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Saturday, April 10, 2010

Schweizer Bundesverwaltungsgericht: "Zurückhaltung" in Interkonnektionsstreitigkeiten

Nach dem rundfunkrechtlichen Ausflug in die Schweiz nun auch noch Hinweise auf Urteile in Telekom-Angelegenheiten. Allerdings handelt es sich hier nicht um Entscheidungen des Bundesgerichts (des Schweizer Höchstgerichts), sondern des Schweizer Bundesverwaltungsgerichts (BVGer), das in der Regel erste verwaltungserichtliche Instanz ist. In Telekomangelegenheiten ist das BVGer allerdings manchmal auch Letztinstanz, nämlich gemäß Art 83 Bundesgerichts-Gesetz bei öffentlich ausgeschriebenen Konzessionen und - wie in den hier zitierten Fällen - bei Streitigkeiten über den Zugang (Art 11a Fernmeldegesetz).

Im Februar dieses Jahres hatte das BVGer in mehreren Verfahren betreffend die Zusammenschaltung bzw den Zugang zu Teilnehmeranschlussleitungen (in der Schweiz heißt das "Interkonnektionsstreitigkeiten") vor allem über Fragen der direkten (oder auch indirekten) Drittwirkung von Entscheidungen der Regulierungsbehörde zu entscheiden. Das BVGer hat sich dabei entgegen der Ansicht der Eidgenössischen Kommunikationskommission (ComCom) gegen die automatische Drittwirkung ausgesprochen. Für Österreich oder andere EU-Mitgliedstaaten sind diese Entscheidungen an sich kaum von Interesse, zumal die Schweiz "bewusst ein von den Verhältnissen in der EU abweichendes Regulierungssystem geschaffen" hat (siehe Urteil 01.02.2010 A-7162/2008 Punkt 9.3.8). In methodischer Hinsicht ist allerdings auch hier (wie schon im letzten Post zu einer Entscheidung des Schweizer Bundesgerichts angemerkt) das Konzept der "Zurückhaltung" (deference?) bei der Kontrolle von Regulierungsentscheidungen bemerkenswert; ebenfalls aus dem Urteil vom 01.02.2010 A-7162/2008 (Swisscom / Sunrise)
"Vorliegend kommt der Vorinstanz bzw. dem mit der Instruktion des Verfahrens betrauten BAKOM ein ausgeprägtes Fachwissen in fernmeldetechnischen Fragen sowie bei der Beurteilung der ökonomischen Gegebenheiten im Telekommunikationsmarkt zu. Das Bundesverwaltungsgericht kann auf kein gleichwertiges Fachwissen zurückgreifen [...]. 
Es hat sich [...] dort eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen, wo der Vorinstanz [ComCom] angesichts der sich stellenden Fachfragen ein erheblicher Handlungsspielraum belassen wurde. Dabei variiert der Grad der Zurückhaltung im Einzelfall je nach der Natur der sich stellenden Fragen und dem erforderlichen Fachwissen der Vorinstanz."
Weitere Urteile vom 18.02.2010 A-7154/2008 (Swisscom / Colt), vom 19.02.2010 A-7169/2008 (Swisscom / Cablecom) und vom 19.02.2010 A-7165/2008 (Swisscom / TelCommunication Services.

Thursday, November 12, 2009

EuGH: Zusammenschaltungsverpflichtung nur für Netzbetreiber, nicht auch Diensteanbieter

In der Rechtssache C-192/08 TeliaSonera hat der EuGH heute die schon in den Schlussanträgen des Generalanwalts (siehe zu diesen und zum näheren Hintergrund des Verfahrens hier) vertretene Position bestätigt, dass die in Art. 4 der Zugangsrichtlinie vorgesehene Verpflichtung, "über die Zusammenschaltung zwecks Erbringung der öffentlich zugänglichen elektronischen Kommunikationsdienste zu verhandeln, um die gemeinschaftsweite Bereitstellung von Diensten sowie deren Interoperabilität zu gewährleisten", nur zwischen Betreibern von Kommunikationsnetzen besteht - reine Diensteanbieter können sich darauf nicht berufen.

