tag:blogger.com,1999:blog-366551732024-03-18T04:04:35.085+01:00e-commBlog zum österreichischen und europäischen Recht der elektronischen Kommunikationsnetze und -diensteUnknownnoreply@blogger.comBlogger1148125tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-54391539975564932472023-11-19T15:18:00.002+01:002023-11-19T16:13:22.819+01:00Zitierverbot aus Gerichtsakten - Anmerkung zu einer "Nachhilfestunde"<p>Vor zwei Wochen hat Bundesministerin Edtstadler <a href="https://www.profil.at/oesterreich/oevp-ministerin-karoline-edtstadler-medien-brauchen-grenzen/402655754" target="_blank">in einem Interview im profil</a> (wieder einmal) gesagt, sie wolle <i>"das Zitierverbot [aus Gerichtsakten] im Strafgesetz verankern – nach deutschem Vorbild"</i>. </p><p>Eine Woche später führte Nikolaus Forgó <a href="https://www.profil.at/meinung/nikolaus-forgo-warum-edtstadlers-aktenzitierverbot-unsinn-ist/402669187" target="_blank">ebenfalls im profil</a> näher aus, warum er <i>"Edtstadlers Aktenzitierverbot"</i> wörtlich für <i>"Unsinn</i>" hält. </p><p>Gestern reagierte Edtstadler <a href="https://kurier.at/meinung/gastkommentar/sagen-was-ist-die-pressefreiheit-ist-nicht-absolut/402675403" target="_blank">in einem Kommentar im Kurier</a> wiederum auf Forgó, dem sie (freilich ohne ihn zu nennen) vorwarf, sich als <i>"vermeintlicher Retter der Pressefreiheit"</i> aufzuspielen. Und heute setzte sie noch etwas drauf, indem sie den Kurier-Kommentar mit leichten Modifikationen auf <a href="https://twitter.com/k_edtstadler/status/1726148599963169132" rel="nofollow" target="_blank">"X"</a> und <a href="https://www.instagram.com/p/Cz0YbkZM8m5/?img_index=1" rel="nofollow" target="_blank">Instagram</a> (und wer weiß auf welchen Plattformen sonst noch) - mit durchaus bemerkenswerten Ergänzungen - zweitverwertete. </p><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjaXUNDK5asm22h8oiZuwJotlOgkHzGOq0laiYiz2AoWYGxA2QqwDYbeS16vbnTEqBV2ema73VqzUcjJe8gb7H91Ukt_Mig_5y5Z_L9Y1jYjMD1m_51wFTd50Yvx3z6pwLbQ_aeAoNeANt2i3Ao6qs0i2tj_bYpBw2VS_WBXAw4oukhwDeot4jY" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img data-original-height="253" data-original-width="664" height="152" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEjaXUNDK5asm22h8oiZuwJotlOgkHzGOq0laiYiz2AoWYGxA2QqwDYbeS16vbnTEqBV2ema73VqzUcjJe8gb7H91Ukt_Mig_5y5Z_L9Y1jYjMD1m_51wFTd50Yvx3z6pwLbQ_aeAoNeANt2i3Ao6qs0i2tj_bYpBw2VS_WBXAw4oukhwDeot4jY=w400-h152" width="400" /></a></div><br />Ich habe mich bisher nicht zu dem von Edtstadler und anderen ÖVP-Politiker:innen geforderten Aktenzitierverbot geäußert. Insofern bin ich wohl nicht direkter Adressat der von der Frau Bundesministerin angebotenen "Nachhilfestunde für alle vermeintlichen Menschenrechtsexpert:innen."<div><br /></div><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><div><div style="text-align: left;">[Ich bin auch nicht sicher, ob sich Kurier-Kommentare oder X- und Insta-Postings als Nachhilfe-Medien eignen, und ich würde - auch wenn ich mit Nikolaus Forgó gerne immer wieder mal auch unterschiedlicher Meinung bin - mir nicht anmaßen, ihn als bloß "vermeintlichen Menschenrechtsexperten" zu bezeichnen (ebensowenig wie andere Personen, die sich zu dieser Sache geäußert haben). Ich würde auch Edtstadler Expertise nicht absprechen, immerhin ist sie ausgebildete Richterin, hat drei Jahre als Richterin gearbeitet und auch eineinhalb Jahre als juristische Mitarbeiterin beim EGMR verbracht.]</div></div></blockquote><div><p></p><p>Ich habe beim Lesen des Kurier-Kommentars gestern zunächst gedacht: sie zitiert das <a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-161898" rel="nofollow" target="_blank">Urteil <i>Bédat</i></a>, das könnte ja Ausgangspunkt für eine sachliche Debatte werden. Aber leider nutzte sie ihren Kommentar dann doch nicht dazu, zu präzisieren, was sie konkret anstrebt, sodass sie Forgós Befund bestätigt: es geht nicht um einen "diskutablen Gesetzesvorschlag", sondern um eine per Presseaussendung oder Interview kommunizierte Wunschvorstellung. </p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;">[Die im Posting heute hinzugefügte herablassende Äußerung über "vermeintliche Menschenrechtsexpert:innen" hilft erst recht nicht weiter, um eine sachliche Debatte zu führen.] </p></blockquote><p>Und das motiviert mich dazu, auch ein paar Worte zum Aktenzitierverbot bzw. zur aktuellen Diskussion darüber zu schreiben. Ich will niemandem Nachhilfe erteilen, aber ein paar Punkte sortieren. Warnung: es ist nicht ganz einfach, und es ist nicht alles schwarz/weiß.</p><h4 style="text-align: left;">1. "Medien brauchen Grenzen" und "Die Pressefreiheit ist nicht absolut"</h4><p>BM Edtstadler positioniert sich in letzter Zeit als Ministerin, die den Medien Grenzen setzen und die Pressefreiheit einschränken will ("Medien brauchen Grenzen" war die Headline zu ihrem profil-Interview, "die Pressefreiheit ist nicht absolut" der - selbst gewählte - Titel ihres jüngsten Kommentars). Medien haben natürlich auch jetzt schon Grenzen, der Bundesministerin geht es aber darum, diese Grenzen enger zu ziehen. Und dass die Pressefreiheit nicht absolut ist, ist vollkommen unstrittig, das muss man nur betonen, wenn man sie noch etwas mehr relativieren, also beschränken will. </p><p>Aber: es gibt einen Unterschied zwischen Pressefreiheit einschränken und Pressefreiheit abschaffen. Das Ziel von BM Edtstadler ist es, den Medien Möglichkeiten zu nehmen, die ihnen nach der derzeitigen Rechtslage offenstehen. Durch ein - wie auch immer ausgestaltetes - Aktenzitierverbot soll die Position der Beschuldigten (oder anderer Beteiligter) in Strafverfahren gestärkt werden, zum Schutz der grundrechtlich nach Art. 6 und 8 EMRK geschützten Interessen. </p><p>Diese zunächst vom Gesetzgeber vorzunehmende Abwägung unterschiedlicher grundrechtlich geschützter Positionen ist heikel, und es gibt tatsächlich nicht die eine, einzige, jedenfalls EMRK-konforme Lösung. Es kann durchaus sein, dass Regelungen, wie sie derzeit in Österreich bestehen (eingeschränktes Veröffentlichungsverbot nach § 54 StPO, medienrechtliche Grenzen für die Veröffentlichung im Mediengesetz) in der Regel genauso zu EMRK-konformen Entscheidungen im Einzelfall führen wie weitergehende Veröffentlichungsverbote, die in anderen Europarats-Staaten bestehen. Insofern müsste selbst eine gesetzliche Einschränkung der derzeit für Medien bestehenden Möglichkeit, auch wörtlich aus Akten zu zitieren, nicht zwingend zu einer Verletzung des Art. 10 EMRK führen - wenn (und das ist ein großes WENN) dennoch eine Abwägungsentscheidung im Einzelfall eröffnet wird. </p><p>Was man nämlich mit ziemlicher Gewissheit sagen kann: <b>absolute Veröffentlichungsverbote, die ohne Abwägungsoffenheit für den Einzelfall ausgestaltet sind, sind nicht mit der EMRK vereinbar.</b> </p><h4 style="text-align: left;">2. Das "deutsche Vorbild"</h4><p>Das ist auch das große rechtliche Problem mit dem "deutschen Vorbild", das Edtstadler anspricht. Dabei geht es um <a href="https://dejure.org/gesetze/StGB/353d.html" rel="nofollow" target="_blank">§ 353d Nr. 3 des deutschen Strafgesetzbuchs</a> (Nikolaus Forgó hat dazu <a href="https://www.profil.at/meinung/nikolaus-forgo-warum-edtstadlers-aktenzitierverbot-unsinn-ist/402669187" rel="nofollow" target="_blank">in seinem Kommentar</a> im Wesentlichen das gesagt, was es dazu zu sagen gibt). Diese Bestimmung sieht ein absolutes Veröffentlichungsverbot für bestimmte Aktenteile vor, ohne dass es eine Möglichkeit gibt, etwa wegen besonderen öffentlichen Interesses im Einzelfall dennoch straffrei diese Dokumente veröffentlichen zu können. </p><p>Nun hat Edtstadler in ihrem Kurier-Kommentar allerdings angeführt, dass die Abwägung (konkurrierender Grundrechtspositionen) "selbstverständlich auch zu erfolgen [hat], wenn wir ein Zitierverbot diskutieren." Heißt das, dass sie vom deutschen Vorbild abrückt? Oder meint sie, dass das deutsche Vorbild Ergebnis einer ausreichenden (gesetzgeberischen) Abwägung ist?</p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;">[Was mich an der Berufung auf das deutsche Vorbild übrigens in faktischer mehr als in rechtlicher Hinsicht irritiert, ist der Umstand, dass der Hauptanwendungsfall, für den das Aktenzitierverbot derzeit von BM Edtstadler und anderen gefordert wird, damit gar nicht abgedeckt würde: Chats von Spitzenpolitikern, Spitzenbeamten, einem mittlerweile ehemaligen Verfassungsrichter (gendern nicht notwendig), die in einen Ermittlungsakt geraten, wären keine von einem strikt nach deutschem Vorbild konstruierten Zitierverbot betroffene amtliche Dokumente (so hat <a href="https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=134177&pos=0&anz=1" rel="nofollow" target="_blank">der BGH vor kurzem ausgesprochen</a>, dass private Tagebuchaufzeichnungen, die von den Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmt worden sind, keine "amtlichen Dokumente" des Strafverfahrens im Sinne von § 353d Nr. 3 StGB sind).]</p></blockquote><h4 style="text-align: left;">3. Das EGMR-Urteil Bédat</h4><p>Edtstadler beruft sich auf das <a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-161898" rel="nofollow" target="_blank">Urteil der Großen Kammer des EGMR im Fall <i>Bédat</i></a>. Ich habe mich mit diesem Urteil damals im Blog ausführlich auseinandergesetzt und verweise zum Inhalt daher auf <a href="https://blog.lehofer.at/2016/03/Bedat.html" rel="nofollow" target="_blank">diesen Beitrag</a>. </p><p>Ganz knapp zusammengefasst: der EGMR hat in diesem Fall, in dem ein Journalist wegen Zitierens aus den Akten eines noch anhängigen Strafverfahrens nach einem spektakulären Verkehrsunfall von den Schweizer Gerichten nach Art. 293 des Schweizer Strafgesetzbuches zu einer Geldstrafe von umgerechnet rund 2.667 € verurteilt worden war, keine Verletzung des Art. 10 EMRK festgestellt. Dem lag eine umfassende Abwägung des EGMR zugrunde, in die u.a. eingeflossen war, dass sich der Journalist auf Sensationalismus beschränkt habe und dass die Veröffentlichung (von Vernehmungsprotokollen und Briefen des Angeklagten aus der U-Haft) keine für die öffentliche Debatte relevanten Erkenntnisse gebracht und höchstens eine ungesunde Neugierde befriedigt habe. Auch hatte das Schweizer Bundesgericht schon eine umfassende Abwägung mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 10 EMRK vorgenommen, an der der EGMR nichts auszusetzen fand. </p><p>Das Urteil hatte allerdings für die Schweizer Gesetzgebung Folgen, denn es machte deutlich, dass die damalige Schweizer Gesetzeslage mit einem absoluten Veröffentlichungsverbot nicht für jeden Fall ausreichend war. Mit Bundesgesetz vom 16. Juni 2017 (Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen) wurde <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/de#book_2/tit_15/lvl_u8" rel="nofollow" target="_blank">Art. 293 Abs. 1 und 3 des Schweizer Strafgesetzbuchs</a> neu gefasst; Abs. 3 lautet nun: "Die Handlung [Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen] ist nicht strafbar, wenn der Veröffentlichung kein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse entgegengestanden hat."</p><p>(Wer die damaligen Überlegungen zur Gesetzwerdung näher nachlesen will: <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2016/1580/de" rel="nofollow" target="_blank">Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates</a> zur Parlamentarischen Initiative "Aufhebung von Artikel 293 StGB" und <a href="https://www.fedlex.admin.ch/eli/fga/2016/1624/de" rel="nofollow" target="_blank">Stellungnahme des Bundesrates</a>.)</p><p>Die Schweiz ist wohl auch zu unserer aktuellen Diskussion neutral, aber sie hat eines jedenfalls erkannt: <b>ein absolutes Veröffentlichungsverbot aus (u.a.) Gerichtsakten, bei dem keine Abwägung mit entgegenstehenden Interessen erfolgt, ist nicht geeignet, die Einhaltung von Art. 10 EMRK zu gewährleisten. </b></p><h4 style="text-align: left;">4. Die aktuelle österreichische Rechtslage</h4><p><a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40202483/NOR40202483.html" rel="nofollow" target="_blank">§ 54 StPO</a> untersagt es Beschuldigten und ihren Verteidiger:innen, Informationen, die sie im Verfahren in nicht öffentlicher Verhandlung oder im Zuge einer nicht öffentlichen Beweisaufnahme oder durch Akteneinsicht erlangt haben, "in einem Medienwerk oder sonst auf eine Weise zu veröffentlichen, dass die Mitteilung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, wenn dadurch schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen (§ 1 Abs. 1 DSG) anderer Beteiligter des Verfahrens oder Dritter, die gegenüber dem öffentlichen Informationsinteresse überwiegen, verletzt würden." Andere als Beschuldigte und deren Verteidiger:innen, also insbesondere Journalist:innen, sind davon zunächst nicht betroffen. </p><p style="text-align: left;">Allerdings bestehen für Veröffentlichungen in Medien auch die Grenzen des <a href="https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000719" rel="nofollow" target="_blank">Mediengesetzes</a> (insbesondere im Hinblick auf die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches, den Schutz vor Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen, den Schutz der Unschuldsvermutung und den Schutz vor verbotener Veröffentlichung), sowie die allgemeinen persönlichkeits- und datenschutzrechtlichen Grenzen. </p><p style="text-align: left;">Kein Medium kann es sich leisten, rücksichtslos wörtlich aus Gerichtsakten zu zitieren, sondern es muss selbstverständlich abgewogen werden, ob damit allenfalls verbundene Eingriffe in grundrechtlich geschützte Positionen - wie zB das Privatleben der Beteiligten - einer Veröffentlichung entgegenstehen. Jeder betroffenen Person steht es natürlich offen, gegen solche Veröffentlichungen juristisch vorzugehen und gegebenenfalls die Angelegenheit bis vor dem EGMR zu bringen. Bislang gibt es jedenfalls keine Entscheidung des EGMR, aus der sich ergeben würde, dass die österreichische Rechtslage im Hinblick auf Veröffentlichungen aus Gerichtsakten den Anforderungen (auch) der Art. 6 und 8 EMRK nicht entsprechen würde. </p><h4 style="text-align: left;">5. Chilling effect</h4><p style="text-align: left;">Zusammenfassend: wenn es darum geht, ein Aktenzitierverbot einzuführen, das ausnahmslos und ohne Abwägungsmöglichkeit im Einzelfall (wörtliche) Veröffentlichungen aus Gerichtsakten strafrechtlich untersagt, so würde dies im Lichte gerade der von Edtstadler zitierten Bédat-Rechtsprechung des EGMR den Anforderungen des Art. 10 EMRK nicht (in jedem Fall) entsprechen. </p><p style="text-align: left;">Geht man aber davon aus, dass es - wie etwa in der Schweiz - "nur" darum gehen soll, ein Verbot mit einer Ausnahme (nach Interessenabwägung) einzuführen, so würde dies zwar rechtlich im Ergebnis gegenüber der bestehenden Rechtslage wohl nicht allzu viel ändern - denn schon jetzt kann nur nach entsprechender Abwägung veröffentlicht werden. </p><p style="text-align: left;">Was ein derartiges ausdrücklich strafgesetzliches Verbot (mit Ausnahme nach Abwägung) aber bewirken würde, wäre eine Erhöhung der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung von Journalist:innen, auch wenn ihnen die Möglichkeit offen bleibt, insbesondere durch Nachweis des öffentlichen Interesses an einer Veröffentlichung straffrei zu bleiben. </p><p style="text-align: left;">Meines Erachtens ist das der falsche Weg. Soferne man - wie offenbar BM Edtstadler - in den bestehenden medienrechtlichen Bestimmungen (oder im allgemeinen Persönlichkeitsrecht) Defizite erkennt, um Veröffentlichungen wirksam entgegenzuwirken, die zu stark in das nach Art. 8 EMRK geschützte Privatleben oder das nach Art. 6 EMRK geschützte faire Verfahren eingreifen, dann läge es eher nahe, diese medienrechtlichen Regelungen nachzuschärfen, statt neue Strafdrohungen gegen Journalist:innen zu schaffen.</p><p style="text-align: left;">Einen Entwurf oder konkreten Vorschlag, den man näher prüfen könnte, gibt es aber nicht. </p><p style="text-align: left;">Und so bleibt für mich aus der aktuellen (Nicht-)Diskussion der Eindruck bestehen, als ginge es tatsächlich mehr um den "chilling effect", den man mit einer gerichtlichen Strafdrohung für das Zitieren von Akten erzielen möchte. </p><h4>Epilog: die Sache mit der Meinungsäußerungsfreiheit</h4><p style="text-align: left;"></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhXX5E2ztQ3QHUybVHFyQ3cb6xerGn-I1e1n_En4CjZ9QTBxuC6Ka14OukUL0y8C_xeHQrfnXArgkzFyM1Kmq8n7StS-h0shwzUzrVAwsnvH5Av326yBWGNNurS0yNFYGOmP4JWgGMqQuB2dhT_7WqwMbFFn6Oor-xq6W72jDfezAUi5_JOzNzm" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img data-original-height="280" data-original-width="870" height="129" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEhXX5E2ztQ3QHUybVHFyQ3cb6xerGn-I1e1n_En4CjZ9QTBxuC6Ka14OukUL0y8C_xeHQrfnXArgkzFyM1Kmq8n7StS-h0shwzUzrVAwsnvH5Av326yBWGNNurS0yNFYGOmP4JWgGMqQuB2dhT_7WqwMbFFn6Oor-xq6W72jDfezAUi5_JOzNzm=w400-h129" width="400" /></a></div><p></p><p style="text-align: left;">In einer weiteren Ergänzung gegenüber dem Kurier-Kommentar sieht BM Edtstadler<i> "in Österreich weniger ein Problem mit der Pressefreiheit als mit der Meinungsäußerungsfreiheit." </i></p><p style="text-align: left;">Das ist schon insofern merkwürdig, als die "Pressefreiheit" ein Teil der Freiheit der Meinungsäußerung (<a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR12016941/NOR12016941.html" rel="nofollow" target="_blank">Art. 10 EMRK</a>) ist und auch <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR12000053/NOR12000053.html" rel="nofollow" target="_blank">Art. 13 StGG</a> die Meinungsäußerungsfreiheit ebenso umfasst wie die Pressefreiheit. </p><p style="text-align: left;">Aber es ist doch erschreckend, wenn die Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt ein Problem mit der der Meinungsäußerungsfreiheit in Österreich sieht. Es wäre doch zu erwarten, dass sie sich als Verfassungsministerin dafür einsetzt, dass die Meinungsäußerungsfreiheit in Österreich nicht in Gefahr gerät, und daher deutlich benennt, wo die Probleme liegen. Wo beschränkt denn der Staat ihrer Ansicht nach unzulässig die Meinungsäußerungsfreiheit? Oder wo tut er nicht genug dafür, dass Private ausreichend staatlichen Schutz erhalten, wenn andere gegen sie wegen von ihnen getätigter Äußerungen vorgehen? Vielleicht hält BM Edtstadler ja die Regeln gegen SLAPP-Klagen für unzureichend? </p><p style="text-align: left;">Doch nein, es geht um den von der Frau Bundesministerin wahrgenommenen <i>"Drang, unerwünschte Diskussionen im Keim zu ersticken"</i>. In Verbindung mit dem weiteren Inhalt ihres Kommentars (<i>"Letztere [Personen, die sich ablehnend zu dem von ihr geforderten Zitierverbot geäußert haben] wollen die Diskussion am liebsten sofort beenden, indem sie sich auf eine rechtliche Unzulässigkeit berufen."</i>) sieht sie offenbar die Meinungsäußerungsfreiheit dadurch gefährdet, dass manche eine Diskussion beenden möchten. Oder noch konkreter: die Bundesministerin sieht die Meinungsäußerungsfreiheit dadurch gefährdet, dass manche (<a href="https://www.profil.at/meinung/nikolaus-forgo-warum-edtstadlers-aktenzitierverbot-unsinn-ist/402669187" rel="nofollow" target="_blank">zB ein Universitätsprofessor in einem profil-Kommentar</a>) der Auffassung sind, dass ein von ihr geäußerter Vorschlag rechtlich unzulässig sei.</p><p style="text-align: left;">Nun, last time I checked standen Nikolaus Forgó natürlich keine staatlíchen Zwangsmittel zur Verfügung, um die Diskussion tatsächlich zu beenden (abgesehen davon, dass er einen derartigen Wunsch auch gar nicht geäußert hat - und dass niemand, der ihn kennt, annehmen würde, er würde Diskussionen gerne raschestmöglich beenden). </p><p style="text-align: left;">Es ist also nicht einmal im Ansatz nachvollziehbar, wo hier ein Problem mit der Meinungsäußerungsfreiheit liegen könnte. Ich bin wirklich gespannt, ob die Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt in ihrem angekündigten kommenden Beitrag auf ihren (politischen, nicht amtlichen) Social Media-Accounts irgendwelche tatsächlich relevanten Probleme mit der Meinungsäußerungsfreiheit in Österreich identifizieren wird, oder ob es beim Geraune über einen angeblichen "Drang, unerwünschte Diskussionen im Keim zu ersticken," bleibt.</p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;">[Das <a href="The self-regulatory Press Council experiences financial challenges, which should be relieved once a new federal law providing for more financial support will be in force. Parliament adopted a law improving the transparency of state advertising, while the fairness of its allocation remains unaddressed. A new draft law on funding of quality journalism increases the amount of funding and widens the scope of beneficiaries. A new law adopted by Parliament has drawn criticism for partly transforming one of the oldest newspapers into a medium focused on training and education. The institutional set-up of the public service media provider has been criticised for being vulnerable to politicisation, and a constitutional complaint regarding the composition of its governing foundation council is pending. While consultations continued, the freedom of information law has not advanced. Some challenges regarding the safety of journalists remain." rel="nofollow" target="_blank">Österreich-Kapitel des letzten Rule of Law-Berichts der EU-Kommission</a> sieht übrigens keine systematischen oder strukturellen Probleme mit der Meinungsäußerungsfreiheit; dort wurden im Zusammenhang mit der hier relevanten Thematik nur Medienfragen thematisiert, darunter die Schwierigkeiten der Finanzierung des Presserats, die Vergabe staatlicher Inserate, das "institutional set-up" des ORF (vor der VfGH-Entscheidung) oder das noch nicht beschlossene Informationsfreiheitsgesetz.] </p></blockquote></div>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-17713568751457637672023-10-12T12:58:00.001+02:002023-10-12T12:58:49.009+02:00Die verfassungsrechtlich eingehegte Rundfunkordnung (oder: der VfGH und die beste aller Rundfunk-Welten)<div style="text-align: left;">Das <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_20231005_22G00215_00/JFT_20231005_22G00215_00.pdf" rel="nofollow" target="_blank">aktuelle VfGH-Erkenntnis zu den ORF-Gremien</a> wurde gleich nach seiner Veröffentlichung vor zwei Tagen ausführlich durchs mediale Dorf getrieben (auch ich wurde umfassend befragt, kaum dass ich Zeit gehabt hatte, es quer zu lesen). Für die Öffentlichkeit ist das Erkenntnis erstmal abgehakt, auch wenn die damit aufgegebene gesetzgeberische Arbeit (ebenso wie der ihr vorangehende politische Aushandlungsprozess) natürlich erst am Anfang steht. In der Berichterstattung stand vor allem im Fokus, dass der VfGH den Bestellungsmechanismus für die Stiftungs- und Publikumsratsmitglieder in wesentlichen Teilen als verfassungswidrig beurteilt hat. Weniger Beachtung fand das Grundsätzliche: die vom VfGH aus dem <a href="https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000555" rel="nofollow" target="_blank">BVG Rundfunk</a> <i>und</i> <a href="https://www.ris.bka.gv.at/NormDokument.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000308&FassungVom=2023-10-12&Artikel=10&Paragraf=&Anlage=&Uebergangsrecht=" rel="nofollow" target="_blank">Art. 10 EMRK</a> abgeleitete <b>institutionelle Garantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk</b>.</div><div style="text-align: left;"><br />Nachdem ich gestern das ganze Erkenntnis <a href="https://blog.lehofer.at/2023/10/ORF-Gremien.html" rel="nofollow" target="_blank">in einem (zu) langen Blogbeitrag</a> beschrieben und eine erste vorläufige Einordnung versucht habe, möchte ich heute noch gesondert ein paar Worte nur zu diesem neuen - oder zumindest neu beschriebenen - verfassungsrechtlichen Eckpunkt der Rundfunkordnung schreiben. Dazu muss ich zunächst noch auf das VfGH-Erkenntnis zum Programmentgelt eingehen, das den Boden für das aktuelle Erkenntnis zu den ORF-Gremien aufbereitet hat.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><h4 style="text-align: left;">Eckpunkt 1: Funktions- und Finanzierungsverantwortung (Programmentgelt-Erkenntnis)</h4><div style="text-align: left;">Im Erkenntnis zum ORF-Programmentgelt vor gut einem Jahr (<a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_20220630_21G00226_00/JFT_20220630_21G00226_00.pdf">VfGH 30.6.2022, G 226/2021</a>) hat der VfGH zunächst [Rn. 23] aus Art. I Abs. 2 und 3 BVG Rundfunk eine den Gesetzgeber treffende <b>Funktions- und Finanzierungsverantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk</b> abgeleitet. In Rn. 37 dieses Erkenntnisses spannte er sodann den Bogen auch zu Art. 10 EMRK: </div><div style="text-align: left;"><br /></div><blockquote style="border: none; margin: 0 0 0 40px; padding: 0px;"><div style="text-align: left;"><i>BVG Rundfunk und Art. 10 EMRK konstituieren – über Art. 10 Abs. 1 Satz 3
EMRK verbunden (<a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_20211006_21E02477_00/JFT_20211006_21E02477_00.pdf" rel="nofollow" target="_blank">VfGH 6.10.2021, E 2477/2021</a>) – eine <b>Funktionsverantwortung</b>
des Gesetzgebers in demokratischer und kultureller Hinsicht <b>für die Ausgestaltung
der Rundfunkordnung</b>. Diese beruht auf der in Art. 10 EMRK gewährleisteten individuellen Rundfunkfreiheit ebenso wie auf den institutionellen Vorgaben des BVG
Rundfunk (davon geht der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung
aus, vgl. etwa <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_10088999_90B00982_00/JFT_10088999_90B00982_00.pdf" rel="nofollow" target="_blank">VfSlg. 12.822/1991</a> mit Hinweisen zur Vorjudikatur) und soll umfassend die Freiheit des öffentlichen Diskurses im Wege des Rundfunks gewährleisten. </i><i>Erfasst von dieser Gewährleistungspflicht ist [...] Rundfunk iSd Art. I Abs. 1 BVG Rundfunk. Für
den in dieser Verfassungsbestimmung umschriebenen Rundfunk gelten <b>die institutionellen Garantien des Art. I Abs. 2 und Abs. 3 BVG Rundfunk</b> in Verbindung mit, derartigen Rundfunk ebenso von seinem Schutzbereich miteinschließend,
Art. 10 EMRK. </i>[Hervorhebung hinzugefügt]</div></blockquote><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Schon in diesem Erkenntnis hat der VfGH also <b>institutionelle Garantien</b> für den Rundfunk angesprochen, ohne das allerdings näher zu spezifizieren (schließlich ging es in diesem Zusammenhang vor allem um die Frage der Abgrenzung des Rundfunkbegriffs in Art. I BVG Rundfunk). Er hielt dann auch noch fest, dass <b>"dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk
seine nach Maßgabe des BVG Rundfunk und des Art. 10 EMRK funktionsadäquate
Stellung zukommen"</b> muss, bevor er sich näher mit dem Inhalt der aus dem BVG Rundfunk abgeleiteten "Finanzierungsgarantie" befasste. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Der VfGH hat damit bereits einen großen Bogen gespannt, um die Frage der Finanzierungsverantwortung zu klären. Schon dieses Erkenntnis legte nahe, dass es nach Auffassung des VfGH nicht nur eine Pflicht des Gesetzgebers gibt, die (funktionsadäquate) Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu gewährleisten, sondern dass es auch jedenfalls einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben muss, es also nicht ins Belieben des einfachen Gesetzgebers gestellt ist, die duale Rundfunkordnung (Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk) dahin abzuändern, nur mehr privaten Rundfunk zu ermöglichen. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><h4 style="text-align: left;">Eckpunkt 2: Institutionelle Bestandsgarantie für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter</h4><div style="text-align: left;">Mit dem nun gefällten <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_20231005_22G00215_00/JFT_20231005_22G00215_00.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Erkenntnis zu den ORF-Gremien</a> bekräftigt der VfGH die im Programmentgelt-Erkenntnis getroffenen Aussagen: den (Bundes-)Gesetzgeber trifft eine Funktionsverantwortung für die Ausgestaltung der Rundfunkordnung, die sowohl auf Art. 10 EMRK als auch auf dem BVG Rundfunk beruht [Rn. 61]. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk muss dabei in "der so verfassungsrechtlich eingehegten Rundfunkordnung [...] seine nach Maßgabe des BVG Rundfunk und des Art. 10 EMRK funktionsadäquate Stellung zukommen." [Rn. 62] Daran anschließend konkretisiert der VfGH die Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: </div><div style="text-align: left;"><br /></div><blockquote style="border: none; margin: 0 0 0 40px; padding: 0px;"><div style="text-align: left;"><i>"Diese Funktions- und Finanzierungsverantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk umfasst <b>die Verpflichtung, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass eine den Grundsätzen des Art. I Abs. 2 zweiter Satz BVG Rundfunk entsprechende öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstaltung gewährleistet ist,</b> ebenso wie – damit nach dem Konzept des BVG Rundfunk untrennbar zusammenhängend – </i><b><i>die institutionelle Verpflichtung, diese Programmveranstaltung durch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter zu organisieren."</i> </b>[Hervorhebung hinzugefügt]</div></blockquote><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Der VfGH nennt damit zwei Verpflichtungen des Gesetzgebers: </div><div><ul style="text-align: left;"><li>Einerseits muss der Gesetzgeber Rahmenbedingungen schaffen, die sicherstellen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter in seiner Tätigkeit die im BVG Rundfunk festgelegten Grundsätze (Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, Berücksichtigung der Meinungsvielfalt, Ausgewogenheit der Programme, Unabhängigkeit) einhält.</li><li>Andererseits muss der Gesetzgeber <b>zwingend einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter einrichten</b>, der Rundfunk im Sinne der gerade genannten Grundsätze des BVG Rundfunk veranstaltet.</li></ul></div><div>So deutlich hat der VfGH diese Verpflichtung zur Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalters bisher nicht benannt, wenngleich man sie implizit wohl auch schon aus dem Programmentgelt-Erkenntnis ableiten könnte - denn welchen Sinn hätte eine Finanzierungsgarantie, wenn es nicht zwingend eine zu finanzierende Einrichtung gäbe? </div><div><br /></div><h4 style="text-align: left;">ORF forever?</h4><div style="text-align: left;">Die Bestandsgarantie heißt weder, dass es den ORF auf ewig geben muss (der Gesetzgeber könnte auch einen neuen, anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter einrichten), noch dass der Auftrag unverändert bleiben müsste. Wesentlich ist aber, dass dem ORF (oder einem allenfalls an seine Stelle tretenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Veranstalter) "seine nach Maßgabe des BVG Rundfunk und des Art. 10 EMRK <b>funktionsadäquate Stellung</b> zukommen" muss. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Das bedeutet insbesondere, dass dieser Rundfunkveranstalter <b>"umfassend die Freiheit des öffentlichen Diskurses im Wege des Rundfunks gewährleisten"</b> muss (siehe Rn. 61 im aktuellen Programmentgelt-Erkenntnis und Rn. 37 im Programmentgelt-Erkenntnis) und dass es bei den Gestaltungsvorgaben auf <b>"die demokratische und kulturelle Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Gesamtrundfunkordnung"</b> ankommt (siehe Rn. 62 im aktuellen Programmentgelt-Erkenntnis und Rn. 45 im Programmentgelt-Erkenntnis; siehe auch Rn. 23 des Programmentgelt-Erkenntnisses, der auf "die demokratische und kulturelle Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" abstellt). </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Eine allfällige Änderung der Aufgabenstellung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (eine Änderung des öffentlich-rechtlichen Auftrags) muss diese Grenzen beachten. <b>Änderungen, durch die der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Bedeutung für den öffentlichen Diskurs verlieren oder die ihm seine demokratische und kulturelle Bedeutung nehmen könnten, würden den verfassungsrechtlichen Rahmen, den das BVG Rundfunk und Art. 10 EMRK setzen, überschreiten.</b> </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Der VfGH, der ja über konkrete Anträge zu entscheiden hatte und nicht in der Rolle eines Gutachters ist, gibt in seinen Erkenntnissen natürlich keine konkreten Hinweise darauf, ab wann bzw. bei welchen Änderungen die "funktionsadäquate Stellung" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in diesem Sinne gefährdet wäre und damit eine verfassungswidrige Auftrags- oder Organisationsänderung vorläge. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Eine Auftragsänderung, die den ORF (oder einen an seine Stelle tretenden öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter) etwa auf einen reinen Informationssender reduzieren oder ihm sonst wesentliche Elemente des derzeitigen Kernauftrages (vgl. <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40254097/NOR40254097.html" rel="nofollow" target="_blank">§ 4 ORF-G</a>) entziehen würde, könnte meines Erachtens schon deshalb verfassungswidrig sein, weil der ORF damit seine Bedeutung im öffentlichen Diskurs verlieren würde. Ein "Zurechtstutzen" des ORF, sodass er im Ergebnis zwar noch existieren, aber nur mehr ein Nischenpublikum bedienen würde, wäre jedenfalls mit der Funktions- und Finanzierungsverantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ebensowenig vereinbar wie mit der institutionellen Verpflichtung, eine dem BVG Rundfunk entsprechende Programmveranstaltung durch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter zu organisieren.</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Festzuhalten ist auch, dass der VfGH sehr deutlich die doppelte verfassungsrechtliche Absicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einerseits durch das BVG Rundfunk und andererseits durch Art. 10 EMRK betont. Selbst eine innerstaatliche Verfassungsänderung durch Aufhebung oder Modifikation des BVG Rundfunk hätte damit - solange Art. 10 EMRK als innerstaatliche Verfassungsnorm bestehen bleibt - wohl keinen wesentlichen Einfluss auf die Anforderungen an die Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie sie der VfGH in den Erkenntnissen zum Programmentgelt und zu den ORF-Gremien dargestellt hat. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><h4 style="text-align: left;">Die Rundfunkordnung als eingezäunter Garten</h4><div style="text-align: left;">Der VfGH spricht in diesem Zusammenhang von der (durch das BVG Rundfunk und Art. 10 EMRK) <b>"verfassungsrechtlich eingehegten Rundfunkordnung</b>". Das ist ein schönes Bild: eine einfachgesetzliche Rundfunkordnung, rund um die gleich zwei stabile Zäune stehen, um Gefährdungen der Rundfunkfreiheit abzuwehren. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Wenn also die österreichische Rundfunkordnung nun ein verfassungsrechtlich sorgsam (gleich doppelt) eingehegter Garten ist, dann wäre es nun auch an der Zeit, sich der Kultivierung des Gartens zu widmen und das ORF-Gesetz ebenso sorgsam entsprechend dem VfGH-Erkenntnis anzupassen. </div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: left;">Und das Bild vom Garten erinnert mich an den Schluss von <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Candide_oder_der_Optimismus" rel="nofollow" target="_blank">Candide ou l’optimisme</a> von Voltaire (deutsch ursprünglich als "Candide oder die beste aller Welten" erschienen):</div><div style="text-align: left;"><br /></div><div style="text-align: center;"><b><i>Cela est bien dit, répondit Candide, mais il faut cultiver notre jardin.</i></b></div><div style="text-align: left;"><b><i><br /></i></b></div><div style="text-align: center;"><i>Das ist gut gesagt (vom VfGH), aber wir müssen unseren Garten bestellen.</i></div>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-9856274137326077962023-10-11T00:59:00.011+02:002023-10-13T08:20:16.622+02:00Staatsferne light - das VfGH-Erkenntnis zu den ORF-Gremien<p>Der Verfassungsgerichtshof hat mit dem gestern bekanntgegebenen <a href="https://www.vfgh.gv.at/downloads/VfGH-Erkenntnis_G_215_2022_vom_5._Oktober_2023.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Erkenntnis vom 5. Oktober 2023, G 215/2022</a>, über Antrag der burgenländischen Landesregierung Teile des ORF-Gesetzes, die die Bestellung des Stiftungsrates und des Publikumsrates regeln, als verfassungswidrig aufgehoben. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. März 2025 in Kraft. In diesem Blogbeitrag versuche ich zunächst in einem eher langen ersten Teil den wesentlichen Inhalt des Erkenntnisses darzustellen, und im zweiten Teil dann eine deutlich kürzere erste Einordnung aus meiner Sicht zu geben - alles natürlich noch sehr vorläufig. [<b>Update 12.10.2023:</b> ich habe zu diesem VfGH-Erkenntnis <a href="https://blog.lehofer.at/2023/10/Candide.html" target="_blank">noch einen weiteren Beitrag</a> geschrieben, der sich nur mit der darin angesprochenen institutionellen Garantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk befasst.]</p><p>Dass die ORF-Gremien in ihrer gegenwärtigen gesetzlichen Ausgestaltung schon einem "Staatsferne-Schnelltest" nicht genügen (würde man <a href="https://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/fs20140325_1bvf000111.html" rel="nofollow" target="_blank">die vom deutschen Bundesverfassungsgericht angelegten Kriterien</a> anwenden), habe ich vor bald zehn Jahren <a href="https://blog.lehofer.at/2014/03/Staatsferne.html" rel="nofollow" target="_blank">hier im Blog</a> schon mal beschrieben, und das war nach meiner Beobachtung auch weitgehend "hM" - herrschende Meinung - in den Kreisen jener (wenigen) Menschen, die sich in Österreich mit Rundfunkrecht näher befassen. Die Frage war eher: können die deutschen - aus Art. 5 des deutschen Grundgesetzes abgeleiteten - Kriterien auch auf Österreich übertragen werden, wo das Unabhängigkeitsgebot für den Rundfunk in Art. I Abs. 2 des Bundesverfassungsgesetzes über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks (<a href="https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000555" rel="nofollow" target="_blank">BVG Rundfunk</a>) eine besondere verfassungsrechtliche Ausgestaltung erfahren hat? Und eine weitere Frage war, ob und von wem/in welcher Form der VfGH damit allenfalls befasst würde.</p><p>Die zweite Frage beantwortete die burgenländische Landesregierung mit ihrem Normenkontrollantrag vom Juni vergangenen Jahres, der nun zum aktuellen Erkenntnis des VfGH geführt hat. Die - nicht triviale - Hürde der Zulässigkeit hat zumindest der zweite Eventualantrag der burgenländischen Landesregierung genommen, und so war der VfGH gestellt, sich mit den in diesem Antrag geäußerten Bedenken inhaltlich auseinanderzusetzen. Diese Bedenken fasst der VfGH in Rn. 14 des Erkenntnisses so zusammen: <i>"dass die (Bestellung der) Kollegialorgane des ORF, der Stiftungs- und der Publikumsrat, nicht die verfassungsmäßig gebotene Unabhängigkeit (aufweist bzw.) aufweisen, sondern dem maßgeblichen Einfluss der (Mitglieder der) Bundes- bzw. Landesregierung(en) (unterliegt bzw.) unterliegen."</i></p><h4 style="text-align: left;">Zum Prüfungsumfang:</h4><p>Vorweg: die im Antrag geltend gemachten Bedenken grenzen auch den Prüfumfang des VfGH ab - der VfGH prüft also nicht amtswegig, ob die Bestimmungen allenfalls aus anderen Gründen verfassungswidrig wären (so hat die burgenländische Landesregierung etwa keine Bedenken zur direkten Bestellung der Publikumsratsmitglieder durch bestimmte Einrichtungen nach § 28 Abs. 3 ORF-G - zB Sozialpartner, Kirchen, Parteiakademien - vorgebracht, sodass diese Bestellungen nicht geprüft wurden).</p><h3 style="text-align: left;">Teil 1: Was steht im VfGH-Erkenntnis?</h3><h4 style="text-align: left;">Allgemeines - Funktionsverantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk</h4><p>Der VfGH stellt in Rn. 32 bis 46 im Wesentlichen die gegenwärtige gesetzliche Situation dar, was angesichts der eher unübersichtlichen Regelungen im ORF-G eine durchaus schätzenswerte Serviceleistung ist. Die beschreibende Darstellung hat freilich auch ihre Tücken: dass sich etwa der Publikumsrat "aus Vertretern wesentlicher gesellschaftlicher Bereiche bzw. Gruppen" zusammensetze (so in Rn. 42), ist eher die Umschreibung dessen, was die Norm wohl leisten sollte, klingt aber nach einer Beschreibung der Realität - die man durchaus anzweifeln könnte. Nach Darlegung der Bedenken der burgenländischen Landesregierung und der Gegenargumente der Bundesregierung macht der VfGH im Abschnitt 5 dann ein paar Eckpunkte fest: </p><p>Der VfGH hält zunächst fest, dass den Gesetzgeber eine <b>"Funktionsverantwortung" für die Ausgestaltung der Rundfunkordnung</b> trifft (und greift damit die im <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Vfgh&Dokumentnummer=JFT_20220630_21G00226_00" rel="nofollow" target="_blank">Erkenntnis zur ORF-Finanzierung, VfGH 30.6.2022, G 226/2021,</a> bereits angesprochene "Funktions- und Finanzierungsverantwortung" auf), die "umfassend die Freiheit des öffentlichen Diskurses im Wege des Rundfunks gewährleisten" soll. Im Rahmen dieser Funktionsverantwortung ist u.a. auch die Unabhängigkeit der Personen und Organe, die mit der Besorgung von Rundfunk betraut sind, zu gewährleisten. Bemerkenswert ist dabei eine implizit angesprochene Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: </p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"><i>"In der so verfassungsrechtlich eingehegten Rundfunkordnung muss dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk seine nach Maßgabe des BVG Rundfunk und des Art. 10 EMRK funktionsadäquate Stellung zukommen. [...] </i><i>Diese Funktions- und Finanzierungsverantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk umfasst die Verpflichtung, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass eine den Grundsätzen des Art. I Abs. 2 zweiter Satz BVG Rundfunk entsprechende öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstaltung gewährleistet ist, ebenso wie – damit nach dem Konzept des BVG Rundfunk untrennbar zusammenhängend –<b> die institutionelle Verpflichtung, diese Programmveranstaltung durch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter zu organisieren.</b>" </i>[Rn. 62]</p></blockquote><p style="text-align: left;"><i>"Form und Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks"</i>, so der VfGH weiter, <i>"müssen also aufeinander abgestimmt den Anforderungen des Art. I Abs. 2 zweiter Satz BVG Rundfunk Rechnung tragen"</i>. Für die Organe ist dabei das Unabhängigkeitsgebot des Art. I Abs. 2 zweiter Satz BVG Rundfunk von besonderer Bedeutung. Die Unabhängigkeit der Leitungsorgane soll auch <i>"gewährleisten, dass weder staatliche noch private Kräfte über Einflussnahme auf die Tätigkeit der Leitungsorgane die Tätigkeit der programmgestaltenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ORF für ihre Zwecke beeinflussen können"</i>, wobei dies insbesondere gegenüber jenen politischen Kräften von Bedeutung ist, die an der Bestellung der Gremien mitzuwirken haben. </p><p style="text-align: left;">Hier macht der VfGH auch sehr deutlich, dass er grundsätzlich kein Problem darin sieht, dass oberste staatliche Organe an der Bestellung (zumindest) mitwirken, denn diese sind "in den demokratischen Institutionen entsprechend repräsentiert" bzw. erfolgt dies "aus Gründen der Repräsentation der Allgemeinheit". Allerdings tut sich hier ein - vom VfGH auch so bezeichnetes "Spannungsfeld" auf: </p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"><i>"Ist aus Gründen der Repräsentation der Allgemeinheit und damit
entsprechender demokratischer Legitimation die Bestellung der Mitglieder von
Stiftungs- und Publikumsrat obersten staatlichen Organen anvertraut, muss die
Unabhängigkeit der laufenden Tätigkeit der (kollegialen) Leitungsorgane des ORF
gerade auch gegenüber den, deren Mitglieder bestellenden staatlichen Organen
und den politischen Kräften, die sie repräsentieren, im Interesse der Allgemeinheit, in dessen Dienst der öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter und seine Tätigkeit steht, gewährleistet sein."</i> [Rn. 64]</p></blockquote><p style="text-align: left;">Mit anderen Worten: <b>wenn schon (zB) die Bundesregierung Organe bzw. Organmitglieder bestellt, dann müssen diese gerade auch von der Bundesregierung unabhängig sein. </b>(Und noch eine Anmerkung: die Formulierung <i>"Ist ... die Bestellung ... obersten staatlichen Organen anvertraut"</i> lässt das Verständnis zu, dass dies nicht zwingend so sein muss, es also denkbar wäre, diese Bestellung nicht obersten staatlichen Organen anzuvertrauen). </p><p style="text-align: left;">Erstes Zwischenergebnis (nach der für mich überraschend grundsätzlichen Bestandsgarantie) daher: "<i>Die gesetzlichen Regelungen über die Bestellung
und Zusammensetzung seiner Organwalter müssen Gewähr dafür bieten, <b>dass keinem staatlichen Organ bei der Bestellung der Mitglieder eines kollegialen Leitungsorgans des ORF ein einseitiger Einfluss auf die Zusammensetzung des Organs
zukommt, der dessen Unabhängigkeit insgesamt gefährden kann</b>." </i>[Rn. 65; Hervorhebung hinzugefügt]. Das sagt noch nicht viel darüber aus, wann ein derartiger einseitiger Einfluss zukommen würde, der die Unabhängigkeit "insgesamt" (also nicht bloß punktuell) gefährden kann, und dazu wird der VfGH dann auch in weiterer Folge nicht mehr sehr konkret (was man ihm freilich nicht vorwerfen kann, weil er ja eine konkrete gesetzliche Situation - und nicht auch alle möglichen anderen Konstellationen - zu beurteilen hat).</p><p>Die Zusammensetzung der kollegialen Leitungsorgane muss daher <b>"einem gewissen Pluralismusgebot"</b> [Rn. 66] Rechnung tragen. Diese Gremien dürfen nicht einseitig durch faktisch oder rechtlich zu einer Gruppe verbundene Personen dominiert werden (hier folgt auch das Zitat des <a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-94075" rel="nofollow" target="_blank">EGMR-Urteils </a><i><a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-94075" rel="nofollow" target="_blank">Manole</a> </i>und der Ausführungen <i>Grabenwarters </i>zu Art. 5 GG im Dürig/Herzog/Scholz-Kommentar zum GG, die auch einen Anstoß zur Anfechtung gegeben haben dürften, <a href="https://www.arminwolf.at/2022/03/13/verfassungswidrig-na-und/" rel="nofollow" target="_blank">wenn man der Legende folgt</a>). </p><p>Der VfGH sieht ein <b>"rundfunkverfassungsrechtliche[s] Gebot einer pluralistischen Zusammensetzung der kollegialen Leitungsorgane"</b> (zusätzlich zum ebenfalls rundfunkverfassungsrechtlichen Gebot der der Unabhängigkeit dieser Organe bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben) und nennt dazu zwei Anforderungen:</p><p style="text-align: left;"></p><ul style="text-align: left;"><li><b>Kein zu weitgehender Einfluss eines staatlichen Organs auf die Bestellung</b>: es ist sicherzustellen, dass keinem
staatlichen Organ bei der Bestellung der Mitglieder der Leitungsorgane ein zu
weitgehender Einfluss auf deren Zusammensetzung zukommt. </li><li><b>Abkehr davon, dass Bestellungen durch das staatliche Organ in dessen Belieben stehen</b>: zudem ist zu gewährleisten, dass die Bestellungsentscheidung des staatlichen Organs "soweit verfassungsrechtlich zulässig" (die interessante Frage: wie weit ist dies verfassungsrechtlich zulässig, bleibt hier offen) gesetzlich gebunden und nicht in das Belieben des staatlichen Organs gestellt wird (dies könnte nach Auffassung des VfGH durch Anforderungen an die Qualifikation der zu bestellenden Mitglieder oder durch Rückkoppelung an Vorschlagsrechte staatsferner Einrichtungen bewirkt werden).</li></ul>Wie das konkret geregelt werden soll? Der VfGH gesteht dem Gesetzgeber dabei ausdrücklich einen Gestaltungsspielraum zu, verweist aber gleich auch auf zwei traditionelle Mechanismen [Rn. 68]: <p style="text-align: left;"></p><ul style="text-align: left;"><li><i>"<b>Repräsentation wesentlicher gesellschaftlicher Bereiche bzw.
Gruppen,</b> die so das Spektrum der Nutzerinnen und Nutzer der Programme des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks abbildet"</i></li><li><i>"<b>unterschiedliche fachliche Anforderungen an die Mitglieder</b> in
Bezug auf die Aufgaben des Kollegialorgans zur Sicherung einer aufgabenadäquaten Entscheidungsfindung."</i></li></ul><p></p><p></p><h4 style="text-align: left;">Zum Stiftungsrat</h4><p></p><p style="text-align: left;">Hier macht der VfGH gleich noch einmal klar, dass die Bestellung der Stiftungsratsmitglieder durch staatliche Organe an sich keinen Bedenken begegnet ("entscheidend ist die konkrete gesetzliche Ausgestaltung"), im Gegenteil: </p><p></p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p></p><div style="text-align: left;"><i>"Demokratisch legitimierte (oberste) staatliche Organe repräsentieren die
im Staat zusammengeschlossene Gemeinschaft. Dass gerade sie die Organe des
ORF bestellen, steht den rundfunkverfassungsrechtlichen Anforderungen der Pluralismussicherung und der Unabhängigkeit nicht nur nicht entgegen, sondern trägt
auf Grund der demokratischen Legitimation dieser Organe mit zur Sicherstellung
dieser Vorgaben bei." </i>[Rn. 70]</div><p></p></blockquote><p></p><div>Mit anderen Worten und etwas zugespitzt zur Verdeutlichung: dass die Bundesregierung und die Landesregierungen Stiftungsratsmitglieder bestellen, trägt zur Sicherstellung der Pluralismussicherung und Unabhängigkeit bei (oder noch anders gewendet: würde man diesen obersten staatlichen Organe n hier keine Ingerenz ermöglichen, müsste dies gegebenenfalls wohl durch andere Rückbindungsmechanismen an demokratisch legitimierte Organe - denkbar zB den Nationalrat oder, systematisch deutlich schwieriger, den Bundespräsidenten - aufgewogen werden). </div><div>Etwas verloren und ohne weiteren unmittelbaren systematischen Zusammenhang findet sich in der Rn. 70 des Erkenntnisses dann auch noch der Satz, dass das Vorhandensein politischer Parteien und die Möglichkeit der Änderung der Mehrheitsverhältnisse Ausdruck des dem B-VG zugrundeliegenden demokratischen Prinzips sind.</div><div><br /></div><div>Der VfGH differenziert beim Stiftungsrat danach, wer die Mitglieder bestellt bzw. vorschlägt. Er akzeptiert zunächst uneingeschränkt die Bestellung von 6 Mitgliedern des Stiftungsrates über Vorschlag der im Hauptausschuss des Nationalrats vertretenen Parteien (§ 20 Abs. 1 Z 1 ORF-G); dies steht <i>"unter dem Gedanken demokratischer Repräsentation."</i></div><div><br /></div><div>Als nächstes hält er fest, dass es grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, wenn der Gesetzgeber die "Repräsentation der Allgemeinheit" der Bundesregierung sowie obersten Organen der Länder zuweist (bei letzteren kommt laut VfGH "ein Aspekt föderaler Vielfalt in der Auswahl dieser neun Mitglieder des Stiftungsrates zum Ausdruck"). Auch die Bestellung von Stiftungsratsmitgliedern durch den Publikumsrat beanstandet der VfGH nicht grundsätzlich, denn er sieht darin einen <b>"Ausdruck des Gedankens der Staatsferne"</b> (weil der Publikumsrat ein nicht-staatliches Organ ist; außerdem verweist der VfGH hier auf die Rechtskontrolle, der der Publikumsrat - anders als Bundesregierung und Landesregierungen - bei der Bestellung der von ihm zu entsendenden Stiftungsratsmitglieder unterliegt). </div><div><br /></div><div><b>1. Zu viele von der Bundesregierung bestellte Stiftungsratsmitglieder</b></div><div>Bei den von der Bundesregierung zu bestellenden neun Mitgliedern des Stiftungsrats bemängelt der VfGH, dass für deren Auswahl keine Bindungen bestehen, die eine Vielfalt im Stiftungsrat bewirken sollen. zudem sind neun "eine relativ große Gruppe", und der Bundesregierung kommt damit <i>"ein deutliches Übergewicht im Vergleich zu der, [...] für die Vielfalt innerhalb des Stiftungsrates besonders relevanten, Gruppe der vom Publikumsrat zu bestellenden Mitglieder des Stiftungsrates"</i> zu. Damit erweist sich § 20 Abs. 1 Z 3 ORF-G auch schon als verfassungswidrig: einfach weil mehr Stiftungsratsmitglieder von der Bundesregierung bestellt werden als vom Publikumsrat. Während die Anzahl der auf Vorschlag der Parteien zu bestellenden Stiftungsratsmitglieder "unter den spezifischen Vielfaltsaspekten" naheliegt (?) und die Anzahl der von den Ländern zu bestellenden Stiftungsratsmitglieder vorgegeben ist (gemeint wohl: es müssen neun sein, weil es neun Länder gibt), ist ein Überhang der neun (weiteren) von der Bundesregierung zu bestellenden Mitgliedern gegenüber den vom Publikumsrat zu bestellenden Mitgliedern nach Auffassung des VfGH nicht zu rechtfertigen. Es müsse "zumindest gewährleistet sein, dass der Publikumsrat nicht weniger Mitglieder bestellt als die Bundesregierung gemäß § 20 Abs. 1 erster Satz Z 3 ORF-G."</div><div><br /></div><div><b>2. Neubestellung bei Regierungswechsel beeinträchtigt (bei manchen) die Unabhängigkeit</b></div><div>Der zweite Aspekt, den der VfGH im Hinblick auf die Bestellung der Stiftungsratsmitglieder näher prüft, ist die Frage, inwieweit die Möglichkeit, die von der Bundesregierung und den Ländern bestellten Stiftungsratsmitglieder vorzeitig abzuberufen, wenn eine neue Regierung bestellt wurde, die gebotene Unabhängigkeit beeinträchtigt. Er beurteilt dies unterschiedlich für jene Stiftungsratsmitglieder, die zwar von der Bundesregierung, allerdings auf Vorschlag der Parteien, bestellt werden und jenen Mitgliedern, die von der Bundesregierung ohne Bindung an Vorschläge bestellt werden. Hinsichtlich der auf Vorschlag der Parteien zu bestellenden Mitglieder <i>"wiegt der demokratische Vielfaltsaspekt,
insbesondere auch im Hinblick auf die Sicherstellung, dass jede im Hauptausschuss
des Nationalrates vertretene Partei durch mindestens ein Mitglied im Stiftungsrat
vertreten sein soll, schwer und rechtfertigt diese Einschränkung der an sich feststehenden Funktionsperiode der so bestellten (kleineren) Zahl von Mitgliedern
des Stiftungsrates."</i></div><div><br /></div><div>Für die von der Bundesregierung zu bestellenden neun (weiteren) Stiftungsratsmitglieder, ebenso hinsichtlich der von den Ländern zu bestellenden neun Mitgliedern auch auch der vom Publikumsrat zu bestellenden Mitglieder sieht es der VfGH nun anders: bei diesen kommt es "nicht auf die Auswirkungen demokratischer Wahlen zu allgemeinen Vertretungskörpern an." Für diese Mitglieder müsse daher (?) "dem Aspekt
der Sicherung der Unabhängigkeit ihrer Tätigkeit durch eine feststehende Funktionsdauer für die Mitglieder des Stiftungsrates vorrangige Bedeutung zukommen." Mit anderen Worten: die auf Vorschlag der Parteien von der Bundesregierung bestellten Mitglieder sollen weiterhin nach Neubestellung der Bundesregierung (der in der Regel eine Neuwahl des Nationalrats vorangeht) neu bestellt werden können, die weiteren von der Bundesregierung bestellten Mitglieder sollen ebenso wie die von den Ländern und vom Publikumsrat bestellten Mitglieder eine volle Funktionsperiode (von derzeit vier Jahren) ausdienen können, auch wenn zuvor eine neue Bundesregierung oder Landesregierung bestellt wird oder sich der Publikumsrat neu konstituiert. </div><div><br /></div><div>Bei den vom Zentralbetriebsrat bestellten 5 Mitgliedern des Stiftungsrates hat der VfGH (wegen der unmittelbaren Repräsentation der zu vertretenden Arbeitnehmerinteressen) keine Bedenken, dass diese bei Neukonstituierung neu bestellt werden.</div><div><br /></div><div><b>3. Keine Kriterien für die von der Bundesregierung und vom Publikumsrat zu bestellenden Stiftungsratsmitglieder</b></div><div>Der VfGH befasst sich dann auffallend ausführlich mit den persönlichen und fachlichen Anforderungen an die Stiftungsratsmitglieder (Rn. 90 bis 93), ohne daraus konkret etwas abzuleiten, um dann recht abrupt festzuhalten, dass Hinsichtlich der sechs vom Publikumsrat sowie der neun durch
die Bundesregierung zu bestellenden Mitglieder "keine näheren gesetzlichen Vorgaben [bestehen], wie Pluralitätsaspekte im Zusammenhang mit den Qualifikationsanforderungen" zu beachten wären (Rn. 94). </div><div><br /></div><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><div style="text-align: left;"><i>"Das Gesetz enthält damit keine Vorkehrungen dafür,
dass die in § 20 Abs. 1 letzter Satz ORF-G zum Ausdruck kommende, Pluralismusaspekten Rechnung tragende Anforderung einer gewissen Vielfalt an persönlicher
und fachlicher Qualifikation der Mitglieder des Stiftungsrates bei der Bestellung
gesichert oder zumindest angestrebt wird. [...] Damit ist aber der Spielraum der Bundesregierung bei ihrer Entscheidung, welche
– grundsätzlich persönlich und fachlich geeigneten – Personen sie gemäß § 20
Abs. 1 erster Satz Z 3 ORF-G als Mitglieder des Stiftungsrates bestellt, zu weit gezogen, weil der im Hinblick auf Art. I Abs. 2 BVG Rundfunk bedeutsame Pluralismusaspekt unterschiedlicher persönlicher und fachlicher Qualifikation leerlaufen
kann. Derartige Bindungen sind aber gerade hinsichtlich der von der Bundesregierung aus eigenem, das heißt ohne weitere Bindung an Vorschläge, zu bestellenden
Mitglieder besonders bedeutsam [...]."</i></div></blockquote><div><br /></div><div>Vergleichbares gilt laut VfGH auch für den Publikumsrat, und zwar im Wesentlichen deshalb, weil "obersten staatlichen Organen derzeit ein mit den rundfunkverfassungsrechtlichen Vorgaben nicht zu
vereinbarender Einfluss auf die Auswahl der Mitglieder des Publikumsrates zukommt", was "in Verbindung mit der auch für
den Publikumsrat fehlenden weiteren gesetzlichen Determinierung seines Auswahlermessens" auf die verfassungsrechtliche Beurteilung (des § 20 Abs. 1 Z 4 ORF-G) durchschlägt. </div><div><br /></div><div>An sich sieht der VfGH kein Problem damit, dass 20 Abs. 1 letzter Satz ORF-G verlangt, dass die Stiftungsratsmitglieder "<i>über Kenntnisse des österreichischen und internationalen Medienmarktes verfügen oder sich auf Grund ihrer bisherigen Tätigkeit im Bereich der Wirtschaft,</i></div><div><i>Wissenschaft, Kunst oder Bildung hohes Ansehen erworben haben"</i> müssen, aber es fehlt ihm <i>"eine, die unterschiedlichen allgemeinen persönlichen und fachlichen Anforderungen effektuierende Berücksichtigungsverpflichtung bei der Bestellung der einzelnen Mitglieder gemäß § 20 Abs. 1 erster
Satz Z 3 und 4 ORF-G". </i>Das klingt ein wenig kompliziert (und ist es wohl auch); wenn ich einen Übersetzungsversuch wagen soll, würde ich sagen: das Gesetz müsste festlegen, dass die Bundesregierung und (vielleicht in geringerem Maße) der Publikumsrat bei der Auswahl der von ihnen jeweils zu bestellenden Mitglieder sicherzustellen haben, dass Pluralismusaspekten Rechnung getragen wird, etwa indem Personen mit vielfältigen, einander ergänzenden und für die Tätigkeit im Stiftungsrat maßgeblichen Qualifikationen bestellt werden. Denkbar sind freilich auch andere Pluralismusaspekte, etwa von Geschlechterparität bis zu einem Gebot der Berücksichtigung bestimmter fachlicher Repräsentationsbereiche. </div><div><br /></div><h4 style="text-align: left;">Zum Publikumsrat</h4><div>Auch hier betont der VfGH zunächst, dass gegen das Modell gesellschaftlicher Repräsentation bei der Zusammensetzung des Publikumsrates rundfunkverfassungsrechtlich angesichts der gesetzlichen Aufgaben des Publikumsrates grundsätzlich keine Bedenken bestehen. Er hält es auch <i>"(weiterhin) für verfassungsrechtlich zulässig, dass der Gesetzgeber die Frage, welche Einrichtungen bzw. Organisationen für bestimmte, gesetzlich umschriebene
Bereiche bzw. Gruppen repräsentativ sind, für die Zwecke der Bestellung der Mitglieder des Publikumsrates der Beurteilung durch das zuständige oberste Verwaltungsorgan des Bundes überlässt, <b>solange gesetzlich Transparenz und eine Ausrichtung des Bestellungsverfahrens an seinen Zielsetzungen gewährleistet sind</b>."</i> (Rn. 106, Hervorhebung hinzugefügt)</div><div><br /></div><div><b>1. Keine Kriterien für die Auswahl durch die Medienministerin</b></div><div>Die konkrete derzeitige Ausgestaltung trägt dem allerdings nicht ausreichend Rechnung. Der Bundeskanzler (bzw. aktuell die Medienministerin) kann nämlich derzeit im Ergebnis "nicht nur zwischen unterschiedlichen Dreier-Vorschlägen je gesellschaftlich relevantem Bereich bzw. je gesellschaftlich relevanter Gruppe, sondern auch für drei Mitglieder frei aus allen eingelangten Vorschlägen auswählen" und die Repräsentativität unterlaufen kann. <i>"Eine gesetzliche Regelung zur Bestellung der Mitglieder des Publikumsrates, die solches ermöglicht, verletzt die Vorgaben des Art. I Abs. 2 BVG Rundfunk im Hinblick auf die gebotene Pluralität und dadurch mitgesicherte Unabhängigkeit des Publikumsrates."</i></div><div><br /></div><div>[Anmerkung: der VfGH beurteilt hier natürlich nur die gesetzliche Regelung, nicht auch die tatsächliche Vorgangsweise der Medienministerin. Selbst wenn die Medienministerin also gesetzmäßig vorgehen würde - was sie meines Erachtens zuletzt bei der Bestellung zumindest von zwei Publikumsratsmitgliedern nicht getan hat (<a href="https://blog.lehofer.at/2022/04/publikumsrat.html" rel="nofollow" target="_blank">siehe dazu ausführlich hier</a>) - würde dies nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen.]</div><div><br /></div><div><b>2. Überhang der von der Medienministerin zu bestellenden Mitglieder </b></div><div>Der Gedanke, dass durch die von der Medienministerin aus einer Vielfalt gesellschaftlich relevanter Bereiche bzw. Gruppen zu bestellenden Mitglieder eine Flexibilisierung bewirkt werden kann, die "im Dienste einer auch aktuell adäquaten Abbildung gesellschaftlicher Gruppen und Bereiche steht", rechtfertigt nicht, <i>"den unter erheblichem Auswahlspielraum von obersten staatlichen Organen bestellten Mitgliedern ein Übergewicht in der Zusammensetzung des Publikumsrates zukommen zu lassen."</i> [Rn. 112] Der Gesetzgeber muss die Regelung <i>"so austarieren, dass der unmittelbare Einfluss gesetzlich festgelegter repräsentativer Einrichtungen sich jedenfalls
im selben Ausmaß in der Zusammensetzung des Publikumsrates niederschlägt wie
der eines obersten staatlichen Organs, das (zwar in Bindung an verfassungsrechtliche Vorgaben, aber doch) mit einem Auswahlspielraum aus Vorschlägen repräsentativer Einrichtungen bzw. Organisationen Mitglieder dieses Leitungsorgans
bestellt."</i></div><div><br /></div><div>Der VfGH macht also die Verfassungswidrigkeit der Regeln über die Bestellung der Publikumsratsmitglieder nicht nur daran fest, dass die Medienministerin derzeit frei auswählen kann, wen sie aus den Vorschlägen repräsentativer Einrichtungen auswählt, sondern auch am Überhang der von ihr (aus Vorschlägen repräsentativer Einrichtungen) auszuwählenden Mitglieder gegenüber jenen Mitgliedern, die aufgrund gesetzlich festgelegter Bestellungsrechte (wie sie in § 28 Abs. 3 ORF-G bestimmten Einrichtungen, etwa den Sozialpartnern, der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche oder der Akademie der Wissenshaften, eingeräumt sind) bestellt werden. </div><div><br /></div><div><h3>Teil 2: Eine erste - sehr vorläufige - Einordnung </h3></div><h4 style="text-align: left;">Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk</h4><div>Der VfGH hat mit diesem Erkenntnis einen weiteren Eckpunkt seiner rundfunkrechtlichen Rechtsprechung gesetzt und nach dem ORF-Finanzierungserkenntnis neuerlich die Funktionsverantwortung des Staates für die Ausgestaltung der Rundfunkordnung betont. Er erkennt ausdrücklich eine aus dem BVG Rundfunk <i>und </i>Art. 10 EMRK abgeleitete Verpflichtung, die gesetzlichen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass eine den Grundsätzen des Art. I Abs. 2 zweiter Satz BVG Rundfunk entsprechende öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstaltung gewährleistet ist und damit untrennbar zusammenhängend eine <b>"institutionelle Verpflichtung, diese Programmveranstaltung durch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter zu organisieren"</b> - das ist eine überraschend klare Ansage in Richtung einer verfassungsrechtlich abgesicherten Bestandsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die umso bemerkenswerter ist, als sie im konkreten Kontext zur Entscheidung der Rechtssache nicht zwingend erforderlich gewesen wäre.</div><h4 style="text-align: left;">Staatsferne light</h4><div>Es fällt aber nicht nur auf, was das Erkenntnis sagt, sondern auch, was fehlt: <b>der VfGH hat keinen Grundsatz der Staatsferne (oder der Regierungsferne) aufgestellt.</b> Der Antrag der burgenländischen Landesregierung hat sich sehr ausführlich auf dieses Thema gesetzt, unter umfassender Zitierung der deutschen Rechtsprechung (und auch meines Blogs) - im Erkenntnis des VfGH wird dies nicht aufgegriffen: 23 mal kommt der Wortstamm "staatsfern" vor, davon allerdings 21 mal in der Darlegung des Antragsvorbringens und nur zweimal, eher kursorisch, in den eigenen Worten des VfGH. Einmal geht es um die Möglichkeit, Bestellungsentscheidungen staatlicher Organe an Vorschlagsrechte staatsferner Einrichtungen rückzukoppeln [Rn. 67] und einmal sieht der VfGH in der Bestellung von Mitgliedern des Stiftungsrates durch den Publikumsrat als nicht-staatliches Organ einen "Ausdruck des Gedankens der Staatsferne" [Rn. 74]. Beides ist bloß beschreibend, nicht normativ: Staatsferne verlangt der VfGH in seinem Erkenntnis nicht, er hängt - aufbauend auf dem Text des BVG Rundfunk - die Entscheidung ganz zentral am Begriff der Unabhängigkeit auf. </div><div><br /></div><div>Unabhängigkeit und Staatsferne sind nicht dasselbe. Der VfGH sieht zwar ein "Spannungsfeld" [Rn. 64], wenn die Unabhängigkeit gerade auch gegenüber jenen politischen Kräften zu wahren ist, die an der Bestellung der Gremienmitglieder mitzuwirken haben. Er geht allerdings davon aus, dass es möglich ist, die (auch maßgebliche) Mitwirkung oberster Organe des Staates an der Gremienbestellung vorzusehen und zugleich die Unabhängigkeit der so bestellten Gremien von den bestellenden Organen zu sichern. Wesentlich ist dem VfGH dabei - durchaus in Übernahme der Manole-Rechtsprechung des EGMR - dass die Gremien "nicht einseitig durch faktisch oder rechtlich zu einer Gruppe verbundene Personen dominiert werden" (worin man vielleicht einen kleinen Wink an die Freundeskreise sehen kann, die im Erkenntnis sonst nicht thematisiert werden). Er sieht aber die Möglichkeit, dies durch eher übersichtliche Änderungen im Bestellungsmodus sicherzustellen. </div><div><br /></div><div>Tatsächlich könnte man das Erkenntnis in einer Minimalvariante etwa so umsetzen: </div><div><ul style="text-align: left;"><li>Anhebung der vom Publikumsrat bestellten Stiftungsratsmitglieder a<span>uf neun </span></li><li><span>Absenkung der von der Medienministerin auszuwählenden Publikumsratsmitglieder auf 13</span></li><li><span>Festlegung von Auswahlkriterien für die von der Bundesregierung zu bestellenden Stiftungsratsmitglieder (ergänzt: und - wenngleich etwas abgeschwächt (siehe "grundsätzlich" in Rn. 97) auch für die vom Publikumsrat zu bestellenden Stiftungsratsmitlgieder)</span></li><li><span>genauere Leitlinien für die von der Medienministerin vorzunehmende Auswahl von Publikumsratsmitgliedern</span></li><li><span>Fixierung der Funktionsperiode der von der Bundesregierung, den Ländern oder vom Publikumsrat zu bestellenden Stiftungsratsmitglieder</span></li></ul></div><div><span>Natürlich sind es heikle Fragen, welche Auswahlkriterien für die Bundesregierung festgelegt werden und wie die Auswahl von der Medienministerin zu bestellenden Publikumsratsmitglieder näher determiniert wird. Aber das sind keine unüberwindbaren Hindernisse, und es ist vor allem keine Systemumstellung, sondern bloß eine Weiterentwicklung / Anpassung erforderlich. Staatsferne verlangt der VfGH nicht, höchstens eine Art "Staatsferne light", indem die Dominanz der obersten staatlichen Organe bei der Bestellung der Gremienmitglieder etwas "eingehegt" wird (um mir ein vom VfGH in anderem Zusammenhang verwendetes Wort auszuborgen). </span></div><h4 style="text-align: left;">Keine "Politikfreiheit"</h4><div>Durchaus erwartungsgemäß hat der VfGH keine Bedenken hinsichtlich der grundsätzlichen Konstruktion, bei der etwa politische Parteien oder demokratisch legitimierte oberste staatliche Organe an der Bestellung von Gremiumsmitgliedern mitwirken. Ein vollständige "Entpolitisierung", bei der politischen Parteien und (politisch handelnden) obersten staatlichen Organen jeder Einfluss genommen würde, stand nie zur Debatte. Dass hier ein Spannungsfeld besteht, ist dem VfGH bewusst, und er betont in diesem Zusammenhang auch die Entstehungsgeschichte des BVG Rundfunk, die gerade auf dieses Spannungsfeld hinweist - aber ein Patentrezept, wie man diese Spannungen auflösen kann, hat der VfGH freilich genausowenig wie andere. </div><h4 style="text-align: left;">Was im Erkenntnis nicht vorkommt </h4><div>Der VfGH ist (wie schon weiter oben erwähnt) an den Antrag und die darin geäußerten Bedenken gebunden - es ist daher kein Versäumnis, dass nicht alle irgendwie einschlägigen Fragen behandelt werden (nur als Beispiel etwa die Frage, ob die Berücksichtigung von Vertretern nur bestimmter Religionen verfassungskonform ist). Ebenso überrascht es nicht, dass Fragen des faktischen Verhaltens von Organmitgliedern oder bestellenden Organen nicht Thema eines Verfahrens sind, in dem es um die abstrakte Normenkontrolle geht - also ob bestimmte Bestimmungen verfassungswidrig sind. Ob die Medienministerin die gesetzlichen Vorgaben ignoriert, ist kein Maßstab für die Beurteilung dieser Vorgaben durch den VfGH. Auch ein allfälliges Fehlverhalten einzelner Stiftungsratsmitglieder (die sich vielleicht nicht so unabhängig verhalten, wie es gesetzlich geboten wäre) kann in der Regel nicht herangezogen werden, um die Verfassungswidrigkeit einer Norm, die sie missachtet haben, zu begründen. </div><div><br /></div><div>Gewisse Hinweise darauf, dass die "Freundeskreise" problematisch sind, gibt der VfGH aber in Rn. 66 ("faktisch oder rechtlich zu einer Gruppe verbundene Personen", die nicht dominieren dürfen) und in Rn. 80, wo gesondert darauf hingwiesen wird, dass die Verschwiegenheitsverpflichtung der Mitglieder des Stiftungsrates in § 19 Abs. 4 ORF-G "insbesondere auch gegenüber den sie bestellenden oder vorschlagenden Organen bzw. Einrichtungen" besteht (ein Aspekt, der den kolportierten Freundeskreistreffen im Beisein politischer Funktionäre oder Manager entgegensteht). Der VfGH ist keineswegs blind gegenüber diesen Themen, sie sind bloß nicht unmittelbar Gegenstand seines Verfahrens.</div><h4 style="text-align: left;">Wie wirkt sich das Erkenntnis auf die aktuelle Zusammensetzung oder die Tätigkeit des Stiftungsrats oder Publikumsrats aus? </h4><div>Gar nicht. Der VfGH hat - mit Wirkung ab 1.4.2025 - bestimmte Bestimmungen zur Bestellung der Gremiumsmitglieder aufgehoben, bis dahin bleiben sie in Kraft. Die Bestellungsakte, die auf der Basis des (noch bis 31.3.2025 geltenden) Bestimmungen erfolgten, sind durch die Aufhebung nicht weggefallen oder unwirksam geworden. Das betrifft freilich nur jene Bestellungsakte, die rechtskonform vorgenommen wurden, die Bestellung etwa der Professoren Markus Hengstschläger und Michael Meyer, die von der Medienministerin meines Erachtens rechtswidrig vorgenommen wurden (siehe dazu nochmals <a href="https://blog.lehofer.at/2022/04/publikumsrat.html" target="_blank">hier</a>), werden auch durch das nun vorliegende Erkenntnis selbstverständlich nicht saniert. </div><h4 style="text-align: left;">Was nun?</h4><div>Der VfGH hat mehrere Bestimmungen zur Bestellung der Stiftungsrats- und Publikumsratsmitglieder mit Wirkung zum Ablauf des 31.3.2025 aufgehoben (die Aufhebung ist noch im BGBl kundzumachen). Die Reparatur des Gesetzes ist meines Erachtens nicht komplex - die Einschnitte sind zwar durchaus bedeutsam, aber nicht so umfassend, dass eine gesetzliche Neuregelung ein vollständiges Neudenken der Rechtsgrundlagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erfordern würde. Natürlich könnte man das Erkenntnis auch zum Anlass nehmen, weitreichendere Reformen anzudenken, aber es würde mich sehr überraschen, wenn ein derartiges umfassendes Projekt entweder von der aktuellen Koalition in der noch verbleibenden Legislaturperiode oder von einer zukünftigen Regierung in der dann schon sehr knappen Zeit bis zum 31.3.2025 umgesetzt werden könnte. Also bleibt letztlich die Hoffnung, dass sich zumindest die oben schon skizzierte Minimalumsetzung bis zum Wirksamwerden der Aufhebung ausgehen wird. </div><div><br /></div><div>Wenn keine Neuregelung erfolgt, könnte die nach der kommenden Nationalratswahl neu zu bestellende Bundesregierung - wenn sie rasch bestellt wird und sich beeilt - nochmals "alle Neune" bestellen und ebenso der/die zukünftige Bundeskanzler:in (Medienminister:in) noch 17 Publikumsratsmitglieder auswählen - und diese würden dann (nach dem 31.3.2025) die gesamte Funktionsperiode im Amt bleiben, selbst wenn es vorher zu Neuwahlen und zur Neubestellung der Bundesregierung kommen sollte. </div><div><br /></div><div>Der VfGH hat am Ende seines Erkenntnisses ausdrücklich <i>"auf die – für die im
