Friday, January 17, 2014

EuGH-Generalanwalt: Zugangsverpflichtung nach der Zugangsrichtlinie kann auch Verpflichtung umfassen, neue Anschlussleitungen zu legen

Kann eine nationale Telekom-Regulierungsbehörde einen Netzbetreiber mit beträchtlicher Marktmacht nach Art 8 und Art 12 der Zugangsrichtlinie 2002/19/EG (in der Fassung der RL 2009/140/EG) dazu verpflichten, auf Antrag konkurrierender Betreiber Anschlussleitungen von seiner Glasfaserinfrastruktur zum Endverbraucher zu verlegen, wenn dies nicht einen Grabungsaufwand von mehr als 30 Metern erfordert? Diese Frage - bei der es im Wesentlichen um die Auslegung des Begriffs "Zugang" nach Art 2 lit a der ZugangsRL geht - hat der EuGH auf Ersuchen eines dänischen Gerichts in der Rechtssache C-556/12 TDC A/S zu klären.

Gestern erstattete Generalanwalt Cruz Villalón dazu seine seine Schlussanträge - und gleich der zweite Absatz enthält eine Feststellung, der man schwer widersprechen kann: "nicht alle Vorschriften der Richtlinie 2002/19 [Zugangsrichtlinie] sind eindeutig."

Sein Ergebnis ist aber - vergleichsweise - eindeutig: die ZugangsRL ermöglicht auch derart weitgehende Verpflichtungen, die vom Betreiber die Herstellung von Anschlussleitungen verlangen. Der Regulierungsbehörde kommt bei der Auferlegung von Verpflichtungen auch ein weiter Handlungsspielraum zu, sie muss aber sicherstellen, dass die Maßnahme verhältnismäßig ist.

Der Ausgangsfall
Die dänische Regulierungsbehörde hatte dem Incumbent TDC die strittige Verpflichtung auferlegt, nachdem TDC durch mehrere Zukäufe, zuletzt im Jahr 2009 eines größeren Powerline-Anbieters, seine Marktmacht noch ausgebaut hatte. TDC war dadurch (auch) zu einem Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht "auf dem Markt für Glasfasernetze" geworden, wie der Generalanwalt etwas untechnisch schreibt. Die Details zum nationalen Verfahren bleiben in den Schlussanträgen etwas unklar, es geht offenbar um Verpflichtungen, die zwischen zwei Marktanalyserunden speziell nur für das Glasfasernetz auferlegt worden waren, betroffen ist der Markt 4 der Märkteempfehlung (Vorleistungsmarkt für den [physischen] Zugang zu Netzinfrastrukturen); ein Verfahren nach Art 7 RahmenRL hat damals offenbar nicht stattgefunden.*)

Aktive und passive Dimension des Zugangs
Der Generalanwalt hebt zunächst hervor, dass Zugang in Art 2 lit a der ZugangsRL abschließend definiert wird. Nach dem ersten Halbsatz der Definition besteht "Zugang" in der "ausschließliche[n] oder nicht ausschließliche[n] Bereitstellung von Einrichtungen und/oder Diensten für ein anderes Unternehmen unter bestimmten Bedingungen zur Erbringung von elektronischen Kommunikationsdiensten"[Hervorhebung durch den Generalanwalt]. Der Generalanwalt schließt daraus, "dass die Bereitstellung des Netzes etwas enthält, das als eine 'passive' und eine 'aktive' Dimension bezeichnet werden kann, Dimensionen, die offenkundig den Netzinhaber betreffen." Der Netzbetreiber muss einerseits passiv den Zugang dulden, hat also "eine Pflicht zur Enthaltung, die dahin geht, dass er andere Betreiber nicht am Zugang zu seinem Netz hindern darf". Andererseits hat er auch eine aktive Verpflichtung, "die in der Erbringung von Diensten besteht, die ausschließlich dazu dienen, den Zugang zu ermöglichen."

