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Tuesday, October 30, 2012

EGMR: Verurteilung wegen unbewiesener Korruptionsvorwüfe gegen Staatsanwalt war keine Verletzung des Art 10 EMRK

In seinem heutigen Urteil im Fall Karpetas gegen Griechenland (Appl. no. 6086/10) hatte sich der EGMR wieder einmal mit heftig vorgetragener Kritik an Justizorganen (einer Richterin und einem Staatsanwalt) zu befassen. Wie vor kurzem im Fall Falter gegen Österreich (Nr. 2) - dazu hier - kam der EGMR auch in diesem Fall zum Ergebnis, dass die Verurteilung des Justizkritikers zu einer Entschädigung ihn nicht in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK verletzt hat.
Vorweg die wesentlichen Lehren aus dem Urteil:
  1. Dass eine gerichtliche Entscheidung aus dem gewohnten Rahmen fällt (hier: dass bei einer Entlassung aus der U-Haft eine außergewöhnlich niedrige Kaution festgesetzt wird), reicht für sich nicht aus, den Entscheidungsorganen ohne Tatsachengrundlage Korruption zu unterstellen. Das legitime Recht, über eine ungerecht erscheinende Entscheidung empört zu sein ("son droit légitime à l’indignation face à une décision qui lui semblait injuste") rechtfertigt dennoch keinen Wertungsexzess.
  2. Was in anwältlichen Schriftsätzen an das Gericht erlaubt ist (auch in eigener Sache, besonders aber in der Verteidigung von MandantInnen), kann exzessiv sein, wenn es in der Presse verbreitet wird.
Das Ausgangsverfahren
Der Beschwerdeführer war Rechtsanwalt und vertrat einen Gläubiger in einem Verfahren über eine Zwangsversteigerung. Der Ehemann der Schuldnerin, H.H., drang mit einem Komplizen in seine Kanzlei ein und verlangte die Schlüssel zum Aktenschrank. Als der Anwalt die Herausgabe verweigerte, attackierten ihn die Eindringlinge und schossen ihm eine Kugel ins Bein. Daraufhin zwangen sie ihn, telefonisch die Versteigerung abzusagen.

Die Polizei verhaftete den - achtfach wegen "Vergehen von gewisser Schwere" (infractions d'une certaine gravité) vorbestraften - H.H. Die Untersuchungsrichterin setzte ihn aber gegen eine Kaution von 200.000 Drachmen (rund 587 Euro) auf freien Fuß (und er nutzte offenbar die Gelegenheit, um sich ins Ausland abzusetzen). Der Anwalt war über die Freilassung und die geringe Kaution entsetzt und sagte zum Staatsanwalt (und der anwesenden Richterin): "Das ist keine Gerechtigkeit. Das ist das Hinterzimmer der Gorillas von H.H"

Der Anwalt erhob Klage gegen den Staatsanwalt und die Richterin und verlangte, dass gegen beide disziplinär und strafrechtlich vorgegangen werde. In einem Schriftsatz schrieb er unter anderem - hier vereinfacht zusammengefasst - dass der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit nicht existiere, um ein Alibi abzugeben für käufliche Entscheidungen, die von einer Bande aus dem Milieu diktiert würden. In zwei Zeitungen wurde über die Klage berichtet; eine davon enthielt die Bemerkung, dass die strittige Entscheidung "durch andere Motive (gemeint: andere als rechtliche Motive) bestimmt war". In einem Leserbrief legte der Anwalt noch nach, dass die Urteile juristisch und logisch nicht erklärbar seien.