Hinblick auf Art. I Abs. 2 und 3 BVG Rundfunk notwendige Funktionsfähigkeit des
öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalters ORF wesentlichen – Bestimmungen der § 20 Abs. 4 erster Satz und Abs. 5 ORF-G sowie § 29 Abs. 1 und Abs. 4 dritter Satz ORF-G"</i> hingewiesen - das sind jene Bestimmungen, die für Stiftungsrat und Publikumsrat vorsehen, dass ihre Funktionsperiode jedenfalls bis zu dem Tag dauert, an dem der neu bestellte Stiftungsrat bzw. Publikumsrat zusammentritt. </div><div><br /></div><div>Der Hinweis wäre für die Entscheidung der Sache nicht erforderlich gewesen, und er wirkt ein wenig, als hätte der VfGH durchaus Zweifel, ob sich die (gegenwärtige oder zukünftige) Koalition rechtzeitig auf eine Neuregelung einigen wird. Auch ich habe durchaus Zweifel, aber ein - wahrscheinlich zu geringer - Anreiz für eine rechtzeitige Neuregelung noch in der aktuellen Legislaturperiode könnte sein, dass die dann noch vor der Wahl von der aktuellen Bundesregierung neu bestellten Organe von der nächsten Bundesregierung nicht gleich wieder abberufen werden könnten. </div><p></p>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-57922803227586503932023-09-29T14:42:00.000+02:002023-09-29T14:42:55.025+02:00EU-Sanktionen gegen russische Medien - Update<p>Wieder mal ein kurzes Update zu den EU-Sanktionen betreffend russische staatsnahe Medien: </p><p>Die erstmals mit <a href="https://eur-lex.europa.eu/eli/reg/2022/350/oj" rel="nofollow" target="_blank">Verordnung (EU) 2022/350 des Rates</a> bzw. <a href="https://eur-lex.europa.eu/eli/dec/2022/351/oj" rel="nofollow" target="_blank">Beschluss (GASP) 2022/351 des Rates</a>, jeweils vom 1. März 2022, zunächst befristet verhängten restriktiven Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Inhalten bestimmter russischer staatlicher bzw, staatsnaher Medien wurden seither mehrfach verlängert und auf weitere Medieninhalte ausgeweitet. Ich habe im Blog die Entwicklung dieser Sanktionsinstrumente mehrfach dokumentiert und verweise dazu auf die bisherigen Beiträge: </p><p></p><ul><li>21. März 2022: <a href="https://verfassungsblog.de/uberwachen-blocken-delisten/" target="_blank">Überwachen, Blocken, Delisten - Zur Reichweite der EU-Sanktionen gegen RT und Sputnik</a> (auf dem Verfassungsblog)</li><li>22. März 2022 (mit Nachträgen vom 30. März 2022 und vom 10., 25. und 31. Mai 2022): <a href="https://blog.lehofer.at/2022/03/uberwachen-blocken-delisten.html" target="_blank">Überwachen, Blocken, Delisten - Zur Reichweite der EU-Sanktionen gegen RT und Sputnik (Langversion)</a></li><li>9. Juni 2022 (mit Nachtrag vom 24. Juni 2022): <a href="https://blog.lehofer.at/2022/06/sanktionen-update.html" target="_blank">Kurzes Update zu den Sanktionen gegen russische Staatsmedien</a></li><li>29. Juli 2022: <a href="https://blog.lehofer.at/2022/07/EuG-RT.html" target="_blank">EuG: Keine Nichtigerklärung der Sanktionen gegen RT France</a></li><li>30. Jänner 2023 (mit Nachträgen vom 9. März 2023 und vom 3. April 2023): <a href="https://blog.lehofer.at/2023/01/sanktionen-update2.html" target="_blank">Weiteres Update zu den EU-Sanktionen gegen russische Staatsmedien</a></li><li>8. April 2023 (mit Nachträgen vom 2. und 21. Juli sowie 14. August 2023): <a href="https://blog.lehofer.at/2023/04/sanktionen-update3.html" target="_blank">Sanktionen gegen russische Staatsmedien - zum aktuellen Stand nach der Insolvenz von RT France</a></li></ul><p>Mit der heute kundgemachten <a href="https://eur-lex.europa.eu/TodayOJ/fallbackOJ/l_24120230929de.pdf" target="_blank">Durchführungsverordnung (EU) 2023/2081 des Rates vom 28. September 2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) 2023/1214 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren</a> hat der Rat nun wie erwartet beschlossen, dass die in Artikel 2f der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 genannten restriktiven Maßnahmen ab dem 1. Oktober 2023 auf alle in Anhang IV der Verordnung (EU) 2023/1214 aufgeführten Organisationen Anwendung finden.</p><p>Damit sind nun ab 1. Oktober 2023 (vorerst befristet bis zum 31. Jänner 2024) Inhalte folgender "juristischer Personen, Organisationen und Einrichtungen" von den Sanktionen erfasst: </p><ul><li>RT — Russia Today English</li><li>RT — Russia Today UK</li><li>RT — Russia Today Germany</li><li>RT — Russia Today France</li><li>RT — Russia Today Spanish</li><li>Sputnik</li><li>Rossiya RTR / RTR Planeta</li><li>Rossiya 24 / Russia 24</li><li>TV Centre International</li><li>NTV/NTV Mir </li><li>Rossiya 1 </li><li>REN TV </li><li>Pervyi Kanal</li><li>RT Arabic</li><li>Sputnik Arabic</li><li>RT Balkan</li><li>Oriental Review</li><li>Tsargrad</li><li>New Eastern Outlook</li><li>Katehon</li></ul><p></p><p>Nur zur Klarstellung (Näheres vor allem <a href="https://blog.lehofer.at/2022/03/uberwachen-blocken-delisten.html" target="_blank">in meinem ersten ausführlichen Beitrag dazu</a>): mit den Sanktionen werden nicht einfach "nur" - wie das oft verstanden wurde - die betroffenen Sender "verboten" (Rundfunklizenzen oder -genehmigungen, Übertragungs- und Verbreitungsvereinbarungen werden ausgesetzt), sondern es wird allen Wirtschaftsakteuren ("Betreibern") untersagt, Inhalte der betroffenen Medien "zu senden oder deren Sendung zu ermöglichen, zu erleichtern oder auf andere Weise dazu beizutragen"; das betrifft insbesondere auch ISPs, aber zB auch App-Stores und viele mehr. Außerdem ist es verboten, in den betroffenen Inhalten für Produkte oder Dienstleistungen zu werben. </p><p>Die gerichtliche Bekämpfung der Sanktionen durch RT France ist vor dem EuG gescheitert (<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=263501&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=560044" rel="nofollow" target="_blank">Urteil des EuG vom 27.07.2022, T-125/22 RT France / Rat</a>). Nach der Insolvenz hat RT France - wohl um der Streichung der Verfahren zuvor zu kommen - das gegen dieses Urteil erhobene Rechtsmittel ebenso wie mehrere gegen die jeweiligen "Verlängerungs"-Verordnungen eingebrachte Klagen zurückgenommen. Damit bleibt nur mehr die von niederländischen Internetprovidern erhobene Nichtigkeitsklage <a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&jur=C%2CT%2CF&num=T-307/22" rel="nofollow" target="_blank">T-307/22 <i>A2B Connect ua</i></a> beim EuG anhängig. Ein Verhandlungstermin wurde vom EuG noch nicht bekannt gegeben. </p>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-58176760946856082002023-07-13T07:07:00.027+02:002024-03-07T17:55:06.281+01:00Vom Amtsblatt zum TikTok-Kanal - Anmerkungen zur Einstellung der Wiener Zeitung<p>Am 30. Juni 2023 ist die letzte Printausgabe der Wiener Zeitung (als Tageszeitung) erschienen. Die Einstellung dieser Tageszeitung war eine direkte Folge der schon im Regierungsprogramm 2020 getroffenen politischen Entscheidung, die Pflichtveröffentlichungen im gedruckten Amtsblatt zur Wiener Zeitung abzuschaffen. Die mit dem <a href="https://ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20012264" rel="nofollow" target="_blank">WZEVI-Gesetz</a> beschlossene Weiterführung der Wiener Zeitung als eher rudimentäres Online-Medium ist beihilfenrechtlich bedenklich und wirft Fragen zur gebotenen Staatsferne der Medien auf. Sie hat zudem die Anmutung einer Übergangslösung, bis die Wiener Zeitung GmbH schließlich wohl nur mehr als In-House-Dienstleister des Bundes für diverse Veröffentlichungsaufgaben, für die "Contentproduktion" und für einzelne Förderungs- und Ausbildungsagenden tätig sein wird. </p><p>In diesem Blog-Beitrag versuche ich, ein wenig den rechtlichen Nebel um das Ende der Wiener Zeitung zu lichten. Es geht um folgende Fragen: </p><p></p><ol style="text-align: left;"><li>Musste die Tageszeitung sterben? (Spoiler: nein)</li><li>War die Quersubventionierung der Tageszeitung aus Amtsblatterlösen erlaubt? (Spoiler: ja, aber ich hatte Zweifel)</li><li>Hätte man die Tageszeitung einfach aus dem Budget (statt aus Amtsblatt-Erlösen) weiterfinanzieren können? (Spoiler: nein)</li><li>Durfte die Tageszeitung eingestellt werden werden? (Spoiler: ja)</li><li>Kann die Republik einfach so ein Online-Medium aus dem Budget finanzieren (Spoiler: eher nicht)</li><li>Heißt es nun "WZ" oder "Wiener Zeitung"? (Spoiler: es muss "Wiener Zeitung" heißen)</li><li>Und zuletzt: darf der Staat selbst Medien machen? (Spoiler: in Deutschland nicht, in Österreich haben wir die Frage bisher nicht beantwortet).</li></ol><h3 style="text-align: left;">1. Die Entscheidung über das Ende der Wiener Zeitung als Tageszeitung</h3><p>Die politische Entscheidung, die Wiener Zeitung als Tageszeitung einzustellen, wurde bereits 2020 im <a href="https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:7b9e6755-2115-440c-b2ec-cbf64a931aa8/RegProgramm-lang.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Regierungsprogramm 2020-2024</a> getroffen, auch wenn es dort noch nicht so explizit ausformuliert wurde. Die Koalitionspartner einigten sich damals (im Kapitel "Standort, Entbürokratisierung und Modernisierung") darauf, die <i>"Veröffentlichungspflicht in Papierform in der Wiener Zeitung"</i> abzuschaffen. Damit war klar, dass das bisher bestehende Geschäftsmodell der Wiener Zeitung - Querfinanzierung der Tageszeitung aus den Erlösen der entgeltlichen Pflichtveröffentlichungen im Amtsblatt zur Wiener Zeitung - keinen Bestand mehr haben konnte. </p><p>Im Kapitel "Medien" des Regierungsprogramms wurde dies auch erkannt und aufgegriffen. Dort heißt es: <i>"Neues Geschäftsmodell der Wiener Zeitung mit dem Ziel des Erhalts der Marke – Serviceplattformen des Bundes bündeln"</i>. Auch das ist eine klare Aussage: Ziel war gerade nicht der Erhalt der Wiener Zeitung als Tageszeitung, sondern bloß der Erhalt der Marke, und es war auch nicht daran gedacht, die Markenrechte aus der Hand zu geben und/oder die Wiener Zeitung GmbH zu privatisieren bzw. die Tageszeitung als Teilbetrieb zu verkaufen. </p><p><b>Das Ende der Wiener Zeitung als Tageszeitung ist die direkte Folge der politisch gewünschten Abschaffung der Veröffentlichungspflichten im Amtsblatt zur Wiener Zeitung,</b> sozusagen der Kollateralschaden der damit angestrebten Entlastung der veröffentlichungspflichtigen Unternehmen bzw. der Modernisierung durch Umstellung auf eine ausschließlich elektronische Kundmachung der bisherigen Pflichtveröffentlichungen. </p><p><b>Rechtlich zwingend war die Abschaffung der Veröffentlichungspflicht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung nicht.</b> Zwar gab es einen unionsrechtlichen Anstoß für die Modernisierung des Kundmachungswesens im Gesellschaftsrecht, nämlich die <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32019L1151" rel="nofollow" target="_blank">Richtlinie (EU) 2019/1151 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht</a>. Diese verlangt allerdings explizit nicht, dass mitgliedstaatliche Vorschriften über eine (zusätzliche) Kundmachung in einem nationalen Amtsblatt beseitigt werden müssen. Art. 16 Abs. 3 der (durch die RL (EU) 2019/1151 geänderten) RL (EU) 2017/1132 sieht ausdrücklich vor, dass die Mitgliedstaaten verlangen können, <i>"dass einige oder alle dieser Urkunden und Informationen in einem dafür bestimmten Amtsblatt oder in anderer ebenso wirksamer Form veröffentlicht werden."</i> Auch Erwägungsgrund 26 der RL (EU) 2019/1151 stellt klar, dass diese Richtlinie die nationalen Vorschriften über die Rolle des nationalen Amtsblatts nicht berühren sollte. </p><p style="text-align: left;">Österreich hätte die Pflichtveröffentlichungen im gedruckten Amtsblatt aus unionsrechtlicher Sicht also beibehalten können. Die Regierungskoalition hat sich aber - zur Entlastung der Unternehmen und zur Modernisierung des Kundmachungswesens - dafür entschieden, die Richtlinie als Anlass zu nehmen, diese Pflichtveröffentlichungen abzuschaffen.</p><h3 style="text-align: left;">2. Die Quersubventionierung aus Amtsblatt-Erlösen als (alte) Beihilfe</h3><p>Die Wiener Zeitung hatte wenige Abonnent*innen bzw. Käufer*innen. Da sie sich nicht an der Österreichischen Auflagenkontrolle (ÖAK) beteiligte, bestehen keine gesicherten Informationen zur tatsächlich verkauften Auflage, <a href="https://www.diepresse.com/6199422/wiener-zeitung-nur-6000-zahlende-abonnenten" target="_blank">zuletzt wurde der Presse aus dem Bundeskanzleramt eine verkaufte Auflage von im Schnitt 8.000 bis 8.500 Exemplaren genannt</a>, die <a href="https://www.wienerzeitung.at/h/die-wiener-zeitung-und-die-fakten" rel="nofollow" target="_blank">Redaktion selbst nannte eine Auflage</a> - also wohl gemeint: Druckauflage, nicht verkaufte Auflage - von unter der Woche 14.250 Exemplaren, am Wochenende knapp 39.000 Exemplaren. Der Verkaufspreis der Wiener Zeitung war im Vergleich zu anderen Tageszeitungen niedrig (zuletzt 1 €), und die Einnahmen aus Werbung hielten sich in engen Grenzen (auch dazu fehlen gesicherte Zahlen, aber nach den Erläuterungen zum WZEVI-Gesetz betrug der Anteil der Erlöse aus gesetzlich vorgeschriebenen Veröffentlichungen im Amtsblatt rund 85 % der gesamten Umsatzerlöse der Wiener Zeitung GmbH, sodass Vertriebs- und Werbeerlöse insgesamt nicht mehr als 15 % der gesamten Umsatzerlöse ausmachten).</p><p>Die Wiener Zeitung in der bekannten Form als gedruckte Tageszeitung hätte damit ohne Quersubventionierung nicht wirtschaftlich überleben können. Diese Quersubventionierung erfolgte aus den Erlösen der Veröffentlichungen im Amtsblatt, also ganz überwiegend aus nicht freiwillig geleisteten Zahlungen jener Unternehmen oder Einrichtungen, die gesetzlich dazu verpflichtet waren, bestimmte Informationen im Amtsblatt kostenpflichtig zu veröffentlichen. Damit sorgte - etwas vereinfacht dargestellt - der Staat dafür, dass (vor allem) veröffentlichungspflichtige Unternehmen letztlich zugunsten eines bestimmten Unternehmens, der Wiener Zeitung GmbH, Zahlungen leisteten, um damit das Erscheinen einer Tageszeitung zu finanzieren, die in Konkurrenz zu anderen Tageszeitungen stand. Es war daher von einer Beihilfe im unionsrechtlichen Sinn (<a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40157877/NOR40157877.html" rel="nofollow" target="_blank">Art. 107 AEUV</a>) auszugehen. </p><p>Darauf stützte sich auch "Die Presse", als sie vor mehr als 15 Jahren gerichtlich gegen die Wiener Zeitung vorzugehen versuchte. Die UWG-Klage der Presse richtete sich sowohl gegen die Republik Österreich als auch gegen die Wiener Zeitung GmbH, und sie machte - erfolglos - verschiedene Rechtsverletzungen geltend, unter anderem auch einen Verstoß gegen das unionsrechtliche (damals: gemeinschaftsrechtliche) Beihilfenverbot. Der OGH handelte diesen Aspekt in seinem letztinstanzlichen <a href="https://ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20080610_OGH0002_0040OB00041_08W0000_000/JJT_20080610_OGH0002_0040OB00041_08W0000_000.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Beschluss vom 10.06.2008, </a><span style="color: #333333;"><a href="https://ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20080610_OGH0002_0040OB00041_08W0000_000/JJT_20080610_OGH0002_0040OB00041_08W0000_000.pdf" rel="nofollow" target="_blank">4 Ob 41/08w</a>, recht knapp ab: </span></p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px; text-align: left;"><div style="text-align: left;"><i>Die Herausgabe der „Wiener Zeitung" als Kombination von Tageszeitung und Verlautbarungsorgan mit Finanzierung aus Verkaufspreis und Veröffentlichungsentgelten erfolgte notorisch schon lange vor dem EG-Beitritt Österreichs. Eine Unzulässigerklärung durch die Kommission behauptet die Klägerin nicht. Somit scheidet aber eine Verletzung des gemeinschaftsrechtlichen Beihilfenverbots als Grundlage der behaupteten Verletzung des Lauterkeitsrechts gleichfalls aus.</i></div></blockquote><div><p style="text-align: left;">Dazu muss man wissen, dass die beim EU-Beitritt bereits bestehenden ("alten") staatlichen Beihilfen erst dann unzulässig sind, wenn sie nach <a href="https://www.diepresse.com/412496/eu-widrige-beihilfe-fuer-wiener-zeitung" rel="nofollow" target="_blank">Art. 108 Abs. 1 AEUV</a> von der Kommission überprüft und untersagt wurden (allerdings gilt das - mit wenigen Ausnahmen - nur wenn sie vor dem Beitritt notifiziert wurden). </p><p style="text-align: left;">Christoph Grabenwarter und ich haben uns mit dem beihilferechtlichen Aspekt im OGH-Beschluss <a href="https://www.diepresse.com/412496/eu-widrige-beihilfe-fuer-wiener-zeitung" rel="nofollow" target="_blank">in einem Beitrag für die Presse</a> näher und eher kritisch auseinandergesetzt. Freilich musste der OGH im Hinblick auf den Verfahrensgegenstand hier keine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Beihilfenrecht vornehmen, denn es ging im UWG-Verfahren nur darum, dass das Handeln der beklagten Wiener Zeitung GmbH durch eine vertretbare (also nicht zwingend auch richtige) Rechtsansicht gedeckt sein musste. Mit dem OGH-Beschluss war aber die Sache faktisch vom Tisch, und man kann davon ausgehen, dass die Quersubventionierung der Wiener Zeitung aus den Amtsblatt-Erlösen, wie sie bis 30. Juni 2023 bestand, unionsrechtlich als "alte", nicht untersagte Beihilfe anzusehen und damit zulässig war. Eine vertiefende Auseinandersetzung mit dieser Frage ist nun jedenfalls angesichts des Endes dieses Systems müßig. </p><p style="text-align: left;">Der <a href="https://ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz/JJT_20080610_OGH0002_0040OB00041_08W0000_000/JJT_20080610_OGH0002_0040OB00041_08W0000_000.pdf" rel="nofollow" target="_blank">OGH-Beschluss</a> ist übrigens auch insofern lesenswert, als er durch die Wiedergabe der wesentlichen erstgerichtlichen Feststellungen auch einen gewissen Einblick in die Dimensionen der Erlösströme in der Wiener Zeitung gibt: die Erlöse aus Abos und Einzelverkauf machten damals rund ein Zehntel der Amtsblatterlöse aus; die erzielte Reichweite der Wiener Zeitung wurde für 2005 mit 0,85 % festgestellt.</p><h3 style="text-align: left;">3. Budgetfinanzierte Weiterführung der Tageszeitung? </h3><p>Die Wiener Zeitung als gedruckte Tageszeitung war ohne Quersubventionierung nicht wirtschaftlich zu führen. Daher wurde in den Wochen vor der Einstellung der Tageszeitung häufig gefordert, dass - wenn schon die Amtsblatt-Erlöse wegfielen - eine Weiterführung mit Unterstützung aus Bundesmitteln erfolgen solle (oft auch in der Variante, dass dafür ein Teil des ORF-Beitrags verwendet werden solle, siehe etwa <a href="https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/A/3299/imfname_1548714.pdf" rel="nofollow" target="_blank">diesen - in der Minderheit gebliebenen - parlamentarischen Entschließungsantrag</a>). </p><p style="text-align: left;">Gerade im Hinblick auf die journalistischen Arbeitsplätze und die ohnehin schon enge Medienlandschaft Österreichs war dieser Wunsch zwar verständlich, rechtlich bestand dafür allerdings keine realistische Chance. Denn die Budgetfinanzierung (auch indirekt aus der Haushaltsabgabe für den ORF) wäre eine neue Beihilfe, die jedenfalls der Kommission zu notifizieren (gewesen) wäre, und die daher eine vertiefte Prüfung auf die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht hätte durchlaufen müssen. Prima facie sehe ich nicht, auf welche Ausnahmebestimmung zum allgemeinen Beihilfenverbot man sich diesbezüglich hätte stützen können, um die selektive Unterstützung einer bestimmten (gedruckten) Tageszeitung beihilfenrechtlich zu rechtfertigen. Da die Sache ohnehin vorbei ist, kann ich mir auch dazu eine vertiefte Darlegung sparen. Bislang habe ich jedenfalls nichts dazu gehört oder gelesen, wie man sich eine solche Budgetfinanzierung oder Beitrags-Finanzierung der Wiener Zeitung beihilfenrechtlich hätte vorstellen sollen.</p><p style="text-align: left;">[im Hinblick auf die weiter unten - Abschnitt 5. - folgende Auseinandersetzung mit der Finanzierung der neuen Wiener Zeitung als Online-Medium ist nur anzumerken, dass der Finanzbedarf für die "klassische" gedruckte Wiener Zeitung die im sogenannten <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32012D0021" rel="nofollow" target="_blank">DAWI-Beschluss</a> festgelegte Betragsgrenze von 15 Mio. Euro pro Jahr überschritten hätte, sodass eine Berufung auf diesen Beschluss schon aus diesem Grunde nicht möglich gewesen wäre.] </p><p style="text-align: left;">Nur als Exkurs: Der Hinweis auf die Beitragsfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hilft hier auch nichts. Zum einen wird den Besonderheiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch im <a href="https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX%3A11997D%2FPRO%2F09%3ADE%3AHTML" rel="nofollow" target="_blank">Protokoll von Amsterdam</a> sowie in der <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A52009XC1027%2801%29" rel="nofollow" target="_blank">Rundfunkmitteilung</a> der Kommission Rechnung getragen, zum anderen aber wurde die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch den bisherigen gerätebezogenen Beitrag für Österreich durch die <a href="https://ec.europa.eu/competition/state_aid/cases/223847/223847_1016418_150_2.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Beihilfenentscheidung der Kommission </a><span style="color: #333333;"><a href="https://ec.europa.eu/competition/state_aid/cases/223847/223847_1016418_150_2.pdf" rel="nofollow" target="_blank">vom 28.10.2009, Staatliche Beihilfe E 2/2008 –Finanzierung des ORF</a>, "abgesegnet"; hinsichtlich der Umstellung auf die "Haushaltsabgabe" gehe ich davon aus, dass diese Änderung der Finanzierung - im Lichte des <a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=208961&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1250068" rel="nofollow" target="_blank">EuGH-Urteils in der Rechtssache C-492/17 <i>Rittinger</i></a> - keine wesentliche Änderung ist.</span></p><h3 style="text-align: left;">4. Die Tageszeitung verkaufen und privat weiterführen?</h3><p>In der Debatte wurde auch kritisiert, dass die Medienministerin andere Interessent*innen für eine Übernahme der Wiener Zeitung (und deren Fortführung als Tageszeitung) gar nicht getroffen habe und andere Konzepte privater Interessent*innen gar nicht geprüft worden seien. Hätte man einen solchen Verkauf durchführen können? Rechtlich ja, sei es als Privatisierung der Wiener Zeitung GmbH oder durch Übertragung des Teilbetriebs Wiener Zeitung, beides natürlich nur unter Beachtung der auch dabei anzuwendenden beihilferechtlichen Rahmenbedingungen. </p><p>Nun weiß ich zwar von einzelnen Interessensbekundungen, und ich will mir auch nicht anmaßen, die Ernsthaftigkeit dieser Interesssent*innen zu beurteilen. Ich kann aber verstehen, dass die politisch Verantwortlichen nicht recht daran glauben wollten, dass eine gedruckte Tageszeitung in vergleichbarer Qualität wie bisher hätte weitergeführt werden können, wenn plötzlich ein Großteil der bisherigen Erlöse (aus den Amtsblatt-Pflichtveröffentlichungen, wie gesagt waren das zuletzt 85% der Gesamterlöse) wegfällt. Angesichts der geringen Reichweite der Wiener Zeitung und des schwierigen Umfelds am Werbemarkt, aber auch am Lesermarkt für gedruckte Tageszeitungen allgemein hätte auch ich kaum Chancen für eine private Weiterführung (mit Übernahme eines großen Teils der bisherigen Redaktion) als gedruckte Tageszeitung gesehen. </p><p>Das ist traurig für den österreichischen Medienmarkt, der sich ohnehin in bedenklicher Schieflage befindet und durch Förderungen und vor allem Inseratenvergaben der öffentlichen Hand eher verzerrt als gestärkt wird. Natürlich schmerzt aus medienpolitischer Sicht der Wegfall jeder Tageszeitung, die mit einer professionellen Redaktion tagesaktuelle Berichterstattung leistete, wie gering auch immer die Auflage war. Johannes Huber hat dazu in einem Kommentar in den Vorarlberger Nachrichten (<a href="https://twitter.com/Johannes_Huber1/status/1675044651420594176" rel="nofollow" target="_blank">hier auf Twitter</a>) einen ganz wesentlichen Punkt angesprochen: <i>"Wenn eine Information relevant ist, breitet sie sich auch ausgehend von einer kleinen Zeitung aus."</i> </p><p>Aber man muss der Realität ins Auge sehen: die Wiener Zeitung war ohne Quersubventionierung nicht lebensfähig, und eine Privatisierung hätte daran nichts geändert. </p><p>Durfte die Wiener Zeitung als gedruckte Tageszeitung daher eingestellt werden? Rechtlich ist das klar mit "ja" zu beantworten, denn eine verfassungs- oder europarechtliche Verpflichtung zur Fortführung bestand und besteht nicht. Es ist eine (wirtschafts- und medien-)politische Entscheidung, die von der aktuellen Regierungskoalition im Regierungsprogramm paktiert und nun mit dem WZEVI-Gesetz umgesetzt wurde. Das mag man gut oder schlecht finden, aber welche Aufgaben der Bund als (Medien-)Unternehmer übernimmt und von welchen er sich trennt, steht eben (im allgemeinen verfassungs- und europarechtlichen Rahmen) im Belieben des Bundes (zu einer möglichen Einschränkung komme ich noch im Abschnitt 7. weiter unten, Stichwort: Staatsferne). </p>
<h3 style="text-align: left;">5. Die Wiener Zeitung als Online-Medium und TikTok-Kanal</h3><p>Die Wiener Zeitung wurde aber nicht einfach eingestellt und damit die publizistische Tätigkeit der Wiener Zeitung GmbH beendet, sondern das WZEVI-Gesetz überträgt der Wiener Zeitung GmbH - neben einer Reihe anderer Aufgaben - auch die "<span style="color: #333333;">Herausgabe der Wiener Zeitung gemäß § 3". § 3 Abs. 1 WZEVI-Gesetz lautet:</span></p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"><span style="color: #333333;"><i>Die Wiener Zeitung GmbH hat unter Bedachtnahme auf einen hohen journalistischen Qualitätsstandard und unter Beachtung eines Redaktionsstatuts sowie unter der Berücksichtigung der Ausrichtung als Aus- und Weiterbildungsmedium die „Wiener Zeitung“ als Online-Medium und nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Mittel auch in Print herauszugeben.</i></span></p></blockquote><p>Viel konkreter wird das Gesetz nicht, § 3 Abs. 2 WZEVI-Gesetz nennt gerade einmal vier recht allgemein formulierte Aufgaben, die "d<span style="color: #333333;">urch die Herausgabe der unabhängigen Wiener Zeitung"</span> wahrgenommen werden sollen: </p><ol><li><span style="color: #333333;"><i>Erstellung, Verbreitung und Veröffentlichung von Informationen über zeitgeschichtliche und gegenwärtige Ereignisse unter besonderer Berücksichtigung von historischen, demokratiepolitischen, wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Aspekten;</i></span></li><li><span style="color: #333333;"><i>Förderung des Verständnisses und des Interesses für und an politischen Sachverhalten, kulturellen, wissenschaftlichen sowie gesellschaftlichen Entwicklungen;</i></span></li><li><span style="color: #333333;"><i>Stärkung der politischen und kulturellen Bildung und des demokratiepolitischen Bewusstseins, insbesondere durch die Vermittlung von Wissen über politische Prozesse, Strukturen und Inhalte;</i></span></li><li><span style="color: #333333;"><i>Erstellung, Verbreitung und Veröffentlichung von Informationen über wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Themen unter besonderer Berücksichtigung des Standorts Österreich und Themenstellungen der Europäischen Union in Bezug auf Österreich.</i></span></li></ol><p></p><p style="text-align: left;"><span style="color: #333333;"><span style="background-color: white;">Nach § 10 Abs. 1 Z 2 WZEVI-Gesetz leistet der Bund für diese Aufgabe</span></span><span style="text-align: left;"><span style="color: #333333;"> jährlich 7,5 Millionen Euro. </span></span></p></div><p style="text-align: left;"><span style="color: #333333;">Der damit erteilte Auftrag ist einigermaßen dünn und definiert weder, wie umfangreich das Angebot zu sein hat, was unter einem "Online-Medium" zu verstehen wäre, oder welche konkreten Kanäle bespielt werden sollten. Es ist weder vorgegeben noch ausdrücklich untersagt, unter "Online-Medium" auch einen </span><a href="https://www.tiktok.com/@wz_auf_tiktok" rel="nofollow" target="_blank">Kanal auf TikTok</a><span style="color: #333333;"> oder </span><a href="https://www.youtube.com/user/wienerzeitung" rel="nofollow" target="_blank">YouTube</a><span style="color: #333333;"> zu verstehen, es ist weder die Rede von Text-, noch von Audio- oder Videoformaten. Völlig offen ist auch, ob das Online-Medium Einnahmen aus Werbung oder Nutzungsentgelten der User*innen erzielen soll, oder ob ein werbefreies und kostenloses Medienangebot geschaffen werden sollte. </span></p><p style="text-align: left;"><span style="text-align: left;"><span style="color: #333333;">Das alles schafft Freiraum für die jeweiligen Vorlieben der Redaktion bzw. der Medieninhaberin (und deren Eigentümerin, die Republik Österreich, vertreten durch die Medienministerin). </span></span></p><p style="text-align: left;"><span style="text-align: left;"><span style="color: #333333;">In § 3 Abs. 2 WZEVI-Gesetz kommt zwar der Begriff "unabhängig" vor, es gibt aber keine Weisungsfreistellung der Redaktion oder auch nur des Geschäftsführers der Wiener Zeitung GmbH, sodass rechtlich betrachtet die Medienministerin, wenn sie das denn wollte, direkt in redaktionelle Inhalte eingreifen könnte. A</span></span><span style="color: #333333; text-align: left;">ufgrund der Ministerverantwortlichkeit müsste sie gegebenenfalls sogar eingreifen, wenn sie Wahrnehmungen dazu hätte, dass die Wiener Zeitung GmbH ihren Auftrag nach § 3 WZEVI-Gesetz nicht korrekt erfüllt (zu einem konkreten Anlassfall siehe im folgenden Abschnitt). Die unmittelbare Ingerenzmöglichkeit der Ministerin erspart übrigens auch die Überlegung, ob eine Weisungsfreistellung der Redaktion überhaupt verfassungsrechtlich zulässig wäre.</span></p><p style="text-align: left;"><span style="color: #333333; text-align: left;"><b>Aber die Unschärfe des Auftrags und der damit einhergehende weite Spielraum der Wiener Zeitung GmbH ist auch ein rechtliches Problem.</b> </span><span style="color: #333333;">Denn wir erinnern uns: dass die Republik ein einzelnes Unternehmen einfach so mit 7,5 Mio. € pro Jahr "sponsert" und damit in den Wettbewerb eingreift, eröffnet den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Beihilfenrechts, jedenfalls wenn die Beihilfe geeignet ist, den </span><span style="color: #333333;">Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen (das liegt hier jedenfalls vor, denn </span><span style="color: #333333;">ein Online-Medium wie die neue Wiener Zeitung steht natürlich in Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Nutzer anderer Online-Medien, die sich durch Werbung oder Beiträge ihrer Nutzer*innen finanzieren müssen, und auch wenn die Wiener Zeitung nicht selbst über die Grenzen Österreichs hinaus relevant sein dürfte, so bewegen sich auf dem österreichischen Markt doch auch Player, bei denen Gesellschafter*innen aus anderen Mitgliedstaaten beteiligt sind; siehe zur Abgrenzung die <a href="https://ec.europa.eu/competition/state_aid/cases/246068/246068_1382727_135_2.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Entscheidung der Kommission im Beihilfenfall </a></span><span><span style="color: #333333;"><a href="https://ec.europa.eu/competition/state_aid/cases/246068/246068_1382727_135_2.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Jornal da Madeira</a></span></span><span style="color: #333333;">). </span></p><p style="text-align: left;"><span style="color: #333333; text-align: left;">Auch die <a href="https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/A/3293/imfname_1548685.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Erläuterungen zum WZEVI-Gesetz</a> gehen dementsprechend davon aus, dass eine Beihilfe vorliegt. Sie nehmen darüber hinaus an, dass die Herausgabe des Online-Mediums "Wiener Zeitung" eine "DAWI" sei, also eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Die Beauftragung, so die Erläuterungen, erfolge <i>"sohin gemäß <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32012D0021" rel="nofollow" target="_blank">Beschluss 2012/21//EU</a>."</i> </span></p><p style="text-align: left;"><span style="color: #333333; text-align: left;">Das ist mutig: denn selbst wenn man davon ausgeht, dass ein - nicht besonders konkret definiertes - Online-Medium eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sein kann, verlangt der Beschluss 2012/21/EU doch auch, dass der Betrauungsakt (hier also das WZEVI-Gesetz) unter anderem auch eine <i>"</i></span><span style="color: #333333;"><i>Beschreibung des Ausgleichsmechanismus und Parameter für die Berechnung, Überwachung und Änderung der Ausgleichsleistungen</i>" ebenso enthalten muss wie <i>"</i></span><span style="color: #333333; text-align: left;"><i>Maßnahmen zur Vermeidung und Rückforderung von Überkompensationszahlungen"</i>. Und natürlich darf d</span><span style="background-color: white; color: #333333;">ie Höhe der Ausgleichsleistungen <i>"unter Berücksichtigung eines angemessenen Gewinns nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die durch die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen verursachten Nettokosten abzudecken."</i> </span> </p><p style="text-align: left;"><span style="background-color: white; color: #333333;">All dies ist im WZEVI-Gesetz nicht vorgesehen. <b>Meines Erachtens liegt damit kein Betrauungsakt vor, der die im Beschluss 2012/21/EU festgelegten Voraussetzungen erfüllt</b>, um </span><span><span style="color: #333333;">als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen zu werden und von der Anmeldepflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV befreit zu sein.</span></span></p><p style="text-align: left;">Unabhängig davon, ob mir persönlich die TikToks, YouTube-Shorts, Podcasts, Videos oder Textbeiträge der neuen Wiener Zeitung gefallen, ob ich die Umstellung auf eine neue Zielgruppe für richtig oder falsch halte: hier wurde ein neues, staatlich finanziertes Online-Medium geschaffen, dessen Auftrag nur unzureichend gesetzlich definiert ist und für das eine fixe jährliche Kompensation im Gesetz festgeschrieben ist, ohne dass ein Mechanismus festgelegt wurde, wie die Nettokosten berechnet und eine etwaige Überkompensation ausgeschlossen wird. <b>Damit liegt meines Erachtens eine unzulässige Beihilfenfinanzierung vor. Das neue "Online-Medium" wird also - allenfalls nach Beschwerden anderer Marktteilnehmer*innen - wohl demnächst wieder Geschichte sein. </b></p><p style="text-align: left;">"Demnächst" ist dabei dehnbar, denn Beihilfenverfahren vor der Kommission dauern lange, und die Republik kann auch noch nachbessern, den Auftrag schärfen und das Gesetz entsprechend novellieren, sodass durchaus noch ein paar Jahres ins Land ziehen können. Meine Vermutung ist aber ohnehin, dass das Online-Medium nur eine Übergangslösung ist, die für eine gewisse Beruhigung sorgen sollte, dass die "Wiener Zeitung" nicht gleich ganz verschwindet. </p><p style="text-align: left;">Mittelfristig aber passt ein "unabhängiges" Online-Medium auch gar nicht besonders gut in den Bauchladen der Wiener Zeitung GmbH, die de facto eher die In-House-Content- und Publishing-Agentur der Regierung sein soll und will. "Firmenzeitschriften" wie <a href="https://www.mediengruppewienerzeitung.at/unternehmen/die-republik-das-verwaltungsmagazin/" rel="nofollow" target="_blank">"Die Republik"</a>, Texte für Websites, Newsletter und ähnliche "owned media" des Bundes - dafür wird sich die Wiener Zeitung GmbH anbieten. Ein tatsächlich unabhängiges Medium passt da eher nicht dazu. </p><div><h3 style="text-align: justify;"><span style="text-align: left;">6. Heißt das noch Wiener Zeitung? Ja und nicht nein.</span></h3><p style="text-align: left;"><span style="text-align: left;">Einer der ersten Beiträge auf der neuen Website der Wiener Zeitung trug den Titel <a href="https://www.wienerzeitung.at/a/editorial" rel="nofollow" target="_blank">"</a></span><span style="text-align: left;"><a href="https://www.wienerzeitung.at/a/editorial" rel="nofollow" target="_blank">Qualitätsjournalismus geht auch ohne Papier"</a> und wollte einige Fragen anlässlich des Übergangs zum Online-Medium beantworten, darunter auch folgende:</span></p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px; text-align: left;"><p style="text-align: left;"><i><b>Heißt ihr noch Wiener Zeitung?</b></i></p><p style="text-align: left;"><i>Ja und nein. Wir bleiben Teil der Mediengruppe Wiener Zeitung, aber wir nennen uns ab jetzt WZ. Warum? Weil wir einen öffentlich-rechtlichen Auftrag haben, für alle Menschen in Österreich Journalismus zu machen. Als Kennzeichen des Neustarts lassen wir daher den Namen mit dem Wien-Fokus ein Stück weit hinter uns.</i></p></blockquote><p style="text-align: left;"><span style="text-align: left;"><i>"Wir nennen uns ab jetzt WZ."</i> ist einfach gesetzwidrig. Das WZEVI-Gesetz verlangt die Herausgabe der "Wiener Zeitung" als Online-Medium. Wie die Redaktion oder die Eigentümerin das Ding nennen will, ist dabei vollkommen unerheblich. Als <i>"Kennzeichen des Neustarts"</i> den gesetzlich vorgesehenen Namen einfach <i>"ein Stück weit"</i> hinter sich zu lassen, bloß weil man es so will, geht nicht. </span><span style="text-align: left;">Ich gehe davon aus, dass die Medienministerin in ihrer Rolle als Eigentümervertreterin den Geschäftsführer der Wiener Zeitung GmbH daran erinnern wird, dass die "Wiener Zeitung" - und nicht eine "WZ" - als Online-Medium herauszugeben ist. Wenn die Medienministerin das Wort "Wien" in "Wiener Zeitung" auch so stört, könnte sie alternativ auch einen Gesetzesvorschlag vorbereiten, um den gesetzlich festgelegten Namen zu ändern. </span></p><h3 style="text-align: justify;"><span style="text-align: left;">7. Darf der Staat selbst Medien herausgeben?</span></h3><p style="text-align: left;"><span style="text-align: left;">Das ist eine Frage, die in der ganzen Wiener Zeitung-Debatte in Österreich interessanterweise gar nicht gestellt wurde. Die Herausgabe einer Tageszeitung durch die Republik wurde in der Vergangenheit lauterkeitsrechtlich, wettbewerbsrechtlich oder beihilfenrechtlich diskutiert, aber ob es überhaupt verfassungskonform ist, als Republik eine Tageszeitung (oder nun: ein redaktionelles Online-Medium) herauszugeben, dieser Frage wurde hier noch kaum Aufmerksamkeit geschenkt. </span><span style="text-align: left;">Anders in Deutschland: dort wird aus der in Art. 5 Abs. 1 zweiter Satz des Grundgesetzes (<i>"</i></span><span style="text-align: left;"><i>Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet."</i>) das Gebot der <b>Staatsferne der Presse</b> abgeleitet. In Deutschland darf der Staat daher zwar Öffentlichkeitsarbeit betreiben, diese muss aber klar als solche erkenntlich sein und darf nur den Aufgabenbereich des jeweiligen Organs betreffen. Der Bundesgerichtshof hat das zB im Fall "Stadtblatt Crailsheim" <a href="http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=91356&pos=0&anz=1" rel="nofollow" target="_blank">wie folgt zusammengefasst</a>: </span></p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px; text-align: left;"><p style="text-align: left;"><i>„Die Bestimmung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fordert zur Sicherung der Meinungsvielfalt die Staatsferne der Presse. Dieser Grundsatz schließt es aus, dass der Staat unmittelbar oder mittelbar Presseunternehmen beherrscht, die nicht lediglich Informationspflichten öffentlicher Stellen erfüllen. Der Staat darf sich nur in engen Grenzen auf dem Gebiet der Presse betätigen. Das verfassungsrechtliche Gebot, die Presse von staatlichen Einflüssen freizuhalten, bezieht sich nicht nur auf manifeste Gefahren unmittelbarer Lenkung oder Maßregelung der im Bereich der Presse tätigen Unternehmen, sondern weitergehend auch auf die Verhinderung aller mittelbaren und subtilen Einflussnahmen des Staates.“</i></p></blockquote><span style="text-align: left;"></span><p style="text-align: left;">Würde man diese Kriterien auch in Österreich anwenden, könnte (auch) die neue Wiener Zeitung das Kriterium der Staatsferne nicht erfüllen und die Herausgabe dieses Medium durch eine im hundertprozentigen Eigentum der Republik stehende Gesellschaft wäre daher ein unzulässiger Eingriff in die Pressefreiheit. </p><p style="text-align: left;">Wie gesagt: das sind deutsche Maßstäbe, die in Österreich bislang - bei durchaus vergleichbarer Ausgangslage durch die grundrechtliche Gewährleistung der Pressefreiheit (in Österreich durch <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR12000053/NOR12000053.html" rel="nofollow" target="_blank">Art. 13 StGG</a> und <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR12016941/NOR12016941.html" rel="nofollow" target="_blank">Art. 10 EMRK</a>) - keinen Eingang in Literatur oder Judikatur gefunden haben. Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, Überlegungen in diese Richtung auch in Österreich anzustellen.</p><h3 style="text-align: justify;"><span style="font-weight: normal; text-align: left;">8. Eine persönliche Anmerkung zum Schluss</span><span style="text-align: left;"> </span></h3><p style="text-align: left;"><span style="text-align: left;">Ich war rund 40 Jahre lang Abonnent der Wiener Zeitung. Das Abo habe ich in meiner Studienzeit abgeschlossen, weil die Wiener Zeitung damals die einzige Möglichkeit war, authentisch, korrekt und vollständig über die wesentlichen Vorgänge in Parlament und Regierung informiert zu werden (diese Funktion haben inzwischen die Websites des Parlaments und teilweise - mit Abstrichen, was die Korrektheit betrifft - auch die Websites der Bundesministerien weitgehend übernommen). Andere Tageszeitungen waren ausgerichtet auf das aus ihrer jeweiligen Sicht gerade Wichtige, die Wiener Zeitung listete aber vollständig auf, welche Gesetzesbeschlüsse im Nationalrat getroffen wurden und welche Ergebnisse die Ministerratssitzungen gebracht hatten. Das hat es mir zunächst als Jus-Student und dann als Jurist ermöglicht, gewissermaßen das Wirken der res publica zu verfolgen. Ich habe das Abonnement später auch aufrechterhalten, als die Wiener Zeitung unter einem früheren Chefredakteur irregeleitete Ausflüge in den faktenbefreiten Meinungsjournalismus unternommen hat (siehe dazu in diesem Blog </span><a href="https://blog.lehofer.at/2006/11/kleinliche-mediengesetze.html" style="text-align: left;" target="_blank">hier</a><span style="text-align: left;">, </span><a href="https://blog.lehofer.at/2007/12/keine-menschenrechte-fr-sterreicher-was.html" style="text-align: left;" target="_blank">hier</a><span style="text-align: left;">, </span><a href="https://blog.lehofer.at/2008/05/stets-im-interesse-der-republik-wiener.html" style="text-align: left;" target="_blank">hier</a><span style="text-align: left;"> oder - zu einem besonders gravierende Fall - </span><a href="https://blog.lehofer.at/2007/01/real-editorial-independence.html" style="text-align: left;" target="_blank">hier</a><span style="text-align: left;">).</span></p><p style="text-align: left;">Aber Nostalgie kann keine Entscheidungsgrundlage für medienpolitische Weichenstellungen sein. Die Medienministerin (oder der ihr weisungsgebundene Geschäftsführer, was auf dasselbe hinausläuft) hat beschlossen, dass die neue Wiener Zeitung <a href=" "https://wien.orf.at/stories/3214134/" rel="nofollow" target="_blank">andere Zielgruppen ansprechen</a> soll, zu denen ich nicht mehr (20- bis 30-Jährige) oder noch nicht (Menschen, die in Pension gehen) gehöre (wobei ich mich frage, was diese beiden Zielgruppen verbindet, <i>"Menschen vor Veränderungen"</i> scheint mir etwas wenig). Das kann ich bedauern, aber es ist schon ok - wenn die Republik Medien herausgeben darf, dann darf sie wohl auch bestimmen, an wen sie sich vorrangig richtet, solange sie nicht aktiv diskriminiert, etwa indem Altersbeschränkungen für den Zugang eingerichtet würden.</p><p style="text-align: left;">Natürlich trauere ich in gewisser Weise der Wiener Zeitung als Tageszeitung nach, sogar dem gedruckten Amtsblatt, das ich - sicher eine "déformation professionnelle" - oft noch vor dem Tageszeitungsteil aufgeschlagen habe. Ich habe im Amtsblatt - in einer früheren beruflichen Funktion - Verordnungen und Ausschreibungen veröffentlicht (veröffentlichen müssen), ich habe mich auf Funktionen beworben, die im Amtsblatt ausgeschrieben waren, und auch meine Betrauung mit Funktionen wurde dort gelegentlich mitgeteilt. Ich habe also Verständnis für nostalgische Gefühle angesichts des Endes der Wiener Zeitung als Tageszeitung. </p><p style="text-align: left;">[Mehr Verständnis habe ich übrigens für den Ärger der Redaktion, die fast vollständig gekündigt wurde, nachdem in öffentlichen Statements der Medienministerin immer wieder von einer Weiterbeschäftigung der Redaktion bei der "neuen" Wiener Zeitung die Rede war (siehe zB <a href="https://orf.at/stories/3288259/" rel="nofollow" target="_blank">hier</a>: <i>"Auf den Personalstand der 'Wiener Zeitung'-Redaktion soll das keine Auswirkungen haben. 'Jeder Mitarbeiter bekommt die Möglichkeit, sich im neuen Geschäftsmodell zu beteiligen', so Raab."</i>).]</p><p style="text-align: left;">Mein Ansatzpunkt für Kritik wäre denn auch nicht die konkrete Ausrichtung des neuen Online-Mediums oder die Entscheidung, die Wiener Zeitung als Print-Tageszeitung einzustellen. Meines Erachtens sollte diese Entscheidung aber zum Anlass genommen werden, sich ganz grundsätzlich der Frage zu stellen, ob wir es als mit der Pressefreiheit vereinbar ansehen, wenn öffentliche Einrichtungen nicht bloß über ihre jeweiligen Aufgaben und Tätigkeiten informieren, sondern durch Herausgabe von Medien aktiv in den Medienmarkt einsteigen. </p><p style="text-align: left;"><b>Meines Erachtens spräche viel dafür, ähnlich wie in Deutschland auch in Österreich ein Gebot der Staatsferne der Presse anzuerkennen.</b> </p><p style="text-align: left;">Dies könnte entweder - ähnlich wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ohne die dortigen Schwachstellen und faktischen Probleme zu übersehen) - durch institutionelle und finanzielle Garantien im Hinblick auf die "Wiener Zeitung" abgesichert werden, oder aber durch gänzliche Herausnahme der Republik aus derartigen Medienprojekten. </p><p style="text-align: left;">Das Ende der Wiener Zeitung als Tageszeitung und die Neuaufstellung als republikseigenes Online-Medium - das ungeachtet jeder Beteuerung der Unabhängigkeit zwingend in direkter Weisungskette zur Medienministerin geführt werden muss - könnte der Anlass sein, die Rolle des Staates im Mediengeschäft grundsätzlich zu hinterfragen.</p><p style="text-align: left;">-------------</p><p style="text-align: left;"><b>PS:</b> in diesem Beitrag ging es mir nur um die "Wiener Zeitung". Das soll nicht heißen, dass ich andere durch das WZEVI-Gesetz geregelte Bereiche - insbesondere den sogenannten "Media Hub" - als unproblematisch ansehen würde. </p><p style="text-align: left;">--------</p><p style="text-align: left;"><b>PPS (Update 19.09.2023): </b>Ich habe am 21. Juli 2023 die Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien unter Berufung auf das Auskunftspflichtgesetz um folgende Auskünfte ersucht: </p><p></p><ul style="text-align: left;"><li>Wurde die Beihilfe zur Herausgabe der Wiener Zeitung (§ 3 WZEVI-Gesetz) der Europäischen Kommission notifiziert? Wenn ja, bitte um Information wann dies erfolgt ist und ob es dazu bereits eine Reaktion der Kommission gibt.</li><li>Bestehen neben dem WZEVI-Gesetz andere/weitere Betrauungsakte iSd Art. 4 des DAWI-Freistellungsbeschlusses im Hinblick auf die Herausgabe der Wiener Zeitung und gegebenenfalls, welchen Inhalt haben diese? Insbesondere ersuche ich um Mitteilung der Parameter für die Berechnung, Überwachung und Änderung der Ausgleichsleistungen und der Maßnahmen zur Vermeidung und Rückforderung von Überkompensationszahlungen. </li><li>Wurde die Beihilfe für die Einrichtung des „Media Hub Austria“ (§ 4 WZEVI-Gesetz) der Europäischen Kommission notifiziert? Wenn ja, bitte um Information wann dies erfolgt ist und ob es dazu bereits eine Reaktion der Kommission gibt.</li><li>Bestehen neben dem WZEVI-Gesetz andere/weitere Betrauungsakte iSd Art. 4 des DAWI-Freistellungsbeschlusses im Hinblick auf die Einrichtung des „Media Hub Austria“ und gegebenenfalls, welchen Inhalt haben diese?</li><li>Bestehen Förderungsrichtlinien für die vom „Media Hub Austria“ vorzunehmende Förderung nach § 4 Abs. 3 Z 2 WZEVI-Gesetz und wenn ja, welchen Inhalt haben diese?</li></ul><div>Nach einer Urgenz habe ich gestern dazu folgende Auskunft erhalten: </div><div><br /></div><div>[Zu den ersten vier Punkten:] <i>"Der im geltenden WZEVI-Gesetz gewählte Weg, der BKA-intern einer EU-beihilfenrechtliche Prüfung unterzogen wurde, wurde bereits im Entwurfsstadium der Europäischen Kommission zur Kenntnis gebracht und dort auf Beamtenebene besprochen. Aufgrund der Besprechungsergebnisse war davon auszugehen, dass die rechtliche Argumentation der Republik Österreich zur Anwendung des DAWI–Beschlusses eine vertretbare Rechtsauffassung darstellt und keine weitere Anmeldung bzw. Notifizierung des Gesetzesentwurfes erforderlich ist.</i></div><div><i><br /></i></div><div><i>Der Betrauungsakt zum gegenständlichen DAWI erfolgte durch das WZEVI-Gesetz, das mit 1. Juli 2023 in Kraft getreten ist. Aufgrund dessen waren die dort vorgesehenen Tätigkeiten mit 1. Juli 2023 durch die Wiener Zeitung GmbH aufzunehmen. Ergänzende Detailregelungen sind einem DAWI-Vertrag zwischen der Republik Österreich – Bund und der Wiener Zeitung GmbH vorbehalten."</i></div><div><br /></div><div>[Zum letzten Punkt:] <i>"Die Wiener Zeitung GmbH legt Bedingungen für Förderungen nach § 4 Abs. 3 Z 2 WZEVI-Gesetz fest, die den Gegenstand der Förderung bzw. Mittelvergabe, persönliche und sachliche Voraussetzungen für die Gewährung der Mittel, Ausmaß und Art der Förderung, Verfahren und Vertragsmodalitäten betreffen und veröffentlicht diese."</i></div><div><i>----</i></div><div><i><br /></i></div><div><b>PPPS: (Update 07.03.2024):</b> Ich habe am 9. Jänner 2024 das Bundeskanzleramt unter Bezugnahme auf die obenstehende Antwort auf mein erstes Auskunftsersuchen um Auskunft ersucht, "ob ein entsprechender DAWI-Vertrag zwischen der Republik Österreich – Bund und der Wiener Zeitung GmbH mittlerweile abgeschlossen wurde, und wenn ja, wann und mit welchem wesentlichen Inhalt (insbesondere betreffend Gegenstand und Dauer der zu erbringenden Leistungen und den Ausgleichsmechanismus und die Parameter für die Berechnung, Überwachung und Änderung der Ausgleichsleistungen)." Nunmehr habe ich folgende Antwort bekommen (am 7.3.2024, datiert mit 1.3.2024):</div><div><i>"bezugnehmend auf Ihr Auskunftsersuchen vom 9.1.2024, „ob ein entsprechender DAWI-Vertrag zwischen der Republik Österreich – Bund und der Wiener Zeitung GmbH mittlerweile abgeschlossen wurde“, teilt das Bundeskanzleramt mit, dass dieser DAWI-Vertrag nach wie vor in Abstimmung ist und zum jetzigen Zeitpunkt daher noch keine Auskunft über den finalen Inhalt gegeben werden kann."</i></div><div><br /></div><p></p></div>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-54506975511221098612023-05-18T09:27:00.000+02:002023-05-18T09:27:30.919+02:00"Medieninhaber ist Karl Nehammer als Person." Der Bundeskanzler (und andere Regierungsmitglieder) auf TikTok<p style="text-align: left;">Das von der Bundesregierung beschlossene TikTok-Verbot auf Dienstgeräten von Mitarbeiter*innen des Bundes ändert nichts an den (privaten oder von der jeweiligen Partei verantworteten ) TikTok-Kanälen von Regierungsmitgliedern - und auch nicht an den damit verbundenen Problemen.</p><h3 style="text-align: left;">Vorweg: Das "TikTok-Verbot"</h3><p>Am Mittwoch, 10. Mai 2023, war die <b>"Einschränkung der Nutzung von TikTok in der öffentlichen Verwaltung"</b> Thema im Ministerrat. Die Bundesregierung <a href="https://www.bundeskanzleramt.gv.at/bundeskanzleramt/die-bundesregierung/ministerratsprotokolle/ministerratsprotokolle-regierungsperiode-xxvii-2021-3/bp-58-10-mai.html" rel="nofollow" target="_blank">beschloss</a> aufgrund des von gleich vier Regierungsmitgliedern eingebrachten <a href="https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:d66271e4-ab87-4b88-9a49-282e2a2f4916/58_11_mrv.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Ministerratsvortrags</a> vier Punkte: </p><p></p><ol style="text-align: left;"><li>die Mitglieder der Bundesregierung untersagen die private Nutzung und Installation von TikTok auf Dienstgeräten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundes in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich. </li><li>Die Bundesregierung empfiehlt, dass die Nutzung und Installation von TikTok auf Dienstgeräten für die Landes- und Gemeindeverwaltung untersagt werden sollte. </li><li>Für die dienstlich notwendige Nutzung der Plattform (z.B. zur Erfüllung von Informationsaufträgen oder Ermittlungstätigkeiten) sollen rasch sichere Alternativen (durch bspw. Dienstgeräte ohne Zugriff auf die hauseigene IKT-Infrastruktur und zur ausschließlichen Nutzung für diese Plattform) geschaffen werden, damit Datenschutz, digitale Souveränität und die staatliche Sicherheit gewährleistet werden können. </li><li>Die "Geschäftsstelle der Digitalen Kompetenzoffensive" wird mit der Ausarbeitung von Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung im Umgang mit mobilen Anwendungen und deren datenschutzrechtlichen Implikationen betraut.</li></ol><p></p><div>Nur der erste und dritte Punkt sind interessant. </div><div>[Der vierte Punkt ist bloße Rhetorik - die einzige Frage, die ich mir dazu stelle ist, ob es wohl Menschen gibt, die ohne zu googeln wissen, wer die "Geschäftsstelle der Digitalen Kompetenzoffensive" ist? Ich wusste es nicht, habe nachgeforscht, und siehe da: es ist die <a href="https://oead.at/de/" rel="nofollow" target="_blank">OeAD GmbH</a>. Auch der zweite Punkt ist nicht wirklich operativ, denn Länder und Gemeinden können und werden sich auch ohne Empfehlung der Bundesregierung überlegen, was sie auf den Dienstgeräten ihrer Mitarbeiter*innen zulassen.]</div><h4 style="text-align: left;">TikTok-Verbot auf Dienstgeräten</h4><div>Damit zurück zum ersten Punkt: Die <b>private</b> <b>Nutzung und die Installation von TikTok auf Dienstgeräten</b> (das sind nicht nur Handys, sondern auch sonstige elektronische Geräte wie Tablets, Notebooks, PCs) wird untersagt. Klar ist damit, sofern die jeweiligen Regierungsmitglieder das per Weisung in ihrem Verantwortungsbereich auch tatsächlich umsetzen, dass die TikTok-App auf Dienstgeräten nicht heruntergeladen und installiert werden darf. Aber das Wort "Nutzung" könnte auch die <b>Nutzung von TikTok im Browser am PC</b> erfassen (für die keine App installiert werden muss), wobei hier den Sicherheitsbedenken wohl schon durch eine entsprechende Konfiguration des Browsers auf den Dienstgeräten Rechnung getragen werden könnte. </div><p>Unmittelbar nicht erfasst sind durch den Bundesregierungsbeschluss natürlich auch jene <b>Bundeseinrichtungen, die nicht im Weisungszusammenhang zu einem Mitglied der Bundesregierung stehen</b>. Das betrifft zB weisungsfreie Behörden, aber auch den gesamten Bereich der Gesetzgebung samt deren Hilfsorganen Rechnungshof und Volksanwaltschaft, die Präsidentschaftskanzlei und VfGH und VwGH. Ebenfalls vom Wortlaut nicht erfasst sind <b>ausgegliederte Gesellschaften</b>, da die dortigen Mitarbeiter*innen nicht solche "des Bundes" sind, sondern der jeweiligen Gesellschaft. Es ist aber wohl davon auszugehen, dass in diesen Bereichen ähnliche Anweisungen erfolgen werden. </p><p>Der Beschluss betrifft schließlich formal nur die <b>Dienstgeräte "von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern"</b> des Bundes, sodass zwar zB auch Kabinettsangehörige betroffen wären, nicht aber die Bundesminister*innen und Staatssekretär*innen selbst. Es wäre freilich widersinnig, wenn gerade bei den Dienstgeräten jener Personen, die am stärksten Sicherheitsrisiken ausgesetzt sind, die Installation von TikTok weiter möglich sein sollte, und ich gehe - auch nach den ersten Reaktionen von Politiker*innen - davon aus, dass das "TikTok-Verbot" daher auch für die Dienstgeräte der Minister*innen und Staatssekretär*innen umgesetzt wird. </p><p>Jedenfalls <b>nicht erfasst sind Privatgeräte </b>von Mitarbeiter*innen wie auch von Politiker*innen. Was also auf dem Partei- oder Privathandy eines Regierungsmitglieds bzw eines/einer Staatssekretär*in installiert ist, unterliegt weiterhin nur der Kontrolle der Partei bzw. der jeweiligen Person. Dass hier die Sensibilität gering ist, haben zumindest zwei Personen schon deutlich gemacht: sowohl <a href="https://www.diepresse.com/6286402/tiktok-verbot-fuer-beamte-ministerin-bleibt-dabei" target="_blank">BM Edtstadler</a> als auch <a href="https://www.profil.at/oesterreich/plakolm-zu-koalition-mit-kickl-nur-nichts-ausschliessen/402444630" target="_blank">StS Plakolm</a> werden TikTok mit ihren - jeweils von Parteiorganisationen verantworteten - "persönlichen" Accounts weiter auf ihren Privatgeräten nutzen. Mehr dazu etwas weiter unten.</p><h4 style="text-align: left;">"Dienstlich notwendige" TikTok-Nutzung</h4><p>Der Beschluss er Bundesregierung sieht vor, dass für die "dienstlich notwendige Nutzung der Plattform" sichere Alternativen geschaffen werden sollen, im Wesentlichen stand alone-Geräte, die nur für diesen Zweck verwendet werden. Interessant ist, was als dienstlich notwendige Nutzung angesehen wird: neben den - nur im Beschlussteil erwähnten - Ermittlungstätigkeiten soll das auch <b>"zur Erfüllung von Informationsaufträgen"</b> der Fall sein; in der Begründung des Beschlusses wird das auch noch näher ausgeführt, demnach soll das Betreiben von Kanälen auf TikTok durch öffentliche Stellen <i>"auch in Zukunft
schon zur Gewährleistung eines breiten Informationsangebotes an Menschen mit
unterschiedlicher Mediennutzung weiterhin möglich sein."</i> </p><p>Welche "Informationsaufträge" das sein sollen, deren Erfüllung öffentlichen Stellen nur auf TikTok möglich sein kann, verrät der Ministerratsvortrag leider nicht. Ich habe ein wenig gesucht und nur einen Kanal gefunden, der offiziell betrieben wird: "<a href="https://www.tiktok.com/@diepolizei" rel="nofollow" target="_blank">diepolizei</a>", betrieben vom Innenministerium. Das ist ein Kanal, mit dem TikTok-Nutzer*innen motiviert werden sollen, sich für den Polizeidienst zu bewerben. Der <a href="https://www.parlament.gv.at/dokument/XXVII/AB/11029/imfname_1464504.pdf" target="_blank">in einer Anfragebeantwortung</a> vor einiger Zeit weiters genannte TikTok-Account "Gemeinsam Geimpft" ist auf TikTok - zumindest für mich - nicht (mehr) zu finden, auch <a href="https://gemeinsamgeimpft.at/" target="_blank">die Website von "Gemeinsam Geimpft"</a> verlinkt nur mehr zu Facebook, Instagram und YouTube, nicht (mehr) zu TikTok.</p><p>Allzu drängend dürften die "Informationsaufträge", die der Bund auf TikTok zu erfüllen hätte, daher nicht sein (falls ich etwas übersehen habe: ich bin wirklich für jeden Hinweis auf weitere offizielle TikTok-Accounts dankbar!). </p><h3 style="text-align: left;">TikTok-Accounts von Regierungsmitgliedern und Staatssekretär*innen</h3><p>Deutlich prominenter als offizielle Informationskanäle von Bundesstellen sind die "persönlichen" Accounts von Regierungsmitgliedern. Wobei nicht immer klar ist, wie "persönlich" diese Accounts sind. So teilte am 13. November 2022 der "Pressesprecher und stv. Kabinettschef von Bundeskanzler @KarlNehammer" auf Twitter einen Link auf oe24.at(!) und schrieb dazu: <a href="https://twitter.com/Kosak_Daniel/status/1591838260904742912" rel="nofollow" target="_blank">"Bundeskanzler @karlnehammer ist ab sofort auch auf TikTok"</a>.</p><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiLvAxlCfNMRhHFMue5WWZNzVq6tttPc5bRaSEYABVEESHvRfnE34oB9pdCeLv_dk04FJxVqS8kG1NXcXMBiwGoO53q0UkU--lFAaecrySBlUMkGSGdbU0KlZHt-980y6L16CELxmnjQPuEkVaO6s-uykEzYOTAKreTDf9v1FnVY3Mxi1JFsQ/s711/_tiktok_Nehammer_Header.jpg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img alt="Header des TikTok-Accounts @karlnehammer" border="0" data-original-height="537" data-original-width="711" height="151" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEiLvAxlCfNMRhHFMue5WWZNzVq6tttPc5bRaSEYABVEESHvRfnE34oB9pdCeLv_dk04FJxVqS8kG1NXcXMBiwGoO53q0UkU--lFAaecrySBlUMkGSGdbU0KlZHt-980y6L16CELxmnjQPuEkVaO6s-uykEzYOTAKreTDf9v1FnVY3Mxi1JFsQ/w200-h151/_tiktok_Nehammer_Header.jpg" width="200" /></a></div>Und tatsächlich, auf TikTok findet man einen <a href="https://www.tiktok.com/@karlnehammer" rel="nofollow" target="_blank">Account</a>, bei dem in der Bio zwei Funktionen von Karl Nehammer angegeben sind: "Bundeskanzler der Republik Österreich" und "Bundesparteiobmann der Volkspartei". <p></p><p>Da weitere Links, zB auf ein Impressum, fehlen und daher nicht klar ist, wer für diesen Account als Medieninhaber verantwortlich ist, habe ich auch versucht, vom Pressesprecher des Bundeskanzlers <a href="https://twitter.com/hplehofer/status/1591849938862108673" rel="nofollow" target="_blank">in einer Reply auf seinen Tweet</a> Antwort auf die Frage zu bekommen, ob das ein BKA- oder Parteiaccount ist (und dieselbe Frage auch zum TikTok-Account der Bundesministerin für Verfassung und EU im Bundeskanzleramt gestellt, bei dem zu diesem Zeitpunkt in der Bio ein Link auf eine Unterseite der BKA-Website zu finden war). Leider erhielt ich <a href="https://twitter.com/hplehofer/status/1592210215667105794" rel="nofollow" target="_blank">trotz Nachfrage</a> darauf zunächst keine Antwort vom Pressesprecher des Bundeskanzlers. </p><p>Also habe ich an das Bundeskanzleramt eine Anfrage nach dem Auskunftspflichtgesetz gestellt, mit meines Erachtens recht einfach zu beantwortenden Fragen:</p><p><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhc2bZq3b_UIpeySTldHquA-onDAMLYsVpGHR4xUo7fGgzJfhuVzrFDWdl2ga8nWCj8BBNOlL8akK2MnuBEXQFr9crfeBZdSFrV_MUFOEFwdmcBSzTlEZJybZSWAQreZpmpZMDbSYSmKaqmpR5v8yOwT_cA1NbgucYQfOyzO9AkRR9JmG7KsQ/s1080/_tiktok-Anfrage.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="480" data-original-width="1080" height="266" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhc2bZq3b_UIpeySTldHquA-onDAMLYsVpGHR4xUo7fGgzJfhuVzrFDWdl2ga8nWCj8BBNOlL8akK2MnuBEXQFr9crfeBZdSFrV_MUFOEFwdmcBSzTlEZJybZSWAQreZpmpZMDbSYSmKaqmpR5v8yOwT_cA1NbgucYQfOyzO9AkRR9JmG7KsQ/w597-h266/_tiktok-Anfrage.jpg" width="597" /></a><br /></p><p>Auch auf diese Anfrage erhielt ich zunächst keine Antwort, und so urgierte ich nach Ablauf der gesetzlich festgelegten Frist für die Auskunftserteilung. Inzwischen antwortete mir der Pressesprecher des Bundeskanzlers nach einer neuerlichen Anfrage doch auch auf Twitter:</p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjv8X2gQ9u3ToHpMXal34f4WqL0mihpsJ8Q_ztRbiplyLOs5TMGj7s4beWxrOeulsNJtf4NQKJ21M5CyZOwQKrERd4BYzHzD1Rh-I7psZvM4b_510uTjRUW3K40S2uimhTLGP2LcnHh5XWoJIZmdloM90nsqSuYpg8RTY4fpds-foWqe2_izg/s1303/_nehammer_volkspartei.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="713" data-original-width="1303" height="219" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjv8X2gQ9u3ToHpMXal34f4WqL0mihpsJ8Q_ztRbiplyLOs5TMGj7s4beWxrOeulsNJtf4NQKJ21M5CyZOwQKrERd4BYzHzD1Rh-I7psZvM4b_510uTjRUW3K40S2uimhTLGP2LcnHh5XWoJIZmdloM90nsqSuYpg8RTY4fpds-foWqe2_izg/w400-h219/_nehammer_volkspartei.jpg" width="400" /></a></div><p><i>"Medieninhaber ist die Volkspartei, Inhalte, die mit der Arbeit als Bundeskanzler zu tun haben, werden u.a. auch aus dem Kabinett mitbetreut."</i> </p><p>Meine Nachfrage, zu welchen Bedingungen andere Parteiaccounts (zB SP, FP, Grüne, Neos etc.) eine derartige "Mitbetreuung" aus dem Kabinett des Herrn Bundeskanzlers in Anspruch nehmen können, blieb leider unbeantwortet. Mittlerweile hat der Pressesprecher des Bundeskanzlers seinen Tweet auch wieder - aus mir nicht bekannten Gründen - gelöscht. </p><p><b>(Bundeskanzler) Karl Nehammer "als Person" auf TikTok</b></p><p>Ende Jänner erhielt ich dann endlich doch eine Antwort auf meine Auskunftsersuchen aus dem Bundeskanzleramt. Interessant daran war, dass diese Antwort nicht mit der Antwort übereinstimmte, die der Pressesprecher des Bundeskanzlers zunächst auf Twitter gegeben hatte. Das BKA schreibt nämlich:</p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"><i>Der TikTok Kanal von Bundeskanzler Karl Nehammer wird nicht vom Bundeskanzleramt (Republik Österreich – Bund, vertreten durch den Bundeskanzler) betreut. <b>Medieninhaber ist Karl Nehammer als Person.</b> Die veröffentlichten Inhalte wurden von einem Mitarbeiter aus dem Kabinett des Bundeskanzlers erstellt, sofern die Inhalte im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Karl Nehammer als Bundeskanzler stehen. </i>[Hervorhebung von mir]</p></blockquote><div>Das ist aus zwei Gründen interessant: </div><div>Erstens wird hier offiziell die Praxis bestätigt, dass Inhalte auf diesem Kanal (auch) "von einem Mitarbeiter aus dem Kabinett des Bundeskanzlers erstellt" werden, also von einer Person, deren Tätigkeit öffentlich finanziert wird, um eine Tätigkeit für den Bund zu erbringen. </div><div>Und zweitens soll der Account nicht von der Partei, sondern von Karl Nehammer "als Person" (also wohl: privat) als Medieninhaber verantwortet werden. Das hat gerade im Hinblick darauf Bedeutung, dass Inhalte für den Kanal von einem Mitarbeiter des Bundes erstellt werden. Wäre die Partei Medieninhaberin, wäre eine kostenlose Inhalteerstellung für den Account durch diesen Bundesmitarbeiter nämlich eine unzulässige Parteispende nach § 6 Abs. 6 Z 3 <a href="https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20007889" rel="nofollow" target="_blank">Parteiengesetz</a>.</div><h4 style="text-align: left;">(Bundesministerin) Karoline Edtstadler als Parteipolitikerin auf TikTok</h4><div>Allzu aktiv ist Karl Nehammer ("als Person") auf TikTok nicht. Das unterscheidet ihn von Karoline Edtstadler, Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt, die auf TikTok immerhin mehr als 20.000 Followers hat und <a href="https://www.tiktok.com/@karoline.edtstadler?lang=de-DE" rel="nofollow" target="_blank">dort</a> (wie auch <a href="https://www.instagram.com/karoline.edtstadler/" rel="nofollow" target="_blank">auf Instagram</a>) im permanenten Wahlkampfmodus (zuletzt Salzburg, jetzt Europa) regelmäßig Videos postet. Nicht nur die klar erkennbare Wahlwerbung und die parteipolitischen Äußerungen zeigen, dass es sich nicht um einen offiziellen Account als Bundesministerin handelt - mittlerweile erkennt man das auch an der (impliziten) Offenlegung im Sinne des Mediengesetzes: sowohl der TikTok- als auch der Instagram-Account von Karoline Edtstadler verlinken nämlich auf <a href="http://www.karo-edtstadler.at">www.karo-edtstadler.at</a>, eine Seite, für die das <a href="https://www.dievolkspartei.at/Impressum" rel="nofollow" target="_blank">Impressum</a> "Medieninhaber und Herausgeber: ÖVP (Österreichische Volkspartei) - Bundespartei" angibt. </div><div><br /></div><div>Sollten für den TikTok-Kanal (oder auch den Instagram-Kanal) von Karoline Edtstadler Mitarbeiter*innen des Bundes ohne Gegenverrechnung Leistungen erbringen, wären das (unzulässige) Parteispenden im Sinne des § 6 Abs. 6 Z 3 Parteiengesetz. Darüber hinaus (und auch sofern tatsächlich eine Leistungsverrechnung zwischen dem Bund und der ÖVP stattfinden sollte) wäre natürlich die Frage zu stellen, ob derartige Leistungen auch Dritten erbracht würden: könnten zB auch SPÖ, FPÖ , Grüne oder NEOS Videomaterial aus dem BKA oder von Dienstreisen der Frau Bundesministerin für ihre jeweiligen Social Media-Accounts bekommen? </div><div><br /></div><div>Ich finde es jedenfalls gut, dass der Rechnungshof bereits im letzten Jahr <a href="https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/home_1/fragen-medien/Presseinformation_Rechenschaftsbericht_OeVP_2019.pdf" rel="nofollow" target="_blank">angekündigt hat</a>, eine Prüfung zum Thema „Social
