Ein Oberstleutnant der Bundeswehr hatte einen Artikel mit dem Titel "Geist oder Ungeist der Generalität" publiziert, in dem er der deutschen Generalität "Opportunismus, Feigheit, Skrupellosigkeit" vorwarf, außerdem hätte sie nicht "auch nur einen Funken Ehrgefühl sowie Rechts- und Moralbewußtsein im Leibe". Der Offizier beschwerte sich wegen der über ihn deshalb verhängten Disziplinarstrafe von € 750 beim EGMR, der die Beschwerde mit Entscheidung vom Entscheidung vom 14.09.2010, Rose gegen Deutschland (Appl. Nr. 51001/07), als unzulässig, weil offensichtlich unbegründet, beurteilt. Der Beschwerdeführer sei nicht wegen der geäußerten Meinung, sondern wegen der Angriffe auf die Ehre und den guten Ruf seiner vorgesetzten Offiziere, die geeignet gewesen seien, das Funktionieren der Bundeswehr schwer zu stören, sanktioniert worden; auch sei die Disziplinarstrafe moderat ausgefallen. Dass auch ein Offizier das Recht hat, die Heeresführung - auch übertrieben und polemisch - zu kritisieren, hatten schon die deutschen Gerichte anerkannt (übrigens gibt es auch in Sachen Meinungsäußerungsfreiheit und Militär einen österreichischen leading case des EGMR: 19.12.1994, Vereinigung demokratischer Soldaten Österreichs and Gubi v. Austria).
[Update 27.02.2011: Jürgen Rose, Beschwerdeführer im Fall Rose gegen Deutschland, hat mir die von den Rechtsanwälten Prof. Dr. Jörg Arnold und Wolfgang Kaleck verfasste Beschwerde an den EGMR zur Verfügung gestellt, aus der nähere Informationen zum Hintergrund dieser Sache zu entnehmen sind - hier zu lesen.]
Auf die Entscheidung im Fall Rose bin ich bei der Durchsicht einschlägiger Unzulässigkeitsentscheidungen des EGMR aus dem Jahr 2010 gestoßen. Bei weitem nicht alle Verfahren vor dem EGMR enden nämlich mit Urteil: letztes Jahr standen etwa 2607 Urteilen 38.576 Entscheidungen gegenüber, mit denen Beschwerden als unzulässig (weil "manifestly ill-founded") erklärt oder - aus verschiedenen Gründen - aus dem Register gestrichen wurden. Das betrifft natürlich auch Fälle, in denen Verletzungen des Art 10 EMRK geltend gemacht werden - und so muss man, um einen guten Überblick über die Strassburger Rechtsprechung zu behalten, von Zeit zu Zeit auch diese Entscheidungen durchsehen (der Begriff "Entscheidungen" wird hier nicht als Überbegriff, sondern als Fachbegriff im Unterschied zu den "Urteilen" verwendet).
Die Art 10 EMRK-(Unzulässigkeits-)Entscheidungen für das Jahr 2010 habe ich weiter unten chronologisch zusammengestellt, mit mehr oder weniger knappen Ausführungen bzw. Zitaten zu Sachverhalt und Begründung (Achtung: da die Entscheidungen oft einige Zeit später erst veröffentlicht werden, könnte noch die eine oder andere aus 2010 unveröffentlicht sein; Fälle, in denen Art 10 EMRK zwar in der Beschwerde angesprochen wurde, aber in der Entscheidung keine Rolle gespielt hat, habe ich ebenso ausgelassen wie manche Fälle, in denen die Unzulässigkeit rationae personae [weil den Beschwerdeführern kein Opferstatus zukam] ausgesprochen wurde, wenn dies aus meiner Sicht vollkommen unspannend war). Zwei "Highlights" unter diesen Entscheidungen habe ich im Blog schon vorgestellt (Le Pen, 92.9 Hit FM). Ansonsten findet sich nicht viel Spektakuäres: unglückliche agierende Whistleblower (Balenovic, Bathellier), nicht sauber recherchierende Journalisten (Effecten Spiegel, Litauisches Fernsehen), ein mühsam in Zaum gehaltener Abtreibungsgegner (Annen), ein Serienmörder, der seine Autobiographie nicht veröffentlichen darf (Nilsen) usw. Hier die Details:
21.01.2010, RUKAJ c. GRECE, Appl. no 2179/08: Der Beschwerdeführer, ein in Griechenland lebender albanischer Staatsangehöriger, war bei einem Arbeitsunfall verletzt worden und hatte seinen Arbeitgeber auf Schadenersatz geklagt; in der Folge sandte er zwei Schreiben an die "Fédération internationale des droits de l’homme" und an die Anwaltskammer, in denen er Vorwürfe gegen seine Anwältin vorbrachte (im Wesentlichen, dass sie mit der Gegenseite kooperiert habe). Er wurde wegen Verleumdung zu einer bedingten fünfmonatigen Haftstrafe verurteilt. Aus der Begründung:
"Les juridictions internes, au travers de décisions suffisamment motivées, ont conclu que tous les faits invoqués par le requérant contre E.Z. était mensongers et que, de plus, le requérant en avait conscience. En particulier, la cour d’appel d’Athènes a reconnu que E.Z. avait rempli ses obligations professionnelles envers le requérant tout en respectant les règles déontologiques, qu’elle ne s’était pas concertée avec la partie adverse et qu’elle avait défendu au mieux les intérêts de son client."Der EGMR berücksichtigte auch, dass bis zu seiner Entscheidung, bei der die Probezeit fast abgelaufen war, die bedingte Strafnachsicht nicht widerrufen worden war und für den Beschwerdeführer auch nicht zur Ausweisung aus Griechenland geführt hat.
02.02.2010 INDEX.HI ZRT v. HUNGARY 57005/09: Nichterschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzugs
23.02.2010 TASDEMIR v. TURKEY Appl. no. 38841/07: Verurteilung wegen eines Slogans bei einer Demonstration ("HPG [the armed wing of the PKK] to the front line in retaliation!"), der vom EGMR als "apology of terrorism" beurteilt wurde.
09.03.2010 NILSEN v. THE UNITED KINGDOM Appl no. 36882/05: Ein für sechsfachen Mord und zweifachen Mordversuch Verurteilter will seine in der Haft geschriebene Autobiographie veröfffentlichen; das Manuskript wird von der Gefängnisverwaltung gelesen und nicht an den Verurteilten (aber an seinen Anwalt) reoturniert; die Entscheidung, das Manuskript nicht mehr herauszugeben, wird unter Berufung auf eine einschlägige Rechtsvorschrift, die auf EGMR-Rechtsprechung Bedacht nimmt, begründet; die dagegen angerufenen Gerichte nehmen eine ausreichende Abwägung vor. Das Manuskript selbst lag dem EGMR nicht vor, er stützt sich auf folgende nicht bestrittene Feststellungen des nationalen Gerichts dazu: "the manuscript [...] was rather 'a platform for [the applicant] to seek to justify his conduct and denigrate people he dislikes.' It contained 'several lurid and pornographic passages'. It contained 'highly personal details of a number of the applicant’s offences' and it sought to portray the applicant as a 'morally and intellectually superior being who justifiably holds others in contempt'." Aus der Begründung des EGMR:
"[...] the Court deems it reasonable for the domestic authorities to have considered that the publication of the manuscript would be distressing for surviving victims and for all victims’ families and would provoke a sense of outrage amongst the public. The applicant’s numerous crimes were described by the High Court as 'as grave and depraved as it is possible to imagine', with which description the applicant does not take issue.18.03.2010 FURUHOLMEN v. NORWAY Appl No. 53349/08: unzulässige Medienarbeit eines Anwalts in einem Strafverfahren; zu dieser Entscheidung habe ich seit längerem vor, einen Blogbeitrag unter dem Titel "Litigation PR gone wrong" zu schreiben; vielleicht mache ich das bei Gelegenheit nochmal.
[...] That the perpetrator of such crimes would seek to publish for personal reasons his own account of the killing and mutilation of his victims is an affront to human dignity, one [of] the fundamental values underlying the Convention."