In einem von der Richterin und dem Staatsanwalt daraufhin gegen den Anwalt angestrengten Gerichtsverfahren wurde der Anwalt in erster Instanz zu einer Entschädigung von jeweils 30 Mio. Drachmen (rund 88.000 €) für die Richterin und den Staatsanwalt verurteilt. Das Berufungsgericht setzte die Entschädigung zugunsten des Staatsanwalts mit 15.000 € fest (das Rechtsmittelverfahren hinsichtlich der Entschädigung zugunsten der Richterin ist noch anhängig!). Das Berufungsgericht hielt unter anderem fest, dass der Anwalt dem Staatsanwalt durch seine Aussagen Korruption vorgeworfen habe, wobei er als seit zwanzig Jahren erfahrener Anwalt gewusst habe, dass der Vorwurf nicht zutreffe. Der Anwalt habe die Anschuldigungen in herabwürdigender Weise vorgebracht, da er zB von einer "beleidigenden, käuflichen und von krankhafter Feindseligkeit getragenen Entscheidung" geschrieben habe, die "keine richterliche Entscheidung, sondern das Produkt der menschlichen Niedertracht und Gemeinheit" sei. Das gegen das Berufungsurteil erhobene Rechtsmittel an den Kassationsgerichtshof blieb erfolglos.

Keine Verletzung des Art 10 EMRK
Der EGMR hielt zunächst fest, dass ein Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung vorlag, dass dieser durch Gesetz vorgesehen war und einem legitimen Ziel diente. Strittig war die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des Eingriffs.

Der EGMR betont, dass das Berufungsgericht berücksichtigt habe, dass der Beschwerdeführer wiederholt, teils direkt und teils indirekt - auf suggestive, aber ausreichend klare Art -, Tatsachen berichtet habe, die die Ehre und den Ruf des Staatsanwaltes gefährden konnten, indem unterstellt wurde, dass die Entscheidung aus "anderen Motiven" getroffen worden sei, was klar als Korruptionsvorwurf zu verstehen war. Dieser Vorwurf sei falsch gewesen und der Anwalt hätte dies auch gewusst.

In der Folge differenziert der EGMR den vorliegenden Beschwerdefall vom Fall Nikula gegen Finnland (dort war es um die Verurteilung einer Anwältin gegangen, die in ihrer Funktion als Verteidigerin Kritik am Staatsanwalt geübt hatte, die Kritik war im bzw vor dem Gericht und nicht in den Medien vorgebracht worden und hatte keinen beleidigenden Charakter), sowie von den Fällen Katrami (dazu hier) und Kanellopoulou, jeweils gegen Griechenland (in diesen beiden Fällen war es um Haftstrafen gegangen, die wegen der Kritik an Justizorganen verhängt worden waren).

Zu unterscheiden sei zwischen dem Vorbringen im Verfahren und den an die Presse gerichteten Äußerungen. Die Verbreitung der Verfahrensschriftsätze des Anwalts in der Presse sei von einer Art gewesen, dass die Öffentlichkeit glauben konnte, dass der Grund für die Entscheidungen des Staatsanwalts und der Richterin in möglicher Korruption liege (aus dem Urteil wird für mich nicht klar, ob der Anwalt die Schriftsätze der Zeitung zugespielt hat; erkennbar wird er aber dafür verantwortlich gemacht). Die Schwere dieses Vorwurfs überschreite - ohne solide Tatsachengrundlage - die Grenzen eines zulässigen Kommentars.

Auch wenn es zuträfe, dass die Freilassung des H.H. unter Berücksichtigung der Schwere der gegen ihn bestehenden Vorwürfe unter besonders günstigen Bedingungen erfolgt sei, müsse festgehalten werden, dass dieser Umstand allein nicht zum Beweis der vom Beschwerdeführer gezogenen Schlüsse ausreiche. Auch wenn der Großteil der Äußerungen des Beschwerdeführers im Ergebnis als Werturteile zu beurteilen seien, die durch sein legitimes Recht, von einer ihm ungerecht erscheinenden Entscheidung empört zu sein, gerechtfertigt werden könnten, so sei doch festzuhalten, dass Werturteile ohne ausreichende Tatsachengrundlage exzessiv sein können. Der Beschwerdeführer habe auch nie versucht, den Beweis für die Korruptionsvorwürfe anzutreten. Schließlich sei es auch notwendig, die Gerichte vor destruktiven Angriffen ohne seriöse Grundlage zu schützen.

Da auch die Höhe der Entschädigung (15.000 €) nicht als unverhältnismäßig zu beurteilen sei, kam der EGMR einstimmig zum Ergebnis, dass keine Verletzung des Art 10 EMRK vorlag.

