Tuesday, November 20, 2012

Regulierungsbehörden und Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit

Vor mehr als fünf Jahren habe ich über die damals (nach über zwanzigjährigen Vorbereitungen!) recht konkret geplante Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit und die möglichen Auswirkungen auf die Regulierungsbehörden geschrieben (hier). Der damals vorliegende Entwurf wurde aber letztlich nicht beschlossen (es kam nur zu einer weniger umfassenden B-VG-Novelle BGBl I 2008/2).

Nun wird es aber doch ernst mit der Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit: seit Juni dieses Jahres gibt es mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 (BGBl I 2012/51) die verfassungsrechtlichen Grundlagen, und seit letzter Woche liegen auch die Regierungsvorlagen für das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2012 (Text, Erläuterungen), das Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (Text, Erläuterungen) sowie - für den Themenbereich dieses Blogs weniger wichtig - das Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetz 2012 dem Parlament vor. Auch die meisten Bundesländer haben zumindest Entwürfe für die jeweiligen landesrechtlichen Organisationsvorschriften veröffentlicht (eine Übersicht findet sich hier).

Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012
Die mit den Stimmen aller fünf Parlamentsparteien beschlossene Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 (Übersichtsseite des Parlaments; Erläuterungen zur RV; Ausschussbericht) wurde mit BGBl I 2012/51 kundgemacht. Ab 1.1.2014 wird es in jedem Bundesland ein Verwaltungsgericht des Landes geben, dazu kommen noch zwei Verwaltungsgerichte des Bundes (Bundesfinanzgericht und - allgemeines - Bundesverwaltungsgericht, im Folgenden: BVerwG).

Das BVerwG wird - etwas vereinfacht gesagt - über Streitigkeiten in jenen Angelegenheiten entscheiden, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden (ausgenommen Abgabensachen, die vor das Bundesfinanzgericht kommen). Dazu gehören vor allem Angelegenheiten des Asyl- und Fremden(polizei)rechts (die ab 1.1.2014 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vollzogen werden), aber auch - für dieses Blog wesentlich - des Post- und Fernmeldewesens (einschließlich des Rundfunks). Zusätzlich können dem BVerwG auch Angelegenheiten aus dem sonstigen Vollziehungsbereich des Bundes und auch aus dem Vollziehungsbereich der Länder übertragen werden, allerdings nur mit Zustimmung der Länder.

Da eine der Hauptaufgaben des neuen BVerwG im Bereich Asyl und Migration liegt, ist es auch kein Zufall, dass Art 151 Abs 51 Z 7 B-VG in der Fassung der Novelle anordnet, dass mit 1.1.2014 der Asylgerichtshof zum BVerwG wird. Auch die Mitglieder des zum 1.1.2014 aufgelösten Bundesvergabeamts werden, sofern sie sich bewerben und geeignet sind, Mitglieder des neuen BVerwG. Für die weiteren auf das BVerwG zukommenden Aufgaben werden aber noch einige RichterInnen zu rekrutieren sein. Dazu hat der Nationalrat in einer Entschließung Folgendes festgehalten:
"Es ist sicherzustellen, dass bei der Neubestellung von Richterinnen und Richtern in ausreichender Zahl Bewerberinnen und Bewerber berücksichtigt werden, die in den wesentlichen Zuständigkeitsbereichen (insb. Umweltrecht, Sozialrecht, Dienstrecht, Wirtschafts- und Regulierungsrecht) des Bundesverwaltungsgerichts über fundierte juristische Erfahrung verfügen." [Hervorhebung hinzugefügt]
Präsident und Vizepräsident des BVerwG wurden von der Regierung übrigens bereits bestellt, wenig überraschend wurde der aktuelle Präsident des AsylGH zum Präsidenten, der Vorsitzende des Bundesvergabeamts zum Vizepräsidenten des BVerwG ernannt.

Wegfall administrativer Instanzenzüge, Auflösung von Sonderbehörden
Ganz allgemein werden mit dem neuen System der Verwaltungsgerichtsbarkeit verwaltungsinterne Instanzenzüge (bis auf wenige, im Regulierungsbereich nicht relevante Ausnahmen) beseitigt - die klassische Berufung nach dem AVG wird daher ab 1.1.2014 der Vergangenheit angehören. Zugleich werden rund 120 Rechtskontrollbehörden, die außerhalb der klassischen Verwaltung eingerichtet wurden, aufgelöst. Das betrifft vor allem unabhängige Kollegialbehörden ("Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag"), deren Aufgaben auf die neuen Verwaltungsgerichte übergehen werden.

Zu diesen aufzulösenden Sonderbehörden zählen auch der Bundeskommunikationssenat und die Schienen-Control Kommission. Das ist beim Bundeskommunikationssenat insofern verständlich, als er seit der am 1.10.2010 in Kraft getretenen Novelle des ORF-Gesetzes keine erstinstanzlichen Aufgaben mehr wahrnimmt, sondern ausschließlich als Berufungsbehörde tätig ist. Die Schienen-Control Kommission ist allerdings überwiegend als erstinstanzliche Regulierungsbehörde tätig; ihre Auflösung "verdankt" sie dem Umstand, dass sie auch Berufungsbehörde gegen Bescheide der Schienen-Control GmbH ist. Solche Bescheide sind zwar selten (falls sie überhaupt vorkommen; auf der Website der Schienen-Control habe ich keine gefunden), aber bei der Auflösung der Sonderbehörden sollten möglichst keine Ausnahmen gemacht werden, die ein Fortbestehen administrativer Instanzenzüge ermöglicht hätten.

