Sunday, June 08, 2025

Publikumsrat und Politik - nächste Episode

Die Neubestellung der ORF-Gremien (nach dem VfGH-Erkenntnis und der Neuregelung im ORF-Gesetz) gerät immer mehr zur Seifenoper: 

Landesparteiobmann-Stellvertreter: Zunächst wurde Andreas Herz, der vom Dachverband zum Mitglied des Publikumsrates bestellt wurde, als Landesparteiobmann-Stellvertreter der Steirischen Volkspartei geoutet - und damit als leitender Funktionär einer politischen Partei, der aus diesem Grund nicht Mitglied im Publikumsrat sein darf (mehr dazu hier). Der Dachverband zog die Bestellung zurück und bestellte jemand anderen (Andreas Krauter). 

Ex-Gemeinderat: Dann fand Harald Fidler vom Standard heraus, dass Matthias Hauer, das von der Bundesregierung für den Bereich Jugend ausgewählte Mitglied, bis vor kurzem noch Gemeinderatsmitglied war und daher ebenso von der Mitgliedschaft ausgeschlossen ist. Matthias Hauer zog sich "aus persönlichen Gründen" zurück, die Bundesregierung bestellte mit Umlaufbeschluss für den Bereich Jugend eine andere Person vom Vorschlag der Gewerkschaftsjugend (Manuela Malecek).  

Vizepräsidentin der ÖVP-Senioren und Obmann-Stellvertreterin des steirischen ÖAAB: Und jetzt, nachdem sich der Publikumsrat schon konstituiert hat, gibt es eine neue Episode, wieder angestoßen von Harald Fidlers Recherchen: zwei von der Bundesregierung bestellte Mitglieder des Publikumsrates (Gertrude Aubauer und Beatrix Karl) sind leitende Funktionärinnen von ÖVP-Teilorganisationen und dürften daher ebenfalls nicht Mitglied des Publikumsrates sein (die Details dazu im Standard-Artikel). 

Das ist schon bemerkenswert: obwohl über die Fälle Andreas Herz und Matthias Hauer in den Medien berichtet wurde, ist es Beatrix Karl und Gertrude Aubauer offenbar nicht in den Sinn gekommen, über ihre eigenen Funktionen nachzudenken und sich noch rechtzeitig vor der Konstituierung des Publikumsrates zurückzuziehen. Gertrude Aubauer wurde vom Publikumsrat sogar in den Stiftungsrat gewählt, dem sie freilich genausowenig angehören darf.

Man könnte sich zB schon fragen, weshalb Beatrix Karl - sie ist immerhin Juristin, war (außerordentliche) Universitätsprofessorin, Bundesministerin für Wissenschaft und Forschung, Bundesministerin für Justiz und Abgeordnete zum österreichischen Nationalrat - nichts dabei gefunden hat, die vor der Bestellung geforderte Unvereinbarkeitserklärung abzugeben (mit der erklärt wird, dass keine Ausschlussgründe nach § 28 Abs. 2 ORF-Gesetz vorliegen). War es ihr einfach nicht bewusst, dass sie eine leitende Funktion in einer Teilorganisation der Volkspartei bekleidet? Oder findet sie vielleicht, dass Obmann-Stellvertreterin des Steirischen ÖABB nur ein dekoratives Amt ist, und dass ihr in dieser Funktion kein Einfluss auf Entscheidungen dieser Parteiorganisation zukommt? Ins Gesetz oder in den Kommentar - wie man es von einer Juristin erwarten würde - hat sie wohl nicht geschaut  (Kogler/Traimer/Truppe, Österreichische Rundfunkgesetze, 4. Aufl., S. 241, schreiben ausdrücklich dass "jedenfalls auch bundes- und landesweite Teilorganisationen einer Partei" vom Wortlaut der Bestimmung umfasst sind).

Wie wird die Seifenoper weitergehen? 

Sowohl Karl als auch Aubauer werden demnächst erklären müssen, dass sie sich aus dem Publikumsrat (und Aubauer auch aus dem Stiftungsrat) zurückziehen. 

