Sunday, February 01, 2015

Informationsfreiheit - EGMR: Gebühren für Informationszugang, auch für die Presse, nicht per se Verletzung des Art 10 EMRK

Die Verweigerung einer auf das Informationsrecht der Presse gestützten (kostenlosen) Auskunft verletzt jedenfalls dann nicht Art 10 EMRK, wenn die Information auch (gegen Gebühr) unter Berufung auf ein (allgemeines) Informationsfreiheitsgesetz erlangt werden kann. Das ergibt sich aus der am 29.01.2015 veröffentlichten Entscheidung des EGMR vom 06.01.2015, Friedrich Weber gegen Deutschland (Appl. no. 70287/11). Außerdem anerkennt der EGMR (weiterhin) keine Verpflichtung des Staates, Informationen in bestimmter Form bereitzustellen, insbesondere wenn dies mit beträchtlichem Aufwand verbunden ist.

Presse oder nicht? Die Vorgeschichte in Deutschland

Friedrich Weber, geboren 1937, ist Fachjournalist - oder er war es zumindest (zB wird er als solcher 1982 im Spiegel genannt); sein Medium waren die "Rundfunk-Berichte", die - folgt man dieser Quelle - ab 1978 monatlich erschienen und sich "fast ganz auf wirtschaftliche und Finanzfragen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten" spezialisierten (im Internet findet man hier und hier nur ein paar diffuse Reste).

Im Jahr 2003 bat Friedrich Weber die Stadt Wuppertal - wie viele andere Städte auch - um Auskunft zu Leistungen, die in den Jahren 2000, 2001, 2002 aus dem städtischen Haushalt an politische Parteien, ihre Fraktionen, parteinahe Organisationen und Stiftungen erbracht worden seien; außerdem fragte er, wieweit bekannt sei, ob städtische Beteiligungsunternehmen Zuwendungen - wenn ja, welche - an politische Parteien erbracht hätten. Die Auskunft wurde abgelehnt und Weber klagte vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf, gestützt auf den Auskunftsanspruch des § 4 Landespressegesetz NRW.

Die Klage blieb erfolglos, auch vor dem Oberverwaltungsgericht NRW. Nach Angaben von Weber beliefere er mit den "Rundfunk-Berichten" fast ausschließlich "akademische Einrichtungen, Redaktionen von Tageszeitungen, Publikumszeitschriften, Magazine, Monatszeitschriften, Agenturen, Verlage und Kollegen aus Presse und Rundfunk"; das OVG  beurteilte ihn daher als presseredaktionelles Hilfsunternehmen, allerdings lasse sich nicht feststellen, dass die Runfunk-Berichte an der öffentlichen Meinungsbildung mitwirkten. Der spezifische, nicht jeder Person zustehende presserechtliche Auskunftsanspruch könne von Weber daher nicht geltend gemacht werden (siehe das Urteil des OVG NRW vom 30.06.2008, 5 A 2794/05*; die Revision wurde nicht zugelassen, eine Verfassungsbeschwerde vom BVerfG nicht angenommen).

Die Entscheidung des EGMR

- Sammeln von Informationen ist Teil der Pressefreiheit 
Der EGMR hält wieder einmal fest, dass das Sammeln von Informationen ein wesentlicher vorbereitender Schritt im Journalismus und daher ein Teil der durch Art 10 EMRK geschützten Pressefreiheit ist (Verweis auf das Urteil Dammann). Der Beschwerdeführer hat zumindest einige Artikel veröffentlicht; im konkreten Fall wollte er über Geldflüsse von öffentlichen Stellen zu Parteien - und damit über ein Thema von allgemeinem Interesse - recherchieren.

- Nicht nur die Presse schafft Foren für öffentliche Debatte
Der EGMR erinnert daran, dass nicht nur der Presse, sondern auch NGOs die Rolle eines "public watchdog" zukommen kann; er verweist dazu auf das Urteil der Großen Kammer Animal Defenders International (Abs. 103; zu diesem Urteil im Blog hier) sowie auf das Urteil Társaság a Szabadságjogokért, wo der EGMR den Begriff des "social watchdog" prägte (Abs. 36, im Blog dazu hier).

Für die Beurteilung des konkreten Falles ist es für den EGMR daher auch unerheblich, ob der Beschwerdeführer Angehöriger der Presse ist oder - indem er Zugang zu Informationen von öffentlichem Interesse suchte und diese verbreiten wollte - eine Funktion ähnlich einer NGO ausübte.

