Der Vorsitzende des ORF-Stiftungsrates (er wird,
nach eigenen Angaben, "in der österreichischen Beratungsbranche als Kommunikationsexperte geschätzt") ist dieser Tage wieder einmal sehr kommunikativ. Er führt nicht nur (ich hoffe, es gibt dafür einen Auftrag des Stiftungsrates) "sehr ruhig und sehr unaufgeregt"(!) Gespräche mit Kandidatinnen und Kandidaten für die Funktion des ORF-Generaldirektors/der ORF-Generaldirektorin, sondern
erzählt das auch Christoph Silber vom Kurier in einem längeren Interview; außerdem hat er mal wieder
mit Harald Fidler vom Standard gesprochen. Eine seiner Ideen für die - erst Ende Juni 2026 vorzunehmende - Ausschreibung der Generaldirektor*innen-Funktion ist eine Cooling Off-Phase für Kandidat*innen aus anderen Medienunternehmen, und außerdem will er - sehr zu recht - "klare Anforderungsprofile" in der Ausschreibung.
Wo bleibt das EMFG-Begleitgesetz?
Das
ORF-Gesetz, wie es derzeit in Geltung steht, gibt das aber noch nicht her. Das muss freilich nicht so bleiben, und tatsächlich darf es auch nicht so bleiben: denn Art. 5 des
Europäischen Medienfreiheitsgesetzes, der seit 8. August 2025 gilt, sieht vor, dass
"[d]er Geschäftsführer oder die Mitglieder des geschäftsführenden Gremiums von öffentlich-rechtlichen Mediendiensteanbietern [...] auf der Grundlage von transparenten, offenen, wirksamen und nichtdiskriminierenden Verfahren und transparenten, objektiven, nichtdiskriminierenden und verhältnismäßigen Kriterien ernannt [werden], die auf nationaler Ebene vorab festgelegt wurden." Zudem müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen,
"dass die Verfahren für die Ernennung und die Entlassung des Geschäftsführers oder der Mitglieder des geschäftsführenden Gremiums von öffentlich-rechtlichen Mediendiensteanbietern darauf abzielen, die Unabhängigkeit öffentlich-rechtlicher Mediendiensteanbieter zu gewährleisten."
Der österreichische Gesetzgeber hat also Handlungsbedarf, und er hätte entsprechende Begleitregelungen im ORF-Gesetz bis 5. August 2025 in Kraft setzen müssen. Ein informeller Ministerialentwurf für ein "EMFG-Begleitgesetz" dazu war bereits Anfang 2025 im Umlauf - bis er für die
Begutachtung zurechtgemacht und freigegeben wurde, dauerte es dann noch bis September, und seit 17. Oktober ist die Begutachtungsfrist zu Ende. Seither: Stille. Keine Regierungsvorlage, und auch keine Initiative im Parlament, um diese längst überfälligen Regelungen auf den Weg zu bringen. Es wird auch nicht kommuniziert, woran die Koordinierung in der Bundesregierung scheitert, Vermutungen gibt es manche (denn es geht nicht nur um den ORF, sondern zB auch um Änderungen im Medienkooperations- und -förderungs-Transparenzgesetz, das für die "Regierungswerbung" von Bedeutung ist).
Im Ministerialentwurf für das EMFG-Begleitgesetz war vorgesehen, dass die Ausschreibung im Wesentlichen die mit der ausgeschriebenen Funktion verbundenen Aufgaben und die erwarteten "besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten" zu enthalten hat (und mit welcher Gewichtung die besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten bei der Beurteilung der Eignung zu berücksichtigen sind). Zusätzlich war vorgesehen, dass der Stiftungsrat in seiner Geschäftsordnung näher festzulegen hat, "mit welchen organisatorischen Maßnahmen und Vorkehrungen auch zur Information der Öffentlichkeit ein transparentes, offenes, wirksames und nichtdiskriminierendes Verfahren zur Bestellung der Direktorinnen bzw. Direktoren sowie der Generaldirektorin bzw. des Generaldirektors sichergestellt wird."