Media Accounts von Regierungsmitgliedern“ auf seinen Prüfplan zu setzen.</div><h4 style="text-align: left;">Besuch im BKA - via Volkspartei</h4><div>Wie funktioniert nun diese Verknüpfung von Partei und BKA in der Praxis? Nehmen wir das Beispiel "Besuch im BKA". Karoline Edtstadler postet dazu <a href="https://www.tiktok.com/@karoline.edtstadler/video/7189321479039880453?is_from_webapp=1&sender_device=pc&web_id=7136230776148149765" rel="nofollow" target="_blank">ein Video</a> mit folgendem Text: </div><div><br /></div><blockquote style="border: none; margin: 0 0 0 40px; padding: 0px;"><div style="text-align: left;"><i>"Ihr wolltet schon immer mal ins Bundeskanzleramt kommen und hinter die Kulissen blicken? Dann seid ihr hier genau richtig! Ich lade euch ein, mich an einem Nachmittag zu besuchen und auch bei dem einen oder anderen Termin zu begleiten. Wenn ihr Interesse habt, meldet euch an, den Link findet ihr in der Bio." </i></div></blockquote><p>Klinkt man auf den Link in der Bio, kommt man zu <a href="https://form.typeform.com/to/b4rPLMjn">https://form.typeform.com/to/b4rPLMjn</a>, dort wird man durch ein Formular geführt, wo als Pflichtangaben neben Vor- und Nachname, E-Mail und Wohnort auch der Beruf und die Telefonnummer anzugeben sind. Am Schluss muss man folgende Zustimmungserklärung anklicken: </p><blockquote style="border: none; margin: 0 0 0 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"><i>Mit Zustimmung dieses Formulars erkläre ich mich damit einverstanden, dass mich Karoline Edtstadler und ihr Team per E-Mail oder telefonisch über organisatorische Zwecke zur Veranstaltung "Besuch im BKA" kontaktieren dürfen und meine Daten zu diesem Zweck verarbeiten können. Näheres siehe unter https://www.karo-edtstadler.at/Datenschutz.html.* </i>[das Sternchen am Ende weist aus, dass die Zustimmung hier zwingend erforderlich ist, um das Formular absenden zu können]</p></blockquote><p>Der angegebene Link führt zur Website <a href="http://karo-edtstadler.at">karo-edtstadler.at</a>, in deren Impressum, wie schon erwähnt, als "Medieninhaber und Herausgeber" ausdrücklich die "ÖVP (Österreichische Volkspartei) - Bundespartei" angegeben ist. Mit anderen Worten: will man das Angebot der Bundesministerin, sie im Bundeskanzleramt zu besuchen und sie "bei dem einen oder anderen Termin zu begleiten", annehmen, muss man zwingend personenbezogene Informationen inklusive Wohnort, Beruf und Telefonnummer an die Österreichische Volkspartei weitergeben. Tut man das, kann man, <a href="https://www.tiktok.com/@karoline.edtstadler/video/7231529447340395802?is_from_webapp=1&sender_device=pc&web_id=7136230776148149765" rel="nofollow" target="_blank">wie Florentine, Schülerin, 17 Jahre, aus Wiener Neustadt, dann vielleicht selbst einmal ein TikTok-Video im BKA für den Kanal von Karoline Edtstadler aufnehmen</a>.</p><p>Karoline Edtstadler wird <a href="https://www.diepresse.com/6286402/tiktok-verbot-fuer-beamte-ministerin-bleibt-dabei" rel="nofollow" target="_blank">laut Presse</a> auch nach dem "TikTok-Verbot" auf TikTok bleiben: Sie habe die App "ohnehin nicht auf dem Diensthandy." </p><h4 style="text-align: left;">Und andere Regierungsmitglieder und Staatssekretär*innen?</h4><p>Staatssekretärin <a href="https://www.tiktok.com/@claudiaplakolm?lang=de-DE" rel="nofollow" target="_blank">Claudia Plakolm ist ebenfalls auf TikTok</a> und ist immerhin, ähnlich wie Karoline Edtstadler, transparent im Hinblick auf die Medieninhaberin ihres Accounts: sie verlinkt auf die Junge ÖVP. Der zweite von der ÖVP gestellte Staatssekretär, <a href="https://www.tiktok.com/@floriantursky?lang=de-DE" rel="nofollow" target="_blank">Florian Tursky, hat auch einen TikTok-Account</a> (<a href="https://www.tiktok.com/@floriantursky/video/7228566915537505563?is_from_webapp=1&sender_device=pc&web_id=7136230776148149765" rel="nofollow" target="_blank">aktuellstes Video</a> "Am Ende des Tages sind wir in einem weltweiten Wettlauf der Digitalisierung ..."), bezeichnet sich dort als "Staatssekretär für Digitalisierung", weist aber nicht aus, wer medienrechtlich für den Account verantwortlich ist. </p><p>Ähnliches gilt auch für die TikTok-Accounts der grünen Regierungsmitglieder, die ich gefunden habe: <a href="https://www.tiktok.com/@lgewessler" rel="nofollow" target="_blank">Leonore Gewessler</a>, <a href="https://www.tiktok.com/@johannes_rauch?lang=de-DE" rel="nofollow" target="_blank">Johannes Rauch</a> und <a href="https://www.tiktok.com/@alma_zadic?lang=de-DE" rel="nofollow" target="_blank">Alma Zadić</a>. Alle drei verweisen auf ihr jeweiliges Regierungsamt, bringen aber teilweise (etwa <a href="https://www.tiktok.com/@alma_zadic/video/7214079893867629830?lang=de-DE" rel="nofollow" target="_blank">Alma Zadić auf dem Brunnenmarkt</a>) auch (partei-)politischen oder (etwa <a href="https://www.tiktok.com/@johannes_rauch/video/7215655807445142790?lang=de-DE" rel="nofollow" target="_blank">Johannes Rauch beim Spaziergang mit Hund</a>) privaten Content. Auch bei diesen Accounts hätte ich nicht den Eindruck, dass es sich um offizielle Ministeriumsaccounts handeln würde.</p><p>Die meisten TikTok-Accounts von Regierungsmitgliedern und Staatssekretär*innen sind - mit Ausnahme jenes von Karoline Edtstadler - (noch) von überschaubarer Relevanz, jedenfalls was Followerzahlen und auch die Menge der Videos anbelangt. Aber wahrscheinlich gilt für alle Accountinhaber*innen, was <a href="https://www.diepresse.com/6286402/tiktok-verbot-fuer-beamte-ministerin-bleibt-dabei" rel="nofollow" target="_blank">Edtstadler der Presse ausrichten ließ</a>: <i>„als Politiker wollen wir mit Menschen dort in Kontakt treten, wo sie sich täglich bewegen.“ </i>Auch um den Preis, dafür TikTok zu nutzen.</p>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-49032975069074229502023-04-22T11:11:00.001+02:002023-04-28T08:08:50.148+02:00Vom Programmentgelt zum "ORF-Beitrag" - jetzt aber wirklich?Vor über zehn Jahren habe ich in diesem Blog den Beitrag<a href="https://blog.lehofer.at/2012/10/vom-programmentgelt-zum.html" target="_blank"> "Vom Programmentgelt zum (geräteunabhängigen) 'ORF-Beitrag'?"</a> geschrieben. Damals dachte ich, der Umstieg von einer "Gebühr", die an den Betrieb von bestimmten Empfangsgeräten anknüpft, auf eine geräteunabhängige Haushaltsabgabe würde auch in Österreich unmittelbar bevorstehen. Deutschland hatte zu dieser Zeit die Haushaltsabgabe ("Rundfunkbeitrag") schon auf den Weg gebracht, für die Schweiz war ein Gleichziehen absehbar, und in Österreich hatte der ORF-Generaldirektor <a href="https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20121017_OTS0328/orf-gd-wrabetz-sustainable-funding-oeffentlich-rechtlicher-rundfunk-braucht-ausreichende-finanzierung" rel="nofollow" target="_blank">seine Vorstellungen bereits öffentlich dargelegt</a>.<div><br /></div><div>Im damaligen Blogpost hielt ich es ernstlich für möglich, dass die Umstellung vom geräteabhängigen Programmentgelt auf einen haushaltsbezogenen ORF-Beitrag mit 1. Jänner <b>2014</b> erfolgen könnte. Ich hatte aber die Trägheit der österreichischen Medienpolitik - entgegen jeder Erfahrung - wieder einmal unterschätzt. <b>Zehn Jahre später, mit 1. Jänner 2024, soll es nun aber tatsächlich so weit sein</b>: nach einer Einigung zwischen ÖVP und Grünen soll mit kommendem Jahr das bisherige (gerätebezogene) Programmentgelt durch einen (haushaltsbezogenen) ORF-Beitrag ersetzt werden. </div><div><br /></div><div>Noch gibt es keinen Gesetzesentwurf (update: am 27.04.2023 wurde der Entwurf zur Begutachtung versandt: Text und Materialien sind <a href="https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/ME/266" rel="nofollow" target="_blank">hier auf der Parlaments-Website</a>), und natürlich warten bis zur tatsächlichen Umsetzung noch zahlreiche politische und vielleicht auch rechtliche Fallstricke, aber immerhin ist nun Bewegung in die Sache gekommen. Wie in der österreichischen Medienpolitik üblich, brauchte es dazu zunächst <a href="https://ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_20220630_21G00226_00/JFT_20220630_21G00226_00.pdf" rel="nofollow" target="_blank">eine Gerichtsentscheidung</a>, um Handlungsbedarf anzumahnen, und dann auch noch das baldige Ende der in diesem Fall vom VfGH gesetzten Deadline. </div><div><br /></div><div>Was wir bis jetzt wissen, ergibt sich aus einem <a href="https://www.bundeskanzleramt.gv.at/bundeskanzleramt/die-bundesregierung/ministerratsprotokolle/ministerratsprotokolle-regierungsperiode-xxvii-2021-3/bp-52a-23-maerz.html" rel="nofollow" target="_blank">Umlaufbeschluss der Bundesregierung vom 23. März 2023</a>, mit dem ein gemeinsamer Bericht der Medienministerin, des Finanzministers und - wohl damit auch ein:e grüne:r Minister:in dabei ist - des Bundesministers für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport "betreffend Neuregelung ORF-Finanzierung nach VfGH-Erkenntnis " angenommen wurde (<a href="https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:192f7046-272c-4622-b89e-8f1226b98de8/52a_1_ulb.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Volltext des Ministerratsvortrags</a>). Auch wenn man von den seither andauernden Verhandlungen derzeit so manches hört oder liest (meist Unbestätigtes und nichts Definitives), beschränke ich mich in diesem Beitrag bewusst nur auf eine gewisse "Exegese" des Ministerratsvortrags. </div><div><br /></div><h3 style="text-align: left;">Zum Inhalt des Ministerratsvortrags</h3><div>Der Ministerratsvortrag enthält zunächst ein Bekenntnis zu einem unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den Hinweis, dass (<a href="https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20230313_OTS0081/95-prozent-der-oesterreicherinnen-nutzen-die-angebote-des-orf" rel="nofollow" target="_blank">laut einer vom ORF in Auftrag gegebenen Umfrage</a>) rund 95 Prozent "der Österreicherinnen und Österreicher" (<a href="https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20230313_OTS0081/95-prozent-der-oesterreicherinnen-nutzen-die-angebote-des-orf" rel="nofollow" target="_blank">beim ORF</a>: "der Befragten", 1000er Sample, ab 16 Jahre) Angebote des ORF in Radio, Fernsehen und/oder Online nutzen. Daran anschließend wird in einem Absatz auf das VfGH-Erkenntnis vom 30. Juni 2022 hingewiesen, das "eine Neuregelung unumgänglich" gemacht hat (da klingt an, dass eine Neuregelung wirklich erst dann in Angriff genommen wird, wenn sie "unumgänglich" ist). Schließlich werden drei Bereiche angesprochen, in denen es zu Änderungen kommt:</div><div><br /></div><div><b>ORF-Beitrag</b></div><div>Der Ministerratsvortrag skizziert knapp die denkbaren Szenarien einer Neugestaltung der ORF-Finanzierung: Finanzierung aus dem Bundesbudget, Erweiterung der gerätebezogenen Abgabe auf alle streamingfähigen Geräte ("Laptop, Tablet, Hand, usw.") und "ORF-Beitrag für jeden Haushalt. Den beiden ersten Varianten erteilt der Ministerratsvortrag eine Absage und spricht sich für die Variante einer Haushaltsabgabe ("ORF-Beitrag") aus. Dieser ORF-Beitrag soll ab 1. Jänner 2024 eingeführt werden. Dem Ministerratsvortrag sind dazu folgende Eckpunkte zu entnehmen (ich versuche die eher versprengten Ausführungen etwas systematischer zusammenzufassen):</div><div><ul style="text-align: left;"><li><b>Haushaltsabgabe:</b> der Beitrag soll für jeden "Haushalt" anfallen, unabhängig von der Zahl der Bewohner:innen oder der genutzten Geräte. </li><li><b>Hauptwohnsitz:</b> angeknüpft wird nur an den Hauptwohnsitz, Nebenwohnsitze bleiben unberücksichtigt. </li><li><b>Befreiungen:</b> bisherige Befreiungen sollen aufrecht bleiben (damit wird indirekt auch bestätigt, dass es beim Modell eines einheitlichen - also insbesondere nicht etwa sozial gestaffelten - Beitrags bleibt, der entweder in voller Höhe oder - im Fall einer "Befreiung" - gar nicht zu entrichten ist).</li><li><b>Betriebe:</b> der Ministerratsvortrag bleibt zu den Betrieben unklar; nur indirekt ergibt sich aus der Anmerkung, dass "im betrieblichen Bereich" die Kontrollen durch die GIS entfallen, dass die Betriebe weiterhin beitragspflichtig bleiben sollen. Für mich kryptisch ist, was "ein gestaffelter weitgehend automatisierter Vollzug" sein soll, auf den in diesem Zusammenhang Bezug genommen wird; möglicherweise wird dabei auf die bisherige Staffelung der Gebühren- und Programmentgeltpflicht (teilweise) abhängig von der Zahl der Empfangsgeräte an betrieblichen Standorten abgestellt; <a href="https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/medien/2182693-ORF-Beitrag-Deutliche-Ausweitung-fuer-die-Wirtschaft-steht-bevor.html" target="_blank">laut Medienberichten</a> sollen Ein-Personen-Unternehmen ausgenommen werden. </li><li><b>USt und "Bundesgebühren": </b>die derzeit gemeinsam mit dem Programmentgelt eingehobene Rundfunkgebühr sowie der Kunstförderungsbeitrag sollen entfallen; damit verzichtet der Bund auf Einnahmen von rund 75,5 Mio. € (auf der Basis der Einnahmen 2022); außerdem soll der ORF-Beitrag - anders als derzeit das Programmentgelt - nicht der Mehrwertsteuer unterliegen. Das belastet den ORF insoweit, als damit auch die Vorsteuerabzugsberechtigung entfällt und sich dementsprechend die Kosten für den ORF erhöhen werden (zur Frage, ob die auf eine Bestimmung im Beitrittsvertrag zurückgehende Verrechnung von USt. auf das Programmentgelt wirklich unionsrechtskonform ist, ist derzeit <a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&jur=C%2CT%2CF&num=c-249/22" rel="nofollow" target="_blank">ein Vorabentscheidungsverfahren am EuGH anhängig</a>, in dem am 25. Mai 2023 von Generalanwalt Szpunar die Schlussanträge erstattet werden - ein Abwarten der Urteils des EuGH vor der Neuregelung geht sich damit nicht mehr aus).</li><li><b>Landesabgaben:</b> die Landesabgaben werden im Ministerratsvortrag nur einmal kurz erwähnt, nämlich beim Hinweis auf die in Aussicht genommene Höhe des Beitrags, der "künftig (ohne Landesabgaben) lediglich rund 15 Euro betragen" soll; damit wird aber auch deutlich gemacht, dass der Bundesgesetzgeber nicht beabsichtigt, etwa durch eine finanzverfassungsrechtliche Regelung die Einhebung von Landesabgaben zugleich mit dem ORF-Beitrag zu unterbinden. Allerdings wird eine Verständigung mit den Ländern jedenfalls erforderlich sein, da derzeit in den Landesabgabenbestimmungen auf den "Betrieb einer Rundfunkempfangseinrichtung" abgestellt wird und die Einhebung über die GIS geregelt ist; gerade diese Anknüpfung und Einhebungsform soll auf Bundesebene aber wegfallen.</li><li><b>GIS:</b> die "GIS-Kontrollen" werden entfallen, die "GIS in ihrer derzeitigen Form" brauche es in Zukunft nicht mehr; konkretere Aussagen über die Art der Einhebung trifft der Ministerratsvortrag nicht (im Abschnitt "Einsparungen" ist zudem von "Einsparungen im Vollzug" von mittelfristig bis zu einem Viertel die Rede, wobei mit "Vollzug" offenbar die Beitragseinhebung gemeint sein dürfte).</li><li><b>Festsetzung des ORF-Beitrags:</b> der Ministerratsvortrag bleibt auch unscharf, wer die (erstmalige) Höhe des Beitrags festlegt. Die Formulierung, wonach "die Festsetzung der Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags <i><b>nach der Umstellung</b></i> dem bisherigen System - unter strenger Kontrolle der KommAustria - folgen soll" (Betonung hinzugefügt), klingt, als würde die erstmalige Festsetzung der Höhe des ORF-Beitrags möglicherweise unmittelbar durch das Gesetz erfolgen ("Festsetzung der Nettokosten" ist eine missverständliche Formulierung, da ja nicht die Nettokosten festgelegt werden, sondern derzeit das Programmentgelt, in Zukunft der ORF-Beitrag, und die Einnahmen aus diesen Beiträgen nicht höher sein dürfen, als die Nettokosten für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags). </li><li><b>Höhe des ORF-Beitrags:</b> der Ministerratsvortrag nennt einen konkreten Betrag ("rund 15 Euro"), lässt aber offen, wie es zu diesem Betrag gekommen ist, insbesondere ob es sich dabei um eine normative Vorgabe handeln soll (also der Gesetzgeber die 15 Euro festlegt), oder ob der Betrag das Ergebnis einer Berechnung ist, in der aktuelle Kosten des ORF, deren absehbare Entwicklung und die schon öffentlich diskutierten, aber offenbar auch bilateral zwischen Medienministerin und ORF-Generaldirektor erörterten Sparpläne berücksichtigt wurden.</li><li><b>Berücksichtigung der unions- und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen:</b> das lässt offen, ob allenfalls eine beihilfenrechtliche Notifizierung als notwendig angesehen wird und lässt jedenfalls auch Spielraum für gewisse Adaptierungen, um allfälligen unions- und verfassungsrechtlichen Bedenken in Detailfragen noch nachkommen zu können. <br />Die in Deutschland erfolgte Umstellung auf eine Haushaltsabgabe - dort: "Rundfunkbeitrag" - wurde übrigens nicht notifiziert; der <a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=208961&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1250068" rel="nofollow" target="_blank">EuGH hat mit seinem Urteil vom 13.12.2018 in der Rechtssache C-492/17 Rittinger bestätigt</a>, <i>"dass eine Änderung der Finanzierungsregelung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eines Mitgliedstaats, die wie in den Ausgangsverfahren darin besteht, eine Rundfunkgebühr, die für den Besitz eines Rundfunkempfangsgeräts zu entrichten ist, durch einen Rundfunkbeitrag zu ersetzen, der insbesondere für das Innehaben einer Wohnung oder einer Betriebsstätte zu entrichten ist, keine Änderung einer bestehenden Beihilfe im Sinne [des Art. 1 Buchst. c VO (EG) Nr. 659/1999] darstellt, von der die Kommission gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV zu unterrichten ist."</i></li><li><b>Stärkung der Rolle der Regulierungsbehörde: </b>der Ministerratsvortrag spricht zweimal von "strenger" (externer) Kontrolle durch die Regulierungsbehörde/KommAustria. Angedacht ist offenbar, den Kontrollmaßstab der Regulierungsbehörde bei der Überprüfung des ORF-Beitrags (derzeit: des Programmentgelts) zu verschärfen. Wie das genau erfolgen soll, bleibt offen. </li></ul></div><div><b>Einsparungen</b></div><div>Die den Ministerratsvortrag unterzeichnenden Regierungsmitglieder <i>"begrüßen [...], dass der ORF von sich aus Einsparungen beschließen wird. Der ORF hat in Aussicht gestellt, in den kommenden Jahren selbst rund 325 Mio. Euro einzusparen. Einsparungsmaßnahmen betreffen sowohl den Personal- als auch den Sachaufwand, beispielsweise durch eine Deckelung der Valorisierungen, nachhaltige Strukturmaßnahmen und Optimierungen im Programm."</i></div><div><br /></div><div>Welcher genaue Zeithorizont mit "in den kommenden Jahren" gemeint ist, bleibt offen, operationalisierbar ist das Einsparungsziel damit nicht. Klar ist, dass die Regierung keine konkreten Vorgaben zur Einsparung machen kann und auch in der Novelle zum ORF-Gesetz wird man sich diesbezüglich wohl zurückhalten, um nicht unionsrechtlich oder im Hinblick auf die Unabhängigkeit unnötig Bedenken aufzumachen. Die Passage über die Einsparungen im Ministerratsvortrag liest sich damit wie eine diplomatische Note, in der Zusagen der Gegenseite indirekt wiedergegeben werden, um die "Geschäftsgrundlage" des eigenen Handelns klarzustellen. Das dahinter liegende Verständnis: die vorgesehene Beitragsfinanzierung wird nur kommen, (oder Bestand haben), wenn auch der ORF die - wohl informell abgesprochenen - Einsparungsziele einhält. Der Haken daran für den ORF ist freilich: auch das Einhalten dieser de facto Vorgaben wird ihn nicht schützen, wenn es sich die (allenfalls: kommende) Regierung später anders überlegt. </div><div><br /></div><div>Der Ministerratsvortrag wird bei den Einsparungen auch ein wenig konkreter, indem er "aus heutiger Sicht nicht mehr haltbare, branchenunübliche und angesichts der aktuell angespannten wirtschaftlichen Situation auch nicht mehr finanzierbare ORF-Sondervereinbarungen insbesondere in Altverträgen - wie sehr hohe Sonderpensionen, Spezialzulagen und besonders großzügige Abfertigungsregelungen" hervorhebt, für die nicht nur eine Überprüfung in "ORF-internen Prozessen" erwartet, sondern auch gesetzliche Grundlagen ankündigt, die "zügig erarbeitet und gemeinsam mit den Gesetzen zur neuen Finanzierung" zur Beschlussfassung vorgelegt werden sollen. Allzu tief werden diese gesetzlichen Grundlagen nicht in vertragliche Vereinbarungen eingreifen können, aber in gewissem Rahmen (siehe die <a href="https://www.vfgh.gv.at/downloads/VfGH_G_405-2015_Pensionen_OeNB_Entscheidung_anonym.pdf" rel="nofollow" target="_blank">VfGH-Rechtsprechung zum Pensionssicherungsbeitrag für Nationalbank-Pensionist:innen</a> bzw. <a href="https://www.vfgh.gv.at/downloads/VfGH_G_661-2015_Presseinfo_Sonderpensionen.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Pensionen von Wirtschaftskammer, EVN und Verbund</a>) wird man ein symbolisches Sonderopfer von den Alt-Privilegierten einfordern können. </div><div> </div><div><b>Transparenz</b></div><div>Fast schon rührend ist die Formulierung im Ministerratsvortrag, wonach es der Bundesregierung "ein wichtiges Anliegen [ist], dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auch wissen wie ihr Geld verwendet wird." Abgesehen davon, dass der Rundfunkbeitrag wohl keine Steuer sein wird, war von diesem Anliegen in anderen Bereichen bisher eher wenig zu sehen (Stichwort: noch immer fehlendes Informationsfreiheitsgesetz). Aber hinsichtlich des ORF soll jedenfalls "eine umfassende Information der Öffentlichkeit und Transparenz zur Mittelverwendung" sichergestellt werden und dem ORF sollen dazu bestimmte Berichtspflichten auferlegt werden: <i>"Dazu zählt unter anderem die Veröffentlichung über die Höhe ausgezahlter Gehälter nach internationalen Vorbildern (zum Beispiel die British Broadcasting Corporation), die Offenlegung von Nebenbeschäftigungsverhältnissen, Zulagensystemen und Einschalt- und Zuhörerquoten sowie detaillierte Angaben zu Werbung und Kooperationen in Form eines umfassenden Jahresberichts."</i> </div><div><div><br /></div><div>Zur BBC: dort werden die Gehälter aller Personen in Organfunktionen sowie von "on-air talent" offengelegt, soweit diese mehr als 150.000 £ im Jahr verdienen (siehe <a href="https://downloads.bbc.co.uk/aboutthebbc/reports/annualreport/ara-2021-22.pdf" rel="nofollow" target="_blank">den letztverfügbaren Governance Report</a> bzw. die Punkt 37 der <a href="http://downloads.bbc.co.uk/bbctrust/assets/files/pdf/about/how_we_govern/2016/charter.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Charter</a>). </div><div><br /></div><div>Der ORF war in der Vergangenheit immer bestrebt, im Hinblick auf Gehaltszahlungen möglichst wenig offen zu legen und hat diese Position (wie immer in dieser Hinsicht tatkräftig begleitet von anderen öffentlichen Einrichtungen wie der Wirtschaftskammer oder der Nationalbank) auch nachhaltig vor Gericht verteidigt. Im <a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=48330&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1260872" rel="nofollow" target="_blank">Urteil des EuGH 20.05.2003 in den verbundenen Rechtssachen C-465/00, C-138/01 und C-139/01, Rechnungshof gegen ORF u.a.</a>, hat dieser noch ausgesprochen, dass die (damalige) Datenschutz-Richtlinie einer Veröffentlichung der Namen der Bezieher eines Einkommens über einer bestimmten Einkommenshöhe nicht entgegensteht, sofern erwiesen ist, dass die Offenlegung "im Hinblick auf das vom Verfassungsgesetzgeber verfolgte Ziel der ordnungsgemäßen Verwaltung der öffentlichen Mittel notwendig und angemessen ist". Im <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_09968872_00KR0001_2_00/JFT_09968872_00KR0001_2_00.html" rel="nofollow" target="_blank">nachfolgenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes</a> hat dieser allerdings eine derartige Notwendigkeit nicht anerkannt, sondern in der Offenlegung bemerkenswerter Weise eine Verletzung des Art. 8 EMRK gesehen. Zitat aus diesem Erkenntnis: </div><div><br /></div></div><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px; text-align: left;"><div><div><div><i>Die vorgesehene Veröffentlichung stellt einen Eingriff erheblichen Gewichts in das durch Art8 EMRK geschützte Rechtsgut der Bezügeempfänger dar. Dass ein solcher Eingriff notwendig und angemessen sein soll, um jene Institutionen, die die Bezüge gewähren, zur sparsamen und effizienten Verwendung öffentlicher Mittel anzuhalten, in concreto: "die Bezüge in angemessenen Grenzen zu halten", wie dies der Europäische Gerichtshof formuliert, ist nicht erkennbar: Dies einmal deswegen, weil nicht die allenfalls überhöhte Bezüge gewährenden Rechtsträger aufgelistet werden sollen, sondern die Bezügeempfänger, deren Bezüge überdies - wie der Europäische Gerichtshof zu Recht hervorhebt - in unterschiedlichem Ausmaß von deren familiärer und persönlicher Situation abhängig sein können. Zum anderen ist darauf aufmerksam zu machen, dass das Ziel der Sicherung der effizienten Mittelverwendung durch die Bezüge gewährenden Rechtsträger schon durch die Berichterstattung über die Ergebnisse der diese Rechtsträger betreffenden allgemeinen Gebarungskontrolle in effektiver und auch den Anforderungen des Art8 EMRK entsprechender Weise (vgl. dazu auch oben Pkt. II.3.b dieser Entscheidung) erreicht wird.</i></div></div></div><div><div><div><i>Auch die Bundesregierung behauptet in ihrer Stellungnahme nicht, dass die Veröffentlichung der Bezüge unter Nennung der Namen der Bezügeempfänger im Sinne der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zur effizienten Mittelverwendung notwendig sei. Sie argumentiert mehrfach damit, dass die personenbezogene Einkommensveröffentlichung einem dringenden sozialen Bedürfnis nach Transparenz bei der Verwendung öffentlicher Mittel und nach Vermeidung deren Missbrauchs bestehe, tut aber nicht dar, wieso es notwendig sein soll, die Namen von Personen und ihre Bezüge zu veröffentlichen, um die ordnungsgemäße Verwendung öffentlicher Mittel sicherzustellen; darauf kommt es aber nach der - den Verfassungsgerichtshof bindenden - Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Mai 2003, Rs. C-465/00 ua., Rechnungshof gegen ORF ua., an.</i></div></div></div></blockquote><div><div><br /></div><div>Sofern man also nicht auf eine Zustimmung der Betroffenen zur Veröffentlichung ihrer Einkommen setzt (was ich für wenig realistisch halte), bin ich daher gespannt, zu welchen Formulierungen der Gesetzgeber greifen wird, um dem VfGH eine Änderung seiner Rechtsprechung zu ermöglichen - das <i>"dringende soziale Bedürfnis nach Transparenz bei der Verwendung öffentlicher Mittel"</i> hat ja zuletzt nicht ausgereicht. Es wäre vielleicht eine Gelegenheit für den VfGH, von seiner restriktiven Rechtsprechung zur Gehaltstransparenz abzugehen. Aus der Rechtsprechung des EGMR ergibt sich dieser restriktive Zugang nicht zwingend: zwar gibt es kein ganz einschlägiges Urteil des EGMR, aber aus dem <a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-175121" rel="nofollow" target="_blank">Urteil der Großen Kammer im Fall Satakunnan Markkinapörssi Oy und Satamedia Oy gegen Finnland</a>, in der dieser die Veröffentlichung Steuerdaten (fast) aller Steuerpflichtigen nicht als von Art. 10 EMRK geschützt beurteilt hat, hat er doch anerkannt, dass es ein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung auch von Steuerdaten bestimmter Kategorien von Personen wie zB jener, die besonders hohe Einkommen beziehen, geben kann (<i>"such as politicians, public officials, public figures or others who belonged to the public sphere by dint of their activities or high earnings"</i>). Interessant wird auch sein, wie weit das im Ministerratsvortrag betonte Anliegen der Transparenz dann auch zB bei der Wirtschaftskammer oder anderen öffentlichen Einrichtungen verfolgt wird, die bislang wie der ORF gegenüber solchen Anliegen nachhaltig Widerstand geleistet haben.</div><div><br /></div><div>Ein gewisser Spielraum zur Umsetzung von mehr Transparenz im ORF bliebe übrigens noch bei Neuanstellungen oder dem Abschluss neuer Verträge: hier wäre es denkbar - aber ohne gesetzliche Grundlage eher heikel - den Vertragsschluss von einer Zustimmung zur Veröffentlichung der Bezahlung abhängig zu machen.</div><div><br /></div><div><b>Und sonst so?</b></div><div>Ein wenig beziehungslos, eher wie eine Art Reminder, steht am Ende des Ministerratsvortrags noch der Hinweis, dass "auch der geplante Transformationsprozess des ORF ins digitale Zeitalter in Form einer Digitalnovelle" eingeleitet werden müsste, die "zeitnah vorzulegen" sei. Was Inhalt dieser Digitalnovelle sein soll, oder was "zeitnah" heißt, bleibt offen. Eine definitive Junktimierung - neue Finanzierung nur mit Digitalnovelle (und umgekehrt) - ist aus der "zeitnah"-Formulierung nicht abzuleiten, aber wohl angedacht. Das abschließende "Bekenntnis zum Erhalt der Inhalte des Spartenkanals Sport+ und zum finanziell nachhaltigen Fortbestand des international renommierten ORF Radio-Symphonieorchesters Wien (RSO)" ist auch nicht mehr als das: ein "Bekenntnis", von dem allenfalls erwähnenswert ist, dass an den Erhalt des Spartenkanals Sport+ jedenfalls nicht gedacht ist, sondern bloß an den Erhalt der Inhalte, was wohl ein Abgehen von der TV-Verbreitung zu einem reinen Internet/Streaming-Angebot bedeutet. </div></div>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-59607510441607109012023-04-08T15:19:00.004+02:002023-08-14T10:55:50.125+02:00Sanktionen gegen russische Staatsmedien - zum aktuellen Stand nach der Insolvenz von RT France<p><b>tl;dr:</b> RT France <a href="https://www.politico.eu/article/french-court-declares-rt-france-bankrupt/" target="_blank">ist insolvent</a>. Die von RT France beim EuG bzw. EuGH anhängig gemachten Verfahren zur Nichtigerklärung der Sanktionen werden daher voraussichtlich ohne weitere Entscheidung in der Sache eingestellt werden. Wann das EuG über die von niederländischen ISPs eingebrachte Nichtigkeitsklage entscheiden wird, ist noch offen.</p><p>Die Sanktionen wurden zuletzt mit Wirkung vom 10. April 2023 ausgeweitet und bleiben (vorerst) bis 31. Juli 2023 in Kraft.</p><p><b>Update 02.07.2023:</b> Mit <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32023D1217" rel="nofollow" target="_blank">Beschluss (GASP) 2023/1217 des Rates vom 23. Juni 2023</a> bzw. mit <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32023R1214" rel="nofollow" target="_blank">Verordnung (EU) 2023/1214 des Rates vom 23. Juni 2023</a> wurden der Beschluss 2014/512/GASP bzw. die VO (EU) Nr. 833/2014 jeweils dahingehend geändert, dass auch Inhalte folgender "juristischer Personen, Organisationen und Einrichtungen" von den Sanktionen erfasst sein sollen, und zwar ab 01.10.2023, "sofern der Rat dies nach Prüfung der betreffenden Fälle einstimmig beschließt" bzw. "sofern der Rat nach Prüfung der betreffenden Fälle dies im Wege eines Durchführungsrechtsakts beschließt"; die entsprechende <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52023XG0626(01)" rel="nofollow" target="_blank">Mitteilung an die betroffenen Einrichtungen</a> ist bereits ergangen)</p><p></p><ul style="text-align: left;"><li>RT Balkan</li><li>Oriental Review</li><li>Tsargrad</li><li>New Eastern Outlook</li><li>Katehon</li></ul><p></p><h4 style="text-align: left;">Was bisher geschah</h4><p>Ich habe mich in diesem Blog (und anderswo) schon mehrfach mit den vom Rat der Europäischen Union nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 verhängten Sanktionen befasst, soweit sich diese (erstmals) auch gegen die Verbreitung bestimmter Medieninhalte innerhalb der EU richteten. Zur Übersicht vorweg Links zu den bisherigen Beiträgen:</p><p></p><ul style="text-align: left;"><li>21. März 2022: <a href="https://verfassungsblog.de/uberwachen-blocken-delisten/" target="_blank">Überwachen, Blocken, Delisten - Zur Reichweite der EU-Sanktionen gegen RT und Sputnik</a> (auf dem Verfassungsblog)</li><li>22. März 2022 (mit Nachträgen vom 30. März 2022 und vom 10., 25. und 31. Mai 2022): <a href="https://blog.lehofer.at/2022/03/uberwachen-blocken-delisten.html" target="_blank">Überwachen, Blocken, Delisten - Zur Reichweite der EU-Sanktionen gegen RT und Sputnik (Langversion)</a></li><li>9. Juni 2022 (mit Nachtrag vom 24. Juni 2022): <a href="https://blog.lehofer.at/2022/06/sanktionen-update.html" target="_blank">Kurzes Update zu den Sanktionen gegen russische Staatsmedien</a></li><li>29. Juli 2022: <a href="https://blog.lehofer.at/2022/07/EuG-RT.html" target="_blank">EuG: Keine Nichtigerklärung der Sanktionen gegen RT France</a></li><li>30. Jänner 2023 (mit Nachträgen vom 9. März 2023 und vom 3. April 2023): <a href="https://blog.lehofer.at/2023/01/sanktionen-update2.html" target="_blank">Weiteres Update zu den EU-Sanktionen gegen russische Staatsmedien</a></li></ul><p></p><h4 style="text-align: left;">Von den Sanktionen betroffene Medieninhalte</h4><p>Die Sanktionen betrafen zunächst die englisch-, deutsch-, französisch- und spanischsprachigen Inhalte von RT (Russia Today) und die Inhalte von Sputnik. Sie wurden in der Folge mehrfach verlängert und auf andere Inhalte russischer Staatsmedien ausgedehnt. Ab übermorgen, 10. April 2023 (und vorerst befristet bis 31. Juli 2023; <b>Update 21.07.2023</b>: nach dem heute veröffentlichten <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32023D1517" rel="nofollow" target="_blank">Beschluss (GASP) 2023/1517 des Rates</a> verlängert bis zum 31. Jänner 2024) sind Inhalte folgender "juristischer Personen, Organisationen und Einrichtungen" von den Sanktionen erfasst: </p><p></p><ul style="text-align: left;"><li>RT — Russia Today English</li><li>RT — Russia Today UK</li><li>RT — Russia Today Germany</li><li>RT — Russia Today France</li><li>RT — Russia Today Spanish</li><li>Sputnik</li><li>Rossiya RTR / RTR Planeta</li><li>Rossiya 24 / Russia 24</li><li>TV Centre International</li><li>NTV/NTV Mir </li><li>Rossiya 1 </li><li>REN TV </li><li>Pervyi Kanal</li><li>RT Arabic</li><li>Sputnik Arabic</li></ul><p></p><p><b>Nichtigkeitsklagen von RT France</b></p><p>Die Sanktionen wurden gerichtlich von RT France bekämpft, wobei RT France in erster Instanz unterlag (<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=263501&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=560044" rel="nofollow" target="_blank">Urteil des EuG vom 27.07.2022, T-125/22 RT France / Rat</a>). Gegen dieses Urteil hat RT France Rechtsmittel an den EuGH erhoben, das Verfahren ist noch zu <a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?num=C-620/22&language=de" rel="nofollow" target="_blank">C-620/22 P</a> anhängig. Zudem hat RT France auch die jeweiligen Rechtsakte, mit denen die Sanktionen verlängert wurden, mit Klage beim EuG bekämpft; diese Verfahren sind noch anhängig (<a href="https://curia.europa.eu/juris/documents.jsf?nat=or&mat=or&pcs=Oor&jur=T&num=T-605%252F22" rel="nofollow" target="_blank">T-605/22 RT France / Rat</a>, <a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?nat=or&mat=or&pcs=Oor&jur=T&num=T-75%252F23" rel="nofollow" target="_blank">T-75/23 RT France / Rat</a> und <a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?nat=or&mat=or&pcs=Oor&jur=T&num=T-169%252F23" rel="nofollow" target="_blank">T-169/23 RT France / Rat</a>). </p><p><b>Update 21.07.2023:</b> die Klagen zu T-605/22, T-75/23 und T-169/23 wurden von RT France jeweils zurückgezogen, die Verfahren mit Beschlüssen des EuG daher aus dem Register gestrichen.</p><p><b>Update 14.08.2023:</b> das Rechtsmittel von RT France gegen das Urteil des EuG vom 27.07.2022, Ta-125/22 RT France / Rat wurde zurückgezogen. Der EuGH hat das Verfahren in der Rechtssache C-620/22 P daher mit <a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=276144&pageIndex=0&doclang=FR&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=998456" rel="nofollow" target="_blank">Beschluss vom 28.07.2023</a> aus dem Register gestrichen.</p><h4 style="text-align: left;">Insolvenz von RT France</h4><p>Nun ist RT France <a href="https://www.politico.eu/article/french-court-declares-rt-france-bankrupt/" target="_blank">laut Medienberichten</a> (die auch auf ein entsprechendes <a href="https://twitter.com/xfedorova/status/1644426445110800400?s=20" rel="nofollow" target="_blank">Statement der Geschäftsführerin von RT France auf Twitter</a> verweisen) endgültig insolvent. Damit stellt sich die Frage, was mit den beim EuGH bzw. beim EuG anhängigen Verfahren passiert. </p><p>Nach der Rechtsprechung des EuG muss das Rechtsschutzinteresse der Klägerin bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung weiter vorliegen; im Fall der Liquidation des Unternehmens wegen Insolvenz - wenn das Unternehmen keine "werbende Geschäftstätigkeit" mehr ausüben kann - fällt dieses Rechtsschutzinteresse allerdings weg. Dies gilt auch dann, wenn das (insolvente) Unternehmen eine Haftungsklage gegen die Gemeinschaft nach einer Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung anstrebt; diesbezüglich hat das EuG ausgesprochen, dass die Schadensersatzklage im Vertrag als selbständiger Rechtsbehelf vorgesehen ist und dass eine solche Klage somit parallel zu einer Nichtigkeitsklage erhoben werden kann (<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=76475&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1322601" rel="nofollow" target="_blank">EuG 19.06.2009, T-269/03, <i>Socratec</i></a>). Meines Erachtens spricht somit viel dafür, dass RT France mit Eintritt der Insolvenz das Rechtsschutzinteresse verloren hat und die Verfahren daher als erledigt eingestellt werden. (Update 14.08.2023: RT France ist der Einstellung durch Zurückziehung des Rechtsmittels zuvorgekommen; das Verfahren wurde daher mit <a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=276144&pageIndex=0&doclang=FR&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=998456" rel="nofollow" target="_blank">Beschluss vom 28.07.2023</a> aus dem Register gestrichen).</p><h4 style="text-align: left;">Nichtigkeitsklage niederländischer ISPs</h4><p>Allerdings ist noch ein weiteres Verfahren gegen die Sanktionen beim EuG anhängig, nämlich die von niederländischen Internetprovidern erhobene (und von der niederländischen Journalistenvereinigung <a href="https://www.nvj.nl/" target="_blank">NVJ</a> unterstützte!) Nichtigkeitsklage <a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&jur=C%2CT%2CF&num=T-307/22" rel="nofollow" target="_blank">T-307/22 <i>A2B Connect ua</i></a>. Zwar ist in einer <a href="https://www.nvj.nl/nieuws/tweede-klacht-over-blokkade-russische-nieuwzenders-europees-hof" target="_blank">Pressemitteilung des NVJ</a> die Rede davon, dass im September 2022 eine zweite Klage eingebracht worden sei, tatsächlich dürfte aber bloß die zu T-307/22 anhängige Klage ergänzt worden sein (in diesem Sinn auch <a href="https://freedom.nl/landingpage/rechtszaak-freedom-of-information-coalition-foic" target="_blank">die Information auf der Website der sogenannten Freedom of Information Coalition</a>, die das Verfahren ebenfalls unterstützt). Ein Verhandlungstermin wurde vom EuG noch nicht bekannt gegeben. </p>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-11366120705595468432023-02-06T16:34:00.008+01:002023-02-07T11:40:09.199+01:00Wo wächst das Geld, wenn nicht auf den Bäumen? Kurze Anmerkungen zur Finanzierung des österreichischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks<p>Sich zu österreichischer Medienpolitik aus rechtlicher Sicht zu äußern ist ein ziemlich undankbares und weitgehend sinnloses Unterfangen (vielleicht gibt es auch deshalb so wenige einschlägige rechtswissenschaftliche Arbeiten). Das gilt auch für die Frage der zukünftigen ORF-Finanzierung, und bei manchen der jüngst bekannt gewordenen politischen Äußerungen dazu frage ich mich, ob denn der Wahlkampf (<a href="https://www.zitate.eu/autor/dr-michael-haeupl-zitate/283243" rel="nofollow" target="_blank">im Häupl'schen Sinne</a>) schon begonnen hat (wobei ich mir nicht sicher bin, dass "fokussiert" hier wirklich das richtige Adjektiv wäre). Dennoch folgen hier ein paar kurze Anmerkungen zur aktuellen ORF-Finanzierungsdebatte, beginnend mit den Basics:</p><p><b>1. Gesetzlicher Auftrag: </b>Der Österreichische Rundfunk (ORF) hat einen gesetzlich festgelegten öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen. Den Umfang dieses Auftrags kann man im <a href="https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000785" rel="nofollow" target="_blank">ORF-Gesetz</a> (dort insbesondere in den §§ 3 bis 5a) und in den auf der Grundlage des ORF-Gesetzes erstellten - von der Regulierungsbehörde geprüften - <a href="https://zukunft.orf.at/show_content2.php?s2id=183" rel="nofollow" target="_blank">Angebotskonzepten</a> nachlesen.</p><p><b> 2. Gesetzlich geregelte Finanzierung:</b> Auch die Finanzierung des ORF ist im ORF-Gesetz geregelt, das diesbezüglich im Wesentlichen zwei Anforderungen gerecht werden muss: einerseits muss die Finanzierung die verfassungsrechtlich vorgegebene Unabhängigkeit des Rundfunks gewährleisten (der Verfassungsgerichtshof spricht von einer aus dem <a href="https://ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000555" rel="nofollow" target="_blank">BVG Rundfunk</a> folgenden "Funktions- und Finanzierungsverantwortung des Gesetzgebers für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk", siehe <a href="https://ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_20220630_21G00226_00/JFT_20220630_21G00226_00.pdf" rel="nofollow" target="_blank">VfGH 30.6.2022, G 226/2021, Rn. 45</a>). Andererseits muss das Finanzierungssystem auch den Anforderungen des EU-Beihilfenrechts entsprechen, die sich vor allem aus der sogenannten "<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex:52009XC1027(01)" rel="nofollow" target="_blank">Rundfunkmitteilung</a>" der Kommission und spezifisch für Österreich aus der <a href="https://ec.europa.eu/competition/state_aid/cases/223847/223847_1016418_150_2.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Entscheidung der Kommission vom 28.10.2009, Staatliche Beihilfe E 2/2008 –Finanzierung des ORF</a>, ergeben. </p><p><b>3. Fast zwei Drittel aus Programmentgelt: </b>Das aktuelle Finanzierungssystem beruht einem Gutteil auf Einnahmen aus dem Programmentgelt (fälschlich oft als "GIS-Gebühr" bezeichnet). Von den Umsatzerlösen von ziemlich genau 1 Mrd. € im Jahr 2021 machten die Erlöse aus dem Programmentgelt ca. 645 Mio. € aus, weitere 228 Mio. € waren Werbeerlöse und 127 Mio. € sonstige Erlöse, etwa Lizenzeinnahmen (siehe den <a href="https://zukunft.orf.at/rte/upload/2022/veroeffentlichungen/erla_uternde_bemerkungen_zum_orf_einzelabschluss_2021_1_.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Anhang zum Jahresabschluss 2021</a>). </p><p><b>4. Der ORF legt das Programmentgelt selbst fest:</b> zur Beschlussfassung über das Programmentgelt stellt der Generaldirektor einen Antrag an den Stiftungsrat (der Publikumsrat darf - mit einem "suspensiven Veto" - auch ein wenig mitreden), und zuletzt prüft die Regulierungsbehörde, ob der Beschluss den gesetzlichen Vorgaben entspricht (wenn nicht, hat sie den Beschluss des Stiftungsrates aufzuheben). Das alles ist in § 31 ORF-Gesetz geregelt.</p><p><b>5. Die Grenzen des Programmentgelts:</b> Der ORF darf freilich das Programmentgelt nicht beliebig hoch (aber auch nicht beliebig tief) festsetzen: das Gesetz schreibt vor, dass die Höhe des Programmentgelts so festzulegen ist,<i> "dass unter Zugrundelegung einer sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Verwaltung der öffentlich-rechtliche Auftrag erfüllt werden kann"</i>. Die Höhe des Programmentgelts ist zudem <i>"mit jenem Betrag begrenzt, der erforderlich ist, um die voraussichtlichen Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags angesichts der zu erwartenden Zahl der zur Entrichtung des Programmentgelts Verpflichteten in einem Zeitraum von fünf Jahren ab Festlegung des Programmentgelts (Finanzierungsperiode) decken zu können."</i></p><p><b>6. Der ORF muss sparsam wirtschaften:</b> so verlangt es das Gesetz. Aber wer legt fest, was das im Detail bedeutet und wie wird das überprüft? Nun: der Generaldirektor führt die Geschäfte des ORF, er wird dabei durch den Stiftungsrat überwacht. Der Stiftungsrat hat auch die langfristigen Pläne für Technik und Finanzen und die "Stellenpläne" zu genehmigen und damit die wesentlichen Weichenstellungen zu treffen. </p><p><b>7. Gebarungskontrolle:</b> Die Gebarung des ORF unterliegt nicht nur der Kontrolle des Rechnungshofs, sondern das ORF-Gesetz sieht eine besondere Finanzkontrolle durch eine "Prüfungskommission", bestehend aus zwei Wirtschaftstreuhandgesellschaften, vor. Diese kann sich der ORF allerdings nicht frei aussuchen, sondern sie werden von der Regulierungsbehörde bestellt. </p><p><b>8. Die Medienministerin kann die Sparsamkeit des ORF nicht überprüfen (<a href="https://www.derstandard.at/story/2000142281781/medienministerin-raab-verlangt-vom-orf-einsparungen-an-strukturen" rel="nofollow" target="_blank">Stichwort "Kassasturz"</a>):</b> das ORF-Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass sich die Aufsicht des Bundes über den ORF <i>"auf eine Aufsicht nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes, unbeschadet der Prüfung durch den Rechnungshof"</i>, beschränkt. Eine Aufsicht der Medienministerin, die im ORF-Gesetz nicht vorgesehen ist, gibt es daher nicht. Das hindert eine Politikerin natürlich nicht, beliebig irgendetwas zu fordern, egal ob Kassasturz beim ORF, Schönwetter in den Alpen oder warme Eislutscher für alle, um beliebige Beispiele zu nennen.</p><p><b>9. "ORF-Rabatt":</b> Was soll ein "ORF-Rabatt für die Österreicherinnen und Österreicher" sein, <a href="https://www.derstandard.at/story/2000143237314/medienministerin-raab-fordert-erneut-orf-rabatt" rel="nofollow" target="_blank">den die Medienministerin zuletzt gefordert hat</a>? Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Die Medienministerin will, so lässt sie verlauten, <i>"dass die Menschen in Zukunft weniger als jetzt für den ORF zahlen müssen."</i> Sofern das Ziel durch Einsparungen beim ORF erreicht werden soll (good luck!), wäre das Aufgabe des Generaldirektors und des Stiftungsrates, die entsprechende Sparpläne vorlegen/genehmigen müssten. Allerdings ist der ORF dabei dadurch begrenzt, was der öffentlich-rechtliche Auftrag ihm abverlangt. Einfach Radio Niederösterreich (oder Wien oder Vorarlberg) einzustellen zum Beispiel ist dem ORF ohne gesetzliche Änderung des Auftrags nicht möglich. </p><p><b>10. Auftragsänderung durch Gesetzesänderung:</b> Das führt zur nächsten Überlegung: wenn die Medienministerin Einsparungen vom ORF verlangt, dann hat sie einen wesentlichen Hebel: sie kann gesetzliche Änderungen vorbereiten und, wenn ihre Regierungskolleg:innen zustimmen, eine Regierungsvorlage auf den Weg bringen, die den öffentlich-rechtlichen Auftrag des ORF einschränkt. Das könnte ein Wegfall eines Kanals genauso sein wie der Verzicht auf ein Online- Angebot, was auch immer ihr (bzw. ihrer politischen Gemeinschaft) im Weg ist. Gegen eine gesetzliche Änderung des öffentlich-rechtlichen Auftrags wäre der ORF machtlos - das ist eben die Aufgabenverteilung: der Gesetzgeber legt den Auftrag fest, der ORF hat ihn zu erfüllen (den Rahmen für den einfachen Gesetzgeber steckt auch hier das BVG Rundfunk ab, aber der Spielraum des Gesetzgebers bei der Definition des Auftrags ist da ziemlich hoch). Die unionsrechtlichen (beihilfenrechtlichen) Grenzen wären aber jedenfalls zu beachten.</p><p><b>11. Politischer Hebel:</b> Der Hebel der Medienministerin ist derzeit besonders groß: der Verfassungsgerichtshof hat <a href="https://ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_20220630_21G00226_00/JFT_20220630_21G00226_00.pdf" rel="nofollow" target="_blank">mit dem schon zitierten Erkenntnis</a> Bestimmungen des ORF-Gesetzes aufgehoben und eine "Reparaturfrist" bis 31.12.2023 gesetzt. Dabei ging es, grob vereinfachend, um die Beschränkung der Pflicht zur Zahlung des Programmentgelts auf jene Haushalte, die "klassische" Rundfunkgeräte betreiben, während jene, die bloß streamen, das Programmentgelt nicht zahlen müssen - das hat der VfGH als verfassungswidrig beurteilt. Rechtstechnisch wäre das Problem leicht zu lösen, politisch ist es natürlich extrem heikel, weil es eine möglicherweise auch wachsende Zahl von Fundamental-Gegner:innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gibt. Die Zeit, um eine vernünftige Reparatur vorzubereiten, ist mittlerweile sehr knapp geworden. Die Medienministerin hat sich noch nicht ernsthaft zu ihren bevorzugten Optionen geäußert, sondern verlangt gewissermaßen als Vorleistung vom ORF Einsparungen (<a href="https://www.derstandard.at/story/2000143237314/medienministerin-raab-fordert-erneut-orf-rabatt" rel="nofollow" target="_blank"><i>"Erst wenn dies geklärt ist, kann über eine neue ORF-Finanzierungsform diskutiert werden."</i></a>). Es ist ein politisches Geschäft: sie macht ihr weiteres politisches Handeln, das in ihren Verantwortungsbereich als Medienministerin fällt, von Handlungen des ORF abhängig, die sie ohne diesen "Hebel" nicht durchsetzen könnte, oder mehr noch: wo ihr jeglicher Einfluss durch den Gesetzgeber bewusst genommen wurde, um die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu sichern.</p><p><b>12. Ein Gespräch unter Fremden:</b> <a href="https://www.derstandard.at/story/2000143237314/medienministerin-raab-fordert-erneut-orf-rabatt" rel="nofollow" target="_blank">In ihren medialen Äußerungen</a> hat die Medienministerin auch angekündigt, mit dem ORF-Generaldirektor über Einsparungen zu sprechen. Das kann sie natürlich tun, aber es wird - wenn man von gesetzeskonformem Verhalten aller Beteiligten ausgeht - ein wahrscheinlich nicht sehr ergiebiges Gespräch: der Generaldirektor darf keine Interna bekanntgeben, die über das hinausgehen, was der ORF schon bekannt gemacht hat, und das - insbesondere die Jahresabschlüsse und die Jahresberichte - wird die Medienministerin wohl schon gesehen haben. Sämtliche Mitglieder der Stiftungsorgane (dazu gehören etwa der Generaldirektor, aber auch die Mitglieder des Stiftungsrates) sind nämlich nach § 19 Abs. 4 ORF-Gesetz, <i>"soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zur Verschwiegenheit über alle ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit bekannt werdenden Umstände der Stiftung und der mit ihr verbundenen Unternehmen verpflichtet."</i> Die Medienministerin ist da genauso eine Außenstehende wie zum Beispiel ich: was der Generaldirektor an ORF-Interna mir nicht erzählen dürfte, darf er auch der Medienministerin nicht erzählen.</p><p><b>13. Nochmals zum "Rabatt":</b> Woher kommt jetzt der merkwürdige "Rabatt"-Begriff, den die Medienministerin in diesem Zusammenhang verwendet? Ich habe dafür nur eine halbwegs schlüssige Erklärung: wenn man davon ausgeht, dass derzeit noch nur Haushalte mit "klassischen" Rundfunkgeräten Programmentgelt zahlen, nach einer Neuordnung der Finanzierung im Sinne des VfGH-Erkenntnisses aber die Programmentgeltpflicht entweder auf alle Haushalte ("Haushaltsabgabe", wie zB in Deutschland oder der Schweiz) oder aber auf alle "internetfähigen" Geräte erstreckt wird, dann würden in Hinkunft mehr Personen als heute Programmentgelt zahlen müssen. Da aber die Höhe der gesamten eingenommenen Programmentgelte nicht über das hinausgehen darf, was zur Deckung der Nettokosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags erforderlich ist, würde auf die einzelnen Zahler:innen ein geringerer Betrag als heute entfallen. Das könnte man als "Rabatt" für die bestehenden "Gebührenzahler:innen" ansehen, und vielleicht war das auch einmal die Idee hinter dem Begriff. </p><p><b>14. Automatische Inflationsabgeltung geht nicht:</b> Ob eine Haushaltsabgabe, eine Geräteabgabe oder eine Budgetfinanzierung kommen soll, ist derzeit offenbar noch in Diskussion. Eine Budgetfinanzierung ist sicher unter dem Gesichtspunkt der Unabhängigkeit kritischer zu beurteilen, wenngleich es auch dabei theoretisch bessere Absicherungen gegen tagespolitische Einflussnahmen geben könnte. Eine gelegentlich geforderte automatische Inflationsabgeltung zählt da allerdings nicht dazu, denn diese wäre jedenfalls unionsrechtswidrig, weil sie nicht sicherstellen kann, dass nicht mehr (aber auch nicht weniger) an Beihilfe geleistet wird, als zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags notwendig wäre.</p><p><b>15. Realpolitik:</b> Dass auch die theoretisch unabhängige Festlegung des Programmentgelts durch den ORF selbst (unter Kontrolle der unabhängigen Regulierungsbehörde) vor Versuchen der politischen Einflussnahme nicht schützt, zeigt die aktuelle Diskussion. Es entsteht der Eindruck, dass die Medienministerin einen politischen Wunsch nicht dadurch durchzusetzen versucht, dass sie den ihr offenstehenden Weg über die zuständigen demokratischen Entscheidungsorgane - hier den Nationalrat als Gesetzgeber des ORF-Gesetzes - einschlägt, etwa indem sie einen Gesetzesentwurf vorbereitet, der eine Einschränkung des öffentlich-rechtlichen Auftrags beinhaltet. Statt dessen richtet sie zunächst "Forderungen" an den ORF, der von Verfassungs wegen unabhängig von der Politik zu agieren hat, aber faktisch und realpolitisch wohl kaum daran vorbeikommen wird, auf diese Forderungen irgendwie einzugehen, will er nicht riskieren, dass es nicht zur notwendigen Reparatur des ORF-Gesetzes kommt. </p><p><b>16. Eine historische Anmerkung:</b> die Verknüpfung von Sparvorgaben mit der Finanzierung des ORF ist nicht neu: in den Jahren 2010 bis 2013 hat der Bund Sonderzuschüsse ("Gebührenrefundierung") an den ORF geleistet, als Gegenleistung musste der ORF einerseits bestimmte Bedingungen (Mehrleistungen) erfüllen (§ 31 Abs. 11 und 12 ORF-G), aber andererseits auch <i>"Strukturmaßnahmen zur mittelfristigen substantiellen Reduktion der Kostenbasis"</i> setzen (§ 31 Abs. 13 ORF-G). Das war allerdings gesetzlich festgelegt und die Einhaltung dieser Bedingungen wurde auch nicht vom Bundeskanzler oder der Medienministerin kontrolliert, sondern von der unabhängigen Regulierungsbehörde (§ 31 Abs. 14 und 15 ORF-G). </p><p><span style="background-color: #f3f3f3;"><b>tl;dr:</b> Das Geld für den ORF wächst tatsächlich nicht - worauf die Medienministerin <a href="https://kurier.at/politik/inland/raab-geld-fuer-den-orf-waechst-nicht-auf-den-baeumen/402317492" rel="nofollow" target="_blank">nicht</a> <a href="https://www.heute.at/s/geld-waechst-nicht-auf-den-baeumen-orf-muss-sparen-100247510" rel="nofollow" target="_blank">müde</a> <a href="https://www.puls24.at/news/politik/geld-waechst-nicht-auf-baeumen-raab-draengt-orf-zum-sparen/285190" rel="nofollow" target="_blank">wird</a>, <a href="https://oe1.orf.at/artikel/700106/Sturzgefahr-nach-dem-Kassasturz" rel="nofollow" target="_blank">hinzuweisen</a> - auf den Bäumen. Der Finanzierungsbedarf wird von den Gremien des ORF festgelegt, von der Regulierungsbehörde überprüft und auch die sparsame, wirtschaftliche und zweckmäßige Verwendung unterliegt der Kontrolle der ORF-Gremien sowie des Rechnungshofes, der Prüfungskommission und der Regulierungsbehörde. Der Medienministerin kommt dabei keine Rolle zu - sie sollte sich um die politische Aufgabe kümmern, die nach dem VfGH-Erkenntnis zur ORF-Finanzierung notwendige Reparatur des ORF-Gesetzes in Angriff zu nehmen. </span></p><p>PS: die Diskussion zur Haushaltsabgabe ist alles andere als neu - falls das jemanden interessiert, <a href="https://blog.lehofer.at/2012/11/beitrag-abgabe-gebuhr-und-was-heit.html" target="_blank">hier</a> und <a href="https://blog.lehofer.at/2012/10/vom-programmentgelt-zum.html" target="_blank">hier</a> habe ich vor gut zehn Jahren schon mal darüber geschrieben. </p>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-67295994333211136772023-01-30T16:37:00.006+01:002023-08-14T10:57:13.029+02:00Weiteres Update zu den EU-Sanktionen gegen russische Staatsmedien<p style="text-align: left;"><span style="font-weight: normal;">Ab 1. Februar 2023 treffen die Sanktionen gegen russische Staatsmedien auch NTV/NTV Mir, Rossiya 1, REN TV und Pervyi Kanal.</span> </p><h4 style="text-align: left;">"Sendeverbot" für RT und Sputnik</h4><p>Am 1. März 2022 hat der Rat der Europäischen Union restriktive Maßnahmen ("Sanktionen") gegen bestimmte Medienunternehmen verhängt, die vom russischen Staat kontrolliert werden. Diese Sanktionen gingen über das bis dahin übliche Sanktionsregime deutlich hinaus, und umfassten ein de facto Sende- und Verbreitungsverbot der von diesen Medien hergestellten Inhalte im Raum der EU. Mit der Reichweite dieser - ihrer Art nach vollkommen neuen - restriktiven Maßnahmen habe ich mich noch im März letzten Jahres <a href="https://blog.lehofer.at/2022/03/uberwachen-blocken-delisten.html" rel="nofollow" target="_blank">hier im Blog</a> (und <a href="https://verfassungsblog.de/uberwachen-blocken-delisten/" target="_blank">hier auf dem Verfassungsblog</a>) eingehend beschäftigt (siehe auch ein ausführliches Gespräch, das Prof. Nikolaus Forgó mit mir zu diesem Thema führte, <a href="https://www.youtube.com/watch?v=oX7QwnFJse0" target="_blank">als Folge 279 des Ars Boni Video-Podcast auf YouTube</a>). </p><h4 style="text-align: left;">Erste Erweiterung der Sanktionen </h4><p>Die - befristet verhängten - Sanktionen wurden inzwischen mehrfach verlängert, zuletzt bis 31. Juli 2023. Vor allem aber wurden die gegen die Verbreitung bestimmter Medieninhalte gerichteten Sanktionen auch inhaltlich erweitert und auf weitere Medienkanäle ausgedehnt; siehe dazu <a href="https://blog.lehofer.at/2022/06/sanktionen-update.html" target="_blank">diesen Beitrag im Blog</a>.</p><h4 style="text-align: left;">Gerichtsverfahren</h4><p>Daneben sind die Sanktionen auch Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen: die Nichtigkeitsklage von RT France wurde vom EuG bereits abgewiesen, das Rechtsmittel von RT France ist zu <a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?num=C-620/22&language=de" rel="nofollow" target="_blank">C-620/22 P</a> beim EuGH anhängig (zum EuG-Urteil siehe <a href="https://blog.lehofer.at/2022/07/EuG-RT.html" target="_blank">im Blog näher hier</a>; <b>update 14.08.2023:</b> das Verfahren vor dem EuGH wurde nach Zurückziehung des Rechtsmittels durch RT France mit <a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=276144&pageIndex=0&doclang=FR&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=998456" rel="nofollow" target="_blank">Beschluss vom 28.07.2023</a> aus dem Register gestrichen). Eine weitere Nichtigkeitsklage, die von niederländischen ISPs initiiert wurde, ist noch beim EuG anhängig (<a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?oqp=&for=&mat=or&lgrec=fr&jge=&td=%3BALL&jur=T&num=T-307%252F22" rel="nofollow" target="_blank">T-307/22, A2B Connect u.a./Rat</a>,). </p><h4 style="text-align: left;">Zweite Erweiterung der Sanktionen</h4><p>Mit dem neunten Sanktionspaket wurde im Dezember 2022 auch eine weitere Ausdehnung der Sanktionen gegen die Verbreitung von Inhalten staatlich kontrollierter russischer Medien beschlossen. Demnach sollten auch </p><ul><li>NTV/NTV Mir </li><li>Rossiya 1 </li><li>REN TV </li><li>Pervyi Kanal </li></ul><p>von den Sanktionen betroffen sein. Rechtlich erfolgte die Ausweitung der Sanktionen durch den Beschluss (GASP) 2022/2478 des Rates vom 16. Dezember 2022
zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der
Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32022D2478&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">ABl L 322 I/614 vom 16. Dezember 2022</a>) und die Verordnung (EU) 2022/2474 des Rates vom 16. Dezember 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32022R2474&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">ABl L 322 I/1 vom 16. Dezember 2022</a>). In beiden Rechtsakten wurde festgehalten, dass die Änderungen des jeweiligen Anhangs, in dem die betroffenen Medien aufgelistet sind, erst ab dem 1. Februar 2023 gelten, "sofern der Rat nach Prüfung der
betreffenden Fälle dies im Wege eines Durchführungsrechtsakts einstimmig beschließt" (Beschluss (GASP) 2022/2478) bzw. "vorausgesetzt der Rat beschließt dies nach Prüfung der betreffenden Fälle im Wege eines Durchführungsrechtsakts" (VO (EU) 2022/2474). </p><p>Diese Durchführungsrechtsakte wurden nunmehr beschlossen und heute, am 30. Jänner 2023 kundgemacht: </p><p></p><ul style="text-align: left;"><li>Beschluss (GASP) 2023/190 des Rates vom 27. Januar 2023 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32023D0190&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">ABl L 26/43 vom 30. Jänner 2023</a>) </li><li>Durchführungsverordnung (EU) 2023/180 des Rates vom 27. Januar 2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) 2022/2474 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32023R0180&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">ABl L 26/1 vom 30. Jänner 2023</a>)</li></ul><p></p><h4 style="text-align: left;">Update (09.03.2023):</h4><div>Mit dem zehnten Sanktionspaket wurden die Sanktionen gegen staatlich kontrollierte russische Medien neuerlich erweitert und auf "RT Arabic" und "Sputnik Arabic" ausgeweitet. Rechtlich erfolgte die Ausweitung der Sanktionen durch den Beschluss (GASP) 2023/434 des Rates vom 25. Februar 2023 zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32023D0434&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">ABl. L 59I vom 25.2.2023, S. 593</a>) und die Verordnung (EU) 2023/427 des Rates vom 25. Februar 2023 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32023R0427&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">ABl. L 59I vom 25.2.2023, S. 6</a>). In beiden Rechtsakten wurde festgehalten, dass die Änderungen des jeweiligen Anhangs, in dem die betroffenen Medien aufgelistet sind, erst ab dem 10. April 2023 gelten, "sofern der Rat nach Prüfung der betreffenden Fälle dies im Wege eines Durchführungsrechtsakts beschließt." (Die Mitteilung an "RT Arabic" und "Sputnik Arabic" ist im <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52023XG0227(13)&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">ABl. C 70I vom 27.2.2023, S. 12</a>, veröffentlicht).</div><div><br /></div><div><b>Update (03.04.2023):</b></div><div><br /></div><div>Der Beschluss (GASP) 2023/728 des Rates vom 31. März 2023 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren wurde am 3. April 2023 im Amtsblatt veröffentlicht (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32023D0728&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">ABl. L 94 vom 3.4.2023, S. 65</a>). </div><div>Die Durchführungsverordnung (EU) 2023/722 des Rates vom 31. März 2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) 2023/427 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren wurde am 3. April 2023 im Amtsblatt veröffentlicht (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32023R0722&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">ABl. L 94 vom 3.4.2023, S. 19</a>). Eine Mitteilung an "RT Arabic" und "Sputnik Arabic" wurde ebenfalls am 3. April veröffentlicht (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52023XG0403(01)&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">ABl. C 120 vom 3.4.2023, S. 2</a>).</div><div>Damit treffen die Sanktionen ab 10. April auch "RT Arabic" und "Sputnik Arabic".</div><h4 style="text-align: left;">Aktueller Text der Rechtsvorschriften </h4><p>Mit Stand 10. April 2023 gelten daher folgende Sanktionen gegen Medien, die vom russischen Staat kontrolliert werden (konsolidierter Text, ohne Gewähr): </p><p>1. Nach dem <b>Beschluss 2014/512/GASP</b> des Rates in der zum 10. April 2023 geltenden Fassung:</p><p></p><blockquote><p>Artikel 4g</p><p>(1) Es ist den Betreibern verboten, Inhalte durch die in Anhang IX aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen zu senden oder deren Sendung zu ermöglichen, zu erleichtern oder auf andere Weise dazu beizutragen, auch durch die Übertragung oder Verbreitung über Kabel, Satellit, IP-TV, Internetdienstleister, Internet-Video-Sharing-Plattformen oder -Anwendungen, unabhängig davon, ob sie neu oder vorinstalliert sind.</p><p>(2) Alle Rundfunklizenzen oder -genehmigungen, Übertragungs- und Verbreitungsvereinbarungen mit den in Anhang IX aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen werden ausgesetzt.</p><p>(3) Es ist verboten, in Inhalten, die von den in Anhang IX aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen erstellt oder gesendet werden, für Produkte oder Dienstleistungen zu werben, einschließlich durch Übertragung oder Verbreitung mittels der in Absatz 1 genannten Möglichkeiten.</p></blockquote><p></p><p></p><blockquote><p>...</p></blockquote><blockquote><p>Artikel 9</p><p>Dieser Beschluss gilt bis zum 31. Juli 2023.</p><p>...</p></blockquote><blockquote><p>ANHANG IX</p><p>LISTE DER JURISTISCHEN PERSONEN, ORGANISATIONEN UND EINRICHTUNGEN NACH ARTIKEL 4g</p><p style="text-align: left;">RT — Russia Today English<br />RT — Russia Today UK<br />RT — Russia Today Germany<br />RT — Russia Today France<br />RT — Russia Today Spanish<br />Sputnik<br />Rossiya RTR / RTR Planeta<br />Rossiya 24 / Russia 24<br />TV Centre International<br />NTV/NTV Mir <br />Rossiya 1 <br />REN TV <br />Pervyi Kanal<br />RT Arabic<br />Sputnik Arabic</p></blockquote><p><br /></p><p>2. Nach der <b>Verordnung (EU) Nr. 833/2014</b> des Rates in der zum 10. April 2023 geltenden Fassung:</p><p></p><blockquote><p>Artikel 2f</p><p>(1) Es ist den Betreibern verboten, Inhalte durch die in Anhang XV aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen zu senden oder deren Sendung zu ermöglichen, zu erleichtern oder auf andere Weise dazu beizutragen, auch durch die Übertragung oder Verbreitung über Kabel, Satellit, IP-TV, Internetdienstleister, Internet-Video-Sharing-Plattformen oder -Anwendungen, unabhängig davon, ob sie neu oder vorinstalliert sind.</p><p>(2) Alle Rundfunklizenzen oder -genehmigungen, Übertragungs- und Verbreitungsvereinbarungen mit den in Anhang XV aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen werden ausgesetzt.</p><p>(3) Es ist verboten, in Inhalten, die von den in Anhang XV aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen erstellt oder gesendet werden, für Produkte oder Dienstleistungen zu werben, einschließlich durch Übertragung oder Verbreitung mittels der in Absatz 1 genannten Möglichkeiten.</p></blockquote><blockquote><p>...</p></blockquote><blockquote><p>ANHANG XV</p><p>Liste der natürlichen und juristischen personen, organisationen und einrichtungen nach artikel 2f</p><p>RT — Russia Today English<br />RT — Russia Today UK<br />RT — Russia Today Germany<br />RT — Russia Today France<br />RT — Russia Today Spanish<br />Sputnik<br />Rossiya RTR / RTR Planeta<br />Rossiya 24 / Russia 24<br />TV Centre International<br />NTV/NTV Mir <br />Rossiya 1 <br />REN TV <br />Pervyi Kanal <br />RT Arabic<br />Sputnik Arabic</p></blockquote><p> </p><p></p>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-83531446044735903832022-10-24T08:52:00.000+02:002022-10-24T08:52:26.420+02:00Wenn Wissenschaft umsonst sein soll - zu einem Detail im Gesetzesentwurf über die Wiener Zeitung<p><table cellpadding="0" cellspacing="0" class="tr-caption-container" style="float: left;"><tbody><tr><td style="text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjErr5EYSwesnm5UK2PVJd-plafg0rJT7YsW2wXZ3QazLLV_D1D5hvo8SqIFmkTKSY4zqvxvseMrSWOXqNOglaTjh495d1rFQFL_H99ziMSsK7QDK75kdad-vvSFcEdGIyAVslyAEQegmpZs1vPEFWZ2K5dU3ltG32sFD2BZTmPd0aIg4MqXQ/s3000/_wiener_zeitung_sq.jpg" imageanchor="1" style="clear: left; margin-bottom: 1em; margin-left: auto; margin-right: auto;"><img border="0" data-original-height="3000" data-original-width="3000" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjErr5EYSwesnm5UK2PVJd-plafg0rJT7YsW2wXZ3QazLLV_D1D5hvo8SqIFmkTKSY4zqvxvseMrSWOXqNOglaTjh495d1rFQFL_H99ziMSsK7QDK75kdad-vvSFcEdGIyAVslyAEQegmpZs1vPEFWZ2K5dU3ltG32sFD2BZTmPd0aIg4MqXQ/w320-h320/_wiener_zeitung_sq.jpg" width="320" /></a></td></tr><tr><td class="tr-caption" style="text-align: center;"></td></tr></tbody></table>Die Wiener Zeitung soll in ihrer aktuellen Form als (auch) gedruckte Tageszeitung per 1. Juli 2023 eingestellt werden. Das ist nicht mehr nur eine <a href="https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:aeb708e2-3a5a-4511-aeca-22b9e8419969/31_11_mrv.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Ankündigung der Bundesregierung</a> (wie der Rest des schon oft versprochenen "Medienpakets"), sondern es liegt dafür mittlerweile auch ein <a href="https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/ME/ME_00228/index.shtml" rel="nofollow" target="_blank">Begutachtungsentwurf</a> für die dafür notwendige gesetzliche Regelung vor. In diesem Blogbeitrag beschäftige ich mich <b><i>nicht</i></b> mit den zentralen Fragen dieses Entwurfs für ein "<b>Bundesgesetz über die Wiener Zeitung GmbH</b> und Einrichtung einer elektronischen Verlautbarungs- und Informationsplattform des Bundes – WZEVI-Gesetz" (vielleicht finde ich dazu auch noch mal die Zeit). Statt dessen möchte ich nur ein kleines, an sich unwesentliches Detail herauspicken - das aber meines Erachtens durchaus als symbolisch angesehen werden kann: die Regelung für den neu einzurichtenden wissenschaftlichen Beirat (§ 1 Abs. 6 und 7 des Entwurfs). Diese Bestimmungen lauten: </p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;">(6) Bei der Wiener Zeitung GmbH ist zur Beratung bei der Wahrnehmung der Aufgaben gemäß § 3 ein wissenschaftlicher Beirat mit fünf fachkundigen Personen aus dem Gebiet der Medien-, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Internationale Politik und Außenpolitik und der Rechtswissenschaften einzurichten. Der Beirat muss zumindest zwei Frauen als Mitglieder umfassen. Die Mitglieder werden vom Bundeskanzler auf die Dauer von zwei Jahren bestellt. Eine einmalige Wiederbestellung ist zulässig. Der Beirat kann bei Ausscheiden von Mitgliedern Vorschläge für die Bestellung neuer Mitglieder unterbreiten. Er ist anzuhören, bevor ein neues Mitglied bestellt wird. Der Beirat tritt bei Bedarf, mindestens aber zweimal jährlich, zusammen. Der Beirat wählt aus seiner Mitte eine/n Vorsitzende/n und eine/n Stellvertreter/in und hat sich eine Geschäftsordnung zu geben, in der jedenfalls der Abstimmungsmodus zu regeln ist. Die Mitgliedschaft ist ein unbesoldetes Ehrenamt, es besteht jedoch ein Anspruch auf Aufwandsersatz (z. B. Reise- oder Aufenthaltskosten). Die Mitglieder sind zur gewissenhaften und objektiven Ausübung ihrer Funktion sowie zur Verschwiegenheit über die ihnen bei der Ausübung dieser Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen verpflichtet. </p></blockquote><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;">(7) Dem wissenschaftlichen Beirat dürfen Mitglieder der Bundesregierung, Staatssekretärinnen und Staatssekretäre, Mitglieder einer Landesregierung, Mitglieder des Nationalrats, des Bundesrats oder eines sonstigen allgemeinen Vertretungskörpers sowie Personen nicht angehören, die eine dieser Funktionen in den letzten vier Jahren ausgeübt haben. </p></blockquote><p>Es soll also ein aus fünf Wissenschafter:innen bestehendes Gremium geben, das die Wiener Zeitung GmbH bei der Wahrnehmung ihrer "Aufgaben gemäß § 3" beraten soll (nach § 3 des Entwurfs hat die Wiener Zeitung GmbH die Wiener Zeitung als Online-Medium und "nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Mittel" - also eher spärlich - auch in Print herauszugeben). Das Gremium soll sich interdisziplinär zusammensetzen - allerdings sind die exakten Disziplinen festgeschrieben, was natürlich die Frage aufwirft, wie man gerade auf diese Disziplinen kommt und wie man sie im Zweifel abgrenzt (etwa bei Politikwissenschaft und "Internationale Politik und Außenpolitik"). Auch für annähernde Geschlechterparität, ein Mindestmaß an Politikferne, und für einen steten Wechsel - mit einer maximal vierjährigen "Amtszeit" - ist gesorgt. </p><p>Was mich aber (<a href="https://blog.lehofer.at/2021/08/ehrenamt-stiftungsrat.html" rel="nofollow" target="_blank">wieder einmal, wenn auch in anderem Zusammenhang</a>) irritiert, ist die Qualifikation der Tätigkeit "<b>unbesoldetes Ehrenamt</b>". </p><p>Der Bund richtet per Gesetz ein wissenschaftliches Beratungsgremium ein, und man sollte davon ausgehen, dass er sich von diesem Gremium auch tatsächlich ernsthafte wissenschaftliche Beratung für die Wiener Zeitung erwartet (ich weiß, das ist die erste Sollbruchstelle meiner Überlegungen: vielleicht soll das Gremium ja auch bloß als Feigenblatt dienen). Wissenschaftliche Arbeit erfordert Qualifikation, und sie erfordert zumindest Zeit (von sonstigen Ressourcen will ich hier einmal, sehr vereinfachend, absehen). Weshalb sollen die Wissenschafter:innen dafür nicht angemessen bezahlt werden?