30.03.2010 ANNEN (II) v. GERMANY Appl. nos.2373/07 ; 2396/07: ein Abtreibungsgegner verteilt Flugblätter u.a. mit dem Text "Stoppt rechtswidrige Abtreibungen in der Praxis Dr. K." und "Wussten Sie schon, dass in H. in der Praxis von Dr. K. rechtswidrige Abtreibungen durchgeführt werden?", was ihm auf Grund eines Antrags von Dr. K untersagt wird. In einer weiteren Entscheidung wurde ihm untersagt, Patienten und Passanten in einem näher bezeichneten Gebiet vor der Praxis von Dr. K. anzusprechen und sie auf die Abtreibungen aufmerksam zu machen.Aus der Begründung des EGMR:
"[...] the Court notes, at the outset, that the applicant was not subjected to any criminal sanctions or compelled to revoke any of the statements he had made, but that he was ordered under civil law to desist from repeating certain statements regarding the plaintiff physician’s professional activities and to refrain from addressing passers-by in the vicinity of the latter’s medical practice. The Court concludes that the level of interference with the applicant’s rights was relatively low.20.04.2010 LE PEN c. FRANCE Appl. no 18788/09: siehe dazu schon hier;
Turning to the reasons adduced by the domestic courts the Court notes that, in the first set of proceedings, the courts based their decision on two main considerations: They considered, firstly, that the applicant’s statement that the physician performed 'unlawful abortions', seen from the point of view of an average layperson, could and would normally be understood as implying that the physician’s activities were subject to criminal liability. While accepting the ambiguity of this statement, the Federal Constitutional Court, which gave the final domestic decision, considered that, for the purposes of the civil injunction proceedings, this interpretation which violated the physician’s rights more profoundly was relevant. Secondly, the courts considered that the applicant had produced a so-called 'pillory-effect' by singling out the plaintiff, who had not given him any reasons to do so.
In the second set of proceedings, the civil courts, while also referring to the 'pillory-effect', put an emphasis on the fact that the applicant’s actions, namely his addressing passers-by and presumed patients in the direct vicinity of the physician’s medical practice and to inform them about the latter’s performance of abortions, were likely seriously to disturb the exercise of the physician’s lawful professional activities, which served the interest of public healthcare.
Turning to the content of the applicant’s statement which formed the subject-matter of the first set of proceedings, the Court takes note of the fact that the German law, under Article 218a of the Criminal Court, draws a fine line between abortions which are considered to be 'unlawful', but exempt from criminal liability, and those abortions which are considered as justified and thus 'lawful'. It follows that the applicant’s statement that the physician performed – among others – 'unlawful abortions' was correct from a strictly judicial point of view. However, having regard to the fact that the applicant primarily addressed his statement to laypersons, the Court accepts that the domestic courts also took into account the point of view of a reasonable man with ordinary susceptibility, who would assume that the 'unlawful' abortions were forbidden in a stricter sense and subject to criminal liability.
As regards the second statement, the Court notes that the statement that the physician performed abortions, seen as a statement of fact, was undisputedly correct. The Court notes, however, that the civil courts put an emphasis on the circumstances in which the statement was made, in particular the fact that the applicant approached the physician’s patients in the direct vicinity of his medical practice, thus seriously disturbing the exercise of his professional activities.
The Court further observes that the domestic courts thoroughly assessed the conflicting interests, that is to say the applicant’s right to freedom of expression and the physician’s personality rights as well as his protected interest to pursue his professional activities undisturbed. By doing so, they accepted that the applicant’s statements could claim special protection under the right to freedom of expression as a contribution to a debate of public interest, while also taking into account that the physician had not taken part in the public debate and had not given the applicant any reason to single him out.
The Court finally observes that the domestic courts did not prevent the applicant from generally criticising the performance of abortions in Germany or even from criticising the concerned physician, but clearly defined the concerned statements and the circumstances under which they should not be made.
Having regard to these considerations and to the margin of appreciation accorded to the domestic authorities, the Court is satisfied that the reasons advanced for the interference complained of were 'relevant' and 'sufficient' and 'proportionate to the legitimate aims pursued'."
