Saturday, April 08, 2023

Sanktionen gegen russische Staatsmedien - zum aktuellen Stand nach der Insolvenz von RT France

tl;dr: RT France ist insolvent. Die von RT France beim EuG bzw. EuGH anhängig gemachten Verfahren zur Nichtigerklärung der Sanktionen werden daher voraussichtlich ohne weitere Entscheidung in der Sache eingestellt werden. Wann das EuG über die von niederländischen ISPs eingebrachte Nichtigkeitsklage entscheiden wird, ist noch offen.
Die Sanktionen wurden zuletzt mit Wirkung vom 10. April 2023 ausgeweitet und bleiben (vorerst) bis 31. Juli 2023 in Kraft.

Was bisher geschah

Ich habe mich in diesem Blog (und anderswo) schon mehrfach mit den vom Rat der Europäischen Union nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 verhängten Sanktionen befasst, soweit sich diese (erstmals) auch gegen die Verbreitung bestimmter Medieninhalte innerhalb der EU richteten. Zur Übersicht vorweg Links zu den bisherigen Beiträgen:

Von den Sanktionen betroffene Medieninhalte

Die Sanktionen betrafen zunächst die englisch-, deutsch-, französisch- und spanischsprachigen Inhalte von RT (Russia Today) und die Inhalte von Sputnik. Sie wurden in der Folge mehrfach verlängert und auf andere Inhalte russischer Staatsmedien ausgedehnt. Ab übermorgen, 10. April 2023 (und vorerst befristet bis 31. Juli 2023) sind Inhalte folgender "juristischer Personen, Organisationen und Einrichtungen" von den Sanktionen erfasst: 

  • RT — Russia Today English
  • RT — Russia Today UK
  • RT — Russia Today Germany
  • RT — Russia Today France
  • RT — Russia Today Spanish
  • Sputnik
  • Rossiya RTR / RTR Planeta
  • Rossiya 24 / Russia 24
  • TV Centre International
  • NTV/NTV Mir 
  • Rossiya 1 
  • REN TV 
  • Pervyi Kanal
  • RT Arabic
  • Sputnik Arabic

Nichtigkeitsklagen von RT France

Die Sanktionen wurden gerichtlich von RT France bekämpft, wobei RT France in erster Instanz unterlag (Urteil des EuG vom 27.07.2022, T-125/22 RT France / Rat). Gegen dieses Urteil hat RT France Rechtsmittel an den EuGH erhoben, das Verfahren ist noch zu C-620/22 P anhängig. Zudem hat RT France auch die jeweiligen Rechtsakte, mit denen die Sanktionen verlängert wurden, mit Klage beim EuG bekämpft; diese Verfahren sind noch anhängig (T-605/22 RT France / RatT-75/23 RT France / Rat und T-169/23 RT France / Rat).

Insolvenz von RT France

Nun ist RT France laut Medienberichten (die auch auf ein entsprechendes Statement der Geschäftsführerin von RT France auf Twitter verweisen) endgültig insolvent. Damit stellt sich die Frage, was mit den beim EuGH bzw. beim EuG anhängigen Verfahren passiert. 

Nach der Rechtsprechung des EuG muss das Rechtsschutzinteresse der Klägerin bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung weiter vorliegen; im Fall der Liquidation des Unternehmens wegen Insolvenz - wenn das Unternehmen keine "werbende Geschäftstätigkeit" mehr ausüben kann - fällt dieses Rechtsschutzinteresse allerdings weg. Dies gilt auch dann, wenn das (insolvente) Unternehmen eine Haftungsklage gegen die Gemeinschaft nach einer Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung anstrebt; diesbezüglich hat das EuG ausgesprochen, dass die Schadensersatzklage im Vertrag als selbständiger Rechtsbehelf vorgesehen ist und dass eine solche Klage somit parallel zu einer Nichtigkeitsklage erhoben werden kann (EuG 19.06.2009, T-269/03, Socratec). Meines Erachtens spricht somit viel dafür, dass RT France mit Eintritt der Insolvenz das Rechtsschutzinteresse verloren hat und die Verfahren daher als erledigt eingestellt werden. 

Nichtigkeitsklage niederländischer ISPs

Allerdings ist noch ein weiteres Verfahren gegen die Sanktionen beim EuG anhängig, nämlich die von niederländischen Internetprovidern erhobene (und von der niederländischen Journalistenvereinigung NVJ unterstützte!) Nichtigkeitsklage T-307/22 A2B Connect ua. Zwar ist in einer Pressemitteilung des NVJ die Rede davon, dass im September 2022 eine zweite Klage eingebracht worden sei, tatsächlich dürfte aber bloß die zu T-307/22 anhängige Klage ergänzt worden sein (in diesem Sinn auch die Information auf der Website der sogenannten Freedom of Information Coalition, die das Verfahren ebenfalls unterstützt). Ein Verhandlungstermin wurde vom EuG noch nicht bekannt gegeben. 

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