vor Art. 41 B-VG) mit guten Vorsätzen gepflastert ist.
Und falls die Vorsätze bei der Sunset-Regulierung einmal nicht eingehalten werden, kann man ja immer noch - nach dem Vorbild des Gesundheitsberuferegisters - ein Gesetz durch eine rückwirkende Befristung im Nachhinein aus dem juristischen Gedächtnis löschen. Oder, viel realistischer: eine - wegen Überlastung des Parlaments, überraschenden Neuwahlen oder aus welchen Gründen immer - abgelaufene Befristung rückwirkend verlängern.
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*) Zum Für und Wider von Sunset Legislation gibt es reichhaltige, vor allem US-amerikanische Literatur (zB eher dagegen: Kysar, The Sun Also Rises: The Political Economy of Sunset Provisions in the Tax Code, eher dafür: Gersen, Temporary Legislation). Soweit ich den Meinungsstand überblicke, läuft es im Allgemeinen oft auf ein typisch juristisches "kommt drauf an" hinaus: wenn sunset clauses in sorgsam ausgewählten Fällen eingesetzt werden, können sie zur Zielerreichung beitragen, ein Übermaß an solchen Klauseln oder Befristungen ist aber eher kontraproduktiv. Viel wird in der Literatur auch über die durch sunset clauses möglicherweise bewirkten Machtverschiebungen bzw Veränderungen in der relativen Verhandlungsmacht von Exekutive und Legislative
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