04.05.2010 EFFECTEN SPIEGEL AG v. GERMANY Appl. no 38059/07 zur Verdachtsberichterstattung: der Effecten-Spiegel erhielt eine Pressemitteilung eines früheren hochrangigen Audi-Mitarbeiters mit Vorwürfen gegen "Mr. P", den Vorstandsvorsitzenden von Audi wurde bis 1992 und von VW von 1993 bis 2002 (unter anderem wurde "Mr. P" vorgeworfen, sich Exklusivvertriebsrechte "offenbar kostenlos unter den Nagel gerissen" zu haben und bestimmte geschäftliche Entscheidungen zugunsten seiner privaten Interessen beeinflusst zu haben). Der Effecten-Spiegel ersuchte Audi (vergeblich) um eine schriftliche Stellungnahme und veröffentlichte dann einen Artikel auf Basis der Pressemitteilung, ergänzt um einen kommentierenden Absatz, in dem festgehalten wurde: "Das Ganze stinkt zum Himmel!" "Mr. P" klagte (wohl rein zufällig in Hamburg) mit Erfolg auf Unterlassung der Verbreitung mehrerer Teile des Artikels. Die Rechtsmittel des Effecten-Spiegel blieben erfolglos. Auch der EGMR erklärte - allerdings nur mehrheitlich - die Beschwerde als unzulässig. Der EGMR hielt fest, dass es um eine Angelegenheit von legitimem öffentlichen Interesse ging, dass eine unzutreffende Tatsachenmitteilung vorlag (sowie ein Werturteil, das auf dieser unzureichenden Faktenbasis aufbaute), und dass die Beschwerdeführerin nicht einmal versucht hatte, die Vorwürfe zu beweisen. Aus der weiteren Begründung des EGMR:
11.05.2010 ATILLA v. TURKEY Appl nos 18139/07 und andere: Bestrafung von (Untersuchungs-)Häftlingen mit "one-month ban on sports activities and conversation in groups" wegen eines kollektiven Hungerstreiks zur Unterstüzung eines politischen Anliegens. Aus der Begründung des EGMR:"The Court must therefore examine whether the research conducted by the applicant company before the publication of the untrue statement of fact was in good faith and complied with the ordinary journalistic obligation to properly verify factual allegations [...]Prior to the publication, that is, six days before the editorial deadline, the applicant company unsuccessfully asked the board of Audi for a written comment. However, the efforts of the applicant company to verify the statements by Mr D. remained limited to that attempt. The applicant company did not obtain the opinion of any other person on the allegations, nor does the article contain any factual information – apart from that supplied by Mr D. – to corroborate the latter's allegations against Mr P. Against this background, the Court finds that the publication of the statements at stake mainly amounted to an uncritical reproduction of Mr D.'s allegations. The Court cannot but agree with the domestic courts in their finding that the applicant company did not sufficiently verify the information prior to publication. [...]As regards the source of the information and its authority, the Court underlines that the applicant company relied on merely one single source, namely Mr D.'s press statement. On the one hand, that source's authority was reinforced by the fact that Mr D. was a former high-ranking employee of Audi and thus an insider. On the other hand, as a former employee Mr D. cannot necessarily be automatically regarded as being neutral and objective. Therefore, it was at least doubtful at the material time whether Mr D. could be regarded as a reliable source of information to the extent that no further verification was necessary. As the applicant company nevertheless limited its efforts to contacting the board of Audi, the Court finds that the way in which the article and the allegations at stake were presented is of crucial importance in the present case. [...] [T]he article did not inform readers of any remaining doubts as to the truth of the allegations, nor did the author present substantial arguments of his own and facts to corroborate those allegations. [...] [T]he Court cannot but agree with the domestic courts' finding that the information in the article was not presented in a reasonably balanced manner, and sees no reason why the applicant company should have been dispensed from its duty to verify properly the information published."
