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Thursday, December 08, 2011

EuGH zu France Télécom: steuerliche Sonderregelung als Beihilfe

Der EuGH hat heute in der Rechtssache C-81/10 P France Télécom das Rechtsmittel der France Télécom gegen das Urteil des EuG vom 30.11.2009, T-427/04 Frankreich / Kommission und T-17/05 France Télécom / Kommission, zurückgewiesen und damit endgültig die Kommissionsentscheidung vom 2.8.2004, C(2004) 3061, bestätigt.

Die Kommission hatte in ihrer Entscheidung eine Gewerbesteuer-Sonderregelung für France Télécom in der Zeit vom 1.1.1994 bis 31.12.2002 als rechtswidrige und mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfe beurteilt und Frankreich verpflichtet, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Beihilfe von France Télécom zurückzufordern. Die von France Télécom und Frankreich dagegen erhobene Nichtigkeitsklage war vom EuG abgewiesen worden (siehe dazu näher hier).

In realistischer Einschätzung der Chancen hat Frankreich kein Rechtsmittel gegen das EuG-Urteil erhoben und es allein France Télécom überlassen, sich die Bestätigung abzuholen, dass Kommission und EuG richtig entschieden haben. Denn es stand fest, dass France Télécom von einer bei der Kommission nicht als Beihilfe gemeldeten Sonderregelung bei der Gewerbesteuer in diesem Zeitraum profitiert hatte, die für das Unternehmen immerhin einen Vorteil in der Größenordnung von "zwischen 798 Mio. und 1,14 Mrd. Euro ohne Zinsen" gebracht hatte. France Télécom war aber der Auffassung, dass auch eine das Unternehmen eher belastende Steuerregelung in den drei Jahren vor 1994 hätte berücksichtigt werden müssen und dass die Höhe des Vorteils von variablen Größen und externen Faktoren abhängig war, sodass die Höhe der Steuer nicht im Voraus hätte ermittelt werden können.

Der EuGH verwies darauf, dass die vielleicht belastende Regelung von 1991 bis 1993  nicht untrennbar mit der Sonderregelung in den Jahren danach verbunden war; und auch dass die Sonderreglung ab 1994 jedenfalls zu einem Vorteil für France Télécom führen konnte, stand bereits zum Zeitpunkt des Erlasses fest. Auch die behauptete Komplexität der in Rede stehenden Steuerregelung oder die periodische Natur der Beihilfemaßnahme konnte Frankreich nicht der Anmeldepflicht entheben oder bei France Télécom berechtigtes Vertrauen entstehen lassen.

Zu der von France Télécom behaupteten Verjährung hielt der EuGH fest, dass die zehnjährige Verjährungsfrist nach Art 15 Abs 2 der Verordnung Nr 659/1999 mit dem Tag der Gewährung der Beihilfe an den Empfänger (und nicht mit dem Tag des Erlasses der Beihilfenregelung) beginnt; außerdem beginnt die Verjährungsfrist bei jährlich gewährten Beihilfen jedes Jahr von neuem (hier: an dem Tag, an dem die Gewerbesteuerzahlung von France Télécom jeweils fällig wurde). Und schließlich half es Fracne Télécom auch nichts, dass die Kommission den rückzufordernden Betrag nicht exakt festgelegt hatte, sondern eine "Unschärfe" von immerhin mehr als 300 Mio Euro verblieb: auch nach Ansicht des EuGH enthielt die Kommissionsentscheidung nämlich die geeigneten Angaben, "anhand deren der endgültige Betrag ohne übermäßige Schwierigkeiten bestimmt werden könne".

Damit steht nun zwar endgültig fest, dass Frankreich von France Télécom die Vorteile aus der rechtswidrig gewährten Beihilfe zurückfordern muss. Interessant könnte es aber noch werden, ob das Unternehmen auch tatsächlich alles wird zahlen müssen, denn immerhin hatte Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen (siehe dazu hier) dargelegt, dass "die für den Mitgliedstaat bestehende unbedingte Pflicht zur Rückforderung nicht automatisch zu einer entsprechenden Rückzahlungsverpflichtung der Einzelnen führen" müsse; in einem allfälligen Gerichtsverfahren komme der Begünstigte "in den Genuss aller Verfahrensgarantien und aller materiell-rechtlichen Garantien, die sich aus der Grundrechtecharta und der EMRK ergeben".