</p><p>Nun kann man selbstverständlich die Auffassung vertreten, dass Wissenschafter:innen über ihre engeren beruflichen Aufgaben hinaus etwas "für die Gesellschaft" tun sollen (Stichwort: "public engagement"). Das hat in manchen Konstellationen auch viel für sich: öffentlich bestellte, öffentlich bezahlte Wissenschafter:innen sollen der Gesellschaft, die für sie aufkommt, mehr zurückgeben als das absolute Minimum an Forschungs-, Lehr- (und Verwaltungs-)Tätigkeit, das sie vertragsgemäß jedenfalls leisten müssen. Aber erstens engagieren sich viele Wissenschafter:innen ohnehin weit mehr als sie unbedingt müssten, und sie suchen sich ihr öffentliches, unbezahltes Engagement gut (und selbst) aus. Und zweitens ist "Wissenschaft" nicht gleichzusetzen mit dem altmodischen Bild einer öffentlich finanzierten Gelehrtenuniversität, an der gut bezahlte Professoren alle erdenklichen Freiheiten genießen. Die Realität ist oft geprägt von Ressourcenknappheit, auch (und gerade) an öffentlichen Universitäten, von der Notwendigkeit, Drittmittelprojekte einzuwerben, von einer überbordenden Lehr- und Prüfungslast, die wenig Raum für Forschung lässt - und nicht zuletzt von einer Prekarisierung wissenschaftlicher Tätigkeit (zumindest) im sogenannten "Mittelbau". Wer etwa von Lehrauftrag zu Lehrauftrag lebt (<a href="https://ichbinhanna.wordpress.com/" target="_blank">hallo, Hanna!</a>), der/die wird nicht ohne weiteres kostenlose Beratungstätigkeit für ein Unternehmen leisten können und wollen, auch wenn es ein Unternehmen des Bundes ist. </p><p>Aber ein "unbezahltes" Ehrenamt wird - <a href="https://blog.lehofer.at/2021/08/ehrenamt-stiftungsrat.html" rel="nofollow" target="_blank">wie ich schon zum Stiftungsrat des ORF angemerkt habe</a> - oft ohnehin nicht wirklich unentgeltlich wahrgenommen. Denn es kann sein, dass jemand ein "Ehrenamt" im Rahmen seiner sonstigen beruflichen Tätigkeit ausübt (dann wird es in der Regel auch inhaltlich in Übereinstimmung mit den Interessen jener Einrichtung ausgeübt, die die Tätigkeit bezahlt). Oder jemand übernimmt das Ehrenamt, weil er/sie jemandem "etwas schuldig" ist (oder zumindest möchte, dass jemand ihm/ihr "etwas schuldig" ist). Und selbst wenn diese Konstellationen im Fall der Beratung der Wiener Zeitung GmbH nicht eintreten sollten, dann bleibt immer noch übrig, dass man sich ein solches Ehrenamt erst mal leisten können muss - und zwar nicht nur finanziell, sondern vor allem auch zeitlich: wer sich gerade zur Habilitation kämpft und hoffen muss, damit rechtzeitig vor Ablauf der Befristung fertig zu werden, und wer vielleicht auch noch Familien- oder sonstige Care-Arbeit zu leisten hat, der/die wird hier eher nicht anstehen, um seine/ihre unbezahlte Beratungstätigkeit einzubringen. </p><p>Möglicherweise ist ohnehin nicht daran gedacht, dass echte Beratung erfolgen soll: interessant ist nämlich, dass der wissenschaftliche Beirat nur bei der Herausgabe der Wiener Zeitung beraten soll, aber nicht bei der - akademisch durchaus auch spannenden - neuen Aufgabe der Wiener Zeitung GmbH, einen "Media Hub Austria" einzurichten, der "die Weiterentwicklung des Medienstandorts Österreich" fördern soll (§ 4 des Entwurfs - ungeachtet der hochtrabenden Worte dürfte es dabei vor allem um Aus- und Weiterbildung von Journalist:innen gehen). </p><p><b>Jedenfalls hat die Bestimmung Signalcharakter: Wissenschaft darf nichts kosten.</b> Talk may be cheap, but science should be free of charge?</p><p>----</p><p><b>PS:</b> Auf die Idee, dass zB der Aufsichtsrat nichts kosten soll, ist man für die Wiener Zeitung GmbH hingegen nicht gekommen. </p><p>Vielleicht bin ich da aber auch zu streng: denn die Aufsichtsratstätigkeit bei der Wiener Zeitung GmbH ist zwar nicht unentgeltlich, aber de facto näher am Ehrenamt als typische Aufsichtsratstätigkeiten in anderen Unternehmen: der <a href="https://www.wienerzeitung.at/_em_daten/_wzo/2022/04/08/220408_0845_2022_cg_bericht_wz.pdf" target="_blank">Corporate Governance Bericht der Wiener Zeitung GmbH für 2021</a> weist aus, dass dem (nun: der) Vorsitzenden des Aufsichtsrats ein Sitzungsgeld von 200 € pro Sitzung, den weiteren Mitgliedern des Aufsichtsrates ein Sitzungsgeld von 130 € pro Sitzung gezahlt wird. So kam etwa der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrates, <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Suppan" target="_blank">Rechtsanwalt Mag. Werner Suppan</a>, im Jahr 2021 auf eine Entschädigung von 520 € (für vier Aufsichtsratssitzungen). Da bei - natürlich vorauszusetzender - sorgfältiger Wahrnehmung der Funktion als Mitglied des Aufsichtsrates zusätzlich zur Teilnahme an den Sitzungen noch einige Zeit für die Vorbereitung (zB zum Studium von Unterlagen) veranschlagt werden muss, bedeutet das einen Stundensatz, der näher beim kollektivvertraglichen Mindestlohn für Rechtsanwalts-Angestellte liegt als beim typischen Honoraransatz, den zB Mag. Suppan als Rechtsanwalt sonst lukrieren kann. </p>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-46284395285597250302022-07-29T12:38:00.006+02:002023-08-14T10:58:28.056+02:00EuG: Keine Nichtigerklärung der Sanktionen gegen RT France<p>Das Sende- und Weiterverbreitungsverbot für Inhalte von RT (Russia Today) ist gültig. Zu diesem Ergebnis ist das EuG in seinem <a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=263501&pageIndex=0&doclang=FR&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=560044" rel="nofollow" target="_blank">Urteil der Großen Kammer vom 27. Juli 2022, T-125/22, <i>RT France / Rat</i></a> (<a href="https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2022-07/cp220132en.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Pressemitteilung</a>) gekommen. Die Nichtigkeitsklage von RT France gegen den <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32022D0351&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">Beschluss (GASP) 2022/351 des Rates</a> und die <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32022R0350&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">Verordnung (EU) 2022/350 des Rates</a> wurde abgewiesen. Damit bleiben diese Sanktionen (jedenfalls vorerst) in Kraft - der Rechtszug zum EuGH steht RT France noch offen. Zudem hat das EuG auch noch über eine weitere Nichtigkeitsklage gegen diese Sanktionen, die von niederländischen Internet Service Providern erhoben wurde (<a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?oqp=&for=&mat=or&lgrec=fr&jge=&td=%3BALL&jur=T&num=T-307%252F22&page=1&dates=&pcs=Oor&lg=&pro=&nat=or&cit=none%252CC%252CCJ%252CR%252C2008E%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252Ctrue%252Cfalse%252Cfalse&language=de&avg=&cid=1991259" rel="nofollow" target="_blank">T-307/22 <i>A2B Connect ua /Rat</i></a>), zu entscheiden, in der wohl auch Klagegründe geltend gemacht werden, die im nun entschiedenen Fall keine Rolle gespielt haben. </p><p>Bemerkenswert ist, dass das EuG - im Allgemeinen nicht gerade für kurze Verfahrensdauern bekannt - diese Rechtssache im beschleunigten Verfahren innerhalb von weniger als fünf Monaten entschieden hat (Einlangen der Klage am 8. März 2022, Urteilsverkündung am 27. Juli 2022). Auch das zeigt - neben der Entscheidung in der Großen Kammer - dass es keine Routinesache war, die hier verhandelt und entschieden wurde.</p><h3 style="text-align: left;">Zur Vorgeschichte </h3><p>Die EU hat mit <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32022D0351&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">Beschluss (GASP) 2022/351 des Rates vom 1. März 2022</a> und - darauf aufbauend - mit <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32022R0350&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">Verordnung (EU) 2022/350 des Rates vom 1. März 2022</a>, die bereits 2014 verhängten restriktiven Maßnahmen "angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren", weiter verschärft und in diese Sanktionen erstmals auch ein Verbot der Verbreitung bestimmter audiovisueller Inhalte sowie ein Aussetzen von Rundfunklizenzen aufgenommen (siehe in diesem Blog bislang <a href="https://blog.lehofer.at/2022/03/uberwachen-blocken-delisten.html" rel="nofollow" target="_blank">hier</a> und <a href="https://blog.lehofer.at/2022/06/sanktionen-update.html" rel="nofollow" target="_blank">hier</a>). Betroffen waren damals RT (Russia Today, in verschiedenen Sprachen) und Sputnik (mittlerweile wurde die Liste erweitert, siehe näher dazu <a href="https://blog.lehofer.at/2022/06/sanktionen-update.html" rel="nofollow" target="_blank">hier</a>). Die Entscheidung, de facto ein Sendeverbot für Rundfunkveranstalter zu verhängen, wurde vielfach kritisch beurteilt, insbesondere (wie aus Deutschland nicht anders zu erwarten) im Hinblick auf eine angeblich nicht vorhandene Kompetenzgrundlage für ein derartiges Eingreifen der Union einerseits (zB <a href="https://verfassungsblog.de/sendeverbot-durch-sanktionen/" rel="nofollow" target="_blank">von <i>Ferreau</i> im Verfassungsblog</a>) und wegen des damit verbundenen Eingriffs in die Meinungsäußerungs- bzw. Medienfreiheit nach Art. 11 Grundrechtecharta andererseits (zB <a href="https://inforrm.org/2022/05/08/eu-silences-russian-state-media-a-step-in-the-wrong-direction-dirk-voorhoof/" rel="nofollow" target="_blank">von <i>Voorhoof</i> auf Inforrm's Blog</a>, <a href="https://blogs.lse.ac.uk/medialse/2022/06/10/understandable-but-still-wrong-how-freedom-of-communication-suffers-in-the-zeal-for-sanctions/" rel="nofollow" target="_blank">von <i>Helberger</i> und <i>Schulz</i> auf dem Media@LSE Blog</a>, oder <a href="https://www.ejiltalk.org/the-eu-ban-of-rt-and-sputnik-concerns-regarding-freedom-of-expression/" rel="nofollow" target="_blank">von <i>Popović</i> auf EJIL: Talk!</a>). Von Bedeutung dabei ist auch, dass die Sanktionen nicht nur die "sanktionierten" Rundfunkveranstalter treffen, sondern etwa auch Internet Service Provider, Suchmaschinen oder Social Media Plattformen, die den Zugang zu Websites der betroffenen Rundfunkveranstalter sperren müssen (zur Reichweite der Sanktionen im Detail <a href="https://blog.lehofer.at/2022/03/uberwachen-blocken-delisten.html" rel="nofollow" target="_blank">hier</a>). </p><h3 style="text-align: left;">Die Klägerin</h3><p>RT France ist eine in Frankreich niedergelassene Aktiengesellschaft, deren einzige Aktionärin "TV Novosti" ist, eine gemeinnützigen Vereinigung mit Sitz in Moskau, die fast vollständig aus dem russischen Staatshaushalt finanziert wird. Seit 2017 sendete RT France auf Basis einer von der französischen Regulierungsbehörde (Conseil Supérieur de l'Audiovisuel - CSA) erteilten Zulassung audiovisuelle Inhalte über Satellit und Internet (in Frankreich und darüber hinaus). Die Klage vor dem EuG stützte RT France auf vier Klagegründe:</p><ol><li>Verletzung der Verteidigungsrechte, </li><li>Verletzung der Meinungs- und Informationsfreiheit, </li><li>Verletzung der unternehmerischen Freiheit, </li><li>Verletzung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit.</li></ol><h3 style="text-align: left;">Der Beklagte und seine Streithelfer </h3><p>Beklagt war der Rat als Normsetzer der bekämpften Rechtsakte. Als Streithelfer auf der Seite des Rates sind die Kommission und der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik beigetreten, sowie von den Mitgliedstaaten einerseits die (teilweise) französischsprachigen Staaten Frankreich und Belgien und andererseits - mit Ausnahme Finnlands - alle Staaten mit einer Landgrenze zu Russland (Polen, Estland, Lettland und Litauen). Aus diesem Line-up muss man nicht allzu viel ableiten, aber es zeigt doch, dass die "westlichen" EU-Staaten (mit Ausnahme Frankreichs und Belgiens) kein besonderes Interesse an der Sache zeigen. Österreich zum Beispiel hat sich ebenso wie Deutschland im Verfahren nicht eingebracht.</p><h3 style="text-align: left;">Das Urteil</h3><h4 style="text-align: left;">Kompetenz des Rates</h4><p style="text-align: left;">Im Rahmen des zweiten Klagegrundes zog RT France auch die Zuständigkeit des Rates zur Erlassung der bekämpften Rechtsakte in Zweifel. Alleine die nationalen Regulierungs- bzw. Aufsichtsbehörden (in Frankreich nunmehr <a href="https://www.arcom.fr/" target="_blank">Arcom</a>) seien zuständig, gegen ein audiovisuelles Medium wegen unangemessener
redaktioneller Inhalte zu bestrafen. </p><p style="text-align: left;">Damit machte RT France der Sache nach Bedenken geltend, wie sie auch von klassischen deutschen Medienrechtlern gerne vorgebracht werden: Medien wären demnach allein mitgliedstaatlicher Regulierung unterworfen. Abgesehen davon, dass diese Ansicht schon die Binnenmarkt-Dimension der Medienregulierung übersieht (Stichwort: AVMD-Richtlinie), greift sie im Fall der Sanktionierung russischer Staatsmedien schon wegen der anderen Kompetenzgrundlage nicht, wie das EuG in seinem Urteil deutlich macht:</p><p style="text-align: left;">Der bekämpfte Beschluss stützt sich auf <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40157392/NOR40157392.html" rel="nofollow" target="_blank">Art 29 EUV</a>, wonach der Rat den Standpunkt der Union (im Rahmen der GASP, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik) bestimmt. Nach der Rechtsprechung des EuGH verfügt der Rat dabei "wegen des breiten Spektrums der in Art. 3 Abs. 5 EUV und Art. 21 EUV sowie den speziellen Vorschriften über die GASP, insbesondere den Art. 23 und 24 EUV, genannten Ziele und Felder der GASP" über einen großen Spielraum (das EuG verweist dazu [wie auch ich bereits in <a href="https://blog.lehofer.at/2022/03/uberwachen-blocken-delisten.html" rel="nofollow" target="_blank">meinem ersten Blogbeitrag</a>] auf das zu früheren Sanktionen gegen Russland ergangene Urteil <a href=" Standpunkt der Union" rel="nofollow" target="_blank"><i>Rosneft</i></a>, Rn. 88).</p><p style="text-align: left;">Das EuG hält fest, dass dem Rat nicht vorgeworfen werden könne, dass er angesichts der internationalen Krise, die durch die Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine verursacht wurde, auch das vorübergehende Verbot der Ausstrahlung von Inhalten bestimmter Medien, insbesondere der vom russischen Staat finanzierten RT-Gruppe, als eine der zielführenden Maßnahmen ("mesures utiles") angesehen hat, um auf die schwere Bedrohung des Friedens an den Grenzen der Union und den Verstoß gegen das Völkerrecht zu reagieren. Der Eingriff steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Zielen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Da Propaganda- und Desinformationskampagnen geeignet sind, die Grundlagen demokratischer Gesellschaften in Frage zu stellen und einen integralen Bestandteil des Arsenals moderner Kriegsführung zu bilden, sind die restriktiven Maßnahmen auch Teil der Verfolgung der Ziele der Union nach <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40157380/NOR40157380.html" rel="nofollow" target="_blank">Art. 3 Abs. 1 und 5 EUV</a>.</p><p style="text-align: left;">Zum Argument, dass nur die nationale Regulierungsbehörde einen derartigen Eingriff hätte vornehmen dürfen, verweist das EuG einerseits darauf, dass Zuständigkeiten der Union, einschließlich jener der im Rahmen der GASP, nicht durch Befugnisse nationaler Verwaltungsbehörden ausgeschlossen oder eingeschränkt werden können. Dass eine nationale Behörde zu bestimmten "Sanktionen" befugt ist, steht der Befugnis des Rates zur Erlassung restriktiver Maßnahmen nicht entgegen, auch wenn diese Maßnahmen darauf abzielen, die Verbreitung von Inhalten eines Rundfunkveranstalters (vorübergehend) zu untersagen. Andererseits merkt das EuG an, dass die den nationalen Behörden durch die innerstaatliche Gesetzgebung übertragenen Befugnisse nicht dieselben Ziele verfolgen, nicht auf denselben Werten beruhen und nicht dieselben Ergebnisse garantieren können wie die im Rahmen der GASP getroffenen einheitlichen Sofortmaßnahmen für das gesamten Gebiet der Union. </p><p style="text-align: left;">In diesem Zusammenhang bezieht sich das EuG auch darauf, dass die restriktiven Maßnahmen auch an alle "Betreiber" gerichtet sind, die Inhalte der RT-Gruppe verbreiten, sodass ein allfälliges Eingreifen nationaler Aufsichtsbehörden, das auf den Hoheitsbereich des jeweiligen Mitgliedstaates beschränkt ist, nicht zum selben Ergebnis hätte führen können. </p><p style="text-align: left;">Kurz geht das EuG geht auch auf die - von RT France gar nicht geltend gemachte - Frage der Aufteilung von Kompetenzen innerhalb der Union ein. Dass eine Regelung etwa auch im Rahmen der Binnenmarktkompetenz (wie bei der AVMD-Richtlinie) möglich gewesen wäre, schließt die Kompetenz im Rahmen der GASP aber nicht aus: Die Maßnahmen ergänzen einander, haben ihren eigenen Anwendungsbereich und andere Ziele. </p><p style="text-align: left;">Die bekämpfte Verordnung stützte sich auf <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40157987/NOR40157987.html" rel="nofollow" target="_blank">Art. 215 Abs. 2 AEUV</a>, auch die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Kompetenzgrundlage sieht das EuG konsequenterweise als gegeben an.</p><h4 style="text-align: left;">Keine Verletzung der Verteidigungsrechte</h4><p style="text-align: left;">Rechtlich etwas heikler als die meines Erachtens wenig problematische Kompetenzfrage war die Frage , ob RT France als unmittelbar von der Maßnahme betroffenes Unternehmen in seinen Verteidigungsrechten verletzt wurde, weil keine vorherige Anhörung erfolgt war und die Begründung der Maßnahmen relativ knapp gehalten wurde. </p><p style="text-align: left;">Das Recht jeder Person auf rechtliches Gehör, bevor <span style="background-color: white; color: #333333; text-align: justify;">ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird, ist in Art. 41 Abs. 2 Buchst. a <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A12012P%2FTXT" rel="nofollow" target="_blank">GRC</a> verankert. Im Zusammenhang mit der Aufnahme (oder Belassung) einer Person auf die Sanktionsliste hat der EuGH bereits ausgesprochen, dass </span><span style="color: #333333;">die zuständige Unionsbehörde der betroffenen Person die ihr vorliegenden belastenden Informationen, auf die sie ihre Entscheidung stützt, mitteilen muss, damit diese Person ihre Rechte unter den bestmöglichen Bedingungen verteidigen und in Kenntnis aller Umstände entscheiden kann, ob es angebracht ist, den Unionsrichter anzurufen (<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=139745&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=45244" rel="nofollow" target="_blank">Urteil <i>Kadi II</i></a>, Rn. 111). Diese Information muss aber nicht zwingend vor der erstmaligen Aufnahme in die Sanktionsliste erfolgen (<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=67611&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=46798" rel="nofollow" target="_blank">Urteil <i>Kadi I</i></a>, Rn. 338-342). </span></p><p style="text-align: left;"><span style="color: #333333;">Das EuG überträgt diese Rechtsprechung, die den notwendigen Überraschungseffekt in Fällen der Aufnahme in die Sanktionsliste, insbesondere im Hinblick auf das Einfrieren von Geldern, betont hat, auch auf den hier vorliegenden Fall eines (temporären) Sende- und Verbreitungsverbots. Auch dabei sei ein sofortiges Handeln unerlässlich, um den "effet utile", die Wirksamkeit der Maßnahme, nicht zu gefährden. </span></p><p style="text-align: left;"><span style="color: #333333;">Die Erfordernisse der Dringlichkeit und Wirksamkeit aller erlassenen restriktiven Maßnahmen würden daher die Beschränkung des nach </span><span style="color: #333333;">Art. 41 Abs. 2 Buchst. a GRC gewährleisteten Rechts rechtfertigen, </span><span style="color: #333333;">soweit die Maßnahmen tatsächlich anerkannten Zielen des Gemeinwohls - </span><span style="color: #333333;">wie zB der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in der Union - </span><span style="color: #333333;">dienen. </span></p><p style="text-align: left;"><span style="color: #333333; text-align: justify;">Das EuG hält auch fest, dass es - </span>um die Integrität der demokratischen Debatte innerhalb der europäischen Gesellschaft zu wahren - <span style="color: #333333; text-align: justify;">notwendig geworden sei, nach dem Ausbruch des bewaffneten Konflikts restriktive Maßnahmen gegenüber Medien zu ergreifen, die vom russischen Staat - dem Aggressorstaat - finanziert werden, und die als Quelle ständiger und konzertierter </span>Desinformation und Manipulation von Tatsachen anzusehen sind (Rn. 88). Das EuG bezieht sich in diesem Zusammenhang auch auf Rechtsprechung des EGMR (<a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-216872" rel="nofollow" target="_blank">Urteil NIT</a>, Abs.181 und 182), wonach zu berücksichtigen sei, dass audiovisuelle Medien eine viel unmittelbarere und stärkere Wirkung haben als die Presse, da sie durch Bilder Botschaften übermitteln können, die das geschriebene Wort nicht vermitteln kann.</p><p class="MsoNormal"><o:p></o:p></p><p style="text-align: left;"><span style="color: #333333;">Unter Berücksichtigung des "ganz außergewöhnlichen Kontexts", in dem die angefochtenen Rechtsakte erlassen wurden, kommt das EuG daher zum Ergebnis, dass der Rat nicht verpflichtet war, RT France vor der erstmaligen Eintragung in die Sanktionslisten anzuhören. Sicherheitshalber führt das EuG aber in einer Alternativbegründung auch noch aus, dass RT nicht dargelegt hat, dass eine Anhörung zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (Rn. 93 bis 99). </span></p><p style="text-align: left;"><span style="color: #333333;">Auch das Erfordernis einer ausreichenden Begründung sieht das EuG als erfüllt an: in den Erwägungsgründen 6 bis 9 der angefochtenen Rechtsakte ergibt sich, dass (auch) RT France deshalb in die Liste aufgenommen wurde, weil sie die darin vorgesehenen spezifischen und konkreten Voraussetzungen erfüllte, nämlich ein Medium zu sein, das der ständigen unmittelbaren oder mittelbaren Kontrolle der Führung der russischen Föderation unterstand, und Propagandaaktionen durchführte, die unter anderem darauf abzielten, die militärische Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine zu rechtfertigen und zu unterstützen. Diese Begründung sei "verständlich und hinreichend genau," um es RT France zu ermöglichen, die Gründe zu erfahren, die den Rat zur Einbeziehung von RT France in die Sanktionen veranlasst haben, und zweitens um die Rechtmäßigkeit dieser Rechtsakte vor den Unionsgerichten anzufechten. </span></p><h4 style="text-align: left;"><span style="color: #333333;">Keine Verletzung der Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit</span></h4><p style="text-align: left;"><span style="color: #333333;">Die spannende Kernfrage des Rechtsstreits war natürlich die Vereinbarkeit des Sende- und Verbreitungsverbots mit der durch Art. 11 <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A12012P%2FTXT" rel="nofollow" target="_blank">GRC</a> garantierten Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit. </span></p><p style="text-align: left;"><span style="color: #333333;">Das EuG setzt an die Spitze seiner Ausführungen zunächst einige allgemeine Anmerkungen zu den rechtswissenschaftlichen Grundsätzen der Meinungsäußerungsfreiheit, wobei es sich ganz wesentlich auf die Rechtsprechung des EGMR stützt. Es betont (in Rn. 133), dass die Meinungsäußerungsfreiheit für jedermann gilt (unter Hinweis auf EGMR <a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-58305" rel="nofollow" target="_blank">Öztürk</a>, Abs. 49), auch für schockierende oder störende Äußerungen (unter Hinweis auf EGMR <a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-57499" rel="nofollow" target="_blank">Handyside</a>, Abs. 49, und - etwas irritierend - auf <a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-216872" rel="nofollow" target="_blank">NIT</a>, Abs. 177 und die dort zitierte Rechtsprechung, die sich aber auf die Frage der Notwendigkeit eines Eingriffs bezieht). Danach (Rn. 134) verweist das EuG darauf, dass es in demokratischen Gesellschaften grundsätzlich als notwendig erachtet werden kann, Hassrede zu sanktionieren, sofern die Beschränkungen oder Sanktionen in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen (unter Hinweis auf EGMR <a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-76232" rel="nofollow" target="_blank">Erbakan</a>, Abs. 56, und <a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-217717" rel="nofollow" target="_blank">Rouillan</a>, Abs. 66). Das EuG hebt (wiederum unter Berufung auf EGMR <a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-216872" rel="nofollow" target="_blank">NIT</a>, Abs. 180-182 und die dort zitierte Rechtsprechung) auch die Bedeutung der journalistischen Berufsethik, der Regeln des verantwortlichen Journalismus und die unmittelbare und stärkere Wirkung audiovisueller Medien hervor (Rn. 136-138). Das EuG schließt seine </span><span style="color: #333333;">"Einleitung" zur Meinungsäußerungsfreiheit</span><span style="color: #333333;"> mit </span><span style="color: #333333;">einem eher allgemeinen Hinweis darauf, dass </span><span style="color: #333333;">Äußerungen, die Gewalt, Hass, Fremdenfeindlichkeit oder andere Formen der Intoleranz befürworten oder rechtfertigen, normalerweise nicht geschützt sind (unter Hinweis auf EGMR <a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-58279" rel="nofollow" target="_blank">Sürek</a>, Abs. 61 und 62, und <a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-158235" rel="nofollow" target="_blank">Pe</a></span><span style="color: #333333;"><a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-158235" rel="nofollow" target="_blank">rinçek</a>, Abs. 197 und 230), wobei der Kontext der Äußerungen zu berücksichtigen ist (Rn. 139 bis 140). </span></p><p style="text-align: left;"><span style="color: #333333;">Zwei Aspekte fallen schon in dieser allgemeinen Einleitung auf: erstens wird die Frage, ob die Garantien des Art. 11 GRC wirklich uneingeschränkt auch für staatliche (ausländische) Unternehmen gelten, nicht thematisiert. Nun ist es eine Besonderheit des Unionsrechts, dass fremden Staaten (und deren Unternehmen) der volle Zugang zu den Unionsgerichten eröffnet ist, um restriktive Maßnahmen zu bekämpfen (siehe <a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=243242&pageIndex=0&doclang=ro&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=465646" rel="nofollow" target="_blank">EuGH, 22. 6. 2021, C-872/19 P, <i>Venezuela / Rat</i></a>) - dass diese sich dabei aber auch uneingeschränkt auf die Unionsgrundrechte berufen können, ist keine Selbstverständlichkeit und würde eine nähere Betrachtung rechtfertigen. </span></p><p style="text-align: left;"><span style="color: #333333;">Und zweitens bleibt die Einleitung im Hinblick auf die Abgrenzung zu Art. 54 GRC (vergleichbar mit Art. 17 EMRK) höchst unscharf: zwar wird auf das EGMR-Urteil </span><span style="color: #333333;"><a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-158235" rel="nofollow" target="_blank">Pe</a></span><span style="color: #333333;"><a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-158235" rel="nofollow" target="_blank">rinçek</a> verwiesen, in dem diese Frage erörtert wurde, aber ausdrücklich angesprochen wird diese Grundfrage, ob überhaupt der Anwendungsbereich des Art. 11 GRC eröffnet wird, weder in der Einleitung noch danach in der Anwendung dieser Grundsätze auf den konkreten Fall. Es überrascht insbesondere auch, dass der <a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-183289" rel="nofollow" target="_blank">Beschluss des EGMR im Fall Roj TV</a> im Urteil des EuG überhaupt nicht erwähnt wird, obwohl das EuG Rechtsprechung des EGMR sonst umfassend zitiert.</span></p><p style="text-align: left;"><b>Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit:</b> Das EuG geht, ohne Art. 54 GRC überhaupt nur zu erwähnen, ohne weiteres von einer Einschränkung der nach Art. 11 GRC garantierten Meinungsäußerungsfreiheit aus. Wenn man Art. 54 GRC ausblendet - was allerdings keineswegs naheliegt -, ist das natürlich konsequent und richtig. Damit stellen sich dann die Folgefragen, ob im Sinne des Art. 52 GRC die Einschränkung 1. "gesetzlich vorgeschrieben" ist, 2. den Wesensgehalt des Grundrechts achtet, 3. einem von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Ziel entspricht und 4. verhältnismäßig ist. </p><p style="text-align: left;"><b>"Gesetzlich vorgesehen":</b> das EuG bezieht sich hier auf die Rechtsprechung des EGMR zur Vorhersehbarkeit. Demnach muss ein "Gesetz" (im materiellen Sinne) nicht nur bestehen, sondern auch zugänglich und so bestimmt sein, dass die Auswirkungen auf die betroffenen Personen - nötigenfalls mit entsprechender Beratung - vorhersehbar sind. </p><p style="text-align: left;">Ich wäre davon ausgegangen, dass die Einschränkung im vorliegenden Fall durch ein Gesetz im materiellen Sinn (Beschluss und Verordnung des Rates) erfolgte, zumal diese Rechtsakte ein Verbreitungsverbot bestimmter Inhalte normierten und nicht als ein unmittelbar an eine bestimmte Person gerichteter Verwaltungsakt anzusehen sind. Das EuG prüft aber tatsächlich, ob die Verhängung der Sanktionen selbst (also die Erlassung der bekämpften Rechtsakte) für RT vorhersehbar war, geht also, wenn auch nicht ausdrücklich (und aus meiner Sicht nicht zutreffend), davon aus, dass das die Einschränkung verfügende materielle Gesetz Art. 29 EUV bzw. Art. 215 Abs. 2 AEUV wäre. Auch mit diesem - meines Erachtens nicht zutreffenden - Verständnis bejaht das EuG die Vorhersehbarkeit angesichts des weiten Ermessensspielraums des Rates, der Bedeutung insbesondere der audiovisuellen Medien und der Rolle, die eine umfassende Medienunterstützung für die militärische Aggression Russlands in der Ukraine spielt (Rn. 151). Mit anderen Worten: ein vollständig aus dem russischen Staatshaushalt finanziertes Medium, das die völkerrechtswidrige Aggression Russlands unterstützt, musste damit rechnen, sanktioniert zu werden. </p><p style="text-align: left;"><b>Wesensgehalt des Grundrechtes:</b> das EuG betont, dass die Einschränkung temporär ist (zunächst bis 31.07.2022, mittlerweile verlängert bis 31.01.2023) und wieder rückgängig gemacht werden kann. Die Aufrechterhaltung der Einschränkung hängt von zwei - kumulativen -Voraussetzungen ab: Beendigung der Aggression gegen die Ukraine und Einstellung der russischen Propagandaaktionen gegen die Union und ihre Mitgliedstaaten. Außerdem sei nicht jegliche Tätigkeit von RT France, die unter Art. 11 GRC fällt, untersagt. RT France kann zB weiter Inhalte produzieren und diese außerhalb der Union verbreiten oder verwerten. Der Wesensgehalt des Grundrechts ist damit nicht verletzt (Rn. 159).</p><p style="text-align: left;"><b>Dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung:</b> das EuG anerkennt die vom Rat verfolgten Ziele des Schutzes der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in der Union und der Wahrung des Friedens, der Verhütung von Konflikten und der Stärkung der internationalen Sicherheit. Das mit den Sanktionen verfolgte Ziel der Beendigung des Kriegszustands und der Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht ist ein Ziel von überwiegendem Allgemeininteresse für die Gemeinschaft (Hinweis auf <a href="https://curia.europa.eu/juris/showPdf.jsf?text=&docid=100308&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=475832" rel="nofollow" target="_blank">EuGH 30.7.1996, C‑84/95, <i>Bosporus</i></a>, Rn. 26).</p><p style="text-align: left;"><b>Verhältnismäßigkeit:</b> Bei der im Zentrum des Urteils stehenden Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Einschränkung prüft das EuG, ob die Einschränkungen nicht weiter gehen, als zur Verfolgung der legitimen Ziele notwendig ist, ob es eine weniger einschränkende geeignete Maßnahme gäbe, und ob die Nachteile nicht außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehen. </p><p style="text-align: left;">Vorweg geht das EuG aber auf die vom Rat vorgelegten Nachweise ein, prüft also auf Sachverhaltsebene, ob eine "hinreichend solide Tatsachengrundlage" für die Entscheidung, Sanktionen zu verhängen, besteht. Das EuG kommt dabei zum Ergebnis, der Rat habe nachgewiesen, dass RT France unter Kontrolle der russischen Führung steht (Rn. 171 bis 174), und ebenso, dass RT France kontinuierliche und abgestimmte Propagandaaktionen gegen die Zivilgesellschaft in der Europäischen Union und in den Nachbarstaaten lanciert hat, die insbesondere darauf abzielten, die den Angriff Russlands auf die Ukraine zu rechtfertigen (Rn. 175 bis 191). Das EuG legt dazu im Einzelnen den Ablauf der Ereignisse unmittelbar rund um die Invasion in der Ukraine und die damit zusammenhängende Berichterstattung von RT dar. Alles zusammen belegt auch nach Auffassung des EuG, dass RT France vor Erlassung der Sanktionen die destabilisierende und aggressive Politik der Russischen Föderation gegenüber der Ukraine unterstützt und die militärische Aggression gerechtfertigt habe, was die Annahme einer erheblichen und direkten Bedrohung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Union rechtfertige.</p><p style="text-align: left;"><b>Eignung der Einschränkungen zur Zielerreichung</b>: das EuG kommt in sehr knappen Worten zum Ergebnis, dass das vorübergehende Verbreitungsverbot für Inhalte von RT - als eine Maßnahme im Rahmen einer schnellen, einheitlichen, abgestuften und koordinierten Reaktion der Union - eine geeignete Maßnahme sei, um das Ziel zu erreichen, größtmöglichen Druck auf die russischen Behörden auszuüben, damit sie ihre militärische Aggression beenden (Rn. 193 bis 194).</p><p style="text-align: left;"><b>Erforderlichkeit der Maßnahmen</b>: Das EuG kommt auch zum Schluss, dass Sendeverbote in einzelnen Staaten oder die Verpflichtung, Warnhinweise einzublenden, zur Zielerreichung nicht geeignet gewesen wären (Rn. 196 bis 200).</p><p style="text-align: left;"><b>Interessenabwägung:</b> Das EuG betont hier einerseits die Bedeutung der mit den restriktiven Maßnahmen verfolgten Ziele - nichts weniger als der Weltfrieden wird hier wieder ins Spiel gebracht (etwa in Rn. 203, unter Hinweis auch auf einen Beschluss der Generalversammlung der Vereinten Nationen) - und andererseits die Pflichten und Verantwortlichkeiten, die die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung nach der Rechtsprechung des EGMR mit sich bringt. Das EuG verweist in diesem Zusammenhang auch wieder auf EGMR <a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-216872" rel="nofollow" target="_blank">NIT</a> (Abs. 215), und bringt zum Ausdruck, dass die betroffenen Inhalte keine seien, die den "verstärkten Schutz" nach Art. 11 GRC erfordern würden, noch dazu, weil das betroffene Medium unter Kontrolle des Aggressorstaates steht (Rn. 206).</p><p style="text-align: left;">Das EuG greift auch das Vorbringen der Streithelfer auf, wonach Art. 20 Abs. 1 des <a href="https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000627" rel="nofollow" target="_blank">Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte</a> jede Kriegspropaganda verbietet (siehe dazu schon <a href="https://verfassungsblog.de/the-eus-ban-of-rt-and-sputnik/" rel="nofollow" target="_blank">den Beitrag von <i>Baade</i> im Verfassungsblog</a>). Dieses Verbot umfasse auch Äußerungen, die wiederholt und abgestimmt zugunsten eines andauernden völkerrechtswidrigen Krieges abgegeben werden, insbesondere wenn diese Kommentare von Medien stammen, die direkt oder indirekt vom Aggressorstaat kontrolliert werden (Rn 208 bis 210). Auch die Interessenabwägung geht daher zugunsten des Rates aus. </p><p style="text-align: left;">In diesem Zusammenhang ist noch bemerkenswert, dass das EuG auch kurz auf die "passive" Informationsfreiheit eingeht und meint, dass dann, wenn sich ein Verbot der Ausstrahlung und Weiterverbreitung als verhältnismäßig erweise, dies umso mehr (a fortiori) auch für die damit verbundene Einschränkung des Rechts der Öffentlichkeit, diese Informationen zu empfangen, gelte (Rn. 214). </p><p style="text-align: left;">Insgesamt kommt das EuG daher zum Ergebnis, dass das Recht von RT France auf freie Meinungsäußerung im Sinne des Art. 11 GRC durch die Sanktionen nicht verletzt wurde. </p><h4 style="text-align: left;">Keine Verletzung der unternehmerischen Freiheit</h4><p style="text-align: left;">Es ist natürlich nicht zweifelhaft, dass die Sanktionen eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 GRC bewirken. Auch diese Freiheit gilt freilich nicht unbeschränkt, sondern kann ebenso wie die Meinungsäußerungsfreiheit unter den Voraussetzungen des Art. 52 Abs. 1 GRC beschränkt werden. Auch diese Voraussetzungen sieht das EuG - in diesem Punkt wenig überraschend - als gegeben an (Rn. 216 bis 230). </p><h4 style="text-align: left;">Keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit</h4><p style="text-align: left;">Die von RT France behauptete Diskriminierung aus Gründen der (russischen) Staatsangehörigkeit (als Verletzung des Art. 21 Abs. 2 GRC) kann schon deshalb nicht zum Erfolg der Klage führen, weil sich darauf nur Unionsbürger berufen können (ganz abgesehen von der Frage, ob sich eine Aktiengesellschaft auf eine "Staatsbürgerschaft" berufen könnte). Aber auch soweit man Art. 21 GRC als Ausprägung eines allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes lesen kann, hat RT France nicht aufgezeigt, dass andere ihr vergleichbare Medienunternehmen eine günstigere Behandlung erfahren hätten. Das EuG verwirft daher auch diesen Klagegrund.</p><h3 style="text-align: left;">Ausblick</h3><p style="text-align: left;">RT France kann (und wird wohl) den - auf Rechtsfragen beschränkten - Rechtszug zum EuGH nützen (<b>Update 04.10.2022</b>: Das Rechtsmittel ist nun beim EuGH anhängig zu <a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?num=C-620/22&language=de" rel="nofollow" target="_blank">C-620/22 P</a>; <b>update 14.08.2023:</b> das Verfahren vor dem EuGH wurde nach Zurückziehung des Rechtsmittels durch RT France mit <a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=276144&pageIndex=0&doclang=FR&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=998456" rel="nofollow" target="_blank">Beschluss vom 28.07.2023</a> aus dem Register gestrichen). Das EuG konnte sich in seiner Entscheidung einerseits auf gesicherte Rechtsprechung des EuGH (insbesondere <a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=189262&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7569069" rel="nofollow" target="_blank"><i>Rosneft</i></a>, <a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=67611&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=46798" rel="nofollow" target="_blank"><i>Kadi I</i></a>, <a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=139745&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=45244" rel="nofollow" target="_blank"><i>Kadi II</i></a> und <a href="https://curia.europa.eu/juris/showPdf.jsf?text=&docid=100308&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=475832" rel="nofollow" target="_blank"><i>Bosphorus</i></a>) zu den Grundfragen des Sanktionenrechts stützen, und hat andererseits im Hinblick auf die neuartigen Sanktionen gegenüber Medien extensiv - wenn auch manchmal etwas erratisch - Rechtsprechung des EGMR herangezogen. Auch wenn man manche Details - insbesondere die Frage des Anwendungsbereichs im Hinblick auf Art. 54 GRC oder die Prüfung der Vorhersehbarkeit - vielleicht anders abhandeln hätte können, sind gravierende Anhaltspunkte, die eine Aufhebung oder ein "Umdrehen" der Entscheidung durch den EuGH erwarten ließen, nicht auszumachen. </p><p style="text-align: left;">Im Verfahren gar nicht thematisiert wurde die konkrete Reichweite der Sanktionen, die insbesondere im Hinblick auf die daraus resultierenden Verpflichtungen von Suchmaschinenbetreibern, Internetzugangsanbietern und Social Media Plattformen für Diskussionen gesorgt haben (siehe dazu näher <a href="https://blog.lehofer.at/2022/03/uberwachen-blocken-delisten.html" rel="nofollow" target="_blank">meinen ersten Blogbeitrag dazu</a>). Die Frage, ob etwa für einen ISP die genaue Abgrenzung seiner Verpflichtungen "vorhersehbar" war, könnte das EuG noch in der Rechtssache <a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?oqp=&for=&mat=or&lgrec=fr&jge=&td=%3BALL&jur=T&num=T-307%252F22&page=1&dates=&pcs=Oor&lg=&pro=&nat=or&cit=none%252CC%252CCJ%252CR%252C2008E%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252Ctrue%252Cfalse%252Cfalse&language=de&avg=&cid=1991259" rel="nofollow" target="_blank">T-307/22, <i>A2B Connect u.a./Rat</i></a>, beschäftigen, die von niederländischen ISPs initiiert wurde. </p><p style="text-align: left;">Sofern das EuG diese Klage als zulässig beurteilt, würde dort auch noch die Frage abzuhandeln sein, inwiefern die Sanktionen das Recht von Dritten (etwa Kunden der ISPs) auf Zugang zu Informationen verletzen könnten. Zu diesem Punkt hat das EuG allerdings schon im nun vorliegenden Urteil darauf hingewiesen, dass eine Verletzung des Rechts auf den Empfang von Informationen nicht gegeben sein kann, wenn schon das Senden der Informationen zulässigerweise beschränkt (untersagt) wurde.</p><p style="text-align: left;">(Update 24.08.2022: erwartungsgemäß kritisch befassen sich Ronan Ó Fathaigh und Dirk Voorhoof mit dem EuG-Urteil in <a href="https://inforrm.org/2022/08/19/case-law-eu-rt-france-v-council-general-court-finds-ban-on-russia-today-not-a-violation-of-right-to-freedom-of-expression-ronan-o-fathaigh-and-dirk-voorhoof/" target="_blank">diesem Beitrag auf Inforrm's Blog</a>.)</p><p style="text-align: left;">(Update 15.11.2022: Wie RT DE die EU-Sanktionen umgeht, hat <a href="https://correctiv.org/faktencheck/hintergrund/2022/11/10/mit-wenigen-handgriffen-wie-rt-de-die-eu-sanktionen-umgeht/" target="_blank">Sophie Timmermann auf correctiv.org dargestellt</a>.)</p>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-91024546262849919252022-07-10T20:26:00.001+02:002022-07-13T09:40:02.381+02:00Wie der "Beamtenminister" versehentlich für die Ausschreibung der Präsidentin/des Präsidenten des BVwG zuständig wurde (und warum die Ausschreibung dennoch falsch ist)Veränderungen im Wirkungsbereich von Bundesministerien können rechtlich heikel sein, wie zuletzt bei der geplanten, demnächst wohl wirksam werdenden Verschiebung der Telekom-Angelegenheiten zum Finanzministerium zu sehen war (im Blog dazu <a href="https://blog.lehofer.at/2022/05/fernmeldeminister.html" target="_blank">hier</a>). Es kann nämlich auch sein, dass sich die Verwaltung im Dickicht der Änderungen einfach verheddert und damit Gefahr läuft, eine wichtige Personalentscheidung rechtlich angreifbar zu machen - wie ein aktuelles Beispiel zeigt.<p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhBI78_qSj-BdsTmC3Jl8MqKowT7QfJew534xOY0XjzK249-h5b7v7YyUGo35wvnVZhZxOZVg78LLjGdskwhkYRqVnfXb0engLKCC2_5fY2Mh8yp8kY7KUgJV0Q_wQ97bFZ8u0AVbFJobeYw0-xNVT1faqkF35kAQQzPGXvbDpnlEzZSnDhmA/s3614/_BVwGG1.jpg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="3614" data-original-width="2606" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhBI78_qSj-BdsTmC3Jl8MqKowT7QfJew534xOY0XjzK249-h5b7v7YyUGo35wvnVZhZxOZVg78LLjGdskwhkYRqVnfXb0engLKCC2_5fY2Mh8yp8kY7KUgJV0Q_wQ97bFZ8u0AVbFJobeYw0-xNVT1faqkF35kAQQzPGXvbDpnlEzZSnDhmA/s320/_BVwGG1.jpg" width="231" /></a></div>Gestern wurde <a href="https://www.wienerzeitung.at/amtsblatt/aktuelle_ausgabe/artikel/?id=4917092" target="_blank">im Amtsblatt zur Wiener Zeitung</a> die Funktion "der Präsidentin oder des Präsidenten beim Bundesverwaltungsgericht" ausgeschrieben. Auch abgesehen von der merkwürdigen Formulierung "<b><i>beim</i></b> Bundesverwaltungsgericht" (es geht um den/die Präsident:in <b><i>des</i></b> BVwG) ist die Ausschreibung in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.<p></p><h3 style="text-align: left;">1. Warum schreibt das BMKÖS aus?</h3>Ausgeschrieben wurde vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport (BMKÖS). Dieses ist, man glaubt es kaum, für die Ausschreibung tatsächlich zuständig, und zwar gemäß <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40230493/NOR40230493.html" rel="nofollow" target="_blank">§ 207 RStDG</a> (Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz). Diese Zuständigkeit ist allerdings die Folge eines Versehens im typischen Verwirrspiel bei Zuständigkeitsveränderungen nach einer Regierungsumbildung:<p>Mit der Novelle zum Bundesministeriengesetz (BMG), <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2017_I_164/BGBLA_2017_I_164.pdfsig" rel="nofollow" target="_blank">BGBl I 2017/164</a>, wurden einige Aufgabenbereiche der Ministerien neu geregelt. Unter anderem wurden damit "Allgemeine Personalangelegenheiten von öffentlich Bediensteten, soweit sie nicht in den
Wirkungsbereich des Bundesministeriums für Finanzen fallen", vom BKA in das damalige Bundesministerium für öffentlichen Dienst und Sport verschoben. </p><p>Und weil bei solchen Zuständigkeitsverschiebungen erfahrungsgemäß die Rechtsfolgen oft kaum überblickt werden, trifft <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40161089/NOR40161089.html" rel="nofollow" target="_blank">§ 17 BMG ("Zuständigkeitsänderungen")</a> Vorsorge:</p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"><i>"§ 17. Wenn auf Grund von Änderungen dieses Bundesgesetzes Änderungen im Wirkungsbereich der Bundesministerien vorgesehen sind, so gelten Zuständigkeitsvorschriften in besonderen Bundesgesetzen als entsprechend geändert."</i></p></blockquote><p>Das heißt: die Zuständigkeitsvorschriften gelten automatisch als geändert, eine formelle Anpassung ist nicht erforderlich. Wo - im konkreten Beispiel - zuvor "Bundeskanzler" stand, war danach, soweit es "Allgemeine Personalangelegenheiten" betraf, "Bundesminister für öffentlichen Dienst und Sport" zu lesen. </p><p>Auch wenn es also nicht notwendig wäre, erfolgen später - meist wenn ein Gesetz auch aus anderen Gründen geändert werden soll - oft "Anpassungen" der Ressortbezeichnung. So auch bei § 207 RStDG - und zwar mit der Dienstrechts-Novelle 2018,<a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2018_I_60/BGBLA_2018_I_60.pdfsig" rel="nofollow" target="_blank"> BGBl I 2018/60</a>. Ddie Erläuterungen (<a href="https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/I/I_00196/fname_698653.pdf" rel="nofollow" target="_blank">196 BlgNR 26, GP, S. 1-2</a>) fassen hier dutzende Änderungen in verschiedenen Gesetzen zusammen und bezeichnen dies ausdrücklich als "Anpassungen der Ressortbezeichnungen" aufgrund der BMG-Novelle BGBl I 2017/164. Mit einer weiteren "Anpassung" in der <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2020_I_153/BGBLA_2020_I_153.pdfsig" rel="nofollow" target="_blank">Dienstrechts-Novelle 2020</a> wurde in § 207 RStDG dann der BMöDS durch den BMKÖS ersetzt. </p><p><b>Aber:</b> der Bundeskanzler war in § 207 RStDG nicht deshalb genannt, weil die Ausschreibung der Präsident:innen-Funktion eine "Allgemeine Personalangelegenheit" wäre, sondern weil er für die "Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit Ausnahme der Angelegenheiten des Bundesfinanzgerichtes" zuständig war. Diese Angelegenheiten wiederum wurden mit der selben BMG-Novelle 2017, mit der die Allgemeinen Personalangelegenheiten zum BMöDS wanderten, dem Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz übertragen. Zum Zeitpunkt, als mit der Dienstrechts-Novelle 2018 in § 207 RStDG eine vermeintlich bloße Anpassung der Ressortbezeichnung vom BKA zum BMöDS erfolgte, war das BKA eigentlich gar nicht mehr für die dort geregelte Ausschreibung zuständig. </p><p>Die "Anpassung der Ressortbezeichnung" war daher sachlich falsch, aber sie ist Gesetz geworden und das BMKÖS daher aktuell für die Ausschreibung tatsächlich zuständig. </p><h3 style="text-align: left;">2. Wer ist in der Hearing-Kommission?</h3>Dass aufgrund einer eher versehentlich erfolgten Änderung des RStDG der BMKÖS statt der BMJ die Funktion auszuschreiben hat, ändert aber nichts an den im Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) vorgesehenen Regelungen über die Auswahl der Bewerber:innen, insbesondere auch über die Besetzung der Auswahlkommission. In <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40189054/NOR40189054.html" rel="nofollow" target="_blank">§ 2 Abs. 3 BVwGG</a> heißt es: <blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"><i>"Vor der Erstattung von Vorschlägen für die Stellen des Präsidenten und des Vizepräsidenten sind die Bewerber von einer Kommission bestehend aus einem Vertreter des Bundeskanzlers, einem weiteren Vertreter eines Bundesministeriums, zwei Vertretern der Wissenschaft mit akademischer Lehrbefugnis eines rechtswissenschaftlichen Faches an einer Universität sowie den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, des Verwaltungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes oder einer von diesen jeweils beauftragten Person zu einer Anhörung einzuladen. Die Kommission hat der Bundesregierung mindestens drei Bewerber zur Vorschlagserstattung zu empfehlen."</i></p></blockquote><p>Werfen wir nun einen Blick in die <a href="https://www.wienerzeitung.at/amtsblatt/aktuelle_ausgabe/artikel/?id=4917092" rel="nofollow" target="_blank">Ausschreibung des BMKÖS</a>. Dort heißt es: </p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"><i>"Das Auswahlverfahren sieht gemäß § 2 Abs. 3 BVwGG zur Vorbereitung der Beschlussfassung der Bundesregierung die Absolvierung einer mündlichen Anhörung (Hearing) vor einer Kommission vor, <b>die aus zwei Vertreterinnen oder Vertreter des Bundesministers für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport,</b> zwei Vertreterinnen oder Vertreter der Wissenschaft mit akademischer Lehrbefugnis eines rechtswissenschaftlichen Faches an einer Universität sowie dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, dem Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes und der Präsidentin des Obersten Gerichtshofes oder einer jeweils von diesen beauftragten Person, besteht." [Hervorhebung hinzugefügt]</i></p></blockquote><p><b>Eine derart besetzte Kommission wäre gesetzwidrig.</b> Denn in § 2 Abs. 3 BVwGG wurde der "Bundeskanzler" nicht durch den BMKÖS ersetzt - weder formell wie bei § 207 RStDG, noch im Wege einer automatischen Änderung nach § 17 BMG. Die früher vom Bundeskanzler wahrgenommenen "Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit" (mit Ausnahme des BFG) sind ja, wie schon oben geschrieben, 2017 dem BMVRDJ übertragen worden. Mit der BMG-Novelle 2020 sind die Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit teilweise vom früheren BMVRDJ (jetzt wieder BMJ) in das BKA zurückgewandert, allerdings "mit Ausnahme der organisatorischen Angelegenheiten". Für die organisatorischen Angelegenheiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit (mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts) ist also das BMJ zuständig. </p><p><b>Wo immer im BVwGG daher "Bundeskanzler" steht, ist derzeit"BMJ" zu lesen</b> (als Folge des § 17 BMG). Dies wird auch in der Praxis - die freilich, <a href="https://twitter.com/hplehofer/status/1544190747443855361" target="_blank">wie wir aktuell leider in anderem Zusammenhang erleben</a>, kein verlässlicher Anzeiger der Rechtmäßigkeit ist - so gehalten (siehe nur zum Beispiel <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2021_II_587/BGBLA_2021_II_587.pdfsig" rel="nofollow" target="_blank">diese Verordnung </a>der Justizministerin zur Änderung der zunächst vom Bundeskanzler erlassenen Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr beim BVwG).</p><p><b>Der Kommission hat also jedenfalls ein Vertreter bzw. eine Vertreterin der Bundesministerin für Justiz anzugehören.</b> </p><p><b>-----</b></p><p><i><b>Update 13.07.2022:</b> das BMKÖS hat im Amtsblatt zur Wiener Zeitung ein Erratum zur Ausschreibung veröffentlicht und darin die Kommissionszusammensetzung korrigiert:</i></p><p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjSaXDMW_gzixO68e1eZB9OfZ7TgdKl2xRahFNEpVwPEpDvVpjvPJHx6hp-wsnJ_huVPF3opR9OD_3A-dha6qsMPH3A_dIPhlcOFLp_ytr3o4poGnO5_ECXpxWr2zreFae9HPbpY1ze3mCLfGE6pTiF0AVvbT90OH2oiwUOMHpcVpVuxMaLvQ/s1024/FXhaODmWQAAUgTP.jpg" imageanchor="1" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="613" data-original-width="1024" height="240" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjSaXDMW_gzixO68e1eZB9OfZ7TgdKl2xRahFNEpVwPEpDvVpjvPJHx6hp-wsnJ_huVPF3opR9OD_3A-dha6qsMPH3A_dIPhlcOFLp_ytr3o4poGnO5_ECXpxWr2zreFae9HPbpY1ze3mCLfGE6pTiF0AVvbT90OH2oiwUOMHpcVpVuxMaLvQ/w400-h240/FXhaODmWQAAUgTP.jpg" width="400" /></a></div><br /><b>-----<br /></b><p></p><p>Der/die weitere Vertreter:in eines Bundesministeriums ist auch nicht zwingend jemand vom BMKÖS. Dass es diese zweite Person gibt, ist eine klassische Folge des Koalitionsdenkens, und in der Praxis ist klar, was damit gemeint ist: jemand aus einem "andersfarbigen Ressort". Die Erläuterungen (<a href="https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/I/I_02008/fname_275954.pdf" rel="nofollow" target="_blank">RV 2008 BlgNR 24-GP, S. 3</a>) verbrämen das nur unzureichend: </p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"><i>"Der gemäß Abs. 5 neben dem Vertreter des Bundeskanzlers [nun: der Bundesministerin für Justiz] in die Kommission entsandte weitere Ressortvertreter soll die Expertise der Ressorts in die Kommission einbringen. Er wird in Abstimmung der Ressorts zu bestimmen sein."</i></p></blockquote><div>Interessant ist, dass es kein formalisiertes Procedere für die Auswahl jenes Ressorts gibt, von dem diese:r weitere Regierungsvertreter:in in der Auswahlkommission bestimmt werden soll. Die Erläuterungen erwarten nur eine "Abstimmung der Ressorts" - auch das weist darauf hin, dass es ein Koalitionsthema ist. Immerhin ist der endgültige Bestellungsvorschlag an den Bundespräsidenten von der Bundesregierung zu beschließen, bedarf also der Einstimmigkeit. Da wird man sich wohl auch zuvor über die Kommissionszusammensetzung einigen müssen. </div><div><br /></div><div>Theoretisch könnte der/die weitere Vertreter:in eines Bundesministeriums also durchaus vom BMKÖS kommen. Da dieses aber vom selben Koalitionspartner wie das BMJ geführt wird, wäre es doch überraschend, wenn zwei von grünen Minister:innen nominierte Vertreter:innen in der Auswahlkommission sitzen würden - noch dazu wo <a href="https://i.ds.at/E4q3GA/rs:fill:1600:0/plain/2022/01/28/sidegruen.png" target="_blank">im bekannten Sideletter</a> zum BVwG steht: "Präsident (2022): Nominierungsrecht ÖVP". Möglich wäre freilich auch, dass man sich auf Regierungsebene auf die konkreten Personen einigt, die als Ressortvertreter:innen in die Kommission entsandt werden, und diese müssen nicht die gleiche politische "Farbe" wie die Ministerin/der Minister haben. </div><div><br /></div><div>Die Kommission besteht weiters aus den drei Höchstgerichtspräsident:innen (oder deren Vertreter:innen) und zwei Vertreter:innen der Wissenschaft. Wer letztere auswählt, wird im Gesetz nicht geregelt, auch hier kann man also erwarten, dass es einen Konsens in der Bundesregierung geben muss - und dementsprechend werden wohl schnell Überlegungen zur koalitionären Zuordenbarkeit der Wissenschafter:innen angestellt werden. </div><div><br /></div><div>Eine Beteiligung der kollegialen Justizverwaltung - also etwa des Personalsenates - am Bestellungsvorgang ist im Gesetz übrigens nicht vorgesehen. Für die Bestellung von Präsident:in und Vizepräsident:innen des OGH war zuletzt eine derartige Einbindung <a href="https://www.derstandard.at/story/2000135416135/geplante-reform-fuer-bestellungen-am-obersten-gerichtshof-zwischen-letzter-luecke" rel="nofollow" target="_blank">von der Justizministerin vorgeschlagen worden</a> (fand bislang allerdings nicht den Weg ins Gesetz); für das ebenfalls zur Justizministerin ressortierende BVwG gab es bisher nicht einmal einen Vorschlag des Ressorts. </div><p></p><h3 style="text-align: left;">3. Wer wird es werden?</h3>Ich habe keine Ahnung, und ich vertraue natürlich auf ein sachliches Auswahlverfahren. Wir wissen zudem nicht, wer sich bewerben wird. Der Vizepräsident des BVwG hat sich zwischenzeitig<a href="https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2153780-Kocher-will-Bestellung-rechtlich-pruefen-lassen.html" rel="nofollow" target="_blank"> nach einem anderen Job umgeschaut</a>, aber vielleicht wird er sich dann doch auch für die Funktion des Präsidenten bewerben. Ansonsten fällt auf, dass die Ausschreibung eine tatsächliche Praxis als Richter:in nicht ausdrücklich verlangt. Das in der Ausschreibung genannte Erfordernis <i>"praktische Erfahrungen auf dem Gebiet gerichtlicher bzw. gerichtsförmiger Entscheidungsfindungsprozesse"</i> ließe allenfalls Spielraum, um zB, falls dies gewollt wäre, auch einen geprüften Richter, der nach der Richteramtsprüfung nie judiziert, sondern in der Verwaltung und/oder in Kabinetten gearbeitet hat, in die Auswahl mit einzubeziehen.Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-73964763383763747732022-06-09T22:48:00.015+02:002023-01-30T16:57:15.633+01:00Kurzes Update zu den Sanktionen gegen russische Staatsmedien<p>Ich habe im März einen <a href="https://blog.lehofer.at/2022/03/uberwachen-blocken-delisten.html" target="_blank">längeren Blog-Beitrag</a> zu den EU-Sanktionen betreffend RT und Sputnik geschrieben (eine gekürzte Fassung gibt es <a href="https://verfassungsblog.de/uberwachen-blocken-delisten/" rel="nofollow" target="_blank">hier auf dem Verfassungsblog</a>). Seither ist einiges geschehen, das ich zunächst in Nachträgen/Updates <a href="https://blog.lehofer.at/2022/03/uberwachen-blocken-delisten.html" target="_blank">bei meinem ursprünglichen Beitrag</a> verarbeitet habe - nun schien es mir aber doch an der Zeit, die aktuellen Entwicklungen gesondert kurz darzustellen.</p><h3 style="text-align: left;">Nichtigkeitsklagen gegen die RT/Sputnik-Sanktionen vom 1. März 2022:</h3><p>Die Sanktionen gegen RT und Sputnik sind mittlerweile Gegenstand von Nichtigkeitsklagen vor dem EuG, eingebracht einerseits durch RT France (<a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&jur=C%2CT%2CF&num=t-125/22&parties=&dates=error&docnodecision=docnodecision&allcommjo=allcommjo&affint=affint&affclose=affclose&alldocrec=alldocrec&docdecision=docdecision&docor=docor&docav=docav&docsom=docsom&docinf=docinf&alldocnorec=alldocnorec&docnoor=docnoor&docppoag=docppoag&radtypeord=on&newform=newform&docj=docj&docop=docop&docnoj=docnoj&typeord=ALL&domaine=&mots=&resmax=100&Submit=Rechercher" rel="nofollow" target="_blank">T-125/22 RT France/Rat</a>) und andererseits von niederländischen ISPs (<a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?oqp=&for=&mat=or&lgrec=fr&jge=&td=%3BALL&jur=T&num=T-307%252F22&page=1&dates=&pcs=Oor&lg=&pro=&nat=or&cit=none%252CC%252CCJ%252CR%252C2008E%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252Ctrue%252Cfalse%252Cfalse&language=de&avg=&cid=1991259" rel="nofollow" target="_blank">T-307/22, A2B Connect u.a./Rat</a>). In der Rechtssache T-125/22 findet am 10. Juni 2022 bereits die mündliche Verhandlung statt, mit einer relativ zeitnahen Entscheidung ist zu rechnen (der Präsident des EuG hat <a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=256901&pageIndex=0&doclang=FR&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=6166033" rel="nofollow" target="_blank">in seiner - ablehnenden - Entscheidung über den einstweiligen Rechtsschutz</a> - siehe dazu auch die <a href="https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2022-03/cp220054fr.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Pressemitteilung des EuG</a> - bereits darauf hingewiesen, dass über die Klage "aufgrund der außergewöhnlichen Umstände" im beschleunigten Verfahren entschieden wird). [<b>Update</b>: zum Urteil des EuG vom 27.07.2022 in dieser Rechtssache siehe <a href="https://blog.lehofer.at/2022/07/EuG-RT.html">diesen Blogbeitrag</a>; das Rechtsmittel von RT France ist beim EuGH anhängig zu <a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?num=C-620/22&language=de" rel="nofollow" target="_blank">C-620/22 P</a>] Die Klage der niederländischen ISPs - die insofern interessanter ist, als darin auch und gerade die Frage der Freiheit des Zugangs zu Informationen thematisiert wird - kommt für eine Verbindung der beiden Verfahren damit zu spät. </p><h3>Erweiterung der Sanktionen gegen RT und Sputnik am 3. Juni 2022: Verbot der Werbung in Inhalten der sanktionierten Medien</h3><p>Mit dem Beschluss (GASP) 2022/884 des Rates vom 3. Juni 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32022D0884&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">ABl. L 153 vom 3.6.2022, S. 128</a>) sowie mit der darauf aufbauenden Verordnung (EU) 2022/879 des Rates vom 3. Juni 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32022R0879&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">ABl. L 153 vom 3.6.2022, S. 53</a>) hat der Rat die bereits bestehenden Sanktionen gegen RT und Sputnik noch erweitert. Verboten ist nun auch, in Inhalten, die von RT und Sputnik erstellt oder gesendet werden, für Produkte oder Dienstleistungen zu werben. </p><p>Dieses Verbot richtet sich an jedermann, betroffen davon werden neben den werbetreibenden Unternehmen selbst vor allem Agenturen bzw. Werbemittler sein. Bemerkenswert ist - abgesehen davon, dass auch hier wiederum nicht die Begrifflichkeiten aus der AVMD-Richtlinie ("kommerzielle Kommunikation") verwendet werden - dass nur Produkt- und Dienstleistungswerbung verboten wird, nicht aber zB Werbung für Ideen oder politische Werbung. Das Verbot erstreckt sich mit dem kryptischen letzten Halbsatz ("einschließlich durch Übertragung oder Verbreitung mittels der in Absatz 1 genannten Möglichkeiten.") auch auf Werbung, die mit der Übertragung oder Verbreitung etwa im Web verbunden ist; zu denken ist hier zB an Pre-Roll-Videos oder In-App-Werbung. </p><p>Diese neuen Sanktionen richten sich nach dem klaren Wortlaut der Norm gegen Werbung in allen "Inhalten, die von den in Anhang XV aufgeführten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen erstellt oder gesendet werden"; die Formulierung in Erwägungsgrund 14 zur Verordnung ("sofern die entsprechenden Rundfunklizenzen ausgesetzt wurden") ist insofern missverständlich, als es nicht darauf ankommt, dass konkrete Lizenzen ausgesetzt wurden; gemeint ist hier wohl schlicht, dass es um jene Einrichtungen geht, die in den Anhang XV aufgenommen wurden, wodurch ja automatisch (allfällige) Rundfunklizenzen und Genehmigungen ausgesetzt werden.</p><p>Verstöße gegen diese erweiterten Sanktionen müssen von den Mitgliedstaaten natürlich bestraft werden. Da in Österreich aber die aufgrund der Sanktionen vom 1. März 2022 neu geschaffenen <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2022_I_55/BGBLA_2022_I_55.pdfsig" rel="nofollow" target="_blank">Strafbestimmungen im AMD-G</a> auf bestimmte Diensteanbieter (Anbieter eines Kommunikationsdienstes, Hörfunkveranstalter und Video-Sharing-Plattformanbieter) beschränkt sind (abgesehen von wissentlichen Umgehungshandlungen), tut sich damit ein gewisser Bruch auf: wer Inhalte von RT und Sputnik verbreitet, muss von der KommAustria nach dem AMD-G verwaltungsstrafrechtlich verfolgt werden. Wer in diesen Programmen wirbt, unterliegt den Verwaltungsstrafbestimmungen des <a href="https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20006805" rel="nofollow" target="_blank">Sanktionengesetzes</a>, die von den Bezirksverwaltungsbehörden bzw. Landespolizeidirektionen vollzogen werden.</p><h3 style="text-align: left;">(Mögliche) Erweiterung der Sanktionen auf weitere russische Staatssender: </h3><p>Nach dem Europäischen Rat am 30./31. Mai 2022 <a href="https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/statement_22_3382" rel="nofollow" target="_blank">hat Kommissionspräsidentin von der Leyen verkündet</a>, dass auch "die Aussetzung der Sendetätigkeiten von drei weiteren russischen Staatsmedien in der EU" Teil des beschlossenen Sanktionenpakets sei. Mit den oben bereits genannten Rechtsakten vom 3. Juni 2022 (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32022D0884&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">Beschluss (GASP) 2022/884</a> und <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32022R0879&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">Verordnung (EU) 2022/879</a>) wurden dann die davon betroffenen Medien genannt; es handelt sich dabei um </p><p></p><ul style="text-align: left;"><li>Rossiya RTR / RTR Planeta </li><li>Rossiya 24 / Russia 24 </li><li>TV Centre International</li></ul><p></p><p>Allerdings trat die Erweiterung dieser Sanktionen auf die nun genannten weiteren Medien (durch Erweiterung der jeweiligen Anhänge zu den Rechtsakten) nicht sofort in Kraft, sondern es bedarf noch eines Durchführungsrechtsakts des Rates. Geregelt ist dies in Art. 1 Z 21 der <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32022R0879&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">VO (EU) 2022/879</a> folgendermaßen:</p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"><i>"Diese Nummer gilt in Bezug auf eine oder mehrere der in Anhang VI der vorliegenden Verordnung aufgeführten Organisationen ab dem 25. Juni 2022, sofern der Rat nach Prüfung der betreffenden Fälle dies im Wege eines Durchführungsrechtsakts beschließt."</i></p></blockquote><p>Das bedeutet, dass der Rat bis spätestens 25. Juni 2022 entscheiden muss, ob die genannten Staatsmedien tatsächlich von den Sanktionen betroffen sein sollen. Diese Verzögerung könnte meines Erachtens auch damit zu tun haben, dass den Betroffenen Medien noch eine Chance zur Verteidigung eingeräumt wird - dazu wurde auch eine entsprechende <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv%3AOJ.CI.2022.219.01.0005.01.DEU&toc=OJ%3AC%3A2022%3A219I%3ATOC" rel="nofollow" target="_blank">Mitteilung im Amtsblatt veröffentlicht</a>, wonach diese Einrichtungen Informationen in Bezug auf ihre Aufnahme in die Liste der sanktionierten Medien vom Generalsekretariat des Rates erhalten können. </p><p>Sollte der Rat den Durchführungsrechtsakt vor dem 25. Juni 2022 beschließen, würden für die neu betroffenen Medien die gleichen Sanktionsregeln gelten, wie sie bereits derzeit für RT und Sputnik maßgeblich sind. </p><p><b>Update 24.06.2022</b>: der Rat hat am 24. Juni 2022 den <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32022D0995&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">Beschluss (GASP) 2022/995</a> über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, getroffen und die <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32022R0994&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">Durchführungsverordnung (EU) 2022/994</a> beschlossen; beide wurden am selben Tag <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=OJ:L:2022:167I:TOC" rel="nofollow" target="_blank">im Amtsblatt kundgemacht</a>. Damit treten die Sanktionen auch gegen Rossiya RTR / RTR Planeta, Rossiya 24 / Russia 24 und TV Centre International am 25. Juni 2022 in Kraft. </p><p>[<b>Update 30.01.2023:</b> zu den am 1. Februar 2023 in Kraft tretenden Sanktionen gegen weitere Medien siehe <a href="https://blog.lehofer.at/2023/01/sanktionen-update2.html" target="_blank">im Blog hier</a>.]