In einem dieser Mails leitet Michael Fischer, damals "Head of Public Relations" der Telekom Austria TA AG (TA), den TA-Vorstandsmitgliedern ein Mail weiter, das er mit dem Betreff "informell" an den Generaldirektor für Wettbewerb Theodor Thanner gesandt hatte. Der Wortlaut des Mails:
"Lieber Theo,
wie informell abgestimmt:
next Steps (Vorschlag)In Verbindung mit einem weiteren Mail, in dem Michael Fischer darauf hinweist, dass die TA "statt 7,2 mio jetzt 1,5 bezahlt" habe, wurde in manchen Medien auch berichtet, dass "die Telekom eine Kartellstrafe der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) offenbar von 7,2 auf 1,5 Mio. Euro drücken" habe können.
Informelle Abstimmung und anschl. Verhandlung für einen 'stille Lösung':
Folgende Eckpfeiler, wie kurz besprochen:
Alles Liebe, Michi"
- Eingrenzung des Sachverhalts: Störung aus Mangel von Anschalterichtlinien (muss entspechend seitens TA mit Richtern und BWB verhandelt werden)
- keine darüberhinausgehende Begründung
- Keine Angaben zur Dauer des Verstoßes
- Höhe der Strafe < 1,5
- keine medialen Aktivitäten
Diese Unschärfe macht das per Aussendung verbreitete Dementi der BWB leicht. Denn natürlich entscheidet das Kartellgericht, nicht die BWB über die Geldbuße, und natürlich ist die Kooperation des Unternehmens, gegen das eine Geldbuße verhängt werden soll, für deren Höhe mitentscheidend.
Andererseits ist auch die Aussendung der BWB unscharf: Denn mit der in der Aussendung angesprochenen Anwendung der Kronzeugenregelung nach § 11b WettbG hat der vorliegende Fall überhaupt nichts zu tun, da es sich nicht um eine Zuwiderhandlung gegen das Kartellverbot nach § 1 KartG 2005 bzw Art 81 Abs 1 EGV (nun Art 101 Abs 1 AEUV) handelte, sondern um den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, also eine Zuwiderhandlung gegen § 5 KartG (Art 102 AEUV). Abgesehen davon wären auch eine weitere Bedingung für die "Kronzeugenregelung" nach § 11 Abs 3 WettbG nicht erfüllt, da die BWB nicht von der TA, sondern von der Telekom-Control-Kommission über den Sachverhalt informiert wurde, wie ich zumindest einem Mail entnehme, das ich nach langem Nachfragen vor einiger Zeit erhalten habe (mehr dazu und zum Fall überhaupt: hier).
Update 17.02.2012: Ich sollte vielleicht auch noch darauf hinweisen, dass das Kartellgericht gemäß § 36 Abs 2 KartG keine höhere Geldbuße verhängen darf als die BWB (oder der Bundeskartellanwalt) beantragt. Auch diesbezüglich ist die Aussendung der BWB also, vorsichtig ausgedrückt: missverständlich. Denn auch wenn die Geldbuße vom Kartellgericht verhängt wird, so hatte es der Generaldirektor der BWB in der Hand, durch entsprechende Antragstellung die Höhe der zu verhängenden Geldbuße jedenfalls nach oben hin zu begrenzen.
War der Deal ungewöhnlich?
Ja, aber nicht aus dem Grund, dass anstelle einer vielleicht ursprünglich von der BWB angedrohten oder beantragten Geldbuße von 7,2 Mio schließlich eine Buße von "nur" 1,5 Mio Euro wurde, und auch nicht aus dem Grund, dass eine informelle Absprache vor der Entscheidung des Kartellgerichts stattgefunden hat. Das lässt sich nämlich durchaus auch schlüssig erklären mit einer Art "plea bargaining", wie es zwar im österreichischen Kartellrecht nicht ausdrücklich vorgesehen ist, aber doch einem praktischen Erfordernis entspricht.