Thursday, September 08, 2011

EuGH-Generalanwalt zu C-81/10 P France Télécom: Rückforderung von Beihilfe darf Grundrechte nicht beeinträchtigen

In seinen heute veröffentlichten Schlussanträgen in der Rechtssache C-81/10 P France Télécom empfiehlt Generalanwalt Jääskinen, das Rechtsmittel der France Télécom SA gegen das Urteil des EuG vom 30.11.2009, T-427/04 Frankreich / Kommission und T-17/05 France Télécom / Kommission, zurückzuweisen. Die Angelegenheit betrifft Regeln über die steuerliche Behandlung der France Télécom in den Jahren 1994 bis 2002 im Bereich der französichen Gewerbesteuer, die von der Kommission (Entscheidung C(2004) 3061) als Beihilfe beurteilt wurden. Mehr zur Vorgeschichte hier im Blog in meinem Beitrag zum erstinstanzlichen Urteil.

In seinen Schlussanträgen setzt sich der Generalanwalt eingehend mit dem Vorteilsbegriff im Sinne des Beihilfenrechts im konkreten Fall einer steuerrechtlichen Sondervorschrift für ein damals zu mehr als 50% in Staatsbesitz stehendes Unternehmen, sowie mit behaupteten Verfahrensmängeln und Verletzungen allgemeiner Rechtsgrundsätze auseinander - mit dem Ergebnis, dass dem EuG keine Rechtsfehler vorzuwerfen seien und das Rechtsmittel zurückzuweisen sein werde.

Interessant sind die an den Schluss gestellten "ergänzenden Bemerkungen zum Status des Begünstigten im Zusammenhang mit der Rückzahlung rechtswidriger Beihilfen im Unionsrecht". Hier befasst sich der Generalanwalt vor allem mit der Frage, welche Einwendungen ein Unternehmen gegen die Rückforderung einer Beihilfe durch den Mitgliedstaat im nationalen gerichtlichen Verfahren machen kann (Fußnoten weggelassen, Hervorhebung hinzugefügt):
"186. Wenn im vorliegenden Fall die Entscheidung der Kommission, die eine staatliche Beihilfe für rechtswidrig erklärt und ihre Rückforderung anordnet, durch ein Urteil des Gerichtshofs bestätigt wird, ist nach den Rechtsschutzmöglichkeiten zu fragen, die für die eventuell durch die Beihilfe Begünstigten in diesem Stadium eröffnet sein können. [...]
188. Ein Mitgliedstaat, der zur Rückforderung rechtswidriger Beihilfen verpflichtet ist, ist in der Wahl der Mittel, mit denen er dieser Verpflichtung nachkommt, frei, vorausgesetzt, die gewählten Mittel beeinträchtigen nicht die Geltung und die Wirksamkeit des Unionsrechts.
189. Es ist unstreitig, dass der Begriff des Unionsrechts die Grundrechte umfasst, die Einzelnen durch die Grundrechtecharta verliehen werden. Daraus folgt, dass das Vorliegen einer absoluten Pflicht zur Rückforderung für die Mitgliedstaaten die Grundrechte der Personen, denen die von den nationalen Behörden unter Verstoß gegen den Vertrag gewährten Maßnahmen zugutekommen können, nicht beeinträchtigen darf.
190. Insoweit erfordert die Rückzahlung einer staatlichen Beihilfe, dass der Begünstigte den Vorteil erstattet, den er durch die gewährte Beihilfe erhalten hat. Es handelt sich somit um eine Eigentumsübertragung vom Begünstigten auf den Mitgliedstaat. Eine solche Handlung kann, wenn der Begünstigte sie nicht freiwillig akzeptiert, nur zu einer Anfechtung vor Gericht führen, das nach einem fairen Verfahren gegen den betroffenen Begünstigten entscheidet.
191. Folglich kann, sobald die von der Grundrechtecharta gewährleisteten Rechte, wie der Schutz des Eigentumsrechts, ins Spiel kommen, die für den Mitgliedstaat bestehende unbedingte Pflicht zur Rückforderung nicht automatisch zu einer entsprechenden Rückzahlungsverpflichtung der Einzelnen führen.
192. Im Gegenteil, es ist meines Erachtens nicht zu bestreiten, dass eine Pflicht zur Rückzahlung im Rahmen eines fairen Verfahrens vom Begünstigten anfechtbar sein muss, und es muss ihm möglich sein, in den Genuss aller Verfahrensgarantien und aller materiell-rechtlichen Garantien, die sich aus der Grundrechtecharta und der EMRK ergeben, zu kommen.
193. Zwar ist der Begünstigte nicht mehr berechtigt, das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe oder ihre Rechtswidrigkeit als solche zu bestreiten. Jedoch steht es dem Begünstigten meines Erachtens frei, seine Rückzahlungspflicht sowie den Umfang dieser Verpflichtung anzufechten, selbst wenn die Gültigkeit der streitigen Entscheidung auch durch ein Urteil des Gerichts bestätigt worden ist."