Verletzung des Art 6 EGMR
Berücksichtigt man, dass die Korruptionsvorwürfe vom Beschwerdeführer 1997 und 1998 erhoben wurden, und dass die ersten Entscheidungen noch Entschädigungen in Drachmen aussprachen, so überrascht es nicht, dass der EGMR zur Feststellung einer Verletzung des Art 6 EMRK wegen überlanger Verfahrensdauer kam (ein Teil des Verfahrens - betreffend die Richterin - ist immer noch anhängig). Ein Sittenbild ist allein die Schilderung der Vertagungen im berufungsgerichtlichen Verfahren (Abs. 35-37 des Urteils; von den dort aufgezählten über 20 Vertagungen war zB eine durch einen Anwaltsstreik bedingt, zwei weitere waren die Folge von Streiks der Gerichtsbediensteten).

Hinweis auf weitere Urteile und Entscheidungen im Oktober 2012:
Ich verweise wieder einmal auf meine Übersichtsseite zu Urteilen und Entscheidungen des EGMR zu Art 10 EMRK. Dort verlinke ich in der Regel bald nach Veröffentlichung auf neue einschlägige Urteile und Entscheidungen und versuche meist auch in knappen Worten anzudeuten, worum es jeweils in der Sache ging (sofern ich nicht ohnehin einen eigenen Beitrag im Blog schreibe). Auch im Oktober gab es wieder einiges Neues aus Straßburg, zu dem ich nicht gesondert gebloggt habe:

Vier Urteile betreffen die journalistische Berufsausübung:
  • Im Urteil vom 2. Oktober 2012, Yordanova und Toshev gegen Bulgarien (Appl. no. 5126/05) ging es um die Verurteilung zweier Journalistinnen wegen Berichten über einen früheren Polizeiangehörigen, der - auch in einer behördlichen Presseaussendung - des Amtsmissbrauchs und der Korruption verdächtigt und dafür sechsmal vor Gericht gebracht wurde. Die Verfahren gegen den Ex-Polizisten wurden aus prozessualen Gründen schließlich - ohne Verurteilung - eingestellt. der EGMR kam zum Ergebnis, dass der Verdächtigte gegen die Pressmitteilungen der Behörden hätte vorgehen können, dass aber die Verurteilung der über den (behördlich mitgeteilten) Verdacht berichtenden Journalistinnen in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig war.
  • Im Urteil vom 2. Oktober 2012, Najafli gegen Aserbaidschan (Appl. no. 2594/07), wurde eine Verletzung des Art 10 EMRK festgestellt, weil ein Journalist von der Polizei, die eine Demonstration auflöste, schwer geschlagen und damit an der Ausübung seines Berufs gehindert wurde (er war nicht Demo-Teilnehmer, sondern wollte von der Demonstration berichten und gab sich auch als Journalist zu erkennen).
  • Die Urteile vom 16. Oktober 2012, Smolorz gegen Polen (Appl. no. 17446/07; siehe auch die Pressemitteilung des EGMR) und vom 23. Oktober 2012, Jucha und Żak gegen Polen (Appl. no. 19127/06) betreffen jeweils Verurteilungen polnischer Journalisten (einerseits wegen kritischer Äußerungen über den Kattowitzer Stadtplaner und Architekten Jurand Jarecki, andererseits wegen kritischer Berichte über einen Stadtrat, u.a. mit dem Vorwurf mehrfachen Rechtsbruchs); in beiden Fällen wurden einstimmig Verletzungen des Art 10 EMRK festgestellt.
Ein auch in die Versammlungsfreiheit hineinspielender Fall liegt dem Urteil vom 9. Oktober 2012, Szima gegen Ungarn (Appl. no. 29723/11) zugrunde: die Beschwerdeführerin war Polizeigewerkschafterin und pensionierte Polizistin und veröffentlichte auf der Gewerkschaftswebsite Beiträge ua zu unzulässigem politischem Einfluss auf die Polizei, Nepotismus und zweifelhaften Qualifiaktionen von höherrangigen Polizisten. Die wurde dafür wegen Aufrufs zum Ungehorsam zu einer Geldstrafe verurteilt und degradiert. Der EGMR stellte mit 6:1 keine Verletzung des Art 10 EMRK fest; dass Kammerpräsidentin Tulkens mit ihrer dissenting opinion allein geblieben ist, hat mich doch überrascht (siehe dazu auch die kritischen Beiträge von Garbielle Guillemin auf Inforrm's Blog und von Dirk Voorhoof bei Strasbourg Observers).

