Tuesday, February 03, 2015

EGMR: "Leaks" aus Ermittlungsakten als Verletzung des Art 8 EMRK

Es klingt fast nach einem Fall aus Österreich, denn es geht um Korruptionsvorwürfe gegen einen hochrangigen Politiker und Protokolle abgehörter Telefongespräche, die in den Medien landen. Doch das heutige Urteil des EGMR im Fall Apostu (Pressemitteilung des EGMR) betrifft einen Sachverhalt aus Rumänien. Die rechtlichen Fragen sind freilich auch aus österreichischer Sicht interessant.

Der Ausgangsfall
Sorin Apostu war Bürgermeister von Cluj-Napoca (Klausenburg), der zweitgrößten rumänischen Stadt. Die Antikorruptionseinheit der Staatsanwaltschaft ermittelte gegen ihn, seine Frau und drei Geschäftsleute wegen des Verdachts wiederholter Korruption und erwirkte die Genehmigung zum Abhören seines Telefons. Im November 2011 wurde sein Wohnsitz und sein Büro durchsucht; er selbst wurde in Untersuchungshaft genommen, die mehrfach verlängert wurde. [Das Korruptionsstrafverfahren ist nach Information des EGMR noch in Gang, laut Wikipedia wurde Apostu in zweiter Instanz zu einer Haftstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt].

In der Folge fanden Auszüge aus Telefonaten von Herrn Apostu den Weg in die Presse, noch bevor die Anklage fertiggestellt war. Auch Schlagzeilen von Presseberichten wiesen darauf hin, dass Auszüge aus den aufgezeichneten Gesprächen veröffentlicht würden (zB in der englischen Übersetzung des EGMR: "Shocking revelations in the Apostu file. The names of all the persons under investigation and new excerpts from the telephone conversations.", "Excerpts of intercepted phone conversations: Sorin Apostu, the mayor of Cluj, acknowledged that he had at home three telephones with pre-paid cards, in order not to be intercepted"). Weitere Ausschnitte aus den Abhörprotokollen wurden auch nach Anklageerhebung in der Presse veröffentlicht. Auch weitere Bestandteile der Ermittlungsakten wurden in der Presse veröffentlicht und kommentiert. So wurde etwa die Begrüdnung eines Haftbeschlusses wörtlich in einer Zeitung publiziert.

Viele Presseberichte bezogen sich auf Aspekte des Privatlebens von Herrn Apostu, die keinen Bezug zum Strafverfahren hatten, aber auf Informationen aus dem Strafakt beruhten (Überschrift zB: "Juicy details from the private life of mayor Sorin Apostu! The mayor of Cluj, romance with a subordinate").

Das Urteil des EGMR*

- Zur Zulässigkeit: Kein wirksames Rechtsmittel gegen Leaks
Strittig war schon, ob der Beschwerdeführer innerstatliche Rechtsmittel ausgeschöpft hatte, weil er die Verletzung seines Privatlebens nicht vor die nationalen Gerichte gebracht hatte. Nach Ansicht der Regierung hätte er Strafanzeige wegen Amtsmissbrauchs oder Verrat von Berufsgeheimnissen erstatten können; weiters hätte er eine Disziplinaruntersuchung betreffend die Umstände der Leaks verlangen können. Und schließlich hätte er nach dem Gesetz über audiovisuelle Medien gegen die Medien und überhaupt nach allgemeinem Schadenersatzrecht vorgehen können.

Der EGMR beurteilt diese möglichen Wege als nicht geeignet: Der Kern der Beschwerde hatte sich nicht gegen die Veröffentlichung der Auszüge aus den Ermittlungsakten in der Presse gerichtet, sondern gegen den Umstand, dass die Behörden es zugelassen hatten, dass die Information an die Presse gelangte. Mögliche Beschwerden gegen Jorunalisten oder Medien sind daher für den Fall nicht relevant. Da auch die Person, die für das Leak verantwortlich war, nicht bekannt war, wäre ein auf das allgemeine Schadenersatzrecht gestütztes Vorgehen aussichtslos. 

Und da schließlich auch nicht feststand, wo die Quelle des Leaks war, wäre es zudem zu beschwerlich gewesen, gegen alle Institutionen vorzugehen, durch deren Hände die Akten gegangen waren. Der Beschwerdeführer hatte daher gegen die Leaks kein wirksames Rechtsmittel, sodass die Beschwerde zulässig war.