Friday, May 21, 2010

EuG: vage und unpräzise Minister-Ankündigungen zur möglichen Unterstützung von France Télécom keine Beihilfe

Das Gericht der Europäischen Union hat heute in seinem Urteil in den verbundenen Rechtssachen T-425/04 Frankreich / Kommission, T-444/04 France Télécom / Kommission, T-450/04 Bouygues/Kommission, T-456/04 AFORS Télécom / Kommission die Beihilfenentscheidung der Kommission  C(2004)3060 für nichtig erklärt.

In der Sache ging es im Wesentlichen um Äußerungen des französischen Wirtschaftsministers im Jahr 2002, in denen dieser in einer für France Télécom wirtschaftlich schwierigen Zeit ankündigte, der französische Staat als Aktionär werde sich wie ein besonnener Kapitalgeber verhalten und geeignete Maßnahmen treffen, wenn  France Télécom Schwierigkeiten haben sollte:
"Nous sommes l’actionnaire majoritaire, avec 55 % du capital […] L’État actionnaire se comportera en investisseur avisé et si [FT] devait avoir des difficultés, nous prendrions les dispositions adéquates […] Je répète que si [FT] avait des problèmes de financement, ce qui n’est pas le cas aujourd’hui, l’État prendrait les décisions nécessaires pour qu’ils soient surmontés. Vous relancez la rumeur d’une augmentation de capital… Non, certainement pas ! J’affirme simplement que nous prendrons, en temps utile, les mesures adéquates. Si c’est nécessaire […]"
In der Folge wurde France Télécom ein Aktionärsvorschuss mit einer Kreditlinie von 9 Mrd Euro gewährt. Die Kommission beurteilte diesen Vorschuss in Verbindung mit den Äußerungen des Ministers als staatliche Beihilfe, die mit dem Unionsrecht unvereinbar sei.

Das EuG bestätigte zwar, dass die staatlichen Erklärungen der französischen Behörden France Télécom einen wirtschaftlichen Vorteil - aufgrund der positiven Reaktion der Ratingagenturen - verschafft hatten. Für das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe ist aber nicht nur ein finanzieller Vorteil für das Unternehmen erforderlich, sondern auch eine Übertraung öffentlicher Mittel. Eine derartige Übertragung sei aber im konkreten Fall nicht erfolgt. Die vagen und unpräzisen Äußerungen könnten nämlich nicht mit einer staatlichen Garantie gleichgesetzt werden und enthielten auch keine unvwiderrufliche Verpflichtung, France Télécom eine bestimmte Finanzhilfe zu gewähren (siehe insbesondere RNr 272 -274 des Urteils; derzeit nur in französischer Sprache).

Update 19.03.2013: Der EuGH hat das Urteil des EuG mit seinem Urteil vom 19.03.2013, C‑399/10 P und C‑401/10 P, Bouygues, aufgehoben - siehe dazu hier.

Tuesday, December 01, 2009

Ein letztes Urteil erster Instanz: EuG bestätigt Beihilfenentscheidung zum Steuerverzicht bei France Télécom

Das "Gericht erster Instanz" der Europäischen Gemeinschaften ist seit heute Geschichte. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wurden auch die Bestimmungen über den Gerichtshof geändert, nunmehr heißt es in Artikel 19 EUV: "Der Gerichtshof der Europäischen Union umfasst den Gerichtshof, das Gericht und Fachgerichte." Die wichtigsten Änderungen für die Gerichtsaufgaben und -zuständigkeiten hat der Gerichtshof hier zusammengefasst; in den für dieses Blog interessantesten Bereichen ändert sich nichts wirklich Wesentliches. Und auch wenn nun statt des "Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften" das "Gericht der Europäischen Union" entscheiden wird, so bleibt es in Beihilfenstreitigkeiten doch das erstinstanzliche Gericht.