Beide haben aber schon an der konstituierenden Sitzung des Publikumsrates - und an der Wahl der vom Publikumsrat zu bestellenden Mitglieder des Stiftungsrates - teilgenommen. Damit stellt sich die Frage, welche Konsequenzen die Teilnahme ausgeschlossener Mitglieder an der Beschlussfassung des Organs hat. Auf diese Frage gibt es derzeit nur eine ehrliche Antwort: wir wissen es nicht. Das ORF-Gesetz regelt diesen Fall nicht ausdrücklich, und es gibt auch keine Rechtsprechung dazu. Denkbar ist Vieles: von der absoluten Nichtigkeit aller Beschlüsse, weil - unabhängig vom schließlich erzielten Abstimmungsergebnis - schon die Teilnahme der ausgeschlossenen Mitglieder an der Beratung die Abstimmung beeinflussen konnte und zudem ein ausdrücklicher Mechanismus, wie ein Beschluss angefochten werden könnte, fehlt, bis hin zur bloßen Vernichtbarkeit (Anfechtbarkeit, allenfalls im Weg einer Beschwerde nach § 36 ORF-Gesetz) nur jener Beschlüsse, die bei Außerachtlassung der Stimmen der ausgeschlossenen Mitglieder nicht zustanden gekommen wären - und alles dazwischen. Ich werde das hier nicht weiter vertiefen. 

Aber jedenfalls wird die Bundesregierung anstelle von Karl und Aubauer neue Mitglieder des Publikumsrates bestellen müssen. Da die gesetzliche Funktionsperiode der Organe (ungeachtet der bereits erfolgten Konstituierung des Publikumsrates) noch gar nicht begonnen hat, wird eine Bestellung aus den bereits eingeholten Vorschlägen zulässig sein - wie dies auch bei der "Nachfolgerin" für Matthias Heuer erfolgt ist. 

Nähme man es ganz genau, wäre allerdings ein Vorschlag, der auch ausgeschlossene Personen umfasst, nicht als "Dreiervorschlag" anzusehen (da ja höchstens zwei der vorgeschlagenen Personen ausgewählt werden könnten) und dürfte daher nicht berücksichtigt werden - aber da kann die Bundesregierung wohl nach dem Prinzip "Augen zu und durch" handeln, wenn die zunächst ausgewählten Personen (wie das Matthias Hauer schon getan hat) einfach erklären, sich "aus persönlichen Grünen" zurückzuziehen (denn dann muss man formal gar nicht wissen, dass sie eigentlich ausgeschlossen waren - immerhin haben sie eine Erklärung unterschrieben, dass keinen Unvereinbarkeit vorliegt). 

Die Bestellung von Beatrix Karl für den Vertretungsbereich Hochschulen folgte ganz offensichtlich  einer ausschließlich politischen Logik. Dass die 14 pädagogischen Hochschulen mit zusammen knapp 22.000 Studierenden im Hochschulbereich umfangreichere Aktivitäten entfalten würden als die Universitäten mit zusammen gut 260.000 Studierenden (wie es die von der Bundesregierung gegebene Begründung glauben machen will), ist geradezu absurd. Der Fehlschlag mit der Bestellung von Beatrix Karl würde nun der Bundesregierung die Möglichkeit bieten, für den Bereich Hochschulen eine Person vom Vorschlag der uniko auszuwählen, was man deutlich ernsthafter und glaubwürdiger begründen könnte. 

Spannend wird auch, wer statt Gertrude Aubauer für den Vertretungsbereich ältere Menschen ausgewählt wird. Aubauer war mit der (nicht gerade zwingenden) Begründung ausgewählt worden, dass sie "durch ihre Aktivitäten als Volksvertreterin, Funktionärin und öffentliche Person die Interessen älterer Menschen am offenkundigsten vertritt." Bei meiner ersten Befassung mit dieser Auswahl habe ich noch angemerkt, dass es seltsam anmute, dass gerade die (frühere) Funktion als Abgeordnete hervorgehoben wird und für ihre Bestellung sprechen soll, weil diese Funktion ja, würde sie noch ausgeübt werden, unvereinbar wäre. Gar nicht weiter nachgedacht habe ich damals über die auch genannten Aktivitäten als "Funktionärin" (und damit ist wohl ihre Funktion bei den ÖVP Senioren zu verstehen), die offenbar für die Bundesregierung sogar ein Grund dafür waren, sie zu bestellen. Mit anderen Worten: nach der Begründung der Bundesregierung für die Auswahl von Aubauer wurde sie auch deswegen bestellt, weil sie eine Funktion ausübt, die mit der Mitgliedschaft im Publikumsrat unvereinbar ist. 

Karl und Aubauer waren offensichtliche ÖVP-Tickets im "entpolitisierten" Publikumsrat, und damit ist zu erwarten, dass auch die Nachbesetzungen auf ÖVP-Tickets erfolgen, einschließlich der Neubestellung des frei werdenden Stiftungsratsmitglieds durch den Publikumsrat. 

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PS: bisherige Beiträge zur Neubestellung der ORF-Gremien in diesem Blog: