Der Rat (ebenso wie die Kommission, die dem Verfahren auf der Seite des Rats beitrat) hatte Angst, dass bei Gewährung des Zugangs die Unabhängigkeit des juristischen Dienstes gefährdet sein könnte, und er verweigerte den Zugang überdies, weil die Verbreitung der Stellungnahmen "zu einer Unsicherheit über die Rechtmäßigkeit der Rechtsakte führen [könnte], die in der Folge dieser Stellungnahmen beschlossen würden, wodurch die Rechtssicherheit und die Stabilität der Rechtsordnung der Gemeinschaft gefährdet werden könnten". [Das müssen in der Tat bemerkenswerte Rechtsgutachten sein, wenn allein deren Kenntnis die Stabilität der Gemeinschaftsrechtsordnung gefährden könnte!]
Das Gericht erster Instanz schloss sich der Ansicht des Rates und der Kommission an, der EuGH drehte nun die Sache um. In schonungsloser Offenheit erklärt der Gerichtshof, dass die Gefahr nicht von der Transparenz ausgeht, sondern von ihrem Fehlen:
"Erstens ist zu der vom Rat geäußerten Befürchtung, die Verbreitung einer Stellungnahme seines Juristischen Dienstes zu einem Gesetzesvorhaben könne Zweifel an der Rechtmäßigkeit des betreffenden Rechtsakts hervorrufen, festzustellen, dass gerade Transparenz in dieser Hinsicht dazu beiträgt, den Organen in den Augen der europäischen Bürger eine größere Legitimität zu verleihen und deren Vertrauen zu stärken, weil sie es ermöglicht, Unterschiede zwischen mehreren Standpunkten offen zu erörtern. Tatsächlich ist es eher das Fehlen von Information und Diskussion, das bei den Bürgern Zweifel hervorrufen kann, und zwar nicht nur an der Rechtmäßigkeit eines einzelnen Rechtsakts, sondern auch an der Rechtmäßigkeit des Entscheidungsprozesses insgesamt.Und die Befürchtungen betreffend die Unabhängigkeit des Juristischen Dienstes? Das ist allenfalls eine hypothetische Gefahr, meint der EuGH, und selbst wenn es sie gäbe, stünde ein überwiegendes öffentliches Interesse an Transparenz entgegen:
Ferner würde die Gefahr, dass bei den europäischen Bürgern Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines vom Gemeinschaftsgesetzgeber erlassenen Rechtsakts aufkommen, weil der Juristische Dienst des Rates eine ablehnende Stellungnahme zu diesem Rechtsakt abgegeben hat, meist nicht eintreten, wenn dessen Begründung so verbessert würde, dass deutlich würde, warum der ablehnenden Stellungnahme nicht gefolgt wurde." [Rz 59 und 60, Betonung hinzugefügt]
"ein solches überwiegendes öffentliches Interesse [ist] darin zu sehen, dass die Verbreitung von Dokumenten, die die Stellungnahme des Juristischen Dienstes eines Organs zu Rechtsfragen enthalten, die bei der Diskussion über Gesetzesvorschläge aufgeworfen werden, geeignet ist, die Transparenz und die Offenheit des Gesetzgebungsverfahrens zu erhöhen und das demokratische Recht der europäischen Bürger, die Informationen zu überprüfen, auf deren Grundlage ein Rechtsakt ergangen ist, zu stärken". [Rz 67]
Mit dem Hinweis, dass es um die Stellungnahmen des "Juristischen Dienstes eines Organs" geht, macht der EuGH auch klar, dass der Zugang zu Stellungnahmen des juristischen Dienstes insbesondere der Kommission den gleichen Regeln unterliegt.
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