Thursday, November 30, 2006

agency design: back to the drawing board


So schnell kann's gehen: vor ein paar Tagen habe ich noch eher allgemein darauf verwiesen, dass sich auch bei diesen Regierungsverhandlungen Fragen des "agency design" für die Regulierungsbehörden im Bereich elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste stellen werden.

Und soeben lese ich, dass sich SPÖ und ÖVP schon geeinigt haben. In der vom Standard wiedergegebenen APA-Meldung heipt es, dass sich SPÖ und ÖVP (unter anderem) auf die "Einrichtung einer weisungsfreien Medienbehörde mit erweiterten Kompetenzen" geeinigt haben.

"Die geplante Medienbehörde soll verfassungsrechtlich verankert und für Medien- und Telekommunikationsfragen zuständig sein. Im Sinne der Wettbewerbsgleichheit sollen dort alle behördlichen Bewilligungen für alle elektronischen Anbieter abgewickelt werden, so der Plan."
(Außerdem soll diese Behörde noch für Digitalisierungs- und Fernsehfonds, sowie für die Presse- und Publizistikförderung zuständig sein)

"Die Konvergenz der Medien erfordert konvergente Strukturen" sagt ÖVP-Verhandler Morak. Laut SPÖ-Verhandler Cap "soll diese Behörde einen Zuwachs an Kompetenzen erfahren und unabhängig sein. Es soll einen zweistufigen Instanzenzug geben."

Nimmt man dieses Verhandlungsergebnis ernst, dann würde damit das Ende für die "fünf Freunde" - die derzeit fünf unterschiedlichen Regulierungsbehörden - bevorstehen. Aber wir werden sehen, ob die Verhandler das wirklich so gemeint haben:

Nach dem Wortlaut der Presseaussendungen ist es freilich klar: ein "one stop shop" für Betreiber von Kommunikationsnetzen und -diensten, das heißt natürlich, dass über jedes Leitungsrecht im Bregenzerwald (über das heute das Fernmeldebüro in Innsbruck zu entscheiden hat) die neue einheitliche Medien- und Telekombehörde entscheiden muss. Und jede Frequenzzuteilung und Funkanlagengenehmigung wäre genauso Aufgabe dieser einheitlichen und einzigen Behörde. Und jedes Verwaltungsstrafverfahren, jede Nummernzuteilung, jede Marktanalyse, etc. etc.
Jedenfalls eine interessante Lösung, nicht ohne Vorbild (insbesondere bei der britischen Regulierungsbehörde Ofcom). Ob sie wirklich kommt, oder ob nicht unter einem nach außen einheitlichen Dach doch wieder zahlreiche voneinander abgegrenzte Kästchen ins Organigramm gezeichnet werden, darüber werden wohl auch die TelekomsprecherInnen der Parteien und die zukünftigen MinisterInnen noch mitzureden haben.

Wednesday, November 29, 2006

"Kleinliche Mediengesetze"


Andreas Unterberger, Chefredakteur der Wiener Zeitung, ist mit seinem Herausgeber offenbar zutiefst unglücklich. Herausgeber - das ist nach § 1 Abs 1 Z 9 MedienG, wer die grundlegende Richtung des periodischen Mediums bestimmt - der Wiener Zeitung ist nämlich die Republik Österreich - mit anderen Worten: der Staat.

Und wozu ist dieser Staat eigentlich noch imstande? Nach Andreas Unterberger - in seinem auch mit der APA verbreiteten Kommentar vom 30.11.2006 - bloß dazu,
"mit kleinlichen Mediengesetzen die Ehre von Verbrechern zu schützen; er hat es hingegen nie geschafft, beim ORF einen öffentlichen-rechtlichen Auftrag durchzusetzen, der mehr wert ist als das Papier, auf dem er steht. Statt dessen wird in ORF 1 künftig anstelle der öffentlich-rechtlichen 'Zeit im Bild' auf Unterhaltung gemacht."

Nun könnte man vielleicht der Meinung sein, dass es für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags durch den ORF nicht zwingend erforderlich ist, die Zeit im Bild auf beiden ORF-Kanälen durchzuschalten. Aber nach Auffassung von Herrn Unterberger sollte "der Staat" offenbar sofort veranlassen, dass die ZIB-Durchschaltung nicht abgeschafft wird. (Wenig überraschend ist, dass sich sofort ein Repräsentant des Staates findet, der ähnlicher Meinung ist: siehe diesen Artikel über ein Gespräch mit ÖVP-Klubobmann Molterer in den Salzburger Nachrichten).

Nun, Herr Unterberger wird schon wissen, wie das mit dem Staatseinfluss so ist, denn
"Die Wiener Zeitung steht – ähnlich etwa dem ORF – im Besitz der Republik Österreich."
(so steht es tatsächlich auf der Website der Wiener Zeitung; wahrscheinlich hab ich das mit der Stiftung des öffentlichen Rechts nach § 1 ORF-Gesetz irgendwie falsch verstanden).

Aber was ist nun mit den "kleinlichen Mediengesetzen", mit denen Unterbergers Herausgeber, die Republik, die Ehre von Verbrechern schützt? Wenn ich etwa einen Blick in die letzten paar Hefte von medien und recht werfe, dann finde ich da kaum Verbrecher, aber dafür zB
  • die im Septeber 1993 geborene Jaqueline, die auf das MedienG gestützt Identitätsschutz als Opfer eines Verbrechens geltend macht (OLG Wien, 28.6.2006, 17 Bs 110/06k, MR 2006, 248),
  • den ÖVP-Abgeordneten Mag. Walter T. (OLG Wien 30.1.2006, 18 Bs 239/05m, MR 2006, 187)
  • den "Chefredakteur einer Tageszeitung, in der von ihm verfasste Kommentar und Glossen veröffentlicht werden" (OGH 16.2.2006, 6 Ob 245/04d, MR 2006, 191 - nein, es handelt sich nicht um Andreas Unterberger; die Sache spielt in Graz - die Veröffentlichung ist soweit anonymisiert, dass die sofortige Erkennbarkeit für Zeitungsleser gewährleistet ist)
  • einen Politiker, der nach unbestätigten Gerüchten für sein Penthouse um die Hälfte weniger bezahlt haben soll als andere (OLG Graz 12.12.2005, 10 Bs 308/05b, MR 2006, 128 - nein, wieder stimmt die erste Vermutung nicht: auch hier ist die Veröffentlichung so anonymisiert, dass der betreffende ehemalige Finanzlandesrat eines südlichen Bundeslandes leicht zu erkennen ist)

und noch eine ganze Menge weiterer Menschen, deren Ehre durch das kleinliche Mediengesetz geschützt wird.