Am letzten Tag des Gerichts erster Instanz wurde die Entscheidung in den verbundenen Rechtssachen T-427/04 Frankreich / Kommission und T-17/05 France Télécom / Kommission verkündet. Bekämpft war die Entscheidung der Kommission vom 2. August 2004, C(2004) 3061, betreffend eine Beihilfe zu Gunsten von France Télécom (FT). Die Beihilfe geht zurück auf die Zeit der Ausgliederung von FT aus der unmittelbaren staatlichen Verwaltung (vergleichbar der österreichischen Situation war die Tätigkeit der nunmehrigen FT zuvor von einer Abteilung des Post- und Telekommunikationsministeriums ausgeführt worden). Nach der Umwandlung in eine eigenständige juristische Person hätte die FT seit 1.1.1991 normal besteuert werden müssten, aber die Republik Frankreich sah zunächst eine Übergangsregelung bis 1.1.1994 vor und auch danach wurde die "Gewerbesteuer" (taxe professionelle) bis einschließlich 2002 nur unter "besonderen Bedingungen hinsichtlich des Steuersatzes, der Berechnungsgrundlage und der Besteuerungsmodalitäten" erhoben. Die Europäische Kommission stellte daher in der angefochtenen Entscheidung fest, "dass FT eine staatliche Beihilfe erhalten hat, deren vorläufiger Betrag zwischen 798 Mio. EUR und 1 140 Mio. EUR an Kapital liegt". Frankreich verweigerte die Rückforderung der Beihilfe, worauf die Kommission eine Vertragsverletzungsklage wegen Nichtdurchführung der Entscheidung erhob. Mit Urteil vom 18.10.2007, C-441/06 Kommission / Frankreich, stellte der Gerichtshof fest, dass Frankreich seinen Verpflichtungen nicht entsprochen hat.

Inzwischen war das Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Kommissionsentscheidung noch immer vor dem Gericht erster Instanz anhängig. Mit Urteil vom 30.11.2009, T-427/04 und T-17/05, hat das Gericht nun die Klagen abgewiesen und die Kommissionsentscheidung bestätigt. Die Einwendungen Frankreichs und von FT gegen die unklare Höhe des rückzufordernden (bzw. rückzuzahlenden) Betrags ("zwischen 798 Mio und 1.140 Mio. Euro") konnten das Gericht nicht überzeugen, denn es war der Auffassung, dass der Beihilfebetrag ohne übermäßige Schwierigkeiten hätte berechnet werden können (zu diesem Ergebnis war auch der Gerichtshof im Vertragsverletzungsverfahren bereits gekommen). Auch dass das Kollegium der Kommission nicht exakt jenen Text beschlossen hatte, der später als Entscheidung der Kommission zugestellt wurde, führte nicht zur Rechtswidrigkeit der Kommissionsentscheidung, da es sich nur um formale Abweichungen handelte, die vom Gericht als durch den Kollegiumsbeschluss gedeckt beurteilt wurden (im Verfahren hat die Kommission eingeräumt, dass die "révision juridico-linguistique" - die Überarbeitung durch die "Sprachjuristen" - irrtümlich von einer anderen Textfassung ausging als jener, die der Kommission tatsächlich vorgelegen war).

Update 08.12.2011: das gegen das hier besprochene Urteil erhobene Rechtsmittel wurde vom EuGH mit Urteil vom 08.12.2011, C-81/10 P France Télécom, zurückgewiesen (siehe dazu hier)

Thursday, April 02, 2009

EuGH bestätigt EuG: Verdrängungspreise der France Télécom

Mit Entscheidung vom 16.7.2003, COMP/38.233 — Wanadoo Interactive, hatte die Kommission einen Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung durch Wanadoo Interactive (mittlerweile France Télécom) durch Anwendung von Verdrängungspreisen ("predatory pricing") festgestellt. Das EuG wies die dagegen erhobene Klage der France Télécom mit Urteil vom 30.1.2007, T-340/03 (siehe dazu hier) ab. Auch dagegen erhob France Télécom ein Rechtsmittel - und durfte nach den Schlussanträgen des Generalanwalts (siehe dazu hier) auch hoffen, damit erfolgreich zu sein.

