Wednesday, October 07, 2015

Europäisches Übersetzungsgericht: wie das EuG den schlesischen Streuselkuchen gerettet hat (off topic)

Man kann ein Gerichtsverfahren verlieren, aber doch sein Ziel erreichen. Dem Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks e.V. ist das heute mit der Abweisung seiner Klage gegen einen Beschluss der Europäischen Kommission vor dem EuG gelungen: die durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 733/2011 eingetragene geschützte geografische Angabe ‚Kołocz śląski‘ oder ‚Kołacz śląski‘ wird zwar nicht gelöscht - aber "Schlesischer Streuselkuchen" darf von deutschen Bäckern weiter verkauft werden (Urteil des Gerichts vom 07.10.2015, T-49/14)

Die Vorgeschichte habe ich in diesem Blog schon dargestellt: ganz knapp zusammengefasst ging es darum, dass die Kommission auf Antrag Polens nach der Verordnung (EG) Nr. 510/2006 die Bezeichnung ‚Kołocz śląski‘ oder ‚Kołacz śląski‘ als geschützte geografische Angabe eingetragen hat. Grundlage solcher Eintragungen ist ein sogenanntes "einziges Dokument", das im EU-Amtsblatt mit dem Eintragungsantrag veröffentlicht wird.

Im konkreten Fall wurde in diesem einzigen Dokument das Erzeugnis ‚Kołocz śląski‘ oder ‚Kołacz śląski‘ (mehrfach) als "schlesischer Streuselkuchen" beschrieben. Als geografisches Gebiet, in dem dieser Kuchen hergestellt werden darf, wurden nur die Woiwodschaft Oppeln sowie einige Kreise der Woiwodschaft Schlesien (in Polen) angegeben.

Nun kann man gegen einen Eintragungsantrag Einspruch erheben, was die deutschen Bäcker aber versäumten. Sie versuchten nun vor den europäischen Gerichten  die Löschung der Eintragung zu erreichen, was freilich ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen war (worauf ich schon in meinem ersten Blogeintrag dazu hingewiesen habe).

Der Aufstand der (deutsch)schlesischen Weber Bäcker, die fürchteten, keinen schlesischen Streuselkuchen mehr verkaufen zu dürfen, war - trotz Klagsabweisung - aber im Ergebnis dennoch erfolgreich. In seinem heutigen Urteil hat das EuG seine Kompetenz zur Feststellung des Sachverhalts genützt und autoritativ entschieden, wie die Worte ‚Kołocz śląski‘ oder ‚Kołacz śląski‘ richtig zu übersetzen sind: als "Schlesischer Kuchen" nämlich, nicht als "Schlesischer Streuselkuchen" - diese Bezeichnung war bloß ein redaktioneller Fehler. Schlesischer Streuselkuchen kann also weiter verkauft werden. Zitat aus dem Urteil:
53   Insoweit ist festzustellen, dass „Schlesischer Kuchen“ die zutreffende Übersetzung der geschützten geografischen Angabe „Kołocz śląski“ oder „Kołacz śląski“ ist.
[...]
56   Nach alledem ist davon auszugehen, dass die Erwähnung der Bezeichnung „Schlesischer Streuselkuchen“ in der deutschen Fassung des einzigen Dokuments ein redaktioneller Fehler ist.
57   Folglich werden „Schlesische Streuselkuchen“ nicht von der geschützten geografischen Angabe „Kołocz śląski“ oder „Kołacz śląski“ erfasst, so dass Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1151/2012 deutschen Bäckern, die „Schlesische Streuselkuchen“ herstellen und vermarkten, nicht entgegengehalten werden könnte.
Die historisch sicher interessante Frage, ob Schlesien in der Durchführungsverordnung der Kommission geografisch "richtig" abgegrenzt ist, brauchte das Gericht daher nicht zu beantworten:
78   Im vorliegenden Fall wurde die geschützte geografische Angabe „Kołocz śląski“ oder „Kołacz śląski“ in polnischer Sprache für die Woiwodschaft Oppeln und bestimmte Teile der Woiwodschaft Schlesien eingetragen (vgl. einziges Dokument).
79   Diese Abgrenzung hindert deutsche Bäcker jedoch nicht daran, in ganz Deutschland „Schlesische Streuselkuchen“ herzustellen, die keine durch die Eintragung geschützten „Kołocz śląski“ oder „Kołacz śląski“ sind (siehe oben, Rn. 57).
Dass schließlich die durch die Grundrechtecharta geschützten Grundrechte der deutschen Bäcker durch die Eintraung der geschützten geografischen Angabe „Kołocz śląski“ oder „Kołacz śląski“ gefährdet würden, kann das EuG auch nicht erkennen; da bleibt auch noch Zeit für den kleinen didaktischen Hinweis an die Klagsvertreter, dass deren weiteres "Argument" einer Verletzung des deutschen Grundgesetzes vor einem Unionsgericht nichts verloren hat (Rn. 87).

PS: Ich weiß, in diesem Blog wären in diesen Tagen eher andere Beiträge zu erwarten - zu den EuGH-Urteilen in den Rechtssachen C-362/14 Schrems, C-346/13 Base Company oder C-508/14 T-Mobile Czech Republic and Vodafone Czech Republic und zu den Schlussanträgen in der Rechtssache C-314/14 Sanoma Media Finland, jeweils vom 06.10.2015. Aber dafür bräuchte ich einfach mehr Zeit als für diese kleine Notiz - und freie Zeit zum Bloggen ist derzeit sehr knapp.

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