Sunday, July 10, 2022

Wie der "Beamtenminister" versehentlich für die Ausschreibung der Präsidentin/des Präsidenten des BVwG zuständig wurde (und warum die Ausschreibung dennoch falsch ist)

Veränderungen im Wirkungsbereich von Bundesministerien können rechtlich heikel sein, wie zuletzt bei der geplanten, demnächst wohl wirksam werdenden Verschiebung der Telekom-Angelegenheiten zum Finanzministerium zu sehen war (im Blog dazu hier). Es kann nämlich auch sein, dass sich die Verwaltung im Dickicht der Änderungen einfach verheddert und damit Gefahr läuft, eine wichtige Personalentscheidung rechtlich angreifbar zu machen - wie ein aktuelles Beispiel zeigt.

Gestern wurde im Amtsblatt zur Wiener Zeitung die Funktion "der Präsidentin oder des Präsidenten beim Bundesverwaltungsgericht" ausgeschrieben. Auch abgesehen von der merkwürdigen Formulierung "beim Bundesverwaltungsgericht" (es geht um den/die Präsident:in des BVwG) ist die Ausschreibung in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.

1. Warum schreibt das BMKÖS aus?

Ausgeschrieben wurde vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport (BMKÖS). Dieses ist, man glaubt es kaum, für die Ausschreibung tatsächlich zuständig, und zwar gemäß § 207 RStDG (Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz). Diese Zuständigkeit ist allerdings die Folge eines Versehens im typischen Verwirrspiel bei Zuständigkeitsveränderungen nach einer Regierungsumbildung:

Mit der Novelle zum Bundesministeriengesetz (BMG), BGBl I 2017/164, wurden einige Aufgabenbereiche der Ministerien neu geregelt. Unter anderem wurden damit "Allgemeine Personalangelegenheiten von öffentlich Bediensteten, soweit sie nicht in den Wirkungsbereich des Bundesministeriums für Finanzen fallen", vom BKA in das damalige Bundesministerium für öffentlichen Dienst und Sport verschoben.

Und weil bei solchen Zuständigkeitsverschiebungen erfahrungsgemäß die Rechtsfolgen oft kaum überblickt werden, trifft § 17 BMG ("Zuständigkeitsänderungen") Vorsorge:

"§ 17. Wenn auf Grund von Änderungen dieses Bundesgesetzes Änderungen im Wirkungsbereich der Bundesministerien vorgesehen sind, so gelten Zuständigkeitsvorschriften in besonderen Bundesgesetzen als entsprechend geändert."

Das heißt: die Zuständigkeitsvorschriften gelten automatisch als geändert, eine formelle Anpassung ist nicht erforderlich. Wo - im konkreten Beispiel - zuvor "Bundeskanzler" stand, war danach, soweit es "Allgemeine Personalangelegenheiten" betraf, "Bundesminister für öffentlichen Dienst und Sport" zu lesen.

Auch wenn es also nicht notwendig wäre, erfolgen später - meist wenn ein Gesetz auch aus anderen Gründen geändert werden soll - oft "Anpassungen" der Ressortbezeichnung. So auch bei § 207 RStDG - und zwar mit der Dienstrechts-Novelle 2018, BGBl I 2018/60. Ddie Erläuterungen (196 BlgNR 26, GP, S. 1-2) fassen hier dutzende Änderungen in verschiedenen Gesetzen zusammen und bezeichnen dies ausdrücklich als "Anpassungen der Ressortbezeichnungen" aufgrund der BMG-Novelle BGBl I 2017/164. Mit einer weiteren "Anpassung" in der Dienstrechts-Novelle 2020 wurde in § 207 RStDG dann der BMöDS durch den BMKÖS ersetzt.