Die Zeitung der Republik, in der Herr Unterberger schreibt, fühlt sich übrigens dem Ehrenkodex der Österreichischen Presse (und den kleinlichen Mediengesetzen?) verpflichtet. Dieser Ehrenkodex verlangt zum Beispiel, Pauschalverdächtigungen und Pauschalverunglimpfungen von Personen und Personengruppen unter allen Umständen zu vermeiden.

Der Kommentar von Herrn Unterberger schließt übrigens mit den Worten: "Eine reife Demokratie lebt vom Engagement der Bürger. Und das kann weder auf den Staat noch auf irgendwelche NGO-Vereine postpubertärer Buben und Mädchen abgeschoben werden."

Pauschalverunglimpfung? Wir wollen doch nicht noch kleinlicher sein als die ohenhin schon kleinlichen Mediengesetze!

Monday, November 27, 2006

JUSTICE SCALIA: I used to work in the field of telecommunications ...

In der heutigen Verhandlung des US Supreme Court konnte Justice Scalia wieder einmal auf seine Vergangenheit im Telekombereich hinweisen; von 1971 bis 1972 hatte er nämlich als General Counsel im Office of Telecommunications Policy, Executive Office of the President, gearbeitet (siehe seine Biographie zB hier). In Telekomsachen hat Scalia insbesondere die Opinions in den Fällen MCI v AT&T und Verizon v Trinko geschrieben.

Im aktuellen Fall, Bell v Twombly, geht es wieder einmal um eine Antitrust-Sache im Telekombereich (Briefs hier, eine Zusammenfassung hier). Im Kern - und unscharf formuliert - wird den "Baby Bells" vorgeworfen, die Öffnung ihrer ehemaligen regionalen Monopolnetze zugunsten der "competitive local exchange carriers" (CLECs) durch wettbewerbswidriges Parallelverhalten in einer "conspiracy" hintertrieben zu haben.

Die Verhandlung betraf aber nicht die Frage der "Verschwörung" selbst, sondern lediglich prozessuale Fragen, insbesondere zur notwendigen Konkretisierung der conspiracy-Vorwürfe in der Klage. Bemerkenswert ist, dass das Transkript der Verhandlung noch am selben Tag online zur Verfügung steht (auf dieser Seite), sodass man fast in Echtzeit die Argumentation nachvollziehen kann.
Eines der Argumente des Klägers im Ausgangsverfahren (vor dem Supreme Court auf Grund der prozessualen Zwischenstreitigkeit Antragsgegner) war, dass der Kongress bei der Erlassung des Telecommunications Act 1996 erwartet habe, dass Wettbewerb durch den Markteintritt von CLECs entstehen würde - was jedenfalls nicht im erwarteten Ausmaß geschehen ist. Der Anwalt des Klägers leitete (unter anderem) daraus ab, dass eine "conspiracy in restraint of trade or commerce" im Sinne des Sherman Act vorgelegen sein.
Justice Scalia hält von den Erwartungen des Gesetzgebers offensichtlich wenig - was der betroffene Anwalt in gewisser Weise auch einsieht; hier der Wortwechsel im wörtlichen Zitat (Seite 49 des Transkripts):

JUSTICE SCALIA: I used to work in the field of telecommunications and if the criterion is that happens which Congress expected to happen when it passed its law, your case is very weak.
MR. RICHARDS: Well, Your Honor, that -- I certainly don't expect that that is the evidence that we would be relying on at trial or at summary judgment to support our case ...

(Nachtrag 22.5.2007: der Supreme Court hat entschieden: siehe den Blog-Beitrag hier, die Entscheidung hier)

Sunday, November 26, 2006

Rundfunkgebühren, nordische Abteilung

In Schweden treten Minister zurück, weil sie keine Rundfunkgebühren bezahlt haben - und in Finnland beschweren sich manche lautstark über
"Evenings wasted hiding from the TV licence inspector because I don't want to pay for sports and reality TV."

(im obigen YouTube-Video bei ca. 5:25)

Ofcom vs. Ofcom?

"The UK emphatically supports the Commission’s proposals in relation to spectrum liberalisation ..." heißt es in der Stellungnahme des Vereinigten Königreichs, die die Position "of the UK Government and the independent UK communications regulator, the Office of Communications (Ofcom)" wiedergibt, im Rahmen der Konsultation zum "Review 2006".
Zum selben Thema fällt eine andere Stellungnahme weitaus kritischer aus:
"OFCOM cannot associate itself with proposals for which it has not been demonstrated that they bring tangible benefits in the medium and long term and which ostensibly violate elementary principles such as investment security or legal security."
Die Auflösung des Rätsels: Bei Ofcom Nummer 2 handelt es sich um das Schweizer Bundesamt für Kommunikation (BAKOM; französisch: Office fédéral de la communication - Ofcom), und dessen Meinung stimmt in Fragen der Frequenzverwaltung mit jener der britischen "Schwesterbehörde" mit der selben Abkürzung keineswegs überein.

Die Kommission hat nun (am 24. November 2006) die Stellungnahmen zur Konsultation, soweit nicht Vertraulichkeit gewünscht wurde, auf ihre Website (auf dieser Seite) gestellt.
Alles in allem halten sich die Überraschungen in Grenzen. Dass etwa die Industriellenvereinigung "keine Notwendigkeit für eine Stärkung der Verbraucher- und Nutzerrechte" sieht, während sich der Dachverband der Verbraucherorganisationen BEUC "more concrete and detailed provisions" wünscht, wird kaum verwundern.
Alphabetisch bedingt (Ziffern vor Buchstaben) beginnt die Auflistung der Stellungnahmen gleich mit einem Österreicher: an erster Stelle steht nämlich die Stellungnahme der "3 Group", die auch gleich ein Gutachten von Hannes Leo zu Terminierungsentgelten abgeliefert hat.

Weitere österreichische Stellungnahmen (ohne Gewähr auf Vollständigkeit): "Republik Österreich" (gemeinsame Stellungnahme der betroffenen Ressorts und der Regulierungsbehörden), ISPA, Mobilkom, ORF, Telekom Austria, VAT, Wirtschaftskammer Österreich.

Monopoly now!


Die Europäische Kommission hat die Vorschläge zum Review auch als "Pläne zur Förderung des Wettbewerbs" bezeichnet - doch in der Konsultation kommen auch Vorschläge zur Schaffung von Monopolen. EUROCITIES (nicht verwechseln mit dem EuroCity!) hat als Stellungnahme ein "broadband manifesto" abgegeben, das zwar nicht konkret auf die Konsultationsfragen eingeht (kein Wunder, das Dokument stammt aus September 2005), aber dafür klar Position bezieht:
"A fibre optics monopoly? Naturally!"
"EUROCITIES is the network of major European cities", heißt es auf der Website der Organisation; einziges österreichisches Mitglied ist Wien.

Das erinnert an das Projekt "Breitbandstadt Wien", von dem in letzter Zeit eher wenig zu hören war. Im Jahr 2003 hatte die Wiencom im Auftrag der MA 53 (Presse und Informationsdienst) der Stadt Wien in einer "Projektgruppe Breitband" unter der Leitung von Gerhard Weis (ja, genau dieser!) Überlegungen angestellt, "echtes Glasfaser-Breitband für jeden Wiener Haushalt" zu schaffen; geplant war eine Art Monopolbetrieb mit 51%iger Beteiligung der Stadt Wien. Bis 2005 sollten bereits 200.000 Haushalte angeschlossen sein.
Zur Umsetzung - jedenfalls in der 2003 geplanten Form - ist es nicht gekommen. Das aktuelle "Projekt Breitbandstadt Wien" ist, soweit dies aus den wenigen diffusen Informationen im Web (update 27.93.2012: heute ist davon nichts mehr zu finden, der Link geht ins Leere) nachzuvollziehen ist, deutlich weniger ambitioniert; immerhin wurde letztes Jahr ein "Demo-Container" hergezeigt.

Zum ursprünglichen Projekt - an dem unter anderem auch der Generaldierektor der Bundeswettbewerbsbehörde Univ. Prof. DDr. Walter Barfuß (damals zugleich auch Vorsitzender des Aufsichtsrats der Wien Holding) ebenso mitgearbeitet haben soll wie etwa Josef Broukal - lassen sich im Web nicht mehr allzuviele Informationen mehr finden (Sekundärinfo hier, Artikel im Standard).

Aus der ursprünglichen Projektpräsentation aus Dezember 2003 hat mich persönlich das Fazit der Gruppe "Recht und Organisation" am stärksten beeindruckt: "Vorhersehbare rechtliche Fragen sind grundsätzlich lösbar" - das zeigt einen positiven Grundansatz, der Juristen ja angeblich sonst nicht auszeichnet.

Saturday, November 25, 2006

"We need harmony ...

... we have had a chorus of discordant voices."
George Bush (der Ältere) hatte bei seiner Inaugural Address am 20. Jänner 1989 auf den Stufen des Kapitols natürlich nicht das Funkfrequenzspektrum im Sinne, wenn er sich mehr Harmonie herbeisehnte.
Mehr Harmonie, das ist nun aber auch das Credo des UMTS-Forums, zum Ausdruck gebracht in einer Studie mit dem Titel "Thriving in harmony - Frequency harmonisation:
the better choice for Europe"
.
Auf knappen 24 Seiten (nein, es ist nicht bloß das Summary, es ist die ganze Studie, ich habe nachgefragt! Klaus-Dieter Kohrt teilte mir mit, es handle sich um "a study that was deliberately kept short") werden hier wesentliche wohlfahrtsökonomische Argumente für die Weiterführung der Harmonisierung der Frequenznutzung in Europa - nach dem bei GSM und UMTS/IMT-2000 angewendeten Konzept - dargelegt.
Nach der in der Studie referierten Modellrechnung ergäbe sich bei Fortführung der Harmonisierung in 15 Jahren ein kumulierter Wohlfahrtsgewinn für die Konsumenten in der Höhe von 244 Mrd Euro (im Vergleich zum Szenario einer "Liberalisierung" der Frequenznutzung):
"The model suggests that 15 years after deploying a liberalised spectrum use proposition the industry would see 3% less usage per subscriber, 5% less end-user service penetration with a 7% higher ARPU, and an overall loss in consumer surplus of €244 bn compared with the harmonised case."
Es bleibt zu sehen, inwieweit diese Position die in letzter Zeit in einzelnen EU-Mitgliedstaaten und vor allem auch in der Europäischen Kommission ausgebrochene Euphorie für eine liberalisierte Frequenznutzung ein wenig eindämmen kann (ganz unumstritten ist das Ergebnis auch im UMTS-Forum nicht: "Alcatel, Lucent and Nortel disagree with some of the key aspects and conclusions of this study"). Ruprecht Niepold, der Mann mit der Drehleier und den Sackpfeifen, vor allem aber der Leiter des Radio Spectrum Policy Unit der Generaldirektion Informationsgesellschaft, wird damit vielleicht weniger Freude haben: Die Begeisterung für den "new approach to spectrum management" (siehe etwa den Abschnitt 3 im staff working document zum "Review 2006") , die schon in den Mitgliedstaaten teilweise recht gering ist, hält sich offensichtlich auch bei einigen key players in der Industrie in Grenzen.
Den Frequenzplanern wird es inzwischen weiterhin so gehen wie George Bush (senior), der in seiner schon zitierten Rede auch sagte:
"We will make the hard choices, looking at what we have and perhaps allocating it differently."

Tuesday, November 21, 2006

agency design, national level

Auch auf nationaler Ebene ist agency design immer wieder ein spannendes Thema. Vor der Einrichtung der Telekom-Control-Kommission im Jahr 1997 wurde darüber ebenso heftig diskutiert wie im Zusammenhang mit der Neustrukturierung 2001, die zunächst als größerer Schritt in Richtung Konvergenz angedacht war, schließlich aber nur in einer Form realisiert werden konnte, dass als nationale Regulierungsbehörde im Sinne des gemeinschaftlichen Rechtsrahmens nun sogar fünf verschiedene nationale Behörden tätig werden (das Konzept der "fünf Freunde", wie ich das einmal in einem Referat bezeichnet habe[Folien]).
Dann kam der Österreich-Konvent, und mit ihm auch eine ernsthafte verfassungspolitische Auseinandersetzung zur Frage der "Strukturen besonderer Verwaltungseinrichtungen", zu denen ein wenig unscharf die Regulatoren, aber exklusive der Art 133 Z 4 B-VG Behörden, gezählt wurden. Immerhin gab es zum Abschluss einen Bericht mit Vorschlägen für eine Verankerung von weisungsungebundenen Regulatoren in der Verfassung; und auch die "Grundlinien für die geplante Integration einzelner Behörden" in das System der neu zu schaffenden Verwaltungsgerichte erster Instanz wurden in einem weiteren Ausschussbericht festgelegt.
Und nun? Die Strukturen von Regulierungsbehörden werden in den Koalitionsverhandlungen und in einem allfälligen Regierungsübereinkommen keinen prominenten Platz einnehmen.
Vor der Wahl hat die SPÖ angekündigt, die "Geschäftsapparate von Regulierungsbehörden,
Bundesvergabeamt und Bundeswettbewerbsbehörde" zusammenzulegen oder stärker zu vernetzen (Wirtschaftsprogramm, S 9), außerdem sollten den "Regulatoren des Wirtschaftslebens (z.B. EControl, RTR) wirklich effektive Aufsichts- und Kontrollrechte" übertragen werden, da mit den bestehenden Rechte eine effektive Aufsicht und Kontrolle nicht möglich sei (Justizprogramm, Abschnitt Wirtschaftsrecht, S 18).
Die ÖVP hat in ihrem "Kursbuch Zukunft (download [3,7 MB]) die Organisation der KommAustria "als unabhängiger und weisungsfreier Regulator, der die Konvergenz zwischen Medien, Telekommunikation und Informationsdiensten berücksichtigt", vorgesehen.
Zur Debatte seit den Wahlen gibt es bislang offenbar keine öffentlichen Dokumente, und so kann man sich nur auf den Ö1-Bericht vom 25.10.2006 über eine erste Verhandlungsrunde in der Gruppe Kultur/Sport/Medien beziehen. Dort heißt es:
"Während die Sozialdemokraten zudem eine Evaluierung der Rundfunk & Telekom Regulierungs-GmbH (RTR) und der Medienbehörde KommAustria wollen, betonte die Volkspartei vor allem die Erhaltung von deren Unabhängigkeit."

