Thursday, May 22, 2025

Publikumsrat und Politik - die Show geht weiter

Am 5. Juni 2025 soll der - nach der Änderung des ORF-Gesetzes mit BGBl I 2025/16 - neu bestellte Publikumsrat des ORF zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommen. In dieser Sitzung ist gemäß § 45 Abs. 12 ORF-G auch "der Beschluss über die vom Publikumsrat zu bestellenden [neun] Mitglieder des Stiftungsrates zu fassen."

Andreas Herz, der in den letzten Tagen vom Dachverband der Sozialversicherungsträger zum Mitglied des Publikumsrates bestellt wurde (siehe zB hier), wird bei der konstituierenden Sitzung am 5. Juni wohl nicht dabei sein [Update 22.05.2025, 13 Uhr: tatsächlich wurde die Bestellung nun vom Dachverband "zurückgezogen"]. Über die Gründe dafür hat Harald Fidler im Standard schon geschrieben (hier - auch unter Bezugnahme auf ein Posting von mir auf BlueSky - und hier). In diesem Blogbeitrag möchte ich kurz die rundfunkrechtliche Lage darstellen.

Wie kommt der Dachverband der Sozialversicherungsträger ins ORF-Gesetz?

Die Bestellung der (nunmehr) 28 Mitglieder des Publikumsrates erfolgt teilweise durch die Bundesregierung, die 14 Mitglieder aufgrund von Vorschlägen repräsentativer Einrichtungen bestellt (wie das gelaufen ist, habe ich ausführlich hier beschrieben). Die 14 weiteren Mitglieder sind direkt von ausdrücklich im Gesetz genannten Einrichtungen zu bestellen.

Dieses Gleichgewicht - 14 von der Regierung und 14 direkt bestellte Mitglieder - wurde mit der letzten Novelle zum ORF-Gesetz eingeführt. Damit sollte den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofes Genüge getan werden, der die früher vorgesehene Bestellung von 17 Mitgliedern durch den Bundeskanzler (bzw. die Medienministerin) aufgehoben hat - dies unter anderem mit der Begründung, dass dadurch den von einem obersten staatlichen Organ bestellten Mitgliedern "ein Übergewicht in der Zusammensetzung des Publikumsrates" zugekommen ist. Der VfGH hat dazu (in Rn. 112 des "Gremien-Erkenntnisses") Folgendes festgehalten:

"Im Hinblick auf die Unabhängigkeitsanforderungen des Art. I Abs. 2 BVG Rundfunk muss der Gesetzgeber die diesbezügliche Regelung so austarieren, dass der unmittelbare Einfluss gesetzlich festgelegter repräsentativer Einrichtungen sich jedenfalls im selben Ausmaß in der Zusammensetzung des Publikumsrates niederschlägt wie der eines obersten staatlichen Organs, das (zwar in Bindung an verfassungsrechtliche Vorgaben, aber doch) mit einem Auswahlspielraum aus Vorschlägen repräsentativer Einrichtungen bzw. Organisationen Mitglieder dieses Leitungsorgans bestellt."

Also hat der Gesetzgeber die bisher 17 vom Bundeskanzler zu bestellenden Mitglieder auf 14 von der Bundesregierung zu bestellende Mitglieder verringert, und die Anzahl der von "gesetzlich festgelegten repräsentativen Einrichtungen" zu bestellenden Mitglieder von 13 auf 14 erhöht.

Dazu musste man freilich noch eine neue "repräsentative Einrichtung" finden und ins Gesetz schreiben - und dabei kam man auf den Dachverband der Sozialversicherungsträger. Das ist an sich keine absurde Idee, denn immerhin sind in Österreich 99,9% der Bevölkerung in irgendeiner Form sozialversichert, und der Dachverband ist gewissermaßen die "Dachorganisation" aller Sozialversicherungsträger (eigentlich ist es deutlich komplizierter, denn der Dachverband hat ganz spezifische gesetzlich festgelegte Aufgaben, aber wenn man eine Einrichtung finden möchte, die irgendwie alle Sozialversicherten repräsentieren könnte, kann einem schon der Dachverband einfallen).

§ 28 Abs. 3 ORF-Gesetz lautet daher nunmehr (Hervorhebung hinzugefügt):

"Der Publikumsrat ist wie folgt zu bestellen:
  1. die Wirtschaftskammer Österreich, die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs, die Bundesarbeitskammer, der Österreichische Gewerkschaftsbund sowie der Dachverband der Sozialversicherungsträger bestellen je ein Mitglied;
  2. die Kammern der freien Berufe bestellen gemeinsam ein Mitglied;
  3. die römisch-katholische Kirche bestellt ein Mitglied;
  4. die evangelische Kirche bestellt ein Mitglied;
  5. fünf Mitglieder werden durch die Rechtsträger der staatsbürgerlichen Bildungsarbeit im Bereich der politischen Parteien (§ 1 Abs. 1 PubFG, BGBl. Nr. 369/1984) bestellt, wobei jeder Rechtsträger durch mindestens eine von ihm bestellte Person im Publikumsrat vertreten sein muss;
  6. die Akademie der Wissenschaften bestellt ein Mitglied."

Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass diese Auswahl gesetzlich bestellungsberechtigter Einrichtungen vom VfGH nicht geprüft wurde, weil diese Bestimmung (damals noch ohne dem Dachverband) vor dem VfGH nicht angefochten war. An der Repräsentativität der hier genannten Einrichtungen bestehen erhebliche Zweifel. die man nur beispielsweise daran festmachen kann, dass zwar römisch-katholische und evangelische Kirche vertreten sind, nicht aber auch andere Religionsgemeinschaften oder nicht religiös affiliierte Personen, oder dass zwar alle in Kammern zusammengefassten Personen vertreten sind, nicht aber die nicht kammerzugehörigen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes usw.

Unvereinbarkeitsbestimmungen

Für alle Mitglieder der Gremien des ORF bestehen ausdrückliche Unvereinbarkeitsbestimmungen, so auch nach § 28 Abs. 2 ORF-G für den Publikumsrat. Nach § 28 Abs. 2 Z 4 ORF-G dürfen dem Publikumsrat nicht angehören (Hervorhebung hinzugefügt):

"Mitglieder der Bundesregierung, Staatssekretäre, Mitglieder einer Landesregierung, Mitglieder des Nationalrates, des Bundesrates oder sonst eines allgemeinen Vertretungskörpers oder des Europäischen Parlaments, ferner Personen, die Angestellte einer politischen Partei sind oder eine leitende Funktion einer Bundes- oder Landesorganisation einer politischen Partei bekleiden sowie Volksanwälte, der Präsident des Rechnungshofes und Personen, die eine der genannten Funktionen innerhalb der letzten vier Jahre ausgeübt haben;"

Die Frage, was unter einer leitenden Funktion in einer Bundes- oder Landesorganisation einer politischen Organisation zu verstehen ist, hat der VfGH - zumindest implizit - schon beantwortet. Im "Gremien-Erkenntnis" hat er nämlich an den Beginn der Ausführungen in der Sache (ab Rn. 31) eine Übersicht über die maßgebliche Rechtslage gestellt, in der er (in Rn. 36) auch auf die Ausschlussgründe eingeht (dort betreffend den Stiftungsrat, aber dieser Ausschlussgrund gilt ebenso für den Publikumsrat). In Rn. 36 dieses VfGH-Erkenntnisses heißt es:

"Leitende Funktionäre sind Personen, denen auf Grund der Statuten 'Einfluss auf die Entscheidungen eines Organs einer Bundes- oder Landesorganisation einer politischen Partei zukommt', also etwa stimmberechtigte Mitglieder im Parteivorstand (Kogler/Traimer/Truppe, aaO, § 20 ORF-G, zu Abs. 3)."

Der VfGH nimmt damit auf, was Kogler/Traimer/Truppe im Kommentar zu den österreichischen Rundfunkgesetzen (4. Auflage 2018) schreiben. Damit ist das nicht mehr "nur" eine Kommentarmeinung (wenngleich Kogler/Traimer/Truppe auch nicht nur ein beliebiger Kommentar , sondern der Kommentar zum österreichischen Rundfunkrecht ist), sondern auch Ansicht des VfGH. Wer stimmberechtigtes Mitglied im Parteivorstand einer Bundes- oder Landesorganisation einer politischen Partei ist, darf daher dem Publikumsrat nicht angehören.

LPO-Stv. Andreas Herz

Der Dachverband bestellte Andreas Herz, Obmann der PVA (einer von zwei) und stellvertretender Vizepräsident der Wirtschaftskammer Steiermark (und Multifunktionär in der Wirtschaftskammer) zum Mitglied des Publikumsrates.

AberAndreas Herz hat auch eine leitende Funktion in der steirischen Volkspartei. Er wurde im September 2022 zu einem der sechs Stellvertreter des (damaligen) Landesobmanns der steirischen Volkspartei gewählt (Bericht auf der Website der steirischen Volkspartei; Foto vom Parteitag). Ich habe gestern herauszufinden versucht, ob er diese Funktion aktuell noch hat, aber bemerkenswerterweise sind auf der Website der steirischen Volkspartei die Namen der Parteivorstandsmitglieder (oder auch nur der Stellvertreter des Landesparteiobmanns/der Landesparteiobfrau) nicht zu finden, dort zählt offenbar nur, wer ein Mandat oder ein öffentliches Amt hat (unter dem Reiter "Unser Team" sind nur Landeshauptmann-Stellvertreterin, Landesräte, Landtagsabgeordnete, Staatssekretärin, Nationalratsabgeordnete, Bundesräte und ein Mitglied des EU-Parlaments zu finden) oder bei der Partei angestellt ist. Nur auf der Unterseite des Ortsparteivorstands Söding - St. Johann (von dort ist auch der obige Screenshot) findet man einen Hinweis darauf, dass Andreas Herz auch noch "LPO-Stv." ist.

