Thursday, July 10, 2008

"Plausible Theorie stillschweigender Koordinierung": EuGH zu Joint Dominance

Die Frage nach dem Vorliegen gemeinsamer Marktbeherrschung ("joint dominance") spielt im Telekommunikationsrecht eine besondere Rolle. Insbesondere in den - nach Art 16 Abs 1 der RahmenRL von den nationalen Regulierungsbehörden weitestgehend zu berücksichtigenden - "SMP-Leitlinien" der Kommission wird ausführlich (Rz 86 bis 106) darauf eingegangen. Der österreichische Gesetzgeber hat die wesentlichen Kriterien für die Beurteilung gemeinsamer beträchtlicher Marktmacht ausdrücklich in § 35 Abs 3 und 4 TKG 2003 festgeschrieben.

Der EuGH hat in seinem heute ergangenen Urteil in der Sache C-413/06 P Bertelsmann und Sony / Impala (der keinen Telekom-Markt, sondern die Märkte für bespielte Tonträger, Online-Musik und das Musikverlagswesen betrifft), das Urteil des Gerichts erster Instanz (T-464/04) wegen mehrerer Rechtsfehler aufgehoben (übrigens entgegen den Schlussanträgen von Generalanwältin Kokott). Einer der Aufhebungsgründe war auch die fehlerhafte Beurteilung der Kriterien für das Vorliegen von joint dominance. Das EuG war von den im Urteil T-342/99 Airtours entwickelten Kriterien ausgegangen - diese "Airtours-Kriterien" wurden so zusammengefasst:
  • „Erstens muss der Markt so transparent sein, dass die beteiligten Unternehmen in ausreichendem Maße überwachen können, ob die Modalitäten der Koordinierung eingehalten werden.
  • Zweitens muss es aus Gründen der Disziplin eine Art Abschreckungsmechanismus gegen Abweichungen vom gemeinsamen Vorgehen geben.
  • Drittens dürfen die Reaktionen von Unternehmen, die sich nicht an der Koordinierung beteiligen, wie z. B. von derzeitigen oder potenziellen Wettbewerbern, oder die Reaktionen von Kunden den voraussichtlichen Effekt der Koordinierung nicht in Frage stellen.“
Diese Kriterien wurden vom EuGH auch akzeptiert, aber an der Anwendung durch das EuG gab es doch etwas zu beanstanden :
"Bei der Anwendung dieser Kriterien darf jedoch nicht mechanisch in einer Weise vorgegangen werden, bei der jedes Kriterium einzeln für sich allein geprüft wird, ohne den wirtschaftlichen Gesamtmechanismus einer unterstellten stillschweigenden Koordinierung zu beachten.
Insoweit dürfte z. B. die Transparenz eines bestimmten Marktes nicht isoliert und abstrakt, sondern müsste in Bezug auf einen Mechanismus einer unterstellten stillschweigenden Koordinierung beurteilt werden. Denn nur bei Berücksichtigung eines solchen Falles lässt sich nachprüfen, ob etwaige Faktoren der Transparenz auf einem Markt tatsächlich dazu geeignet sind, die stillschweigende Festlegung eines gemeinsamen Vorgehens zu erleichtern und/oder es den beteiligten Wettbewerbern zu ermöglichen, in hinreichendem Maße zu überwachen, ob die Modalitäten eines solchen Vorgehens eingehalten werden. In dieser letztgenannten Hinsicht ist es zur Untersuchung, ob eine postulierte stillschweigende Koordinierung von Dauer ist, erforderlich, die Überwachungsmechanismen zu berücksichtigen, die den an dieser Koordinierung Beteiligten möglicherweise zugänglich sind, um nachzuprüfen, ob sie aufgrund dieser Mechanismen etwa mit hinreichender Genauigkeit und Schnelligkeit die Entwicklung des Verhaltens aller anderen an der Koordinierung Beteiligten auf dem Markt in Erfahrung bringen könnten." (Rz 125 u 126)
Der EuGH weist darauf hin, dass die Untersuchung "mit Vorsicht und vor allem im Rahmen eines Ansatzes zu führen [ist], der auf der Analyse der möglichen plausiblen Koordinierungsstrategien beruht." Da das EuG das konkrete Vorbringen im Verfahren "nicht im Hinblick auf einen postulierten Überwachungsmechanismus, der in eine plausible Theorie der stillschweigenden Koordinierung eingebettet ist, analysiert hat", lag ein Rechtsfehler vor, der zur Aufhebung des Urteils führte.

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