agency design, ten years after

Natürlich war schon mit der Veröffentlichung des Konsultationspapiers zum "Review 2006" klar, dass die Diskussion um eine europäische Regulierungsbehörde wieder kommen wird, auch wenn dort noch verschämt bloß von "Gemeinschaftsmaßnahmen" bei der Genehmigung von gesamteuropäischen Diensten und von einer Ausdehnung des Vetorechts der Kommission im Artikel 7-Verfahren gesprochen wurde.
Erst nach Ablauf der Konsultationsfrist hat nun Kommissionsmitglied Viviane Reding in einer Rede ausdrücklich die Einführung einer unabhängigen europäischen "Telekom-Behörde" (sic! Und was ist mit den Rundfunkübertragungsdiensten?) vorgeschlagen:
"For me it is clear that the most effective and least bureaucratic way to achieve a real level playing field for telecom operators across the EU would be to replace the present game of 'ping pong' between national regulators and the European Commission by an independent European telecom authority that would work together with national regulators in a system similar to the European System of Central Banks."
Neu sind die Überlegungen, eine Regulierungsbehörde auf europäischer Ebene einzurichten, keineswegs. So hat sich vor zehn Jahren etwa John Temple Lang, damals Direktor in der Generaldirektion Wettbewerb, in einer Rede eingehend damit befasst. Seine Ansicht war:
"It may come to be considered that telecommunications cannot be satisfactorily
regulated, to whatever extent may be thought necessary, by national regulators
working closely together and acting within a Community law framework. If this
conclusion is finally reached, a choice will have to be made between the more
radical options mentioned above [an Authority independent of the Community
institutions or a legal framework giving the Commission regulatory powers]."
In der Folge (bzw auch schon zuvor) gab es dann noch die eine oder andere Studie, bis die Kommission im "1999 Review" doch zum (vorläufigen) Ergebnis kam, keine europäische Behörde vorzuschlagen:
"The Commission considers at this stage that the creation of a European
Regulatory Authority would not provide sufficient added value to justify the
likely costs."
Damit war eine erste Phase des "agency design" vorerst einmal abgeschlossen, aber schon in der Studie von NERA und Denton Hall, Issues Associated with the Creation of a European Regulatory Authority for Telecommunications, im Jahr 1997 hatte es geheißen:
"The creation of a regulatory body for telecommunications at the level of the
European Union is likely to be an organic process, with regulatory functions
added to a new body as the need to do so becomes clearer."
Dass die europäische Regulierungsbehörde nun im aktuellen Anlauf wirklich kommt, scheint unwahrscheinlich, der Wink damit dürfte eher taktisch motiviert sein, um mehr Verhandlungsdruck für die Ausweitung der Vetomöglichkeiten der Kommission aufzubauen.

Interessant wäre freilich, wie John Temple Lang heute zu einer Stärkung der Kommission bzw zur Schaffung eines europäischen Regulators steht: Temple Lang, der sein Studium am Trinity College 1957 abgeschlossen hat, ist zuletzt - gewissermaßen unter dem Motto "alter Mann und neuer Markt" - als Gutachter für die Deutsche Telekom im Streit um die "Regulierungsferien" für nach Ansicht der Telekom neue Märkte hervorgetreten (siehe etwa diesen Spiegel-Bericht); eine Position, die in deutlichem Widerspruch zu jener der Kommission steht.

PS: Die oben gezeigte Skizze stammt aus der Studie von Analysys Ltd und Squire, Sanders & Dempsey L.L.P., "Adapting the EU Telecommunications Regulatory Framework to the developing multimedia environment" aus dem Jahr 1998 (Executive summary, Main report, Annex1, Annex2a, Annex2b, Annex2c).

Sunday, November 19, 2006

die ersten 100 EuGH-Fälle ...

zum Recht der elektronischen Kommunikationsnetze und -dienste sind erreicht: Wolf-Dietrich Grussmann von der Generaldirektion Informationsgesellschaft der Europäischen Kommission berichtete anlässlich eines Workshops an der Technischen Universität Wien am 16. November 2006 von den "Lead Cases in Electronic Communications Regulation".
44 Fälle sind schon im "Guide to the Case Law of the European Court af Justice in the field of Telecommunications" aus dem Jänner 2003 dokumentiert. Seither sind - so die Aufzählung Grussmanns - 21 Vertragsverletzungsverfahren, 11 Vorabentscheidungsverfahren, 5 Nichtigkeitsklagen und 5 Fälle, die mit dem Rechtsrahmen sonst in Zusammenhang stehen dazugekommen (siehe auch die ergänzende Aufstellung der Kommission aus 2006 zu "Recent case law in telecommunications"). Zählt man noch die 14 derzeit anhängigen Verfahren hinzu, kommt man auf die runde Zahl 100.

Spannende derzeit anhängige Verfahren sind:
T-109/06 - Vodafone - zu Art 7 Rahmenrichtlinie
C-262/06 - Deutsche Telekom - zu Art 27 Rahmenrichtlinie und Art 16 Universaldienstrichtlinie
C-426/05 - Tele2UTA - zu Art 4 und Art 16 Rahmenrichtlinie
C-366/06 - DNA Verkot - zu Art 4 und Art 7 der Rahmenrichtlinie
C-64/06 - Ceský Telecom - zu Art 8 Zugangsrichtlinie und Art 6, 7 und 16 Rahmenrichtlinie
C-190/06 - Belgacom - zu Art 5 und 10 Genehmigungsrichtlinie, Art 7 FuTEE-Richtlinie, Art 2, 4 und 13 Zugangsrichtlinie und Art 8 Rahmenrichtlinie

Der Workshop - organisiert vom Continuing Education Center der TU Wien - wurde geleitet von Univ.-Prof. Dr. Heinrich Otruba, der im kommenden Jahr wieder von Brüssel nach Wien zurückkehrt und (unter anderem) als akademischer Leiter des neuen "Executive MBA Regulation"-Programms an der TU Wien tätig sein wird.

Saturday, November 18, 2006

der bescheidzersetzende Vertrag ...

... ist so etwas wie der contrarius actus zum vertragsersetzenden Bescheid.
Christoph Bezemek hat diesen Begriff in seinem Referat beim Symposion "Rechtskraft im Verwaltungs- und Abgabenverfahren" an der Wirtschaftsuniversität Wien am 17. November 2006 geprägt. Er bezeichnet damit jene vertraglichen Vereinbarungen, die einem vorangegangenen vertragsersetzenden Bescheid - etwa einer Zusammenschaltungsanordnung nach dem TKG 2003 - seine Wirksamkeit nehmen.

Vertragsersetzende Bescheide sind etwa in § 18 Abs 3 TKG 2003 ("Eine Anordnung ersetzt eine zu treffende Vereinbarung.") oder § 121 Abs 3 TKG 2003 ("Diese Entscheidung ersetzt eine zu treffende Vereinbarung.") ausdrücklich vorgesehen, ähnlich zB auch in § 53c Abs 5, § 72 Abs 5 und § 73 Abs 5 Eisenbahngesetz oder in § 13 Abs 4 und § 19 Abs 3 PrTV-G. Nicht ganz so deutlich ausgesprochen wird der vertragsersetzende Charakter der behördlichen Entscheidung in § 20 PrTV-G (Verbreitungsauftrag in Kabelnetzen) und § 5 Abs 4 Fernseh-Exklusivrechtegesetz (Recht auf Kurzberichterstattung - zuletzt besonders umstritten zwischen Premiere und ORF im Zusammenhang mit der Fußball-Bundesliga, vgl etwa die Entscheidung des Bundeskommunikationssenates vom 3. Februar 2006). Rechtswissenschaftlich hat sich Bernhard Raschauer in einem Beitrag in der Festschrift Krejci im Jahr 2001 näher mit dem vertragsersetzenden Bescheid befasst.

Der Begriff des "bescheidzersetzenden Vertrages" ist der Rechtsprechung natürlich noch fremd; die damit beschriebene Wirkung einer nachträglichen vertraglichen Einigung der Streitparteien nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat das in einem Beschluss vom 18. März 2004, 2004/03/0247, so ausgedrückt:
"Da diese Entscheidung die vertragliche Einigung substituiert ('vertragsersetzenderBescheid'), können die darin getroffenen Regelungen auch durch privatautonome Vereinbarung zwischen den Parteien einvernehmlich abgeändert werden."

Friday, November 17, 2006

Marrakesch 2002 / Wien, BGBl 2006 / Antalya 2006

Auch in der hektischen Welt der Telekommunikation gibt es Oasen der Ruhe und Langsamkeit. Vor mehr als vier Jahren wurden anlässlich der Konferenz der Regierungsbevollmächtigten der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) in Marrakesch (Plenipotentiary Conference, im Jargon meist kurz als "Plenipot" bezeichnet) Änderungen der Satzung und des Vertrages der Internationalen Fernmeldeunion beschlossen und unterzeichnet. Zeitpunkt des Inkrafttretens: 1. Jänner 2004.
Es dauert gut zweieinhalb Jahre, bis dieser Staatsvertrag in Österreich seinen Weg ins Parlament findet: am 16. Juni 2005 wird dort das Einlangen vermerkt (1001 BlgNR 22. GP). Gleich nach dem Sommer ist die Sache im Nationalrat; die Debatte beschränkt sich auf eine Wortmeldung der Abg. Rest-Hinterseer ("Diese Aufgaben [der ITU] sind eine gute Gelegenheit, die Fragen des Mobilfunks wieder in Erin­nerung zu rufen.") .
Der Bundesrat beschließt am 13. Oktober 2005, keinen Einspruch zu erheben - und dann vergeht mehr als ein Jahr, bis es nun endlich zur Kundmachung im Bundesgesetzblatt (BGBl III 2006/170 - mit dem Text der Änderungen in der Anlage) kommt.

Dabei kommt die Kundmachung gerade noch rechtzeitig, bevor die nächsten Änderungen beschlossen werden: die Plenipot 2006 findet derzeit gerade in Antalya statt. Rund 2000 Teilnehmer zelebrieren die hohe Schule der internationalen Diplomatie - und sogar in den offiziellen Pressemeldungen heißt es gelegentlich: "After a protracted exchange on how to proceed ..."

Immerhin sind die Wahlen mittlerweile abgeschlossen - nicht nur der Chef der deutschen Regulierungsbehörde, Matthias Kurth, hat es nicht geschafft, zum Generalsekretär gewählt zu werden, auch die erste Frau, die jemals für dieses Amt kandidiert hat, ist nicht erfolgreich gewesen. Mit nur fünf (von 156) Stimmen ist Muna Nijem schon im ersten Wahlgang ausgeschieden. Bemerkenswert ist immerhin, dass die erste Herausforderung für den ITU-Männerbund ausgerechnet von einem arabischen Staat ausgegangen ist: Muna Nijem war Chefin der jordanischen Regulierungsbehörde und hat das Arab ICT Regulators' Network ins Leben gerufen.

Auch für die sonstigen hauptberuflichen Funktionen gab es übrigens nur eine weitere weibliche Kandidatin: Najat Rochdi aus Marokko hat es bei der Wahl für die Leitung des Telecommunication Development Bureau immerhin in die zweite Runde geschafft.

PS: zu Ehren der arabischsprachigen Kandidatinnen: das Bild oben zeigt den Titel der - authentischen - arabischen Sprachfassung des Marrakesch-Vertragswerks in der im BGBl veröffentlichten Form.

Wednesday, November 15, 2006

Product Placement Presidency

Product Placement ist ein heißes Thema bei der Revision der "Fernsehen ohne Grenzen"-Richtlinie. In der Sitzung des Rats "Bildung, Jugend und Kultur" am 13. November 2006 hat man sich auf eine "allgemeine Ausrichtung" ("general approach") geeinigt, die in der Presseaussendung im Hinblick auf Product Placement so beschrieben wird:

"The general approach would introduce into the Directive rules on the issue of product placement. In principle such a practice would be forbidden, but Member States would be free to derogate from this prohibition for certain categories of programmes and subject to strict conditions to protect the viewer."

Die allgemeine Ausrichtung kam gegen die Stimmen Schwedens, Irlands, Lettlands, Belgiens, Litauens Luxemburgs und Österreichs zustande.

Was Product Placement betrifft, hat Österreich durchaus einige Erfahrung - besonders umstritten war etwa die deutliche Präsenz ua von Kelly's Produkten in der ersten Starmania-Staffel des ORF (siehe dazu zB das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Jänner 2006, 2004/04/0114; Presseaussendung).