Und schließlich gab es auch im Oktober wieder eine Verurteilung der Türkei: mit Urteil von 2. Oktober 2012, Önal gegen Türkei (Appl. no. 41445/04 und 41453/04), stellte der EGMR eine Verletzung des Art 10 EMRK wegen der Verurteilung eines Herausgebers fest, der zwei Bücher herausgegeben hatte, die von den türkischen Gerichten pauschal als Anstiftung zu Hass und Feindseligkeiten beurteilt worden waren.

In einer interessanten Zulässigkeitsentscheidung hat sich der EGMR mit der Frage des Anwendungsbereichs des Art 10 EMRK auseinandergesetzt: mit Entscheidung vom 2. Oktober 2012, Rujak gegen Kroatien (Appl. no. 57942/10) wies der EGMR die Beschwerde eines kroatischen Soldaten serbischer Abstammung als unzulässig zurück. Dieser war wegen "Verletzung der Ehre des kroatischen Staaates" zu einer bedingten Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Er hatte in einem Streit zwei andere Rekruten beleidigt und danach auf die ausdrückliche Frage eines Offiziers, ob er die Religion oder ethnische Herkunft eines anderen beleidigen habe wollen, bestätigt: “Yes! I f**k your baptised mother! I f**k your Ustaše mother! You all originated from Serbs!”. Der EGMR kam zum Ergebnis, dass der Soldat - unter Berücksichtigung der vulgären und beleidigenden Sprache - mit seinem beleidigenden Statement nicht versucht habe, Nachrichten oder Ideen mitzuteilen. Solche Äußerungen unterfallen daher nicht dem Schutz des Art 10 EMRK, da sie auf eine mutwillige Verunglimpfung mit der alleinigen Absicht zu beleidigen hinauslaufen.

Thursday, June 09, 2011

EuGH: Schleichwerbung setzt nicht voraus, dass ein Entgelt gezahlt wird

Kann "Schleichwerbung" im Sinne der Richtlinie Fernsehen ohne Grenzen (RL 89/552/EWG idF RL 97/36/EG) nur vorliegen, wenn ein Entgelt oder eine sonstige Gegenleistung entrichtet wird? Diese Frage stellte sich dem EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen des griechischen Staatsrats (Συμβούλιο της Επικρατείας) in der Rechtssache C-52/10 Eleftheri Tileorasi A. E. "ALTER CHANNEL" und Konstantinos Giannikos. Der Staatsrat wollte vom EuGH wissen, ob Art 1 lit d der RL "Fernsehen ohne Grenzen" dahin auszulegen sei, "dass die Entrichtung eines Entgelts oder einer Zahlung oder Gegenleistung anderer Art im Rahmen der 'Schleichwerbung' einen unerlässlichen begrifflichen Bestandteil des Werbezwecks darstellt".

Schaut man in den deutschen Richtlinientext, so scheint die Frage wenig Raum für Zweifel offen zu lassen, denn Schleichwerbung ist dort wörtlich so definiert (Hervorhebung hinzugefügt):
"die Erwähnung oder Darstellung von Waren, Dienstleistungen, Namen, Marke oder Tätigkeiten eines Herstellers von Waren oder eines Erbringers von Dienstleistungen in Programmen, wenn sie vom Fernsehveranstalter absichtlich zu Werbezwecken vorgesehen ist und die Allgemeinheit hinsichtlich des eigentlichen Zwecks dieser Erwähnung oder Darstellung irreführen kann. Eine Erwähnung oder Darstellung gilt insbesondere dann als beabsichtigt, wenn sie gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erfolgt."
Auch die Schleichwerbungsdefinition in Art 1 Abs 1 lit j der neuen Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste 2010/13/EU (AVMD-RL) entspricht im Wesentlichen dieser Definition, vor allem der letzte Satz ist wörtlich gleichlautend.