- Keine positive Verpflichtung des Staates, von sich aus Information bereitzustellen
Der EGMR referiert dann seine Rechtsprechung zum Informationszugang: er hat ein Recht auf Informationszugang in einem Fall angenommen, in dem die Behörden Informationen von beträchtlichem öffentlichem Interesse weder in einer Datenbank noch sonst zur Verfügung gestellt haben (Österreichische Vereinigung zur Erhaltung, Stärkung und Schaffung, Abs. 46; dazu im Blog hier und zur Vorgeschichte hier). Das Recht, Informationen zu erhalten, verpflichtet eine Regierung, den Empfang von Informationen, die andere weitergeben wollen, nicht zu verhindern (Urteil Leander, Abs. 74), es ist aber nicht dahin auszulegen, dass den Staat positive Verpflichtungen treffen, Informationen von sich aus zu sammeln und zu verbreiten (Urteil Guerra ua, Abs. 53). Es gibt daher keine allgemeine aus Art 10 EMRK abzuleitende Verpflichtung des Staates, Informationen in bestimmter Form bereitzustellen, insbesondere wenn dies beträchtlichen Arbeitsaufwand erfordert: 
Therefore, the Court does not consider that a general obligation on the State to provide information in a specific form can be inferred from its case-law under Article 10, particularly when, as in the present case, a considerable amount of work is involved.
- Gewünschte Informationen waren nicht "ready and available"
Der EGMR ortet grundsätzliche Unterscheide des vorliegenden Falls zum Fall Társaság a Szabadságjogokért: dort ging es nämlich um die Herausgabe eines konkreten Dokuments, die Information war daher "ready and available" und erforderte kein Sammeln von Daten durch die Regierung. Im vorliegenden Fall ging es dagegen um Informationen, die aus verschiedenen Budgets und Bilanzen erst herausgelesen werden mussten. 

- Zumutbare Alternative: zunächst selbst in veröffentlichten Daten recherchieren, Auskünfte nach Informationsfreiheitsgesetz verlangen
Der Beschwerdeführer, so sieht es der EGMR, hätte die veröffentlichten Budgets und Bilanzen als solche, wenn sie nicht mehr online verfügbar waren, verlangen können, darin selbst die von ihm gewünschten Informationen heraussuchen und dann gegebenenfalls weitere konkrete Auskünfte verlangen müssen: 
Cities list their payments in their budgets prior to the corresponding fiscal years and in corresponding financial statements after its completion. In addition, payments of their companies are listed in their balance sheets for the corresponding years. Even considering that due to the course of time such statements might not all be available online, the Court notes that the applicant could have requested budgets, financial statements and balance sheets of the companies as such. Such information would have put the applicant in a position to carry out his research on the above mentioned topic or he could then have asked for further concrete information. [Hervorhebung hinzugefügt]
Auch wenn der Beschwerdeführer nicht als Angehöriger der Presse angesehen wurde, hatte er nach dem Informationsfreiheitsgesetz NRW ein Recht auf Zugang zu amtlichen Informationen, im Unterschied zum Auskunftsrecht nach dem Landespressegesetz NRW aber mit der Verpflichtung, dafür Gebühren zu entrichten. Diesen Weg hat der Beschwerdeführer nicht einmal versucht. Ob die Gebühren allenfalls einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Informationsfreiheit darstellen würden, kann der EGMR daher auch nicht sagen:
Even if he was not considered a member of the press, the Freedom of Information Act NRW gave him as an individual the right to access to information which the authorities are holding, with the difference that he would have been charged for the necessary costs involved. The Court however notes that the applicant did not even try to obtain any information invoking the Freedom of Information Act NRW. The Court is therefore not in position to determine whether an unspecified fee for the provision of budgets, finance reports and balance sheets of three years would have constituted an inadequate interference of the applicant’s right of access to information under the Convention.
Der EGMR kommt somit zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer - unabhängig davon, ob er als Angehöriger der Presse anzusehen wäre - nicht im Recht auf Empfang und Mitteilung von Nachrichten oder Ideen nach Art 10 EMRK verletzt wurde.  

Anmerkungen zur Entscheidung
Der EGMR hat kein Urteil gefällt, sondern die Beschwerde mit Entscheidung (decision) nach Art 35 EMRK als als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Bei derartigen Unzulässigkeitsentscheidungen geht es in der Regel nicht um die substantielle Weiterentwicklung der Rechtsprechung, sondern um die Anwendung schon judizierter Grundsätze im Einzelfall. Das ist zumindest teilweise auch hier zu sehen: dass auch NGOs eine presseähnliche "watchdog"-Funktion zukommen kann, hat der EGMR schon früher ausgesprochen (Animal Defenders International, Társaság a Szabadságjogokért), mit der nunmehrigen Entscheidung ist das wohl als ständige Rechtsprechung anzusehen.

Daher ein erstes Fazit aus der Entscheidung: die Unterscheidung, ob Recherchen von der Presse im engeren Sinne oder von NGOs oder ähnlichen "social watchdogs" durchgeführt werden, ist im Hinblick auf das Recht, Zugang zu Informationen zu erhalten, irrelevant.

Damit ist nicht gesagt, dass die Privilegierung der Presse nach den deutschen Landespressegesetzen per se unzulässig wäre; sie darf aber nicht dazu führen, dass für (andere) am Zugang zu Informationen interessierte watchdogs unverhältnismäßige Hürden aufgestellt werden. Ein Auskunftsbegehren nach dem Informationsfreiheitsgesetz NRW wird vom EGMR als gangbare Alternative zum presserechtlichen Auskunftsanspruch gesehen, auch wenn dafür Gebühren anfallen. Da der EGMR zudem ausdrücklich festhält, dass es im vorliegenden Fall nicht darauf ankommt, ob der Beschwerdeführer als Angehöriger der Presse anzusehen war, geht er damit notwendigerweise auch davon aus, dass Gebühren auch für den Informationszugang durch die Presse nicht ausgeschlossen wären. Diese Gebühren dürften freilich nicht unverhältnismäßig sein.

Zweites Fazit: Gebühren für den Zugang zu Informationen sind grundsätzlich zulässig, auch gegenüber Angehörigen der Presse, je nach Höhe können sie aber eine unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Informationszugang darstellen.

Das Auskunftsbegehren war im Wesentlichen auf Informationen über Zahlungen einer Stadt und ihrer Unternehmen an politische Parteien gerichtet. Ich zweifle sehr daran, dass diese Zahlungen aus den
wie auch immer veröffentlichten und zugänglichen Budgets und Rechnungs- bzw Jahresabschlüssen herausgelesen werden können, wie dies der EGMR offenbar annimmt ("Cities list their payments in their budgets ... and in corresponding financial statements"; "payments of their companies are listed in their balance sheets"). Insofern ist die Verweisung des Auskunftssuchenden auf diese Budgets/Bilanzen im konkreten Fall ein wenig irritierend, zeigt aber grundsätzlich einen relevanten Punkt: der Anspruch auf Informationszugang soll nicht dazu dienen, (journalistische) Recherchearbeit auf die öffentlichen Stellen zu verlagern. Wenn Informationen veröffentlicht sind (zB Budgets), dann sollen sich die Journalisten (oder NGOs) die interessanten Details darin selbst heraussuchen; erst wenn diese darin nicht zu finden sind, greift (allenfalls) wieder das Recht auf Informationszugang.

Drittes Fazit für Informationssucher: zuerst öffentlich zugängliche Quellen recherchieren, dann erst Auskunftsbegehren stellen! 

Nicht wirklich beantworten musste der EGMR die Frage, ob es nach Art 10 EMRK geboten wäre, die von Friedrich Weber erbetenen Informationen tatsächlich herauszugeben (wenn auch gegen Gebühr). Der Text der Entscheidung scheint aber in diese Richtung zu gehen: zum Einen wird (meines Erachtens etwas naiv) angenommen, dass solche Zahlungen ohnedies veröffentlicht worden wären (wenngleich erst im Detail herauszusuchen), zum Anderen wird darauf verwiesen, dass nach dem Informationsfreiheitsgesetz NRW ein Anspruch auf solche Informationen (jedenfalls auf "budgets, finance reports and balance sheets") besteht. Interessant wäre auch die Abwägung mit dem (in Österreich auch für juristische Personen bestehenden) Datenschutz, wenn ohne klare gesetzliche Grundlage zB Informationen über Zahlungen öffentlicher Unternehmungen an bestimmte Empfänger (wie hier Parteien, parteinahe Organisationen und Stiftungen) verlangt werden.

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*) Fußnote zur "Anonymisierung": Im Urteil des OVG NRW sind die "Rundfunk-Berichte" als "S.-C." anonymisiert; da die Anonymisierung durchgehend auf gleiche Weise funktioniert (den tatsächlichen Anfangsbuchstaben folgende Buchstaben); lassen sich auch die weiteren Anonymisierungen recht leicht entschlüsseln; dass Weber 1976 noch Beiträge für den F.Q. (Evangelischen Pressedienst) verfasst hat zB oder Berichte in der G.-Korrespondenz (Funkkorrespondenz) oder in der Tageszeitung O.E. (Neues Deutschland; zB hier) erschienen sind. 

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