Wednesday, October 06, 2010

EuGH: Gesetzgeber als Regulierungsbehörde "nicht grundsätzlich unmöglich" - setzt aber u.a. Rechtsbehelf und Fachwissen, voraus

Der EuGH hat heute zwei belgische Fälle in Zusammenhang mit dem Universaldienst entschieden. In der Rechtssache C-389/08, Base ua / Belgacom weicht der EuGH in der entscheidenden Frage auch von den Schlussanträgen des Generalanwalts ab (zu diesen und näher zu dieser Rechtssache siehe hier). Während nämlich Generalanwalt Pedro Cruz Villalón zum Ergebnis kam, dass die Aufgaben der nationalen Regulierungsbehörde (NRB) nach der Universaldienst-RL 2002/22/EG nicht vom Gesetzgeber ausgeübt werden können, ist der EuGH diesbezüglich deutlich vorsichtiger und erkennbar bemüht, jeden Anschein eines Eingriffs in die nationale institutionelle Autonomie zu vermeiden. Doch auch wenn der EuGH damit zum Ergebnis kommt, "dass es die Richtlinie 2002/22 für sich genommen nicht grundsätzlich untersagt, dass der nationale Gesetzgeber als nationale Regulierungsbehörde im Sinne der Rahmenrichtlinie tätig wird", dürfte dies im Ergebnis kaum einen Unterschied machen, weist der Gerichtshof doch zugleich ausdrücklich auf die weiteren Bedingungen hin, die erfüllt sein müssen, damit der Gesetzgeber als NRB angesehen werden könnte:
"27     Somit kann ein Mitgliedstaat dem nationalen Gesetzgeber die Aufgaben, die nach der Rahmenrichtlinie und der Richtlinie 2002/22 den nationalen Regulierungsbehörden obliegen, nur dann zuweisen, wenn das Gesetzgebungsorgan bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben die organisatorischen und funktionellen Voraussetzungen erfüllt, die diese Richtlinien für die Regulierungsbehörden aufstellen.
28     Insoweit geht aus dem elften Erwägungsgrund der Rahmenrichtlinie hervor, dass die Mitgliedstaaten nach dem Grundsatz der Trennung hoheitlicher und betrieblicher Funktionen die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde(n) garantieren sollten, um die Unparteilichkeit ihrer Beschlüsse sicherzustellen, und dass diese Behörden in Bezug auf Personal, Fachwissen und finanzielle Ausstattung über die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben notwendigen Mittel verfügen sollten.
29      So haben die Mitgliedstaaten nach Art. 3 der Rahmenrichtlinie insbesondere dafür zu sorgen, dass alle den nationalen Regulierungsbehörden übertragenen Aufgaben von einer zuständigen Stelle wahrgenommen werden; außerdem haben sie die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden zu gewährleisten, indem sie dafür sorgen, dass sie rechtlich und funktional von allen Unternehmen unabhängig sind, die elektronische Kommunikationsnetze, ‑geräte oder ‑dienste anbieten, und dafür zu sorgen, dass die Regulierungsbehörden ihre Befugnisse unparteiisch und transparent ausüben. Ferner müssen nach Art. 4 dieser Richtlinie gegen die Entscheidungen der Regulierungsbehörden wirksame Rechtsbehelfe bei einer von den Parteien unabhängigen Beschwerdestelle gegeben sein.
30      Es ist daher festzustellen, dass es die Richtlinie 2002/22 für sich genommen nicht grundsätzlich untersagt, dass der nationale Gesetzgeber als nationale Regulierungsbehörde im Sinne der Rahmenrichtlinie tätig wird, sofern er bei der Erfüllung dieser Aufgabe die in den genannten Richtlinien vorgesehenen Voraussetzungen in Bezug auf Fachwissen, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Transparenz erfüllt und gegen die Entscheidungen, die er im Rahmen dieser Aufgabe erlässt, wirksame Rechtsbehelfe bei einer von den Beteiligten unabhängigen Beschwerdestelle gegeben sind.
31      Es ist daher Sache des Grondwettelijk Hof, zu prüfen, ob der belgische Gesetzgeber, wenn er im Bereich der elektronischen Kommunikationsdienste als nationale Regulierungsbehörde tätig wird, als eine nationale Regulierungsbehörde betrachtet werden kann, die alle in der Rahmenrichtlinie und der Richtlinie 2002/22 aufgestellten Voraussetzungen erfüllt."
Es wird interessant sein, wie der belgische Verfassungsgerichtshof das Vorliegen dieser Voraussetzungen beurteilt, insbesondere ob er der Auffassung ist, dass die bei ihm erhobene Nichtigkeitsklage gegen einen Gesetzesbeschluss - die "von jeglicher natürlichen oder juristischen Person, die ein Interesse nachweist", erhoben werden kann - ein ausreichender Rechtsbehelf im Sinne des Art 4 RahmenRL ist. Besonders spannend scheint mir auch die Prüfung, ob der Gesetzgeber die notwendige Unparteilichkeit und Transparenz sowie das erforderliche Fachwissen aufweist. Bemerkenswert scheint mir, dass die Frage der Notifikation der Regulierungsbehörde an die Kommission (siehe dazu näher in meinem Post zu den Schlussanträgen) nicht angesprochen wird, ganz anders als in den Schlussanträgen.