Nun muss das Verkehrsministerium eine Novelle zum Eisenbahngesetz vorbereiten, in der wohl die Schienen-Control Kommission oder eine vergleichbare Einrichtung als (ausschließlich) erstinstanzliche Behörde wieder eingerichtet wird (denkbar wäre allerdings auch, die bisherigen Aufgaben der Schienen-Control Kommission auf die Schienen-Control GmbH zu übertragen, da zur Gewährleistung eines "Tribunals" keine unabhängige Kommission mehr erforderlich ist, wenn ab 1.1.2014 durch das BVerwG Rechtsschutz durch ein Gericht mit voller Kognitionsbefugnis sichergestellt ist)

Die Telekom-Control-Kommission, die Post-Control-Kommission und die KommAustria werden durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 nicht aufgelöst.

Neue Rechtsbehelfe und Instanzenzüge
Grundsätzlich gilt, dass gegen Bescheide aller (Bundes-)Regulierungsbehörden ab 1.1.2014 einheitlich der Rechtsbehelf der Beschwerde an das BVerwG möglich ist. Die Beschwerde muss innerhalb von zwei Wochen eingebracht werden; ist sie rechtzeitig eingebracht und zulässig, so hat sie aufschiebende Wirkung (für den Bereich des Telekommunikationsrechts muss diesbezüglich aber wegen Art 4 Abs 1 UAbs 2 der RahmenRL eine Ausnahmebestimmung im TKG geschaffen werden). Die bescheiderlassende Behörde kann innerhalb von zwei Monaten eine "Beschwerdevorentscheidung" treffen (ähnlich der derzeit nach dem AVG möglichen Berufungsvorentscheidung).

Das BVerwG entscheidet grundsätzlich durch Einzelrichter, die Materiengesetze können aber Senatsentscheidungen (Senate mit drei Mitgliedern) vorsehen. Auch die Beteiligung fachkundiger Laienrichter ist möglich. Dabei dürfte aber weniger an die derzeit in den kollegialen Regulierungsbehörden vorgesehenen fachkundigen Mitglieder (etwa mit besonderen technischen oder ökonomischen Kenntnissen) gedacht sein, als vielmehr an die Möglichkeit sozialpartnerschaftlicher Beteiligung (wie sie etwa im Bereich des Arbeitslosenversicherungsrechts in der derzeitigen Berufungsbehörde - dem Leistungsausschuss bei der Landesgeschäftsstelle - gegeben ist und wohl auch im BVerwG, das die Aufgaben des Leistungsausschusses übernimmt, wieder eingerichtet werden soll).

Gegen Erkenntnisse des BVerwG ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof (und die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof) zulässig, "wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird." Das BVerwG hat in seinem Erkenntnis auszusprechen, ob die Revision zulässig ist.

Ist die Revision nach Ansicht des BVerwG unzulässig, kann dennoch außerordentliche Revision an das BVerwG erhoben werden, die auch die Gründe zu enthalten hat, "warum, entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes, die Revision für zulässig erachtet wird."

Telekomregulierung
Für den Bereich der Telekomregulierung bedeutet dies im Wesentlichen die Einführung einer weiteren Rechtsbehelfsinstanz zwischen Regulierungsbehörde und Verwaltungsgerichtshof. Sowohl gegen Bescheide der RTR-GmbH als auch der Telekom-Control-Kommission wird ab 1.1.2014 keine direkte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof mehr möglich sein. Stattdessen kann Beschwerde an das BVerwG erhoben werden (allerdings innerhalb der doch deutlich kürzeren Frist von zwei Wochen). Neu ist auch, dass die RTR-GmbH und die Telekom-Control-Kommission nach der Beschwerdeerhebung noch die Möglichkeit haben, die Entscheidung abzuändern (Beschwerdevorentscheidung). Der Verwaltungsgerichtshof wird nach der Entscheidung durch das BVerwG nicht in jedem Fall, sondern nur bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung angerufen werden.

Rundfunkregulierung
Im Bereich der Rundfunkregulierung sind die Änderungen weniger weitreichend: hier bleibt es bei zwei Rechtsbehelfsinstanzen nach der Regulierungsbehörde, allerdings wird - grob vereinfacht ausgedrückt - der Bundeskommunikationssenat (der bisher als zweite administrative Instanz entschied) durch das BVerwG (als erste gerichtliche Instanz) ersetzt.

Eine ganz reduzierte grafische Darstellung der Änderungen für Rundfunk- und Telekomregulierung ist hier zu sehen.

Offene Fragen - "Gesetzesbeschwerde"
Noch sind natürlich nicht alle Fragen gelöst. Die Regierungsvorlagen für das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2012 und das Bundesverwaltungsgerichtsgesetz sind noch nicht beschlossen, für die notwendigen Änderungen der Materiengesetze gibt es noch nicht einmal Entwürfe (insgesamt dürften mehr als hundert Gesetze anzupassen sein). Dieser Beitrag ist daher auch nur als erste grobe Orientierung zu verstehen, ohne Bedachtnahme auf Details und Zweifelsfragen.

Ein Thema, das im Paket um die neue Verwaltungsgerichtsbarkeit mitverhandelt wurde, ist allerdings noch offen: die Einführung der sogenannten "Gesetzesbeschwerde" (vom Präsidenten des Obersten Gerichtshofs auch "Querulantenbeschwerde" genannt) an den Verfassungsgerichtshof. Dem Nationalrat liegen dazu zwei auf Entwürfen des Bundeskanzleramtes basierende Anträge vor (2031/A und 2032/A). Ob die vom Verfassungsgerichtshof gewünschte Erweiterung seiner Kompetenzen kommen wird (und wie die Debatte darüber sich allenfalls noch auf die neue Verwaltungsgerichtsbarkeit auswirkt), ist derzeit noch offen; auf die mit der "Gesetzesbeschwerde" verbundenen Probleme weist etwa die Stellungnahme des Obersten Gerichtshofes nachdrücklich hin.

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