Es soll daher tatsächlich neue Regeln für die Ausschreibung und Bestellung (und übrigens auch für die Abberufung) des ORF-Generaldirektors/der ORF-Generaldirektorin geben, aber zunächst durch den Gesetzgeber, und sodann durch eine Änderung der Geschäftsordnung des Stiftungsrates. Es wäre also langsam an der Zeit, die notwendigen gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, um eine unionsrechtskonforme Ausschreibung sicherzustellen. Das ist auch das Spannende an der nächsten GD-Ausschreibung und -Bestellung: sie ist erstmals nicht nur am innerstaatlichen (Verfassungs-)Recht zu messen, sondern auch an den unionsrechtlichen Vorgaben des Europäischen Medienfreiheitsgesetzes.
Kurzer Einschub anstelle von Fußnoten: mehr dazu kann man nachlesen in einem Beitrag von mir in Grabenwarter/Holoubek/Leitl-Staudinger (Hrsg), European Media Freedom Act; auch die verantwortlichen Legist*innen für das EMFG-Begleitgesetz haben bereits Beiträge veröffentlicht (Michael R. Kogler in JRP 2024, 322; Julia Zöchling in Medien und Recht 2025, 207); diese Texte sind online nicht frei zugänglich.
Im Kern ist unstrittig, was im EMFG-Begleitgesetz jedenfalls zu regeln ist; unterschiedliche Ansichten bestehen zwischen Zöchling und mir im Hinblick auf die Reichweite der Neuregelung: soll nur der/die Generaldirektor*in erfasst sein (so Zöchling) oder auch die gesamte vom Stiftungsrat zu bestellende Führungsebene inklusive Direktor*innen und Landesdirektor*innen (meine Auffassung)? Für die Sichtweise Zöchlings spricht der reine Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 EMFA, der vom "Geschäftsführer" spricht, was in der Regel [nur] die außenvertretungsberechtigte Person bezeichnet, und beim ORF ist der/die Generaldirektor*in tatsächlich allein außenvertretungsbefugt. Für eine weitere Sichtweise spricht meines Erachtens hingegen die Zielsetzung des EMFA, wie sie in diesem Zusammenhang insbesondere auch in Erwägungsgrund 31 zum EMFA zum Ausdruck kommt, wonach dies Personen betrifft, "die innerhalb des öffentlich-rechtlichen Mediendiensteanbieters eine Rolle bei der Bestimmung der redaktionellen Ausrichtung spielen oder diesbezüglich die Entscheidungshoheit haben." Der Ministerialentwurf zum EMFA-Begleitgesetz hat diesbezüglich einen Mittelweg gewählt und zwar die Direktor*innen einbezogen, nicht aber die Landesdirektor*innen. Was der Gesetzgeber tun wird, wenn er denn etwas tun wird, bleibt abzuwarten. Die innerstaatlichen verfassungsgesetzlichen Unabhängigkeitserfordernisse gelten selbstverständlich für alle Ebenen.
Nebenabsprachen, nächste Runde?
Beim Interview mit dem ORF-Stiftungsratsvorsitzenden hat der Kurier heute auch eine Info-Box mit "Daten zur ORF-Wahl"
veröffentlicht, aus der das obige Bild stammt (warum mich der Begriff "Wahl" in diesem Zusammenhang irritiert, habe ich vor 15 Jahren
schon einmal in diesem Blog erklärt). Demnach soll es eine Nebenabsprache zum Koalitionsvertrag geben, wonach
"die ÖVP den ORF-Generaldirektor sowie Direktoren für Finanzen und Technik vorschlagen [darf], die SPÖ jene für Programm und Radio." Im schriftlichen Regierungsübereinkommen steht dazu nichts (gut so, denn eine solche Vorgangsweise wäre rechtswidrig), aber auch der stets wohlinformierte Medienjournalist Harald Fidler
schreibt von einem entsprechenden "Besetzungsschlüssel" (der zwischen ÖVP und SPÖ - ohne NEOS - vereinbart worden sei).
Interessant ist vor diesem Hintergrund jene Passage im Interview mit dem ORF-Stiftungsratsvorsitzenden, in der er mitteilt, er gehe davon aus,
"dass, wer auch immer sich der Abstimmung stellt, die wichtigsten Player im Team bekannt gibt." Es sei
"ohne Zweifel wichtig zu wissen, wer die Vorstellungen der nächsten Alleingeschäftsführung mit umsetzen soll." Man könnte fast meinen, da wäre jemandem wichtig, dass ein entsprechendes Personalpaket bereits vor der GD-Bestellung akkordiert wird. Personalabsprachen mit Stiftungsratsmitgliedern soll es bei einem früheren Generaldirektor übrigens
auch schon gegeben haben (oder
auch nicht, je nach Interviewzeitpunkt).