- Ein Eingriff, gegen den sich der Betroffene nicht wehren konnte
Nach der Rechtsprechung des EGMR ist es grundsätzlich Sache des Staates, seine Dienste so zu organisieren und seine Mitarbeiter so zu schulen, dass sichergestellt ist, dass keine vertrauliche oder geheime Information offengelegt wird (Urteil Stoll, Abs. 61 und 143, Urteil Craxi (Nr 2), Abs. 82). Grundsätzlich sind das Recht auf Achtung des Privatlebens und die Freiheit der Meinungsäußerung gleiche Rechte nach der EMRK und haben gleiches Recht auf Schutz, wenn es zu einer Abwägung kommt (Urteil Cășuneanu, Abs. 82). 

Das Leaken der Abhörprotokolle (noch vor Anklageerhebung), im Zusammenhang mit der nachfolgenden Publikation, stellte einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens dar. Dem Beschwerdeführer stand zum Zeitpunkt der Leaks noch keine Möglichkeit für eine sofortige Verteidigung offen, da die strafrechtlichen Vorwürfe noch nicht vor Gericht geprüft wurden und die Authentizität und Richtigkeit der Protokolle nicht bekämpft werden konnte. Zudem hatte der Beschwerdeführer keine Möglichkeit, sich über die Leaks bei den Behörden/Gerichten zu beschweren. 

- Keine adäquate Reaktion der Behörden
Dem EGMR stellt sich sodann die Frage, ob die Behörden ihre positiven Verpflichtungen unter Art 8 EMRK erfüllten. Die Veröffentlichung diente jedenfalls nicht dem Vorantreiben der strafrechtlichen Verfolgung. Die Informationen wären mit dem Zeitpunkt zugänglich geworden, zudem die förmliche Anklage bei Gericht eingebracht wurde; zudem waren manche der veröffentlichten Gesprächsprotokolle von privater Natur und deren Veröffentlichung diente keinem zwingenden gesellschaftlichen Bedürfnis ("pressing social need").

Telefonüberwachung unterliegt strikter richterlicher Kontrolle und die Ergebnisse der Überwachung dürfen daher auch nicht ohne gleichermaßen genaue richterliche Kontrolle veröffentlicht werden. 

Der Zugang zu den Inhalten von Strafakten ist auch (nach den nationalen Verfahrensvorschriften) nicht unbegrenzt, auch nicht für die Presse. Der Richter kann jedoch Zugang gewähren; dabei kann er insbesondere zwischen dem Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung (Pressefreiheit) und dem Recht auf Achtung des Privatlebens abwägen. Eine derartige Möglichkeit besteht nicht, wenn die Information an die Presse geleakt wird. In diesem Fall ist von höchster Bedeutung, ob der Staat seine Dienste so organisiert und seine Mitarbeiter so geschult hat, dass es zu keiner Umgehung der offiziellen Verfahren kommt, und ob der Betroffene eine Möglichkeit zur Abhilfe hat:
In this case, what is of the utmost importance is, firstly, whether the State organised their services and trained staff in order to avoid the circumvention of the official procedures (see Stoll, cited above, § 61) and, secondly, whether the applicant had any means of obtaining redress for the breach of his rights.
Da im Beschwerdefall der Staat darin versagt hat, entsprechend seiner Verpflichtung für die sichere Verwahrung der in seinem Besitz befindlichen Information zu sorgen, und da er nach erfolgter Verletzung des Rechts auf Achtung des Privatlebens auch keine Möglichkeit der Abhilfe bereitstellte, hat er eine Verletzung des Art 8 EMRK zu verantworten.

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*) In seiner Beschwerde an den EGMR wandte sich Apostu vor allem gegen die Haftbedingungen in der Untersuchungshaft; diesbezüglich stellte der EGMR auch eine Verletzung des Art 3 EMRK fest; diese Fragen sind aber für den Themenbereich dieses Blogs nicht relevant und werden daher heir auch nicht behandelt.

Sunday, February 01, 2015

Informationsfreiheit - EGMR: Gebühren für Informationszugang, auch für die Presse, nicht per se Verletzung des Art 10 EMRK

Die Verweigerung einer auf das Informationsrecht der Presse gestützten (kostenlosen) Auskunft verletzt jedenfalls dann nicht Art 10 EMRK, wenn die Information auch (gegen Gebühr) unter Berufung auf ein (allgemeines) Informationsfreiheitsgesetz erlangt werden kann. Das ergibt sich aus der am 29.01.2015 veröffentlichten Entscheidung des EGMR vom 06.01.2015, Friedrich Weber gegen Deutschland (Appl. no. 70287/11). Außerdem anerkennt der EGMR (weiterhin) keine Verpflichtung des Staates, Informationen in bestimmter Form bereitzustellen, insbesondere wenn dies mit beträchtlichem Aufwand verbunden ist.

Presse oder nicht? Die Vorgeschichte in Deutschland

Friedrich Weber, geboren 1937, ist Fachjournalist - oder er war es zumindest (zB wird er als solcher 1982 im Spiegel genannt); sein Medium waren die "Rundfunk-Berichte", die - folgt man dieser Quelle - ab 1978 monatlich erschienen und sich "fast ganz auf wirtschaftliche und Finanzfragen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten" spezialisierten (im Internet findet man hier und hier nur ein paar diffuse Reste).

Im Jahr 2003 bat Friedrich Weber die Stadt Wuppertal - wie viele andere Städte auch - um Auskunft zu Leistungen, die in den Jahren 2000, 2001, 2002 aus dem städtischen Haushalt an politische Parteien, ihre Fraktionen, parteinahe Organisationen und Stiftungen erbracht worden seien; außerdem fragte er, wieweit bekannt sei, ob städtische Beteiligungsunternehmen Zuwendungen - wenn ja, welche - an politische Parteien erbracht hätten. Die Auskunft wurde abgelehnt und Weber klagte vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf, gestützt auf den Auskunftsanspruch des § 4 Landespressegesetz NRW.

Die Klage blieb erfolglos, auch vor dem Oberverwaltungsgericht NRW. Nach Angaben von Weber beliefere er mit den "Rundfunk-Berichten" fast ausschließlich "akademische Einrichtungen, Redaktionen von Tageszeitungen, Publikumszeitschriften, Magazine, Monatszeitschriften, Agenturen, Verlage und Kollegen aus Presse und Rundfunk"; das OVG  beurteilte ihn daher als presseredaktionelles Hilfsunternehmen, allerdings lasse sich nicht feststellen, dass die Runfunk-Berichte an der öffentlichen Meinungsbildung mitwirkten. Der spezifische, nicht jeder Person zustehende presserechtliche Auskunftsanspruch könne von Weber daher nicht geltend gemacht werden (siehe das Urteil des OVG NRW vom 30.06.2008, 5 A 2794/05*; die Revision wurde nicht zugelassen, eine Verfassungsbeschwerde vom BVerfG nicht angenommen).

Die Entscheidung des EGMR

- Sammeln von Informationen ist Teil der Pressefreiheit 
Der EGMR hält wieder einmal fest, dass das Sammeln von Informationen ein wesentlicher vorbereitender Schritt im Journalismus und daher ein Teil der durch Art 10 EMRK geschützten Pressefreiheit ist (Verweis auf das Urteil Dammann). Der Beschwerdeführer hat zumindest einige Artikel veröffentlicht; im konkreten Fall wollte er über Geldflüsse von öffentlichen Stellen zu Parteien - und damit über ein Thema von allgemeinem Interesse - recherchieren.

- Nicht nur die Presse schafft Foren für öffentliche Debatte
Der EGMR erinnert daran, dass nicht nur der Presse, sondern auch NGOs die Rolle eines "public watchdog" zukommen kann; er verweist dazu auf das Urteil der Großen Kammer Animal Defenders International (Abs. 103; zu diesem Urteil im Blog hier) sowie auf das Urteil Társaság a Szabadságjogokért, wo der EGMR den Begriff des "social watchdog" prägte (Abs. 36, im Blog dazu hier).

Für die Beurteilung des konkreten Falles ist es für den EGMR daher auch unerheblich, ob der Beschwerdeführer Angehöriger der Presse ist oder - indem er Zugang zu Informationen von öffentlichem Interesse suchte und diese verbreiten wollte - eine Funktion ähnlich einer NGO ausübte.

- Keine positive Verpflichtung des Staates, von sich aus Information bereitzustellen
Der EGMR referiert dann seine Rechtsprechung zum Informationszugang: er hat ein Recht auf Informationszugang in einem Fall angenommen, in dem die Behörden Informationen von beträchtlichem öffentlichem Interesse weder in einer Datenbank noch sonst zur Verfügung gestellt haben (Österreichische Vereinigung zur Erhaltung, Stärkung und Schaffung, Abs. 46; dazu im Blog hier und zur Vorgeschichte hier). Das Recht, Informationen zu erhalten, verpflichtet eine Regierung, den Empfang von Informationen, die andere weitergeben wollen, nicht zu verhindern (Urteil Leander, Abs. 74), es ist aber nicht dahin auszulegen, dass den Staat positive Verpflichtungen treffen, Informationen von sich aus zu sammeln und zu verbreiten (Urteil Guerra ua, Abs. 53). Es gibt daher keine allgemeine aus Art 10 EMRK abzuleitende Verpflichtung des Staates, Informationen in bestimmter Form bereitzustellen, insbesondere wenn dies beträchtlichen Arbeitsaufwand erfordert: 
Therefore, the Court does not consider that a general obligation on the State to provide information in a specific form can be inferred from its case-law under Article 10, particularly when, as in the present case, a considerable amount of work is involved.
- Gewünschte Informationen waren nicht "ready and available"
Der EGMR ortet grundsätzliche Unterscheide des vorliegenden Falls zum Fall Társaság a Szabadságjogokért: dort ging es nämlich um die Herausgabe eines konkreten Dokuments, die Information war daher "ready and available" und erforderte kein Sammeln von Daten durch die Regierung. Im vorliegenden Fall ging es dagegen um Informationen, die aus verschiedenen Budgets und Bilanzen erst herausgelesen werden mussten. 

- Zumutbare Alternative: zunächst selbst in veröffentlichten Daten recherchieren, Auskünfte nach Informationsfreiheitsgesetz verlangen
Der Beschwerdeführer, so sieht es der EGMR, hätte die veröffentlichten Budgets und Bilanzen als solche, wenn sie nicht mehr online verfügbar waren, verlangen können, darin selbst die von ihm gewünschten Informationen heraussuchen und dann gegebenenfalls weitere konkrete Auskünfte verlangen müssen: 
Cities list their payments in their budgets prior to the corresponding fiscal years and in corresponding financial statements after its completion. In addition, payments of their companies are listed in their balance sheets for the corresponding years. Even considering that due to the course of time such statements might not all be available online, the Court notes that the applicant could have requested budgets, financial statements and balance sheets of the companies as such. Such information would have put the applicant in a position to carry out his research on the above mentioned topic or he could then have asked for further concrete information. [Hervorhebung hinzugefügt]
Auch wenn der Beschwerdeführer nicht als Angehöriger der Presse angesehen wurde, hatte er nach dem Informationsfreiheitsgesetz NRW ein Recht auf Zugang zu amtlichen Informationen, im Unterschied zum Auskunftsrecht nach dem Landespressegesetz NRW aber mit der Verpflichtung, dafür Gebühren zu entrichten. Diesen Weg hat der Beschwerdeführer nicht einmal versucht. Ob die Gebühren allenfalls einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Informationsfreiheit darstellen würden, kann der EGMR daher auch nicht sagen:
Even if he was not considered a member of the press, the Freedom of Information Act NRW gave him as an individual the right to access to information which the authorities are holding, with the difference that he would have been charged for the necessary costs involved. The Court however notes that the applicant did not even try to obtain any information invoking the Freedom of Information Act NRW. The Court is therefore not in position to determine whether an unspecified fee for the provision of budgets, finance reports and balance sheets of three years would have constituted an inadequate interference of the applicant’s right of access to information under the Convention.
Der EGMR kommt somit zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer - unabhängig davon, ob er als Angehöriger der Presse anzusehen wäre - nicht im Recht auf Empfang und Mitteilung von Nachrichten oder Ideen nach Art 10 EMRK verletzt wurde.  

Anmerkungen zur Entscheidung
Der EGMR hat kein Urteil gefällt, sondern die Beschwerde mit Entscheidung (decision) nach Art 35 EMRK als als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Bei derartigen Unzulässigkeitsentscheidungen geht es in der Regel nicht um die substantielle Weiterentwicklung der Rechtsprechung, sondern um die Anwendung schon judizierter Grundsätze im Einzelfall. Das ist zumindest teilweise auch hier zu sehen: dass auch NGOs eine presseähnliche "watchdog"-Funktion zukommen kann, hat der EGMR schon früher ausgesprochen (Animal Defenders International, Társaság a Szabadságjogokért), mit der nunmehrigen Entscheidung ist das wohl als ständige Rechtsprechung anzusehen.