"In the present case, the applicants were disciplined for having breached the prison order [...], rather than for having expressed their opinions. The Court queries whether such a blanket restriction on hunger strikes is compatible with Article 10 of the Convention. Nevertheless, given the particular circumstances of the present case, it does not deem it necessary to determine that question.18.05.2010 UITGEVERSMAATSCHAPPIJ DE TELEGRAAF B.V. AND OTHERS v. THE NETHERLANDS Appl. no. 39315/06: ein Redaktionsgeheimnis-Fall, bei dem nur die Beschwerde der Niederländischen Journalistenvereinigung und der Niederländischen Chefredakteursvereinigung ratione personae (weil sie keinen Opferstatus haben) als unzulässig zurückgewiesen wurden; die Beschwerden der weiteren Beschwerdeführer sind noch anhängig. (Update 23.11.2012: siehe zum Urteil vom 22.11.2012 hier)
The Court notes that moderate disciplinary punishments were imposed by the State in order to prevent or deter the applicants from launching their hunger strikes and to re-establish order in the prison should a campaign of that kind be initiated. On this point, regard must be had to the collective nature of the applicants’ protest, as well as the type of prisoners involved. Many of these prisoners were apparently supporters of the PKK, an illegal armed organisation. The Court considers that a protest of this nature and scale could reasonably have been seen by the prison authorities as a threat to prison order. Moreover, it is of the view that the penalties imposed, involving a one-month ban on the applicants’ sports activities and conversations in groups, cannot be regarded as disproportionate to the legitimate aim pursued, namely the prevention of disorder, within the meaning of Article 10 § 2 of the Convention.
In the light of the foregoing considerations and the specific circumstances of the case, the Court concludes that the interference with the applicants’ freedom of expression does not disclose any appearance of a violation of Article 10 of the Convention."
06.07.2010 LIETUVOS NACIONALINIS RADIJAS IR TELEVIZIJA AND TAPINAS AND CO LTD. v. LITHUANIA Appl. no. 27930/05; in einer Fernsehsendung mit dem Titel "Geld Generation" wird ein versteckt aufgenommens Gespräch zwischen S.J., einem Mitglied der staatlichen Glücksspielkommission und einem Geschäftsmann gezeigt. Der Geschäftsmann bittet S.J. mehrmals um Hilfe, ohne diese Hilfe näher zu spezifizieren oder eine Bezahlung dafür anzubieten. "During the same conversation, S.J. commented on the methods by which the businessman pursued his business. He also commented on certain decisions and actions of the State authorities. The Special Investigation Service concluded that no objective and unquestionable data about any corruption-related criminal activity was disclosed by the video." Auch eine Ethikkommission findet, dass S.J. nicht gegen anwendbares Recht verstoßen, aber sich unpassend (improperly) verhalten habe, da er eine Person, die in illegales Glücksspiel involviert war, konsultiert hatte ohne die Glücksspielkommission davon zu informieren. Der Fernsehsender und ein beteiligter Journalist wurden wegen Rufschädigung verurteilt, wobei S.J. ca. € 290 für immateriellen Schaden und ca. € 1.185 für Verfahrenskosten zugesprochen wurden. Aus der Begrüundung des EGMR:
"Having thoroughly examined the materials presented to it, the Court sees no reason to depart from the domestic courts' view that the applicants' statement ('an influential official and a well-known person openly asks for a bribe...'), which was the central point of the courts' analysis, was essentially factual. Such a statement was, for the Court, susceptible of proof, which the applicants did not offer the domestic courts.07.09.2010 URBAN c. POLOGNE Appl. no 29690/06: Nichterschöpfung des Instanzenzuges
Furthermore, the Court finds that the applicants' accusation about S.J. was serious. The Court shares the domestic courts' view that the applicants' statement was capable of undermining public confidence in the integrity of S.J., as a high-ranking public officer accused of corrupt behaviour.
In assessing the necessity of the interference, it is also important to examine the way in which the domestic authorities dealt with the case. The examination of the Lithuanian court decisions reveals that they recognised that the present case involved a conflict between the right to freedom of expression and the protection of the honour and reputation of others. Thus, the courts acknowledged that the broadcast addressed a matter of interest to society in being kept informed about the behaviour of a public person, a context in which the applicants' freedom of expression was subject to less restriction. However, the national courts noted the bad faith of the first applicant in not taking all reasonable measures to evaluate S.J.'s actions and relying on incorrect and unverified information. Having balanced the relevant considerations, the national courts found no basis for the applicants' serious allegations against S.J., given that the applicants could not provide any information to the domestic courts justifying such accusations.