Für Österreich käme der Gesetzgeber jedenfalls auch in Fragen des Universaldienstes nicht als Regulierungsbehörde in Betracht, hat doch der EuGH schon in der Rechtssache C-462/99 Connect Austria ausgesprochen, dass "ein Beschwerderecht wie das zum Verfassungsgerichtshof, das auf den Fall beschränkt ist, in dem der Beschwerdeführer behauptet, in einem verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrags in seinen Rechten verletzt zu sein," nicht den Anforderungen der Vorgängerbestimmung des Art 4 RahmenRL entspricht.Abgesehen davon wäre im Hinblick auf die Zuständigkeiten des Gesetzgebers bei der Veräußerung von Republikseigentum auch keine Trennung der Aufgaben der "Regulierungsbehörde" von den Aufgaben im Zusammenhang mit der Verwaltung des Eigentums an den Unternehmen gegeben.

Zur Entschädigung für unzumutbare Belastungen aufgrund der Erbringung des Universaldienstes kommt der EuGH zum Ergebnis, dass die Regulierungsbehörde aufgrund von Schätzungen der Nettokosten des Universaldienstes nur eines Betreibers (im vorhinein) zwar davon ausgehen kann, "dass die Bereitstellung dieses Dienstes möglicherweise eine unzumutbare Belastung für die nunmehr zur Erbringung des Universaldienstes benannten Unternehmen" darstellt, dass sie aber nicht schon auf "auf der Grundlage derselben Berechnung" (Schätzung) feststellen kann, "dass diese Unternehmen aufgrund dieser Bereitstellung tatsächlich unzumutbar belastet sind, ohne zuvor eine besondere Untersuchung der Situation jedes dieser Unternehmen vorgenommen zu haben."

Das zweite heutige Urteil erging im Vertragsverletzungsverfahren C-222/08 Kommission/Belgien (siehe auch zu den Schlussanträgen in diesem Verfahren hier); hier kommt der EuGH zum Ergebnis, dass Belgien zwar "mit der Festlegung von Maßstäben, anhand deren zu bestimmen ist, ob die Belastung unzumutbar ist, nicht gegen seine Verpflichtungen aus Art. 12 der Richtlinie 2002/22 verstoßen" hat. Wohl aber liegt eine Vertragsverletzung im Hinblick auf die Modalitäten zur Bestimmung der zu entschädigenden unzumutbaren Belastung vor. Weiters hat Belgien dadurch, dass es die Marktvorteile, einschließlich der immateriellen Vorteile, aus der Bereitstellung des Universaldienstes nicht berücksichtigt hat, gegen die UniversaldienstRL verstoßen. Hingegen konnte die Kommission nicht nachweisen, dass die nationalen Rechtsvorschriften "nicht die Kosten berücksichtigen, die die Unternehmen, die zur Erbringung des Universaldienstes benannt sind, vermieden hätten, wenn die mit diesem Dienst verbundenen Verpflichtungen nicht bestanden hätten."

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