Jedenfalls außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie - wie auch immer er letztlich festgelegt werden wird - dürfte ein anderes "product placement" von Kelly's bleiben: jenes anlässlich der österreichischen Ratspräsidentschaft - auf der Website von Kelly's so beschrieben:

Sunday, November 12, 2006

Kuhmist und Kommunikationsrecht: it's not so freaking simple


ModeratorInnen von (beinahe) live im Fernsehen übertragenen Award-Verleihungen sollten mit Bedacht ausgewählt werden. Während in Österreich politische Äußerungen für Aufregung und Gerichtsverfahren sorgten (siehe die Entscheidungen des Bundeskommunikationssenats und des Verfassungsgerichtshofs - Nachtrag 4.12.2006: nun auch des Verwaltungsgerichtshofs - im Zusammenhang mit den Reden von André Heller und Andrea Eckert bei der "Nestroy-Gala 2002"), hatte sich die US-amerikanische Regulierungsbehörde FCC mit Kuhmist und Pradataschen auseinanderzusetzen: Die FCC Order 06-166 vom 6. November 2006 (Order, Pressetext) beschäftigt sich auf 32 Seiten (mit über 200 Fußnoten) detailreich mit der kontextuellen Analyse von drei bis vier Schimpfworten in vier Sendungen.
Die Entscheidung der FCC, dass die Übertragung der Billboard Music Awards 2003 "indecent and profane material" enthalten und damit gegen Rechtsvorschriften verstoßen hat, gründet sich auf den folgenden Wortwechsel zwischen den Moderatorinnen Paris Hilton und Nicole Richie, den Protagonistinnen der Doku-Soap "The Simple Life":

Paris Hilton: Now Nicole, remember, this is a live show, watch the bad language.
Nicole Richie: Okay, God.
Paris Hilton: It feels so good to be standing here tonight.
Nicole Richie: Yeah, instead of standing in mud and [audio blocked]. Why do they even call it “The Simple Life?” Have you ever tried to get cow shit out of a Prada purse? It’s not so fucking simple.

Der Rundfunkveranstalter (Fox) wandte auch ein, dass die Sendung live war und das Skript weder das “F-Word” noch das “S-Word” enthalten habe:

In the sentences at issue here, Ms. Richie was scripted to say “Have you ever tried to get cow manure out of a Prada purse? It’s not so freaking simple.”

Das überzeugte die FCC nicht:

Such a script might have posed minimal risk in the hands of some performers. Relying on Ms. Hilton and Ms. Richie to avoid vulgar language, however, involved a substantially greater risk. As Fox well knew, Ms. Richie frequently used indecent language in inappropriate contexts. For example, during the three episodes of “The Simple Life” that it broadcast in the days leading up to the “The 2003 Billboard Music Awards,” Fox felt it necessary to bleep expletives (the “F-Word” or “S-Word”) uttered by Ms. Richie no fewer than nine times.

Zum Weiterlesen: Eine umfassende Aufarbeitung der Rechtsfragen zum F-Word von Christopher M. Fairman, Professor am Moritz College of Law der Ohio State University, ist auf SSRN abrufbar.
Eine gute Übersicht über "taste und decency" als Kriterien der Rundfunkregulierung im europäischen Kontext (mit Berücksichtigung der Erfahrungen Australiens, Kanadas und Neuseelands) bietet eine Studie der Irischen Rundfunkkommission.

Friday, November 10, 2006

VfGH: keine Verordnungserlassung durch Kollegialbehörden

Mit soeben veröffentlichtem Erkenntnis vom 6. Oktober 2006, G 151-153/05-17, V 115-117/05-17, hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass (unter anderem) § 22 Abs 5
des Übernahmegesetzes, BGBl I 1998/127, verfassungswidrig war. Nach dieser Bestimmung hatte die Übernahmekommission - eine unabhängige Kollegialbehörde im Sinne des Art 133 Z 4 B-VG - durch Verordnung nähere Voraussetzungen für das Entstehen einer kontrollierenden Beteiligung zu umschreiben.
Schon die Presseaussendung des VfGH weist darauf hin, dass es sich dabei um eine "Grundsatzentscheidung des VfGH zu Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag" handelt - es liegt daher nahe, sich die möglichen Auswirkungen auch für die Regulierungsbehörden für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste anzusehen. Wörtlich führt der VfGH aus:
"Kollegialbehörden iSd Art. 20 Abs. 2 und Art. 133 Z 4 B-VG sind ungeachtet ihrer gerichtsähnlichen Einrichtung Verwaltungsbehörden. Nach Art. 18 Abs. 2 B-VG kann jede Verwaltungsbehörde innerhalb ihres Wirkungsbereiches Verordnungen erlassen. Der Wirkungsbereich von Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag ist aber [...] kraft Verfassung auf 'Entscheidungen in oberster Instanz' beschränkt."
Und unter den Begriff "Entscheidungen" fallen in diesem Zusammenhang, wie der VfGH näher darlegt, "bloß individuelle Verwaltungsakte". Die Einräumung einer Verordnungsermächtigung an Kollegialbehörden würde auch in die Leitungsbefugnis der obersten Organe eingreifen und damit Art 20 Abs 1 B-VG verletzen.
"Im Übrigen ist es auch im Sinne des die Rechtsordnung beherrschenden demokratischen Gedankens bedenklich, die Schaffung genereller Normen, also von Akten der materiellen Gesetzgebung unabhängigen Organen zu übertragen, die - anders als bei der Verordnungserlassung durch oberste Organe und deren weisungsgebundenen nachgeordneten Organen - weder der unmittelbaren noch der mittelbaren parlamentarischen Kontrolle unterliegen."
Die Einräumung von Verordnungsermächtigungen an solche Kollegialbehörden ist daher verfassungsrechtlich nicht zulässig (es sei denn, sie wäre, wie bei der Energie-Control-Kommission, verfassungsrechtlich abgesichert, siehe § 16 E-RBG). Soweit im TKG 2003 Verordnungsermächtigungen für Regulierungsbehörden bestehen (siehe den Anhang zu dieser Übersicht), sind diese aber einerseits der RTR-GmbH, also einer dem Verkehrsminister weisungsgebundenen Behörde, und andererseits der KommAustria, einer dem Bundeskanzler weisungsgebundenen Behörde, eingeräumt. Die im Telekommunikationsbereich vorgenommene Trennung der Verordnungskompetenz für die Marktdefinition (nach § 36 TKG 2003 ist dafür die RTR-GmbH zuständig) von der Entscheidungsbefugnis in der Marktanalyse (Telekom-Control-Kommission) erweist sich somit insofern (wenn auch eher unbeabsichtigt) als vorausschauend.
Eine (minder bedeutsame) Verordnungsermächtigung für die Telekom-Control-Kommission, die im Licht der VfGH-Entscheidung nun zu prüfen wäre, besteht allerdings in § 10 Abs 6 KommAustria-Gesetz zur Festlegung von Umsatzgrenzen im Zusammenhang mit der Finanzierung der Regulierungsbehörde durch Finanzierungsbeiträge von Unternehmen (siehe die SVO-TK 2006).

eines wahren Winkeladvokaten würdig ...

