Wednesday, January 29, 2025

"Minus 15 %" beim ORF? Nur bei Änderung des öffentlich-rechtlichen Auftrags

FPÖ und ÖVP verhandeln derzeit über die Bildung einer Koalitionsregierung, und dabei ist natürlich auch die Medienpolitik Thema. Ich will mich zu diesen politischen Gesprächen nicht näher äußern, sondern warte ab, was letztlich herauskommt, wie das in einem Koalitionsübereinkommen festgeschrieben und legistisch umgesetzt wird. Ich hoffe jedenfalls, dass die verhandelnden Personen im Hintergrund gute juristische Beratung haben, denn gerade im Hinblick auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind doch einige verfassungs- und unionsrechtliche Rahmenbedingungen zu beachten. 

Aber weil immer wieder - auch gestern im ORF Report - von der Überlegung berichtet wird, dem ORF ein Einsparungsziel von 15 % vorzugeben, wollte ich hier einmal kurz auf den in diesem Zusammenhang relevanten rechtlichen Rahmen hinweisen. Getriggert wurde ich von der eher saloppen Einlassung des ServusTV-Journalisten Michael Fleischhacker im ORF-Report (ca. bei Minute 22:30), der auf den berechtigten Einwand der Moderatorin, dass die künftige Regierung ja nicht der Eigentümer des ORF sei, rundheraus antwortete: "Na, Eigentümervertreter natürlich; wenn's allen gehört, dann - irgendwer, ist das Parlament, die Parlamentsmehrheit ist der Eigentümervertreter in diesem Unternehmen." Das mag ein pragmatischer, an der erlebten politischen Praxis orientierter Zugang sein - mit der geltenden Rechtslage hat er allerdings nichts zu tun. 

Damit zum Versuch, ein paar rechtliche Informationen betreffend eine "Einsparungsvorgabe" zusammenzufassen:

Der öffentliche-rechtliche Rundfunk ist kein "Staatsfunk", dem die (aktuelle oder künftige) Regierung einfach so Vorgaben machen kann, etwa im Hinblick auf Einsparungsziele oder das für die Erfüllung seiner Aufgaben verfügbare "Budget". Kraft verfassungsrechtlicher Bestimmungen ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk (der ORF) unabhängig, und zwar insbesondere von der Regierung. Er ist daher auch so zu organisieren, dass diese Unabhängigkeit gewährleistet ist (dazu hat der VfGH in seinem Erkenntnis zu den ORF-Gremien Einiges gesagt). 

Seit 2001 ist der ORF als eine besondere Stiftung öffentlichen Rechts eingerichtet, die daher auch keinen Eigentümer hat (schon gar nicht den allenfalls durch die Bundesregierung vertretenen Bund), sondern Begünstigte - im Fall des ORF ist dies nach dem Konzept des ORF-Gesetzes die Allgemeinheit. Deren Interessen werden von den im ORF-Gesetz vorgesehenen Gremien (Stiftungsrat und Publikumsrat) vertreten, die daher ebenfalls unabhängig (insbesondere von der Regierung) zu sein haben (und ja, mir ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis bekannt, danke). 

Das ändert natürlich nichts daran, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für den ORF vom Nationalrat mit einfachem Gesetz geändert werden können - allerdings nur innerhalb der verfassungs-. und unionsrechtlichen Schranken (BVG Rundfunk, Art. 10 EMRK, Unions-Wettbewerbsrecht, demnächst - ab 8. August 2025 - auch EMFA und Art. 11 GRC). Dieser Rahmen verlangt, verkürzt zusammengefasst, unter anderem Folgendes: 