Das heutige Urteil des EuGH zeigt aber, weshalb der Συμβούλιο της Επικρατείας doch Zweifel hatte: in der griechischen Sprachfassung fehlte nämlich das Wort "insbesondere" (ιδίως)! Bemerkenswerter Weise ist dieses Wort aber in der griechischen Sprachfassung der neuen AVMD-RL nun doch zu finden, obwohl sich etwa in der deutschen, englischen und französischen Sprachfassung nichts geändert hat.

Der EuGH konnte daher - da ja alle Sprachfassungen gleichwertig sind - nicht einfach auf das Wort "insbesondere" ("in particular", "notamment", etc.) hinweisen und eine schlampige "Übersetzung" rügen, sondern musste eine Auslegung "nach dem Zusammenhang und dem Zweck der Regelung" vornehmen. Und dieser Zweck ist nach Ansicht des EuGH eindeutig: der umfassende und angemessene Schutz der Interessen der Verbraucher als Zuschauer. Wörtlich heißt es im Urteil:
"31    [Art 1 lit d d Satz 2 der RL] darf jedoch nicht eng in dem Sinne ausgelegt werden, dass eine solche Erwähnung oder Darstellung nur dann als beabsichtigt gelten kann, wenn sie gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung erfolgt.
32      Diese Auslegung ergibt sich nämlich weder aus dem Wortlaut der in dieser Bestimmung aufgestellten Vermutung noch aus der Systematik und dem Zweck der Richtlinie 89/552.
33      Eine solche Auslegung würde im Gegenteil den umfassenden und angemessenen Schutz der Fernsehzuschauer, den die Richtlinie 89/552 insbesondere durch das Verbot der Schleichwerbung in Art. 10 Abs. 4 der Richtlinie sicherstellen soll, in Frage stellen und könnte darüber hinaus diesem Verbot seine praktische Wirksamkeit nehmen, da es in manchen Fällen schwierig oder gar unmöglich sein dürfte, im Zusammenhang mit einer Werbung, die alle in Randnr. 19 des vorliegenden Urteils aufgeführten Merkmale einer Schleichwerbung aufweist, die Existenz eines Entgelts oder einer ähnlichen Gegenleistung festzustellen.
34      Folglich stellt die Existenz eines Entgelts oder einer ähnlichen Gegenleistung zwar ein Kriterium dar, anhand dessen sich die Werbeabsicht eines Fernsehveranstalters feststellen lässt, aus dem Wortlaut von Art. 1 Buchst. d der Richtlinie 89/552 sowie deren Systematik und Zweck ergibt sich jedoch, dass diese Absicht bei Fehlen eines solchen Entgelts oder einer solchen ähnlichen Gegenleistung nicht ausgeschlossen werden kann."

Tuesday, November 02, 2010

EuGH: Geldstrafe über Minderheitsaktionäre für Verstöße eines Rundfunkunternehmens verletzt Kapitalverkehrsfreiheit

Dass "golden shares" - Aktien, mit denen Sonderrechte verbunden sind, die über den Kapitalanteil des Aktionärs hinausgehen - gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen, hat der EuGH schon öfter, zuletzt auch einmal zu einem Telekomunternehmen (C-171/08 Kommission/Portugal, siehe dazu hier), ausgesprochen. In der Rechtssache C-81/09 Idryma Typou AE hatte es der EuGH nun gewissermaßen mit einer umgekehrten Situation zu tun: hier ging es nämlich nicht um Sonderrechte von Minderheitsaktionären, sondern um Sonderlasten.

Die griechische Rechtsordnung sieht vor, dass Geldbußen wegen Verstößen privater Fernsehveranstalter gegen nationales oder europäisches Recht oder gegen (journalistische) Standesregeln "gemeinschaftlich und gesamtschuldnerisch gegen die Gesellschaft und persönlich gegen ihren gesetzlichen Vertreter (oder ihre gesetzlichen Vertreter), gegen alle Mitglieder ihres Verwaltungsrats und gegen alle Aktionäre verhängt [werden], die einen Anteil an Aktien halten, der 2,5 % übersteigt."