... sei die Argumentation Deutschlands, wonach für "neue Märkte" eine Regelungslücke im EU-Rechtsrahmen bestünde - ungewöhnlich scharfe Worte hat Kommissionsmitglied Viviane Reding für den deutschen Versuch gefunden, Regulierungsferien zugunsten der Deutschen Telekom auszurufen. In einer Rede am 8. November 2006 bezog sich Reding auf eine Anhörung im Deutschen Bundestag zum Gesetzesentwurf der Deutschen Bundesregierung für eine TKG-Novelle, der eine Regulierungsfreistellung für neue Märkte ermöglichen soll. Der kritisierte Entwurf sieht einen neuen § 9a für das deutsche TKG mit folgendem Wortlaut vor:
„§ 9a - Neue Märkte
Die Einbeziehung neuer Märkte in die Marktregulierung nach den Vorschriften dieses Teils soll in der Regel nur erfolgen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass anderenfalls die Entwicklung eines nachhaltig wettbewerbsorientierten Marktes im Bereich der Telekommunikationsdienste oder -netze langfristig behindert wird. Bei der Prüfung der Regulierungsbedürftigkeit nach § 10 und der Auferlegung von Maßnahmen nach diesem Teil hat die Bundesnetzagentur die Verhältnismäßigkeit der Festlegungen unter besonderer Berücksichtigung der Ziele, effiziente Infrastrukturinvestitionen zu fördern und Innovationen zu unterstützen, zu berücksichtigen.“
Diese Bestimmung soll im Ergebnis das VDSL-Netz der Deutschen Telekom von der Regulierung ausnehmen - die Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht ist allerdings fraglich. Dabei steht rechtlich nicht die Frage im Mittelpunkt, ob auf dem angeblich "neuen Markt" eine konkrete Wettbewerbssituation vorliegt, die die Anwendung bestimmter Regulierungsinstrumente rechtfertigt oder nicht, sondern wer (auf welcher Grundlage) darüber entscheidet. Der EU-Rechtsrahmen sieht vor, dass Marktdefinition, Marktanalyse und allfällige Vorschreibung von "spezifischen Verpflichtungen" Aufgabe der Regulierungsbehörde zu sein hat - eine gesetzliche Festschreibung, dass bestimmte Märkte nicht reguliert werden sollen, ist nicht vorgesehen.
Dass der Staatsanteil an der Deutschen Telekom, die von den Regulierungsferien profitieren soll, immerhin noch mehr als 30% beträgt, sorgt für zusätzliche Skepsis. Reding im O-Ton:
"Die Bundesregierung ist mit dem Vorschlag des Paragraphen 9a nicht zufällig in den Verdacht geraten, damit eine „Lex Telekom“ zu schaffen. Das liegt nicht nur an der uns allen nur allzu gut bekannten Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift, für deren strategisch kluge Vorformulierung den Juristen der Deutschen Telekom mein ganzer Respekt gilt."
Die Kommission wird wohl nicht kampflos aufgeben, denn, so Reding:
"Wir haben ja auch in der Kommission den einen oder anderen guten Juristen."

Wednesday, November 08, 2006

Roaming: eine andere Art der Marktanalyse

Kaum zu glauben: wären die (Roaming-)Preise attraktiver, so würden immerhin 59% (!) aller EuropäerInnen ihr Mobiltelefon im Ausland häufiger benutzen (Quelle: Special Eurobarometer 269, November 2006) .

Angesichts solcher vollkommen überraschender Ergebnisse seriöser Marktforschung liegt doch eine weitere Frage nahe: sollte nicht die EU sicherstellen, dass die Kosten für Anrufe von und zu Mobiltelefonen im EU-Ausland nicht um vieles höher ("a lot higher") sind als im Inland?

Wie praktisch, dass zufällig auch diese Frage schon in der Eurobarometer-Umfrage enthalten war, die von Kommissionsmitglied Viviane Reding am 7. November 2006 vorgestellt wurde. Und wiederum gänzlich unvorhergesehen stimmte eine Mehrheit der EuropäerInnen (70%) dieser Frage zu.

Nun kann man tatsächlich schwer argumentieren, dass Roaming derzeit deutlich zu billig wäre. Interessant ist aber dennoch, was die Kommission aus dieser Umfrage macht. In einer Presseaussendung vom 7. November 2006 (IP/06/1515) heißt es dazu:
"Eine überwältigende Mehrheit der Befragten (70%) spricht sich für eine
EU-Verordnung zur EU-weiten Senkung der Roaming-Entgelte zum Vorteil der Bürger aus."

Eine Frage "Sollte eine EU-Verordnung zur Senkung der Roaming-Entgelte zum Vorteil der Bürger erlassen werden?" wäre aber wohl sogar für eine Eurobarometer-Umfrage zu suggestiv gewesen, und so lautete die tatsächlich gestellte Frage - laut offizieller Eurobarometer-Publikation - anders:
"Please tell me to what extent you agree with the following statements.
The EU should make sure that prices for making and receiving calls on mobile phones when travelling in other EU countries are not a lot higher than those at home."

Von der geplanten Verordnung oder einem anderen konkreten Mittel, mit dem die Kommission das sicherstellen soll (vielleicht durch mehr Transparenz mit der Information über Roaming-Entgelte auf der Website?), ist hier also keine Rede (aus gutem Grund: denn auch nur eine ungefähre Ahnung möglicher Mittel kann bei der Mehrheit der Befragten wohl nicht vorausgesetzt werden). Gibt es nicht ein sektorspezifisches Wettbewerbsrecht, mit dem einem Marktversagen entgegengewirkt werden könnte - und das nicht nur bei der Definition länderübergreifender Märkte, sondern auch in der Definition und Analyse nationaler Märkte der Kommission - über das "Artikel 7-Verfahren" - beträchtliche Möglichkeiten der Einwirkung eröffnet? Und gibt es nicht auch ein allgemeines Wettbewerbsrecht, das konsequent und nachhaltig angewandt werden könnte? Auch wenn die nun vom Bürgerbeauftragten untersuchten Vorwürfe von O2 über die angeblich fehlerhafte Abwicklung der Untersuchung nicht zutreffen müssen: dass seit 2000 untersucht wurde und keine wirklich greifbaren Ergebnisse erzielt wurden, überzeugt nicht wirklich.

Wenn nun die nationalen Regulierungsbehörden mit den von ihnen durchzuführenden Marktanalysen nach der Rahmenrichtlinie nicht vorankommen sollten - könnten sie dann vielleicht auch eine Umfrage in Auftrag geben? Etwa mit der Frage:
"Stimmen Sie der folgenden Aussage zu? Die Regulierungsbehörde sollte etwas unternehmen, um Telefonate in fremde Netze billiger zu machen."