  • Unabhängigkeit der Organe des ORF (Art. 1 Abs. 2 BVG Rundfunk)
  • gesetzliche Festlegung des öffentlich-rechtlichen Auftrags (Unionsrecht, s. insbesondere die Beihilfenentscheidung der Kommission zum ORF, die Rundfunkmitteilung, und Art. 5 EMFA)
  • Sicherstellung einer funktionsadäquaten Finanzierung (BVG Rundfunk, Art. 10 EMRK, jeweils ausgelegt durch den VfGH in den Erkenntnissen vom 5.10.2023 und vom 30.6.2022)
  • Beitragsfinanzierung (oder allenfalls sonstige öffentliche Finanzierung) nur in der Höhe der Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags (Unionsrecht, insbesondere Beihilfenentscheidung und Rundfunkmitteilung); zugleich ist (ab 8. August 2025) sicherzustellen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter "über angemessene, nachhaltige und vorhersehbare finanzielle Mittel" verfügt, die der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags und seiner "Kapazität zur Entwicklung im Rahmen dieses Auftrags" entsprechen (Art. 5 EMFA).

Kann also die Regierung einfach vorsehen, dass dem ORF "15% weniger" Mittel zur Verfügung stehen? Grundsätzlich nein, denn über die Höhe des ORF-Beitrags entscheidet der ORF selbst (durch den Stiftungsrat, unter der Rechtsaufsicht der KommAustria und gegebenenfalls nachfolgender gerichtlicher Kontrolle), wobei die gesetzlichen Vorgaben klar sind: "Die Höhe des ORF-Beitrags ist so festzulegen, dass unter Zugrundelegung einer sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verwaltung der öffentlich-rechtliche Auftrag erfüllt werden kann".  

Wenn man die derzeit diskutierten "minus 15%" daher verfassungskonform verwirklichen will, erfordert dies eine Änderung des ORF-Gesetzes, und zwar nicht durch Festlegung eines niedrigeren ORF-Beitrags oder eines Einsparungsziels, sondern durch eine Änderung (Einschränkung) des öffentlich-rechtlichen Auftrags, die dann entsprechend geringere Nettokosten zur Folge haben könnte. 

Auch dabei ist zu berücksichtigen, dass der VfGH schon in seinem Erkenntnis zum Programmentgelt aus dem BVG Rundfunk und Art. 10 EMRK nicht nur eine Finanzierungsverantwortung, sondern auch eine Funktionsverantwortung des Gesetzgebers für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgeleitet hat. Im Erkenntnis zu den ORF-Gremien hat er dies noch weiterentwickelt und ausdrücklich festgehalten, dass diese Funktions- und Finanzierungsverantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Verpflichtung umfasst, "die gesetzlichen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass eine den Grundsätzen des  Art. I Abs. 2 zweiter Satz BVG Rundfunk entsprechende öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstaltung gewährleistet ist, ebenso wie – damit nach dem Konzept des BVG Rundfunk untrennbar  zusammenhängend – die institutionelle Verpflichtung, diese Programmveranstaltung durch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter zu organisieren." (falls es wen interessiert: mehr dazu habe ich hier im Österreichischen Juristischen Archiv geschrieben).

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk darf also kraft Verfassung mit einfachem Gesetz nicht abgeschafft werden, und er darf auch nicht so eingeschränkt werden, dass er seine Funktion nicht mehr erfüllen kann (zu seiner Funktion zählt etwa, wie der VfGH schreibt, "umfassend die Freiheit des öffentlichen Diskurses im Wege des Rundfunks [zu] gewährleisten" - was immer dann darunter konkret zu verstehen sein mag). 

Wie weit diese Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht, hat der VfGH nicht konkretisiert (weil es in den von ihm entschiedenen Fällen auch nicht erforderlich war). Es ist daher denkbar, dass eine zukünftige Koalition den Spielraum ausloten möchte und entsprechende Einschränkungen des öffentlich-rechtlichen Auftrags (insbesondere eine Streichung von Programmen) vornimmt, um gewissermaßen auf diesem Umweg auf die medial kolportierten "Einsparungsziele" zu kommen. Insofern bleibt es spannend, worauf sich eine künftige Koalition in dieser Frage einigen wird.

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