Aber: der Bundeskanzler war in § 207 RStDG nicht deshalb genannt, weil die Ausschreibung der Präsident:innen-Funktion eine "Allgemeine Personalangelegenheit" wäre, sondern weil er für die "Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit Ausnahme der Angelegenheiten des Bundesfinanzgerichtes" zuständig war. Diese Angelegenheiten wiederum wurden mit der selben BMG-Novelle 2017, mit der die Allgemeinen Personalangelegenheiten zum BMöDS wanderten, dem Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz übertragen. Zum Zeitpunkt, als mit der Dienstrechts-Novelle 2018 in § 207 RStDG eine vermeintlich bloße Anpassung der Ressortbezeichnung vom BKA zum BMöDS erfolgte, war das BKA eigentlich gar nicht mehr für die dort geregelte Ausschreibung zuständig.

Die "Anpassung der Ressortbezeichnung" war daher sachlich falsch, aber sie ist Gesetz geworden und das BMKÖS daher aktuell für die Ausschreibung tatsächlich zuständig.

2. Wer ist in der Hearing-Kommission?

Dass aufgrund einer eher versehentlich erfolgten Änderung des RStDG der BMKÖS statt der BMJ die Funktion auszuschreiben hat, ändert aber nichts an den im Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) vorgesehenen Regelungen über die Auswahl der Bewerber:innen, insbesondere auch über die Besetzung der Auswahlkommission. In § 2 Abs. 3 BVwGG heißt es:

"Vor der Erstattung von Vorschlägen für die Stellen des Präsidenten und des Vizepräsidenten sind die Bewerber von einer Kommission bestehend aus einem Vertreter des Bundeskanzlers, einem weiteren Vertreter eines Bundesministeriums, zwei Vertretern der Wissenschaft mit akademischer Lehrbefugnis eines rechtswissenschaftlichen Faches an einer Universität sowie den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, des Verwaltungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes oder einer von diesen jeweils beauftragten Person zu einer Anhörung einzuladen. Die Kommission hat der Bundesregierung mindestens drei Bewerber zur Vorschlagserstattung zu empfehlen."

Werfen wir nun einen Blick in die Ausschreibung des BMKÖS. Dort heißt es:

"Das Auswahlverfahren sieht gemäß § 2 Abs. 3 BVwGG zur Vorbereitung der Beschlussfassung der Bundesregierung die Absolvierung einer mündlichen Anhörung (Hearing) vor einer Kommission vor, die aus zwei Vertreterinnen oder Vertreter des Bundesministers für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, zwei Vertreterinnen oder Vertreter der Wissenschaft mit akademischer Lehrbefugnis eines rechtswissenschaftlichen Faches an einer Universität sowie dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, dem Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes und der Präsidentin des Obersten Gerichtshofes oder einer jeweils von diesen beauftragten Person, besteht." [Hervorhebung hinzugefügt]

Eine derart besetzte Kommission wäre gesetzwidrig. Denn in § 2 Abs. 3 BVwGG wurde der "Bundeskanzler" nicht durch den BMKÖS ersetzt - weder formell wie bei § 207 RStDG, noch im Wege einer automatischen Änderung nach § 17 BMG. Die früher vom Bundeskanzler wahrgenommenen "Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit" (mit Ausnahme des BFG) sind ja, wie schon oben geschrieben, 2017 dem BMVRDJ übertragen worden. Mit der BMG-Novelle 2020 sind die Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit teilweise vom früheren BMVRDJ (jetzt wieder BMJ) in das BKA zurückgewandert, allerdings "mit Ausnahme der organisatorischen Angelegenheiten". Für die organisatorischen Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit (mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts) ist also das BMJ zuständig.

Wo immer im BVwGG daher "Bundeskanzler" steht, ist derzeit"BMJ" zu lesen (als Folge des § 17 BMG). Dies wird auch in der Praxis - die freilich, wie wir aktuell leider in anderem Zusammenhang erleben, kein verlässlicher Anzeiger der Rechtmäßigkeit ist - so gehalten (siehe nur zum Beispiel diese Verordnung der Justizministerin zur Änderung der zunächst vom Bundeskanzler erlassenen Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim BVwG).

Der Kommission hat also jedenfalls ein Vertreter bzw. eine Vertreterin der Bundesministerin für Justiz anzugehören.