Nach dem Statut der steirischen Volkspartei gehören "die Stellvertreterinnen/Stellvertreter der Landesparteiobfrau/des Landesparteiobmannes" dem Landesparteivorstand (mit beschließender Stimme) an, ebenso dem Landesparteipräsidium.

Ich habe den Dachverband kontaktiert, weil ich sichergehen wollte, dass es nicht vielleicht eine zufällige Namensgleichheit ist und eigentlich ein anderer Andreas Herz bestellt wurde. Zudem wollte ich wissen, aus welchem Grund der Dachverband seine Bestellung als mit § 28 Abs. 2 Z 4 ORF-Gesetz vereinbar ansieht. Antwort des Dachverbands: "die Unvereinbarkeitsbestimmungen waren bekannt. Die konkrete Eignung von Andreas Herz wird nunmehr geprüft."

Das ist eine interessante Antwort. Nicht nur, weil ich davon ausgehen würde, dass man die Eignung eigentlich vor der Bestellung prüft (es geht übrigens gar nicht um die Eignung, sondern um das Vorliegen von Ausschlussgründen; die Eignung würde ich nicht in Zweifel ziehen, wahrscheinlich könnte der Publikumsrat einen wahren Meister der Resilienz ganz gut vertragen). Sondern weil es da offenbar jemanden gegeben hat, der die Unvereinbarkeitsbestimmungen kannte, und dennoch Herrn Herz bestellt hat - das kann dann wohl nur daran liegen, dass die Funktion von Herrn Herz als stellvertretender Landesparteiobmann nicht bekannt war und man ihn zum Vorliegen von Ausschließungsgründen auch nicht gefragt hat.

Und jetzt?

Das Spannende an der aktuellen Situation ist nicht so sehr, dass hier ein Gremienmitglied bestellt wurde, das kraft Gesetzes von der Mitgliedschaft ausgeschlossen ist (rechtswidrige Bestellungsvorgänge sind beim Publikumsrat nichts Neues). Juristisch interessant und heikel sind die Konsequenzen: der Bestellungsvorgang durch den Dachverband als solcher ist nicht (behördlich oder gerichtlich) überprüfbar. Jedenfalls überprüfbar ist aber die Beschlussfassung des Publikumsrates über die Bestellung der Mitglieder des Stiftungsrates. Der VfGH schreibt dazu in Rn. 74 des "Gremien-Erkenntnisses", wieder und Bezugnahme auf Kogler/Traimer/Truppe (Hervorhebung hinzugefügt):

"Einer pluralistischen Zusammensetzung des Stiftungsrates soll sodann grundsätzlich die Bestellung von Mitgliedern des Stiftungsrates durch den Publikumsrat Rechnung tragen, ist der Publikumsrat doch erstens selbst nach Grundsätzen gesellschaftlicher Repräsentation zusammengesetzt, zweitens mit den rundfunkverfassungsrechtlichen Unabhängigkeitsgarantien ausgestattet und drittens – anders als die Bundesregierung oder die Länder – bei seiner Bestellung von Mitgliedern des Stiftungsrates der Rechtskontrolle durch die KommAustria unterworfen (vgl. Kogler/Traimer/Truppe, aaO, § 35 ORF-G, zu Abs. 1 bzw. § 37 ORF-G, zu Abs. 2)."

Ich gehe davon aus, dass niemand das Risiko, die Beschlussfassung über die vom Publikumsrat zu bestellenden Mitglieder des Stiftungsrates mit Rechtswidrigkeit zu belasten, eingehen möchte. Der Dachverband wird sich also noch einmal - und diesmal gründlicher - überlegen müssen, welches Mitglied er für den Publikumsrat bestellt. [Update 22.05.2025, 13 Uhr: die Bestellung wurde vom Dachverband "zurückgezogen"]

PS: Über die Konsequenzen rechtswidriger Bestellungsvorgänge - siehe dazu auch schon in diesem Blogbeitrag (unter der Zwischenüberschrift "Überprüfung des Bestellungsakts?") bzw. ausführlicher in diesem Blogbeitrag (unter der Zwischenüberschrift: "Nachtrag: zu den Rechtsfolgen einer gesetzwidrigen Bestellung von Publikumsratsmitgliedern") möchte ich bei Gelegenheit, wenn ich einmal mehr Zeit habe, einen vertieften Beitrag für eine Fachzeitschrift schreiben - da stellen sich einige spannende Fragen zwischen öffentlichem (Rundfunk- und Verfahrens-)Recht und Gesellschaftsrecht. Für die aktuelle Bestellung des Dachverbands aber braucht man nicht mehr länger nachzudenken: hier ist das Problem so klar, dass es jedenfalls rasch gelöst werden kann (und muss, um nicht die ganze Neuaufstellung der ORF-Gremien zu gefährden).

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