</p><h3 style="text-align: left;">Weitere Sanktionen gegen Medienunternehmen und Medienverantwortliche</h3><p>Die Sanktionen betreffend RT und Sputnik (sowie - wahrscheinlich - ab 25. Juni 2022 betreffend Rossiya RTR / RTR Planeta, Rossiya 24 / Russia 24 und TV Centre International) richten sich gegen die Verbreitung von Inhalten dieser Medien in der EU. Sie haben damit - worauf ich schon <a href="https://blog.lehofer.at/2022/03/uberwachen-blocken-delisten.html" rel="nofollow" target="_blank">in meinem früheren Blogpost</a> hingewiesen habe - eine andere Stoßrichtung als die bisherigen "klassischen" restriktiven Maßnahmen gegenüber Unternehmen oder Personen, mit denen - etwas vereinfacht gesagt - die Finanzkraft und Bewegungsfreiheit dieser Unternehmen und Personen getroffen werden soll. Der Grund für solche "klassischen" Sanktionen liegt in der Beteiligung dieser Personen an jenen Handlungen, die Auslöser für die Verhängung von Sanktionen waren (oder an der ihnen zukommenden Verantwortung). Betroffen sind davon allerdings auch einzelne Medienunternehmen und Medienverantwortliche. </p><p>So wurde im jüngsten Sanktionenpaket zum Beispiel auch Белтэлерадыёкампанiя (Belteleradio Company, das nationale staatliche Fernseh- und Hörfunkunternehmen der Republik Belarus) auf die Sanktionenliste gesetzt (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv%3AOJ.L_.2022.153.01.0001.01.DEU&toc=OJ%3AL%3A2022%3A153%3ATOC" rel="nofollow" target="_blank">Durchführungsverordnung (EU) 2022/876</a>). Dieses Unternehmen kann damit zB keine Konten in der EU mehr eröffnen, die Verbreitung von Sendungen dieses Unternehmens innerhalb der EU ist damit aber nicht untersagt. Grund für die Aufnahme in die Sanktionenliste ist auch nicht das Verbreiten von Desinformation in der EU, sondern die Entlassung protestierender Mitarbeiter, die durch russische Medienmitarbeiter ersetzt. wurden, sodass dieses Unternehmen daher "für Repressionen gegen die Zivilgesellschaft verantwortlich" ist. </p><p>Ebenfalls mit dem jüngsten Sanktionenpaket wurden zB auch Alina Maratovna Kabaeva (Vorsitzende des Vorstands der russischen Nationalen Mediengruppe, die "in enger Verbindung mit Präsident Vladimir Putin" steht) und Arkady Yurievich Volozh (Gründer und Vorstandsvorsitzender von Yandex, der größter russischer ISP ist und die beliebteste russische Suchmaschine anbietet) neu auf die Sanktionenliste gesetzt. Auch Andrei Yurievich Lipov, Chef von Roskomnadzor (Föderaler Dienst für die Überwachung der Kommunikation, der Informationstechnologie und der Massenmedien, der vor allem auch für Websperren zuständig ist), wurde auf die Sanktionenliste gesetzt (alle mit <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv%3AOJ.L_.2022.153.01.0015.01.DEU&toc=OJ%3AL%3A2022%3A153%3ATOC" rel="nofollow" target="_blank">Durchführungsverordnung (EU) 2022/878</a>). </p>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-68768214836998419372022-05-21T17:22:00.009+02:002022-07-18T07:35:33.286+02:00Finanz- und Fernmeldeminister: wie geht das zuammen?<p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjTLFHRWUBMMHzw3-aoIvAyFp6epCouRjIpnQ_cdqjJuDYTHP2eDv5fmWbrMEfFBRNkskn0cC51uYJcHuUZmRTjOETQUHSlhiq68WjYIqla6s1qSzm6SoM_AYsLCTkHStuNkDVP9CiQiMdp5nhIATWvB5UqOwQM9YAqNxgPOHIeoWX0psv1DA/s2548/_brunner.jpg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="2548" data-original-width="1819" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjTLFHRWUBMMHzw3-aoIvAyFp6epCouRjIpnQ_cdqjJuDYTHP2eDv5fmWbrMEfFBRNkskn0cC51uYJcHuUZmRTjOETQUHSlhiq68WjYIqla6s1qSzm6SoM_AYsLCTkHStuNkDVP9CiQiMdp5nhIATWvB5UqOwQM9YAqNxgPOHIeoWX0psv1DA/s320/_brunner.jpg" width="228" /></a></div>Art. 6 des <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A32018L1972" rel="nofollow" target="_blank">europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (EKEK)</a> verlangt die "Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden und anderen zuständigen Behörden". Dazu müssen die Mitgliedstaaten <i>"die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden und anderen zuständigen Behörden gewährleisten, indem sie dafür sorgen, dass sie rechtlich und funktional von jeder natürlichen oder juristischen Person unabhängig sind, die elektronische Kommunikationsnetze, -geräte oder -dienste anbietet. Wenn Mitgliedstaaten weiterhin an Unternehmen, die elektronische Kommunikationsnetze oder -dienste anbieten, beteiligt sind oder diese kontrollieren, müssen sie eine wirksame strukturelle Trennung der hoheitlichen Funktion von Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Eigentum oder der Kontrolle sicherstellen."</i><p></p><p><br /></p><p>Mit anderen Worten: wenn der Mitgliedstaat an Telekomunternehmen beteiligt ist, muss es eine wirksame strukturelle Trennung geben zwischen </p><p></p><ul style="text-align: left;"><li>den hoheitlichen Funktionen (das betrifft alle Aufgaben, die nach dem Kodex von den Regulierungsbehörden und anderen zuständigen Behörden wahrzunehmen sind) und</li><li>der Ausübung der (Mit-)Eigentümerfunktion an Telekom-Unternehmen.</li></ul><h3 style="text-align: left;">Finanz- und Fernmeldeminister</h3><p>Nun ist geplant, dem Bundesminister für Finanzen mit einer Novelle zum Bundesministeriengesetz (<a href="https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/A/A_02597/imfname_1446894.pdf" target="_blank">Initiativantrag 2597/A 27. GP</a>) auch die Aufgaben der "Regulierung des Post- und Telekommunikationswesens" zu übertragen, was ihn zur Fernmeldebehörde im Sinne des Telekommunikationsgesetzes 2021 und damit zu einer "anderen zuständigen Behörde" im Sinne des EKEK (und im Übrigen auch zur Obersten Postbehörde nach dem Postmarktgesetz) macht. Dieser Initiativantrag steht auf der <a href="https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/A-VF/A-VF_00001_00900/TO_14593762.html" target="_blank">Tagesordnung des Verfassungsausschusses für den 30. Mai 2022</a>. [Update 11.07.2022: wegen eines Formalfehlers musste ein <a href="https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/A/A_02683/fname_1458377.pdf" rel="nofollow" target="_blank">neuer Initiativantrag</a> eingebracht werden, der am 8. Juli 2022 im Nationalrat beschlossen wurde und auf der Tagesordnung des Bundesrates am 13. Juli 2022 steht]</p><p>Wenn der Bundesminister für Finanzen daher Fernmeldebehörde wird, kann er nicht zugleich Tätigkeiten "im Zusammenhang mit dem Eigentum" an Telekom-Unternehmen ausüben. </p><h3 style="text-align: left;">Finanz- und Beteiligungsminister </h3>Nun ist aber die Republik Österreich - im Wege der zu 100 % im Bundeseigentum stehenden <a href="https://www.oebag.gv.at/" target="_blank">Österreichischen Beteiligungs AG (ÖBAG)</a> mit einer Sperrminorität <a href="https://www.oebag.gv.at/organisation/portfolio/portfolio-detail-a1/" target="_blank">von 28,42 %</a> an der Telekom Austria AG, die elektronische Kommunikationsnetze und -dienste anbietet, beteiligt. Im vergangenen Jahr ist aus dieser Beteiligung eine <a href="https://www.oebag.gv.at/organisation/portfolio/portfolio-detail-a1/" target="_blank">Dividende von 47,2 Mio. €</a> an den Bund geflossen. <p></p><p>Die Aufgaben der ÖBAG sind gesetzlich geregelt (übrigens in einem Gesetz, das immer noch <a href="https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20000660" target="_blank">ÖIAG-Gesetz</a> heißt, obwohl das Unternehmen zwischenzeitig zur ÖBIB und nun zur ÖBAG wurde). Nach diesen Gesetz werden die Eigentümerrechte des Bundes in der Hauptversammlung durch den Bundesminister für Finanzen ausgeübt (§ 2 ÖIAG-Gesetz). Die ÖBAG hat (unter anderem) "auf eine Werterhaltung und Wertsteigerung der Beteiligungsgesellschaften Bedacht zu nehmen" (§ 7 Abs. 1 ÖIAG-Gesetz). Alleinvorstand der ÖBAG ist Edith Hlawati, die zugleich auch Aufsichtsratsvorsitzende der Telekom Austria AG ist (sie war auch zuvor schon lange Zeit Aufsichtsratsmitglied der Telekom Austria, was sie allerdings nicht daran gehindert hat, zugleich auch langjährige Rechtsvertreterin dieses Unternehmens zu sein; siehe dazu zB <a href="https://industriemagazin.at/artikel/telekom-aufsichtsrat-edith-hlawati-stolpert-ueber-doppelrolle/" target="_blank">hier</a>).</p><h3 style="text-align: left;">Auswege aus der Unvereinbarkeit?</h3><p>Wie kann man diese evidente Unvereinbarkeit der Wahrnehmung fernmeldebehördlicher Aufgaben durch den Finanzminister einerseits und seiner Rolle in der Beteiligungsverwaltung andererseits auflösen? </p><p>Die einfache Antwort wäre: diese Unvereinbarkeit gar nicht erst zu begründen. Bis jetzt habe ich keine nachvollziehbare Begründung gehört, weshalb die Aufgaben der Telekom- und Post-Regulierung dem Finanzminister übertragen werden sollten. Bei der letzten Zuständigkeitsveränderung - als diese Aufgaben dem Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus übertragen wurden - <a href="https://orf.at/stories/3150103/" target="_blank">hieß es wenigstens noch</a>, diese Bereiche seien <i>„für die Zukunft der Regionalentwicklung entscheidend“, </i>wie glaubwürdig das auch immer gewesen sein mag. Nun macht man sich offenbar nicht einmal mehr die Mühe, irgendeine noch so fadenscheinige Begründung für diesen Wechsel zu geben (falls ich es übersehen habe, bitte um Mitteilung). Wenn diese Aufgaben aus koalitionspolitischen Gründen schon nicht an ihren "angestammten" Platz ins Verkehrsressort zurückkönnen, so wäre eine Zuordnung zum (zukünftigen) Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft zumindest sachnäher als zum Finanzminister. </p><p><b>a) Reduktion der hoheitlichen Funktion?</b></p><p>Nachdem man sich des Problems im BMF <a href="https://www.derstandard.at/story/2000135685860/stolpersteine-beim-ministeriumsumbau" target="_blank">bewusst geworden war</a> (mag sein, dass ich mit <a href="https://twitter.com/hplehofer/status/1524035674311118848" rel="nofollow" target="_blank">einigen</a> <a href="https://twitter.com/hplehofer/status/1523968702227623936" rel="nofollow" target="_blank">Tweets</a> dazu beigetragen habe), wurde, wie man hört, zunächst überlegt, zwar bei der Übertragung der Telekom- und Post-Agenden auf den Finanzminister zu bleiben, zugleich aber eine Überarbeitung des TKG und PMG vorzunehmen, so dass dem Finanzminister möglichst wenig Ingerenz auf die Regulierungsbehörden zukommen würde und auch seine sonstigen Aufgaben in diesem Bereich in wesentlichen Teilen der Regulierungsbehörde übertragen würden. </p><p>Das kann das Problem allerdings nicht wirklich lösen. Zum einen muss noch eine bestimmte Mindestkompetenz (und sei es nur mehr das Aufsichts- und Unterrichtungsrecht gegenüber der Regulierungsbehörde nach <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40139661/NOR40139661.html" rel="nofollow" target="_blank">Art. 20 Abs. 2 B-VG</a>) beim Bundesminister verbleiben, und zum anderen könnte bei einer weitergehenden Auslagerung von Aufgaben an die Regulierungsbehörde die in der <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_10039686_94B02113_00/JFT_10039686_94B02113_00.html" rel="nofollow" target="_blank">Austro-Control-Rechtsprechung des VfGH</a> gezogene Grenze bald erreicht sein. Das ist übrigens keine bloße Theorie: so hat der VfGH noch zum TKG 2003 festgehalten, dass dort "im Hinblick auf die zahlreichen Bestimmungen im TKG 2003, die die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie zur Erlassung von Verordnungen ermächtigen", vor dem Hintergrund der Austro-Control-Rechtsprechung <i>"gegen die - bloß vereinzelt vorgenommene - Übertragung von hoheitlichen Befugnissen [an die RTR GmbH], wie etwa auch die zur Erlassung der TKMV [Telekommunikationsmärkteverordnung], keine Bedenken"</i> bestehen (<a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_09889776_10V00062_00/JFT_09889776_10V00062_00.html" rel="nofollow" target="_blank">VfSlg 19307/2011</a>). Mit dem TKG 2021 sind mittlerweile weitere Aufgaben an die Regulierungsbehörde übertragen worden; ein noch weiter gehendes "Aushöhlen" der Kompetenzen des zuständigen Ministeriums schiene mir vor dem Hintergrund dieser Entscheidung des VfGH nicht mehr vertretbar. </p><p><b>b) Aufgeben der Eigentümerrolle</b></p><p>Wenn man aber die hoheitlichen Funktionen nicht wegbekommt, könnte man natürlich am anderen Hebel ansetzen: den "Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Eigentum". Diese Lösung hatte ich zunächst nicht auf dem Radar, da es mir unvorstellbar schien, dass der Finanzminister eine seiner Kernaufgaben, die Angelegenheiten des Bundesvermögens, so weit einschränken würde, dass er auf wesentliche staatliche Beteiligungen (Telekom Austria AG und Österreichische Post AG) keinen Einfluss mehr nehmen könnte. </p><p>Aber genau diesen Weg versucht der Initiativantrag nun offenbar zu gehen. Notwendig wäre dazu, dass der Bundesminister für Finanzen keinen Einfluss auf die Verwaltung der Beteiligung an der Telekom Austria AG und der Österreichischen Post AG mehr ausüben kann. Der <a href="https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/A/A_02597/imfname_1446894.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Initiativantrag</a> [Update 30.5.2022: der Antrag wurde <a href="https://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2022/PK0582/index.shtml" rel="nofollow" target="_blank">heute vom Verfassungsausschuss des Nationalrates angenommen</a>] ist da allerdings zurückhaltend. Demnach soll in § 2 ÖIAG-Gesetz bloß folgender Satz angefügt werden: </p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"><i>"Soweit ein Tagesordnungspunkt der Hauptversammlung eine Angelegenheit eines Beteiligungsunternehmens betrifft, die der behördlichen Aufsicht oder Kontrolle des Bundesministers für Finanzen unterliegt, obliegt die Ausübung der Eigentümerrechte des Bundes dem Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft."</i></p></blockquote><p>Die Begründung des Antrags legt allerdings ein etwas weiteres Verständnis nahe, da sie - um die gebotene strukturelle Trennung zu wahren und Interessenskonflikte zwischen Eigentümerstellung und behördlicher Tätigkeit generell zu vermeiden - davon ausgeht, dass durch die vorgeschlagene Änderung <i>"die Wahrnehmung der Eigentümerrechte in derartigen Konfliktfällen generell dem Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft übertragen"</i> werde. Der Text der vorgeschlagenen Änderung stellt allerdings nur auf einzelne Angelegenheiten ab, die der behördlichen Aufsicht oder Kontrolle des BMF unterliegen, wenn gerade diese Angelegenheiten Gegenstand der Hauptversammlung sind.</p><p>Ich bin nicht sicher, ob das überzeugend ist. Ich bin nicht vertraut mit den Hauptversammlungs-Tagesordnungen der ÖBAG, und die Informationspolitik der ÖBAG auf ihrer Website ist schlichtweg katastrophal (dort ist nicht einmal die Satzung zu finden, geschweige denn sonstige relevante Informationen; kritisch zur Website der ÖBAG <a href="https://www.wienerzeitung.at/meinung/gastkommentare/2069448-Die-Oebag-ist-wichtiger-als-Thomas-Schmid.html" rel="nofollow" target="_blank">hat sich auch schon Wilhelm Rasinger geäußert)</a>. Ich kann daher nicht beurteilen, wie "granular" die Angelegenheiten der Beteiligungsunternehmen dort verhandelt werden.</p><p>Aber generell ist es schwer denkbar, dass eine Alleinvorständin der ÖBAG, die zugleich Aufsichtsratsvorsitzende der Telekom Austria AG ist, in ihren Handlungen völlig unbeeindruckt von den Interessen des Finanzministers sein kann, der den Eigentümer Bund in der Hauptversammlung sonst vertritt (und diese Rolle eben nur punktuell, für einzelne Angelegenheiten, an den Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft abgeben soll).</p><p><b>Vor allem aber kommt es darauf an, dass eine derartige Trennung auch tatsächlich gelebt wird</b>. Ich weiß nicht, welche Botschaft der Herr Bundesminister für Finanzen - vor dem Hintergrund der ihm wohl auch bekannten Diskussion über die beabsichtigte Änderung des Bundesministeriengesetzes - damit aussenden wollte, dass er sich gerade <a href="https://kurier.at/wirtschaft/finanzminister-brunner-kein-ausverkauf-von-wichtiger-infrastruktur/402015309" rel="nofollow" target="_blank">heute in einem ganzseitigen Interview im Kurier</a> zu Detailfragen der Unternehmenspolitik der Telekom Austria AG zu Wort gemeldet hat, und zwar zu Fragen, die durchaus regulatorische Fragestellungen berühren können. Aber die ausdrücklich so formulierte Botschaft "wir dürfen nicht weniger Einfluss haben als jetzt" klingt jedenfalls nicht gerade danach, als hätter er sich schon damit abgefunden, in Zukunft keinen Einfluss mehr nehmen zu dürfen.</p><p><b>PS:</b> falls jemand nach dem <b>Staatssekretär </b>fragt, der dem Bundesminister für Finanzen beigegeben wurde und den er voraussichtlich mit der Besorgung dieser Aufgaben betrauen wird - der ändert gar nichts. Der Bundesminister kann den Staatssekretär zwar nach <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40180897/NOR40180897.html" rel="nofollow" target="_blank">Art. 78 Abs. 3 B-VG</a> "auch mit der Besorgung bestimmter Aufgaben betrauen." Er bleibt dem Minister aber "auch bei Erfüllung dieser Aufgaben unterstellt und an seine Weisungen gebunden." Fernmeldebehörde wird also nicht der Staatssekretär, sondern der Bundesminister für Finanzen. Die Betrauung des Staatssekretärs mit den Telekom- und Post-Agenden kann daher jedenfalls keine "wirksame strukturelle Trennung" im Sinne des EKEK bewirken.</p><p><b>PPS (ergänzt am 22.05.2022):</b> die mangelnde wirksame strukturelle Trennung wäre unionsrechtlich eine Vertragsverletzung, die von der EU-Kommission zum Anlass für ein Vertragsverletzungsverfahren genommen werden könnte. Noch während der Geltung der Vorgängerbestimmung zu Art. 6 EKEK, nämlich Art. 3 der Richtlinie 2002/21, hat die Kommission ein solches Verfahren einmal bis zum EuGH gebracht (<a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&jur=C%2CT%2CF&num=C-493/13&parties=&dates=error&docnodecision=docnodecision&allcommjo=allcommjo&affint=affint&affclose=affclose&alldocrec=alldocrec&docdecision=docdecision&docor=docor&docav=docav&docsom=docsom&docinf=docinf&alldocnorec=alldocnorec&docnoor=docnoor&docppoag=docppoag&radtypeord=on&newform=newform&docj=docj&docop=docop&docnoj=docnoj&typeord=ALL&domaine=&mots=&resmax=100&Submit=Rechercher" rel="nofollow" target="_blank">Rechtssache C-493/13</a>), und zwar gegen Estland, wo das Ministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten und Kommunikation einige behördliche Aufgaben im Telekombereich (insbesondere bei der Verwaltung des Frequenzspektrums) hatte und zugleich die Kontrolle über einen Rundfunknetz-Betreiber ausübte (siehe dazu auch <a href="https://www.ebu.ch/news/2013/05/commission-refers-estonia-to-eu" rel="nofollow" target="_blank">hier</a>). Die Klage wurde nach einer Änderung der estnischen Rechtsvorschriften zurückgenommen, sodass es nicht zu einem EuGH-Urteil gekommen ist. Eine mangelnde wirksame strukturelle Trennung und damit eine mangelnde Unabhängigkeit der Behörde(n) kann auch dazu führen, dass Entscheidungen dieser Behörde wegen Unzuständigkeit rechtswidrig sind (vergleiche zur Energieregulierungsbehörde das <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vwgh/JWT_2013040108_20141215X00/JWT_2013040108_20141215X00.html" rel="nofollow" target="_blank">Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 15.12.2014, 2013/04/0108</a>).</p><p><b>Update 18.07.2022:</b> heute ist die <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2022_I_98/BGBLA_2022_I_98.pdfsig" target="_blank">gestern kundgemachte Novelle zum Bundesministeriengesetz, BGBl I 2022/98</a>, mit der der Finanzminister (unter anderem) auch Fernmeldeminister geworden ist, in Kraft getreten. </p>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-90785108569750923732022-04-29T14:32:00.026+02:002022-07-04T16:09:30.974+02:00ORF-Publikumsrat: Gremium mit beschränkter Repräsentativität <div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhj2WSbC-npTx5fUx86CUbiJS8615FTHbcqZ3A_FQSnQwjACW_qkTq-N5j2Y6-RfB7omT2qlu7ehPBEDWjIEwOM3bT3CuixfYHbzfNYC8O1HTUibKWLXxT58icSln0SmdqQyB00fWCASR4HK5meli37AHhTMuSUzZ1bGZDPacH5IDYty8TOgw/s1771/IMG_20220427_081117__01__01.jpg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img alt="Faksimile der Bekanntmachung der eingelangten Vorschläge" border="0" data-original-height="1771" data-original-width="1649" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhj2WSbC-npTx5fUx86CUbiJS8615FTHbcqZ3A_FQSnQwjACW_qkTq-N5j2Y6-RfB7omT2qlu7ehPBEDWjIEwOM3bT3CuixfYHbzfNYC8O1HTUibKWLXxT58icSln0SmdqQyB00fWCASR4HK5meli37AHhTMuSUzZ1bGZDPacH5IDYty8TOgw/w298-h320/IMG_20220427_081117__01__01.jpg" width="298" /></a></div><p><a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Markus_Hengstschl%C3%A4ger" target="_blank">Markus Hengstschläger</a> ist sicher ein ganz ausgezeichneter Wissenschaftler. Auch <a href="https://www.wu.ac.at/npo/team/mm" target="_blank">Michael Meyer</a> ist ein bestens ausgewiesener Universitätsprofessor (in einem ganz anderen Fachbereich). Hengstschläger und Meyer haben zwei Dinge gemein: </p><p>Erstens, sie sind jetzt Mitglied des ORF-Publikumsrats. </p><p>Und zweitens: sie sollten es nicht sein. </p><p>Warum das so ist, hat nichts mit ihrer Person zu tun, sondern mit dem gesetzlich vorgesehenen Prozess, wie Mitglieder des Publikumsrates ausgewählt werden (sollten). Ich habe dazu schon zwei Threads auf Twitter geschrieben (zunächst <a href="https://twitter.com/hplehofer/status/1519208998393851905" rel="nofollow" target="_blank">diesen</a>, dann <a href="https://twitter.com/hplehofer/status/1519382255986171906" rel="nofollow" target="_blank">jenen</a>); hier folgt nun ein etwas ausführlicheres "Erklärstück". </p><p>Der ORF-Publikumsrat ist eines von den <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40119461/NOR40119461.html" rel="nofollow" target="_blank">drei gesetzlich vorgesehenen Organen des Österreichischen Rundfunks</a> (neben Stiftungsrat und Generaldirektor). Während der Generaldirektor - im Wesentlichen wie der Vorstand einer Aktiengesellschaft - das Unternehmen unter eigener Verantwortung leitet (<a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40019610/NOR40019610.html" rel="nofollow" target="_blank">§ 22 Abs . 3 ORF-G</a>) und der Stiftungsrat - im Wesentlichen wie der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft - den Generaldirektor bestellt, dessen Geschäftsführung überwacht und bei besonders weitreichenden Entscheidungen zwingend eingebunden ist (dazu näher <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40136843/NOR40136843.html" rel="nofollow" target="_blank">§ 21 ORF-G</a>), dient der Publikumsrat - ein Gremium, für das es im klassischen Gesellschaftsrecht keine Entsprechung gibt - der "Wahrung der Interessen der Hörer und Seher" (<a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40195883/NOR40195883.html" rel="nofollow" target="_blank">§ 28 ORF-G</a>). </p><p>Das wirft viele Fragen auf, über die man aus kommunikationswissenschaftlicher wie auch medienpolitischer Sicht lange und kontrovers diskutieren kann - vor allem natürlich, wie man denn die recht unterschiedlichen "Interessen der Hörer und Seher" bestimmen, irgendwie aggregieren und schließlich in den Entscheidungsprozess des öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmens einbringen kann. </p><p>Für die Praxis hat der österreichische Gesetzgeber ein recht einfaches Modell gewählt: er hat </p><p></p><ol style="text-align: left;"><li>mit dem Publikumsrat ein Gremium eingerichtet, das durch eine gesetzlich geregelte Besetzung mit Personen aus unterschiedlichen "Vertretungsbereichen" eine gewisse Repräsentativität für das Publikum gewährleisten soll, und er hat </li><li>diesem Gremium - sehr überschaubare - Aufgaben und Möglichkeiten eingeräumt, sich (vor allem) in Programmfragen ein wenig einzubringen. </li></ol><p></p><h3 style="text-align: left;">Aufgaben des Publikumsrats</h3><p>Diese "Einbringen" geschieht überwiegend durch Empfehlungen und Vorschläge: Fünf der acht in <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40161862/NOR40161862.html" rel="nofollow" target="_blank">§ 30 ORF-G</a> aufgezählten Aufgaben des Publikumsrats beschränken sich auf derart unverbindliche Äußerungsmöglichkeiten. Aus Erfahrung weiß man, dass die Relevanz oder Berechtigung solcher Empfehlungen und Vorschläge von den tatsächlich Programmschaffenden nicht immer erkannt wird (um es ganz vorsichtig auszudrücken). Ob, wann und wie Empfehlungen nachgekommen wird, bestimmt sich eher danach, von wem konkret die jeweilige Empfehlung inhaltlich getragen wird, und ob der Generaldirektor diese Person(en) braucht, um an anderer Stelle (insbesondere im Stiftungsrat, aber auch im politischen Spiel) etwas "durchzubringen." </p><p>Und damit ist auch jene Aufgabe des Publikumsrats angesprochen, die ihm eine über das Symbolische hinausgehende Bedeutung verleiht: der Publikumsrat bestellt aus seiner Mitte sechs Mitglieder des Stiftungsrats. Wer eine Mehrheit im Publikumsrat hat, kann damit die Mehrheit im Stiftungsrat bestimmen oder zumindest wesentlich beeinflussen. </p><p>Der Publikumsrat kann auch die Regulierungsbehörde "anrufen", also von ihm wahrgenommene Rechtsverletzungen des ORF feststellen lassen, was er seit dem eher spektakulär nach hinten losgegangenen "Der Teufel trägt Prada"-Fall meines Wissens nicht mehr versucht hat. Dieser Fall zeigt auch das dabei auftretende Dilemma des Publikumsrats, daher dazu ein kleiner </p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px; text-align: left;"><p><b>Exkurs </b></p><p>Der Publikumsrat, zu dessen Stärken besonderer Mut eher nicht gehört, hatte im Jahr 2009 zunächst beantragt, der (damals zuständige) Bundeskommunikationssenat (BKS) möge feststellen "ob" durch eine (eigene Sendungen des ORF bewerbende) Einblendung in einem laufenden Spielfilm das ORF-G verletzt worden war. Der <a href="https://ris.bka.gv.at/Dokumente/Bks/BKST_20091214_611942_0012_BKS_2009_00/BKST_20091214_611942_0012_BKS_2009_00.pdf" rel="nofollow" target="_blank">BKS wies den Antrag zurück</a>, weil damit eine Rechtsverletzung gar nicht - wie gesetzlich verlangt - tatsächlich "behauptet" wurde; der hilfsweise gestellte Antrag auf Feststellung, "dass" das Gesetz verletzt worden sei, sei von der Beschlussfassung im Publikumsrat nicht gedeckt gewesen. Der VfGH (<a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_09899698_09B01019_00/JFT_09899698_09B01019_00.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Erkenntnis vom 2.3.2010, B 1019/09</a>) bestätigte, dass der BKS zu Recht "vom (bewussten) Fehlen einer konkreten Rechtsverletzungsbehauptung" ausgegangen ist. Zugleich sah der VfGH aber den hilfsweise gestellten Antrag als zulässig an, wobei er selbst dabei den Publikumsrat noch ziemlich vorgeführt hat: <i>"Unabhängig von der konkreten Formulierung eines solchen Beschlusses des Publikumsrates ist davon auszugehen, dass die Intention des Publikumsrates regelmäßig darin besteht, einen rechtlich zulässigen Antrag zu stellen."</i> (mit anderen Worten: auch wenn der Publikumsrat seine Beschlüsse nicht ordentlich formulieren kann, wird er wird doch wohl nicht absichtlich einen sinnlosen Antrag stellen wollen.) </p><p>Damit ist die Geschichte aber noch nicht zu Ende. Denn im fortgesetzten Verfahren hat der BKS ein <a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=82178&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=569410" rel="nofollow" target="_blank">Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH</a> gestellt. Der EuGH hätte also entscheiden sollen, ob die vom Publikumsrat thematisierte Einblendung von Hinweisen auf eigene Programme als "Fernsehwerbung" im Sinne der damals geltenden Fernseh-Richtlinie anzusehen ist - was durchaus bedeutsame Folgen nicht nur für den ORF, sondern auch für private Anbieter, und nicht nur in Österreich, sondern in der gesamten EU, hätte haben können. Also hat den Publikumsrat wieder einmal der Mut verlassen, und nur kurze Zeit nach Einbringung des Vorabentscheidungsersuchens zog er seinen Antrag beim BKS zurück. Damit war der BKS wiederum verpflichtet, das Vorabentscheidungsersuchen zurückzuziehen. Zu den Gründen für den plötzlichen Rückzug gab es keine Begründung (siehe zu diesem Fall im Blog schon <a href="https://blog.lehofer.at/2011/09/kleine-rate-rundschau-publikums.html" rel="nofollow" target="_blank">hier</a>). Was den Publikumsrat zu diesem Rückzieher bewogen hat, kann man daher nur vermuten. </p></blockquote><p>Weiters kann der Publikumsrat auch bei der Festsetzung der Höhe des Programmentgelts ein wenig mitspielen. Dabei klingt die gesetzliche Regelung, wonach dem Publikumsrat <i>"die Genehmigung von Beschlüssen des Stiftungsrates, mit denen die Höhe des Programmentgelts (Radioentgelt, Fernsehentgelt) festgelegt wird"</i>, zukommt, nach mehr Macht, als damit tatsächlich übertragen wird - denn nach <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40164076/NOR40164076.html" rel="nofollow" target="_blank">§ 31 Abs. 8 ORF-G</a> kann der Stiftungsrat einfach einen Beharrungsbeschluss fassen, wenn der Publikumsrat nicht mitgeht.</p><p>Und schließlich darf sich der Publikumsrat einmal im Jahr eine Meinungsumfrage wünschen und er kann der Führungsebene des ORF ein wenig lästig fallen: durch Anfragen, die auf Verlangen nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich zu beantworten sind. Außerdem hat der Generaldirektor an den Sitzungen teilzunehmen, auch die Anwesenheit von DirektorInnen und LandesdirektorInnen kann verlangt werden (die Anwesenheit bei Publikumsratssitzungen wird dabei nicht von jeder/jedem als besonders sinnvolle Investition ihrer/seiner Zeit angesehen).</p><h3 style="text-align: left;">Die Zusammensetzung des Publikumsrates</h3><p>Weil <b><i>die</i></b> "Interessen der Hörer und Seher" schwer zu fassen sind, wurde mit dem ORF-G 2001 - in Fortsetzung der schon mit dem Rundfunkgesetz 1974 geschaffenen Hörer- und Sehervertretung - ein Gremium geschaffen, in dem unterschiedliche Bevölkerungs- oder Interessengruppen abgebildet sind. Zunächst war noch vorgesehen, dass sechs Publikumsratsmitglieder vom "Publikum" direkt zu wählen waren. Das war ein unverhältnismäßig hoher Aufwand für eine relativ bedeutungsarme Funktion und es brachte auch einen Vorteil für gut organisierte Interessenorganisationen, die über ausreichend Faxgeräte verfügten. Darüber hinaus war es auch rechtlich kaum in den Griff zu bekommen, was schließlich - sehr zur Erleichterung der im ORF damit Befassten - zur Aufhebung der einschlägigen Bestimmungen durch den Verfassungsgerichtshof führte (<a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_09889073_11G00009_00/JFT_09889073_11G00009_00.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Erkenntnis vom 27.9.2011, G 9/11; V5/11</a>). </p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;">Eine Lehre aus dem Experiment mit der Direktwahl war, dass "Hörer und Seher" nicht wirklich zu motivieren sind, in tatsächlich repräsentativer Anzahl an "Wahlen" für ein weitgehend bedeutungsloses Gremium zur Wahrung ihrer Interessen im ORF teilzunehmen (die Wahlbeteiligung stieg bei den drei durchgeführten Wahlen von zunächst 3% auf zuletzt 7%). Wer sich je auch nur ein wenig mit der Organisation "diffuser Interessen" befasst hat (also ich zum Beispiel, schon wegen meiner früheren Tätigkeit im Bereich der Verbraucherpolitik), wusste das natürlich auch schon vorher, aber es war ja auch nie das wirkliche Ziel, hier breite demokratische Partizipation zu ermöglichen. Hintergrund der Direktwahl war - neben der Symbolwirkung - eher, dass die damaligen Koalitionsparteien der Auffassung waren, über gute Mobilisierungsmöglichkeiten für diese "Wahl" zu verfügen. Das stellte sich zwar zunächst als Fehleinschätzung heraus, weil - offenbar für die damalige schwarz-blaue Regierung überraschend - zu Beginn gerade die Gewerkschaften über entsprechende Organisationskraft verfügten, um "ihre" KandidatInnen durchzubringen; erst bei der letzten Publikumsratswahl 2010 schaffte es die ÖVP, vor allem über ihre Bünde genügend zu mobilisieren, um eine Mehrheit zu erreichen.</p></blockquote><p>Seit der Aufhebung der Bestimmungen über die Direktwahl werden die Mitglieder des Publikumsrats teilweise direkt durch gesetzlich festgelegte Einrichtungen bestellt (Sozialpartner und Kammern der freien Berufe, katholische und evangelische Kirche, Akademie der Wissenschaften, Parteiakademien - insgesamt betrifft dies derzeit 13 Personen) Weitere 17 Mitglieder des Publikumsrates werden durch den Bundeskanzler (bzw. derzeit durch die auch für Medien zuständige Ministerin im Bundeskanzleramt) bestellt. Die Medienministerin hat dazu zunächst </p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"><i>"Vorschläge von Einrichtungen bzw. Organisationen, die für die nachstehenden Bereiche bzw. Gruppen repräsentativ sind, einzuholen: die Hochschulen, die Bildung, die Kunst, der Sport, die Jugend, die Schüler, die älteren Menschen, die behinderten Menschen, die Eltern bzw. Familien, die Volksgruppen, die Touristik, die Kraftfahrer, die Konsumenten und der Umweltschutz."</i> <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40195883/NOR40195883.html" rel="nofollow" target="_blank">(§ 28 Abs. 4 ORF-G)</a> </p></blockquote><p>Welche Organisationen das sind, legt das Gesetz nicht fest. An welche Organisationen (zumindest der Art nach) man dabei denken könnte, lässt sich aber aus einer alten Verordnung ableiten, die zum Rundfunkgesetz 1974 ergangen ist. Damals war <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR12010895/NOR12010895.html" rel="nofollow" target="_blank">gesetzlich vorgesehen</a>, dass bei der Bestellung der Mitglieder der Hörer- und Sehervertretung (als Vorgängerin des Publikumsrats) für bestimmte Vertretungsbereiche "<i>insbesondere auf Vorschläge Bedacht zu nehmen [ist], die von Einrichtungen bzw. Organisationen erstattet werden, die für diese Bereiche bzw. Gruppen repräsentativ sind.</i>" Nach der <a href="https://ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1974_397_0/1974_397_0.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Stammfassung des Rundfunkgesetzes</a> hatte der Bundeskanzler durch Verordnung
zu bestimmen, <i>"welche Einrichtungen bzw. Organisationen im Hinblick auf ihre Aufgaben, Zielsetzungen oder Mitglieder für den betreffenden
Bereich bzw. für die betreffende Gruppe als repräsentativ"</i> anzusehen sind. Die dazu ergangene Verordnung (<a href="https://ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1974_398_0/1974_398_0.pdf" rel="nofollow" target="_blank">BGBl. Nr. 398/1974</a>) nannte etwa für den Bereich Sport die Bundessportorganisation, für die Jugend den Bundesjugendring, für die Kraftfahrer ÖAMTC und ARBÖ, für Touristik den Verband alpiner Vereine, etc. </p><p>Auch wenn nunmehr nicht abschließend feststeht, welche "Einrichtungen bzw. Organisationen" zur Erstattung von Vorschlägen berechtigt sind, so besteht allerdings weiterhin die Voraussetzung, dass diese jedenfalls <b>für die jeweiligen "Bereiche bzw. Gruppen" repräsentativ</b> zu sein haben. Und ausdrücklich gesetzlich vorgesehen ist zudem, dass die Medienministerin diese Einrichtungen bzw. Organisationen <b>"zur Erstattung von Dreier-Vorschlägen</b> <b>einzuladen</b>" und diese Vorschläge öffentlich bekannt zu machen hat. </p><p>Die Medienministerin ist (im Rahmen sonstiger gesetzlicher Regelungen, etwa des Antidiskriminierungsrechts, auf das <i>Kogler/Traimer/Truppe</i> in ihrem Kommentar zu den Rundfunkgesetzen hinweisen) frei, aus den vorgeschlagenen Personen auszuwählen. Diese Personen müssen auch kein Naheverhältnis zu den vorschlagenden Einrichtungen bzw. Organisationen aufweisen und sie müssen auch sonst keine besonderen persönlichen Voraussetzungen erfüllen (außer dass kein Ausschlussgrund nach § 28 Abs. 2 ORF-G vorliegen darf). </p><p>Allerdings darf die Ministerin auch niemanden bestellen, der nicht auf einem Dreier-Vorschlag einer Einrichtung bzw. Organisation steht, die für den betreffenden Bereich (zB "Bildung", "Hochschulen", "Touristik") oder die betreffende Gruppe (zB "die Jugend", "Schüler", Kraftfahrer") repräsentativ ist. </p><p>Die Bekanntmachung der eingelangten Vorschläge dient dazu, eine gewisse Transparenz für den Auswahlprozess herzustellen. Es soll damit erkennbar werden, unter welchen Personen die Medienministerin auswählen kann, und es könnte auch eine Diskussion darüber ermöglichen, ob gegebenenfalls bei bestimmten Personen Ausschlussgründe vorliegen oder die Eignung der vorschlagenden Einrichtung bzw. Organisation in Zweifel zu ziehen ist.</p><h3 style="text-align: left;">Zur Auswahl der von der Medienministerin bestellten Publikumsratsmitglieder</h3><p>Die Bekanntmachung der eingelangten Vorschläge erfolgte <a href="https://www.wienerzeitung.at/amtsblatt/aktuelle_ausgabe/artikel/?id=4886539" rel="nofollow" target="_blank">im Amtsblatt zur Wiener Zeitung am 27. April 2022</a>, und die Medienministerin hat <a href="https://www.derstandard.at/story/2000135202540/neuer-orf-stiftungsrat-mit-aichberger-auf-regierungsmandat-medienministerin-bestellt-neuen" rel="nofollow" target="_blank">laut Medienberichten</a> auch schon am selben Tag die Auswahl aus den Vorschlägen getroffen. Einer öffentliche Diskussion über die Vorschläge, die noch in die Auswahl einfließen könnte, ist damit der Weg abgeschnitten; da keine ausdrückliche Verpflichtung zur einer "vorherigen" Veröffentlichung besteht, ist dies jedoch nicht rechtswidrig. Was sich die Bundesministerin damit allerdings nicht erspart ist eine Diskussion darüber, ob sie die Auswahl auch so hätte treffen dürfen (ob die Auswahl also rechtmäßig war), bzw. ob sie die Auswahl so hätte treffen sollen (im Hinblick auf eine medien<i>politische</i>, nicht -rechtliche Beurteilung).</p><p>Damit zur Frage, ob die Auswahl so hätte erfolgen dürfen. Dazu fällt zunächst auf, <b>dass viele Einrichtungen bzw. Organisationen entgegen der gesetzlichen Bestimmung keinen Dreier-Vorschlag erstattet haben</b>, und dennoch die vorgeschlagenen Personen bestellt wurden. Dies betrifft folgende Vorschläge für die jeweils genannten Bereiche bzw. Gruppen </p><p></p><ul style="text-align: left;"><li>Hochschulen: Vorschlag von "Academia Superior - Gesellschaft für Zukunftsforschung"</li><li>Bildung: Vorschlag der "Begabungsakademie Steiermark"</li><li>Kunst: Vorschlag des Grazer Kunstvereins</li><li>Sport: Vorschlag des Österreichischen Skiverbands </li><li>Ältere Menschen: Vorschlag des Österreichischen Seniorenbunds</li><li>Behinderte Menschen: Vorschlag des Österreichischen Paralympischen Committees</li><li>Eltern bzw. Familien: Vorschlag von "Sozialwirtschaft Österreich"</li><li>Volksgruppen: Vorschlag von "Kroatischer Kulturvereins + Kroatisches Zentrum"</li><li>Touristik: Vorschlag der Österreich-Werbung</li><li>Konsumenten: Vorschlag des Fundraising Verband Austria</li><li>Umweltschutz: Vorschlag von "Umweltdachverband + Kuratorium Wald"</li></ul><div>Damit wurden immerhin 11 Personen aufgrund von Vorschlägen bestellt, die entgegen den gesetzlichen Bestimmungen keine Dreier-Vorschläge waren. Ich will hier nicht abschließend beurteilen, ob dies für sich schon rechtswidrig ist. Allerdings ist zu bedenken, dass mit der Verpflichtung zur Erstattung von Dreier-Vorschlägen der Medienministerin ermöglicht werden sollte, bei der Auswahl der zu bestellenden Mitglieder auch auf andere Anforderungen Bedacht zu nehmen, die von den vorschlagenden Organisationen nicht allein berücksichtigt werden können, sondern erst in Zusammenspiel mit dem "Gesamtangebot" von vorgeschlagenen Personen relevant werden können. Zu denken wäre dabei etwa die Frage eines ausgewogenen Geschlechterverhältnisses, vielleicht auch die Berücksichtigung verschiedener Qualifikationen oder regionaler Verankerungen. </div><div><br /></div><div>Zweitens, und rechtlich jedenfalls relevant, <b>wäre zu hinterfragen, ob alle Einrichtungen bzw. Organisationen, deren Vorschläge von der Medienministerin berücksichtigt wurden, für die jeweiligen Bereiche bzw. Gruppen repräsentativ sind. </b>Die Medienministerin darf nämlich nicht jeden beliebigen bei ihr eingelangten Vorschlag berücksichtigen, sondern ist rechtlich darauf verwiesen, ausschließlich aus Vorschlägen von Einrichtungen bzw. Organisationen auszuwählen, die für die jeweiligen Bereiche bzw. Gruppen repräsentativ sind. Und dabei bestehen meines Erachtens ganz erhebliche Zweifel, zum Beispiel bei den Vorschlägen, die der Bestellung der eingangs genannten Wissenschaftler zugrunde liegen. </div><div><br /></div><div>Markus Hengstschläger wurde vom Verein <a href="https://www.academia-superior.at/impressum/" rel="nofollow" target="_blank">"Academia Superior Gesellschaft für Zukunftsforschung"</a> vorgeschlagen, der damit für sich in Anspruch nimmt, repräsentativ für den Bereich Hochschulen zu sein. Dieser Verein hat seinen Sitz in Linz und hat <a href="https://www.academia-superior.at/ziele-wege/" rel="nofollow" target="_blank">laut eigenen Angaben auf seiner Website</a> die "Aufgabe, aktuelle Herausforderungen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene zu identifizieren, zu analysieren und daraus Handlungsempfehlungen für Entscheidungsträgerinnen und ‑träger in Oberösterreich abzuleiten." Es handelt sich bei diesem Verein jedenfalls um keine Einrichtung des tertiären Bildungswesens, auch nicht um eine Vertretung von Personen oder Einrichtungen, die in diesem Bereich tätig sind, und seine Tätigkeit ist zudem nicht auf ganz Österreich ausgerichtet, sondern ausschließlich auf Oberösterreich (der Verein bezeichnet sich auch als <a href="https://www.academia-superior.at/think-tank-do-tank/" rel="nofollow" target="_blank">"Think Tank für Oberösterreich"</a>). Laut einem <a href="https://blog.publito.at/2022/02/10/c-schwarz-ein-faktenorientiertes-und-fundiertes-medienangebot-darf-kein-luxusgut-sein/" rel="nofollow" target="_blank">Bericht aus Februar 2022</a> besteht der Verein "aus einem kleinen Team von drei Personen", dazu gibt es einen wissenschaftlichen Beirat, geleitet eben von Markus Hengstschläger. Das "Angebot" des Vereins lässt sich <a href="https://www.academia-superior.at/angebot/" rel="nofollow" target="_blank">hier</a> in dessen eigenen Worten nachlesen. Nach allem, was ich von Wissenschaft verstehe, kann ich nicht erkennen, dass es sich bei diesem Verein, so ehrenwert und erfolgreich seine Bemühungen sein mögen, um eine für den Bereich Hochschulen repräsentative Einrichtung handeln würde. Daran ändert es auch nichts, dass der von ihm vorgeschlagene Markus Hengstschläger ein bedeutender Wissenschaftler ist, denn es kommt nicht auf die Qualifikation der vorgeschlagenen Person an, sondern allein darauf, dass diese von einer repräsentativen Organisation vorgeschlagen wird (auch wenn ein Kleintierzüchterverein eine Nobelpreisträgerin vorschlagen würde, dürfte diese nicht für den Bereich "Hochschulen" bestellt werden). Im Übrigen - und untypisch für eine Organisation, die für den Bereich "Hochschulen" repräsentativ sein sollte - besteht eine ausgeprägte Nähe zu einer politischen Partei: Vorsitzende des Vereins ist die Landeshauptmann-Stellvertreterin (ÖVP), weitere Vorstandsmitglieder sind <a href="https://www.academia-superior.at/die-menschen-dahinter/#obmann_wissenschaftlicher_leiter" rel="nofollow" target="_blank">laut Website</a> eine Landtagsabgeordnete der ÖVP, ein Abteilungsleiter in der ÖVP Oberösterreich und der Vizebürgermeister von Linz (ÖVP). Dass auch Markus Hengstschläger laut Presse (<a href="https://www.diepresse.com/504039/gute-gene-und-schwarze-wahlhilfe" rel="nofollow" target="_blank">"Gute Gene und schwarze Wahlhilfe"</a>) die ÖVP in einem (früheren) Wahlkampf unterstützt hat, rundet das Bild eines Vereines ab, in dem die Politik nicht ganz irrelevant zu sein scheint.</div><div><br /></div><div>Michael Meyer wurde für die Gruppe "Konsumenten" vom Fundraising Verband Austria vorgeschlagen. Dieser Verein versteht sich <a href="https://www.ots.at/pressemappe/5533/fundraising-verband-austria" rel="nofollow" target="_blank">laut eigener Darstellung</a> "als Plattform und Dienstleister für FundraiserInnen in Organisationen und Agenturen sowie für Berater des Non-Profit Sektors. Mit 280 Mitgliedsorganisationen ist er die größte Plattform für spendenwerbende Organisationen Österreichs." Vereinszweck ist <a href="https://www.fundraising.at/wp-content/uploads/2019/12/Statuten.pdf" rel="nofollow" target="_blank">laut Statuten</a> <i>"a) die Aus- und Weiterbildung im Non-Profit-Bereich, insbesondere von FundraiserInnen zur Ermöglichung einer professionellen, ethischen und zeitgemäßen Aufbringung von Mitteln.
b) die Verbesserung der legislativen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für gemeinnützige Organisationen.
c) die Förderung von Transparenz im Spendenwesen.
d) die Förderung der Wissenschaft und Forschung betreffend das österreichische und internationale Spenden- und Fundraisingwesen."</i> Es gibt absolut keinen Anhaltspunkt dafür, dass dieser Verein in irgendeiner Weise für die Gruppe der "Konsumenten" repräsentativ sein könnte. </div><div><br /></div><div>Das sind jetzt nur zwei Beispiele, aber ähnliche Bedenken habe ich etwa auch zur Bestellung einer Person, die vom Verein "<a href="http://www.sozialwirtschaft-oesterreich.at/index.php" rel="nofollow" target="_blank">Sozialwirtschaft Österreich</a>" (richtig: "Sozialwirtschaft Österreich - Verband der österreichischen Sozial- und
Gesundheitsunternehmen") für den Bereich "Eltern bzw. Familie" vorgeschlagen wurde. Dieser Verein ist eine kollektivvertragsfähige Arbeitgeberorganisation von Sozial- und Gesundheitsunternehmen (in dessen <a href="http://www.sozialwirtschaft-oesterreich.at/1012,,,2.html" rel="nofollow" target="_blank">selbst dargestellten Aufgaben und Zielen</a> die Worte Eltern oder Familien nicht vorkommen; ein Berührungspunkt ergibt sich vielleicht daraus, dass der Verein auch Arbeitgebervertreter für den Bereich Pflegeeltern und Tagesmütter und -väter ist). </div><div><br /></div><div><b>Zusammenfassend: ein Vorschlag, der von einer für den jeweiligen Bereich bzw. die jeweiligen Gruppe nicht repräsentativen Einrichtung bzw. Organisation erstattet wurde, darf bei der Bestellung der Publikumsratsmitglieder durch die Medienministerin nicht berücksichtigt werden.</b></div><p></p><p></p><div>Das ist kein Problem dort, wo es einen Vorschlag einer anderen Einrichtung oder Organisation gibt, die für den Bereich bzw. die Gruppe repräsentativ ist. Das war jedenfalls im Bereich Hochschulen der Fall, wo ein Dreier-Vorschlag von der Universitätenkonferenz, dem Dachverband der Universitäten, dessen Repräsentativität kaum in Zweifel gezogen werden kann, erstattet wurde. </div><div><br /></div><div>Für die Gruppe der "Konsumenten" wurde kein weiterer Vorschlag erstattet. Für diesen Fall, dass kein Vorschlag einer repräsentativen Einrichtung bzw. Organisation vorliegt, enthält das Gesetz keine Regelung. Meines Erachtens berechtigt das Fehlen eines (geeigneten) Vorschlags die Medienministerin nicht dazu, dem Vorschlag einer nicht repräsentativen Einrichtung zu folgen. Neben der naheliegenden Vorgangsweise, zunächst nochmals geeignete repräsentative Einrichtungen bzw. Organisationen zu Vorschlägen aufzufordern, wäre zu überlegen, ob in einem derartigen Fall entweder niemand für diesen Vertretungsbereich zu bestellen ist, oder ob die Medienministerin in diesem Fall ohne Bindung an einen Vorschlag bestellen kann. Gegen die Variante, niemanden zu bestellen, spricht, dass damit der jeweilige Bereich bzw. die jeweilige Gruppe gar nicht mehr im Publikumsrat vertreten wäre. Es läge daher nahe, dass für den Fall, dass trotz nochmaliger Aufforderung kein Vorschlag einer repräsentativen Einrichtung bzw. Organisation erstattet wird, die Medienministerin selbst eine Person ohne Bindung an einen Vorschlag bestellen kann. Allerdings ist für diesen Fall zu verlangen, dass diese Person ein besonderes Naheverhältnis zum jeweiligen Vertretungsbereich aufweist. </div><div><br /></div><div>Selbst wenn also für die Gruppe der "Konsumenten" trotz neuerlicher Aufforderung keine Vorschläge repräsentativer Einrichtungen oder Organisationen eingelangt wären, könnte eine Person, die wie im vorliegenden Fall ein Professor für NPO-Management ist, der (soweit erkennbar) keine berufliche oder sonstige Verbindung zur Wahrung von Konsumenteninteressen aufweist, nicht für diesen Vertretungsbereich bestellt werden. </div><div><br /></div><h3 style="text-align: left;">Zur medienpolitischen Frage der Auswahl von Publikumsratsmitgliedern</h3><div>Neben den rechtlichen Fragen der Bestellung von Publikumsratsmitgliedern durch die Medienministerin gibt es natürlich auch noch interessante medienpolitische Aspekte. </div><div><br /></div><div>Eine Frage stellt sich vorweg: weshalb gibt es so wenige Vorschläge? Das mag zunächst damit zu tun haben, dass die Bedeutung des Publikumsrats gering ist und dass es sich um ein unbezahltes "Ehrenamt" handelt, für das man auch nicht wirklich Ehre erwarten darf. Es kann aber auch darauf zurückzuführen sein, dass bereits im Vorfeld vereinbart oder zumindest bekannt wurde, wer bestellt werden wird. Dass etwa ausgerechnet der ÖSV einen (und nur einen) Vorschlag erstellt, und nicht etwa die Bundessportorganisation, der Fußballbund, das ÖOC oder Union oder ASKÖ, wird wohl damit zusammenhängen, dass Herr Walchhofer bereits in der vergangenen Periode Publikumsratsmitglied war, und dass sich andere Organisationen wohl ausrechnen können, dass eine ÖVP-Medienministerin geneigt sein könnte, einen <a href="https://www.sn.at/politik/nationalratswahl-2019/ex-skirennfahrer-walchhofer-unterstuetzt-wieder-sebastian-kurz-75350020" rel="nofollow" target="_blank">mehrfachen Sebastian Kurz-Unterstützer</a> und <a href="https://www.kleinezeitung.at/politik/innenpolitik/5313157/Koalitionsgespraeche_ExSkistar-Michael-Walchhofer-verhandelt-fuer" rel="nofollow" target="_blank">ÖVP-Koalitionsverhandler</a>, der bereits Erfahrung im Publikumsrat hat, zu bestellen. Ähnliches gilt etwa für die Gruppe "Schüler", wo ausgerechnet (und nur) die Landjugend einen Vorschlag erstattet hat, oder im Bereich Bildung, wo eine mir bislang nicht bekannte "Begabungsakademie Steiermark" (deren Repräsentativität mir nicht ganz klar ist) den einzigen Vorschlag gemacht hat. </div><div><br /></div><div>Es ist jedenfalls kein gutes Zeichen, wenn schon die eingereichten Vorschläge ein erkennbar eingeschränktes Feld von InteressentInnen für eine Tätigkeit im Publikumsrat zeigen. Dieses Bild verschlimmert sich noch, wenn in der tatsächlichen Auswahl diese Einschränkung noch verstärkt wird, insbesondere wenn der Anschein entsteht, dass parteipolitische Nähe, vorsichtig ausgedrückt, nicht gänzlich irrelevant sein könnte..</div><div><br /></div><div><b>PS (ergänzt am 30.04.2022):</b> dieser Beitrag hat die "beschränkte Repräsentativität" nur gemessen an der geltenden Rechtslage beschrieben. Ein ganz andere Frage ist es, ob die bestehenden gesetzlichen Vorgaben als solche überhaupt geeignet sind, um eine ausreichend repräsentative Beteiligung des "Publikums" zu erreichen - also selbst wenn man annimmt, die geltenden Rechtsvorschriften würden eingehalten und die Medienministerin würde sich in der Auswahl der von ihr zu bestellenden Mitglieder des Publikumsrats von der Zielsetzung des Gesetzes (eben ein gewisses Maß an Repräsentativität im Publikumsrat zu gewährleisten) leiten lassen. Wenn ich diese Frage nicht behandelt habe, dann nicht, weil ich sie für unwichtig halte (ganz im Gegenteil), aber mir ging es hier einmal um die vor allem rechtliche Auseinandersetzung mit dem aktuellen Bestellungsvorgang.</div><div><br /></div><h3 style="text-align: left;"><b>Nachtrag: zu den Rechtsfolgen einer gesetzwidrigen Bestellung von Publikumsratsmitgliedern </b><b>(06.05.2022) </b></h3><div>Tatsächlich ist der Publikumsrat <a href="https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/medien/2146452-Publikumsrat-komplettiert-ORF-Gremien.html" rel="nofollow" target="_blank">laut Medienberichten</a> gestern unter Teilnahme auch der in gesetzwidriger Weise bestellten Mitglieder zusammengetreten und hat dabei die sechs von ihm zu entsendenden Stiftungsratsmitglieder bestellt, darunter auch Univ.-Prof. Michael Meyer. Es stellt sich daher die Frage, ob eine gesetzwidrige Bestellung wie bei den beiden in diesem Blogpost genannten Wissenschaftlern (weil sie nicht von einer Einrichtung oder Organisation vorgeschlagen wurden, die für den jeweiligen Bereich bzw. die Gruppe repräsentativ ist) rechtlich überprüfbar ist und/oder Folgen für die Handlungsfähigkeit der solcherart konstituierten Stiftungsorgane hat. Dazu ein paar knappe, nur thesenartige Überlegungen (für eine Vertiefung fehlt mir die Zeit):</div><div><br /></div><div>1. Ausgangspunkt ist, dass das <a href="https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000555" rel="nofollow" target="_blank">Bundesverfassungsgesetz vom 10. Juli 1974 über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks</a> ("BVG Rundfunk") verlangt, dass die "näheren Bestimmungen für den Rundfunk und seine Organisation" (hier also das ORF-Gesetz) unter anderem die Unabhängigkeit der Personen und Organe, die mit der Besorgung der Rundfunkaufgaben betraut sind, gewährleisten müssen. Man mag zweifeln, ob das - auch abseits des hier behandelten Themas - aktuell wirklich gewährleistet ist (siehe dazu den <a href="https://www.arminwolf.at/2022/03/13/verfassungswidrig-na-und/" rel="nofollow" target="_blank">Beitrag von Armin Wolf auf dessen Blog</a>, wo er auch anregt, dass "mal ein Rundfunkjurist einen Aufsatz darüber schreiben" solle - vielleicht komme ich in ein paar Monaten darauf zurück), aber ich beziehe mich jetzt nur auf die Publikumsrats-Bestellung. Wesentlich ist: das ORF-Gesetz ist im Sinne des "BVG Rundfunk" verfassungskonform auszulegen. </div><div><br /></div><div>2. Das ist deshalb wichtig, weil die verfassungsgesetzlich gebotene Unabhängigkeit nur dann gewährleistet werden kann, wenn gerade auch die Handlungen von Funktionsträgern der Verwaltung, die auf die Bestellung von Organen des ORF Einfluss nehmen, einer Kontrolle im Hinblick auf ihre Gesetzmäßigkeit unterliegen. Es wäre mit dem BVG Rundfunk unvereinbar, könnte ein Bundeskanzler/eine Medienministerin (jetzt nur einmal hypothetisch gedacht) "Gefolgsleute" in Organe des ORF entsenden, ohne dabei auf die die Bestellung regelnden Rechtsvorschriften Bedacht zu nehmen. </div><div><br /></div><div>3. Das erfordert also, über den Rechtsschutz (im weiteren Sinne) gegen Verletzungen des ORF-Gesetzes nachzudenken, wenn diese nicht durch den ORF oder dessen Tochtergesellschaften selbst, sondern durch die Medienministerin in Wahrnehmung der ihr durch das ORF-Gesetz übertragenen Aufgaben erfolgen. </div><div><br /></div><div><b>4. Erste Variante: Feststellung einer Rechtsverletzung durch die KommAustria </b></div><div>Nach <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40229187/NOR40229187.html" rel="nofollow" target="_blank">§ 36 ORF-G</a> entscheidet die Regulierungsbehörde (KommAustria) "über die Verletzung von Bestimmungen dieses Bundesgesetzes" (mit einer hier nicht relevanten Ausnahme betreffend den Abschnitt über die Gleichstellung) unter anderem auf Grund von Beschwerden einer Person, die durch eine Rechtsverletzung unmittelbar geschädigt zu sein behauptet, oder einer sogenannten „Popularbeschwerde“ (das ist die Beschwerde einer Person, die Gebühren zahlt oder davon befreit ist, und von mindestens 120 weiteren solchen Personen oder deren Haushaltsangehörigen unterstützt wird). Daneben kann die KommAustria eine Verletzung auch auf Antrag unter anderem des Bundes, der Länder, des Publikumsrats, oder mindestens eines Drittels der Mitglieder des Stiftungsrates feststellen. Beschwerden müssen „innerhalb von sechs Wochen“, Anträge innerhalb von sechs Monaten, „gerechnet vom Zeitpunkt der behaupteten Verletzung“ eingebracht werden. </div><div><br /></div><div>Nach derzeit herrschendem Verständnis (= <i>Kogler/Traimer/Truppe</i>, Österreichische Rundfunkgesetze, 4. Auflage, S. 332, unter Hinweis auch auf die zuvor zum RFG von <i>Twaroch/Buchner</i> vertretene gegenteilige Ansicht) beschränkt sich die Aufsicht der KommAustria aber auf Handlungen, die vom ORF und dessen Tochtergesellschaften zu verantworten sind. Das wird im Wesentlichen abgeleitet aus <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40119474/NOR40119474.html" rel="nofollow" target="_blank">§ 35 ORF-G</a>, wo von der "Aufsicht des Bundes über den Österreichischen Rundfunk" die Rede ist, die "auf eine Aufsicht nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes" beschränkt ist. Damit wird aber meines Erachtens lediglich dargelegt, dass der ORF keiner weiteren staatlichen Aufsicht unterliegt (die in seine Unabhängigkeit eingreifen würde). Es wird damit aber nicht ausgeschlossen, dass die KommAustria Verletzungen des ORF auch durch jene Personen/Organe feststellen können, die außerhalb des ORF stehen, denen durch das ORF-Gesetz aber Rechtspflichten auferlegt sind (wie eben zB dem Bundeskanzler bzw. derzeit der Medienministerin). Das von <i>Kogler/Traimer/Truppe</i> weiters herangezogene Argument, dass eine Aufsicht der KommAustria über oberste Organe von der verfassungsgesetzlichen Ermächtigung in Art. 20 Abs. 2 Z 5 B-VG - "Aufsicht und Regulierung elektronischer Medien" nicht gedeckt wäre, überzeugt mich auch nicht, da diese Aufsicht ja gerade sicherstellen soll, dass die Unabhängigkeit der elektronischen Medien gewährleistet bleibt. Zudem fände eine Aufsicht auch über die Einhaltung des ORF-Gesetzes durch die Medienministerin auch in Art. 20 Abs. 2 Z 2 B-VG - "Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung" - Deckung. Meines Erachtens spricht daher viel dafür, die Bestimmungen über die Rechtsaufsicht im ORF-Gesetz im Lichte der verfassungsrechtlichen Vorgaben so auszulegen, dass damit auch eine Rechtmäßigkeitskontrolle der von der Medienministerin erfolgten Auswahl von Publikumsratsmitgliedern umfasst ist.</div><div><br /></div><div><b>5. Zweite Variante: inzidente Kontrolle im Fall von Beschlüssen der ORF-Organe</b></div><div>Jedenfalls dann, wenn man eine Rechtmäßigkeitskontrolle nach § 36 ORF-Gesetz nicht als möglich ansieht, bleibt die Frage offen, wie Beschlüsse jener Organe zu beurteilen sind, denen Mitglieder angehören, die in rechtswidriger Weise bestellt wurden. Dazu gibt es im ORF-Gesetz keine Regelungen, und da es sich um eine besondere Stiftung öffentlichen Rechts handelt, die durch ein eigenes Gesetz geregelt wird, lassen sich auch Regelungen oder Rechtsprechung zu vergleichbaren Problemen etwa im Gesellschaftsrecht nicht ohne Weiteres heranziehen. Da aber - zumindest wenn man § 36 ORF-Gesetz entgegen der hier vertretenen Auffassung eng auslegt - besondere Bestimmungen zur Bekämpfbarkeit einer solchen Bestellung fehlen, bleibt letztlich nur die Möglichkeit, eine ex tunc vorliegende Nichtigkeit der gesetzwidrigen Bestellung anzunehmen (im Gesellschaftsrecht ist es zum Beispiel so, dass eine Organbestellung ohne weiteres und von Anfang an als nichtig angesehen wird, wenn der Bestellungsbeschluss an besonders krassen Mängeln leidet, etwa bei Verstößen gegen gesetzliche Vorschriften; vgl. etwa <i>Torggler</i>, Das fehlerhafte Vorstandsmandat, in FS Reich-Rohrwig, 239 [241]). </div><div><br /></div><div>Hat eine Person an einer Beschlussfassung teilgenommen, deren Bestellung als ex tunc nichtig anzusehen ist, wird damit auch der gefasste Beschluss "infiziert". Auf die Frage, ob die einzelne Stimme dieses "Pseudo-Mitglieds" ausschlaggebend war, kommt es dabei nicht an, da jede Person durch ihre Teilnahme an der Beratung die Willensbildung des Kollegialorgans potentiell beeinflussen kann, sodass es etwa denkbar wäre, dass - ohne die Teilnahme des "Pseudo-Mitglieds" - bei der Abstimmung der Mehrheit nicht nur dessen Stimme gefehlt hätte, sondern auch die Stimmen weiterer Mitglieder, die von ihm überzeugt wurden. Damit läge aber ein in rechtswidriger Weise gefasster Beschluss vor, der wiederum als nichtig oder zumindest vernichtbar zu beurteilen wäre. </div><div><br /></div><div>Man sieht, dass diese Ansicht recht weitreichende Folgen haben könnte. Ein - gerade wegen der in beiden Fällen verfassungsgesetzlich gebotenen Unabhängigkeit - vergleichbares Problem stellt sich übrigens bei einer gesetzwidrigen Ernennung von Richterinnen und Richtern, wenn man die in der Folge von diesen getroffenen Entscheidungen zu beurteilen hat. Die dabei auftretenden Probleme zeigen sich in all ihrer Vielfältigkeit aktuell in zahlreichen anhängigen und teilweise auch schon entschiedenen Fällen betreffend die polnische Justiz sowohl beim EuGH als auch beim EGMR. </div><div><br /></div><div>Die Leitentscheidung des EGMR zu den Folgen einer rechtswidrigen Richterbestellung auf die von diesem Richter gefällten Urteile betraf allerdings Island. Dieser Fall ist auch deswegen meines Erachtens recht interessant im Hinblick auf die Ernennung von Publikumsratsmitgliedern, weil es dort um die Entscheidung einer Ministerin ging, die von einem Bestellungsvorschlag abgewichen war, ohne das ausreichend zu begründen. In diesem <a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-206582" rel="nofollow" target="_blank">Urteil der Großen Kammer des EGMR vom 1.1.2020, Guðmundur Andri Ástráðsson gegen Island, 26374/18</a>, geht der EGMR von einem dreistufiges Prüfschema aus. Nicht jeder Fehler bei der Bestellung eines Richters ist demnach geeignet, auch ein von ihm gefälltes Urteil zu "vernichten", sondern es ist erstens zu prüfen, ob bei der Bestellung offensichtliche Verletzungen der
gesetzlichen Vorschriften erfolgten, zweitens, ob diese Verletzungen grundlegende Prinzipien des Verfahrens betrafen, und drittens ist entscheidend, ob eine
ausreichende gerichtliche Kontrolle der Bestellung stattgefunden hat. </div><div><br /></div><div>Überträgt man diese Überlegungen auf die Bestellung von Organmitgliedern des ORF durch die Medienministerin, so kann man erstens die "offensichtliche Verletzung" (jedenfalls bei Hengstschläger und Meyer) bejahen (im isländischen Richterfall hatte die dortige Justizministerin keine ausreichende Bewertung der Bewerber :innen vorgenommen und ist ohne ausreichende Begründung vom Besetzungsvorschlag der Evaluierungskommission abgewichen). Zweitens betrifft die Auswahl von Publikumsratsmitgliedern aufgrund von Vorschlägen repräsentativer Einrichtungen bzw. Organisationen grundlegende Verfahrensprinzipien, die nämlich gerade sicherstellen sollen, dass es eine breite Vertretung gesellschaftlicher Gruppen gibt, was entscheidend zur Unabhängigkeit des ORF beitragen kann (im isländischen Richterfall ging es ebenfalls um eine Abweichung von einem System, dessen wesentlicher Zweck war, den politischen Einfluss zu begrenzen und die Unabhängigkeit zu stärken). Und für die dritte Stufe ist maßgebend, ob man eine Überprüfbarkeit der von der Medienministerin vorgenommenen Bestellung der Publikumsratsmitglieder durch die KommAustria (und in der Folge durch das Bundesverwaltungsgericht und VfGH/VwGH) annimmt. Wenn man diese Überprüfungsmöglichkeit verneint, hätte dies - überträgt man die Wertungen aus diesem EGMR-Fall zur Richterbestellung auf die Bestellung von Organmitgliedern des ORF (und ich sehe nicht, welche anderen Wertungen man hier vornehmen sollte) - zur Folge, dass die vom solcherart gesetzwidrig zusammengesetzten Publikumsrat getroffenen Beschlüsse - etwa auch zur Entsendung von Mitgliedern in den Stiftungsrat - ohne Weiteres nichtig wären. </div><div><br /></div><div><b>6. Dritte Variante: Verfassungswidrigkeit des § 28 Abs. 6 ORF-Gesetz</b></div><div>Will man den beiden hier zunächst dargestellten Varianten nicht folgen, also weder eine Überprüfungsmöglichkeit der von der Medienministerin vorgenommenen Bestellung durch die KommAustria annehmen, noch die Nichtigkeit der vom Publikumsrat getroffenen Beschlüsse, bliebe meines Erachtens nur mehr die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des <a href="https://www.ris.bka.gv.at/eli/bgbl/1984/379/P28/NOR40195883?Abfrage=Bundesnormen&Kundmachungsorgan=&Index=&Titel=orf-g&Gesetzesnummer=&VonArtikel=&BisArtikel=&VonParagraf=28&BisParagraf=&VonAnlage=&BisAnlage=&Typ=&Kundmachungsnummer=&Unterzeichnungsdatum=&FassungVom=06.05.2022&VonInkrafttretedatum=&BisInkrafttretedatum=&VonAusserkrafttretedatum=&BisAusserkrafttretedatum=&NormabschnittnummerKombination=Und&ImRisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=&Position=1&SkipToDocumentPage=true&ResultFunctionToken=5f70a246-4ca4-40a1-8ae0-022a48c05a39" rel="nofollow" target="_blank">§ 28 Abs. 6 ORF-Gesetz</a>, in dem die Bestellung von 17 Mitgliedern des Publikumsrates durch die Medienministerin vorgesehen ist. Denn wenn man tatsächlich annähme, dieser Bestellungsvorgang wäre weder der Kontrolle der Aufsichtsbehörde unterworfen, noch hätte eine Rechtsverletzung dabei Folgen für die Wirksamkeit der in der Folge vom Publikumsrat getroffenen Beschlüsse, würde diese Bestimmung der Medienministerin unüberprüfbar freie Hand zur Bestimmung der Mehrheit der Publikumsratsmitglieder einräumen, was mit dem BVG Rundfunk schwer (meines Erachtens: gar nicht) vereinbar wäre. Da aber ein Gesetz im Zweifel verfassungskonform auszulegen ist, würde ich eher der Auffassung zuneigen, wonach die Bestellung der Publikumsratsmitglieder durch die KommAustria überprüfbar ist. Die zweite Variante, dass zumindest die vom Publikumsrat gefassten Beschlüsse jeweils im Einzelfall dahin geprüft werden können, ob an ihnen ein "Pseudo-Mitglied" teilgenommen hat, was die Nichtigkeit auch der solcherart gefassten Beschlüsse nach ziehen könnte, hätte nämlich auch den Nachteil, dass damit eine schwebende Unwirksamkeit oder allenfalls Vernichtbarkeit zahlreicher teilweise weitreichender Beschlüsse und damit eine hohe Unsicherheit verbunden wäre. </div><div><br /></div><div>7. Vielleicht geben die aktuellen Probleme doch auch Anlass, dass sich der Gesetzgeber etwas grundsätzlicher mit der Gremienstruktur des ORF befasst. Ob darüber nachgedacht wird, ist aufgrund des angekündigten transparenten Prozesses zu einer Novelle des ORF-Gesetzes, über den man aber leider trotzdem nichts wissen darf, von außen nicht nachvollziehbar.</div><div><br /></div><div><b>PS:</b> ich habe mich mit dem Publikumsrat hier aus rein akademischem Interesse befasst, freue mich aber, dass ich damit - wie ich höre - offenbar schon einen gewissen Anreiz für die Belebung des Rechtsgutachtenmarkts gegeben habe (an dem ich natürlich nicht teilnehme). Irgendwer muss ja auch die Argumente zusammentragen, aus denen sich schlüssig ergibt, dass ich unrecht habe ;-) Gespannt bin ich nicht nur auf die Argumente, sondern zunächst natürlich auch darauf, ob das intern bleibt, allenfalls nur in Äußerungen gegenüber Medien einfließt, oder ob Gutachten auch veröffentlicht werden. </div><div><br /></div><div><b>Update 04.07.2022</b>: Inzwischen wurden tatsächlich zwei Beschwerden an die KommAustria gegen die Bestellung der Publikumsratsmitglieder durch die Bundesministerin für für Frauen, Familie, Integration und Medien im Bundeskanzleramt eingebracht, und zwar von der Universitätenkonferenz einerseits (<a href="https://www.derstandard.at/story/2000136212552/bestellung-des-orf-publikumsrats-durch-ministerin-raab-wird-als-rechtswidrig" rel="nofollow" target="_blank">Bericht auf derstadard.at dazu</a>) und - als Popularbeschwerde - durch den Presseclub Concordia andererseits (<a href="https://concordia.at/wp-content/uploads/2022/06/Popularbeschwerde-zur-Sicherung-der-Unabhaengigkeit-des-ORF_geschwaerzt.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Text der Beschwerde</a>).</div><div>Außerdem hat das Land Burgenland einen Normenkontrollantrag betreffend einzelne Bestimmungen des ORF-Gesetzes, die die Bestellung von Stiftungs- und Publikumsrat regeln, gestellt; dieser Antrag ist <a href="https://www.burgenland.at/fileadmin/user_upload/Downloads/Landesregierung/B662-10000-4-2022_ORF-Gesetz.pdf" rel="nofollow" target="_blank">hier online verfügbar</a> (siehe auch die <a href="https://www.burgenland.at/service/medienservice/aktuelle-meldungen/detail/regierungseinfluss-sideletter-freundeskreise-burgenland-will-mit-verfassungsbeschwerde-unabhaengigkeit-des-orf-sichern/" rel="nofollow" target="_blank">Presseaussendung dazu</a>).</div>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-32101317464139791922022-03-22T13:40:00.104+01:002023-01-30T16:58:35.314+01:00Überwachen, Blocken, Delisten - Zur Reichweite der EU-Sanktionen gegen RT und Sputnik (Langversion)<div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">
<b><i>Dies ist eine längere - am Ende auch um einen Exkurs zur österreichischen Situation ergänzte - Fassung meines zunächst
<a href="https://verfassungsblog.de/uberwachen-blocken-delisten/" target="_blank">auf dem Verfassungsblog erschienen Beitrags</a>. Wer weniger Zeit hat, bitte
<a href="https://verfassungsblog.de/uberwachen-blocken-delisten/" target="_blank">auf Verfassungsblog lesen</a>!</i></b> <br />[Nachtrag: ein Update zu diesem Post gibt es <a href="https://blog.lehofer.at/2022/06/sanktionen-update.html" target="_blank">in diesem Blogbeitrag vom 9. Juni 2022</a>; eine Übersicht über das Urteil des EuG vom 27. Juli 2022 betreffend die Sanktionen gegen RT France bringt <a href="https://blog.lehofer.at/2022/07/EuG-RT.html">dieser Blogbeitrag vom 29. Juli 2022</a>, ein weiteres Update zu den Sanktionen im <a href="https://blog.lehofer.at/2023/01/sanktionen-update2.html" target="_blank">Blogbeitrag vom 30. Jänner 2023</a>]</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Die
<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32022R0350&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">Verordnung (EU) 2022/350 des Rates vom 1. März 2022</a>, <a href="#1" name="top1">[1]</a>
mit der Sanktionen betreffend Russia Today (RT) und Sputnik verhängt wurden,
geht – anders als
<a href="https://verfassungsblog.de/the-eus-ban-of-rt-and-sputnik/" target="_blank">ersten</a>
<a href="https://verfassungsblog.de/sendeverbot-durch-sanktionen/" target="_blank">Reaktionen</a>
zufolge – über ein Sendeverbot für diese Kanäle weit hinaus:
Internetzugangsanbieter werden zu Websitesperren verpflichtet, Suchmaschinen
müssen ihre Suchergebnisse bereinigen, und Social Media-Plattformen wird,
abweichend von Art. 15
<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32000L0031&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">E-Commerce-Richtlinie</a>, eine allgemeine Überwachungspflicht auferlegt. Damit betritt die
EU-Sanktionspolitik Neuland – nicht nur, weil sich diese restriktiven
Maßnahmen insbesondere auch auf die Verbreitung dieser Kanäle im Internet
auswirken. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><h3 style="text-align: left;">Zwischen Routine und Neuland</h3>
EU-Sanktionen sind in den letzten Jahren ein wenig zum bürokratischen
Routineinstrument geworden. Der Rat hat sich schon 2004 auf
<a href="https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-10198-2004-REV-1/de/pdf" rel="nofollow" target="_blank">Grundprinzipien für den Einsatz restriktiver Maßnahmen (Sanktionen)</a>
geeinigt, und die zuletzt 2018 überarbeiteten
<a href="https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-5664-2018-INIT/de/pdf" rel="nofollow" target="_blank">Sanktionsleitlinien</a>, ergänzt durch das Ratsdokument über
<a href="https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-8519-2018-INIT/de/pdf" rel="nofollow" target="_blank">„Vorbildliche Verfahren der EU für die wirksame Umsetzung restriktiver
Maßnahmen“</a>, haben zu einer weitgehend standardisierten Vorgangsweise bei der
Beschlussfassung und Umsetzung der jeweils konkret verhängten Maßnahmen
beigetragen.