Auch in den Beispielen für den Zugang kommt die sowohl "aktive" wie "passive" Dimension des Zugangs zum Ausdruck ("aktiv" zB: Zugang "zu Diensten, die erforderlich sind, um Dienste über den Teilnehmeranschluss zu erbringen"). Die - wiederum nur beispielhafte - Aufzählung der verschiedenen Verpflichtungen, die nationale Regulierungsbehörden Betreibern auferlegen können, in Art 12 der RL enthält sowohl Verpflichtungen zu einem Tun wie zu einem Unterlassen. Dass in dieser Aufzählung eine Verpflichtung zur Verlegung der Anschlussleitung auf Antrag eines konkurrierenden Betreibers nicht enthalten ist, bedeutet nach Auffassung des Generalanwalts "keineswegs, dass es sich um eine Verpflichtung handelt, die mit den Befugnissen, die die Richtlinie 2002/19 den nationalen Regulierungsbehörden zuweist, unvereinbar ist. Im Gegenteil: Da die Zugangsverpflichtung durch ein Tun oder Unterlassen im Sinne von Art. 2 Buchst. a die 'Erbringung von elektronischen Kommunikationsdiensten' zum Gegenstand hat, kann der Schluss gezogen werden, dass die Verpflichtung in den Anwendungsbereich von Art. 8 und insbesondere von Art. 12 fällt."

Der Generalanwalt berücksichtigt auch den Umstand, "dass die in Rede stehende Erweiterung des Netzes keinesfalls einen Ausbau des vorhandenen Netzverlaufs bedeutet, sondern einzig und allein dort, wo bereits ein Netz vorhanden ist, die Verbindung zum Endnutzer ermöglicht. Es handelt sich mithin um einen Ausbau in einem sehr engen Sinne." Die Verpflichtung ziele nur darauf ab, die letzte Verbindung dort herzustellen, wo ein Netz bereits vorhanden ist.

Die zunächst aus dem Wortlaut der RL gewonnene Auslegung wird auch durch die Ziele der ZugangsRL bestärkt, die auch die Aufrechterhaltung gleicher Wettbewerbsbedingungen für sämtliche Marktteilnehmer umfassen. Die aufzuerlegenden Verpflichtungen bezwecken, "einem Betreiber mit beträchtlicher Marktmacht Lasten aufzuerlegen, damit durch seine Position die für das Funktionieren des Markts erforderlichen Bedingungen nicht geändert werden." In Absatz 29 der Schlussanträge heißt es:
Daher besteht das Ziel der Verpflichtungen zu einem Tun oder Unterlassen im Sinne des Art. 12 der Richtlinie 2002/19 letztendlich in der Gewährleistung von Wettbewerbsbedingungen für alle Betreiber. Der "Zugang", dessen Gewährleistung die Richtlinie regelt, ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zur Schaffung eines wettbewerbsfähigen Telekommunikationsmarkts.
Nach Ansicht des Generalanwalts sind daher Art 2 lit a sowie Art 8 und 12 der ZugangsRL dahin auszulegen, dass eine Verpflichtung zur Gewährleistung des Zugangs zu Telekommunikationsnetzen grundsätzlich und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch eine Verpflichtung beinhalten kann, auf Antrag eines konkurrierenden Betreibers eine Anschlussleitung mit einer Länge von höchstens 30 Metern zu verlegen.

Verhältnismäßigkeitsprüfung - Aufgabe des nationalen Gerichts
Art 12 der ZugangsRL verpflichtet die nationalen Regulierungsbehörden dazu, den Betreibern "angemessene" Verpflichtungen aufzuerlegen. Dabei müssen die Regulierungsbehörden einer Reihe von Faktoren, wie der technischen und wirtschaftlichen Tragfähigkeit der Verpflichtung, der Anfangsinvestition des Eigentümers oder der Notwendigkeit zur Sicherung des Wettbewerbs, Rechnung tragen. Die Würdigung dieser Faktoren hat aber, so der Generalanwalt, nicht der EuGH, sondern das nationale Gericht vorzunehmen, da dabei die tatsächlichen Umstände zu prüfen sind. Der EuGH könne nur Auslegungshinweise für die Verhältnismäßigkeitsprüfung geben.

Prämisse: Weiter Handlungsspielraum der Regulierungsbehörden
Der Generalanwalt verweist darauf, dass der EuGH im Urteil C-227/07 Kommission/Polen (im Blog dazu hier) die "weitgehenden Interventionsmöglichkeiten" der nationalen Regulierungsbehörden unterstrichen hat. Folglich müsse die Auslegung der Art 8 und 12 der ZugangsRL und konkret die dort vorgesehene Verhältnismäßigkeitskontrolle "von der Prämisse ausgehen, dass die nationalen Regulierungsbehörden über einen weiten Handlungsspielraum verfügen, wenn sie den auf dem Markt tätigen Betreibern und insbesondere den wichtigsten Betreibern Verpflichtungen auferlegen, die sie für erforderlich halten."