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Update 13.07.2022: das BMKÖS hat im Amtsblatt zur Wiener Zeitung ein Erratum zur Ausschreibung veröffentlicht und darin die Kommissionszusammensetzung korrigiert:


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Der/die weitere Vertreter:in eines Bundesministeriums ist auch nicht zwingend jemand vom BMKÖS. Dass es diese zweite Person gibt, ist eine klassische Folge des Koalitionsdenkens, und in der Praxis ist klar, was damit gemeint ist: jemand aus einem "andersfarbigen Ressort". Die Erläuterungen (RV 2008 BlgNR 24-GP, S. 3) verbrämen das nur unzureichend:

"Der gemäß Abs. 5 neben dem Vertreter des Bundeskanzlers [nun: der Bundesministerin für Justiz] in die Kommission entsandte weitere Ressortvertreter soll die Expertise der Ressorts in die Kommission einbringen. Er wird in Abstimmung der Ressorts zu bestimmen sein."

Interessant ist, dass es kein formalisiertes Procedere für die Auswahl jenes Ressorts gibt, von dem diese:r weitere Regierungsvertreter:in in der Auswahlkommission bestimmt werden soll. Die Erläuterungen erwarten nur eine "Abstimmung der Ressorts" - auch das weist darauf hin, dass es ein Koalitionsthema ist. Immerhin ist der endgültige Bestellungsvorschlag an den Bundespräsidenten von der Bundesregierung zu beschließen, bedarf also der Einstimmigkeit. Da wird man sich wohl auch zuvor über die Kommissionszusammensetzung einigen müssen.

Theoretisch könnte der/die weitere Vertreter:in eines Bundesministeriums also durchaus vom BMKÖS kommen. Da dieses aber vom selben Koalitionspartner wie das BMJ geführt wird, wäre es doch überraschend, wenn zwei von grünen Minister:innen nominierte Vertreter:innen in der Auswahlkommission sitzen würden - noch dazu wo im bekannten Sideletter zum BVwG steht: "Präsident (2022): Nominierungsrecht ÖVP". Möglich wäre freilich auch, dass man sich auf Regierungsebene auf die konkreten Personen einigt, die als Ressortvertreter:innen in die Kommission entsandt werden, und diese müssen nicht die gleiche politische "Farbe" wie die Ministerin/der Minister haben.

Die Kommission besteht weiters aus den drei Höchstgerichtspräsident:innen (oder deren Vertreter:innen) und zwei Vertreter:innen der Wissenschaft. Wer letztere auswählt, wird im Gesetz nicht geregelt, auch hier kann man also erwarten, dass es einen Konsens in der Bundesregierung geben muss - und dementsprechend werden wohl schnell Überlegungen zur koalitionären Zuordenbarkeit der Wissenschafter:innen angestellt werden.

Eine Beteiligung der kollegialen Justizverwaltung - also etwa des Personalsenates - am Bestellungsvorgang ist im Gesetz übrigens nicht vorgesehen. Für die Bestellung von Präsident:in und Vizepräsident:innen des OGH war zuletzt eine derartige Einbindung von der Justizministerin vorgeschlagen worden (fand bislang allerdings nicht den Weg ins Gesetz); für das ebenfalls zur Justizministerin ressortierende BVwG gab es bisher nicht einmal einen Vorschlag des Ressorts.

3. Wer wird es werden?

Ich habe keine Ahnung, und ich vertraue natürlich auf ein sachliches Auswahlverfahren. Wir wissen zudem nicht, wer sich bewerben wird. Der Vizepräsident des BVwG hat sich zwischenzeitig nach einem anderen Job umgeschaut, aber vielleicht wird er sich dann doch auch für die Funktion des Präsidenten bewerben. Ansonsten fällt auf, dass die Ausschreibung eine tatsächliche Praxis als Richter:in nicht ausdrücklich verlangt. Das in der Ausschreibung genannte Erfordernis "praktische Erfahrungen auf dem Gebiet gerichtlicher bzw. gerichtsförmiger Entscheidungsfindungsprozesse" ließe allenfalls Spielraum, um zB, falls dies gewollt wäre, auch einen geprüften Richter, der nach der Richteramtsprüfung nie judiziert, sondern in der Verwaltung und/oder in Kabinetten gearbeitet hat, in die Auswahl mit einzubeziehen.

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