Es war daher wenig überraschend, dass nach dem Angriff auf die Ukraine die
klassischen Sanktionen (Einreiseverbote, Wirtschaftssanktionen,
Waffenembargos) routiniert hochgefahren wurden. Die
<a href="https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage_en/8442/Consolidated list of sanctions" rel="nofollow" target="_blank">regelmäßig aktualisierte konsolidierte Sanktionenliste</a>
wuchs rasch an, in der pdf-Version auf aktuell 679 Seiten (Stand 18.3.2022),
wobei zwischen Afghanistan und Zimbabwe die Eintragungen zu Belarus und zur
Russischen Föderation sprunghaft zunahmen. Im Handling dieser Sanktionen
sind die Mitgliedstaaten ebenso wie die typischerweise betroffenen
Unternehmen erfahren: die Sanktionenlisten werden in Datenbanken eingepflegt
und bei Grenzkontrollen und im Handels-, Dienstleistungs- und
Zahlungsverkehr berücksichtigt.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Und dann kam – erkennbar ohne lange Vorbereitung – die
<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32022R0350&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">Verordnung (EU) 2022/350 des Rates vom 1. März 2022</a>, mit Sanktionen betreffend die englisch-, deutsch-, französisch- und
spanischsprachigen Inhalte von RT (Russia Today) und – ohne sprachliche
Differenzierung – für die Inhalte von Sputnik. Diese Maßnahme passt auf den
ersten Blick nicht in das bisherige Bild von Wirtschafts- und
Finanzsanktionen, und sie hat – weil sie im Ergebnis ein bisher in der EU
empfangbares Medienangebot „ausschaltet“ – auch unter dem Gesichtspunkt der
Medienfreiheit größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Dabei stand vor
allem das „Verbot“ für RT und Sputnik im Vordergrund, während meines
Erachtens die heikleren Fragen eher in der Abgrenzung der konkreten
Reichweite dieser neuen Sanktionen – vor allem im Hinblick auf
Internetdienstleister und Kommunikationsplattformen – liegen.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> <h3 style="text-align: left;">Es geht nicht nur ums Fernsehen</h3>
Entgegen dem mancherorts entstandenen Eindruck werden durch die Verordnung
nämlich nicht die Rundfunkprogramme RT und Sputnik als solche „verboten“.
Die restriktiven Maßnahmen richten sich – jedenfalls formal – gegen die
juristischen Personen, Organisationen und Einrichtungen, die hinter diesen
Bezeichnungen stehen<a href="#2" name="top2">[2]</a> und bestehen aus (1) einem Verbot, von RT und
Sputnik stammende Inhalte zu senden, (2) einem Verbot, das Senden dieser
Inhalte zu ermöglichen, zu erleichtern oder sonst dazu beizutragen (3) der
Anordnung, dass Rundfunklizenzen und Genehmigungen (also behördliche
Entscheidungen) ebenso wie Übertragungs- und Verbreitungsvereinbarungen
(private Verträge) ausgesetzt sind, und (4) einem Verbot, wissentlich und
vorsätzlich an Aktivitäten zur Umgehung der Verbote teilzunehmen. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Das erste Verbot (Inhalte zu senden, die von RT und Sputnik stammen<a href="#3" name="top3">[3]</a>)
richtet sich nicht allein gegen das technische Ausstrahlen<a href="#4" name="top4">[4]</a> der
Rundfunkprogramme von RT und Sputnik, sondern untersagt (auch und vor allem)
die Übernahme von RT- und Sputnik-Inhalten in andere Rundfunkprogramme.
Neben Sender(netz)betreibern sind daher auch Rundfunkveranstalter Adressaten
der Norm. Dabei geht es selbstverständlich um Hörfunk- ebenso wie um
TV-Inhalte; die von
<a href="https://verfassungsblog.de/the-eus-ban-of-rt-and-sputnik/" target="_blank"><i>Baade </i>im Verfassungsblog</a>
aus der englischen Sprachfassung der AVMD-RL abgeleitete Einschränkung auf
Fernsehinhalte überzeugt schon deshalb nicht, weil das Verbot dann im
Hinblick auf das Hörfunkprogramm Sputnik ins Leere laufen würde: es kann dem
Rat nicht unterstellt werden, eine ausdrücklich – laut Anhang XV zur
Verordnung – sanktionierte Einrichtung durch den Text der eigentlichen
Sanktionsbestimmung wieder ausnehmen zu wollen.<a href="#5" name="top5">[5]</a></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Zudem übergeht der –
auch von
<a href="https://verfassungsblog.de/sendeverbot-durch-sanktionen/" target="_blank"><i>Ferreau </i>im Verfassungsblog</a>
unternommene – Versuch, Begriffe der Verordnung des Rates über restriktive
Maßnahmen anhand der
<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A02010L0013-20181218" rel="nofollow" target="_blank">AVMD-RL</a>
auszulegen, den völlig anderen systematischen Zusammenhang im
Sanktionenrecht, wo es darum geht, eine bestimmte ökonomische Aktivität
möglichst lückenlos zu erfassen. Und schließlich ist auch der Hinweis
<i><a href="https://verfassungsblog.de/the-eus-ban-of-rt-and-sputnik/" target="_blank">Baades</a></i>
auf die Aussetzung von Rundfunklizenzen und -Genehmigungen kein Indiz dafür,
dass nur Aktivitäten untersagt werden sollten, die derartige Lizenzen
erfordern würden. Die Aussetzung betrifft zudem Genehmigungen, die RT und
Sputnik selbst innehaben, während sich das Verbot des Sendens von RT- und
Sputnik-Inhalten gerade nicht an RT und Sputnik richtet, sondern an andere
Rundfunkveranstalter und Netzbetreiber. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Die Berichterstattung über RT und Sputnik durch andere Medien, auch unter
Verwendung von Beispielen, ist nicht als Senden (Verbreiten) von RT- bzw.
Sputnik-Inhalten anzusehen, wenn sich der jeweilige Verbreiter diese Inhalte
nicht zu eigen macht und damit das Verbreitungsverbot zu umgehen sucht. Hier
wird man sich wohl auch an der urheberrechtlichen Rechtsprechung zum
Zitatrecht orientieren können, wo es auch darauf ankommt, ob eine Verbindung
mit eigenen Gedanken hergestellt oder das zitierte Werk bloß um seiner
selbst willen gezeigt wird.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><h3 style="text-align: left;">Erleichtern, Ermöglichen, Beitragen: das Verbot kann viele treffen
</h3>
Das zweite Verbot richtet sich gegen eine Art „Beitragstäterschaft“, die
jenen vorzuwerfen ist, die das Senden<a href="#6" name="top6">[6]</a> ermöglichen oder erleichtern,
oder die auf andere Weise dazu beitragen, dass die Inhalte „gesendet“
werden. Dabei stellt die Verordnung nicht bloß auf die Erleichterung oder
Ermöglichung des Sendens im engeren Sinne ab, sondern macht durch einen
weiteren Halbsatz klar, dass auch „die Übertragung oder Verbreitung über
Kabel, Satellit, IP-TV, Internetdienstleister,
Internet-Video-Sharing-Plattformen oder -Anwendungen“ verboten ist. Auch
hier geht es nicht bloß um die (unveränderte, vollständige) Übertragung oder
Verbreitung der RT- und Sputnik-Programme, sondern um die Verbreitung aller
Inhalte, die von RT und Sputnik stammen. Es ist daher egal, ob die Inhalte
in einem „Programm“ – also im Sinne der
<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A02010L0013-20181218" rel="nofollow" target="_blank">AVMD-RL</a>
„auf der Grundlage eines Sendeplans“ – verbreitet werden, oder ob nur
einzelne Beiträge oder Sendungen auf Abruf bereitgestellt werden, wie dies
typischerweise auf Video-Plattformen oder mit Apps der Fall ist. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Um dieses weitreichende Verbot etwas einzuhegen, nimmt die Verordnung
allerdings nicht jedermann in Pflicht, sondern nur „Betreiber.“ Dieser
Begriff wird nicht definiert und findet sich auch nicht bei anderen
Sanktionen in der Verordnung. Zu verstehen ist der Begriff auch nicht mit
einer telekommunikations- oder medienrechtlichen Herleitung, denn weder im
<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32018L1972&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (EKEK)</a>
noch in der
<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A02010L0013-20181218" rel="nofollow" target="_blank">AVMD-RL</a>
finden sich dafür passende Definitionen: Der
<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32018L1972&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">EKEK</a>
versteht unter Betreibern bloß die Netzbetreiber, nicht aber zB die Anbieter
von Internetzugangsdiensten, und die
<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A02010L0013-20181218" rel="nofollow" target="_blank">AVMD-RL</a>
kennt den Begriff des Betreibers gar nicht. Der systematische Zusammenhang
und die Zielsetzung der Verordnung, die im Wesentlichen sicherstellen will,
dass die Bedrohung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Union durch
Propagandaaktionen der unter Kontrolle der Führung der Russischen Föderation
stehenden Medien (vgl. Erwägungsgrund 8 zur Verordnung (EU) 2022/350)
abgestellt wird, sprechen dafür, den Betreiber-Begriff weit zu verstehen. Es
liegt nahe, „Betreiber“ (englisch: „operators“, frz. „opérateurs“) im hier
maßgeblichen Zusammenhang als Kurzform von „Wirtschaftsakteur“ (englisch:
„economic operators“, frz. „opérateurs économiques“) zu verstehen. Wie beim
Einsatz dieses Begriffs insbesondere im Produktrecht der Union geht es
nämlich auch hier darum, möglichst alle Formen wirtschaftlicher Tätigkeit in
Bezug auf die zu regelnde Materie zu erfassen – in Abgrenzung zu bloß
privaten, nicht als Teilnahme am Wirtschaftsleben zu verstehenden
Tätigkeiten. [Ergänzung 14.4.2022: siehe nun auch die FAQs der Kommission zu diesen Sanktionen, die in die hier vertretene Richtung gehen: <i>"the prohibition applies to <b>any person or entity or body exercising a commercial or professional activity</b> that broadcasts or enables, facilitates or otherwise contributes to broadcast the content at issue."</i> (Hervorhebung hinzugefügt).]</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Es kommt daher nicht darauf an, welche konkrete wirtschaftliche Tätigkeit
ein „Betreiber“ ausübt, und wie diese Tätigkeit sonst regulatorisch
einzustufen ist (etwa als Dienst der Informationsgesellschaft, Anbieten von
Kommunikationsdiensten, audiovisueller Mediendienst, usw.), solange er durch
diese Tätigkeit das Senden oder Verbreiten von RT- und Sputnik-Inhalten
ermöglicht oder erleichtert oder auf andere Weise dazu beiträgt.
Naheliegende Beispiele sind die in der Verordnung ausdrücklich genannten
„Internetdienstleister“ oder Video-Sharing-Plattformen, aber es könnten zB
auch Hersteller oder Händler von Mobiltelefonen sein, die durch das
Vorinstallieren von Apps, mit denen RT- oder Sputnik-Inhalte gestreamt
werden können, deren Verbreitung erleichtern. Lediglich das private
Verbreiten von Videos oder Hörfunkaufnahmen mit RT- oder Sputnik-Inhalten,
auch wenn es zB durch Hochladen auf Video-Plattformen geschieht, wäre nach
diesem Verständnis nicht vom Verbot des Art. 2f Abs. 1 der Verordnung
erfasst.<a href="#7" name="top7">[7]</a></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><h3 style="text-align: left;">
Allgemeine Überwachungspflicht auch für Intermediäre
</h3>
Ein derart weites Verständnis des „Betreiber“-Begriffs liegt auch einem
<a href="https://drive.google.com/file/d/1AU_w9QEOrhV0sVhFFctfA311XqUUy8cb/view" rel="nofollow" target="_blank">Mail</a>
zugrunde, das von Google in der
<a href="https://www.lumendatabase.org/" target="_blank">Lumen-Datenbank</a>
veröffentlicht wurde. Dabei handelt es sich nicht um eine offizielle
Position der Kommission, sondern um ein offenbar auf Beamtenebene verfasstes
Schreiben (das an die Unterzeichner des
<a href="https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/policies/code-practice-disinformation" target="_blank">Code of Practice on Disinformation</a>
ergangen sein dürfte), in dem Suchmaschinenbetreiber und Social
Media-Plattformen als „operators“ (Betreiber) qualifiziert werden, die von
der Verordnung umfasst sind.
Dieses Schreiben aus der Kommission unterlegt auch den Worten „ermöglichen,
erleichtern und auf andere Weise beitragen“ – meines Erachtens zutreffend
abgeleitet aus dem Zweck der Sanktionsregeln – ein sehr weites
Begriffsverständnis. Suchmaschinen spielten eine entscheidende Rolle in der
Verbreitung von Inhalten, so die (unter anderem auf das
<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=152065&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7163616" rel="nofollow" target="_blank">EuGH-Urteil <i>Google Spain</i></a>
gestützte) Argumentation, und würden daher, wenn sie RT und Sputnik nicht
„delisten“ (aus Suchergebnissen entfernen), den Zugang der Öffentlichkeit zu
Inhalten von RT und Sputnik erleichtern. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Ähnliches gelte für Social Media: Auch diese seien „Betreiber“ im Sinne der
Verordnung und müssten verhindern, dass User – egal ob private User oder RT
und Sputnik selbst – Inhalte von RT und Sputnik verbreiten. Accounts von RT
und Sputnik müssten schon deshalb suspendiert werden, da es sich dabei um
Verbreitungsvereinbarungen im Sinne von Art. 2f Abs. 2 der Verordnung
handle. Auch Postings privater User mit Inhalten von RT und Sputnik dürften
nicht veröffentlicht werden; bereits veröffentlichte Beiträge seien zu
löschen. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Das Mail aus der Kommission bringt auch zum Ausdruck, dass die Anforderungen
an Social Media-Betreiber in einem Spannungsverhältnis zu Art. 15 der
<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32000L0031&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">E-Commerce-RL</a>
stehen, aber der Entschluss, in der Verordnung von Art. 15 der
<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32000L0031&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">E-Commerce-RL</a>
abzuweichen (<i>„to fully depart … from the E-commerce Directive“</i>), sei
bewusst erfolgt. Die Kommission dürfte also die Verordnung so auslegen, dass
damit eine aktive Überwachungspflicht auch für Hosting-Anbieter verbunden
ist – eine Verpflichtung, wie sie die Mitgliedstaaten nach Art. 15 der
<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32000L0031&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">E-Commerce-RL</a>
den Anbietern nicht auferlegen dürfte. (Offen bleibt – weil nicht Gegenstand
des Mails –, ob die Kommission dies auch für „mere conduit“, also bloße
Durchleitung im Sinne des Art. 12
<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32000L0031&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">E-Commerce-RL</a>
ähnlich sieht). </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Aus dem Blickwinkel des Sanktionenrechts ist all das folgerichtig: Wenn es
Unternehmern verboten ist, eine bestimmte Tätigkeit zu ermöglichen, zu
erleichtern oder zu ihr beizutragen, dann ist selbstverständlich jeder
Unternehmer auch dazu verpflichtet sicherzustellen, dass durch seine
geschäftlichen Aktivitäten keine derartige Ermöglichung, Erleichterung oder
ein sonstiger Beitrag bewirkt wird. Im Außenwirtschaftsrecht ist es
anerkannt, dass Unternehmen dazu angehalten sind, „ein innerbetriebliches
Compliance-Programm zur Einhaltung der Vorschriften des
Außenwirtschaftsrechts zu implementieren“ (vgl. etwa das
<a href="https://www.bafa.de/SharedDocs/Downloads/DE/Aussenwirtschaft/afk_merkblatt_icp.pdf?__blob=publicationFile&v=5" rel="nofollow" target="_blank">BAFA-Merkblatt Firmeninterne Exportkontrolle</a>;
<a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40128008/NOR40128008.html" rel="nofollow" target="_blank">§ 49 österr. Außenwirtschaftsgesetz</a>
spricht von „internen Sicherungsmaßnahmen“). In ähnlicher Weise obliegt es
daher zB den Suchmaschinen und Social Media-Plattformen, ihre Risken im
Hinblick auf die Verbreitung sanktionierter Inhalte zu analysieren und
interne Prozesse aufzusetzen, um im Rahmen des Möglichen diese Risken zu
minimieren und damit gegebenenfalls im Streitfall den Nachweis mangelnden
Verschuldens für eine dennoch festgestellte Übertretung der
Sanktionsbestimmungen führen zu können. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Dabei gilt: Je näher an der Gefahr, desto höher die Anforderungen an die
Compliance. Große Kommunikationsplattformen – die im Übrigen mit
urheberrechtsverletzenden oder terroristischen Inhalten (besser oder
schlechter) umzugehen gelernt haben – laufen ein hohes Risiko, dass sie zur
Verbreitung von sanktionierten RT- und Sputnik-Inhalten genutzt werden, und
müssen daher auch besondere Vorsorge- und gegebenenfalls Abhilfemaßnahmen
setzen, wollen sie nicht Gefahr laufen, den restriktiven Maßnahmen gegenüber
RT und Sputnik zuwiderzuhandeln. Ähnliches gilt für Suchmaschinenbetreiber,
die in diesem Zusammenhang auf Erfahrungen aus dem Umgang mit anderen
Rechtspflichten – insbesondere jenen zum „Recht auf Vergessenwerden“ –
zurückgreifen können. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> <h3 style="text-align: left;">Websperren</h3>
Bei den in der Verordnung ausdrücklich erwähnten „Internetdienstleistern“
muss man differenzieren: Jene, die in direkten Vertragsbeziehungen zu RT und
Sputnik stehen, weil sie etwa deren Angebote hosten oder die nötige
Anbindung herstellen, sind jedenfalls Betreiber im Sinne der Verordnung, die
die eine Verbreitung ermöglichen. Internetzugangsanbieter, die keinen
Vertrag mit RT oder Sputnik haben, stellen anderen Personen Zugang zum
Internet bereit und tragen damit dazu bei, dass diese gegebenenfalls Inhalte
von RT und Sputnik erreichen können. Auch diese reinen Access Provider
müssen daher Maßnahmen ergreifen, um die Erreichbarkeit der RT- und
Sputnik-Inhalte möglichst zu verhindern. Dazu ist es erforderlich, den
Zugang zu den bekannten Websites dieser Angebote (bzw. zu Websites, auf die
RT und Sputnik allenfalls ausweichen) zu sperren. Eine Beeinträchtigung der
Netzneutralität im Sinne der
<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32015R2120&from=DE" rel="nofollow" target="_blank">Verordnung (EU) 2015/2120 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen
Internet</a>
ist damit nicht verbunden, denn Art. 3 Abs 3. Buchstabe a. dieser Verordnung
erlaubt es, bestimmte Inhalte, Anwendungen oder Dienste zu blockieren,
soweit und solange es erforderlich ist, um Gesetzgebungsakten der Union zu
entsprechen (siehe in diesem Sinne auch eine
<a href="https://berec.europa.eu/eng/news_and_publications/whats_new/9321-berec-open-internet-regulation-is-not-an-obstacle-in-implementing-eu-sanctions-to-block-rt-and-sputnik" target="_blank">Stellungnahme von BEREC</a>).</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> <h3 style="text-align: left;">Und die Grundrechte? </h3>
Vorweg: die Verordnung wurde auf der Grundlage eines vorangegangenen
Beschlusses im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP,
Titel V Kapitel 2
<a href="https://ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10008048" rel="nofollow" target="_blank">EUV</a>) auf der Kompetenzgrundlage des
<a href="https://ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40157987/NOR40157987.html" rel="nofollow" target="_blank">Art. 215 AEUV</a>
erlassen und ist ein Instrument der Außenwirtschaftspolitik, nicht der
Medienregulierung. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Die Stammfassung der Verordnung aus dem Jahr 2014 war
bereits Gegenstand mehrerer EuGH-Urteile (<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=189262&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7569069" rel="nofollow" target="_blank">28.3.2017, C-72/15 <i>Rosneft</i></a>;
<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=233622&pageIndex=0&doclang=EN&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7568105" rel="nofollow" target="_blank">25.6.2020, C‑731/18 P, <i>Vnesheconombank/Rat</i></a>;
<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=227736&pageIndex=0&doclang=EN&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7566113" rel="nofollow" target="_blank">25.6.2020, C-729/18 P, <i>VTB Bank/Rat</i></a>;
<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=231202&pageIndex=0&doclang=EN&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7565204" rel="nofollow" target="_blank">17.9.2020, C‑732/18 P <i>Rosneft/Rat</i></a>). Im
<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=189262&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7569069" rel="nofollow" target="_blank">Urteil </a><i><a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=189262&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7569069" rel="nofollow" target="_blank">Rosneft</a> </i>betonte der EuGH, dass die geltend gemachten Grundrechte (unternehmerische
Freiheit nach Art. 16 GRC, Eigentumsrecht nach Art. 17 GRC) nicht
uneingeschränkt gelten und ihre Ausübung Beschränkungen unterworfen werden
kann, die durch im Allgemeininteresse liegende Ziele der Union
gerechtfertigt sind – sofern die Beschränkungen tatsächlich diesen im
Allgemeininteresse liegenden Zielen entsprechen und keinen im Hinblick auf
den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff
darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antasten
würde. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung führte in diesen Fällen zum Ergebnis,
dass die Sanktionen rechtmäßig waren. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Hervorzuheben ist, dass der EuGH dem Rat wegen „des breiten Spektrums der in
Art. 3 Abs. 5 EUV und Art. 21 EUV sowie den speziellen Vorschriften über die
GASP, insbesondere den Art. 23 und 24 EUV, genannten Ziele und Felder der
GASP“ bei der Festlegung des Gegenstands der restriktiven Maßnahmen einen
großen Spielraum einräumt (<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=189262&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7569069" rel="nofollow" target="_blank"><i>Rosneft </i>Rn. 88</a>), der auch auf die diese Maßnahmen für die Union durchführende Verordnung
durchschlägt. Eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme ist nur dann
rechtswidrig, wenn sie zur Erreichung des vom zuständigen Organ verfolgten
Ziels offensichtlich ungeeignet ist (<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=189262&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7569069" rel="nofollow" target="_blank"><i>Rosneft</i>, Rn. 146</a>). Vor diesem Hintergrund haben auch die gegen RT und Sputnik verhängten
Maßnahmen eine gute Chance, die Verhältnismäßigkeitsprüfung vor dem EuGH
jedenfalls im Hinblick auf Art. 16 und 17 GRC zu bestehen. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Ähnliches gilt auch für die sekundär betroffenen Dienstleister wie
Netzbetreiber, Suchmaschinen, „Internetdienstleister“ oder
Kommunikationsplattformen: Dass restriktive Maßnahmen definitionsgemäß
Auswirkungen haben, die die Eigentumsrechte und die freie Berufsausübung
beeinträchtigen, und dadurch Parteien schädigen, die für die Situation, die
zum Erlass der Sanktionen geführt hat, nicht verantwortlich sind, hat der
EuGH schon in seinem Urteil vom
<a href="https://curia.europa.eu/juris/showPdf.jsf?text=&docid=100308&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7678422" rel="nofollow" target="_blank">30.7.1996, C-84/95, <i>Bosphorus</i></a><i> </i>ausgesprochen und darauf im
<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=189262&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7569069" rel="nofollow" target="_blank">Urteil </a><i><a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=189262&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7569069" rel="nofollow" target="_blank">Rosneft</a> </i>wieder verwiesen. Dieser Umstand allein führt also nicht zur
Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Worin sich die hier zu behandelnde restriktive Maßnahme allerdings von
klassischen Wirtschaftssanktionen unterscheidet, ist der Umstand, dass
Medieninhalte betroffen sind und damit die durch Art. 11 GRC gewährleistete
Freiheit, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne
Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Ob tatsächlich
ein Eingriff vorliegt, ist aber bei RT und Sputnik keineswegs gewiss: Folgt
man den Erwägungsgründen der Verordnung, läge es nahe, die Frage des
möglichen Missbrauchs der Rechte nach Art. 54 GRC zu prüfen (vgl. zur
parallelen Bestimmung des Art. 17 EMRK die
<a href="https://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-183289" rel="nofollow" target="_blank">Zurückweisungsentscheidung des EGMR vom 17.4.2018, <i>Roj TV A/S</i>,
24683/14</a>, mit der die auf Art. 10 EMRK gestützte Beschwerde dieses
Rundfunkveranstalters gegen den Lizenzentzug unter Berufung auf Art. 17 EMRK
zurückgewiesen wurde). </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Netzsperren oder die Verhinderung des Zugangs zu bestimmten Inhalten greifen
aber jedenfalls in die durch Art. 11 GRC geschützte Rechtsstellung der
Nutzer ein, denen der Zugang verwehrt wird (vgl. zu einer gerichtlich
angeordneten Website-Sperre:
<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=149924&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7558472" rel="nofollow" target="_blank">EuGH 27.3.2014, C-314/12, </a><i><a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=149924&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=7558472" rel="nofollow" target="_blank">UPC Telekabel Wien</a> </i>[siehe im Blog dazu
<a href="https://blog.lehofer.at/2014/03/UPCTelekabel2.html" rel="nofollow" target="_blank">hier</a>]). Diese grundrechtlich geschützte Position der Nutzer hätte der EuGH
daher bei einer Prüfung der Gültigkeit der Verordnung<a href="#8" name="top8">[8]</a> in die Abwägung
miteinzubeziehen. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">
<h3 style="text-align: left;">Ausblick</h3>
Sanktionen sind ein scharfes Schwert. Sie müssen es auch sein, um die
gewünschte Wirkung zu zeigen. Als Maßnahme der Außen- und Sicherheitspolitik
liegen der Verhängung von Sanktionen politische, wirtschaftliche und soziale
Entscheidungen zu Grunde, bei denen der Rat komplexe Würdigungen vornehmen
muss und daher über einen großen Wertungsspielraum verfügt (vgl.
<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=174656&pageIndex=0&doclang=de&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=1070052" rel="nofollow" target="_blank">EuGH 1.3. 2016, C‑440/14 P, <i>National Iranian Oil Company/Rat</i>,</a>
Rn. 77). Dass im Fall der Maßnahmen gegen RT und Sputnik Medieninhalte
betroffen sind, bringt eine neue Dimension ins Spiel – auch weil damit viele
Unternehmen in der EU, die sonst kaum mit außenwirtschaftlichen
Problemstellungen konfrontiert sind, plötzlich Vorkehrungen treffen müssen,
um die restriktiven Maßnahmen umzusetzen und Verstöße in Zukunft zu
vermeiden. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Prämisse der verhängten restriktiven Maßnahmen ist, dass RT und Sputnik als
staatlich kontrollierte Medien Teil einer Kampagne der Medienmanipulation
und Verfälschung von Fakten sind, mit der die russische Strategie der
Destabilisierung der Union und ihrer Mitgliedstaaten intensiviert wurde, und
dass dies eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit der Union
darstellt (Erwägungsgründe 6 bis 8 der Verordnung (EU) 2022/350). Hält diese
Prämisse der Prüfung durch den EuGH stand, wird wohl auch der Aspekt, dass
nun auch Medienangebote betroffen sind, nichts an der (grundsätzlichen)
Zulässigkeit der Sanktionen ändern. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Eine andere Frage ist, ob diese Sanktionen politisch klug sind. Dass mit
diesen Maßnahmen kurz vor der umfassenden Neuregelung der Verantwortung von
Intermediären und Plattformen mit dem Digital Services Act sozusagen im
Vorbeigehen – wenn auch sachlich und zeitlich begrenzt – auch noch Art. 15
E-Commerce-RL faktisch ausgehebelt wird, macht die Sache in der
rechtspolitischen Würdigung nicht besser. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"> <h3 style="text-align: left;">Exkurs: ein paar Worte zu Österreich</h3>
Die Sanktionen sind unmittelbar in allen Mitgliedstaaten geltendes
Unionsrecht. Nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung legen die Mitgliedstaaten für
Verstöße gegen die Verordnung „Sanktionen fest und treffen die zur
Sicherstellung ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Die vorgesehenen
Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“ In
Österreich regelt das
<a href="https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20006805" rel="nofollow" target="_blank">Sanktionengesetz</a> die Durchführung völkerrechtlich verpflichtender Sanktionsmaßnahmen,
einschließlich unmittelbar anwendbarer Sanktionsmaßnahmen der EU, „soweit
diese nicht in einem anderen Bundesgesetz geregelt ist.“ Ein solches
„anderes Bundesgesetz“ war bis jetzt (nur) das
<a href="https://ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20007221" rel="nofollow" target="_blank">Außenwirtschaftsgesetz </a>(im Hinblick auf restriktive Maßnahmen, die sich auf Güter beziehen). </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Das
Sanktionengesetz stellt vor allem auf klassische Sanktionen ab, mit denen
bestimmte Transaktionen oder Dienstleistungen verboten oder eingeschränkt
werden, was sich auch in den (Verwaltungs-)Strafbestimmungen widerspiegelt.
Dort wird die Abgrenzung zwischen gerichtlicher Strafbarkeit und
Verwaltungsübertretung am Wert der Transaktion festgemacht (die Grenze liegt
bei Rechtsgeschäften über Vermögensbestandteile bzw. bei Dienstleistungen
jeweils bei 100 000 €: was darüber ist, ist gerichtlich strafbar). Für die Anwendung bei den Sanktionen betreffend RT und Sputnik scheint das nur begrenzt sinnvoll, weil - abgesehen von Verbreitungsvereinbarungen - oft kein entsprechender Wert der Transaktion oder Dienstleistung festzustellen sein wird). </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Anlässlich der Behandlung einer Änderung des KommAustria-Gesetzes und des
Digitalsteuergesetzes hat der Verfassungsausschuss des Nationalrats daher am
9.3.2022 einen
<a href="https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/I/I_01383/index.shtml" rel="nofollow" target="_blank">selbständigen Antrag (nach § 27 GOG) für eine Änderung des Bundesgesetzes
über audiovisuelle Medien (AMD-G)</a>
beschlossen. Mit dieser Änderung soll - als lex specialis zum
Sanktionengesetz - eine neue Verwaltungsstrafbestimmung geschaffen werden,
nach der eine Verwaltungsübertretung begeht, wer entgegen unmittelbar
anwendbaren Sanktionsmaßnahmen der EU
<ol style="text-align: left;">
<li>
als Anbieter eines Kommunikationsdienstes einen audiovisuellen
Mediendienst oder ein Radioprogramm überträgt oder dies ermöglicht,
erleichtert oder auf andere Weise dazu beiträgt,
</li>
<li>
als Hörfunkveranstalter nach dem PrR-G oder als Mediendiensteanbieter
Sendungen, Sendereihen oder Teile von Sendungen von ausländischen
Programmen übernimmt oder dies ermöglicht, erleichtert oder auf andere
Weise dazu beiträgt,
</li>
<li>
als Video-Sharing-Plattformanbieter Inhalte (Sendungen, Sendungsteile oder
nutzergenerierte Videos) ausländischer Mediendiensteanbieter oder
Radioveranstalter bereitstellt oder dies ermöglicht, erleichtert oder auf
andere Weise dazu beiträgt, oder
</li>
<li>
in sonstiger Weise wissentlich dazu beiträgt, die Umgehung dieser
Sanktionsmaßnahmen zu bezwecken oder zu bewirken.
</li>
</ol>
<p></p>
Diese Bestimmungen stellen in den Z 1 bis 3 auf
Kommunikationsdiensteanbieter (also zB Internetzugangsanbieter),
Hörfunkveranstalter, Mediendiensteanbieter und Video-Sharing-Plattformen ab
und decken damit wohl den Großteil der verpflichteten Unternehmen ab. Nicht
erfasst wären Suchmaschinen und Social-Media-Plattformen, bei denen es sich
nicht um Video-Sharing-Plattformen handelt. Angesichts der
<a href="https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/I/I_01383/fname_1429855.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Erläuterungen zum Antrag</a>
ist davon auszugehen, dass mit dieser Novellierung des AMD-G
Verwaltungsstrafbestimmungen für alle potentiellen Verstöße gegen die
Verordnung (EU) 2022/350 geschaffen werden sollten, sodass für eine
"subsidiäre" Anwendung des Sanktionengesetzes - auf Unternehmen, die von der
Bestimmung im AMD-G nicht erfasst werden - wohl ausscheidet. Da die
Hauptanwendungsfälle in der Praxis in Österreich aber ohnehin, Hörfunk-,
Mediendienste- und Internetzugangsanbieter betreffen, solle dies in der
Praxis kein relevantes Problem darstellen.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Verwaltungsstrafbehörde wird -
aufgrund der Einfügung in das AMD-G - die KommAustria.
Der Antrag wird am 24.3.2022 im Plenum des Nationalrats behandelt. Das
Gesetz soll am Tag nach der Kundmachung im BGBl in Kraft treten. Bis
dahin wären allfällige Verstöße noch von den Bezirksverwaltungsbehörden bzw.
Landespolizeidirektionen nach dem Sanktionengesetz zu verfolgen. Die Verpflichtung der in der Verordnung angesprochenen „Betreiber“, die Sanktionen einzuhalten, ist natürlich nicht von der Beschlussfassung der AMD-G-Novelle abhängig. [<b>Update 13./14.4.2022:</b> die Novelle zum AMD-G wurde am 13.4.2022 im BGBl veröffentlicht (<a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2022_I_55/BGBLA_2022_I_55.pdfsig" rel="nofollow" target="_blank">BGBl I 2022/55</a>), sie ist seit 14.4.2022 in Kraft. Die KommAustria hat <a href="https://www.rtr.at/Paragraf_64_3a_AMD-G" target="_blank">hier</a> nähere Informationen - inklusive einer Liste jedenfalls unzulässiger Webangebote - veröffentlicht.]</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>PS:</b> zusätzlich zu den Sanktionen gegen RT und Sputnik hat der Rat auch schon
am 23.2.2022 persönliche Sanktionen gegen Маргарита Симоновна СИМОНЬЯН
(Margarita SIMONYAN), Chefredakteurin des englischsprachigen Dienstes von
Russia Today verhängt (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=OJ:L:2022:042I:FULL&from=EN" rel="nofollow" target="_blank">Z 268 des Anhangs</a>).</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>PPS:</b> Die Sanktionen gegen RT und Sputnik sind auch nicht die ersten, die
ihren Grund (auch) in staatlichen Desinformationskampagnen haben: die
persönlichen Sanktionen gegen Brigadegeneral Zaw Min Tun, Leiter des
Presseteams des Staatsverwaltungsrats und stellvertretender
Informationsminister von Myanmar (<a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32021D1000&from=EN" rel="nofollow" target="_blank">Beschluss (GASP) 2021/1000</a>), gründen sich unter anderem darauf, dass er „Verantwortung für die
Propaganda der Junta und die Verbreitung von Desinformation in den
staatlichen Medien“ trägt. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>Nachtrag:</b> siehe auch den Bericht <a href="https://rm.coe.int/note-rt-sputnik/1680a5dd5d" target="_blank">„The implementation of EU sanctions against RT and Sputnik“</a> der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>Update 30.03.2022</b>: der Präsident des EuG hat heute dem Antrag von RT France auf einstweilige Anordnungen in der <a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&jur=C%2CT%2CF&num=t-125/22&parties=&dates=error&docnodecision=docnodecision&allcommjo=allcommjo&affint=affint&affclose=affclose&alldocrec=alldocrec&docdecision=docdecision&docor=docor&docav=docav&docsom=docsom&docinf=docinf&alldocnorec=alldocnorec&docnoor=docnoor&docppoag=docppoag&radtypeord=on&newform=newform&docj=docj&docop=docop&docnoj=docnoj&typeord=ALL&domaine=&mots=&resmax=100&Submit=Rechercher" rel="nofollow" target="_blank">Rechtssache T-125/22</a> nicht stattgegeben. Er begründet dies im Wesentlichen mit der fehlenden Dringlichkeit, da RT France den drohenden Schaden nicht konkret mit Daten bzw. Zahlen belegt hat; auch die Interessenabwägung fällt zugunsten des Rates aus. Damit entfällt auch die Notwendigkeit, über die Frage zu entscheiden, ob die Klage den fumus boni juris für sich hat - der Beschluss gibt also keinen Hinweis auf die Frage, wie aussichtsreich die Klage ist. Allerdings wird im Beschluss auch mitgeteilt, dass über die Klage "aufgrund der außergewöhnlichen Umstände" im beschleunigten Verfahren entschieden wird (Quellen: <a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=256901&pageIndex=0&doclang=FR&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=6166033" rel="nofollow" target="_blank">Beschluss vom 30.3.2022</a>; <a href="https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2022-03/cp220054fr.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Pressemitteilung des EuG</a>). [Update 04.10.2022: Das EuG hat die Nichtigkeitsklage von RT France mit <a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=263501&pageIndex=0&doclang=FR&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=438717" rel="nofollow" target="_blank">Urteil vom 27.07.2022</a> abgewiesen, dazu im Blog <a href="https://blog.lehofer.at/2022/07/EuG-RT.html" rel="nofollow" target="_blank">hier</a>; das dagegen von RT France erhobene Rechtsmittel ist beim EuGH zu <a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?num=C-620/22&language=de" rel="nofollow" target="_blank">C-620/22 P</a> anhängig.]</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>Nachtrag 10.05.2022:</b> Nikolaus Forgó hat mit mir am 22.04.2022 über die Sanktionen für seinen Video-Kanal "Ars boni" gesprochen; das Video ist <a href="https://www.youtube.com/watch?v=oX7QwnFJse0&t=0s" rel="nofollow" target="_blank">hier</a> zu finden. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Ein <a href="https://inforrm.org/2022/05/08/eu-silences-russian-state-media-a-step-in-the-wrong-direction-dirk-voorhoof/" rel="nofollow" target="_blank">kritischer Beitrag zu den Sanktionen von Dirk Voorhoof</a> ist am 08.05.2022 auf Inforrm's Blog erschienen.</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><b>Nachtrag 25.05.2022:</b> nun haben auch drei niederländische Internetserviceprovider - in einer sogenannten "Freedom of Information Coalition (FOIC)" - Klage auf Nichtigkeit der VO (EU) 2022/350 und des Beschlusses (GASP) 2022/351 beim EuG eingebracht (siehe zB <a href="https://www.bit.nl/FOIC-goes-to-court" target="_blank">hier</a>; das Verfahren ist anhängig unter <a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?oqp=&for=&mat=or&lgrec=fr&jge=&td=%3BALL&jur=T&num=T-307%252F22&page=1&dates=&pcs=Oor&lg=&pro=&nat=or&cit=none%252CC%252CCJ%252CR%252C2008E%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252Ctrue%252Cfalse%252Cfalse&language=de&avg=&cid=1991259" rel="nofollow" target="_blank">T-307/22, A2B Connect u.a./Rat</a>).</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both;"><b>Nachtrag 31.05.2022:</b> Beim Europäischen rat wurde am 31.5.2022 Einigkeit über weitere Sanktionen gegen Russland erzielt, darunter sind auch Sanktionen gegen drei weitere staatliche Rundfunkunternehmen (laut <a href="https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/statement_22_3382" rel="nofollow" target="_blank">Statement von Kommissionspräsidentin von der Leyen</a>). Welche Sender das betrifft, ist noch nicht bekannt; nach früheren Berichten dürften es RTR Planeta, Russia 24 und TV Centre sein. Formal ist noch ein Beschluss des Rates im Rahmen der GASP und eine Verordnung des Rates erforderlich.</div><div class="separator" style="clear: both;"><br /></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">-----Fußnoten</div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><a name="1"></a><a href="#top1">[1]</a> Verordnung (EU) 2022/350 des Rates vom 1. März 2022 zur Änderung der
Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der
Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ABl L
65/1 vom 2.3.2022; wenn in der Folge von der „Verordnung“ die Rede ist, ist
die Verordnung (EU) Nr. 833/2014 in der Fassung der Verordnung (EU) 2022/350
gemeint.<a href="#top1"><b>↩</b></a></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><a name="2"></a><a href="#top2">[2]</a> Sowohl RT als auch Sputnik sind vor allem Bezeichnungen für Fernseh-
bzw. Hörfunkprogramme, teilweise auch – mit den entsprechenden
Firmenzusätzen – für juristische Personen, die diese Programme produzieren
oder verbreiten (zB RT France SAS, RT DE Productions GmbH). Die Verordnung
verweist auf die „im Anhang XV aufgeführten juristischen Personen,
Organisationen oder Einrichtungen“; dort sind allerdings bloß RT – Russia
Today English, RT – Russia Today UK, RT – Russia Today Germany, RT – Russia
Today France, RT – Russia Today Spanish und Sputnik angeführt, ohne nähere
Angaben, wie sie nach Punkt 21. der Sanktionsleitlinien „nach Möglichkeit“
zur Identifizierung von Vereinigungen, juristische Personen oder
Organisationen enthalten sein sollten (zB Ort und Datum der Registrierung,
Registrierungsnummer, Ort des Hauptsitzes). <div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Auffallend ist auch, dass es
keine Mitteilung an die betroffenen Organisationen gab, wie sie bei der
Verhängung von restriktiven Maßnahmen gegen Personen und Organisationen
vorgesehen ist (und wie sie auch im Zusammenhang mit der Erweiterung der
Liste von restriktiven Maßnahmen gegen Personen und Organisationen im
Zusammenhang mit dem Angriff auf die Ukraine regelmäßig erfolgte). Meines
Erachtens deutet dies darauf hin, dass der Sache nach auch der Rat davon
ausgeht, dass eigentlich ein Verbot von Rundfunkprogrammen, nicht eine
Sanktionierung der hinter diesen Programmen stehenden Organisationen verfügt
werden sollte. </div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">Zwar ist im Sanktionenrecht – das oft gegen auch nicht
rechtlich etablierte „Organisationen“ – wie Terrorgruppen – zum Einsatz
kommt, kein strenger Maßstab an die formal korrekte Bezeichnung anzulegen. Aber ich halte diesen Punkt – Unklarheit darüber, was genau unter RT und
Sputnik zu verstehen ist – eigentlich für die Achillesferse der Verordnung,
die darüber entscheiden kann, ob die Sanktionen im Streitfall von den
nationalen Behörden wirksam durchgesetzt werden können. So wird etwa das
Sputnik-Programm im deutschsprachigen Bereich unter der Bezeichnung „SNA“
angeboten und in Österreich teilweise vom DAB-Radioveranstalter MEGA Radio
SNA GmbH übernommen, in Deutschland auch von MEGA Radio GmbH, deren Programm
in Hamburg empfangbar war. In beiden Fällen wurde die Programmübernahme
inzwischen beendet; in Hamburg wurde <a href="https://www.mopo.de/hamburg/russische-propaganda-im-radio-sender-fliegt-in-hamburg-raus/" rel="nofollow" target="_blank">nach Medienberichten</a> das Programm vom
Multiplex-Betreiber Media Broadcast aus dem Angebt genommen, in Österreich
hat der <a href="https://www.rtr.at/migration/veranstalter/fea0440410b64c878f699edee07ae2ac" target="_blank">Anbieter </a>sein Programm abgeändert und übernimmt kein SNA-Programm
mehr.<a href="#top2"><b>↩</b></a></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><a name="3"></a><a href="#top3">[3]</a> In der deutschen Sprachfassung ist vom Senden von Inhalten „durch“ RT
und Sputnik die Rede; aus dem Vergleich mit anderen Sprachfassungen wird
deutlich, dass es um das Senden von Inhalten geht, die von RT und Sputnik
stammen (zB in der französischen Sprachfassung: „Il est interdit aux
opérateurs de diffuser … de contenus provenant des personnes morales,
entités ou organismes énumérés à l’annexe XV“, ähnlich eindeutig auch etwa
in der englischen oder italienischen Sprachfassung).<a href="#top3"><b>↩</b></a></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;">
<a name="4"></a><a href="#top4">[4]</a> Das Wort „senden“ (in der englischen Sprachfassung „to broadcast“,
frz. „diffuser“) könnte man hier im engeren Sinne verstehen, als
„Verbreitung […] unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen“ wie zB
nach der deutschen Rundfunkdefinition in § 2 Abs. 1 RStV (bzw., in ähnlichen
Worten, für Österreich Art. 1 Abs. 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die
Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks). Letztlich kommt es auf ein
genaues Begriffsverständnis des Sendens hier aber schon deshalb nicht an,
weil in der zweiten Fallvariante auch die Verbreitung via Satellit, Kabel
und IP-TV ausdrücklich angesprochen wird und dort auch andere
Verbreitungsformen für Inhalte, insbesondere über Plattformen und Apps,
verboten werden.<a href="#top4"><b>↩</b></a></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><a name="5"></a><a href="#top5">[5]</a> Abgesehen davon wird der in der Verordnung verwendete Begriff „to
broadcast“ in der AVMD-RL gar nicht definiert, dort wird bloß der
„broadcaster“ (in der deutschen Sprachfassung: „Fernsehveranstalter“)
definiert, allerdings in Abgrenzung zum Anbieter eines nichtlinearen
Mediendienstes, und nachdem zuvor bereits durch die Verwendung des Begriffs
„television broadcast“ eine Einschränkung auf Fernsehen erfolgt ist. Auch in
der Praxis wurden etwa in Deutschland und Österreich Hörfunkangebote, die
Inhalte von SNA (Sputnik) übernahmen, <a href="https://www.mopo.de/hamburg/russische-propaganda-im-radio-sender-fliegt-in-hamburg-raus/" target="_blank">eingestellt</a> bzw. <a href="https://www.rtr.at/migration/veranstalter/fea0440410b64c878f699edee07ae2ac" rel="nofollow" target="_blank">geändert</a>.<a href="#top5"><b>↩</b></a></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><a name="6"></a><a href="#top6">[6]</a> Die Verordnung spricht in ihrer deutschen Fassung von der „Sendung“;
ich vermeide diesen Begriff, weil er in der <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A02010L0013-20181218" rel="nofollow" target="_blank">AVMD-RL</a> einen fest umrissenen
Inhalt hat, der vom hier gemeinten abweicht.<a href="#top6"><b>↩</b></a></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><a name="7"></a><a href="#top7">[7]</a> Es könnte allenfalls, sofern es wissentlich und vorsätzlich erfolgt,
als Umgehungshandlung im Sinne des Art. 12 der Verordnung beurteilt werden.