Having had an opportunity to examine the materials submitted by the parties, the Court shares the Lithuanian courts' view that the applicants lacked a sufficient factual basis for the serious allegation that S.J. had sought a bribe, which is a criminal offence under the Lithuanian law. The domestic courts were thus entitled to consider that there was a 'pressing social need' to take action against the broadcaster [...].
Furthermore, the Court finds the present case distinguishable from other applications under Article 10 of the Convention, involving big awards for non-pecuniary damages [...] or criminal sanctions against the journalists [...]. Again, the Court places emphasis on the fact that, in the present case, the first applicant was sued before the civil courts and was ordered to correct the prejudicial statements publicly and to pay LTL 1,000 (approximately EUR 290) in compensation for non-pecuniary damage, as well as LTL 4,091 (approximately EUR 1,185) in compensation for pecuniary damage, plus litigation costs. In the circumstances of the case, the Court does not find these sanctions excessive."
14.09.2010 ROSE v. GERMANY Appl. no 51001/07: Ein Oberstleutnant der Bundeswehr publiziert einen Artikel mit dem Titel "Geist oder Ungeist der Generalität", in dem er der deutschen Generalität "Opportunismus, Feigheit, Skrupellosigkeit" vorwirft; wörtlich schreibt er: "Hätte die deutsche Generalität auch nur einen Funken Ehrgefühl sowie Rechts- und Moralbewußtsein im Leibe, so hätte der Generalinspekteur im Verein mit seinen Teilstreitkraftinspekteuren sich geweigert, den völkerrechts- und verfassungswidrigen Ordres der rot-grünen Bundesregierung Folge zu leisten". Er wird zu einer Disziplinarstrafe von € 750 verurteilt, da die Äußerungen geeignet gewesen seien, das Funktionieren der Bundeswehr schwer zu stören. Aus der Begründung des EGMR:
"Turning to the circumstances of the instant case, the Court observes that the applicant, a serving high-ranking officer, was fined for having publicly denied his military superiors any 'sense of honour, justice and morals' within the context of a critical article dealing with the process of coming to terms with the army's past and the German generals' role in the Iraq conflict. The domestic courts, while acknowledging that the applicant had the right to express his opinion even in an exaggerated and polemic way, considered that the manner the applicant chose for expressing his opinion, in particular the personal attacks directed against the general officers, exceeded any form of rational criticism and was suited severely to disturb the proper functioning of the Bundeswehr. Furthermore, the Federal Constitutional Court, having carefully balanced the applicant's right to freedom of expression against the general interest in the protection of the proper functioning of the Bundeswehr, considered that the applicant's statements were suited to undermine the generals' authority and thus to jeopardise the army's internal order. It follows that the applicant was not sanctioned for expressing his opinion in a public debate, but for attacking the honour and reputation of his superior officers in a way which was considered suitable to jeopardise the proper functioning of the army.21.09.2010 BIRK-LEVY c. FRANCE Appl. no 39426/06: EMRK verbrieft keine Freiheit der Sprache bzw. der Sprachwahl ("liberté linguistique"); kein Recht, die tahitische Spache in der gesetzgebenden Versammlung von Französisch-Polynesien zu verwenden.
In the light of these circumstances and having regard to the relatively moderate sanction imposed on the applicant, which amounted to a disciplinary fine of 750 euros, the Court considers that the domestic authorities did not overstep the margin of appreciation attributed to them."