Würden auf dieser Basis Terminierungsentgelte festgelegt, so wäre der Nulltarif wohl bald erreicht.

Sunday, November 05, 2006

zum Behufe der telephonischen Correspondenz...

Das Festnetz scheint immer öfter ein Fall für's Museum zu werden: vor drei Jahren waren es "100 Jahre Telefonzelle", nun stehen "125 Jahre Festnetz" am Ausstellungsplan: für 10. bis 12. November ist eine Ausstellung der Telekom Austria angekündigt (Lassallestraße 9, 1020 Wien, jeweils 10.00 bis 17.00 Uhr, Eintritt frei).

Was übrigens privat begonnen hatte - mit einer 1881 der Wiener Privat-Telegraphengesellschaft erteilten Konzession - wurde schon 1887 eingeschränkt (siehe die Verordnung oben), und 1895 wurden auch die Telefonanlagen der ersten Wiener Privat-Telegraphengesellschaft verstaatlicht.

Einige Probleme freilich begleiten das Festnetz seit den Anfangstagen:

Thursday, November 02, 2006

"fair comment": wenn Gerichtsberichterstattung zur politischen Satire wird


Die Ausübung der in Art 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierten Freiheit der Meinungsäußerung ist nicht schrankenlos: sie kann (unter anderem) bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, wie sie einer demokratischen Gesellschaft im Interesse des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind.
Dass sich die Einschätzung der in Österreich in Mediensachen entscheidenden Gerichte und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zur Reichweite der möglichen Einschränkung im Einzelfall nicht immer deckt, kann in einer ganzen Reihe von Entscheidungen des EGMR nachgelesen werden, und so sind Medienrechtlern zB Lingens, Oberschlick (und nochmal Oberschlick) oder Scharsach nicht nur als Journalisten ein Begriff, sondern auch als Kurzbezeichnung für einschlägige Entscheidungen des EGMR.
Mit drei am 2.11.2006 verkündeten Urteilen steigen nun auch Samo Kobenter (Der Standard) und Katharina Krawagna-Pfeifer (ehemals Der Standard) in den Kreis jener JournalistInnen auf, die ein nach ihnen benanntes EGMR-Urteil vorweisen können. In beiden Fällen hat der EGMR entschieden, dass durch eine in Österreich erfolgte Verurteilung wegen übler Nachrede eine Verletzung des Art. 10 MRK stattgefunden hat.
Das dritte am 12.11.2006 verkündete Urteil trägt den Namen des Journalisten nicht im Titel, da das medienrechtliche Verfahren in Österreich nur gegen den Medieninhaber (auch hier: Der Standard) gerichtet war. Immerhin aber wird Daniel Glattauer, dessen Bericht von einer Gerichtsverhandlung Auslöser des Verfahrens war, im Urteil als "well-known court room reporter" vorgestellt. In seiner Gerichtsgeschichte hatte er über eine Verhandlung berichtet: angeklagt war ein (ehemaliger) Abgeordneter zum Nationalrat (und dessen Bruder), im Zeugenstand der ehemalige Klubobmann dieser Partei (der nach Zwischenstationen in der Niederösterreichischen Landesregierung und als Volksanwalt nun wieder Abgeordneter zum Nationalrat ist).
Glattauer beschrieb im wesentlichen, dass dieser Ex-Klubobmann, "member of Jörg Haider's former chicken coop" (so wird das im EGMR-Urteil wiedergegeben), sich nicht an allzuviel erinnern konnte, obwohl der angeklagte Ex-Abgeordnete behauptet habe, ihm alle Dokumente übergeben zu haben. Nach dem Protokoll der Verhandlung hatte aber der Ex-Abgeordnete nicht behauptet, die Dokumente direkt dem Ex-Klubobmann übergeben zu haben, sondern einem anderen (nicht genannten, aber wohl mittlerweile auch Ex-)Politiker, den er im Büro des Ex-Klubobmannes getroffen habe.
Der Ex-Klubobmann klagte, der Standard wurde nach § 6 Abs 1 Mediengesetz zu einem Entschädigungsbetrag von 15.000 Schilling verurteilt. Der EGMR erkannte darin eine Verletzung des Art 10 MRK - gewissermaßen ein Routinefall, und (ebenso wie die beiden anderen Entscheidungen Kobenter und Krawagna-Pfeifer) keine wirkliche Überraschung. Die Äußerungen waren "fair comment on matters of public interest." Bemerkenswert ist Absatz 51 des EGMR-Urteils:

"The Court is not convinced by the domestic courts' approach. It disregards the
nature of the article as a political satire and its main thrust which was to
cast doubt on the Freedom Party's ignorance of Mr Rosenstingl's machinations."
Liest man sich den Artikel (er wird im EGMR-Urteil zur Gänze - in englischer Übersetzung - wiedergegeben) durch, so fallen zwar gewisse sarkastische oder ironische Färbungen auf, für die der Autor - wie ihm schon das OLG Wien attestiert hatte - bekannt ist. Dass aber der gesamte - sonst tatsächlich über den Verlauf der Verhandlung berichtende - Artikel als politische Satire eingestuft wurde, gibt schon zu denken: wenn die Berichterstattung nur mehr als Satire verstanden werden kann, was sagt uns das über den konkreten Gegenstand dieser Berichterstattung?

Als PS: im Zusammenhang mit der Strafsache, über die Daniel Glattauer berichtete, steht auch das EGMR-Urteil vom 13.12.2005 in Sachen Wirtschafts-Trend Zeitschriften-VerlagsgmbH gegen Österreich - dort war es um die Lebensgefährtin des angeklagten (Ex-)Abgeordneten gegangen, die sich nicht mit Bonnie (in "Bonnie & Clyde") vergleichen lassen wollte. Der OGH (13.9.1999, 4 Ob 163/99w) sah das ein:
"Eine Gleichsetzung der Klägerin und Peter R*****s mit Bonnie und Clyde in dem beanstandeten Artikel läßt [...] (auch) das Interpretationsergebnis zu, daß der Klägerin damit unterstellt wird, in die Machinationen Peter R*****s verstrickt zu sein oder unter dem Verdacht sonst begangener strafbarer Handlungen zu stehen."

Der EGMR konnte dem nicht folgen:
"The Court, therefore, finds that the conclusion that Mrs G.’s comparison
with 'Bonnie' implied an accusation of her involvement in criminal offences
far-fetched. Given the article’s content and ironical style and the fact that
the term 'Bonnie' was always used together with its correlative 'Clyde', the
Court rather considers that the average reader would have understood 'Bonnie and
Clyde' as a synonym for a couple on the run."
Anders als die wahren Bonnie & Clyde, die im Feuergefecht mit der Polizei verstarben, ist das als niederösterreichische Mutation von Bonnie und Clyde bezeichnete Paar immerhin noch am Leben und glücklich vereint.