"Das ungestüme Vorgehen der Kommission ist bedauerlich", meint dazu Generalanwalt Poiares Maduro in seinen heute veröffentlichten Schlussanträgen in dieser Rechtssache C-424/07 Kommission / Deutschland. In der Sache selbst aber kann auch er keinen Ansatzpunkt dafür finden, dass die von Deutschland getroffene Regelung mit dem Rechtsrahmen vereinbar wäre.
"Durch die Änderungen des TKG hat Deutschland die Regulierungsmöglichkeiten auf neuen Märkten beschränkt", stellt der Generalanwalt am Beginn seiner Würdigung fest (RNr. 43). Er unterscheidet dann zwischen den materiell-rechtlichen Fragen betreffend den Gestaltungsspielraum Deutschlands bei der Umsetzung des gemeinschaftlichen Rechtsrahmens einerseits und den verfahrensrechtlichen Fragen (inwieweit die Änderungen des TKG in den Entscheidungsfindungsprozess der deutschen Regulierungsbehörde bezüglich einer Intervention gemäß dem gemeinschaftlichen Rechtsrahmen eingreifen) andererseits. Zunächst prüft er die materiell-rechtlichen Fragen, nämlich
- "Darf Deutschland eine grundsätzliche Freistellung neuer Märkte von der Regulierung vorsehen?
- Darf Deutschland das Ermessen der deutschen Regulierungsbehörde insoweit einschränken, als bei einer Intervention auf neuen Märkten vorrangig ein bestimmtes Regulierungsziel zu berücksichtigen ist?"
Beide Fragen beantwortet er mit einem klaren Nein; in RNr 52 bis 54 schreibt er:
"Letztlich geht es um eine politische Entscheidung: Soll die Regulierung eingeschränkt und sollen die mit beträchtlicher Marktmacht einhergehenden Folgen geduldet werden, um Infrastrukturinvestitionen zu begünstigen?
53 Normalerweise wäre Deutschland eine solche politische Entscheidung ohne Weiteres gestattet – nicht jedoch, wenn eine gemeinschaftliche Regulierung des Telekommunikationssektors vorgesehen ist. Hier hat der Gemeinschaftsgesetzgeber bereits entschieden, diesen Sektor der Regulierung zu unterwerfen – mit all den damit verbundenen Eingriffsmöglichkeiten.
54 Der Telekommunikationssektor umfasst zweifellos auch die neuen Märkte im Sinne von § 3 Nr. 12b TKG. Deutschland kann daher die Entscheidung des Gemeinschaftsgesetzgebers nicht rückgängig machen und diese neuen Märkte grundsätzlich von der Regulierung freistellen."
Der Grundsatz, dass neue Märkte nicht der Regulieung unterliegen, ist auch nicht, wie Deutschland geltend macht, bereits im gemeinschaftlichen Rechtsrahmen verankert; der Gemeinschaftsgesetzgeber habe den Schritt von "einer lediglich zurückhaltenden Empfehlung" (in den Leitlinien zur Marktanalyse, siehe dort Nr. 32) zu einem verbindlichen Rechtsgrundsatz nicht beabsichtigt (RNr 55 und 58).
Und zur zweiten Frage hält der Generalanwalt fest, dass die Abwägung zwischen den Zielen des Rechtsrahmens den nationalen Regulierungsbehörden zusteht. Die Rolle des nationalen Gesetzgebers ist darauf beschränkt, dafür zu sorgen, dass die nationalen Regulierungsbehörden alle erforderlichen Maßnahmen zur Verfolgung dieser Ziele treffen (RNr. 64- 67):
"Mit anderen Worten: Die Entscheidung eines nationalen Gesetzgebers, dass ein bestimmtes Ziel vorrangig zu berücksichtigen ist, greift praktisch in die vom Gemeinschaftsgesetzgeber vorgesehenen Modalitäten der konkreten Marktbeurteilung ein, die nämlich von den nationalen Regulierungsbehörden unter Berücksichtigung der verschiedenen Ziele im jeweiligen Einzelfall vorgenommen werden soll. Das Fehlen einer Regelung zur Festlegung einer Rangfolge der im gemeinschaftlichen Rechtsrahmen genannten Ziele und das sich aus diesem Fehlen zwangsläufig ergebende Ermessen der nationalen Regulierungsbehörden waren daher vom Gemeinschaftsgesetzgeber genau beabsichtigt.
67 Daher darf Deutschland das der deutschen Regulierungsbehörde bei der Intervention auf neuen Märkten zustehende Ermessen nicht durch Vorgaben wie die in § 9a Abs. 2 TKG normierten einschränken, wonach ein bestimmtes Regulierungsziel vorrangig zu berücksichtigen ist."
Damit steht nach der Auffassung des Generalanwalts fest, dass die Änderungen des deutschen TKG hinsichtlich der Interventionsmöglichkeiten der deutschen Regulierungsbehörde über den Deutschland zustehenden Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung des gemeinschaftlichen Rechtsrahmens hinausgehen; auf die Frage, ob Deutschland mit diesen Änderungen auch seine Verpflichtungen bezüglich der verfahrensrechtlichen Angelegenheiten verletzt hat, kommt es daher nicht mehr an.
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