Mit seinem heutigen Urteil in der Rechtssache C-202/07 P France Télécom SA / Kommission hat der EuGH jedoch - entgegen den Schlussanträgen des Generalanwalts - das Rechtsmittel der France Télécom zurückgewiesen. Die Entscheidung stützt sich sehr weitgehend auf formale Erwägungen und weist zB einige Ausführungen der Klägerin schon deshalb zurück, weil es sich um die bloße Wiederholung von Argumenten aus dem Verfahren vor dem EuG handelte, oder auch weil die nun aufgegriffenen Rechtsmittelgründe vor dem EuG noch nicht geltend gemacht wurden.
Zentrale inhaltliche Aussagen finden sich in den Rz 103 bis 117, in denen sich der EuGH mit der Frage auseinandersetzt, ob der Vorwurf missbräuchlicher Verdrängungspreise nur dann gerechtfertigt ist, wenn auch nachgewiesen werden kann, dass das Unternehmen letztlich seine Verluste aus dieser Preispolitik - nach dem Marktaustritt der verdrängten Mitbewerber - wieder ausgleichen werde können. Dies ist nach Ansicht des EuGH nicht der Fall:

"110 Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin ergibt sich damit aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht, dass der Nachweis eines möglichen Ausgleichs der Verluste, die ein Unternehmen in beherrschender Stellung durch die Anwendung von Preisen unter einem bestimmten Kostenniveau erleidet, eine notwendige Voraussetzung für die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer solchen Preispolitik ist. ...
111 Diese Auslegung schließt es wohlgemerkt nicht aus, dass die Kommission die entsprechende Möglichkeit des Verlustausgleichs als für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der fraglichen Praxis relevanten Umstand ansehen kann, da sie z. B. dazu beitragen kann, im Fall der Anwendung von Preisen unter den durchschnittlichen variablen Kosten andere wirtschaftliche Begründungen als die Verdrängung eines Mitbewerbers auszuschließen oder im Fall der Anwendung von Preisen, die unter den durchschnittlichen Gesamtkosten, aber über den durchschnittlichen variablen Kosten liegen, die Existenz eines Plans zur Verdrängung eines Mitbewerbers zu belegen.
112
Im Übrigen reicht das Fehlen jeder Verlustausgleichsmöglichkeit nicht aus, um auszuschließen, dass es dem fraglichen Unternehmen gelingt, seine beherrschende Stellung infolge insbesondere des Austritts eines oder mehrerer Mitbewerber aus dem Markt zu verstärken, so dass das Maß des auf dem Markt herrschenden Wettbewerbs, der gerade durch die Anwesenheit des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, weiter verringert wird, und dass die Verbraucher aufgrund der Begrenzung ihrer Wahlmöglichkeiten geschädigt werden.
113 Das Gericht [EuG] hat daher in Randnr. 228 des angefochtenen Urteils zu Recht den Schluss gezogen, dass der Nachweis eines möglichen Verlustausgleichs keine notwendige Vorbedingung für die Feststellung ist, dass Verdrängungspreise praktiziert werden."

Friday, September 26, 2008

Verdrängungspreise und Verlustausgleich: France Télécom / Kommission:

In der Rechtssache C-202/07 P France Télécom SA / Kommission hat der Generalanwalt am 24. 9.2008 die Schlussanträge erstattet. Zu entscheiden ist über ein Rechtsmittel der France Télécom gegen das Urteil des EuG vom 30.1.2007, T-340/03 (siehe dazu hier). In der Sache geht es um den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt für den Breitband-Internetzugang für Privatkunden (im Wesentlichen in den Jahren 2001 und 2002), der von der Europäischen Kommission in ihrer Entscheidung vom 16.7.2003, COMP/38.233 — Wanadoo Interactive, festgestellt worden war.

Die Kommission hatte dem betroffenen marktbeherrschenden Unternehmen vorgeworfen, Verdrängungspreise ("predatory pricing") angewendet zu haben, um seine Marktmacht noch zu stärken; das EuG hatte die Entscheidung bestätigt. Der Generalanwalt schlägt nun vor, das Urteil des EuG aufzuheben. Zum einen meint er, dass der Einwand der Anpassung (alignment) der Preise an jene anderer Marktteilnehmer nur allgemein und nicht anhand des konkreten Sachverhalts geprüft worden sei. Zum anderen aber geht es um den Verlustausgleich: ein Unternehmen, das Verdrängungspreise anwendet, muss zumindest annehmen können, dass es die dadurch entstehenden Verluste wieder ausgleichen kann (zB wenn die Konkurrenten aufgrund der Verdrängungspreise aus dem Markt aussteigen). Kommission und EuG hatten hingegen angenommen, dass es zur Annahme eines Marktmachtmissbrauchs durch Verdrängungspreise nicht notwendig sei, die Möglichkeit des Verlustausgleichs ausdrücklich festzustellen.