Die vom griechischen Staatsrat (Συμβούλιο της Επικρατείας) dem EuGH vorgelegte Frage stellte sich in einem Verfahren betreffend eine Geldbuße, die wegen einer Ehrverletzung in einer Nachrichtensendung des Star Channel unter anderem auch einer (Minderheits-)Aktionärin auferlegt wurde. Der EuGH beurteilte diese Solidarbestrafung in seinem Urteil vom 21.10.2010 zwar nicht als Verstoß gegen die gesellschaftsrechtlichen Regeln der "Ersten Richtlinie" (68/151/EWG), wohl aber als Beschränkung der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit:
"57      Die nationale Maßnahme ermöglicht es nämlich, die Aktionäre einer Fernsehaktiengesellschaft für Geldbußen haftbar zu machen, die gegen diese Gesellschaft verhängt wurden, damit diese Aktionäre dafür Sorge tragen, dass diese Gesellschaft die griechischen Gesetze und Standesregeln beachtet, obwohl die Befugnisse, die diesen Aktionären nach den Regeln, die für das Funktionieren der Organe von Aktiengesellschaften gelten, eingeräumt sind, ihnen keine praktische Möglichkeit dazu geben.
58      Obwohl die Maßnahme unterschiedslos auf griechische Investoren und Investoren anderer Mitgliedstaaten anwendbar ist, ist die abschreckende Wirkung dieser Maßnahme für Investoren anderer Mitgliedstaaten größer als für griechische Investoren.
59      Soweit nämlich das Ziel des Gesetzes darin besteht, die Aktionäre dazu zu veranlassen, mit anderen Aktionären Allianzen zu schließen, um die Entscheidungen über die Führung der Geschäfte der Gesellschaft beeinflussen zu können, ist die Beachtung dieser Option, obgleich deren Wahrnehmung allen Aktionären aufgegeben ist, zweifellos schwieriger für Investoren anderer Mitgliedstaaten, die über die Verhältnisse der Medienlandschaft in Griechenland schlechter im Bilde sind und nicht notwendigerweise die verschiedenen Gruppen oder Allianzen kennen, die im Kapital einer Gesellschaft, die Inhaberin einer Erlaubnis für die Errichtung und den Betrieb eines Fernsehsenders ist, vertreten sind.
60      Folglich beschränkt eine nationale Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren streitige sowohl die Niederlassungsfreiheit als auch den freien Kapitalverkehr."
Interessant sind auch die Ausführungen zur - vom EuGH verneinten - Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs. Die Regelung sollte angeblich die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und der Standesregeln für Journalisten durch die Fernsehgesellschaften bewirken, und sie wurde von der griechischen Regierung auch damit gerechtfertigt, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes zahlreiche Journalisten Aktionäre mit zwischen 2,5 % und 25% des Gesellschaftskapitals gewesen seien. Das reichte dem EuGH natürlich nicht:
"65      Selbst wenn zum Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes Nr. 2328/1995 ein statistischer Zusammenhang zwischen Aktionären, die 2,5 % der Anteile einer Fernsehgesellschaft besaßen, und dem Journalistenberuf bestanden haben sollte, erscheint eine solche Verbindung nicht hinreichend, um anzunehmen, dass die fragliche Maßnahme geeignet wäre, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und insbesondere nicht über das hinausginge, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. [...]
67      Ist es das Ziel der Maßnahme, dass Journalisten die Gesetze und Standesregeln ihres Berufs befolgen, könnte es angemessen sein, ihnen persönlich für von ihnen begangene Verstöße Sanktionen aufzuerlegen, nicht aber Aktionären, die nicht notwendig Journalisten sind. [...]
69      Im Übrigen ist die Annahme, dass alle Aktionäre einer Aktiengesellschaft Fachleute in dem Bereich sind, in den der Gesellschaftszweck der Gesellschaft fällt, geradezu die Negation des freien Kapitalverkehrs, der u. a. auf Portfolioinvestitionen abzielt, d. h. auf den Erwerb von Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt allein in der Absicht einer Geldanlage, ohne auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss nehmen zu wollen [...]"