Zudem unterliegt der Video-Plattform-Betreiber der Verordnung und wäre
verpflichtet, das Hochladen zu verhindern.<a href="#top7"><b>↩</b></a></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><a name="8"></a><a href="#top8">[8]</a> RT France hat bereits Nichtigkeitsklage (verbunden mit einem Antrag
auf einstweilige Maßnahmen) beim EuG erhoben (<a href="https://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&jur=C%2CT%2CF&num=t-125/22" rel="nofollow" target="_blank">T-125/22</a>); die Gültigkeit der
Verordnung könnte auch im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren geprüft
werden.<a href="#top8"><b>↩</b></a></div><div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><div><br /></div>
</div>
<div class="separator" style="clear: both; text-align: left;"><p></p></div>
</div>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-39602962932688284662022-02-07T17:50:00.002+01:002022-02-20T11:15:35.224+01:00Koalitions-Sideletter und öffentlich-rechtlicher Rundfunk<p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiKZ0CS2ezzN-facquMsh8-tg6pYaeAZA9fqHsJcG5oG9rF26bMMycLmEFxWrHSHxLAOlEtpOcEErLjL7iQ1CKjgsJbqMsFSLKhFoEkuYGUTWClcarxAY_NloUUxOsuCbmat5nSftzw2Ob_DI8hHXQz-RfLDKzL25cJwpi8zpWGi-Jq6qfKsw=s2711" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="2711" data-original-width="775" height="320" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/a/AVvXsEiKZ0CS2ezzN-facquMsh8-tg6pYaeAZA9fqHsJcG5oG9rF26bMMycLmEFxWrHSHxLAOlEtpOcEErLjL7iQ1CKjgsJbqMsFSLKhFoEkuYGUTWClcarxAY_NloUUxOsuCbmat5nSftzw2Ob_DI8hHXQz-RfLDKzL25cJwpi8zpWGi-Jq6qfKsw=s320" width="91"></a></div><a href="https://www.ravensburger.de/produkte/spiele/kartenspiele/kuhhandel-20753/index.html" target="_blank">Kuhhandel</a> ist ein Spiel für 3-5 Personen im Alter von 10-99 Jahren - oder für (zumindest) zwei Regierungsparteien. Aber dann ist es nicht mehr wirklich ein Spiel, sondern <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kuhhandel" rel="nofollow" target="_blank">Politik</a>.<p></p><p>Zu den Ende Jänner 2022 bekannt gewordenen Nebenvereinbarungen zwischen den früheren Koalitionsparteien ÖVP und FPÖ und den aktuellen Koalitionsparteien ÖVP und Grüne (zB <a href="https://www.profil.at/oesterreich/postenschacher-und-orf-umbau-das-geheimpapier-von-tuerkis-blau/401887412" target="_blank">hier auf profil.at</a>) habe ich <a href="https://blog.lehofer.at/2022/02/Sideletter1.html" target="_blank">hier</a> schon ein paar allgemeine Überlegungen formuliert, wobei vor allem die Erstellung von Vorschlägen für die Bestellung von VfGH-Mitgliedern im Vordergrund stand. Diese Vorschläge sind von der Bundesregierung bzw. National- und Bundesrat zu erstatten - und unterscheiden sich damit ganz gravierend von Personalentscheidungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, bei denen das <a href="https://ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000555" rel="nofollow" target="_blank">Verfassungsrecht</a> dem politischen Einfluss enge Grenzen setzt. In diesem Blogbeitrag geht es nun darum, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den Sidelettern behandelt wird. </p><p>Damit stellt sich auch schon die erste Frage: <b>was steht überhaupt in den Sidelettern?</b> Die bisherigen Veröffentlichungen erfolgten bruchstückhaft (und natürlich interessengetrieben), ich bin daher nicht sicher, ob das, was aktuell öffentlich zugänglich ist, vollständig ist. Ich stelle daher an den Beginn dieses Beitrags einmal eine Übersicht über das, was mir aus Veröffentlichungen in den Medien bekannt ist:</p><h3 style="text-align: left;">Sideletter ÖVP/FPÖ 2017</h3><p>Im Sideletter zu dem 2017 zwischen ÖVP und ÖVP geschlossenen Koalitionsübereinkommen*) heißt es wörtlich: </p><p></p><blockquote><p>„ORF</p><p>Es wird auf die Vereinbarung zwischen Norbert Steger und Thomas Zach verwiesen. Diese Vereinbarung liegt bei (siehe Anhang).</p><p>Es gibt Einvernehmen darüber, dass die ORF-Gebühren unter Voraussetzung budgetärer Machbarkeit in das Budget des Bundeshaushalts übergeführt werden. Den Zeitpunkt vereinbaren die beiden Koalitionspartner gemeinsam.“</p><p></p></blockquote><p>Die darin angesprochene Vereinbarung Norbert Steger und Thomas Zach, zwei Mitgliedern des ORF-Stiftungsrates, lautete (auszugsweise?) wie folgt: </p><p></p><blockquote><p>„<b>Kurzfristige Maßnahmen</b></p><p>Channelmanager 1: T.L.<br>Chefredakteur 1: G.W.<br>Channelmanager 2: W.R.<br>Chefredakteur 2: S.M.<br>Leiter Rechtsabteilung:J.M., K.M.<br>Leiter Personalabteilung: S.S.<br>Hauptabteilungsleiter Wissenschaft und Religion (FD2 und FD8): W.P.<br>Hauptabteilungsleiter Unterhaltung und Film/Serie (FD5 und FD6): H.A.<br>Sendungsverantwortlicher Daytime: S.A.</p><p>Gremien und ORF-Struktur</p><p>Bestellungen nach geltender Rechtslage:</p><p>Stiftungsrat: 4:4:1 (Vorsitz Dr. Steger, nach allfälligem Ausscheiden Dr. Steger -> Vorsitz VP)<br>Entsendung aus Publikumsrat in Stiftungsrat: 3:3<br>Geschäftsführung bei gesamter Neubestellung: 3:2 (GD + 2 VP, 2 FP)</p><p>Bestellungen nach neuer Rechtslage:</p><p>Stiftungsrat: bleibt unverändert in Bestellung/Entsendung und Anzahl (dzt. geltende Fassung)<br>Geschäftsführung: <span> </span>VP: GD (mit Dirimierungsrecht) + 1<br><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span>FP: 2“</p></blockquote><p></p><p>Dass die in bestimmte Funktionen zu bestellenden ORF-Mitarbeiter*innen nur mit ihren Initialen genannt werden, ändert nichts daran, dass Insidern klar erkennbar ist, wer damit gemeint war (zumindest wenn man berücksichtigt, dass der erste Buchstabe der Familienname und der zweite Buchstabe der Vorname ist). </p><p>Schon im Hinblick darauf, dass in dieser Vereinbarung nur von kurzfristigen Maßnahmen die Rede ist, wäre zu erwarten, dass auch Vereinbarungen über mittel- oder langfristige Maßnahmen getroffen wurden, die aber jedenfalls bislang noch nicht an die Öffentlichkeit gekommen sind. </p><h3 style="text-align: left;">Sideletter ÖVP/Grüne</h3><p>Im Sideletter zum Koalitionsübereinkommen zwischen ÖVP und Grünen*) aus dem Jahr 2019 für die aktuelle Gesetzgebungsperiode finden sich folgende einschlägige Passagen: </p><p></p><blockquote><p>„6 ORF</p><p>-> Stiftungsräte: Nominierungsrecht 5 x OVP, 2 x unabhängige auf Vorschlag der ÖVP, 2 x Grüne; durch BKA nominiert</p><p>…</p><p>Grundsätzlich ist festzuhalten dass alle Besetzungen auf Basis von Kompetenz und Qualifikation erfolgen.</p><p>...</p><p>Bezüglich der Zusammenarbeit im ORF Stiftungsrat wird auf die Vereinbarung der Vorsitzenden der Freundeskreise der Koalitionspartner verwiesen. Die Grünen haben das Vorschlagsrecht für den Stiftungsratsvorsitzenden, wenn dieser neu zur Wahl steht.“ </p><p></p></blockquote><p>Die hier angesprochene "Vereinbarung der Vorsitzenden der Freundeskreise der Koalitionspartner" (Zach und Lockl) wurde bislang nicht öffentlich bekannt. </p><p>Ergänzend zum Sideletter wurde im Sommer 2020 eine weitere zunächst nicht veröffentlichte Vereinbarung zischen ÖVP und Grünen*) mit folgendem Inhalt abgeschlossen:</p><p></p><blockquote><p>„Vereinbarung:</p><p>ÖVP und Grüne kommen überein, dass die bestqualifizierten Persönlichkeiten entsprechend der Kriterien des ORF-Gesetzes beim künftigen ORF-Direktorium zum Zug kommen sollen.</p><p>Es wird ein Verhältnis von 3:2 für die ÖVP sowie der Generaldirektor für die ÖVP festgelegt. Beide Seiten verpflichten sich auch möglichst je eine weibliche Person zu nominieren.</p><p>Dazu beginnen die Freundeskreise bzw. von beiden Seiten nominierten Stiftungsräte eine Personalsuche. Die dabei gefundenen Personen werden eingeladen sich zu bewerben.“ </p></blockquote><p></p><p style="text-align: left;"><br></p><h3 style="text-align: left;">Wie sind diese Sideletter rundfunkrechtlich zu beurteilen? </h3><h4 style="text-align: left;">Zum ÖVP/FPÖ-Sideletter</h4><p>Zunächst fällt auf, dass im veröffentlichten ÖVP/FPÖ-Regierungsprogramm in recht allgemeinen Worten von der Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Auftrags und von der "Erarbeitung von Leitlinien für ein ORF-Gesetz NEU" die Rede war, dass aber die inhaltlich tatsächlich weitreichende Überlegung, anstelle der derzeitigen Beitragsfinanzierung über das Programmentgelt (fälschlich oft als "GIS-Gebühren" bezeichnet) eine Finanzierung über das Bundesbudget vorzusehen, nur im Sideletter vereinbart wurde und bislang nicht bekannt war. Aber egal wie man dieses Vorhaben inhaltlich beurteilt, es gibt keinen Zweifel darüber, dass es den Regierungsparteien zusteht, Gesetzesvorschläge für eine derartige Reform vorzubereiten und zu beschließen, und dies auch in einer Koalitionsvereinbarung festzuhalten (wie man eine derartige Regelung konkret ausgestaltet, damit sie mit dem <a href="https://ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000555" rel="nofollow" target="_blank">BVG-Rundfunk</a> vereinbar ist, ist eine andere Frage). </p><p>Anders ist es mit dem Inkludieren der Vereinbarung der Stiftungsratsmitglieder Steger und Zach in den Sideletter der Koalitionsparteien. Auf den ersten Blick ist offen, welche rechtliche Wirkung der im Koalitions-Sideletter enthaltene Verweis auf diese Vereinbarung haben soll: geht es dabei nur um eine "Information", oder soll die verwiesene Vereinbarung auch inhaltlich zur Vereinbarung der Koalitionsparteien gemacht werden? </p><p>Meines Erachtens spricht viel für die zweite Auslegungsmöglichkeit: der Verweis findet sich unter der Überschrift "ORF", wo systematisch Vereinbarungen zum ORF zu erwarten sind und auch tatsächlich getroffen werden. Die Formulierung lautet auch nicht etwa "die Koalitionspartner nehmen die Vereinbarung zur Kenntnis", sondern es wird auf diese verwiesen und angemerkt, dass diese im Anhang zum Sideletter enthalten ist, was ebenfalls dafür spricht, dass sie ein Teil der Gesamtvereinbarung ist, die zwar von Steger und Zach (gewissermaßen als einer Art Untergruppe der Koalitionsverhandler) ausgemacht wurde, aber die Koalitionspartner binden soll. Schließlich spricht dafür noch, dass in der Steger/Zach-Vereinbarung auch auf Vorhaben Bezug genommen wird, die jedenfalls nicht der Stiftungsrat umsetzen kann, sondern für die es einen Gesetzesbeschluss braucht ("Bestellungen nach neuer Rechtslage"), bzw. die von der Regierung, nicht aber vom Stiftungsrat oder dessen Mitgliedern erfüllt werden können (Bestellung der Stiftungsratsmitglieder durch die Bundesregierung). </p><p>Legt man dieses Verständnis zugrunde, vereinbaren die Koalitionsparteien aber damit direkt, wer bestimmte Funktionen im ORF erhalten soll. Der ORF hat jedoch - schon aufgrund des <a href="https://ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000555" rel="nofollow" target="_blank">Bundesverfassungsgesetzes über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks</a> und gemäß <a href="https://ris.bka.gv.at/eli/bgbl/1984/379/P1/NOR40119442?Abfrage=Bundesnormen&Kundmachungsorgan=&Index=&Titel=orf-g&Gesetzesnummer=&VonArtikel=&BisArtikel=&VonParagraf=1&BisParagraf=&VonAnlage=&BisAnlage=&Typ=&Kundmachungsnummer=&Unterzeichnungsdatum=&FassungVom=07.02.2022&VonInkrafttretedatum=&BisInkrafttretedatum=&VonAusserkrafttretedatum=&BisAusserkrafttretedatum=&NormabschnittnummerKombination=Und&ImRisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=&Position=1&SkipToDocumentPage=true&ResultFunctionToken=abe4bfa3-f493-4501-a7b0-3624ad5b362e" rel="nofollow" target="_blank">§ 1 Abs. 3 ORF-Gesetz</a> - unabhängig zu sein, womit vor allem auch Unabhängigkeit von Staats- und Parteieinfluss gemeint ist (vgl. dazu auch <a href="https://ris.bka.gv.at/eli/bgbl/1984/379/P4/NOR40229180?Abfrage=Bundesnormen&Kundmachungsorgan=&Index=&Titel=orf-g&Gesetzesnummer=&VonArtikel=&BisArtikel=&VonParagraf=4&BisParagraf=&VonAnlage=&BisAnlage=&Typ=&Kundmachungsnummer=&Unterzeichnungsdatum=&FassungVom=07.02.2022&VonInkrafttretedatum=&BisInkrafttretedatum=&VonAusserkrafttretedatum=&BisAusserkrafttretedatum=&NormabschnittnummerKombination=Und&ImRisSeitVonDatum=&ImRisSeitBisDatum=&ImRisSeit=Undefined&ResultPageSize=100&Suchworte=&Position=1&SkipToDocumentPage=true&ResultFunctionToken=ba8b63a4-fe19-4e6a-adaf-b91a45ba0a2e" rel="nofollow" target="_blank">§ 4 Abs. 6 ORF-G</a>). Soweit also in diesem Sideletter (durch Verweisung auf die Vereinbarung Steger/Zach) die Koalitionsparteien vereinbaren, wie die Personalauswahl innerhalb des ORF zu erfolgen hat, ist dies evident rechtswidrig (dei Auswahl der von der Bundesregierung zu entsendenden Stiftungsratsmitglieder hingegen kann von den Koalitionspartnern vereinbart werden) . </p><p><b>Und was gilt für die Vereinbarung zwischen Steger und Zach?</b> Beide waren (und sind) Mitglieder des Stiftungsrates, eines im Wesentlichen einem Aufsichtsrat vergleichbaren Organs des ORF, für den das ORF-Gesetz klare Kompetenzen festlegt. An Personalangelegenheiten obliegt dem Stiftungsrat (als Kollegialorgan) nach § 21 Abs. 1 Z 2, 3 und 5 ORF-Gesetz "die Bestellung und Abberufung des Generaldirektors", "die Festlegung der Zahl der Direktoren sowie der Geschäftsverteilung", sowie "die Bestellung und Abberufung der Direktoren und Landesdirektoren auf Vorschlag des Generaldirektors". Für Stellenbesetzungen im journalistischen und programmgestaltenden Bereich besteht keine Kompetenz des Stiftungsrates. Bei allen Stellenbesetzungen (einschließlich Generaldirektor*in und Direktor*innen) ist zudem nach § 27 Abs. 2 ORF-Gesetz "in erster Linie die fachliche Eignung zu berücksichtigen." </p><p>Das Gesetz verlangt von Stiftungsratsmitgliedern zudem dieselbe Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit, wie sie für Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft gelten (§ 20 Abs. 2 ORF-G), und es verlangt auch die Verschwiegenheit über alle ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit bekannt werdenden Umstände des ORF (§ 19 Abs. 4 ORF-G). Außerdem gilt für die Mitglieder des Stiftungsrates, dass sie "bei der Ausübung ihrer Funktion im Österreichischen Rundfunk an keine Weisungen und Aufträge gebunden [sind]; sie haben ausschließlich die sich aus den Gesetzen und der Geschäftsordnung ergebenden Pflichten zu erfüllen" (§ 19 Abs. 2 ORF-G).</p><p style="text-align: left;">In dem so abgesteckten gesetzlichen Rahmen ist es zulässig, dass Mitglieder des Stiftungsrates Vereinbarungen über die Ausübung ihres Stimmrechts treffen, nach der Art typischer Syndikatsvereinbarungen. Wenn sich Steger und Zach also ausmachen, dass sie bei bestimmten Abstimmungen gemeinsam stimmen werden, ist dies dann zulässig, wenn dem paktierten Stimmverhalten kein gesetzliches Hindernis entgegensteht. Ein solches Hindernis wäre es etwa, wenn nicht die Eignung maßgebend sein sollte, sondern zB eine gewisse Parteinähe oder ein anderes unsachliches Kriterium. Soweit in der Vereinbarung zwischen Steger und Zach Personen genannt wurden, die auf bestimmte Positionen im ORF unterhalb der Direktor*innen-Ebene bestellt werden sollten, ist dies nicht nur eine Überschreitung der dem Stiftungsrat (als Kollegialorgan, und mehr noch einzelnen Stiftungsratsmitgliedern) zukommenden Kompetenz, sondern wäre auch insofern gesetzwidrig, als damit vor der zwingend vorzunehmenden Ausschreibung dieser Personen bereits eine Festlegung auf diese Personen - unabhängig vom Ergebnis der Ausschreibung - erfolgen sollte. </p><p style="text-align: left;">Dass die Umsetzung dieser Vereinbarung im Ergebnis nicht zur Gänze erfolgt ist und überdies nur soweit möglich ist, als der Generaldirektor "mitspielt", macht es nicht besser, sondern führt nur dazu, dass sich auch der Generaldirektor zumindest am Rande des gesetzlich Zulässigen bewegt: denn nur, wenn sich die bereits im "Sideletter zum Sideletter" (Steger/Zach-Vereinbarung) namentlich Genannten auch zufällig als tatsächlich die bestgeeigneten Personen herausstellen, dürfte er dem Wunsch der Stiftungsratsmitglieder nachkommen (dass man aber die "Besteignung" bei Spitzenfunktionen nicht immer eindeutig beurteilen kann, habe ich bereits <a href="https://blog.lehofer.at/2022/02/Sideletter1.html" target="_blank">im vorigen Blogbeitrag</a> im Hinblick auf den VfGH näher ausgeführt). </p><p style="text-align: left;">Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Vereinbarung nur Steger und Zach binden kann. Für die weiteren den "Freundeskreisen" der Koalitionsparteien zuzurechnenden Stiftungsratsmitglieder kann diese Vereinbarung keine Wirkung entfalten, da diese ja selbst an "keine Weisungen und Aufträge" gebunden sind, insbesondere also auch nicht an Vereinbarungen, die die Vorsitzenden der jeweiligen "Freundeskreise" treffen. </p><p style="text-align: left;">Bemerkenswert ist an der Vereinbarung von Steger und Zach auch, dass sie sich auch auf Entscheidungen des Publikumsrates bezieht, dem diese Personen nicht angehören. Auch dort soll eine politische Aufteilung der vom Publikumsrat zu entsendenden Stiftungsratsmitglieder (3:3) erfolgen. Da davon auszugehen ist, dass Steger und Zach nicht etwas vereinbaren würden, von dem sie wissen, dass sie darauf keinen Einfluss nehmen können, liegt es nahe, dass sie davon ausgingen, faktisch auf eine ausreichende Anzahl von Publikumsratsmitgliedern einwirken zu können, damit diese im Sinne der Vereinbarung abstimmen. Die Mitglieder des Publikumsrates sind übrigens genauso weisungsfrei und unabhängig wie jene des Stiftungsrates.</p><p style="text-align: left;"><b>Fazit:</b> die Vereinbarung zwischen ÖVP und FPÖ, soweit sie die Vereinbarung zwischen Steger und Zach integriert, und die Vereinbarung zwischen Steger und Zach selbst gehen über das gesetzlich Zulässige deutlich hinaus. Diese Vereinbarungen zeigen zudem eine Vermischung zwischen Regierungspolitik und Ausübung einer Organfunktion im ORF, die der verfassungsgesetzlich postulierten Unabhängigkeit des Rundfunks widerspricht. </p><h4 style="text-align: left;">Zum ÖVP/Grüne-Sideletter</h4><p>Die Festlegung im Sideletter über die Aufteilung der Nominierungsrechte der von der Bundesregierung (nach § 20 Abs. 1 Z 3 ORF-G) zu entsendenden Stiftungsratsmitglieder ist eine in einer Koalitionsvereinbarung zulässige Abrede, da es um Bestellungen geht, die von der Bundesregierung (im Übrigen ohne vorherige Ausschreibung und ohne nähere Qualifikationskriterien) vorzunehmen sind. Die allgemeine salvatorische Klausel, dass "alle Besetzungen auf Basis von Kompetenz und Qualifikation erfolgen", bezieht sich wohl auch auf die Nominierung der von der Bundesregierung zu entsendenden Stiftungsratsmitglieder, aber da es dafür ohnehin keine besonderen Kompetenz- oder Qualifikationserfordernisse gibt, läuft sie hier wohl eher ins Leere. </p><p>Auch der ÖVP/Grüne-Sideletter verweist für die "Zusammenarbeit im ORF Stiftungsrat" auf die "Vereinbarung der Vorsitzenden der Freundeskreise der Koalitionspartner". Dazu ist festzuhalten, dass es eine Zusammenarbeit (der Koalitionspartner!) im ORF-Stiftungsrat nicht geben kann, da dort nicht Parteien tätig sind, und selbst die von den Parteien nach § 20 Abs. 1 Z 1 ORF-G vorgeschlagenen Stiftungsratsmitglieder nicht von den vorschlagenden Parteien zu einer "Zusammenarbeit" verhalten werden dürfen. Der letzte Satz des Sideletters ("Die Grünen haben das Vorschlagsrecht für den Stiftungsratsvorsitzenden ..."), greift dann unmittelbar in die Unabhängigkeit des ORF ein, weil er für eine durch den Stiftungsrat zu treffende Entscheidung den Vorschlag einer Partei vorsieht. Zwar wäre dasselbe (personelle) Ergebnis auch zu erreichen, wenn sich eine ausreichende Anzahl von Stiftungsratsmitgliedern darauf verständigt, für eine bestimmte Person als Vorsitzende*n des Stiftungsrates abzustimmen (wiederum in der Art eines Syndikatsvertrages), aber dies müsste die autonome Entscheidung der einzelnen Stiftungsratsmitglieder sein, nicht eine von Koalitionsparteien getroffene Festlegung, die von den Stiftungsratsmitgliedern letztlich bloß "exekutiert" werden soll. </p><p>Dieses bekannte, aber doch irritierende politische Verständnis, wie mit der Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks umgegangen wird, zeigt sich auch in der Zusatzvereinbarung zwischen ÖVP und Grünen aus 2020. Dort kommen ÖVP und Grüne "überein, dass die bestqualifizierten Persönlichkeiten entsprechend der Kriterien des ORF-Gesetzes beim künftigen ORF-Direktorium zum Zug kommen sollen." Das heißt nichts anderes, als dass sich sich zwei Parteien dazu verpflichten, dass Dritte, auf die sie von Verfassung wegen keinen Einfluss ausüben dürfen, das Gesetz einhalten. </p><p>Im unmittelbar darauffolgenden Satz steht dann das exakte Gegenteil: dort wird nämlich - durch Vereinbarung politischer Parteien - ein nach politischer Ausrichtung bestimmtes "Verhältnis" für das "Direktorium" und "der Generaldirektor für die ÖVP" festgelegt. Auch wenn das nicht bedeutet, dass die aufgrund dieser Vereinbarung schließlich bestellten Personen diese politische Ausrichtung teilen müssen, so wird damit doch unmittelbar auf politischer Ebene (durch die Vorsitzenden der Regierungsparteien) eine politische Aufteilung der Generaldirektor*in- und Direktor*innen-Funktionen vereinbart, was in deutlichem Widerspruch zum Geist des <a href="https://ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000555" target="_blank">Bundesverfassungsgesetzes über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks</a> steht. Auch dass die "Freundeskreise" mit der Personalsuche beginnen sollen, ist nicht nur deshalb gesetzwidrig, weil es nicht Aufgabe einzelner Stiftungsratsmitglieder oder Gruppen von Stiftungsratsmitgliedern ist, "Personalsuche" zu betreiben, sondern auch weil die politischen Parteien keinerlei Befugnis haben, zu vereinbaren, was Stiftungsratsmitglieder zu tun oder zu unterlassen haben.</p><p>Interessant wären nähere Informationen über die "Transmission" dieser politischen Vereinbarung zum tatsächlichen Stimmverhalten der Stiftungsratsmitglieder bei der Bestellung der hier paktierten Funktionen. Jedes Stiftungsratsmitglied, das sich bei der Abstimmung an Vorgaben eines "Freundeskreis-Vorsitzenden" hielt, und jeder "Freundeskreis-Vorsitzende", der seinem Stimmverhalten die <i>"3:2 für die ÖVP sowie der Generaldirektor für die ÖVP"</i>-Vereinbarung zugrunde legte, sollte jedenfalls nochmal genau darüber nachdenken, was in <a href="https://ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000555" rel="nofollow" target="_blank">Art. I Abs. 2 BVG-Rundfunk</a> und in <a href="https://ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000785" rel="nofollow" target="_blank">§ 1 Abs. 3 und § 19 Abs. 2 ORF-Gesetz</a> steht. </p><p><b>Fazit:</b> auch der Sideletter zwischen ÖVP und Grünen und die Zusatzvereinbarung aus dem Jahr 2020 gehen über das gesetzlich Zulässige deutlich hinaus. Diese Vereinbarungen versuchen Einfluss auf die Entscheidungen von gesetzlich zur Weisungsfreiheit und Unabhängigkeit verpflichteten Stiftungsratsmitgliedern des ORF zu nehmen, was der verfassungsgesetzlich postulierten Unabhängigkeit des Rundfunks widerspricht. </p><h3 style="text-align: left;">Offene Fragen</h3><p>Der Inhalt der bisher veröffentlichten Sideletter (bzw. die veröffentlichten Ausschnitte) wurde von den daran beteiligten Personen bisher nicht bestritten, sondern im Gegenteil - soweit sie sich dazu geäußert haben - bestätigt. Offen ist aber immer noch, ob es weitere den öffentlich-rechtlichen Rundfunk betreffende Vereinbarungen gibt. </p><p>Eine von außen nicht zu beantwortende Frage ist auch, ob es für die den ORF betreffenden Vereinbarungen einen <b>Abtausch</b> bzw. eine Junktimierung gab, oder ob nur innerhalb des Themenkomplexes ORF abgetauscht wurde. Grundsätzlich kann man zwar bei einer Koalitionsvereinbarung keine einzelnen Punkte "heraustrennen" (siehe dazu schon <a href="https://blog.lehofer.at/2022/02/Sideletter1.html" target="_blank">im vorigen Blogpost</a>). Aber auch wenn das "Verstecken" der Vereinbarung in einem nicht veröffentlichten Sideletter darauf hindeuten könnte, dass die darin zusammengefassten Punkte eine Zusammenhang haben, halte ich es für absurd, dass es etwa - wie dies <a href="https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2135977-Abtausch-von-Gruene-und-OeVP-auch-zu-ORF-und-Kopftuchverbot.html" target="_blank">medial diskutiert wurde</a> - einen Abtausch zwischen "Kopftuchverbot für Lehrerinnen" und Vorschlagsrecht für den Stiftungsratsvorsitzenden gegeben hätte. Zudem ist die Bedeutung des/der ORF-Stiftungsratsvorsitzenden doch eher zeremonial - ohne stabile Mehrheit im Stiftungsrat ist er/sie für eine erfolgreiche Tätigkeit ganz wesentlich darauf angewiesen, eine Mehrheit für die eigenen Positionen vereinen zu können. </p><p><b>Was kann man tun?</b> Die schwierigste Frage zuletzt, und ich will hier (aus verschiedenen Gründen) auch keine Antwort versuchen, der Beitrag ist ohnehin schon viel zu lang. Nur kurz: ich gehe nicht davon aus, dass ein Stiftungsratsmitglied vortreten und bekennen wird, nach Vorgabe des Koalitions-Sideletters oder des Vorsitzenden des "Freundeskreises" - und damit gesetzwidrig - abgestimmt zu haben. Wahrscheinlich sind alle unabhängig voneinander zur Überzeugung gekommen, dass gerade diejenigen Bewerber*innen, die schließlich zum Zug gekommen sind, die unter allen Bewerber*innen bestgeeigneten Personen waren. Und es ist gut möglich, dass dies auch tatsächlich der Fall ist. </p><p>Aber es geht bei der verfassungsgesetzlich gebotenen Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht allein darum, unter denjenigen Personen, die sich schließlich für eine Funktion beworben haben, die bestgeeigneten auszuwählen. Es geht zum Beispiel auch darum, bei allen potentiell für eine Funktion in Frage kommenden Personen die Überzeugung zu stärken, dass die Entscheidung schließlich vom Stiftungsrat in voller Unabhängigkeit getroffen und nicht vorweg in Parteienverhandlungen ausgedealt wird. Wenn klar ist, dass "<i>3:2 für die ÖVP"</i> entschieden werden soll, wird das nicht alle potentiell geeigneten Bewerber*innen zur Bewerbung motivieren. </p><p>Und zuletzt: wenn man weiß, wie bisher zB Entscheidungen über die Generaldirektorin/den Generaldirektor des ORF getroffen wurden (siehe zB <a href="https://blog.lehofer.at/2013/11/Staatsferne.html" target="_blank">hier</a> [Punkt 2.] oder <a href="https://www.derstandard.at/story/2000133062578/blick-zurueck-zur-orf-generalswahl-2016-mit-chats-aus-dem" target="_blank">hier</a>), könnte man schon Verständnis entwickeln dafür, wenn sich ein kleinerer Koalitionspartner absichern möchte, um den Einfluss des größeren Koalitionspartners im ORF in einem angemessenen Rahmen zu halten. Aber dies dürfte nicht über politische Deals erfolgen, die in die verfassungsrechtlich gebotene Unabhängigkeit des Rundfunks eingreifen, sondern durch Vereinbarungen auf jenem Gebiet, auf dem die Koalitionsparteien tätig werden können und dürfen: dem der Gesetzgebung. Wenn man meint, dass der Einfluss einer politischen Gruppierung im ORF zu groß ist, weshalb nicht eine Koalitionsvereinbarung darüber aushandeln, wie auf legistischem Weg zB eine ausgewogenere Bestellung des Stiftungsrates festgelegt werden könnte? </p><p>Dass dies schwierig ist, ist schon klar: so hat die neue Medienministerin, die <a href="https://www.profil.at/oesterreich/integrationsministerin-kopftuchverbot-fuer-lehrerinnen-kein-thema-mehr/401895692" target="_blank">laut profil</a> den Sideletter nicht kannte (aber <a href="https://www.derstandard.at/story/2000113268027/fuer-raab-kopftuchverbot-fuer-lehrerinnen-moeglicher-naechster-schritt" target="_blank">ganz zufälligerweise kurz nach Unterzeichnung das darin paktierte Kopftuchverbot für Lehrerinnen gefordert hat</a>), schon angekündigt, dass eine Gremienreform bei der nächsten ORF-Gesetz-Novelle kein Thema sein wird. </p><p>PS: der Vorsitzende des grünen "Freundeskreises" fürchtet <a href="https://www.derstandard.at/story/2000133071465/orf-stiftungsrat-lockl-direktoren-nicht-nach-parteinaehe-besetzt" target="_blank">laut einem Bericht im Standard</a> "angesichts der aktuellen Debatte, dass sich künftig schwer Personen finden werden, die sich 'de facto ehrenamtlich' als Stiftungsrat betätigen." Dazu hätte ich zwei Anmerkungen: 1. es ist nicht "de facto ehrenamtlich", sondern "de jure", und 2. ich halte die Ehrenamtlichkeit tatsächlich für ein Problem, wie ich <a href="https://blog.lehofer.at/2021/08/ehrenamt-stiftungsrat.html" target="_blank">in diesem Blogbeitrag</a> schon näher ausgeführt habe. </p><p>-----</p><p>*) Die Sideletter wurden jeweils von den Parteiobleuten der Koalitionsparteien unterzeichnet. Man könnte in rechtlicher Hinsicht natürlich prüfen, inwieweit allein durch die Unterschrift der Vorsitzenden /Obleute eine rechtlich bindende zivilrechtliche Vereinbarung zustande kommen könnte (insbesondere wenn die Parteisatzungen für bestimmte Vereinbarungen eine Mitbefassung anderer Organe vorsehen), oder auch, inwieweit derartige Abkommen überhaupt, allenfalls nur teilweise, als bindender Vertrag im zivilrechtlichen Sinne anzusehen wären, aber letztlich interessiert im hier gegebenen Zusammenhang nur die durch die Unterschrift der Vositzenden/Obleute dokumentierte politische Bindungswirkung. </p><p></p>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-51839016470584754192022-02-07T17:46:00.007+01:002022-02-09T11:51:31.587+01:00Nominierungsrechte in Koalitions-Sidelettern - am Beispiel VfGH<p>Vor gut einer Woche wurden Nebenvereinbarungen zwischen den früheren Koalitionsparteien ÖVP und FPÖ und den aktuellen Koalitionsparteien ÖVP und Grüne bekannt (zB <a href="https://www.profil.at/oesterreich/postenschacher-und-orf-umbau-das-geheimpapier-von-tuerkis-blau/401887412" target="_blank">hier auf profil.at</a>), in denen es auch (oder insbesondere) um die Besetzung wichtiger öffentlicher Funktionen - angefangen von Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofs über das Direktorium der Nationalbank bis hin zu Aufsichtsratsmitgliedern bei Unternehmen mit staatlicher Beteiligung - ging. Dabei wurde überwiegend festgelegt, welchem der Koalitionspartner ein Nominierungsrecht zukommt, ein einzelnen Fällen wurden auch schon Namen festgeschrieben. </p><p>Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk war Gegenstand solcher Nebenvereinbarungen, und zwar nicht nur in personeller Hinsicht, sondern - im ÖVP-FPÖ-Sideletter - auch im Hinblick auf eine grundlegende Änderung der Finanzierungsform (Budget- statt Beitragsfinanzierung). Die Sideletter werfen insofern Fragen im Zusammenhang mit der <a href="https://ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000555" target="_blank">verfassungsrechtlich verankerten Unabhängigkeit des Rundfunks</a> auf. Darauf gehe ich<a href="https://blog.lehofer.at/2022/02/Sideletter2.html" target="_blank"> im nächsten Blogbeitrag</a> ein; hier aber vorweg einmal ein paar Überlegungen zur Personalauswahl in Koalitionszeiten, insbesondere im Hinblick auf den Verfassungsgerichtshof. </p><h3 style="text-align: left;"><b>Zur Personalauswahl in Koalitionszeiten</b></h3><p>Wenn Koalitionsparteien vereinbaren, eine Legislaturperiode lang gemeinsam zu regieren, dann ist es sinnvoll, schon absehbare Konfliktpunkte im Koalitionsvertrag vorweg zu regeln. Dazu zählen nicht nur inhaltliche Streitpunkte, sondern vor allem auch Verfahrensfragen, und darunter die Frage, wie man in der Bundesregierung – die nur einstimmig Beschlüsse fassen kann – zu einer Entscheidung kommt, wenn eine Ernennung in eine wichtige öffentliche Funktion durch die Bundesregierung (oder auf Vorschlag der Bundesregierung durch den Bundespräsidenten) zu erfolgen hat. </p><p>Dass man für solche Fälle vereinbart, welche der Koalitionsparteien das „Nominierungsrecht“ hat, kann zu einer möglichst reibungsfreien Entscheidungsfindung beitragen. Bestünde dazu nämlich keine vorweg vereinbarte Aufteilung, müsste in jedem Anlassfall während der Regierungsperiode ad hoc darüber das Einvernehmen erzielt werden, was die Gefahr unsachlicher Gegengeschäfte ("Junktimierungen") eher verschärfen als verringern würde (ob die in den Sidelettern festgeschriebenen Nominierungsrechte Gegenstand von Junktimierungen waren, werden wir wohl nie wissen, denn letztlich gilt bei Koalitionsvereinbarungen, dass Einigkeit über einen Punkt nur besteht, wenn über alle Punkte Einigkeit besteht und damit kein Punkt im Koalitionsabkommen - und seinen Sidelettern - völlig unabhängig von allen anderen Punkten ist). </p><p>Die Aufteilung von "Nominierungsrechten" heißt per se auch nicht, dass damit ein vorgeschriebenes Ausschreibungsverfahren umgangen oder präjudiziert würde oder dass ungeeignete Personen in die Funktion kommen. Es kann (und sollte) bloß bedeuten, dass die Ausschreibung erfolgt, danach das Auswahlverfahren durchgeführt wird und schließlich – nach „Nominierung“ durch Partei A oder B – von der Bundesregierung die Person, die sich in diesem Verfahren als bestgeeignete erwiesen hat, ernannt bzw. vorgeschlagen wird. </p><p>Das wirft die Frage auf: wenn ohnehin die bestgeeignete Person ernannt werden soll, wozu muss dann ein „Nominierungsrecht“ festgelegt werden? </p><p>Diese Frage lässt sich meines Erachtens leicht beantworten, wenn man das Offensichtliche einräumt: bei den wirklichen "Spitzenjobs", um die es in den nun bekanntgewordenen Sideletters geht, lässt sich zwar einigermaßen objektiv beurteilen, wer dafür jedenfalls nicht geeignet ist. Wer aber unter mehreren grundsätzlich gut geeigneten Personen die am besten geeignete ist, lässt sich kaum in unstrittiger Weise „objektivieren“. </p><h3 style="text-align: left;">Beispiel Verfassungsgerichtshof</h3><p>Nehmen wir als Beispiel den Verfassungsgerichtshof: für eine Ernennung zum Mitglied dieses Höchstgerichts gibt es in der Bundesverfassung nur wenige Formalvoraussetzungen, die von sehr vielen Personen (mehreren tausend!) erfüllt werden (<a href="https://ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40152549/NOR40152549.html" target="_blank">Art 147 Abs 2 und 3 B-VG</a>: abgeschlossenes Jus-Studium, mindesten zehnjährige juristische Berufserfahrung; die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Mitglieder müssen "aus dem Kreis der Richter, Verwaltungsbeamten und Professoren eines rechtswissenschaftlichen Faches an einer Universität" stammen). </p><p>Darüber hinaus gibt es in Fachkreisen (hier grob vereinfacht: Personen, die eine Vorstellung davon haben, was der VfGH tut und wie er arbeitet) ein zwar diffuses, aber doch ziemlich unstrittiges Bild davon, was man von einem zu bestellenden VfGH-Mitglied erwartet. Ich würde das ganz vereinfacht einmal so umschreiben: VfGH-Mitglieder sollten erfahrene Persönlichkeiten sein, die einen ausgezeichneten fachlichen und persönlichen Ruf haben und die in ihrem Berufsfeld (ob Wissenschaft, Verwaltung, Gerichtsbarkeit oder Anwaltschaft) bisher nachweisbar hervorragende Arbeit geleistet haben, also gewissermaßen im Spitzenfeld ihrer jeweiligen Disziplin mitmischen. </p><p>Legt man diesen groben Maßstab an, verengt sich die Auswahl schnell auf eine recht überschaubare Zahl von Personen – wohl weniger als hundert, wahrscheinlich eher zwei bis drei Dutzend Personen. Ich bin davon überzeugt, dass man sich in juristischen Fachkreisen unabhängig von jeder politischen Orientierung recht zuverlässig darauf einigen könnte, wer jedenfalls zu diesem harten Kern grundsätzlich fachlich und persönlich in Frage kommender Personen gehört. Wahrscheinlich wird man sich nicht auf jede einzelne Person einigen können, aber jedenfalls auf eine ausreichend große Schnittmenge, mit der der VfGH doppelt oder dreifach besetzt werden könnte. </p><p>Wie also aus diesem Kreis von grundsätzlich ausgezeichnet geeigneten Personen jene auswählen, die dem Bundespräsidenten zur Ernennung vorgeschlagen werden soll? </p><p>Dabei können viele Faktoren eine Rolle spielen, zum Beispiel auch, wer im Gremium der VfGH-Mitglieder gerade zu ersetzen ist: als etwa der Steuerrechtler Hans Georg Ruppe Ende 2012 aus dem VfGH ausschied, folgte ihm Markus Achatz nach, wiederum ein Professor für Steuerrecht – eine spezifische fachliche Expertise, die am VfGH gefragt ist. Ich weiß nicht, ob sich damals zB auch eine Umwelt- oder Strafrechtsexpertin beworben hat - aber wenn, hätte sie schon wegen ihrer Spezialisierung bei dieser konkreten Position einen Startnachteil gehabt, auch wenn ihre Qualifikation abstrakt ebenbürtig gewesen wäre. </p><p>Da die Bundesverfassung das Vorschlagsrecht für Mitglieder des VfGH auf Bundesregierung, Nationalrat und Bundesrat verteilt, ist es auch nachvollziehbar, dass politische Überlegungen eine Rolle spielen. Das müssen (und sollten) nicht parteipolitische Überlegungen sein, aber vielleicht würde zB eine Partei, die stark auf das Thema „Law and Order“ setzt, jemanden nominieren, der sich zu einem „Law and Order“-Thema habilitiert hat, oder eine ökologisch orientierte Partei jemanden, die sich im Bereich des Umweltrechts einen Namen gemacht hat. Das ist keine überraschende und rundheraus abzulehnende „Politisierung“ des VfGH, sondern logische Konsequenz des verfassungsrechtlich vorgebebenen Konzepts, dass eben Bundesregierung, Nationalrat und Bundesrat die Vorschläge erstatten müssen, womit auch eine (mittelbare) demokratische Legitimation gewährleistet sein soll.</p><p>Dass in einer demokratischen Republik die gewählte Volksvertretung und die von deren Vertrauen getragene Bundesregierung eine wesentliche Rolle bei der Ernennung von Mitgliedern des Verfassungsgerichtes spielt, ist nicht wirklich überraschend oder gar skandalös. Natürlich wären andere Modelle denkbar, wobei meines Erachtens weniger an eine radikale Abkehr vom bestehenden Modell zu denken wäre als an eine gewisse Qualitäts- und Konsenssicherung und allenfalls eine Verbesserung und verstärkte Transparenz des Auswahlverfahrens. Nur als mögliche Beispiele: offene Bewerbungen, Anhörungen, eine Art Qualitätssicherungs-Panel (wie etwa den Ausschuss nach <a href="https://www.ris.bka.gv.at/NormDokument.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10008049&Artikel=255" target="_blank">Art. 255 AEUV</a> für den EuGH, Ansätze gibt es in Österreich auch für die Präsident*innen und Vizepräsident*innen von Bundesfinanzgericht und Bundesverwaltungsgericht, siehe <a href="https://ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40149219/NOR40149219.html" target="_blank">§ 5 Abs 5 BFGG</a> und <a href="https://ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR40189054/NOR40189054.html" target="_blank">§ 3 Abs 3 BVwGG</a>). Denkbar wären zB auch erhöhte Quoren für Vorschläge durch den Nationalrat oder eine andere Verteilung der Vorschlagsrechte mit einer geringeren Dominanz der Bundesregierung.</p><p>Verfassungspolitisch könnte man also an verschiedenen Schrauben drehen, aber <b>von der Illusion, dass es für jede ausgeschriebene Stelle eines VfGH-Mitglieds genau nur die eine bestgeeignete Person gäbe, auf die man sich bei einem objektiven Auswahlverfahren jedenfalls verständigen könnte, sollte man sich verabschieden. </b></p><p>Das heißt: „Nominierungsrechte“ für Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs in einem Sideletter zu einer Koalitionsvereinbarung schrecken mich nicht per se, solange man darauf vertrauen kann, dass nicht bereits vor der Ausschreibung feststeht, wer die Funktion erhält und dass bei der Nominierung nur ausgezeichnet für die Funktion geeignete Personen berücksichtigt werden. Kritisch wird es also, wenn in einer Vereinbarung zwischen Koalitionsparteien schon Namen festgeschrieben werden. Und unverständlich ist es für mich, wenn man sich in einem solchen Sideletter zwischen Koalitionsparteien darauf einigt, dass jemand VfGH-Mitglied werden soll, bei dem die Qualifikation dafür jedenfalls nicht augenfällig ist. Dass diese Person schließlich nicht bestellt wurde, ist immerhin ein Zeichen für ein Funktionieren gewisser Kontrollmechanismen. Aber trotzdem fragt man sich, wie die Einigung auf diese Person zustande kam: welche Informationen lagen den entscheidenden Personen (den Parteiobleuten) vor, wie haben sie sich über das potentielle Bewerber*innenfeld informiert, welche Qualifikation hatten sie selbst, um das Vorliegen der Qualifikation des im Sideletter schon „Nominierten“ zu beurteilen? </p><p>Natürlich hat die - traditionelle, jetzt eben auch mal nachlesbare - Aufteilung der Nominierungsrechte für VfGH-Mitglieder auch "Nebenwirkungen". Die wichtigste ist, dass Personen, die sich für diese Funktion interessieren, zumindest den Eindruck bekommen können, sie wären gut beraten, die Nähe jener zu suchen, die sie potentiell nominieren würden. Weil der Grundsatz "wen man nicht kennt, kann man nicht nominieren" gilt, scheint es sinnvoll, sich bekannt zu machen und sich als Bewerber*in im jeweiligen Umfeld strategisch zu positionieren. Das kann zB beratend sein, mit Gutachten, durch anwaltliche Vertretung im jeweiligen politischen Nahebereich oder ganz allgemein mit dem Bemühen, eher als kooperative*r Ansprechpartner*in aufzufallen und weniger durch konfrontative Kritik. Wer diese "Positionierungsarbeit" nicht leisten will oder nicht leisten kann, könnte eher außen vor bleiben. Auch hier gilt: das ist eine Folge der durch die Bundesverfassung im weiteren Sinne politisch angelegten Bestellung von VfGH-Mitgliedern (und man muss das auch nicht als Fehler beurteilen, sondern kann darin zB auch die Chance sehen, dass letztlich nur im politischen Umgang erfahrene, bewährte und verlässliche Personen in dieses Höchstgericht - das in vielen Fällen sehr politische Wertungsentscheidungen treffen muss - entsandt werden und dass dort im wesentlichen jenes Meinungsspektrum abgebildet wird, das im demokratischen Prozess die Oberhand gewonnen hat).</p><p>Dass zumindest der Eindruck entsteht, dass es Bewerber*innen nicht schaden kann, mit den jeweils wesentlichen Personen in der vorschlagsberechtigten Partei in gutem Einvernehmen zu stehen, mag auch ein wenig die Professor*innen- und Beamt*innen-Dominanz im VfGH erklären, denn diese Gruppen tun sich meist deutlich leichter, sich bei vorschlagsberechtigen Parteien „in Erinnerung zu rufen“ als zB Richter*innen. Im Übrigen ist bei Professor*innen auch die Sichtbarkeit ihrer Qualifikationen meist besser, denn sie müssen publizieren und sich so der Fachwelt stellen, viele treten auch mit Gutachten hervor, aus denen man gegebenenfalls bestimmte Orientierungen ableiten kann. Die Qualifikationen von Personen aus der Gerichtsbarkeit (die aber in letzter Zeit ohnehin kaum gefragt sind, siehe <a href="https://blog.lehofer.at/2021/04/Justiz-Ersatzbank%20.html" target="_blank">im Blog dazu hier</a>) oder aus der Anwaltschaft, die berufsbedingt weniger wissenschaftlich publizieren und oft auch nicht in gleichem Maße in der Öffentlichkeit stehen (können), sind in der Regel deutlich weniger sichtbar. </p><p>Eine mich (als Unbeteiligten) eher belustigende Nebenwirkung des Systems parteipolitisch verteilter Nominierungsrechte ist es auch, dass sich gewisse "infights" zwischen Personen, die sich für die Funktion eines VfGH-Mitglieds bewerben möchten, auf eine ganz andere Ebene als die Ausschreibung verlagern. Wenn klar ist, dass das Nominierungsrecht für ein VfGH-Mitglied der Partei A zukommt, muss man das Rennen in dieser Partei für sich entscheiden, und da kann es um die Frage gehen, ob zB Bundesland A oder Bundesland B in dieser Partei gerade stärker ist, ob in dieser Partei gerade Föderalismus oder Zentralismus en vogue ist, oder wessen ehemalige Assistent*innen (oder Freunde oder Feinde aus Uni-Zeiten) in welchem politischen Büro mehr Einfluss auf ihre Chef*innen haben. Die der Partei A zuzurechnenden Kandidat*innen kämpfen da viel mehr gegeneinander als mit Kandidat*innen, die der Partei B zuzurechnen sind (falls sich diese überhaupt bewerben - weil man sich ja typischerweise für die Funktion eines VfGH-Mitglieds nur bewirbt, wenn man ein Signal bekommt, dass es aussichtsreich sein könnte). </p><h3 style="text-align: left;"><b>Zusammenfassung (tl;dr)</b> </h3><p>Die Aufteilung von "Nominierungsrechten" für die Erstattung von Vorschlägen für die Bestellung von VfGH-Mitgliedern ist eine logische Folge davon, dass die Bundesverfassung dafür Vorschlagsrechte für Bundesregierung, Nationalrat und Bundesrat - und damit eine politisch dominierte Entscheidung - vorsieht. Damit das in einer Koalitionsregierung funktioniert, ist es auch zweckmäßig, ein Procedere festzulegen, wie die (notwendig einstimmige) Entscheidung der Bundesregierung oder die (um den Koalitionsfrieden zu wahren ebenfalls notwendig gemeinsame) Entscheidung von National- oder Bundesrat zustande kommt, und sei es dadurch, dass für bestimmte Funktionen entweder der Koalitionspartei A oder der Koalitionspartei B das Recht zukommt, die dem Bundespräsidenten vorzuschlagende Person auszuwählen. Wird nur das "Nominierungsrecht" festgelegt, aber noch kein Name fixiert, bedeutet dies auch nicht zwingend, dass das Ausschreibungsverfahren umgangen würde oder eine unsachliche Auswahl erfolgt, zumal es für die Besetzung einer derartigen Spitzenfunktion in der Regel nicht nur genau eine einzige bestgeeignete Person gibt, sondern eine - durchaus im weiteren Sinne politische - Auswahl zu treffen ist.</p><p>Diese Überlegungen gelten freilich nur für jene Funktionen, bei denen - wie beim VfGH - der Bundesregierung oder National- und Bundesrat eine Entscheidungsbefugnis zukommt. Dort, wo das Verfassungsrecht einem derartigen Einfluss von Bundesregierung, National- und Bundesrat aber Grenzen setzt, wie das beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufgrund des <a href="https://ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000555" rel="nofollow" target="_blank">Bundesverfassungsgesetzes über die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks</a> der Fall ist, gelten andere Regeln - auf diese gehe ich <a href="https://blog.lehofer.at/2022/02/Sideletter2.html" target="_blank">im folgenden Blogbeitrag</a> ein.</p>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-10206422114834824212021-11-04T13:44:00.003+01:002021-12-20T15:39:59.621+01:00Blowing the whistle from the top? Anmerkungen zu Whistleblowing, Redaktionsgeheimnis und Justizkommunikation <p>Whistleblowing, Redaktionsgeheimnis, Justizkommunikation: das sind drei Themen, die Kernfragen der Freiheit der Meinungsäußerung berühren, mit denen ich mich schon öfters auseinandergesetzt habe. </p><p>Zugleich sind es Themen, die in den letzten Tagen im Zusammenhang mit einem aktuellen Gerichtsverfahren in den klassischen und sozialen Medien vermehrt thematisiert wurden. Ich werde dieses Verfahren und insbesondere das gestern ergangene freisprechende Urteil in keiner Weise kommentieren,*) zumal - was ich hier ausdrücklich festhalten möchte - diese Fragen auch nicht unmittelbar mit den in jenem Verfahren entscheidungserheblichen Tatbestandsmerkmalen des dort beurteilten Delikts zu tun haben. </p><p>Dennoch möchte ich - motiviert durch <a href="https://twitter.com/fabian_schmid/status/1455943775650451457" target="_blank">diesen Thread eines Standard-Journalisten auf Twitter</a>, in dem diese Themen angesprochen wurden - ein paar Anmerkungen aus meiner Sicht dazu machen.</p><p><br /></p><p><b>1. Whistleblower</b></p><p>Whistleblower (der deutsche Begriff "Hinweisgeber" wird sich außer in Rechtsvorschriften wohl nicht mehr durchsetzen) sind vereinfacht gesagt Personen, "die Informationen über eine Gefährdung oder Schädigung des öffentlichen Interesses im Zusammenhang mit ihren beruflichen Tätigkeiten melden" (so Erwägungsgrund 31 zur <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019L1937&from=EN" rel="nofollow" target="_blank">"Whistleblower-Richtline" (EU) 2019/1937</a>; Punkt 1 der <a href="http://assembly.coe.int/nw/xml/XRef/Xref-XML2HTML-en.asp?fileid=17851" rel="nofollow" target="_blank">Entschließung 1729 (2010), Protection of "whistle-blowers", der parlamentarischen Versammlung des Europarates</a> spricht von<i> "concerned individuals who sound an alarm in order to stop wrongdoings that place fellow human beings at risk"</i>). </p><p>Indem sie mit diesen Informationen nach außen gehen - zum Beispiel auch, aber nicht nur, an Medien - setzen sich Whistleblower in der Regel über Verschwiegenheits- Vertraulichkeits- oder Loyalitätspflichten hinweg, an die sie in ihrer beruflichen Tätigkeit gebunden sind. Das können gesetzliche Verpflichtungen (etwa Amtsgeheimnis, berufsrechtliche Verschwiegenheitspflichten) genauso sein wie vertragliche (Vertraulichkeitsvereinbarungen, Non Disclosure Agreeements usw.). Whistleblower sind daher häufig nachteiligen Folgen ihrer Meldung ausgesetzt, die von arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zu strafrechtlicher Verfolgung, Schadenersatzforderungen oder auch Mobbing und Rufschädigung in sozialen Medien gehen (eine beispielhafte Aufzählung von Repressalien findet sich in Art. 19 der <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019L1937&from=EN" rel="nofollow" target="_blank">Whistleblower-RL</a>). </p><p>Die Meldung von Missständen, etwa in der öffentlichen Verwaltung, ist auch eine durch Art. 10 EMRK geschützte "Mitteilung von Nachrichten". Dennoch ist "Whistleblowing" nicht einfach uneingeschränkt zulässig, sondern kann Einschränkungen aus den in Art. 10 Abs. 2 EMRK genannten Gründen (etwa zum Schutz der Rechte anderer, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten) unterworfen werden; natürlich nur, soweit diese Einschränkungen gesetzlich vorgesehen sind und sie "in einer demokratischen Gesellschaft ... unentbehrlich" und verhältnismäßig sind.</p><p>In der Rechtsprechung des EGMR haben sich dafür Kriterien herausgebildet, die mittlerweile auch in einige Rechtsvorschriften (vor allem im Finanzbereich) Eingang gefunden haben und auf die sich insbesondere auch die - in Österreich erst umzusetzende - <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32019L1937&from=EN" rel="nofollow" target="_blank">Whistleblower-RL</a> stützt (so ausdrücklich Erwägungsgrund 31 der RL). Diese Kriterien sind im Wesentlichen bereits im <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-85016" rel="nofollow" target="_blank">Urteil der Großen Kammer des EGMR vom 12.2.2008 im Fall Guja gegen Republik Moldau</a> ausgeführt (dieser Fall betraf übrigens eine Information der Presse durch den Pressesprecher der Generalprokuratur über versuchte politische Interventionen in der Justiz). Auch in diesem Fall betont der EGMR die Verpflichtung von Arbeitnehmer*innen zur Loyalität, Zurückhaltung und Verschwiegenheit, die öffentlich Bedienstete in besonderer Weise treffe. Für die Frage, ob eine Durchbrechung dieser Pflicht - durch Weitergabe von Informationen an Außenstehende - durch Art. 10 EMRK geschützt ist, sind folgende Kriterien zu berücksichtigen:</p><p></p><ol style="text-align: left;"><li>Die Offenlegung der Information sollte zunächst gegenüber den Vorgesetzten oder einer anderen zuständigen Behörde erfolgen; nur wo dies offensichtlich undurchführbar ist, kann die Information, als letztes Mittel, auch öffentlich bekanntgegeben werden. Dabei ist zu berücksichtigen, ob ein anderes wirksames Mittel zur Beseitigung des Missstands zur Verfügung stand.</li><li>Besondere Bedeutung kommt dem öffentlichen Interesse an der Bekanntgabe der Information zu (die versuchte Druckausübung auf Staatsanwälte/Staatsanwältinnen durch politische Funktionsträger im Fall Guja hat der EGMR zB als sehr wichtige Angelegenheiten von öffentlichem Interesse angesehen).</li><li>Wesentlich ist die Authentizität der Information: wer mit Informationen an die Öffentlichkeit geht, muss deren Wahrheitsgehalt zuvor sorgfältig recherchiert haben.</li><li>Der Schaden, den die von der Information betroffene Einrichtung als Folge der Veröffentlichung erleidet, ist ebenfalls zu berücksichtigen (das Interesse an der Aufrechterhaltung des öffentlichen Vertrauens in bestimmte staatliche Institutionen wie zB in die Armee, einen Nachrichtendienst oder die Justiz steht aber einer Offenlegung von gravierenden Missständen in diesen Einrichtungen nicht entgegen). </li><li>Das Motiv hinter der Offenlegung ist ebenfalls von Bedeutung: wesentlich ist, dass die Offenlegung in gutem Glauben ("in good faith") erfolgt; deutlich weniger starken Schutz genießen Offenlegungen, die aus persönlichen Motiven (persönlichen Streitigkeiten oder Feindschaft oder aus Erwartung eines persönlichen Vorteils) erfolgen. </li><li>Letztlich ist bei der Beurteilung, ob eine Verletzung des Art. 10 EMRK erfolgte, natürlich auch immer die Schwere der Sanktion von Bedeutung; so kann beispielsweise eine Entlassung unverhältnismäßig sein, wenn geringere disziplinäre Maßnahmen ausreichend gewesen wären. </li></ol><p></p><p>Nach diesen Kriterien kann ein Beamter/eine Beamtin Schutz als Whistleblower nur dann beanspruchen, wenn ein interner Missstand zunächst "nach oben" (oder an dafür allenfalls sonst eingerichtete Stellen, etwa die interne Revision, oder ein "Hinweisgebersystem") gemeldet wurde. Von dieser Verpflichtung, zunächst intern Abhilfe zu suchen, muss nur dann nicht Gebrauch gemacht werden, wenn dies offensichtlich undurchführbar ("clearly impracticable") ist, also etwa wenn der/die Vorgesetzte selbst an den Missständen beteiligt ist oder trotz Kenntnis davon in angemessener Frist nichts dagegen unternimmt. Auch die Whistleblower-RL sieht den Vorrang "interner Meldekanäle" vor und schützt Whistleblower, die unmittelbar (bzw. über Medien) an die Öffentlichkeit gehen, in der Regel nur dann, wenn zuvor die nach dieser Richtlinie eingerichteten internen und externen Meldekanäle erfolglos genutzt wurden (ausgenommen bestimmte Notsituationen nach Art. 15 Abs. 1 lit. b der RL). </p><p>Legt man das auf einen Fall um, in dem eine Staatsanwaltschaft eine - angenommen: unbegründete - Anzeige gegen jemanden an eine andere, für allfällige Ermittlungen zuständige Staatsanwaltschaft richtet, so läge das angenommene Fehlverhalten in diesem Fall bei der "anzeigenden" StA; dieses Fehlverhalten würde, normalen Verlauf der Dinge angenommen, zu keinen weiteren Konsequenzen führen, als dass die zuständige StA mangels Anfangsverdacht kein Ermittlungsverfahren einleitet. Der angenommene Fehler der anzeigenden StA könnte im Rahmen der regulären Dienstaufsicht thematisiert und abgestellt werden. Jemand, der in der Hierarchie in der Lage gewesen wäre, selbst für die Behebung der Mängel zu sorgen, erfüllt schon das erste und entscheidende Kriterium des EGMR nicht, weil es eben alternative Wege zur Abstellung des angenommenen Missstands gegeben hätte: ein Eingreifen der Aufsicht. Wer aber selbst für die Behebung von Mängeln zuständig ist (und daran auch nicht von außen gehindert wird), kann nicht zugleich von Art. 10 EMRK geschützter "Whistleblower" sein. Nähme man allerdings an, dass - aus welchen Gründen immer - die reguläre Dienstaufsicht nicht in der Lage gewesen wäre, das angenommene Fehlverhalten der "anzeigenden" StA abzustellen, dann wäre jedenfalls noch der Meldeweg "nach oben", also an die zuständige Bundesministerin, offen gestanden und - bevor man Außenstehende informiert - auch zu nutzen gewesen. </p><p>Zusammenfassend: mit rechtlich geschütztem "Whistleblowing" hätte die Information einer Journalistin über ein angenommenes Fehlverhalten einer Staatsanwaltschaft durch jemanden aus der Justiz, der davon amtlich Kenntnis erlangt hat, und der entweder selbst in der Lage gewesen wäre, das angenommene Fehlverhalten abzustellen oder zumindest eine Meldung an das ihm übergeordnete dafür zuständige Organ, die Bundesministerin für Justiz, hätte machen können, nichts zu tun. </p><p><br /></p><p><b>2. Redaktionsgeheimnis </b></p><p>Sollten Chats, die sich auf (rechtmäßig) sichergestellten Handys befinden, und die Kontakte mit Journalist*innen betreffen, besser geschützt werden? Oder wird, wie das <a href="https://kurier.at/politik/inland/edtstadler-redaktionsgeheimnis-zu-umgehen-ist-nicht-zu-tolerieren/401746983" target="_blank">gelegentlich vereinfachend und irreführend gesagt wird</a>, mit der Auswertung solcher Chats das Redaktionsgeheimnis umgangen? </p><p>Vorweg: die Frage, inwieweit das öffentliche Interesse an der Aufklärung von Straftaten gegenüber dem - auch grundrechtlich geschützten - Interesse der Betroffenen nach Vertraulichkeit ihrer Kommunikation zurücktritt, ist gerade vor dem Hintergrund der einschlägigen Grundrechte (Fernmeldegeheimnis, Briefgeheimnis, Unverletzlichkeit des Hausrechts, Achtung des Privat- und Familienlebens etc.) nicht immer einfach zu beantworten. Die Grundrechte geben eine Grenze vor, abseits davon besteht ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum, in dem die Frage der Auswertung sichergestellter Handys legitim diskutiert werden kann. Den derzeit gegebenen Rahmen halte ich für grundrechtlich angemessen austariert, was aber nicht bedeutet, dass leichte Verschiebungen in die eine oder andere Richtung nicht auch noch grundrechtlich zulässig wären. Zu beachten ist freilich immer, dass nicht nur durch eingriffsintensive Maßnahmen (zB das "Abhören" von Kommunikation) Grundrechte verletzt werden können, sondern dass auch das Fehlen entsprechender gesetzlicher Ermittlungsmöglichkeiten Grundrechte beeinträchtigen kann (siehe dazu vor allem das <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-89964" rel="nofollow" target="_blank">EGMR-Urteil K.U. gegen Finnland</a> [im Blog dazu <a href="https://blog.lehofer.at/2008/12/egmr-vorratsdatenspeicherung-zum-schutz.html" target="_blank">hier</a>], wo die Möglichkeit von Internetprovidern, sich auf Vertraulichkeit zu berufen, die effektive Verfolgung einer Straftat verhinderte und damit das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht des Opfers der Straftat verletzt wurde). </p><p>Das Redaktionsgeheimnis (siehe für einen schnellen Crashkurs dazu aktuell den <a href="https://twitter.com/michael_rami/status/1455164306622930950" target="_blank">Thread von Michael Rami</a>) schützt, sehr vereinfacht, Journalist*innen davor, dass sie durch die Verpflichtung zur Zeugenaussage oder durch eine Sicherstellung und Auswertung ihrer Unterlagen, Computer, Handys etc. in die Situation kommen, dass ihre vertraulichen Quellen "auffliegen". Das Redaktionsgeheimnis schützt, entgegen weit verbreiteter Ansicht, in keiner Weise die Quellen selbst. Finden etwa Amtsgeheimnisse den Weg in die Zeitung, dann darf die Staatsanwaltschaft deshalb nicht die Redaktionsräume durchsuchen, um den "Verräter" zu finden. Gibt die Journalistin/der Journalist aber (absichtlich oder unabsichtlich) preis, von wem die Informationen stammen oder gibt es aus anderen Gründen einen konkreten Verdacht, wer die Verletzung des Amtsgeheimnisses zu verantworten hat, hindert das Redaktionsgeheimnis die Staatsanwaltschaft nicht an Ermittlungsmaßnahmen gegenüber dieser Person, natürlich einschließlich der Sicherstellung und Auswertung von Handys, Computern etc.</p><p>Wird nun zB ein Handy von jemandem (rechtmäßig) sichergestellt, der einer bestimmten Straftat verdächtig ist, und ergibt die Auswertung, dass auch der Verdacht auf den Verrat von Amtsgeheimnissen im Hinblick auf eine andere Angelegenheit besteht, so steht das Redaktionsgeheimnis der Verwertung dieser Informationen nicht entgegen. In diesem Fall wird ja nicht die Journalistin/der Journalist zur Offenlegung der Quelle gezwungen, sondern die Quelle selbst hat sich (wenn auch nicht freiwillig) verraten. </p><p>Ein Grund dafür, weshalb solche Chats dem Redaktionsgeheimnis unterworfen werden sollten, womit die Verfolgung von Straftaten erschwert würde, ist für mich nicht erkennbar. Wenn es um den Schutz vor "chilling effects" geht, wäre der richtige Ansatzpunkt für diesen Fall nicht das Redaktionsgeheimnis, sondern der angemessene Schutz von Whistleblowern. Es müsste also darum gehen, ob die Kommunikation mit der Journalistin bzw. dem Journalisten, auf die man bei der Auswertung eines sichergestellten Handys (nicht der Journalistin/des Journalisten, sondern einer Person, gegen die ermittelt wird) stößt, als "Whistleblowing" zu sehen ist, das (nach den oben dargelegten Kriterien) selbst eine grundrechtlich geschützte Mitteilung von Nachrichten ist. </p><p>Mit diesem Ansatz könnte adäquat auf Fälle reagiert werden, in denen es "bloß" um den Verrat von Amtsgeheimnissen geht, bei denen etwa vertrauliche Informationen über Missstände "geleakt" werden. </p><p>Denn der weitergehende "Schutz" von Chats mit Journalist*innen (egal ob unter dem Titel "Ausweitung des Redaktionsgeheimnisses" oder "Einschränkung der Verwertbarkeit von Zufallsfunden") könnte auch gravierende Straftaten betreffen, bei denen die Unterlassung einer weiteren Verfolgung nicht zu rechtfertigen wäre: Stellen wir uns einen etwas zugespitzten Fall vor, in dem ein mutmaßlicher Mörder mit einer Journalistin chattet und ihr dabei auch von einem weiteren, noch nicht entdeckten Mord berichtet. Wird nun das Handy des mutmaßlichen Mörders sichergestellt (weil die Polizei ihm auf die Schliche des ersten Mordes gekommen ist), dürfte dann der zweite Mord nicht verfolgt werden, weil die Polizei bzw. Staatsanwaltschaft erst durch Auswertung des Chats mit der Journalistin auf diese Straftat aufmerksam wurde? Ich gehe nicht davon aus, dass jene, die nun eine Einschränkung der Auswertung von Chats mit Journalist*innen fordern, auch diese Konsequenz in Kauf nehmen würden. </p><p>Zusammenfassend: die Auswertung eines (rechtmäßig) bei einem Amtsträger sichergestellten Handys auch im Hinblick auf darauf befindliche Nachrichten an eine Journalistin berührt nicht das Redaktionsgeheimnis. </p><p><br /></p><p><b>3. Justizkommunikation</b></p><p>Fabian Schmid meint (im eingangs erwähnten <a href="https://twitter.com/fabian_schmid/status/1455943777575649286" target="_blank">Twitter-Thread</a>), dass "die Justizkommunikation an sich reformiert werden" sollte, weil der <a href="https://www.justiz.gv.at/file/2c9484853f31eab6013f32af1be508a5.de.0/bmj_medienerlass_2016.pdf?forcedownload=true" target="_blank">Medienerlass</a> oft sehr eng ausgelegt werde und Angst vor Ermittlungen wegen Geheimnisverrats herrsche, dass aber Journalist:innen Ansprechpartner:innen (in der Justiz) bräuchten, die Dinge erklären. </p><p>Zu Fragen der Justizkommunikation hätte ich viel zu sagen, was man insgesamt vielleicht mit den Worten zusammenfassen kann: es ist wirklich nicht einfach. Vielleicht vertiefe ich das später einmal, heute nur drei Anmerkungen: </p><p>1. Ja, die Fesseln der Amtsverschwiegenheit sind eng, und im Kernbereich der Kommunikation über einzelne anhängige oder erst anhängig werdende Verfahren wohl zu recht so. Der Schutz der Verfahrensbeteiligten und des ordnungsgemäßen Verfahrens an sich ist ein hohes Gut, und ich finde es zwar schwierig, aber notwendig, auf Litigation PR von Beteiligten nicht mit Litigation PR der Justiz zu reagieren. Kernaufgabe der Justiz ist die Verfahrensführung, nicht die Kommunikation, und die ohnedies knappen Ressourcen der Justiz müssen vor diesem Hintergrund zweckmäßig eingesetzt werden. </p><p>2. Dennoch: mehr Transparenz ist möglich und notwendig, und zwar ganz im Sinne des von Fabian Schmid angesprochenen "Erklärens", auch gegenüber Journalist*innen. Keine Amtsverschwiegenheit hindert etwa einen Sektionschef, allgemeine Fragen zu erklären: unter welchen Voraussetzungen erlaubt die StPO eine Sicherstellung, wie läuft ein Ermittlungsverfahren üblicherweise ab, wie lange dauert es im Allgemeinen, bis die Auswertung einer Telefonüberwachung vorliegt, wer kann Anklage erheben, welche Rechtsbehelfsmöglichkeiten haben Beteiligte? All das lässt sich ohne Verletzung von Amtsgeheimnissen allgemein beantworten und kann zu einem besseren Verständnis beitragen. Ich kann mir vorstellen, dass es zweckmäßig wäre, Ansprechpersonen für solche Fragen von Seiten des BMJ auch klar zu benennen und diesen Personen auch die Sicherheit zu geben, dass sie solche Informationen geben dürfen, ohne damit den Medienerlass oder sonstige interne Regularien zu verletzen. ABER: zwischen dem "abstrakten" Erklären und der Beantwortung konkret fallbezogener Fragen, etwa zum Stand des Ermittlungsverfahrens, ist ein wesentlicher Unterschied. </p><p>3. Selektive Informationen, also das eigeninitiative "Verkaufen von G'schichten" an bestimmte Journalist*innen oder bestimmte Medien, halte ich jedenfalls für rechtswidrig (siehe dazu näher schon <a href="https://drive.google.com/file/d/1OR7N3ETdsf_qljjzcdEyNHOvrqcNZB45/view?usp=sharing" target="_blank">hier</a>). Öffentliche Stellen, auch die Justiz, haben die Medien gleich zu behandeln und können auch in der Öffentlichkeitsarbeit nicht nach Belieben bestimmte Journalist*innen mit Informationen versorgen und andere nicht. Das schließt nicht aus, dass man Verteiler festlegt, in denen nach sachlichen Kriterien (etwa: Chronikreporter*innen, Innenpolitik-Ressorts, Inlands-/Auslandsmedien etc.) unterschieden wird, oder die jedenfalls allen Interessent*innen nach sachlichen Kriterien offen stehen. Aber aus eigenem (nur) bestimmte Journalist*innen zu kontaktieren, weil man mit ihnen vielleicht eine bessere Gesprächsbasis hat, weil man meint, gerade dieser eine Fall passe vielleicht zur Krone und jener zur Presse, oder gar weil man noch irgendwem "was schuldig" zu sein glaubt oder dafür eine bestimmte Art der Berichterstattung erwartet, hat tabu zu sein (davon zu unterscheiden ist die Beantwortung von Anfragen einzelner Journalist*innen, die natürlich im Rahmen des von der Amtsverschwiegenheit Erlaubten bzw. von der Auskunftspflicht Gebotenen zu erfolgen hat).</p><p>Auch hier zuletzt eine Zusammenfassung: ein eigeninitiativer "Leak" eines Amtsträgers über einen in amtlicher Funktion wahrgenommenen Umstand in der Justiz an eine Journalistin ist schon deshalb kein Fall zulässiger "Justizkommunikation", weil damit - ungeachtet des Inhalts der Mitteilung - selektiv eine bestimmte Journalistin ohne sachlichen Grund bevorzugt wird. </p><p>---------------------------</p><p>*) Das hat mehrere Gründe, vor allem aber kenne ich den Betroffenen aus verschiedenen fachlichen Zusammenhängen und zudem weiß ich vom Verfahren nicht mehr, als darüber in den Medien zu lesen war.</p>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-22509872130454867452021-10-11T14:13:00.003+02:002021-10-15T12:13:45.742+02:00"Ich hoffe sehr, dass es eine Gegenleistung gab: nämlich Berichterstattung und ein Inserat" - Anmerkungen zu gekaufter Berichterstattung<div>Die <a href="https://drive.google.com/file/d/1wKpAPo-L4nrVQ3piZKDZjZGbF9IRQ2X9/view" target="_blank">Durchsuchungs- und Sicherstellungsanordnung der Wirtschafts- und Korruptionsanwaltschaft</a>, in der u.a. der (mittlerweile Ex-)Bundeskanzler, sein Pressesprecher, sein "Kanzlerbeauftragter für Medien" sowie Helmuth und Wolfgang Fellner verschiedener strafbarer Handlungen verdächtigt werden (es gilt die Unschuldsvermutung), enthält auch Hinweise darauf, dass es zu den "Inserate- und Medienkooperationsvereinbarungen" des Finanzministeriums mit der Mediengruppe "Österreich" GmbH eine Nebenabrede gegeben habe, wonach <i>"aus sachfremden und nicht im Interesse des BMF gelegenen Gründen ... im Gegenzug für die aufgrund ... von Inseratenaufträgen durch das BMF geleisteten Zahlungen - zusätzlich zu den für die Verschleierung der Tathandlungen erforderlichen gekennzeichneten Schaltungen - ... vorgegebene redaktionelle Inhalte ... veröffentlicht werden".</i> </div><span face="Arial, sans-serif" lang="DE" style="font-size: 10.5pt;"> </span><div>Mit anderen Worten: redaktionelle Berichterstattung nach Wunsch im Gegenzug gegen Werbebuchungen, oder <b>"wer schaltet, schafft an."</b> In diese Richtung konnte man ja schon eine frühere Äußerung des Nationalratspräsidenten verstehen, der in einem Interview zu Wolfgang Fellner sagte: <i>"Sie kennen des G'schäft jo: für's Inserat gibt's a Gegeng'schäft, oder?"</i> (<a href="https://www.youtube.com/watch?v=_KApck6jjiw" rel="nofollow" target="_blank">Video</a>). Und auch der (Ex-)Bundeskanzler sagte im ZIB2-Interview mit Martin Thür am 7.10.2021 auf die Frage, ob es eine Gegenleistung für die Schaltung von Inseraten durch das BMF gab: <i>"ich hoffe sehr, dass es eine Gegenleistung gab, nämlich Berichterstattung und ein Inserat, das ist nämlich der Preis, den man bezahlt"</i> (<a href="https://youtu.be/JdnwUfx79KE?t=851" rel="nofollow" target="_blank">Video</a>, bei ca. 14:10). Sollte das kein Versprecher gewesen sein, würde es auch ein Verständnis nahelegen, dass die gewünschte Berichterstattung Teil des "Deals" bei einer Inseratenschaltung ist. </div><div><br /></div><div>Auch abseits des Strafrechts (und - für die involvierten öffentlich Bediensteten - des Dienst- bzw. Disziplinarrechts), das mich hier nicht weiter interessiert, ist dieses Verständnis von "Medienkooperationen" rechtlich problematisch, um es vorsichtig auszudrücken. Dazu ein paar Anmerkungen.</div><div><br /></div><div><b>1. Für "Regierungswerbung" gibt es gesetzliche Vorgaben.</b> </div><div><br /></div><div>Entgeltliche Veröffentlichungen von Rechtsträgern, die der Rechnungshofkontrolle unterliegen, müssen den inhaltlichen Anforderungen des <a href="https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20007610" target="_blank">Medienkooperations- und -förderungs-Transparenzgesetzes (MedKF-TG)</a> entsprechen. § 3a MedKF-TG verlangt unter anderem, dass solche entgeltlichen Veröffentlichungen <i>"ausschließlich der Deckung eines konkreten Informationsbedürfnisses der Allgemeinheit zu dienen [haben], das in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Wirkungsbereich des jeweiligen Rechtsträgers steht. Darunter fallen insbesondere Informationen zur Rechtslage sowie Handlungs- oder Verhaltensempfehlungen und Sachinformationen. Audiovisuelle Kommunikation oder entgeltliche Veröffentlichungen, die keinen konkreten Bezug zur Deckung eines Informationsbedürfnisses aufweisen und ausschließlich oder teilweise lediglich der Vermarktung der Tätigkeit des Rechtsträgers dienen, sind unzulässig."</i></div><div><br /></div><div>Für den Bund enthalten die <a href="https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20007894" target="_blank">"Richtlinien über Ausgestaltung und Inhalt entgeltlicher Veröffentlichungen von Rechtsträgern des Bundes"</a> nähere Vorgaben, insbesondere muss der Auftragnehmer vertraglich zur eindeutigen Kennzeichnung als entgeltliche Einschaltung verpflichtet werden. Außerdem ist "die ausschließliche oder auch nur teilweise Vermarktung der Tätigkeit eines Rechtsträgers untersagt". Eine solche Vermarktung liegt nach den Richtlinien insbesondere dann vor, "wenn die Veröffentlichung überwiegend der Imagepflege des Rechtsträgers dient." </div><div><br /></div><div>Redaktionelle Berichterstattung, die als Gegenleistung für die Schaltung von Inseraten erfolgt, ist eine entgeltliche Veröffentlichung; sie wäre daher (medienrechtlich nach § 26 Mediengesetz) zu kennzeichnen, und sie verstößt schon deshalb, weil eine Verpflichtung zur Kennzeichnung offensichtlich nicht Teil des Auftrags war, auch gegen das MedKF-TG. Im übrigen wird eine derartige gekaufte Berichterstattung in der Regel auch die inhaltlichen Kriterien nach dem MedKF-TG (Deckung eines konkreten Informationsbedürfnisses, Rechts- oder Sachinformation oder Handlungs- oder Verhaltensempfehlung) nicht erfüllen. </div><div><br /></div><div>Für den Fall der Verletzung der inhaltlichen Anforderungen des MedKF-TG sieht dieses Gesetz keine Sanktion vor, insbesondere auch keine Verwaltungsstrafe oder Geldbuße. Das ändert freilich nichts daran, dass eine "gekaufte Berichterstattung" eines öffentlichen Rechtsträgers, etwa des Bundes (zB vertreten durch das BMF), nach diesem Gesetz rechtswidrig ist. </div><div><br /></div><div><b>2. </b><b>Die öffentliche Hand ist auch bei der Schaltung von Inseraten zur Gleichbehandlung verpflichtet. </b></div><div><b><br /></b></div>Die Frage, inwieweit der Bund und andere öffentliche Rechtsträger bei der Vergabe von Inseraten auch "im geschäftlichen Verkehr" im Sinne des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) handeln und daher der lauterkeitsrechtlichen Kontrolle nach dem UWG unterliegen, war früher durchaus umstritten, die genauen Grenzen der lauterkeitsrechtlichen Kontrolle sind es immer noch. Ich spare mir hier die dogmatische Ableitung und Abgrenzung, denn für die hier interessierenden Fragen reicht ein Verweis auf die jüngere Rechtsprechung des OGH, die er insbesondere in seinem <a href="https://ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJT_20190613_OGH0002_0040OB00059_19H0000_000" target="_blank">Beschluss vom 13.6.2019, 4 Ob 59/19h</a> übersichtlich zusammenfasst. <div><br /></div><div>Demnach ist die öffentliche Hand aufgrund der Grundrechtebindung zur Gleichbehandlung von Wirtschaftsteilnehmern verpflichtet und darf diese nicht unsachlich bevorzugen oder benachteiligen. </div><div>Eine privatwirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand unterliegt auch dann, wenn die öffentliche Hand damit überwiegende öffentliche Zielsetzungen verfolgt bzw. als reine Nachfragerin tätig ist, insoweit der lauterkeitsrechtlichen Kontrolle, als sie die Grenze des Gleichbehandlungsgebots überschreitet und einzelne Wirtschaftsteilnehmer unsachlich bevorzugt. </div><div><br /></div><div>Mit anderen Worten: <b>die öffentliche Hand darf bei der Schaltung von Inseraten die Anbieter (Medien) nicht aus unsachlichen Gründen ungleich behandeln.