Daher ein erstes Fazit aus der Entscheidung: die Unterscheidung, ob Recherchen von der Presse im engeren Sinne oder von NGOs oder ähnlichen "social watchdogs" durchgeführt werden, ist im Hinblick auf das Recht, Zugang zu Informationen zu erhalten, irrelevant.

Damit ist nicht gesagt, dass die Privilegierung der Presse nach den deutschen Landespressegesetzen per se unzulässig wäre; sie darf aber nicht dazu führen, dass für (andere) am Zugang zu Informationen interessierte watchdogs unverhältnismäßige Hürden aufgestellt werden. Ein Auskunftsbegehren nach dem Informationsfreiheitsgesetz NRW wird vom EGMR als gangbare Alternative zum presserechtlichen Auskunftsanspruch gesehen, auch wenn dafür Gebühren anfallen. Da der EGMR zudem ausdrücklich festhält, dass es im vorliegenden Fall nicht darauf ankommt, ob der Beschwerdeführer als Angehöriger der Presse anzusehen war, geht er damit notwendigerweise auch davon aus, dass Gebühren auch für den Informationszugang durch die Presse nicht ausgeschlossen wären. Diese Gebühren dürften freilich nicht unverhältnismäßig sein.

Zweites Fazit: Gebühren für den Zugang zu Informationen sind grundsätzlich zulässig, auch gegenüber Angehörigen der Presse, je nach Höhe können sie aber eine unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Informationszugang darstellen.

Das Auskunftsbegehren war im Wesentlichen auf Informationen über Zahlungen einer Stadt und ihrer Unternehmen an politische Parteien gerichtet. Ich zweifle sehr daran, dass diese Zahlungen aus den
wie auch immer veröffentlichten und zugänglichen Budgets und Rechnungs- bzw Jahresabschlüssen herausgelesen werden können, wie dies der EGMR offenbar annimmt ("Cities list their payments in their budgets ... and in corresponding financial statements"; "payments of their companies are listed in their balance sheets"). Insofern ist die Verweisung des Auskunftssuchenden auf diese Budgets/Bilanzen im konkreten Fall ein wenig irritierend, zeigt aber grundsätzlich einen relevanten Punkt: der Anspruch auf Informationszugang soll nicht dazu dienen, (journalistische) Recherchearbeit auf die öffentlichen Stellen zu verlagern. Wenn Informationen veröffentlicht sind (zB Budgets), dann sollen sich die Journalisten (oder NGOs) die interessanten Details darin selbst heraussuchen; erst wenn diese darin nicht zu finden sind, greift (allenfalls) wieder das Recht auf Informationszugang.

Drittes Fazit für Informationssucher: zuerst öffentlich zugängliche Quellen recherchieren, dann erst Auskunftsbegehren stellen! 

Nicht wirklich beantworten musste der EGMR die Frage, ob es nach Art 10 EMRK geboten wäre, die von Friedrich Weber erbetenen Informationen tatsächlich herauszugeben (wenn auch gegen Gebühr). Der Text der Entscheidung scheint aber in diese Richtung zu gehen: zum Einen wird (meines Erachtens etwas naiv) angenommen, dass solche Zahlungen ohnedies veröffentlicht worden wären (wenngleich erst im Detail herauszusuchen), zum Anderen wird darauf verwiesen, dass nach dem Informationsfreiheitsgesetz NRW ein Anspruch auf solche Informationen (jedenfalls auf "budgets, finance reports and balance sheets") besteht. Interessant wäre auch die Abwägung mit dem (in Österreich auch für juristische Personen bestehenden) Datenschutz, wenn ohne klare gesetzliche Grundlage zB Informationen über Zahlungen öffentlicher Unternehmungen an bestimmte Empfänger (wie hier Parteien, parteinahe Organisationen und Stiftungen) verlangt werden.

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*) Fußnote zur "Anonymisierung": Im Urteil des OVG NRW sind die "Rundfunk-Berichte" als "S.-C." anonymisiert; da die Anonymisierung durchgehend auf gleiche Weise funktioniert (den tatsächlichen Anfangsbuchstaben folgende Buchstaben); lassen sich auch die weiteren Anonymisierungen recht leicht entschlüsseln; dass Weber 1976 noch Beiträge für den F.Q. (Evangelischen Pressedienst) verfasst hat zB oder Berichte in der G.-Korrespondenz (Funkkorrespondenz) oder in der Tageszeitung O.E. (Neues Deutschland; zB hier) erschienen sind.