Die Mitgliedstaaten dürfen solche Verhandlungsverpflichtungen, die über jene nach der ZugangsRL hinausgehen, auch nicht im nationalen Recht vorsehen, da Art 3 Abs a der RL den Unternehmen die Freiheit gewährt, zu verhandeln und Verträge abzuschließen und die in Art 4 Abs 1 der RL vorgesehene Verhandlungsverpflichtung daher eine Ausnahme darstellt, die eng auszulegen ist. Ob die Unternehmen im konkreten Streitfall Netzbetreiber sind, ist vom nationalen Gericht anhand der Begriffsbestimmungen in Art 2 der ZugangsRL und Art 2 der RahmenRL zu beurteilen.

Der EuGH weist auch darauf hin, dass die Verhandlungen nach Treu und Glauben zu führen sind - ein Netzbetreiber kann daher auch dann, wenn er keine beträchtliche Marktmacht hat, nicht ganz einseitige Bedingungen verlangen. Der EuGH: "Eine nationale Regulierungsbehörde kann es als einen Verstoß gegen die Verpflichtung, über eine Zusammenschaltung zu verhandeln, ansehen, wenn ein Unternehmen, das über keine beträchtliche Marktmacht verfügt, einem anderen Unternehmen die Zusammenschaltung zu einseitigen Bedingungen anbietet, die geeignet sind, die Entwicklung eines wettbewerbsorientierten Marktes auf Endverbraucherebene zu behindern, weil diese Bedingungen die Kunden dieses anderen Unternehmens daran hindern, dessen Dienste zu nutzen."

Thursday, May 14, 2009

Die Katharsis des Sektors, das Wesen der Netze und dazwischen ein "Superdummkopf" - Schlussanträge in der Rs C-192/08 TeliaSonera

Generalanwalt Dámaso Ruiz-Jarabo Colomer ist für seine manchmal exzentrischen Schlussanträge bekannt (siehe dazu zB hier, hier, hier, hier oder hier). Auch die heute veröffentlichten Schlussanträge in der Rechtssache C-192/08 TeliaSonera werden diesen Ruf wohl eher bestärken, denn auch diesmal gibt es wieder eher philosophische Ausflüge in Geschichte und Grundkonzeption der Telekomregulierung, eine manchmal ungewöhnliche Wortwahl* und schließlich Literaturzitate, deren Bezug zur Rechtssache nicht unnmittelbar einleuchtend scheint.

Colomer spricht etwa von der "Läuterung des Sektors", die gewisse Impulse von außen erfordert habe (Nr. 41, im spanischen Original: "la catarsis del sector precisaba de ciertos impulsos externos"), oder er fordert "die Untersuchung des Wesens der Netze" (Nr. 49, "desvelar ... a naturaleza de las redes"). Und in Nr. 50 merkt er zum Wortlaut des Art 4 der ZugangsRL an, dass dieser "eine synallagmatische Verbindung erkennen [lässt], die für die einen Vorteile, für die anderen aber häufig Nachteile mit sich bringt" - und umittelbar dazu stellt er eine Fußnote, die (vollständig) so lautet:
"Der italienische Wirtschaftshistoriker Cipolla, C. M., schildert in Allegro ma non troppo, Ed. Crítica, Biblioteca de bolsillo, Barcelona, 2001, mit köstlicher Ironie 'die Gesetze der menschlichen Dummheit' und ordnet die Personen anhand einer einfachen Gewinn- und Verlustrechnung in vier Kategorien ein: 'Der Leichtgläubige' führt eine Handlung aus, durch die er Schaden erleidet, aber dem Nächsten einen Vorteil verschafft, 'der Intelligente' erzielt einen Vorteil und lässt einen anderen daran teilhaben, 'der Bösewicht' erzielt einen Gewinn und schadet dabei einem anderen, und dem 'Dummkopf', einem absurden Geschöpf, das anderen schadet, ohne dabei etwas zu gewinnen, fügt er eine Unterkategorie 'Superdummkopf' hinzu, der wegen seines unglaublichen Verhaltens den anderen und sich selbst schadet."
Was das mit der Verhandlungspflicht über die Zusammenschaltung, die in Art 4 der ZugangsRL geregelt ist, zu tun haben soll, erschließt sich mir nicht. Ebenso zusammenhanglos könnte ich also hier zB auf Cipollas erstes Grundgesetz der menschlichen Dummheit hinweisen: "Sempre ed inevitabilmente ognuno di noi sottovaluta il numero di individui stupidi in circolazione." (ungefähr übersetzt: "Jeder unterschätzt immer und unvermeidlich die Zahl der im Umlauf befindlichen dummen Personen").