30.09.2010 92.9 HIT FM RADIO GMBH v. AUSTRIA Appl. no. 6754/05; siehe dazu schon ausführlicher hier;
30.09.2010 BALENOVIC v. CROATIA Appl. no. 28369/07: Angestellte einer staatlichen Mineralölfirma entdeckt Mängel bei an Dritte vergebenen Mineralöl-Transporten, verständigt ihre Vorgesetzten und den Aufsichtsrat und schlägt vor, selbst die Transporte zu übernehmen; dieser Vorschlag wird nicht angenommen und das Unternehmen schreibt wieder die Vergabe von Transportaufträgen aus. Daraufhin gibt die Beschwerdeführerin einer Zeitung ein Interview und behauptet unter anderem strafrechtlich relevantes Vorgehen des Vorstands. Dies führt zu ihrer Entlassung. Aus der Begründung des EGMR:
"The applicant, however, provided no evidence whatsoever in support of her allegations of criminal conduct on the part of INA's executives. [...] The Court also considers it established that the applicant was motivated by a concern to publicise her own professional grievances rather than by her genuine concern for INA's business interests [...]. The content and the tone of her statements to the press, coupled with the lack of any factual basis for her most serious allegations [...], suggest that they were a petulant reaction to the behaviour of INA's management, which ignored her business proposals. This finding is further corroborated by the fact that the applicant's serious accusations against certain members of INA's management were first made in the press, and that only on 9 May 2001 – that is, after she had been dismissed on that account – did she file a criminal complaint against them with the State Attorney's Office."12.10.2010 BATHELLIER c. FRANCE Appl. no 49001/07; Ein Regionaldirektor eines Energieversorgers äußert gravierende Bedenken gegen die Sicherheit des Stromnetzes in einem Schreiben an den Präfekten des Verwaltungsbezirks; wegen dieses Schreibens wird er schließlich entlassen, dabei wird insbesondere auch die drastische Wortwahl im Schreiben berücksichtigt (zB dass er sich "en butte aux Érinyes" - etwa: im Schussfeld der Rachegöttinnen - bzw in einem heimtückischen System befinde). Der EGMR berücksichtigt unter anderem, dass sich der Beschwerdeführer vor dem Brief an den Präfekten mit dem Anliegen nicht zuerst an seine Vorgesetzten gewandt und dass es sich im Wesentlichen um die Austragung eines persönlichen Konflikts mit den Vorgesetzten gehandelt hat.
12.10.2010 TIMCIUC v. ROMANIA Appl. no 28999/03; ein etwas umfassenderer Fall, dem mehrere Beschwerden zu unterschiedlichen nationalen Verfahren zugrunde liegen. Grob zusammengefasst: Der Beschwerdeführer war früherer Marktamtsdirektor der rumänischen Stadt Satu Mare; unter anderem in mehreren, teilweise auch satirischen Zeitungsartikeln wurde ihm Korruption vorgeworfen und er versuchte dem in mehreren Verfahren gegen die Zeitungen, Zeugen, Sachverständige, Journalisten und Richter zu begegnen; außerdem wurde er von seinem Posten etnlassen und bekämpfte das arbeitsrechtlich und mit Strafnazeigen gegen den Bürgermeister. Er blieb im Wesentlichen erfolglos (auch wenn er - aber nicht durch gerichtliche Entscheidung - wieder als Marktamtsdirektor eingesetzt wurde) und wandte sich an den EGMR. Dieser untersuchte die unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Art 10 EMRK vorgebrachten Beschwerdegründe im Lichte des tatsächlich eher betroffenen Grundrechts auf Schutz der Privatsphäre nach Art 8 EMRK, das auch den guten Ruf schützt (siehe insbesondere den österreichischen Fall Pfeifer; dazu hier).Der EGMR hielt fest, dass es um Vorwürfe der Korruption von Beamten und damit um eine Angelegenheit öffentlichen Interesses ging, dass die Journalisten "in good faith" und auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage (eigene Recherchen, Aussagen der Staatsanwälte, frühere Artikel) berichtet hatten. Journalistische Freiheit schließt auch die mögliche Zuflucht zu einem gewissen Grad an Übertreibung oder Provokation ein. Schließlich stellt der EGMR noch in den Raum, dass das Beschwerdevorbringen offenbar nahe dran war, zu einer Streichung der Beschwerde aus dem Register wegen Missbrauchs des Beschwerderechts war:
"Lastly, the Court reiterates that the documents submitted by the parties in the proceedings before it are public and finds that the applicant's offensive references to the prosecutor, the president of the court and a witness arguably fall short of the standards to be expected in formulation of complaints under the Convention, even given due allowance for legitimate frankness in criticism and the strong feeling that a personal situation may engender".02.11.2010 PETROV v. BULGARIA Appl. no 27103/04; Freispruch eines Publizisten, der einen möglichen Zusammenhang des Beschwerdeführers mit einem Mordanschlag an einem Staatsanwalt ansprach, ist keine Verletzung von Art. 8 oder 10 EMRK; überwiegendes öffentliches Informationsinteresse, sorgfältige Abwägung durch das nationale Gericht.
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