Thursday, September 09, 2010

In der Erwägung, dass die Rechtsvorschriften eingehalten werden müssen: Europäisches Parlament zu Journalismus und Medien

In wohl keinem Policy-Bereich der EU wird so viel heiße (oder eher: lauwarme) Luft produziert wie in der Medienpolitik. Das liegt einerseits zwar daran, dass es keine umfassende Zuständigkeit für Medienpolitik auf Unionsebene gibt und sich die Union dem Thema daher unter vielen unterschiedlichen Gesichtspunkten (sei es Dienstleistungsfreiheit, Beihilfenrecht, allgemeines Wettbewerbsrecht oder auch Kulturpolitik), aber eben nicht in Verfolgung einer Gesamtstrategie, nähert. Andererseits aber zeigt sich in der Medienpolitik deutlich, dass es nicht nur an der Kompetenz (ich meine das natürlich nur im Sinne von Zuständigkeit!), sondern auch an Mut fehlt.

Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich zur Kommissionsempfehlung zur Medienkompetenz in der digitalen Welt geschrieben: "da ist alles dabei, was in der Welt diplomatisch formulierter Beliebigkeit nicht weh tut". Diesen Satz kann man gut wiederverwerten, etwa auch zur jüngst vom Europäischen Parlament angenommenen Entschließung vom 7. September 2010 zu Journalismus und neuen Medien – Schaffung eines europäischen öffentlichen Raums. Nach Hinweisen auf elf andere, meist ähnlich konkrete Dokumente folgen in dieser Entschließung zunächst einmal 18 Absätze, die mit "in der Erwägung" beginnen (mit Buchstaben bezeichnet von A bis R, und weil das Alphabet sonst nicht ausreichen würde, sind in vielen dieser Absätze gleich zwei oder drei unvermittelt aneinandergereihte "Erwägungen" zu finden, zB in lit H). Da finden sich Erwägungen wie folgende:
  • "in der Erwägung, dass die Bürger das Recht haben, über die EU und ihre konkreten Projekte informiert zu werden, ihre Gedanken zur EU zu äußern ...
  • in der Erwägung, dass junge Menschen die neuen Technologien weitgehend als Kommunikationsmittel nutzen, ...
  • in der Erwägung, dass sich die Rechtsvorschriften über den Medienmarkt von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat stark unterscheiden und eingehalten werden müssen, ..."
  • etc. etc. 
Der eigentliche Entschließungstext besteht dann aus 46 Punkten, in denen in origineller Kombination Feststellungen, Empfehlungen, Erinnerungen, Betonungen, Aufforderungen und auch einfach Äußerungen verschiedener Auffassungen, lose verteilt auf drei Abschnitte (Mitgliedstaaten, Die Medien und die EU, Journalismus und neue Medien), aneinandergereiht werden. Von einem gewissen Hang zur unfreiwilligen Selbstironie zeugt Punkt 5 der Entschließung, in dem sich das EP etwas wünscht, nämlich:
"eine in höherem Maße interaktive Kommunikation, die weniger auf die oft kalten, bürgerfernen institutionellen Verlautbarungen ausgerichtet ist;"
Die Entschließung scheint mir von einer gewissen Skepsis gegenüber neuen Medien und sozialen Netzwerken getragen zu sein, oder vielleicht ist es auch eine Mischung aus Ehrfurcht und Furcht vor der neuen Welt, in der klassische Hierarchien und Informationsvermittlungsstrukturen nicht mehr wie gewohnt funktionieren (in der Presseaussendung des Parlaments heißt es "Social media: huge potential, yet with underlying dangers"). Ein paar Auszüge dazu: "Das Europäische Parlament ....
  • stellt fest, dass das Problem nicht im Mangel an Online-Nachrichten und -Informationen über die EU und ihre Institutionen besteht, sondern eher in einer Vielfalt von Informationen ohne wirkliche Hierarchisierung, was darauf hinausläuft, dass zuviel Information ebenso gut ist wie keine Information; [das bezieht sich allerdings primär auf die von EU-Organen bereitgestellten Informationen, zu denen das EP auch der Auffassung ist, "dass eine einführende Webseite vorgeschaltet werden sollte, auf der das Funktionieren und die Arbeitsweise aller EU-Institutionen in verständlicher Weise erklärt werden;"] ...
  • betont aufgrund der besonderen Vermittlerrolle der Medien für die demokratische Willensbildung und die öffentliche Meinung die Notwendigkeit verlässlicher politischer Informationen auch im Bereich der neuen Medien; ...
  • hebt mit Nachdruck hervor, dass die sozialen Netzwerke, wenngleich sie sich auch für eine rasche Weitergabe von Informationen als sehr effizient erwiesen haben, dennoch nicht immer eine Garantie für seriöse Berichterstattung bieten, die man aber voraussetzen muss, und dass sie daher nicht als professionelle Nachrichtenmedien betrachtet werden können; unterstreicht, dass der Umgang mit Nachrichten auf den Plattformen der sozialen Netzwerke sehr häufig Gefahren birgt und sehr schwerwiegende journalistische Entgleisungen nach sich ziehen kann und dass sich deswegen jeder beim Umgang mit diesen neuen Instrumenten mit der entsprechenden Vorsicht wappnen sollte; betont die Notwendigkeit der Ausarbeitung eines Verhaltenskodex für die neuen Medien;...
  • unterstreicht angesichts der bestehenden Informationsflut die zentrale Rolle der Journalisten in einer modernen Gesellschaft, da nur sie durch ihre Professionalität, ihre Berufsethik und ihre Glaubwürdigkeit in der Lage sind, der Information einen beträchtlichen Mehrwert zu verleihen - nämlich den Mehrwert des Verständnisses des aktuellen Geschehens; 

Ansonsten beklagt die Entschließung, dass kein "gemeinsamer europäischer öffentlicher Raum" (womit im Wesentlichen transnationale Medien mit ausreichender Europa-Berichterstattung gemeint sein dürften) besteht und spricht verschiedene Akteure an, denen mehr oder weniger konkrete Vorschläge für Aktionen gemacht werden, von der Ausweitung des Sprachenspektrums bei Euronews bis zu meinem Lieblingsvorschlag (oder eigentlich ist es eine Aufforderung), gerichtet an die Journalisten: das EP, in vollem Ernst,
"fordert die Journalisten und andere Angehörige der Medienberufe auf, zusammenzutreffen, um sich auszutauschen und gemeinsam den europäischen Journalismus von morgen zu gestalten;"
Damit wird Europa vielleicht nicht gerettet, aber diese Aufforderung ist jedenfalls verwirklichbar. Und in Hinkunft, wann immer zwei oder mehr Journalisten zusammentreffen um sich auszutauschen, ist das EP mit seiner Entschließung mitten unter ihnen.

No comments :