</b> Natürlich ist es schwierig abzugrenzen, wann eine unzulässige Ungleichbehandlung vorliegt und wann eine Differenzierung aus sachlichen Gründen. Wenn man Landwirt*innen mit Informationen zu Agrarförderungen erreichen will, wird man zulässigerweise eine Stadtzeitung anders behandeln können (und müssen) als eine Fachzeitschrift für die Landwirtschaft. Eine unzulässige Ungleichbehandlung liegt aber jedenfalls vor, wenn Anzahl oder Umfang der in einem bestimmten Medium geschalteten Werbung der öffentlichen Hand nicht von der gewünschten Reichweite oder Zielgruppe abhängig ist, sondern von Kriterien, die nichts mit dem nach § 3a Abs. 1 MedKF-TG gesetzlich einzig zulässigen Ziel - Deckung eines konkreten Informationsbedürfnisses der Allgemeinheit - zu tun haben. Das wäre zB dann der Fall, wenn Inseratenschaltungen in Abhängigkeit von (positiver oder negativer) Berichterstattung der Medien erfolgten, und natürlich insbesondere dann, wenn ein bestimmter Inhalt oder eine bestimmte Art der Berichterstattung sogar als Nebenabrede zum Vertrag über die Inseratenschaltung vereinbart würde.</div><div><br /></div><div>Würde der Bund Inserate an eine bestimmte Berichterstattung binden, würde er nicht nur rechtswidrig handeln (einerseits nach dem MedKF-TG, andererseits wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Gleichbehandlung), sondern damit auch unlauter fremden Wettbewerb fördern. Er könnte daher gegebenenfalls von anderen Medien auf Unterlassung und - bei Verschulden - auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden. </div><div><br /></div><div><b>3. (Exkurs) Inserate als Medienförderung wären rechtswidrig.</b></div><div><br /></div><div>Andy Kaltenbrunner kommt in seiner <a href="http://www.mhw.at/cgi-bin/file.pl?id=535" target="_blank">Studie "Scheinbar transparent II"</a>, einer Analyse der Inserate der Bundesregierung in Österreichs Tageszeitungen und der Presse- und Rundfunkförderung im Pandemiejahr 2020, u.a. zu folgendem Befund: <i>"Das im Corona-Jahr 2020 in historischer Rekordhöhe dotierte Werbebudget der Bundesregierung diente nicht nur der Information der BürgerInnen, sondern auch als indirekte Medienförderung." </i></div><div><br /></div><div>Wie schon erwähnt, müssen jedoch entgeltliche Veröffentlichungen von Rechtsträgern, die der Rechnungshofkontrolle unterliegen, ausschließlich der Deckung eines konkreten Informationsbedürfnisses der Allgemeinheit dienen, das in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Wirkungsbereich des jeweiligen Rechtsträgers steht (§ 3a Abs. 1 MedKF-TG). Würde man als Vertreter*in der öffentlichen Hand also tatsächlich Inserate aus anderen Erwägungen als zur Deckung eines konkreten Informationsbedürfnisses schalten, etwa auch zum Zweck der indirekten Medienförderung, wäre dies rechtswidrig. (Strafrechtliche Fragen klammere ich auch hier aus.)</div><div><br /></div><div><b>4. Einflussnahme auf redaktionelle Inhalte widerspricht der Medienethik</b></div><div><br /></div><div><div>Als Außenstehender "auf Inhalt oder Form eines redaktionellen Beitrags" Einfluss zu nehmen, ist unzulässig, sagt der <a href="https://www.presserat.at/show_content.php?hid=2" rel="nofollow" target="_blank">Ehrenkodex für die österreichische Presse</a>. Dieser Ehrenkodex ist freilich kein Gesetz, und schon gar nicht kann er die darin angesprochenen "Außenstehenden" binden. Aber er enthält jedenfalls eine klare Botschaft, deren Einhaltung man sich insbesondere auch von Vertreter*innen der öffentlichen Hand erwarten dürfte. </div><div><br /></div><div><b>5. Was tun?</b></div><div><br /></div><div>Der Verdacht, dass jedenfalls in der Vergangenheit Inseratenschaltungen des Finanzministeriums nicht ausschließlich von sachlich nach dem MedKF-TG zulässigen Erwägungen geleitet gewesen sein könnten, liegt mit der inzwischen öffentlich bekannten Durchsuchungsanordnung auf dem Tisch. Der aktuelle Bundesminister für Finanzen hat immerhin schon angekündigt, dass die interne Revision des BMF, mit Unterstützung der Finanzprokuratur, die Sache prüfen wird. Außerdem wurde von Oppositionsparteien ein Untersuchungsausschuss angekündigt, mit noch unklarem Auftrag. </div><div><br /></div><div>Aus meiner Sicht wäre es - neben der straf- und dienstrechtlichen Aufarbeitung der konkreten Verdachtsfälle - geboten, die Frage der "Inseratenpolitik" im Verhältnis zur regulären Medienförderung grundsätzlich zu überdenken (siehe dazu zB auch <a href="https://www.derstandard.at/story/2000130292795/oevp-ermittlungen-ein-skandal-als-geschenk" target="_blank">den "Kommentar der anderen" von Sebastian Loudon auf derstandard.at</a>). </div><div><br /></div><div>Aber daneben wäre es auch angebracht, sich der Frage nach möglichen "dunklen Flecken" in der "Inseratenpolitik" der Bundesministerien grundsätzlicher zu stellen. Wünschenswert wäre - wie auch bei der Aufarbeitung dunkler Flecken in anderem Zusammenhang - eine <b>umfassende interdisziplinäre Aufarbeitung</b>, bei der den Forschenden voller Zugang zu allen relevanten Akten/Informationen der Ministerien gewährt wird, und bei der quantitativ und qualitativ ein möglicher Zusammenhang zwischen Inseratenschaltung und Inhalten der Berichterstattung geprüft wird. Ich bin sicher, dass ein Team von Medienökonom*innen, Publizist*innen, Politikwissenschaftler*innen und Jurist*innen hier eine spannende Aufgabe von hohem öffentlichen Interesse finden würde. Eine solche Aufarbeitung wäre meines Erachtens auch eine mögliche fachliche Grundlage für eine allfällige politische Aufarbeitung in einem Untersuchungsausschuss. Nur einen U-Ausschuss einzusetzen allein wird nämlich nicht reichen, um zu belastbaren, wissenschaftlich gesicherten Fakten über die Inseratenpolitik zu kommen. </div><div><br /></div><div><b>6. (Als PS) Auch sanktionslose Gesetze sollten eingehalten werden</b></div><div><br /></div><div>Das MedKF-TG enthält für Verstöße gegen die inhaltlichen Anforderungen an "Regierungswerbung" keine Sanktionen. Wie meist bei Gesetzen, die sich an Vertreter*innen öffentlicher Rechtsträger richten, geht man davon aus, dass Gesetze schon deshalb eingehalten werden, weil es sie eben gibt. </div><div><br /></div><div>Das erinnert ein wenig an die Antwort von <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/George_Mallory" target="_blank">George Mallory</a> auf die Frage, warum er den Mount Everest besteigen wolle: "Because it's there". </div><div><br /></div><div>Nun ist die schlichte Einhaltung eines Gesetzes keine Aufgabe, die mit der Besteigung eines Achttausenders vergleichbar wäre, aber bei der Beobachtung jüngerer Entwicklungen würde ich mir gelegentlich mehr von diesem Spirit wünschen - ein Gesetz nicht erst einhalten, wenn man Sanktionen befürchten muss, sondern schlicht: "because it's there". </div><div><br /></div><div>---</div><div><p><b>tl;dr: </b>selektive Inseratenvergabe, gekoppelt an inhaltliche Berichterstattung, ist rechtswidrig und unlauter. Eine umfassende interdisziplinäre Aufarbeitung der Inseratenpolitik des Bundes (und wenn wir schon dabei sind: auch der Länder) wäre notwendig.</p></div></div>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-41514278264325998652021-08-09T19:18:00.023+02:002021-08-09T20:39:00.930+02:00Eine Frage der Ehre: die Funktion als Mitglied des ORF-Stiftungsrats <p>Morgen entscheidet der ORF-Stiftungsrat über den nächsten ORF-Generaldirektor bzw. die nächste ORF-Generaldirektorin. Im Vorfeld gibt es die üblichen Diskussionen, auch unter Beteiligung <a href="https://www.derstandard.at/story/2000128737409/orf-wahl-verfassungsjurist-mayer-fuer-geheime-wahl-das-gesetz-sieht" rel="nofollow" target="_blank">diverser Verfassungsrecht- und Schadenersatz oder umgekehrt-Experten</a>, und ich habe mich aus guten Gründen da eher zurückgehalten (abgesehen von einigen schlichten Hinweises auf Dinge, die ich in diesem Blog vor 15 oder 10 Jahren schon geschrieben habe - ich werde alt, und die meisten Debatten sind in der Sache nicht wirklich neu). </p><p>Ich lasse die wichtigen Fragen hier aus und stürze mich auf eine Marginalie: § 19 Abs. 3 ORF-Gesetz. Diese Bestimmung lautet: </p><blockquote><i>"Die Funktion als Mitglied des Stiftungsrates und des Publikumsrates ist ein Ehrenamt. Die Mitglieder haben Anspruch auf angemessenen Ersatz der angefallenen Kosten."</i></blockquote><p>Das heißt: anders als Aufsichtsratsmitglieder in vergleichbaren Unternehmen bekommen Mitglieder des Stiftungsrats für ihre Tätigkeit kein Entgelt. Für die - <a href="https://www.kleinezeitung.at/meinung/6015879/Wahl-zum-ORFGeneraldirektor_Bedenklich-dass-ein-Stiftungsrat" rel="nofollow" target="_blank">zuletzt etwa hier</a> - kolportierten 50 € Pauschale pro Monat und 100 € Sitzungsgeld gibt es übrigens keine gesetzliche Grundlage, lediglich die "angefallenen Kosten" dürfen - und müssen - den Stiftungsratsmitgliedern ersetzt werden (im jüngsten Jahresabschluss weist der ORF "Bezüge" von insgesamt 55.300 € an die Mitglieder des Stiftungsrates aus; Peanuts, ich weiß, aber - soweit es sich nicht um den Ersatz tatsächlich angefallener Kosten handelt - ohne gesetzliche Grundlage). </p><p><b>Ich halte die Ehrenamtlichkeit der Funktion eines Mitglieds des ORF-Stiftungsrates für ein strukturelles Problem.</b> </p><p>Nun bin ich zwar kein Anhänger des <i>„if you pay peanuts, you get monkeys“</i>, nicht nur weil es affenfeindlich ist, sondern weil es auch empirisch nicht stimmt: einerseits wird viel großartige Arbeit ehrenamtlich oder gering bezahlt geleistet, und andererseits kommt mir vor, dass manchmal Jobs, für die es wesentlich mehr als peanuts gibt, gerade von jenen erreicht werden, die man nach der erwähnten Redewendung eher dort vermuten würde, wo peanuts gezahlt werden (wobei es hilft, wenn man zB die Ausschreibung selbst formulieren und die Leute, die einen auswählen sollen, selbst auswählen kann).</p><p>Aber sind im <a href="https://der.orf.at/unternehmen/gremien/stiftungsrat/mitglieder/index.html" target="_blank">ORF-Stiftungsrat</a> (überwiegend) Personen, denen man abnimmt, diese Funktion aus reinem zivilgesellschaftlichem Engagement ehrenamtlich und - <a href="https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000555" target="_blank">wie von der Verfassung gefordert</a> - in voller Unabhängigkeit, damit auch frei von fremden Interessen, auszuüben? Das mag in einzelnen Fällen so sein, aber ich habe Zweifel, ob dies durchgängig der Fall ist. </p><p>Füllt man die Funktion eines Stiftungsratsmitglieds nämlich angemessen aus (wovon man - auch entgegen manch empirischer Evidenz - ausgehen sollte), so erfordert sie – schon wegen des rechtlichen (wenngleich praktisch eher theoretischen) Haftungsrisikos und der Verantwortung – einiges an zeitlichem Aufwand. Der Stiftungsrat des ORF ist dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft nachgebildet, sowohl strukturell als auch von den Aufgaben her. Eine <a href="https://www.sparkasse.at/sgruppe/telebankingpro/news/2019/09/03/Snewsroom_StudieSovielZeitbenoetigenAufsichtsraeteproMandat" target="_blank">relativ aktuelle Erhebung</a> hat für Aufsichtsratsmitglieder in Österreich einen Arbeitsaufwand von zwischen 12 bis 24 Arbeitstagen für ein normales Mitglied und von 36 bis 54 Tagen für den Vorsitzenden ergeben. Nun kann man einwenden, dass die ungewöhnlich große Anzahl von Stiftungsratsmitgliedern im Vergleich zu einem typischen Aufsichtsrat den Aufwand der einzelnen Mitglieder eher verringert, aber auch unter diesem Gesichtspunkt verbleibt noch eine recht beträchtliche zeitliche Belastung, die man sich erst einmal leisten können muss. </p><p>Im Stiftungsrat des ORF sehen wir zB Unternehmens-, Politik-, Strategie- oder Kommunikationsberater, den Geschäftsführer einer Verwertungsgesellschaft, einen Musikmanager, die PR-Verantwortliche eines Museums, usw. (ich lasse im gesamten Blogpost übrigens die besondere - arbeitsverfassungsrechtlich geprägte - Rolle der vom Zentralbetriebsrat bestellten Mitglieder außer Betracht). Ich gehe davon aus, dass sie alle sich mindestens zwei Wochen unbezahlte Arbeit für den ORF schon leisten werden können, aber die Frage muss schon erlaubt sein: welche Interessen haben sie jeweils bewogen, diese Funktion zu übernehmen? Geld kann es ja - Strichwort: Ehrenamtlichkeit - nicht sein. </p><p>Die Ehrenamtlichkeit lässt zumindest die Sorge zu, dass jemand eine Funktion als Mitglied des Stiftungsrates auch annimmt, weil er/sie </p><p></p><ul style="text-align: left;"><li>damit für den Job, den er/sie eigentlich ausübt, etwas erreichen will und kann; das heißt aber, dass die Funktion als Mitglied des Stiftungsrates mehr im Interesse des eigenen Dienstgebers bzw. der eigentlichen Haupttätigkeit liegt, als im Interesse des ORF, oder </li><li>darum gebeten wird, und weil er/sie vielleicht jemandem etwas schuldig ist, oder zumindest möchte, dass jemand ihm/ihr etwas schuldig ist. </li></ul><p></p><div>Dabei können die verfolgten Interessen legitim sein, etwa wenn sich der Geschäftsführer einer Verwertungsgesellschaft dafür einsetzt, dass die österreichische Musikwirtschaft im ORF gut bedient wird. Und das mit dem "jemandem etwas schuldig sein" muss man sich nicht als einfaches „do ut des“ vorstellen - aber es reicht die atmosphärische Verbindung, das Gefühl des potentiellen Stiftungsratsmitglieds: ich sollte das doch machen (zB für die Partei, für xy…) oder auf der anderen Seite: jetzt ist der/die für uns den in den Stiftungsrat gegangen, das rechnen wir ihm/ihr zumindest moralisch an – und vielleicht auch für den nächsten Auftrag, die nächste bezahlte Funktion, etc. </div><div><br /></div><div>Das alles ist natürlich schwer fassbar, und ich gehe davon aus, dass die Mitglieder des Stiftungsrates sich nach bestem Wissen und Gewissen darum bemühen, die Tätigkeit von ihren sonstigen (beruflichen) Interessen und wirtschaftlichen, politischen, freundschaftlichen Beziehungen zu trennen. Aber in der Praxis <b>leistet die Konstruktion als Ehrenamt einem schlampigen Umgang mit Interessenkonflikten Vorschub</b>: nehmen wir zB an, der ÖGB würde eine engagierte Betriebsrätin oder Funktionärin in den Publikumsrat schicken, die dann vom Publikumsrat in den Stiftungsrat entsandt würde: für die Tätigkeit im Publikums- und Stiftungsrat müsste sie sich jeweils Urlaub oder Zeitausgleich nehmen, was bei ihrem Arbeitgeber vielleicht nicht immer leicht durchsetzbar wäre, und sie würde dafür einen nicht unwesentlichen Teil ihres Jahresurlaubs verwenden. Läge es da nicht näher, vielleicht einen Berufsfunktionär zu entsenden, der die Tätigkeit mehr oder weniger in seine berufliche Tätigkeit "integrieren" kann? Bei dem der Dienstgeber vielleicht großzügiger mit Zeitausgleich oder Urlaub für diese Tätigkeit ist oder es gar hinnimmt, wenn diese Tätigkeit während der Arbeitszeit ausgeübt wird? Ähnliches gilt für die von Kammern nominierten Personen oder jene, die beruflich bei politischen Akademien tätig sind. </div><div><br /></div><div>Und damit bin ich an einem Punkt, an dem es rechtlich heikel wird. <b>Wird die Tätigkeit eines Stiftungsratsmitglieds in der Arbeitszeit seines (fremden) Dienstgebers ausgeübt, so ist die verfassungsrechtlich geforderte Unabhängigkeit nicht mehr gegeben.</b> Denn wenn der jeweilige Dienstgeber die Auffassung vertritt, die Tätigkeit als Publikums- oder Stiftungsratsmitglied sei (auch) in seinem Interesse gelegen und daher (von ihm) zu entlohnen, besteht keine völlige Ungebundenheit des Stiftungs- oder Publikumsratsmitglieds von Interessen Dritter. Dasselbe gilt natürlich, wenn im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit Aufwendungen im Zusammenhang mit der Tätigkeit als Stiftungsratsmitglied steuerlich geltend gemacht werden, etwa indem Ressourcen des Unternehmens ohne "Herausrechnung" genutzt werden. </div><div><br /></div><div>Die Mitglieder des Stiftungsrates werden zu einem wesentlichen Teil von der Bundesregierung und den Ländern sowie auf Vorschlag der politischen Parteien bestellt; sie haben im Stiftungsrat aber nicht die Interessen jener zu vertreten, von denen sie ernannt oder vorgeschlagen wurden, sondern sie müssen die Funktion in völliger Unabhängigkeit ausüben. Damit ist unvereinbar, für die Tätigkeit als Stiftungsratsmitglied von dritter Seite entlohnt zu werden.</div><div><br /></div><div>Was tun? Bloß die Ehrenamtlichkeit gesetzlich zu streichen und stattdessen eine angemessene Entlohnung für die Tätigkeit als Stiftungsratsmitglied vorzusehen, wird die faktischen (und teilweise, wie gerade erwähnt, auch rechtlichen) Probleme mangelnder Unabhängigkeit nicht lösen. Aber es wäre zumindest ein Schritt in Richtung mehr Ehrlichkeit.</div><div><br /></div><div><i>[Disclosure: ich wurde in der Vergangenheit in zwei Fällen gefragt, ob ich eine Funktion als Stiftungsratsmitglied annehmen möchte; ich konnte jeweils schon deshalb ablehnen, weil dies mit meiner hauptberuflichen Tätigkeit unvereinbar ist - die Frage der Ehrenamtlichkeit war da also nicht entscheidend.]</i></div><div><i><br /></i></div><div>PS (Ergänzung 9.8.2021, 20:30 Uhr): weil ich gerade darüber gestolpert bin, ein Auszug aus <a href="https://www.diepresse.com/684093/das-aufsichtsorgan-des-orf-der-lange-arm-der-politik" target="_blank">einem Artikel in der Presse aus 2011, von Anna-Maria Wallner</a>, hier als Screenshot mit eigener Hervorhebung: Quod erat demonstrandum</div><div><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgv6krdrJ4myHeHiTHZX-G67QTqA1Cc7QC2t5skh9zG_GXe_ufsNFcMeFbGr59JqrrI8f-JuhxqT-K8haJocAooMcxlnMDsEevgwiYhtlI6pLUouu7csUgbDSBGcCNEI7UrPtHh/s646/_orf-stiftungsrat2.jpg" style="margin-left: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="399" data-original-width="646" height="248" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgv6krdrJ4myHeHiTHZX-G67QTqA1Cc7QC2t5skh9zG_GXe_ufsNFcMeFbGr59JqrrI8f-JuhxqT-K8haJocAooMcxlnMDsEevgwiYhtlI6pLUouu7csUgbDSBGcCNEI7UrPtHh/w400-h248/_orf-stiftungsrat2.jpg" width="400" /></a></div></div>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-6656087577106258192021-04-29T20:32:00.003+02:002021-06-10T16:33:08.567+02:00VfGH: wo sich die Justiz nicht einmal mehr auf der Ersatzbank findet<p>Wenn man Zeitungsberichten glauben darf - und <a href="https://www.diepresse.com/5965756/turkis-grune-blockade-um-rotes-hochstgerichts-ticket" rel="nofollow" target="_blank">hier</a> hätte ich jetzt keine besonderen Zweifel - dann war es zuletzt offenbar nur mehr die Frage, ob der von ÖVP-Seite favorisierte <a href="https://www.jku.at/institut-fuer-verwaltungsrecht-und-verwaltungslehre/ueber-uns/team/michael-mayrhofer/" rel="nofollow" target="_blank">Prof. Michael Mayrhofer</a> oder die von Grünen-Seite bevorzugte <a href="https://oeffentliches-recht.uni-graz.at/de/arbeitsbereich-eisenberger/eisenberger/" rel="nofollow" target="_blank">Prof.in Iris Eisenberger</a> dem Herrn Bundespräsidenten zur Ernennung als <b>Ersatzmitglied des Verfassungsgerichtshofes</b> vorgeschlagen wird. Ich kenne und schätze beide und hätte Iris Eisenberger ebenso für ausgezeichnet geeignet gehalten wie Michael Mayrhofer, der <a href="https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:d8f78fc1-6bf3-45f8-9f96-035d38080ebe/57_11_mrv.pdf" rel="nofollow" target="_blank">gestern von der Bundesregierung vorgeschlagen wurde</a>. </p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;">[Dass derartige Entscheidungen politisiert sind und den Bewerber*innen - ob berechtigt oder nicht - Parteinähe zugeschrieben wird, ist dem System der österreichischen Verfassungsgerichtsbarkeit geschuldet; den Bewerber*innen sollte man das nicht vorwerfen, solange - was hier außer Zweifel steht - Personen ausgewählt werden, die fachlich qualifiziert und persönlich geeignet sind. Was nun, nach offenbar längerer Blockade in der Regierung, den Ausschlag für die Entscheidung gegeben hat, werden wir wohl nicht erfahren; auffällig ist, dass im gestrigen Ministerrat auch die <a href="https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:6d4303c9-f9db-4f6d-81ae-da43f1172050/57_12_mrv.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Beschlussfassung über die Regulierungskommission</a> und den <a href="https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:40f8bbfb-3ddb-4552-8f37-b0adf6520a68/57_13_mrv.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Aufsichtsrat</a> der E-Control erfolgte, wo man vielleicht eine etwas akzentuierte "grüne Handschrift" erkennen könnte.]</p></blockquote><p>Gratulation also an Prof. Mayrhofer, aber ich möchte die Gelegenheit nutzen, um auf zwei Aspekte aufmerksam zu machen, die aus meiner Sicht perspektivisch Beachtung verdienen würden: die - vielleicht auch nur symbolische - personelle Verbindung zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und ordentlicher Justiz einerseits, und die Frage der fachlichen Diversität im VfGH andererseits. </p><p><b>"Mir wern kan Richter brauchn"?</b></p><p>Nach Art. 147 Abs. 2 B-VG ernennt der Bundespräsident "den Präsidenten, den Vizepräsidenten, sechs weitere Mitglieder und drei Ersatzmitglieder" auf Vorschlag der Bundesregierung; diese Mitglieder und Ersatzmitglieder sind "<b>aus dem Kreis der Richter, Verwaltungsbeamten und Professoren eines rechtswissenschaftlichen Faches</b> an einer Universität zu entnehmen" (für die weiteren Mitglieder ist kein bestimmter Herkunftsberuf erforderlich, diese müssen das Studium der Rechtswissenschaften oder die rechts- und staatswissenschaftlichen Studien abgeschlossen haben und über eine zehnjährige juristische Berufserfahrung verfügen). </p><p>Auch wenn die Aufzählung in Art. 147 Abs. 2 B-VG nicht als bewusste Reihung ("1. Richter, 2. Verwaltungsbeamte, 3. Professoren") anzusehen ist, so macht sie doch deutlich, dass <b>der Verfassungsgesetzgeber von einem Leitbild ausgeht, nach dem Berufsrichter*innen aus dem Verfassungsgerichtshof nicht wegzudenken sind</b>. Dennoch sind Justiz-Richter*innen seit langem nicht mehr als (Haupt)Mitglieder im Gremium des Verfassungsgerichtshofes vertreten (wenn ich jetzt nichts übersehen habe*) [Anm. 1.5.2021: natürlich habe ich etwas übersehen, siehe Fußnote unten], war <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Gottlich" rel="nofollow" target="_blank">Kurt Gottlich</a>, der 2002 in Pension ging, der letzte Justizrichter im VfGH, wenngleich auch er eigentlich nur kurze Zeit judiziert hatte und vor seiner Tätigkeit am VfGH vor allem als Staatsanwalt tätig war; auch <a href="https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Jann" rel="nofollow" target="_blank">Peter Jann</a>, der 1995 ausschied und zum Richter am EuGH ernannt wurde, war vor seiner Ernennung an den VfGH nicht mehr als Richter aktiv, sondern im ÖVP-Parlamentsklub tätig). Bis 2017 war noch Rudolf Müller Mitglied des Verfassungsgerichtshofes, der bis 2012 zugleich Berufsrichter war (allerdings nicht in der ordentlichen Justiz, sondern am Verwaltungsgerichtshof).</p><p>Es ist verständlich, dass neben einer richterlichen Tätigkeit in der Justiz eine "Nebentätigkeit" als Verfassungsrichter*in schon aus Gründen der zeitlichen Belastung praktisch nicht in Betracht kommt - ganz abgesehen davon, ob und welche Richter*innen so sehr in die Nähe der Politik kommen, dass sie für eine Ernennung an den VfGH in Betracht gezogen würden. </p><p>Allerdings gab es doch in der zweiten Republik eine gewisse Tradition, dass zumindest <b>auf der symbolischen Ebene der Ersatzmitglieder eine "Verklammerung" mit der ordentlichen Justiz </b>erfolgte: so war zB OGH-Präsidentin Irmgard Griss Ersatzmitglied des VfGH, ebenso vor ihr schon ihr Vorgänger als OGH-Präsident Erwin Felzmann. Zuletzt war noch Liliane Hofmeister, früher Richterin am Handelsgericht Wien, Ersatzmitglied des VfGH. Nach ihrem Ausscheiden mit Ende Dezember 2020 ist damit der letzte symbolische Zusammenhang zwischen ordentlicher Justiz und VfGH auf personeller Ebene aufgelöst (zwischen Verwaltungsgerichtsbarkeit und VfGH besteht dieser Zusammenhang durch drei Ersatzmitglieder, die zugleich Richter*innen am VwGH sind, weiter). </p><p>Klar: der VfGH ist, so wie er ist, korrekt zusammengesetzt, nirgendwo wird verlangt, dass zB jedenfalls mindestens ein*e Richter*in Mitglied oder Ersatzmitglied des VfGH sein müsste - aber wünschen wird man es sich wohl dürfen. Immerhin werden - nicht zuletzt durch den "Parteienantrag auf Normenkontrolle" (Ex-OGH-Präsident Ratz hatte zumindest in der Diskussion um die Gesetzwerdung noch von der <a href="https://www.diepresse.com/767880/duell-zweier-hochstgerichte-um-neues-recht-fur-burger" rel="nofollow" target="_blank">"Querulantenbeschwerde"</a> gesprochen) - vermehrt auch zivilrechtliche und auch zivilprozessuale Normen zur Prüfung an den VfGH herangetragen. Es wäre wohl der Fachdiskussion nicht abträglich, könnten auch erfahrene Richter*innen, die solche Materien jahrelang judiziert haben, ihre Expertise einbringen. </p><p>Und auch wenn es - wie schon gesagt - bei der aktuellen, vom Konzept her nebenberuflich angelegten Verfassungsgerichtsbarkeit unrealistisch ist, dass im aktiven Berufsleben stehende Richter*innen zugleich (Haupt)Mitglied des Verfassungsgerichtshofes sein können, so wäre doch meines Erachtens die Ernennung eines Ersatzmitglieds aus dem Kreis der Justizrichter*innen eine wünschenswerte Geste, die auch die notwendige Verbindung und Zusammenarbeit zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und Justiz deutlich machen könnte. Im Übrigen ist die ZPO die im Verfahren vor dem VfGH subsidiär anwendbare Verfahrensnorm - und gerade einmal die Anwält*innen haben, je nach Fachgebiet, mehr oder weniger Erfahrung damit. </p><p>Bei der Besetzung gefordert ist freilich nicht der VfGH selbst (wenngleich man den Einfluss aus dem Gerichtshof heraus auf die Bewerbungen nicht unterschätzen sollte), sondern wer gerade mit der Nominierung an der Reihe wäre. In nächster Zeit ist das ohnehin nicht der Fall - wenn nicht ein Ersatzmitglied vorzeitig ausscheidet (vielleicht zum Mitglied ernannt wird), dann wird das nächste Ersatzmitglied erst wieder in rund acht Jahren zu bestellen sein (das nächste reguläre Mitglied übrigens erst in rund vier Jahren)</p><p>Ich schreibe das dennoch jetzt, nachdem die Auswahl für die mit Ende Dezember 2020 freigewordene Funktion eines Ersatzmitglieds getroffen wurde (ich weiß ja nicht einmal, ob sich geeignete Vertreter*innen aus der Justiz beworben haben), nur damit ich das auch mal nachweislich wo gesagt habe:<b> </b>Ich bin schon der Meinung, dass der VfGH "an Richter [a Richterin] brauchn" würde.</p><p><b>Der Verfassungsgerichtshof sollte nicht nur aus Verfassungsspezialist*innen bestehen</b></p><p>Auf den ersten Blick scheint es klar: ein Verfassungsgerichtshof braucht Spezialist*innen des Verfassungsrechts. Gut, die hat er, und zwar reichlich: im öffentlichen Recht habilitierte Professor*innen (Grabenwarter, Madner, Lienbacher, Holoubek, Hauer) und Verwaltungsbeamt*innen aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich (Kahr, Schnizer, Hörtenhuber, Siess-Scherz) machen schon eine satte Mehrheit aus, dazu kommt ein im öffentlichen Recht spezialisierter Rechtsanwalt (Herbst), zwei ausgewiesene Strafrechtler (Brandstetter, Rami) und ein Steuerrechtler (Achatz), also ebenfalls im weiteren Sinne Öffentlich-Rechtler. Gerade einmal Sieglinde Gahleitner als Arbeitsrechtlerin ist nicht nur im öffentlichen Recht (einschließlich des Strafrechts und des Steuerrechts) zu Hause. Blickt man auf die Ersatzmitglieder, ist das Bild auch ziemlich eindeutig: drei Richter*innen des Verwaltungsgerichtshofs, nun zwei Professor*innen des öffentlichen Rechts und ein Rechtsanwalt, der laut seiner Website offenbar eher im Zivilrecht (Unternehmensrecht, Familienrecht, Erbrecht, IP- und Wettbewerbsrecht) tätig ist.</p><p>Natürlich sind die aktuellen Mitglieder des VfGH als ausgezeichnete Jurist*innen in der Lage, das gesamte sich ihnen bietende Feld zu beackern. Aber es gibt Gründe, warum zB nach dem Ausscheiden des Steuerfachmanns Prof. Ruppe umgehend mit Markus Achatz wieder ein Prof. für Steuerrecht zum Mitglied des VfGH ernannt wurde. Das klassische Zivilrecht hingegen ist im VfGH seit dem Ausscheiden von Prof. Spielbüchler Ende 2009 zumindest auf "Professor*innen-Ebene" nicht mehr vertreten. Ich sage es vorsichtig: schaden würde es dem VfGH wohl nicht, wenn das bei Gelegenheit wieder geändert würde. </p><p>---</p><p>PS, in Vorwegnahme der zu erwartenden Kritik: was geht's mich an? Eh nichts, aber ich schreib es halt auf, weil ich kann, grad Lust dazu hab und auch der Meinung bin, dass dieser Gesichtspunkt ein wenig mehr Beachtung verdient hätte. Ich bilde mir nicht ein, dass meine Meinung maßgeblich wäre, aber wer bis hierher gelesen hat, den/die hat es vielleicht interessiert. Ich kann darüber auch schreiben, weil ich da ganz frei von Eigeninteressen bin: ich habe mich nicht beworben und werde mich nicht bewerben, und ich bin auch weder Justizrichter, noch kann ich angesichts meines aktuellen Berufs als Hardcore-Zivilrechtler durchgehen (auch wenn das meine juristische Herkunft ist und ich in meinem Herzen "Zivilist" geblieben bin).</p><p>PPS: Die Funktion eines Ersatzmitglieds des Verfassungsgerichtshofes sollte man nicht überbewerten: Ersatzmitglieder kommen zum Zug, wenn andere ausfallen, das eine Ersatzmitglied mehr, das andere weniger, und sie schreiben auch nicht die großen Erkenntnisse, nehmen aber natürlich, wenn sie eintreten, mit vollem Stimmgewicht an der Beratung und Abstimmung teil. Die Funktion ist vor allem eine hohe Ehre, weniger ein Beruf zum Geldverdienen: Ersatzmitglieder erhalten keine fixe Vergütung, sondern nach § 4 Abs. 3 VfGG "für jede Sitzung, an der sie teilgenommen haben, eine Entschädigung" (derzeit pro Sitzungstag, wenn ich das jetzt richtig berechnet habe, 830,52 € - das ist nicht nichts, aber zB <a href="https://www.vfgh.gv.at/verfassungsgerichtshof/verfassungsrichter/Werner_Suppan.de.html" rel="nofollow" target="_blank">für einen sonst gut beschäftigten Anwalt</a> nicht das, was er sonst an einem Tag verdienen könnte). </p><p><b>*) Ergänzung/Korrektur (1.5.2021):</b> leider habe ich wirklich etwas übersehen: Brigitte Bierlein, seit 1.1.2003 Vizepräsidentin, von Februar 2018 bis Juni 2019 Präsidentin des VfGH, hatte ich offenbar im Gedächtnis so sehr als Staatsanwältin abgespeichert, dass ich übersehen habe, dass sie natürlich auch zunächst - wenn auch nur für zwei Jahre - Richterin war. Danke an einen aufmerksamen Verfassungsrichter für den Hinweis!</p>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-29242006586835921402021-04-01T11:35:00.000+02:002021-04-01T11:35:04.045+02:0020 Jahre RTR (oder: als mich Wolfgang Schüssel kurzfristig und ohne Ausschreibung zum Geschäftsführer einer Bundesgesellschaft bestellte)<p></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><a href="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgp8eaoV63vgYgllhrPSi5Z9EYqOjUTKSLtyNFKyPJ4elreT3q0IWU1ug-xyYObTX_q6kX5_zsTShn_rRCR0XuGBkmjotXYdey8I-rcu1fJ5mzbPvBof8C2Ee2gQxTemevNYphw/s2048/IMG_20210331_084859__01__01.jpg" style="clear: left; float: left; margin-bottom: 1em; margin-right: 1em;"><img border="0" data-original-height="1305" data-original-width="2048" src="https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEgp8eaoV63vgYgllhrPSi5Z9EYqOjUTKSLtyNFKyPJ4elreT3q0IWU1ug-xyYObTX_q6kX5_zsTShn_rRCR0XuGBkmjotXYdey8I-rcu1fJ5mzbPvBof8C2Ee2gQxTemevNYphw/s320/IMG_20210331_084859__01__01.jpg" width="320" /></a></div><div>Heute vor zwanzig Jahren trat das "Bundesgesetz über die Einrichtung einer Kommunikationsbehörde Austria („KommAustria“) und
eines Bundeskommunikationssenates (<b>KommAustria-Gesetz – KOG</b>)", <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/2001_32_1/2001_32_1.pdf" rel="nofollow" target="_blank">BGBl I 2001/32</a>, in Kraft. Damit wurden nicht nur die zwei im Titel des Gesetzes genannten Behörden eingerichtet, sondern auch eine neue, nicht gewinnorientierte Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründet. Diese führt die Firma <b>„Rundfunk und Telekom
Regulierungs-GmbH“ (RTR-GmbH);</b> ihre Anteile sind zu hundert Prozent dem Bund vorbehalten. Die RTR-GmbH gibt es - in ihrer Struktur weitgehend unverändert, aber mit einigen Veränderungen im Aufgabenbereich - heute noch. Auch die KommAustria besteht nun schon 20 Jahre, wobei deren Struktur allerdings mit der <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2010_I_50/BGBLA_2010_I_50.pdfsig" rel="nofollow" target="_blank">Novelle BGBl I 2010/50</a> ab 1.10.2010 gründlich verändert wurde; insbesondere wurde sie von einer dem Bundeskanzler weisungsgebundenen monokratischen Behörde zu einer unabhängigen Kollegialbehörde umgestaltet. Der Bundeskommunikationssenat - eine "Kollegialbehörde mit richterlichem Einschlag" alter Schule - hatte ein kürzeres Leben: er wurde als eine von vielen derartigen Behörden mit Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit zum 1.1.2014 aufgelöst. </div><div><br /></div><div>Das KommAustria-Gesetz war - darüber wurde schon viel geschrieben - eher eine Verlegenheitslösung, weil der zunächst in Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP, dann auch von der Koalition aus ÖVP und FPÖ angepeilte große Wurf (siehe die <a href="https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXI/I/I_00400/fname_602216.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Regierungsvorlage 400 BlgNR 21. GP</a>) eine Verfassungsmehrheit gebraucht hätte, die schließlich nicht erzielt werden konnte (ich habe die in der Regierungsvorlage vorgesehene Konstruktion als "eher hypertroph" angesehen und diese Ansicht auch nie verheimlicht; in <a href="http://lehofer.at/pdfs/080609_Sendelizenz_Podersdorf.pdf" rel="nofollow" target="_blank">einem späteren Vortrag</a> habe ich die dort geplante KommAustria als "pseudo-konvergente Behörde mit kompliziertem Zusammenspiel mehrerer
Kommissionen plus einer Art Frühstücksdirektor" bezeichnet). <div><br /><div>Das Gesetz war aber auch dringlich: denn der VfGH hatte mit <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Vfgh&Dokumentnummer=JFT_09999371_99G00175_00" rel="nofollow" target="_blank">Erkenntnis vom 29.6.2000, G 175-266/99</a>, § 13 des Regionalradiogesetzes aufgehoben und damit der bisherigen Behördenkonstruktion im Rundfunkbereich den Boden entzogen. In der Folge wurden zahlreiche Zulassungsbescheide von Privatradioveranstaltern aufgehoben. Weitersenden war nur aufgrund einer schnell geschaffenen Behelfskonstruktion bis Ende Juni 2001 möglich, und die nächste Aufhebung durch den VfGH stand auch schon bevor (erfolgte dann mit <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=Vfgh&Dokumentnummer=JFT_09989387_00G00141_00" rel="nofollow" target="_blank">21.6.2001, G 141/00 ua</a>). </div><div><br /></div><div>Eile war also geboten, und so trat das KommAustria-Gesetz nur zwei Tage nach Kundmachung am 1. April 2001 in Kraft. Die damit geschaffenen Funktionen waren erst auszuschreiben, mussten aber umgehend provisorisch besetzt werden, denn so eine neue GmbH muss schließlich auch handlungsfähig sein. Zudem wurde die Gesellschaft zwar juristisch aus dem Nichts erschaffen, aber unmittelbar mit ihrer Einrichtung wurde die Telekom-Control GmbH kraft Gesetzes auf sie verschmolzen - die schon bestehende Telekom-Regulierungsbehörde musste ja weiter tätig sein können. Auch die Verschmelzung war natürlich beim Firmenbuch anzuzeigen, und auch dazu brauchte man Geschäftsführer für die neue GmbH (je einen für den Bereich Telekommunikation, zu bestellen von der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie, und für den Bereich Rundfunk, zu bestellen vom Bundeskanzler). </div><div><br /></div><div>Ich war damals Leiter der Rechtsabteilung der Telekom-Control GmbH (TKC) und als solcher im Vorfeld häufig mit den Legisten im BKA und BMVIT in Kontakt gestanden, weil es schließlich auch um die möglichst reibungsfreie Integration der TKC in die neue RTR und die dazu notwendigen Anpassungen im TKG (und im KommAustria-Gesetz) ging. Als sich dann die Frage stellte, wer die provisorische Geschäftsführung für die neue GmbH für den Rundfunkbereich übernehmen sollte (für den Bereich Telekommunikation war klar, dass der bisherige TKC-Geschäftsführer bleiben sollte), kam man im BKA auf mich. Ich konnte glaubhaft versichern, das wirklich nur übergangsweise machen zu wollen, und man traute mir offenbar auch zu, die neue GmbH halbwegs unfallfrei über die ersten paar Monate zu bringen, bis nach der Ausschreibung der definitive Geschäftsführer bestellt werden sollte. </div><div><br /></div><div>Und so kam es, dass ich vom damaligen Bundeskanzler kurzfristig zum Geschäftsführer einer neu geschaffenen Bundesgesellschaft bestellt wurde, an deren gesetzlicher Ausgestaltung ich zuvor (ein wenig) mitbeteiligt war. </div><div><br /></div><div>Im Unterschied zu anderen Organbestellungen in bundeseigenen Unternehmen, die derzeit diskutiert werden, gingen dieser Bestellung freilich keine Chats mit dem Bundeskanzler oder seinem Kabinett voraus (ganz abgesehen davon, dass das mit den Emojis damals noch nicht gebräuchlich war). Andererseits: bei der RTR ging es auch nicht um Milliarden.</div></div></div>Unknownnoreply@blogger.com0tag:blogger.com,1999:blog-36655173.post-39823733237399699382021-03-17T06:49:00.015+01:002021-04-22T19:38:27.312+02:00Recht auf Zugang zu Informationen nach Art. 10 EMRK: nun auch vom VfGH anerkannt<p>Gibt es in Österreich ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Zugang zu Informationen? Noch nicht, könnte man glauben, wenn man die aktuelle Diskussion um den <a href="https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/ME/ME_00095/index.shtml" rel="nofollow" target="_blank">Ministerialentwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz</a> verfolgt - denn erst mit diesem Gesetzesvorhaben soll ein derartiges Recht erstmals im B-VG verankert werden. Mit seinem gestern veröffentlichten <a href="https://www.vfgh.gv.at/downloads/VfGH-Erkenntnis_E_4037_2020_vom_4._Maerz_2021.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Erkenntnis vom 4. März 2021, E 4037/2020</a>, hat der Verfassungsgerichtshof allerdings anerkannt, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch Art. 10 EMRK ("Freiheit der Meinungsäußerung") ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Zugang zu Informationen gewährt.</p><p>Der VfGH folgt damit dem EGMR, der in seiner Rechtsprechung zu <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR12016941/NOR12016941.html" rel="nofollow" target="_blank">Art. 10 EMRK</a> ein Recht auf Zugang zu Informationen unter bestimmten Voraussetzungen schon seit längerem anerkannt hat, etwa im <a href="http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/view.asp?action=html&documentId=849278&portal=hbkm&source=externalbydocnumber&table=F69A27FD8FB86142BF01C1166DEA398649">Urteil <i>Társaság a Szabadságjogokért</i></a> (14.04.2009, siehe im Blog dazu <a href="https://blog.lehofer.at/2009/04/egmr-recht-auf-informationszugang-nach.html" rel="nofollow" target="_blank">hier</a>), vor allem aber im Urteil der Großen Kammer im Fall <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-167828" rel="nofollow" target="_blank"><i>Magyar Helsinki Bizottság</i></a> (08.11.2016; siehe im Blog dazu <a href="https://blog.lehofer.at/2016/11/MagyarHelsinki.html" rel="nofollow" target="_blank">hier</a>). </p><p>In Österreich hatte sich VfGH in seiner Rechtsprechung zu Art. 10 EMRK - der ja innerstaatlich im Verfassungsrang steht - allerdings auch nach dem EGMR-Urteil <a href="http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/view.asp?action=html&documentId=849278&portal=hbkm&source=externalbydocnumber&table=F69A27FD8FB86142BF01C1166DEA398649"><i>Társaság a Szabadságjogokért</i></a> noch weiter an früherer Rechtsprechung des EGMR orientiert, in der dieser ein Recht auf Informationszugang noch abgelehnt hatte. So wies der VfGH in seinem <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_09888798_05B03519_00/JFT_09888798_05B03519_00.html" rel="nofollow" target="_blank">Erkenntnis vom 02.12.2011, B 3519/05</a>, die Beschwerde einer NGO gegen die Verweigerung des Zugangs zu Entscheidungen der Tiroler Landes-Grundverkehrskommission ab, weil keine Verpflichtung des Staates bestehe, den Zugang zu Informationen zu gewährleisten oder selbst Informationen bereitzustellen (siehe zu diesem Erkenntnis den zweiten Teil <a href="https://blog.lehofer.at/2013/02/auskunftspflicht-und-pressefreiheit-aus.html" rel="nofollow" target="_blank">dieses Blogposts</a>). Die betroffene NGO beschwerte sich danach beim EGMR, dieser gab ihr Recht und stellte mit <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-139084" rel="nofollow" target="_blank">Urteil vom 28.11.2013, <i>Österreichische Vereinigung zur Erhaltung, Stärkung und Schaffung eines wirtschaftlich gesunden land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitzes</i></a>, eine Verletzung des Art. 10 EMRK durch Österreich fest (siehe im Blog dazu <a href="https://blog.lehofer.at/2013/11/Grundbesitz2.html" rel="nofollow" target="_blank">hier</a>). </p><p>Mit dem gestern veröffentlichten Erkenntnis hat der VfGH nun die Lehren aus dieser Rechtsprechungsdivergenz gezogen. Der <b>VfGH ist von seiner alten Rechtsprechung ausdrücklich abgegangen und auf die Linie des EGMR eingeschwenkt.</b> Er vollzieht damit auch nach, was in der Rechtsprechung des VwGH zum (einfachgesetzlichen) Recht auf Auskunft im Lichte der einschlägigen EGMR-Rechtsprechung judiziert wurde (siehe etwa<a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vwgh/JWT_2017030083_20180529L00/JWT_2017030083_20180529L00.html" rel="nofollow" target="_blank"> VwGH 29.05.2018, Ra 2017/03/0083</a>; siehe zur Rechtsprechungsentwicklung auch die <a href="https://fachinfos.parlament.gv.at/politikfelder/parlament-und-demokratie/wie-hat-die-rechtssprechung-die-auskunftspflicht-der-verwaltung-weiterentwickelt/" rel="nofollow" target="_blank">Fachinfo auf der Website des Parlaments</a>), sodass man nun in Österreich auf eine einigermaßen einheitliche - und mit dem EGMR im Einklang stehende - Rechtsprechung zum Recht auf Informationszugang setzen kann. </p><p>Der VfGH bezieht sich in seinem Erkenntnis natürlich vor allem auf das EGMR-Urteil <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-167828" rel="nofollow" target="_blank"><i>Magyar Helsinki Bizottság</i></a>, in dem der EGMR seine bisherige Rechtsprechung dahingehend zusammengefasst habe, </p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"><i>"</i><i>dass Art. 10 Abs. 1 EMRK unter bestimmten Voraussetzungen auch ein Recht auf Zugang zu Informationen gewährleistet (vgl. zuletzt auch <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-196418" rel="nofollow" target="_blank">EGMR 8.10.2019, Fall Szurovecz, Appl. 15.428/16</a>, Newsletter Menschenrechte 2019, 423). </i><i>Dies ist einerseits dann der Fall, wenn die Offenlegung der Informationen von einem Gericht rechtskräftig angeordnet wurde. Andererseits besteht ein solches Recht, wenn der Zugang zu Informationen für die Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit, insbesondere der Freiheit des Erhalts und der Weitergabe von Informationen, maßgeblich ist. Für den Bestand und die Reichweite dieses Rechts ist insbesondere von Bedeutung, ob das Sammeln der Informationen ein relevanter Vorbereitungsschritt für journalistische oder andere Aktivitäten ist, ob die Offenlegung der begehrten Informationen im öffentlichen Interesse notwendig sein kann – insbesondere weil sie für Transparenz über die Art und Weise der Führung von Amtsgeschäften und über Angelegenheiten, die für die Gesellschaft als Ganzes interessant sind, sorgt –, ob der Grundrechtsträger als Journalist oder Nichtregierungsorganisation oder in einer anderen Funktion als "public watchdog" im öffentlichen Interesse tätig wird und schließlich ob die begehrte Information bereit und verfügbar ist und daher kein weiteres Sammeln von Daten notwendig ist (vgl. <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-167828" rel="nofollow" target="_blank">EGMR, Fall Magyar Helsinki Bizottság</a>, Z 149 ff.).</i> </p></blockquote><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"><i>Daraus ergibt sich, dass Art. 10 Abs. 1 EMRK <b>zwar keine generelle Verpflichtung des Staates begründet, Informationen bereitzustellen oder Zugang zu Informationen zu gewähren</b>. Ein <b>Recht auf Zugang zu Informationen kann jedoch (insofern abweichend von <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_09888798_05B03519_00/JFT_09888798_05B03519_00.html" rel="nofollow" target="_blank">VfSlg. 19.571/2011</a>)</b> nach Maßgabe der zuvor dargelegten Kriterien [...] <b>im Einzelfall bestehen.</b>"</i></p></blockquote><p>Abgesehen davon, dass meines Erachtens nicht das Urteil <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-196418" rel="nofollow" target="_blank"><i>Szurovecz</i></a> vom 08.10.2019 das "zuletzt" ergangene einschlägige Urteil des EGMR ist (sondern eher <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-207416" rel="nofollow" target="_blank"><i>Leshchenko</i></a> vom 21.01.2021), ist hervorzuheben, dass der VfGH klar und ohne Brüche oder Modifikationen die EGMR-Rechtsprechung für die innerstaatliche Verfassungsrechtslage übernimmt (ähnlich für die einfachgesetzliche Rechtslage nach dem Auskunftspflichtgesetz <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vwgh/JWT_2017030083_20180529L00/JWT_2017030083_20180529L00.html" rel="nofollow" target="_blank">VwGH 29.05.2018, Ra 2017/03/0083</a>, Rn. 22). </p><p>Damit zur Fallprüfung, wie sie der VfGH hier vorgenommen hat: </p><p><b>1. Liegt ein Eingriff in Art. 10 EMRK vor?</b></p><p>Im konkreten Fall - es ging um das Auskunftsbegehren <a href="https://www.martinthuer.at/" rel="nofollow" target="_blank">eines Journalisten</a> an den Präsidenten des Nationalrates, welche Abgeordneten in den Jahren 2017, 2018 und 2019 die Gehaltsfortzahlung nach Erledigung ihres Mandates in Anspruch genommen haben - waren die Kriterien erfüllt:</p><p></p><ul style="text-align: left;"><li><i>"Der Beschwerdeführer stellte sein Auskunftsbegehren erkennbar im Rahmen journalistischer Recherchen und wurde dabei in seiner Funktion als "public watchdog" tätig."</i></li><li><i>"Die begehrte Auskunft zielt auf den Bestand und die Dauer von Fortzahlungsansprüchen von ehemaligen Nationalratsabgeordneten nach dem Bundesbezügegesetz ab. Sie dient dem vom Beschwerdeführer nachvollziehbar dargelegten Interesse an Transparenz politischer Akteure und einer Debatte um die Bezüge von Nationalratsabgeordneten. Sie ist damit jedenfalls geeignet, zu einer Angelegenheit von öffentlichem Interesse beizutragen." </i></li><li><i>"Mangels gegenteiliger Hinweise im Verfahren ist auch nicht ersichtlich, dass die begehrten Informationen nicht bereit und verfügbar wären."</i></li></ul>Das Auskunftsbegehren war daher vom Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 EMRK erfasst, und durch die Abweisung des Auskunftsbegehrens war ein Eingriff in das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 10 Abs. 1 EMRK erfolgt. <br /><br /><b>2. Gibt es für den Eingriff eine ausreichende gesetzliche Grundlage?</b><div><p>Der VfGH hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR12012028/NOR12012028.html" rel="nofollow" target="_blank">§ 1 Abs. 1 Auskunftspflichtgesetz</a>; diese Bestimmung stellt einen Eingriff in das Recht auf Datenschutz nach § 1 Abs. 1 DSG und <i>"gleichzeitig auch einen Eingriff in Art. 10 Abs. 1 EMRK dar, weil die Anordnung, dass eine Auskunft im Fall einer entgegenstehenden Verschwiegenheitspflicht nicht zu erteilen ist, auch auf Fälle wie den vorliegenden zur Anwendung kommt, in denen nach Art. 10 Abs. 1 EMRK ein Recht auf Zugang zu Informationen besteht"</i>.</p><p><b>3. Verfolgt die gesetzliche Bestimmung ein legitimes Ziel?</b></p>Eine gesetzlich vorgesehene Beschränkung der betroffenen Grundrechte (Meinungsäußerungsfreiheit und Datenschutz) ist nach dem jeweiligen Gesetzesvorbehalt nur zulässig, sofern sie aus einem der in Art. 10 Abs. 2 EMRK bzw. § 1 Abs. 2 DSG iVm Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Gründe notwendig ist. Der VfGH hält dazu fest, dass der Eingriff in das Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit und in jenes auf Datenschutz durch § 1 Abs. 1 Auskunftspflichtgesetz jeweils dem "Schutz der Rechte anderer" iSd Art. 10 Abs. 2 EMRK bzw. § 1 Abs. 2 DSG iVm Art. 8 Abs. 2 EMRK dient, <i>"nämlich dem jeweils entgegengesetzten Grundrecht."</i> Der Eingriff verfolgt somit, so der VfGH, <i>"jedenfalls ein legitimes Ziel."</i></div><div><br /></div><div><b>4. Ausreichend präzise gesetzliche Grundlage?</b></div><div><br /></div><div>Interessant sind die Ausführungen des VfGH zur ausreichenden Präzision der gesetzlichen Grundlage, die er nur im Hinblick auf § 1 Abs. 2 DSG (nicht aber im Hinblick auf Art. 10 Abs. 2 EMRK) ausdrücklich als gefordert ansieht. Hier war der Präsident des Nationalrats in seiner Äußerung im Verfahren vor dem VfGH der Auffassung, dass <a href="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Bundesnormen/NOR12012028/NOR12012028.html" rel="nofollow" target="_blank">§ 1 Abs. 1 Auskunftspflichtgesetz</a> nicht als hinreichend bestimmte Eingriffsermächtigung in das Recht auf Datenschutz anzusehen wäre. Der VfGH schließt sich dieser Auffassung nicht an: Die Anforderung, wonach die Eingriffsnorm ausreichend präzise sein muss, ist demnach <i>"im vorliegenden Fall schon deshalb erfüllt, weil diese Bestimmung die gebotene Interessenabwägung zwischen dem Grundrecht auf Information iSd Art. 10 Abs. 1 EMRK und jenem auf Datenschutz und damit einen angemessenen Ausgleich [...] zwischen diesen beiden Grundrechtspositionen ermöglicht."</i> Mit anderen Worten: schon dass die Norm eine Abwägung der betroffenen Grundrechtspositionen ermöglicht (Normtext: <i>"...Auskünfte zu erteilen, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht."</i>) reicht aus, um sie als hinreichend bestimmt anzusehen. Das klingt mutig - aber ohne diese Prämisse wäre weder das Auskunftspflichtgesetz noch ein allenfalls kommendes Informationsfreiheitsgesetz sinnvoll zu vollziehen.</div><div><br /></div><div><b>5. Interessenabwägung: </b><b>angemessener Ausgleich der kollidierenden Grundrechtspositionen</b><b>?</b></div><div><p>Als letzter Prüfschritt bleibt die zentrale Frage, ob die Interessenabwägung gesetzmäßig vorgenommen wurde und ob dabei die kollidierenden Grundrechtspositionen in einen angemessenen Ausgleich gebracht wurden. Der VfGH begründet hier sehr knapp, aber deutlich: er hat keinen Zweifel daran, <i>"dass an der Tätigkeit von Nationalratsabgeordneten und damit auch an der Kenntnis ihrer Bezüge ein gewichtiges Interesse der Öffentlichkeit besteht."</i> Die Bezugsfortzahlungen können nicht getrennt vom (ehemaligen) Nationalratsmandat betrachtet werden; an der Kenntnis von solchen Fortzahlungen <i>"besteht daher in gleicher Weise wie bei Bezügen amtierender Nationalratsabgeordneter ein gewichtiges Interesse der Öffentlichkeit. Das entgegengesetzte Interesse der ehemaligen Nationalratsabgeordneten an der Geheimhaltung der Information, ob (und für wie lange) sie eine solche Bezugsfortzahlung erhalten haben, tritt demgegenüber in den Hintergrund."<br /></i></p><p>Ergebnis: das Auskunftsinteresse des Journalisten nach Art. 10 Abs. 1 EMRK überwiegt das Geheimhaltungsinteresse der von der begehrten Auskunft betroffenen ehemaligen Nationalratsabgeordneten. <i>"Die Verweigerung der Auskunft stellt somit einen unverhältnismäßigen Eingriff in das durch Art. 10 Abs. 1 EMRK gewährleistete Auskunftsrecht des Beschwerdeführers dar."</i></p><p><b>Zusammenfassung</b></p><p>Der VfGH ist mit dem gestern veröffentlichten Erkenntnis von seiner früheren Rechtsprechung abgegangen und hat <b>erstmals in der Verweigerung des Zugangs zu Informationen eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit erkannt.</b> </p><p>Er hat damit allerdings kein allgemeines (verfassungsgesetzlich gewährleistetes) Recht auf Zugang zu Informationen anerkannt, sondern stellt - dem EGMR folgend - auf eine Reihe von Kriterien ab, die (kumulativ) gegeben sein müssen, damit ein Zugangsrecht besteht. </p>Wesentlich ist dabei vor allem </div><div><ul style="text-align: left;"><li>der <b>Zweck des Informationsansuchens</b> (geht es um Vorbereitungen für journalistische Aktivitäten oder zumindest für das Schaffen einer öffentlichen Debatte?), </li><li><b>ob der Zugang tatsächlich notwendig ist</b>, um das Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit (hier relevant die "Freiheit zur Mitteilung von Nachrichten") auszuüben, und </li><li><b>ob die Informationen,</b> Daten oder Dokumente, hinsichtlich derer Zugang begehrt wird, <b>einen "public interest"-Test bestehen</b> (zB für Transparenz über die Art und Weise der Führung von Amtsgeschäften sorgen oder für die Gesellschaft als Ganzes interessant sind), weiters </li><li>welche <b>Rolle der Person</b> zukommt, die Zugang begehrt (insbesondere eine "watchdog"-Rolle wie sie Medien oder NGOs zukommt), und schließlich</li><li>ob die <b>Informationen bereit und verfügbar</b> sind. </li></ul></div><div><b><br /></b></div><div><b>Überblick zur EGMR-Rechtsprechung zum Zugang auf Information seit dem Urteil <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-167828" rel="nofollow" target="_blank"><i>Magyar Helsinki Bizottság</i></a> </b></div><div><br /></div><div>Der VfGH hat sich in seinem Erkenntnis im Wesentlichen auf das grundlegende Urteil der Großen Kammer des EGMR im Fall <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-167828" rel="nofollow" target="_blank"><i>Magyar Helsinki Bizottság</i></a> gestützt, und er hat daneben aus der jüngeren EGMR-Rechtsprechung nur noch das Urteil <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-196418" rel="nofollow" target="_blank"><i>Szurovecz</i></a> zitiert. Der EGMR hat allerdings seit dem Urteil <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-167828" rel="nofollow" target="_blank"><i>Magyar Helsinki Bizottság</i></a> - und aufbauend auf diesem - eine Reihe weiterer Urteile und Entscheidungen zu Fragen des Zugangs zu Informationen im Lichte des Art. 10 EMRK getroffen. Dabei zeigt sich auch, dass die Kriterien des Magyar Helsinki Bizottság-Urteils nicht immer leicht zu erfüllen sind. </div><div><br /></div><div><b>Eine Verletzung des Art. 10 EMRK wegen der Verweigerung des Zugangs zu Informationen wurde in folgenden Fällen anerkannt:</b></div><div><ul><li>Das Urteil vom 29.01.2019, <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-189753"><i><b>Cangı gegen Türkei</b></i> (Appl. no. 24973/15)</a>, betraf den Zugang zu einem Protokoll einer Sitzung des türkischen Rates für die Bewahrung des Kultur- und Naturerbes, in dem es über Maßnahmen zum Schutz der antiken Stätten von Allianoi ging, die durch einen Dammbau gefährdet waren; der Beschwerdeführer war Anwalt und Mitglied einer Initiative, die gegen den Dammbau kämpfte, und er konnte sich auf ein türkisches Gesetz stützen, das grundsätzlich Zugang zu Informationen vorsah; der EGMR kam in diesem Fall (einstimmig) zum Ergebnis, dass der Eingriff in das Recht auf Zugang zu Informationen keine ausreichende gesetzliche Grundlage hatte, da die Auslegung der Ausnahmebestimmung im Gesetz über den Zugang zu Informationen durch die nationalen Behörden und Gerichte den Grundsatz des Gesetzes (Zugang ist zu gewähren, wenn keine Ausnahme vorliegt) in sein Gegenteil verkehrt hatte. </li><li>In dem vom VfGH zitierten Urteil vom 8.10.2019, <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-196418"><b><i>Szurovecz gegen Ungarn</i></b> (Appl. no. 15428/16</a>; siehe dazu auch die <a href="https://hudoc.echr.coe.int/app/conversion/pdf?library=ECHR&id=003-6528110-8623456&filename=Judgment%20Szurovecz%20v.%20Hungary%20-%20media%20access%20to%20reception%20facilities%20for%20asylum-seekers.pdf">Pressemitteilung</a>), ging es um den Zugang eines Journalisten zu einem Aufnahmezentrum für Asylwerber. Hier stellte der EGMR (ebenfalls einstimmig) eine Verletzung des Art. 10 EMRK fest, weil mit der Verweigerung des Zugangs die journalistische Recherche gehindert wurde. Zwar diente die bestehende gesetzliche Regelung legitimen Zielen (dem Schutz des Privatlebens der Flüchtlinge), die Maßnahme war aber nicht in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, weil es sich bei der Frage nach der menschenwürdigen Unterbringung im Aufnahmezentrum um eine Angelegenheit von erheblichem öffentlichen Interesse handelte, keine erkennbare Abwägung zwischen den betroffenen grundrechtlich geschützten Interessen erfolgt war, und der Journalist zudem zugesichert hatte, keine Fotos ohne Zustimmung zu machen und auch keine Sensationsberichterstattung geplant war. Außerdem prüfte der EGMR, ob es für den Journalisten andere Möglichkeiten gegeben hätte, um zu den Informationen zu kommen, was hier zu verneinen war: die Möglichkeit, mit Asylwerbern außerhalb des Lagers zu sprechen oder auf Informationen zB von NGOs zurückzugreifen, die im Aufnahmezentrum waren, hätte die persönliche Vor-Ort-Recherche im Aufnahmezentrum nicht ersetzen können (mehr zu diesem Fall auch in einem Blogpost von <a href="https://strasbourgobservers.com/2019/11/04/denying-journalist-access-to-asylum-seeker-reception-centre-in-hungary-violated-article-10-echr/">Dirk Voorhoof und Ronan Ó Fathaigh auf Strasbourg Observers</a>).</li><li>Das Urteil vom 26.3.2020, <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-201896"><b><i>Centre for democracy and the rule of Law gegen Ukraine</i></b> (Appl. no. 10090/16)</a>, betraf den Zugang zu den Lebensläufen von Parteivorsitzenden, die im Zusammenhang mit einer Wahl bei der Wahlkommission eingereicht worden waren. Der EGMR hielt fest, dass die begehrten Informationen - Ausbildungsgang und beruflicher Werdegang - den public-interest Test bestanden (auch wenn Vieles davon schon in der Öffentlichkeit bekannt war, ging es hier vor allem auch darum, die von den Betroffenen selbst dargelegten Lebensläufe prüfen zu können); die beschwerdeführende Organisation war ein "watchdog" und die Information war leicht verfügbar; der EGMR akzeptierte, dass die Nichtherausgabe der Informationen einem legitimen Ziel - dem Schutz des Privatlebens - diente, betonte aber, dass die Veröffentlichung dieser Informationen nicht zu einer größeren "public exposure" der Kandidaten geführt hätte, als diese bei ihrer Kandidatur hätten vorhersehen müssen; die Ablehnung der Herausgabe der Informationen war daher nicht in einer demokratischen Gesellschaft notwendig. Auch hier stellte der EGMR einstimmig eine Verletzung des Art. 10 EMRK fest (siehe auch zu diesem Urteil einen Blogpost von <a href="https://strasbourgobservers.com/2020/04/27/refusal-to-give-access-to-confidential-information-about-politicians-violated-ngos-article-10-rights/">Ronan Ó Fathaig und Dirk Voorhoof auf Strasbourg Observers</a>).</li><li>Das zuletzt ergangene Urteil vom 21.01.2021, <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-207416"><b><i>Leshchenko gegen Ukraine</i></b> (Appl. nos. 14220/13 und 72601/13)</a>, betraf einen Journalisten, der vergebens Zugang zu Informationen über den Verkauf einer "Staatsresidenz" sowie zu einer von Abgeordneten eingereichten Verfassungsbeschwerde gefordert hatte. In beiden Fällen stellte der EGMR unter Anwendung der Magyar Helsinki Bizottság-Kriterien (einstimmig) eine Verletzung des Art. 10 EMRK fest. </li><li>[Update 18.03.2021] Kurz nach der Veröffentlichung des VfGH-Erkenntnisses erging das Urteil vom 18.03.2021, <a href="https://draft.blogger.com/blog/page/edit/36655173/8043429939397402129#"><b><i>Yuriy Chumak gegen Ukraine</i></b> (Appl. no. 23897/10)</a>; dieser Fall betraf einen Journalisten und Mitglied einer Menschenrechtsorganisation, der 2005 ein Auskunftsersuchen an den Präsidenten der Ukraine gestellt hatte, mit dem er die Bezeichnungen, Nummern und Daten der Rechtsakte des Präsidenten (und seines Vorgängers) erfahren wollte, zu denen der Zugang (durch Vermerke "Nicht zur Veröffentlichung" / "Nicht zum Druck") seines Erachtens rechtswidrig eingeschränkt worden war; er erhielt darauf keine Antwort und blieb vor den nationalen Gerichten erfolglos. In seinem Urteil prüfte der EGMR zunächst die Zulässigkeit anhand der Magyar Helsinki Bizottság-Kriterien (obwohl die Ukraine keinen Einwand gegen die Zulässigkeit erhoben hatte); der Zweck des Informationsbegehrens (Ausübung des Berufs als Journalist), die Art der Information (Bezeichnungen von Rechtsvorschriften, also offenkundig von allgemeiner Bedeutung), die Rolle des Beschwerdeführers (Journalist und Menschenrechtsaktivist) und die Verfügbarkeit der Information (es gab keinen Hinweis auf Schwierigkeiten, die Information herauszugeben); in der Sache selbst hatte die ukrainische Regierung einräumt, dass es für die vorgenommenen Klassifizierungen keine gesetzliche Grundlage gab, außerdem war keine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen worden, sodass der EGMR nicht beurteilen konnte, ob die Nichtherausgabe der Information letztlich rechtmäßig war und einem legitimen Ziel gedient hatte; mit 5:2 Stimmen stellte der EGMR daher eine Verletzung des Art. 10 EMRK fest. In einem abweichenden Sondervotum kritisieren die Richterin O'Leary und der Richter Arnfinn Bårdsen vor allem, dass die Maßstäbe des Magyar Helsinki Bizottság-Urteils herangezogen wurden, obwohl der Ausgangsfall sich deutlich vor diesem Urteil abgespielt hat und zu diesem Zeitpunkt die Rechtsprechung des EGMR ein Recht auf Informationszugang in dieser Art noch nicht anerkannt hatte.</li></ul></div><div><b>Hingegen wurde in zwei seit dem Urteil Magyar Helsinki Bizottság ergangenen Urteilen die Verweigerung des Informationszugangs nicht als Verletzung des Art. 10 EMRK beurteilt: </b></div><div><ul style="text-align: left;"><li>Das Urteil vom 07.02.2017, <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-170858"><b><i>Bubon gegen Russland</i></b> (Appl. no. 63898/09)</a>, betraf einen Rechtsanwalt, der auch in juristischen Zeitschriften publizierte; dieser hatte den Polizeipräsidenten einer Region erfolglos um Daten zu Verurteilungen wegen diverser prostitutionsbezogener Delikte in dieser Region ersucht, aufgeschlüsselt u.a. nach Geschlecht, Wohnort und Staatsangehörigkeit der Verurteilten. Der EGMR kam in diesem Fall (einstimmig) zum Ergebnis, dass keine Verletzung des Art. 10 EMRK vorlag, da die Daten in dieser Form der Behörde nicht vorlagen (<i>"The information he was seeking was therefore not only not 'ready and available', but did not exist in the form the applicant was looking for."</i>).</li><li>Im Urteil vom 30.01.2020, <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-200435"><b><i>Studio Monitori u.a. gegen Georgien</i></b> (Appl. nos. 44920/09 und 8942/10</a>; siehe dazu auch die <a href="https://hudoc.echr.coe.int/app/conversion/pdf?library=ECHR&id=003-6624873-8792793&filename=Judgment%20%20Studio%20Monitori%20and%20Others%20v.%20Georgia%20-%20right%20of%20access%20to%20information%20held%20by%20an%20authority.pdf">Pressemitteilung</a>), wurden zwei unterschiedliche Beschwerdesachverhalte zusammengefasst. Der erste Fall betraf die Beschwerde einer NGO und einer für sie arbeitenden Journalistin, die ohne weitere Begründung Zugang zu einem Strafakt begehrt hatten; auch auf Aufforderung des Gerichts hatte die Journalistin nur - ohne weitere Details - bekannt gegeben, dass sie den Zugang für ein Investigativprojekt benötige; im Berufungsverfahren hatte sie dann zu Protokoll gegeben, dass sie den Zugang nicht mehr benötige, weil das Projekt inzwischen bereits abgeschlossen war und die Ergebnisse schon veröffentlicht worden waren. Der EGMR befand, dass aufgrund der besonderen Umständen des Falls (das Projekt, für das der Zugang nachgefragt worden war, war bereits veröffentlicht worden) der Zugang zur Information nicht notwendig war, um das Recht auf freie Meinungsäußerung effektiv auszuüben. <br />Die zweite Beschwerde, über die mit diesem Urteil entschieden wurde, war von einem inhaftierten Anwalt erhoben worden, der ebenfalls ohne Begründung Zugang zu den Gerichtsakten in sechs Verfahren (die mit ihm nichts zu tun hatten) begehrte. Der EGMR hielt fest, dass der Informationssuchende weder angegeben hatte, wofür er die Information benötigte, noch habe die nachgefragte Information den "public-interest test" bestanden. In beiden Fällen wurde daher (einstimmig) festgestellt, dass keine Verletzung des Art. 10 EMRK vorlag (siehe dazu auch die Beiträge <a href="https://www.telemedicus.info/article/3479-Urteil-des-EGMR-im-Fall-Studio-Monitori-et.al.-gegen-Georgien.html">von Holger Hembach auf Telemedicus.info</a> und <a href="https://strasbourgobservers.com/2020/03/23/studio-monitori-and-others-v-georgia-access-to-public-documents-must-be-instrumental-for-the-right-to-freedom-of-expression/">von Dirk Voorhoof und Ronan Ó Fathaigh auf Strasbourg Observers</a>).</li></ul></div><div><b>In mehreren Fällen wurden auf Art. 10 EMRK gestützte Beschwerden wegen der Verweigerung des Zugangs zu Informationen zurückgewiesen:</b></div><div><ul style="text-align: left;"><li>Die Entscheidung vom 13.11.2018, <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-188457"><b><i>Times Newspapers Ltd und Dominic Kennedy gegen Vereinigtes Königreich</i></b> (Appl. no. 64367/14)</a>, betraf den Zugang zu Informationen betreffend eine Untersuchung des <a href="https://en.wikipedia.org/wiki/Mariam_Appeal">"Mariam Appeal"</a>; hier erfolgte die Zurückweisung allerdings deshalb, weil es innerstaatlich ein "alternatives Rechtsmittel" gegeben hätte, das nicht ausgeschöpft worden war. </li><li>Die Entscheidung vom 21.01.2020, <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-201440"><b><i>Tokarev gegen Ukraine</i></b> (Appl. no. 44252/13)</a>, betraf ein Zugangsbegehren eines Rechtsanwalts, der im Zusammenhang mit der Verteidigung eines strafrechtlich Beschuldigten Zugang zum Posteingangsregister einer forensischen Untersuchungsstelle des Innenministeriums beantragt hatte, was wegen gesetzlich vorgesehener Vertraulichkeit verweigert worden war. Der EGMR hielt hier fest, dass der Zugang nicht begehrt wurde, um anderen Informationen zu vermitteln und daher nicht dem Zweck diente, die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen auszuüben, auch das 2. und 3. Kriterium des Urteils <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-167828"><i>Magyar Helsinki Bizottság</i></a> (public interest-Test betreffend die Art der nachgefragten Information bzw. public watchdog-Rolle) wurden nicht erfüllt; die Beschwerde wurde daher ratione materiae (d.h. weil der Anwendungsbereich des Art. 10 EMRK nicht berührt war) als unzulässig zurückgewiesen.</li><li>Die Entscheidung vom 03.03.2020, <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-202245"><b><i>Centre for democracy and the rule of Law gegen Ukraine</i></b> (Appl. no. 75865/11</a>; <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=002-12781">legal summary</a>), betraf das Zugangsbegehren einer NGO zu Stellungnahmen von Bildungseinrichtungen in einem Verfahren vor dem Verfassungsgericht. Der EGMR hielt fest, dass die begehrten Informationen zwar leicht verfügbar gewesen seien, die beschwerdeführende Organisation auch als "watchdog" anzusehen sei und die Art der nachgefragten Informationen den "public-interest test" bestanden hätten; allerdings hätte die beschwerdeführende Organisation nicht aufgezeigt, dass der Zweck des Informationsbegehrens gewesen wäre, effektiv das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung auszuüben und dass der Zugang zu den begehrten Informationen dafür instrumentell gewesen wäre; die Beschwerde wurde daher, weil der Anwendungsbereich des Art. 10 EMRK nicht eröffnet war, als ratione materiae unzulässig zurückgewiesen. </li><li>In der Entscheidung vom 15.09.2020, <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-205354"><b><i>Oleksandr Yevgenovych Severyn gegen Ukraine</i></b> (Appl. no. 50256/08)</a>, ging es um den Antrag eines Menschenrechtsaktivisten an das ukrainische Verfassungsgericht, Informationen über die Anzahl von Individualbeschwerden sowie über die Anzahl der erfolgreichen Beschwerden herauszugeben. Der EGMR wies die Beschwerde ratione materiae als unzulässig zurück, weil der Beschwerdeführer nicht dargelegt habe, dass die nationalen Behörden und Gerichte ausreichend über das Ziel seines Antrags auf Informationen in Kenntnis gewesen wären.</li><li>Die Entscheidung vom 19.01.2021, <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-208346"><b><i>Mikiashvili gegen Georgien</i></b> (Appl. no. 18865/11) und S<b><i>tudio Reportiori und Vakhtang Komakhidze gegen Georgien</i></b> (Appl. no. 51865/11)</a>, betraf einerseits das Zugangsbegehren einer Journalistin, die Auskunft über den Ort des Strafvollzugs zweier verurteilter Mörder wollte, und andererseits das Informationsansuchen einer NGO und eines Journalisten, die Auskunft über Bonuszahlungen und nicht monetäre Benefits für Angehörige des Justizministeriums erhalten wollten. Beide Beschwerden wurden als ratione materiae unzulässig zurückgewiesen: <i>"the applicants have failed to show that the denial of their requests to access the relevant information impaired the exercise of their freedom to receive and impart information in a manner which undermined the very essence of their Article 10 rights (...). It follows that Article 10 does not apply.</i>" </li><li>Auch in der Entscheidung vom 19.01.2021, <a href="http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-208345"><b><i>Georgian Young Lawyers’ Association (GYLA) gegen Georgien</i></b> (Appl. no. 2703/12)</a>, wurde die Beschwerde als ratione materiae unzulässig zurückgewiesen. Hier hatte eine Menschenrechtsorganisation Auskunft über die Namen von Polizisten begehrt, gegen die nach einer gewaltsamen Auflösung einer Versammlung disziplinär vorgegangen wurde. Der EGMR meinte, dass über die Vorgangsweise der Polizei auch ohne Kenntnis der Namen der Polizisten hätte berichtet werden können, Art. 10 EMRK sei damit nicht betroffen. </li></ul></div><div>Zusammenfassend kann man zu dieser Rechtsprechung festhalten, dass der EGMR das <b>kumulative Vorliegen der Magyar Helsinki Bizottság-Kriterien</b> verlangt, und dass es jedenfalls notwendig ist, in den Anträgen auf Zugang zu Informationen darzulegen, in welcher Rolle man die Informationen nachfragt und warum die begehrten Informationen für die Ausübung der Freiheit zur Mitteilung von Nachrichten - also etwa für die journalistische Tätigkeit - wesentlich sind. </div><div><br /></div><div>Diese Voraussetzungen unterscheiden das aus Art. 10 EMRK abgeleitete Recht auf Informationszugang, wie es nunmehr auch vom VfGH anerkannt ist, von dem im aktuellen <a href="https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/ME/ME_00095/index.shtml" rel="nofollow" target="_blank">Ministerialentwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz</a> vorgesehenen "Jedermannsrecht" auf Zugang zu Informationen nach dem (geplanten) Art. 22a B-VG. Bei diesem Recht soll es - wie bereits jetzt beim nur einfachgesetzlich eingeräumten Recht auf Auskunft - grundsätzlich nicht darauf ankommen, dass ein besonderes Interesse an der Information oder eine "watchdog"-Funktion nachgewiesen werden. Dennoch kann es - wie auch die <a href="https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/ME/ME_00095/imfname_885956.pdf" rel="nofollow" target="_blank">Erläuterungen zum Ministerialentwurf</a> (zu § 6 IFG) darlegen - für die im Einzelfall zu treffende Abwägungsentscheidung natürlich weiterhin relevant sein, zu welchem Zweck die Information begehrt wird, um welche Information es geht, und ob die Person den Zugangsantrag in einer "watchdog"-Funktion, insbesondere also als Journalist*in oder als "social watchdog"-NGO, stellt. </div>Unknownnoreply@blogger.com0