Nun aber zur Rechtssache, die sich eigentlich vergleichsweise einfach zusammenfassen lässt: iMEZ AB, ein Anbieter von SMS und MMS-Diensten, der ein "Short Message Service Center" betreibt und in Schweden mit allen Mobiltelefonbetreibern Verträge abgeschlossen hat, will auch in Finnland stärker ins Geschäft kommen und mit dem stärksten Betreiber, TeliaSonera, einen (Zusammenschaltungs?)Vertrag abschließen, um seine Dienste auch über dieses Netz anbieten zu können (in Finnland hatte iMEZ zu diesem Zeitpunkt nur einen Vertrag mit Elisa Oyj). TeliaSonera bietet aber, nach Ansicht der Regulierungsbehörde, nur sehr einseitige Bedingungen an und wird daher von der Regulierungsbehörde verpflichtet, nach Treu und Glauben über die Zusammenschaltung für SMS und MMS zu verhandeln und die "Operabilität" dieser Dienste herzustellen. (Weder TeliaSonera noch iMEZ haben auf einem hier relevanten Markt beträchtliche Marktmacht im Sinne des Art 14 RahmenRL.) TeliaSonera geht gegen die Entscheidung der Regulierungsbehörde zu Gericht und das oberste finnische Verwaltungsgericht legt dem EuGH Fragen zur Vereinbarkeit einer Verhandlungs- und Zusammenschaltungspflicht, wie sie im finnischen Gesetz vorgesehen ist, mit den Art 4, 5 und 8 der ZugangsRL vor.

Wesentliches Ergebnis der Schlussanträge: Die Verhandlungspflicht nach Art 4 ZugangsRL trifft nur Netzbetreiber, nicht auch Diensteanbieter. Da es sich nicht um eine Mindestregelung handelt, dürfen die Mitgliedstaaten diese Verpflichtung auch nicht ausweiten. Unter bestimmten Bedingungen könnte die Regulierungsbehörde aber nach Art 5 Abs 4 der ZugangsRL iVm Art 20 Abs 1 der RahmenRL auch für Dienste eingreifen - denn Art 5 Abs 4 der ZugangsRL gilt auch für den Zugang, der - anders als die Zusammenschaltung nach dem neuen Rechtsrahmen - auch Dienste, nicht nur Netze, betrifft.

Ob iMEZ allerdings ein Netzbetreiber ist oder nur ein Diensteanbieter, lässt sich aus dem Vorlagebeschluss nicht beurteilen. Dass iMEZ von der schwedischen Regulierungsbehörde ein Mobile Network Code zugeteilt wurde, ist für den Generalanwalt dabei nicht von Bedeutung; in Nr. 100 schreibt er: "Doch darf dieser Sachverhalt, der sich in Schweden ereignete, keine transnationalen Auswirkungen haben und sich in maßgeblicher Art und Weise auf den Telekommunikationsmarkt in Finnland auswirken". Das scheint mir im Hinblick auf Art 8 Abs 3 der RahmenRL doch recht kurz gegriffen.

*) Gelegentlich hat man den Eindruck, dass die deutsche Übersetzung des spanischen Originals noch merkwürdiger ist als das Original selbst, etwa wenn in Nr. 55 von den "übrigen Unternehmen der Zunft" die Rede ist (spanisch: "El resto de entidades del gremio").