Das nationale Gericht müsse prüfen, ob die mit der Maßnahme verfolgten Ziele den in Art 8 RahmenRL und in der ZugangsRL genannten Zielen entsprechen (ua Sicherstellung des Zugangs der Betreiber zu den Telekommunikationsnetzen, Beibehaltung effektiven Wettbewerbs zwischen Betreibern und Qualität des dem Endnutzer angebotenen Dienstes).

Nächster Schritt ist die Prüfung 1) der Eignung (ist die Maßnahme objektiv zur Zielerreichnung geeignet?), 2) der Erforderlichkeit (gibt es weniger einschneidende Mittel zur Zielerreichung?) und 3) der Verhältnismäßigkeit im eigentlichen Sinne (Abwägung zwischen den betroffenen Gütern und Interessen). Das Gericht muss prüfen, ob die Regulierungsbehörde eine zutreffende Abwägung zwischen den durch die Maßnahme hervorgerufenen Belastungen und den durch sie erlangten Vorteilen vorgenommen hat. Als besonders wichtig erachtet der Generalanwalt dabei einerseits die Bewertung der Kosten der Investition und andererseits das Bestehen eines Tarifsystems, das dem Betreiber ermöglicht, trotz der ihm auferlegten Verpflichtung die Kosten der Investition zu decken. Diese Beurteilung ist "eindeutig Sache des vorlegenden Gerichts, das aber die hier gegebenen Auslegungshinweise berücksichtigen muss."

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*) Die konkrete Entscheidung der Regulierungsbehörde konnte ich - jedenfalls auf die Schnelle - auf dem Server der dänischen Regulierungsbehörde nicht finden (dort finden sich aber Informationen zur dritten Runde der Marktanalyse auf Markt 4 und zur vorangegangenen zweiten Runde); gefunden habe ich nur einen (dänischen) Medienbericht zur Entscheidung. Auch in der Datenbank der Kommission über die Art 7-Verfahren konnte ich nur die Verfahren zur zweiten und dritten Runde der Marktanalyse finden. In der dritten Runde (DK/2012/1339) hat die Regulierungsbehörde die hier interessierende Verpflichtung neuerlich vorgeschlagen; in der Stellungnahme der Kommission wird die Maßnahme so beschrieben:
With regard to access to the fibre loops DBA [nationale Regulierungsbehörde] imposes on TDC a specific obligation to construct, at the request of an alternative operator, a 'drop cable' (up to 30 m of length) connecting the end customer with the near-by fibre network. DBA considers that it is specific to the Danish market that the fibre distribution network has been already significantly rolled out and passes near-by individual households. Furthermore, unlike the copper or CaTV networks, the fibre connection is extended to the end customer only at the time of signing a contract for the provision of broadband services over fibre. TDC installs such drop cables whenever an end-customer signs a contract with TDC, however, absent the drop cable obligation, it does not install such connections, as a wholesale service, when the end customers are solicited by alternative operators. As a result, TDC may exploit a significant first mover advantage and may foreclose alternative operators from competing for an increasing number of potential customers. DBA proposes that the costs of the drop cable connections will be included in the regulated cost-base of TDC'snetwork and will not be reimbursed by way of a one-off payment. [...]
DBA considers that any less intrusive remedy, such as non-discrimination, transparency or specific migration rules would not be sufficient to address the competition problems identified (first mover advantages)
In den "Comments" der Kommission wird diese Maßnahme sehr vorsichtig gewürdigt, wobei besonders auf die notwendige Verhältnismäßigkeit hingewiesen wird:
The Commission points out that the obligation to roll out the drop cables at the request of competing operators may be considered necessary and appropriate only in the absence of any other less intrusive measure, such as, for example, unbundled access to the fibre already built by the SMP operator, or the inability of the alternative operators to self supply, which prima facie do not seem to be possible alternatives in the specific circumstances of this case.
The Commission therefore invites DBA to provide in its final measure additional elements showing that an obligation to provide the drop cables is justified and proportionate, and in particular why other less intrusive remedies fail to address TDC's first mover advantage in an equally effective manner. In this respect, the Commission invites DBA to consider a planning mechanism, which would require TDC to consult alternative operators on the installation of drop cables prior to TDC securing a contract with end customers in a certain area.

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