Im Wesentlichen kann man sich das so vorstellen: das Unternehmen räumt einen (kleineren) Verstoß ein, im Gegenzug wird von der BWB eine niedrige Geldbuße beantragt und allseits auf Rechtsmittel verzichtet. Damit ist allen irgendwie geholfen: das Unternehmen muss nicht mit der Unsicherheit leben, vielleicht zu einer höheren Geldbuße verurteilt zu werden, die BWB läuft nicht das Risiko, den behaupteten Verstoß im gerichtlichen Verfahren vielleicht gar nicht beweisen zu können oder aufgrund anderer Umstände (andere Rechtsansicht des Kartellgerichts, Formalprobleme o.ä.) nicht durchzudringen, und auch das Gericht erspart sich eine umfassende Beweisaufnahme und aufwändige Begründung*) sowie das Verfahren in der Instanz. Einen Grund, nach der Staatsanwaltschaft zu rufen, wie dies geradezu reflexhaft auch in diesem Zusammenhang gefordert wurde, sehe ich diesbezüglich - jedenfalls nach den (wenigen) öffentlich bekannten Umständen - nicht.
Behördliches Stillschweigen als Teil des Deals
Irritierend an der Angelegenheit ist für mich allerdings nach wie vor das Zugeständnis der BWB, ihre gesetzlich normierte Informationspflicht, ich formuliere das jetzt einmal sehr vorsichtig: zurückhaltend wahrzunehmen. Das Verständnis der getroffenen informellen Abstimmung bei der BWB war nämlich offensichtlich, dass nicht einmal die Art des vom Kartellgericht rechtskräftig festgestellten Marktmachtmissbrauchs der TA veröffentlicht werden sollte (und auch tatsächlich nicht wurde). Nun muss aber die BWB nach § 10b Abs 3 WettbG über die Entscheidungen des Kartellgerichts informieren, was üblicherweise so verstanden wird, dass sich auf der Website auch Informationen über die Art des Verstoßes, die Dauer, die betroffenen Abnehmer/Lieferanten etc. finden.
Diese Informationspflicht dient nicht zuletzt auch dazu, dass sich allenfalls vom Missbrauch (oder von einem Kartell) nachteilig betroffene Unternehmen/Kunden auch zivilrechtliche Schritte überlegen - insbesondere auch Schadenersatzforderungen stelllen - können. In diesem einen Fall aber hat die BWB selbst auf hartnäckiges Nachfragen nicht mehr verraten, als dass "bestimmte von der Telekom Austria TA AG im Rahmen des Ausbaus ihres Telekommunikationsnetzes gesetzte Maßnahmen" Gegenstand des Verfahrens waren (mit den nun veröffentlichten Mails weiß man zumindest, dass es um das Problem der Anschalterichtlinien, also wohl um xDSL-Angebote über entbündelte Leitungen, ging).
Eine derartige "stille Lösung", wie sie hier "informell abgestimmt" wurde, kann daher für jene nachteilig sein, die am Verfahren nicht beteiligt sind, deren Interessen aber die BWB zu wahren hätte: Kunden, Lieferanten, Wettbewerber, die möglicherweise vom Marktmachtmissbrauch geschädigt wurden.
PS: Eine interessante Facette, aber wohl typisch österreichisch, ist es auch, dass der Head of Public Relations die wesentlichen informellen Gespräche mit dem Generaldirektor für Wettbewerb geführt hat, wo man doch annehmen würde, das wäre etwas für die Profis aus den Rechts- oder Regulierungsabteilungen und/oder die AnwältInnen. Aber hier gab's eben offenbar eine tragfähige persönliche Verbindung ...
*) Nach dem im Kartellverfahren anwendbaren § 38 AußStrG kann übrigens die schriftliche Ausfertigung mündlich verkündeter Beschlüsse unterbleiben, wenn alle Parteien auf Rechtsmittel und schriftliche Ausfertigung verzichten; das dürfte hier der Fall gewesen sein.
Update 20.02.2012: Perfektes Timing: am Samstag, 18. Februar 2012, wurde die "Funktion des/-r Generaldirektors/-in für Wettbewerb in der Bundeswettbewerbsbehörde" im Amtsblatt zur Wiener Zeitung ausgeschrieben (siehe Bild links, zur Vergrößerung klicken). Diesmal wird immerhin eine "mindestens fünfjährige Berufserfahrung auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts" erwartet, außerdem (unter anderem) Fähigkeit zu
Das Problem mit der selektiv zurückhaltenden Informationspolitik der BWB könnte übrigens demnächst gelöst werden: indem man die Veröffentlichungspflicht dem Kartellgericht überträgt, wie dies in den derzeit in Begutachtung befindlichen Entwürfen für eine Kartellgesetz-Novelle 2012 und eine Wettbewerbsgesetz-Novelle 2012 geplant ist.
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