Zur grundsätzlichen Problematik von "Sidelettern" (oder ähnlichen Nebenvereinbarungen) betreffend den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verweise ich auf
diesen Beitrag hier im Blog.
Pensionistenverband, Seniorenbund, ÖVP-Senioren - alles gleich, oder?
Der ORF-Stiftungsratsvorsitzende wurde im Kurier-Interview auch auf die Problematik der rechtskonformen Zusammensetzung des ORF-Publikums- und -Stiftungsrates angesprochen (siehe im Blog dazu
hier,
hier,
hier und
hier). Wörtlich sagt er dazu:
"Um Gertrude Aubauer und Beatrix Karl die Ehre zu geben, sie haben allein schon auf den Anschein eines Verstoßes gegen das ORF-Gesetz reagiert. Sie haben sich selbst aus dem Publikumsrat zurückgezogen und nie am Stiftungsrat teilgenommen, obwohl Aubauer später sogar vom Verwaltungsgericht zugestanden bekommen hat, dass der Pensionistenverband keine Teilorganisation der ÖVP ist."
Natürlich ist es zunächst einmal lustig, wenn er Aubauer dem Pensionistenverband zurechnet, der gemeinhin nicht im Verdacht steht, ÖVP-nah oder gar eine ÖVP-Teilorganisation zu sein. Aber tatsächlich hat er wohl den Seniorenbund gemeint, denn zu diesem gibt es eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach dieser Verein keine ÖVP-Teilorganisation im Sinne des Parteiengesetzes sei (die Entscheidung selbst ist anonymisiert, nicht aber die Pressemitteilung). Diese Entscheidung ist aber hier völlig irrelevant: denn Gertrude Aubauer war zwar auch Vizepräsidentin des Seniorenbundes, aber zugleich Vizepräsidentin der ÖVP-Senioren, und die ÖVP-Senioren sind unstrittig eine Teilorganisation der ÖVP. Aubauer war daher - wegen der leitenden Funktion bei den ÖVP-Senioren - von der Mitgliedschaft in ORF-Gremien ausgeschlossen.
Was als nächstes zur Frage führt, welche Folgen eine rechtswidrige Bestellung zum Mitglied eines ORF-Gremiums hat. Dazu habe ich schon in diesem Blogbeitrag (unter der Zwischenüberschrift "Überprüfung des Bestellungsakts?") bzw. ausführlicher in diesem Blogbeitrag (unter der Zwischenüberschrift: "Nachtrag: zu den Rechtsfolgen einer gesetzwidrigen Bestellung von Publikumsratsmitgliedern") geschrieben. Die dort angesprochene "dritte Variante", nämlich die Gesetzwidrigkeit der einschlägigen Regelungen im ORF-Gesetz, ist inzwischen vom VfGH (teilweise bzw. soweit sie angefochten waren) bestätigt worden (dazu hier und hier). Die "erste Variante" (eine Überprüfung der von der Bundesregierung bzw. - damals - von der Medienministerin vorgenommenen Bestellungsakte durch die KommAustria) ist nach Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes vom Tisch. Noch offen ist damit die "zweite Variante": die inzidente Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Bestellungsvorgänge im Fall von Beschlüssen der ORF-Organe (dazu enthält die jüngste Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes keine Aussage, weil die dortige Revision im Hinblick auf die Frage, ob bestimmte Beschlüsse der ORF-Organe wegen der Teilnahme ausgeschlossener Mitglieder rechtmäßig zustande gekommen waren, kein Zulässigkeitsvorbringen enthielt).
Der Stiftungsrat hat insoweit "gefährdete" Beschlüsse seither - in neuer Besetzung - wiederholt. Aber vergleichbare Fragen könnten sich auch stellen, falls der nächste Generaldirektor/die nächste Generaldirektorin noch auf Bass einer unionsrechtlich mangelhaften Rechtslage bestellt werden sollte. Auch aus diesem Grund wäre es dringend, das EMFG-Begleitgesetz bald auf den Weg zu bringen und noch vor Juni 2026 zu beschließen.
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