Wednesday, July 04, 2007

Margin Squeeze: Kommission straft Telefónica

Die Kommission hat gegen den spanischen "Incumbent" Telefónica ein Bußgeld in der Höhe von knapp 152 Mio € wegen Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung nach Art 82 EG verhängt (siehe dazu die Presseaussendung und ein Memo der Kommission). Der Entscheidung liegt zugrunde, dass Telefónica zwischen September 2001 und Dezember 2006 die Marge zwischen dem Endkundenpreis für ihre Breitbandprodukte und dem Vorleistungspreis, zu dem Wettbewebern Breitbandzugang gewährt wurde, zu niedrig gehalten hat. Mit anderen Worten: auch ein effizienter Betreiber, der wholesale broadband access von Telefónica kaufte, konnte auf dem Endkundenmarkt mit Telefónica nicht konkurrieren.
Es ist nicht der erste Incumbent, der wegen eines derartigen Missbrauchs von der Kommisison als europäischer Wettbewerbsbehörde gestraft wurde, aber es ist die bislang höchste verhängte Geldbuße. Schon 2003 wurde die Deutsche Telekom mit einer Geldbuße von 12,6 Mio € belegt, weil sie beim entbündelten Zugang zur Teilnehmeranschlussleitung "margin squeeze" praktizierte (Presseaussendung der Kommission; Text der Entscheidung im Amtsblatt). Die dagegen von der Deutschen Telekom erhobene Klage ist noch immer beim Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften anhängig, bislang wurde erst ein Beschluss über den Zugang zu vertraulichen Dokumenten gefasst.
Anders in der Sache Wanadoo (France Télécom), in der ein Preismissbrauch durch Unterkostenpreise auf Endkundenmärkten festgestellt und ein Bußgeld von 10,35 Mio Euro verhängt wurde (Presseaussendung der Kommission, Text der Entscheidung im Amtsblatt). In dieser Sache hat das EuG bereits entschieden und die Entscheidung der Kommission bestätigt (30.1.2007, T-340/03).
Aus österreichischer Sicht ist an der aktuellen Entscheidung der Kommission auch interessant, dass ihr auch eine Statistik über die (Endkunden-)Kosten von ADSL zugrundeliegt, in der Spanien die höchsten Kosten aufwies - gleich nach Spanien kommt in dieser Statistik (siehe Bild oben - draufklicken zum Vergößern): Österreich.

Thursday, February 01, 2007

Breitband und Dialektik

Das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften hat mit Urteil vom 30.1.2007, Rs T-340/03, eine Klage der France Télécom SA gegen die Kommission abgewiesen. Mit der Klage wollte die France Télécom die Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission (COMP/38.233) erreichen, mit der ihr (bzw dem Vorgänger-Unternehmen Wanadoo Interactive) aufgetragen worden war, einen festgestellten Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt für den Breitband-Internetzugang für Privatkunden abzustellen. Die Kommission war im Verfahren zum Ergebnis gekommen, dass Wanadoo Interactive Verdrängungspreise festgelegt hatte.

Im Urteil des Gerichts wird unter anderem auch auf das Argument, wonach es sich beim Breitbandmarkt im Betrachtungszeitraum (etwa 2001 bis 2002) um einen sich erst herausbildenden Markt gehandelt habe, eingegangen. Das Gericht hält dazu fest, dass der relevante Markt im März 2001 "mit Sicherheit bereits das Entstehungs- oder Erprobungsstadium überschritten hatte." Dass es sich um einen in starkem Wachstum begriffenen Markt handelte, schließt die Anwendung der Wettbewerbsregeln nicht aus.

Bemerkenswert ist die Argumentation der France Télécom, soweit ihr interne Schriftstücke vorgehalten wurden, in denen wiederholt von einer "Vereinnahmung des ADSL-Marktes" die Rede war. Solche "informellen und spontanen, um nicht zu sagen unüberlegten Äußerungen" würden nur "die Dialektik des Entscheidungsprozesses" widerspiegeln (Rz 201 des Urteils). Das Gericht hält es freilich für zweifelhaft, dass Führungskräfte des Unternehmens "spontan und unüberlegt" gehandelt hätten, stammten einige der Äußerungen doch aus förmlichen Präsentationen für Entscheidungsorgane.